Dieses kleine Büchlein habe ich nach unserem Urlaub ganz überraschend in meinem Briefkasten gefunden und mich ganz wahnsinnig gefreut (an dieser Stelle noch einmal heißen Dank an stepanini).
So klein und dünn es auch daherkommt, dieses Buch hat es gewaltig in sich. Pierre Anthon ist 14 und beschließt eines Tages, dass absolut gar nichts im Leben etwas bedeutet. Und weil das so ist, macht es seiner Ansicht nach auch keinen Sinn, irgendetwas zu tun, er steht auf, verläßt das Klassenzimmer und setzt sich ab dem Zeitpunkt in einen Pflaumenbaum. Nichts und niemand kann ihn dazu bringen, wieder herunterzukommen und auch seine Ansicht, dass Nichts etwas bedeutet, ändert sich auch nur im Geringsten.
„Nichts bedeutet irgendetwas,
das weiß ich seit Langem.
Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun.
Das habe ich gerade herausgefunden.“
Seine Schulfreunde versuchen ihm daraufhin zu beweisen, dass das Leben doch einen Sinn hat und versuchen, dies mit persönlichen Opfergaben zu erreichen. Den Anfang machen eine komplette Sammlung Dungeon & Dragons Bücher, eine geliebte Angelrute, ein Paar grüner Sandalen und ein Hamster. Doch in der verlassenen Lagerhalle aufeinandergestapelt, in der sie die Sachen sammeln, erscheinen diese einfach nur belanglos.
Sie merken, dass kein Mensch es schafft, sich von wirklich wichtigen persönlichen Dingen zu trennen, wenn sie es selbst aussuchen können. Sie beschliessen, dass sie für einander entscheiden, was jeder abgeben muss. Die Opfergaben werden von Mal zu Mal extremer, alles verliert sich immer schneller in einem dunklen Strudel, die Schüler werden immer verzweifelter in ihren Handlungen, um Pierre wieder aus dem Pflaumenbaum zu bekommen. Werden sie es schaffen, Pierre zu überzeugen oder wird alles umsonst sein ? Oder noch viel schlimmer – könnte er vielleicht Recht haben ?
Pierre Anthon macht ihnen Angst. Große Angst. Sehr große Angst.
„Alles ist egal, schrie er eines Tages. Denn alles fängt nur an, um aufzuhören. In demselben Moment, in dem ihr geboren werdet, fangt ihr an zu sterben. Und so ist es mit allem. Die Erde ist vier Milliarden sechshundert Millionen Jahre alt, aber ihr werdet höchstens hundert! rief er an einem anderen Tag. Das Leben ist die Mühe überhaupt nicht wert. Und er fuhr fort: Das Ganze ist nichts weiter als ein Spiel, das nur darauf hinausläuft, so zu tun als ob – und eben genau dabei der Beste zu sein.“
Am Anfang des Buches war ich nicht sicher, ob der Ich-Erzähler ein Mädchen oder ein Junge ist. Im Laufe der Geschichte wird klar, dass Agnes eine Freundin von Pierre ist. Die Erzählweise ist extrem karg und einfach, was dem Buch sehr zu Gute kommt. Die kurzen Sätze wirken stark und ich habe länger über einzelne Sätze nachgedacht.
„Und selbst wenn ihr etwas lernt, damit ihr glaubt, ihr könntet etwas, ist immer jemand da, der das besser kann als ihr.“
„Halt den Mund“ rief ich zurück. „Aus mir wird bestimmt etwas! Und ich werde weltberühmt!“
„Selbstverständlich, Agnes.“ Pierre Anthons Stimme war freundlich, fast mitleidig. „Du wirst bestimmt Designerin und stöckelst auf hohen Schuhen herum und spielst die Smarte und überzeugst alle anderen, dass sie glauben, wenn sie nur in Sachen von Deiner Marke herumlaufen, seien sie auch smart.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber du wirst feststellen, dass du ein Clown in irgendeinem überflüssigen Zirkus bist, wo alle versuchen, sich gegenseitig vorzumachen, es sei lebensnotwendig, in einem Jahr auf diese Weise gekleidet zu sein und im nächsten Jahr auf eine andere. Und Du wirst feststellen, dass aber innen nichts ist und dass es auch so bleiben wird, egal was du tust.“
„Was wollt ihr Mädchen eigentlich mit einem Freund?“, hatte er erst am Morgen gerufen, als ich Arm in Arm mit Marie-Ursula am Taeringvej 25 vorbeikam. „Erst verliebt man sich, dann geht man miteinander, dann hört die Verliebtheit auf, und dann trennt man sich wieder.“ …
„Und so geht es ein ums andere Mal, so lange, bis ihr die Wiederholung so satt habt, dass ihr so tut, als sei er, der gerade in der Nähe ist, derjenige welche. Dass ihr dazu Lust habt.“
Es ist ein faszinierendes Buch, das total polarisiert. Man liebt oder hasst es und ich kann auch die ein wenig verstehen, die es überhaupt nicht mögen, denn es ist wirklich harter Tobak. Jugendbücher dürfen eckig und kantig sein und man kann sich beim Lesen auch mal blutige Schrammen holen. Dieser Roman jedoch führt zu gewaltigen Bewußtseins-Wachstumsschmerzen und daher ist es kein Buch for the faint-hearted. Es ist stellenweise richtig eklig, die Geschichte eskaliert sehr schnell, die geforderten Opfer werden immer absurder und brutaler und irgendwann gerät alles komplett außer Kontrolle. Ich hab wirklich ein paar Mal fast a bisserl Schnappatmung gehabt und ich bin jetzt nicht soooo zart besaitet glaube ich.
Es hat mich berührt, schockiert, sehr gefordert, intensivst zum nachdenken gebracht und es verfolgt mich noch immer, obwohl es jetzt fast zwei Wochen her ist, dass ich es gelesen habe. Ich brauchte auch erst einmal ein wenig Abstand, bevor ich mich an die Rezension gewagt habe. Trotz aller erlittenen Schrammen ist es ein großartiges Buch. Kontrovers, polarisierend, aber trotz aller Brutalität nicht kalt. Ein Buch für Erwachsene und Teenager, die sich und die Welt hinterfragen, und die sich trauen, dem Leben unter den Rock zu gucken,
Hier noch ein sehr spannendes Interview mit der Autorin aus der Zeit.
ja guck. da gehöre ich wohl zu denen, die es hassen.
ich hab’s vor ca. einem jahr gelesen und war sehr abgestoßen von der überzogenheit und brutalität. dabei sehe ich es ähnlich wie du, dass jugendbücher auch erschrecken sollen, damit das nachdenken nicht so träge von statten geht. ist bei herr der fliegen ja auch nicht anders. aber dieses buch hat mich richtig verärgert beim lesen und das kommt bei mir wirklich sehr sehr selten vor.
und außerdem freue ich mich, dass ich endlich auch mal ein buch gelesen habe, das du vorstellst 🙂 ha.
liebe grüße,
sandra