Lektüre März 2023 oder auch Hirngymnastik Physik & Mathematik

Unsere März Bookclub Lektüre „When we cease to understand the world“ hat mich ordentlich in ein Mathematik & Physik-Rabbithole geschickt. Mein Hirn hat ordentlich geraucht, aber es hat auch wirklich Spaß gemacht. Ein insgesamt guter Lesemonat.

Dann mal ohne lange Vorrede gleich Butter bei die Fische und wie üblich bin ich sehr auf eure Meinung gespannt. Was habt ihr schon gelesen, was plant ihr davon zu lesen? Wie waren eure Eindrücke?

Heute mal wieder der Einfachheit halber in alphabetischer Reihenfolge:

Atlas of AI – Kate Crawford erschienen im Yale Verlag

Kate Crawford geht der Frage nach was passiert, wenn künstliche Intelligenz das politische Leben bestimmt und die Ressourcen unseres Planeten verbraucht? Wie formt KI unser Verständnis von uns selbst und unseren Gesellschaften? Sie beobachtet wie KI einen Wandel hin zu undemokratischen Regierungsführungen und zunehmender rassistischer, geschlechtsspezifischer und wirtschaftlicher Ungleichheit vorantreibt. KI verschwendet Ressourcen in großem Maßstab, nicht nur Energie und Mineralien, die für den Aufbau und die Aufrechterhaltung der Infrastruktur benötigt werden, sondern sie verschwendet auch die Kräfte ausgebeuteter Arbeiter, die hinter den „automatisierten“ Dienstleistungen stehen, wie bei Amazon zB, bis hin zu den Daten, die KI von uns sammelt.

Auch wenn technische Systeme den Anschein von Objektivität erwecken, sind sie immer auch Systeme die überwiegend den Mächtigen nutzen und bestehende ungerechte Systeme verfestigen. Ein wichtiges Buch das zeigt was auf dem Spiel steht, wenn Technologieunternehmen künstliche Intelligenz nutzen um sich weiter zu bereichern und dabei den Planeten zerstören.

WeWork, the coworking behemoth that burned itself out over the course of 2019, quietly fitted its work spaces with surveillance devices in an effort to create new forms of data monetization.

Schrödingers Katze auf dem Mandelbrotbaum – Ernst Peter Fischer erschienen im Pantheon Verlag.

Einstein, Schrödinger und Planck hatten ihr Herz an die klassische Physik des 19. Jahrhunderts verloren und konnten mit der Quantenphysik nie glücklich werden. Sie versuchten vergeblich ihr Leben lang die Forschungsergebnisse aus der Quantenphysik ihrer jüngeren Kollegen wie Heisenberg, Pauli etc zu widerlegen. Es gab ein paar Ausnahmen wie Nils Bohr oder auch Max Born die das Umdenken schafften, aber zum größten Teil kann man auch an diesen berühmten Forschern sehen wie schwer es teilweise ist Denkmodelle zu revidieren mit denen man aufgewachsen ist und die einen auch zu dem gemacht haben der man ist. Alte Denkmodelle sterben meistens aus, sie werden viel seltener von den vorherigen Generationen überarbeitet.

Physik bot auf einmal nur noch Wahrscheinlichkeiten wo jahrhundertelang Sicherheiten da waren.

Wissenschaft wird von Menschen gemacht, und manche von ihnen haben so gute Ideen, dass wir ihre Namen damit verbinden: Mandelbrots Baum, Maxwells Dämon, Schrödingers Katze, Poincarés Vermutung oder Einsteins Spuk. Ernst Peter Fischer versteht es wie kein Zweiter, die Faszination von Wissenschaft ebenso anschaulich wie unterhaltsam zu vermitteln. Er erläutert auf verständliche Weise, was sich hinter den genannten Entdeckungen verbirgt, und liefert so durch die Hintertür eine Einführung in die faszinierende Welt der modernen Naturwissenschaften.

Der Vater der Katze hatte in und zu seinem großen Verdruss nichts anderes erreicht, als nachzuweisen, dass Heisenberg und seine Anhänger recht hatten. Besonders ärgerlich war zudem, dass Schrödingers Gleichungen dies für Fachleute zugleich viel einfacher und überzeugender nachzuvollziehen gestatteten.

Und dann verschwand die Zeit (The High House) – Jessie Greengrass erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag übersetzt von Andrea O’Brien

Auf einer Anhöhe abseits einer kleinen Stadt am Meer liegt das High House. Dort leben Grandy und seine Enkeltochter Sally sowie Caro und ihr Halbbruder Pauly. Das Haus verfügt über ein Gezeitenbecken und eine Mühle, einen Gemüsegarten und eine Scheune voller Vorräte – die Vier sind vorerst sicher vor dem steigenden Wasser, das die Stadt zu zerstören droht. Aber wie lange noch?

Caro und ihr jüngerer Halbbruder Pauly kommen im High House an, nachdem ihr Vater und ihre Stiefmutter, zwei Umweltforscher*innen, sie aufgefordert haben, London zu verlassen, um im höher gelegenen Haus Zuflucht zu suchen. In ihrem neuen Zuhause, einem umgebauten Sommerhaus, das von Grandy und seiner Enkelin Sally betreut wird, lernen die Vier, miteinander zu leben. Doch das Leben ist anstrengend, besonders im Winter, die Vorräte sind begrenzt. Wie lange bietet das Haus noch die erhoffte Sicherheit?

Ein atemberaubender, emotional präziser Roman über Elternschaft, Aufopferung, Liebe und das Überleben unter der Bedrohung der Auslöschung, der unter die Haut geht und zeigt, was auf dem Spiel steht.

Das ist mein zweiter Roman von Jessie Greengrass – hier habe ich über ihren Roman „Was wir von einander wissen“ geschrieben. Ich mag ihren Stil sehr und werde auf jeden Fall auch die kommenden Bücher von ihr lesen.

.. betraf das alles nur unsere kleine Welt, nicht den gesamten Planeten. Weder die Überflutungen noch der Sturm. Ein paar Quadratkilometer, einige Dutzend Menschen. Solche Dinge waren immer wieder passiert, überall, immer schon. Aber ist nicht jedes Ende absolut für diejenigen, die es erleben?

Er erzählte Dad, es sei ganz schrecklich für ihn, mitansehen zu müssen, wie so vieles in Vergessenheit geriet – die kunstvolle Fertigung der hölzernen Schiffe, sagte er, und alles, was dazugehöre, die bemannten Leuchttürme, Sextanten, Navigation nach den Gestirnen. Alles verschwunden. Jahre hatte es ihn gekostet, das alles zu erlernen, nur um zu erleben, wie seine Fertigkeiten obsolet wurden.

Physik und Philosophie – Werner Heisenberg erschienen im Ullstein Verlag

Werner Heisenberg (1901 – 1976) war einer der bedeutendsten theoretischen Physiker des 20. Jahrhunderts. Seine Heisenberg’sche Unschärferelation spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Mechanik und übte großen Einfluß auf die moderne Philosoophie aus. 1932 erhielt er den Nobelpreis für Physik.

Diese Sammlung von Vorlesungen erschien 1958 zum ersten Mal. Sie stellt in allgemein verständlicher Weise die Ursprünge und die physikalischen Probleme dar, die zur Entwicklung der Quantenmechanik geführt haben. Werner Heisenberg lässt Epochen der Physik Revue passieren, die das Weltbild verändert und den Menschen zum Umdenken gezwungen haben. Er erörtert die Gedanken der modernen Physik in einer verständlichen Sprache, studiert ihre philosophischen Folgen und vergleicht sie mit anderen Traditionen.

Die Beobachtung selbst ändert die Wahrscheinlichkeitsfunktion unstetig. Sie wählt von allen möglichen Vorgängen den aus, der tatsächlich stattgefunden hat. Da sich durch die Beobachtung unsere Kenntnis des Systems unstetig geändert hat, hat sich auch ihre mathematische Darstellung unstetig geändert, und wir sprechen daher von einem Quantensprung.

Der Übergang vom Möglichen zum Faktischen findet also während des Beobachtungsaktes statt.

Klara und die Sonne (Klara and the Sun) – Kazuo Ishiguro auf deutsch erschienen im Blessing Verlag übersetzt von Barbara Schaden

Klara ist eine künstliche Intelligenz, entwickelt, um Jugendlichen eine Gefährtin zu sein auf dem Weg ins Erwachsenwerden. Vom Schaufenster eines Spielzeuggeschäfts aus beobachtet sie genau, was draußen vor sich geht, studiert das Verhalten der Kundinnen und Kunden und hofft, bald von einem jungen Menschen als neue Freundin ausgewählt zu werden. Als sich ihr Wunsch endlich erfüllt und ein Mädchen sie mit nach Hause nimmt, muss sie jedoch bald feststellen, dass sie auf die Versprechen von Menschen nicht allzu viel geben sollte.

Klara und die Sonne ist ein beeindruckendes, berührendes Buch und Klara eine unvergessliche Erzählerin, deren Blick auf unsere Welt die fundamentale Frage aufwirft, was es heißt zu lieben.

Ich mochte „The Buried Giant“ noch einen Ticken lieber, aber Ishiguro bleibt auch weiterhin einer meiner liebsten Autoren.

Until recently, I didn’t think that humans could choose loneliness. That there were sometimes forces more powerful than the wish to avoid loneliness.”

Hope,’ he said. ‘Damn thing never leaves you alone.

There was something very special, but it wasn’t inside Josie. It was inside those who loved her.

Devotion – Hannah Kent erschienen im Pan Macmillan Verlag

Preußen, 1836. Hanne ist fast fünfzehn, und die häusliche Welt der Frau rückt schnell näher an sie heran. Als Naturkind sehnt sie sich stattdessen nach dem Rauschen des Flusses und dem Wind, der sie umspielt. Hanne findet wenig Trost bei den Mädchen des Ortes, und Freundschaft fällt ihr nicht leicht, bis sie Thea kennenlernt und in ihr einen verwandten Geist und schließlich Akzeptanz findet.

Hannes Familie ist altlutherisch, und in ihrem kleinen Dorf werden die Gottesdienste im Geheimen abgehalten – eine Gemeinschaft, die bedroht ist. Doch als ihnen die sichere Überfahrt nach Australien gewährt wird, jubelt die Gemeinschaft: Endlich ein Ort, an dem sie ohne Angst beten können, ein dauerhaftes Zuhause. Freiheit.

Ein Freiheitsversprechen, das für Hanne und Thea verheerende Folgen haben wird, doch auf der langen und brutalen Reise erweist sich ihr Band als zu stark, als dass selbst die Natur es brechen könnte…

Thea, if love were a thing, it would be the sinew of a hand stretched in anticipation of grasping. See, my hands, they reach for you. My heart is a hand reaching.

When we cease to understand the world (Das blinde Licht) – Benjamin Labatut auf deutsch erschienen im Suhrkamp Verlag, übersetzt von Thomas Brovot

Sie sind Pioniere und Verdammte. Eroberer von Raum und Zeit. Träumer des Absoluten. Sie verändern den Lauf der Geschichte und verzweifeln an sich selbst: Werner Heisenberg, dessen Gleichungen – im Wahn auf der Insel Helgoland entstanden – zum Bau der Atombombe führen. Der Mathematiker Alexander Grothendieck, der es vorzieht, seine Formeln zu verbrennen, um die Menschheit vor ihrem zerstörerischen Potential zu schützen. Oder Fritz Haber, dessen physikalische Verfahren eine Hungerkrise vermeiden und zugleich das diabolischste Werkzeug der Nationalsozialisten hervorbringen werden …

In vier so bizarren wie betörenden Geschichten erzählt Benjamín Labatut vom schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn, von menschlicher Hybris und der zwiespältigen Kraft der Wissenschaft. Und von dem verhängnisvollen Moment, an dem wir aufhören, die Welt zu verstehen.

We can pull atoms apart, peer back at the first light and predict the end of the universe with just a handful of equations, squiggly lines and arcane symbols that normal people cannot fathom, even though they hold sway over their lives. But it’s not just regular folks; even scientists no longer comprehend the world. Take quantum mechanics, the crown jewel of our species, the most accurate, far-ranging and beautiful of all our physical theories. It lies behind the supremacy of our smartphones, behind the Internet, behind the coming promise of godlike computing power. It has completely reshaped our world. We know how to use it, it works as if by some strange miracle, and yet there is not a human soul, alive or dead, who actually gets it. The mind cannot come to grips with its paradoxes and contradictions. It’s as if the theory had fallen to earth from another planet, and we simply scamper around it like apes, toying and playing with it, but with no true understanding.

Fall of the Man in Wilmslow. The Life and Death of Alan Turing – David Lagercrantz auf deutsch unter dem Titel „Der Sündenfall von Wilsmlow“ im Piper Verlag erschienen, übersetzt von Wolfgang Butt

England, 1954, der kalte Krieg hält die Welt in seinem eisernen Griff – und im kleinen Städtchen Wilmslow wird ein Mann tot aufgefunden. Es ist der Mathematiker Alan Turing, neben seinem Bett liegt ein mit Zyankali versetzter Apfel, alles deutet auf Selbstmord hin. Hat Turing die Repressionen nicht mehr ertragen, unter denen er als Homosexueller zu leiden hatte? Oder hat sein Tod doch etwas mit seiner Arbeit für den Geheimdienst während des 2. Weltkriegs zu tun? Der junge Detective Sergeant Leonard Corell, selbst einst ein vielversprechender Mathematiker, hegt den Verdacht, dass höhere Mächte ihre Finger im Spiel haben. Gegen Widerstände beginnt er, die Teile eines Puzzles zusammenzusetzen, das vielleicht eines der am besten gehüteten Geheimnisse des Kriegs offenbart.

Those who are different, also have a tendency to think differently.

Hier gibt es ein sehr interessantes Interview mit David Lagercrantz über seine Faszination für Alan Turing.

Spiegel von Cixin Liu auf deutsch erschienen im Heyne Verlag übersetzt von Marc Hermann

China in der nahen Zukunft. Der junge, ehrgeizige Beamte Song Cheng stößt auf einen gewaltigen Korruptionsskandal. Doch plötzlich wird er selbst ins Gefängnis geworfen. Dort taucht ein geheimnisvoller Mann mit einem Supercomputer auf, der ebenfalls verfolgt wird – weil er alles weiß. Einfach alles. Wie kann das sein? Und welche Konsequenzen hat das?

Mit seiner Novelle Spiegel erweist sich Cixin Liu, Autor des Weltbestsellers Die drei Sonnen, einmal mehr als scharfer Beobachter der chinesischen Gegenwart und als literarischer Visionär der Welt von morgen. 

Dieses Büchlein ist ein wahnsinnig spannendes Gedankenexperiment und ich konnte mehrere Abendessen lang überhaupt nicht mehr aufhören darüber zu philosophieren 😉

Bertrand Russell ist einer der Ersten, der das Unbehagen der Physiker mit dem Prinzip von Ursache und Wirkung in Worte fasst, und er lässt kein gutes Haar daran: „Das Kausalgsetz“, so beginnt Russell seinen Aufsatz von 1912 über das Thema, „ist, wie so vieles, das unter Philosophen allgemein akzeptiert wird, ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, das, wie auch die Monarchie, nur überlebt, weil irrtümlich von ihm angenommen wird, dass es keinen Schaden anrichte.“

Wie war euer Lesemonat März? Im April geht es bei mir in die Natur. Ihr dürft euch auf Bücher zum Thema Pilze, Wälder und einen Abstecher nach Irland freuen.

Lektüre Januar 2023

Nachdem der Dezember so durchwachsen war, freue ich mich um so mehr, dass der Januar wieder ein richtig guter Lesemonat war. Lange Weihnachtsferien, diverse Zugfahrten und durchgelesene Nächte haben zu geführt, dass ich richtig dicke Brummer durchbekommen habe und da war der eine oder andere echte Diamant dabei.

Los gehts:

Babel, Or the Necessity of Violence: An Arcane History of the Oxford Translators’ Revolution – R. F. Kuang auf deutsch im Eichborn Verlag erschienen, übersetzt von Heide Franck und Alexandra Jordan

Ich wusste nicht viel über dieses Buch, außer dass es um 1800 in Oxford spielt und das Übersetzer*innen/Linguist*innen die Held*innen sind, was mich sofort fasziniert hat. Babel war ganz und gar nicht das, was ich erwartet hatte. Es hat einen Hauch magischen Realismus und beschäftigt sich mit den Problemen und Auswirkungen von Kolonialismus, Rassismus und damit einhergehende Ungerechtigkeiten, wobei der Schwerpunkt auf der akademischen Welt liegt.

Ich bin natürlich ein großer Fan von Dark Academia, sowohl was Ästhetik angeht, als auch alles was mit Literatur zu tun hat, aber es lässt sich nicht leugnen, dass es diesem Genre massiv an Diversität mangelt. RF Kuang stellt uns in Babel eine Gruppe ausländischer Student*innen vor unterschiedlichster Herkunft die im 19. Jahrhundert an einer der prestigeträchtigsten Universitäten Englands studieren, und das ist einfach genial.

That’s just what translation is, I think. That’s all speaking is. Listening to the other and trying to see past your own biases to glimpse what they’re trying to say. Showing yourself to the world, and hoping someone else understands.

Babel hat fast alles aufgeboten was ich in einem Buch liebe: die Lust auf Wissen, das Studium alter Sprachen und der Philosophie, Diskussionen über Konzepte, die mir tagelang nicht aus dem Kopf gingen, und die gemütliche alte Bibliotheken mit Kaminen voller Bücher. Aber R.F. Kuang seziert auch die akademische Welt und bringt ihre Schwächen ans Licht.

Was mich wirklich beeindruckt hat, war Kuangs Idee die Kunst des Silver-Working, die magischen Silberbarren, die das Fundament des Reichtums und Fortschritts in England sind und die durch das Vergleichen und Übersetzen von Wörtern aus dem Englischen und anderen Sprachen entstehen.

Es war mein erstes Buch von R.F. Kuang und diese junge Frau hat mich einfach komplett umgehauen. Es ist ihr vierter Roman. Sie ist 26, hat in Oxford und Yale studiert, einen Master in Contemporary Chinese Studies und macht jetzt ihren Doktor in East Asian Languages and Literatures

Was hab ich mit 26 eigentlich gemacht?

Anyway – lest BABEL und wahrscheinlich habt ihr dann auch noch mal mehr Hochachtung vor Übersetzerinnen und Linguist*innen. Die sind nämlich neben den Bibliothekarinnen die eigentlichen Herrscher*innen der Welt – so!

Sea of Tranquility – Emily St. John Mandel auf deutsch erschienen unter dem Titel Das Meer der endlosen Ruhe im Ullstein Verlag übersetzt von Bernhard Robben

Simulationstheorie, Untersuchung von Anomalien in der Zeit, Mondkolonien, Zeitreisen. Ein Brite aus der Vergangenheit, der einfach nur sein Leben lebt, eine Frau, die im Jahr 2020 lebt und Antworten und manchmal auch Rache will, und eine Autorin, die in der Zukunft lebt, auf Lesereise ist in eine Pandemie gerät und dann eigentlich nur noch nach Hause möchte.

Ich fand es spannend die Parallelität der Leben von der fiktiven Autorin Olive und der Autorin Emily St. Mandel zu beobachten.

Mandel ist für mich die Königin der alternativen Zeitlinien und Figuren, die sich irgendwie überschneiden und gegenseitig beeinflussen.

𝙸𝚏 𝚝𝚑𝚎𝚛𝚎’𝚜 𝚙𝚕𝚎𝚊𝚜𝚞𝚛𝚎 𝚒𝚗 𝚊𝚌𝚝𝚒𝚘𝚗, 𝚝𝚑𝚎𝚛𝚎’𝚜 𝚙𝚎𝚊𝚌𝚎 𝚒𝚗 𝚜𝚝𝚒𝚕𝚕𝚗𝚎𝚜𝚜.

Was würdest du tun, wenn du dich inmitten einer Zeitverfälschung wiederfindest, einer Art unerklärlicher Umnachtung, bei der Momente in der Zeit sich gegenseitig korrumpieren können?

Vier Menschen aus verschiedenen Zeitzonen spürten dieselbe Anomalie und ihre Schicksale kreuzten sich im selben Moment, als Alan Sami im Jahr 2200 im Luftschiffhafen von Oklahoma City Geige spielt, der dreizehnjährige Vincent in den Wäldern von Caiette im Norden der Insel Vancouver Anfang der 2000er Jahre den Wald mit ihrer Kamera filmt, während Edwin St. John St. Andrew 1812 seine langen Schritte in denselben Wald unternimmt und die berühmte Science-Fiction-Autorin Olive Llewellyn auf der Plattform des Luftschiffhafens in derselben Zeitlinie wie Alan Sami die bezaubernden Noten spielt.

Beide Menschen spüren die Musik und den Wald, die Hintergrundstimmen der Plattform und die unterschiedlichen Qualitäten ihrer eigenen Zeitzonen. Aber wie kann das möglich sein? Was ist der Grund für diese Anomalie?

Ich mochte „The Glass Hotel“ war aber nicht blown away, Mandels Meta-Fiktion Ansatz ist aber so spannend, dass ich jedes ihre Bücher wohl mehrfach lesen werde, nur um die ganzen Querverweise und wieder auftauchenden Figuren angemessen verfolgen zu können.

𝙰 𝚕𝚒𝚏𝚎 𝚕𝚒𝚟𝚎𝚍 𝚒𝚗 𝚊 𝚜𝚒𝚖𝚞𝚕𝚊𝚝𝚒𝚘𝚗 𝚒𝚜 𝚜𝚝𝚒𝚕𝚕 𝚊 𝚕𝚒𝚏𝚎.

Mit Babel und Sea of Tranquility habe ich schon im Januar große Anwärter für meine Bücher des Jahres – das kann doch so weitergehen. Und ich kann schon verraten, auch die restlichen Bücher die ich Januar gelesen habe, waren ausnahmslos richtig gut.

Der Name der Rose – Umberto Eco übersetzt aus dem italienischen von Burkhart Kroeber erschienen im Hanser Verlag

Ich habe den Namen mit 16 gelesen, als der Bibliothekar meiner heimatlichen klitzekleinen Leihbücherei mir den Roman in die Hand drückte, den er für mich auf Seite gelegt hatte und es war sogar eine nigelnagelneue Ausgabe! Ich nahm es mit in die Sommerferien und ich glaube dieses Buch hat damals den Grundstein dafür gelegt, dass ich eine echte Leserin wurde, die sich das Lesefieber aus der Kindheit ins Erwachsenenalter rüber retten konnte.

Daher war ich schon auch ganz schön nervös, das Buch jetzt nach so vielen Jahren noch einmal zu lesen. Die Verfilmung hatte ich dazwischen schon zwei oder dreimal gesehen, das Buch allerdings nie wieder. Solche Wiederentdeckungen können ja auch gehörig schief gehen.

Eco hat einen Roman geschrieben, den man als historische Fiktion, Mysterium, Theologie und Philosophie, Metafiktion, Psychologie und vieles mehr bezeichnen kann und der von allen Seiten gelobt wird. Er nimmt Sherlock Holmes und Watson und macht sie zu Mönchen in einer Abtei aus dem Jahr 1300, in der es an jeder Ecke Mord und theologische Debatten gibt. Die beiden Haupthandlungen, der Mordfall und die religiösen Debatten, verweben sich mühelos miteinander, wobei sich die Spannungen gegenseitig verstärken und die Handlung immer dichter wird.

In omnibus requiem quaesivi, et nusquam inveni nisi in angulo cum libro

Dies ist jedoch kein einfacher, von der Handlung getriebener Thriller. Eco bringt einen dicken Wälzer mittelalterlicher und christlicher Geschichte auf den Tisch, der wie ein Historienroman wirkt und den Leser sowohl unterrichtet als auch unterhält. Dies hat viele Vergleiche mit Werken wie Dan Browns Da Vince Code hervorgerufen, doch Eco übertrifft Brown in fast jeder Kategorie.

Dieses Buch verdient es wirklich, als „Literatur“ bezeichnet zu werden, denn es ist viel mehr als eine Geschichte und Forschung, die in eine Handlung geworfen wird. Die Sprache seiner Figuren ist glaubwürdig, und was mich am meisten beeindruckt hat, ist wie gekonnt er die theologischen Auseinandersetzungen zwischen den Bewohnern der Abtei schilderte. Anhand dieser Figuren, von denen viele reale Personen waren, schildert er glaubhafte und oft feurige, facettenreiche Diskussionen über eine Reihe von Themen wie Ketzer, Armutsgelübde und die Auslegung des Evangeliums. Eco verfügte über umfassendes Wissen zum Thema mittelalterliche Studien – er war Professor für Semiotik – die in diesem Roman eine entscheidende Rolle spielt. Williams Methode der Deduktion beruht auf seiner Fähigkeit, in der Welt um ihn herum „die Zeichen zu lesen“. Er stellt sorgfältig Syllogismen auf um seine Theorien darzulegen.

Der vielleicht spannendste Aspekt dieses Romans war, dass es ein Buch über Bücher ist. Der ganze Roman dreht sich um verschiedene Texte, wie Aristoteles und die Offenbarung, aber er besteht aus anderen Büchern. Er macht den Leser sogar darauf aufmerksam, wenn William Adson erklärt, wie man den Inhalt eines Buches durch die Lektüre anderer Bücher herausfinden kann. Er reiht Anspielungen auf andere mittelalterliche Texte und auch auf einen von Ecos liebsten Autoren aneinander: Jorge Luis Borges. Dieser Roman ist voll von Anspielungen auf Borges‘ Werke, es gibt sogar einen blinden Bibliothekar namens Jorge von Burgos.

Die schwarze Rose – Dirk Schümer erschienen im Zsolnay Verlag erschienen

Wenn es schon sowas wie eine Art Fortsetzung von Der Name der Rose gibt und damit eine Chance noch ein wenig länger Zeit in William von Baskervilles Gesellschaft zu verbringen, dann führt kein Weg an der schwarzen Rose vorbei.

Pünktlich zum 40. Geburtstag von Ecos Jahrhundertroman erschien Dirk Schümers Buch und um es gleich vorweg zu sagen, es macht Spaß und ich habe es sehr gerne gelesen.

Als Ketzer denunziert, muss sich im Jahr 1328 der berühmte deutsche Prediger Eckhart von Hochheim am Hof des Papstes in Avignon der Inquisition stellen. In Begleitung seines Novizen Wittekind wird Meister Eckhart Zeuge eines blutigen Raubüberfalls. Als Wittekind selbst angegriffen wird, ahnen die beiden, dass sie in einen Finanzbetrug von europäischem Ausmaß hineingezogen werden. Im Schatten des Papstpalasts ist auch der geheimnisvolle Franziskaner William von Baskerville den Tätern auf der Spur.

Dort, wo Umberto Ecos „Der Name der Rose“ aufhört, setzt Dirk Schümers packender historischer Roman an. Wir erleben eine finstere Metropole der Religion, in der nur ein Credo gilt: Gold.

So wie Francesco seinen Lehrer Ciceo auswendig lernte, so hatte auch ich meinen eigenen Patron gefunden:
Tota vita discendum est mori. Leben ist sterben zu lernen.
Das meinte Seneca: über allem stehen, Schmerz und Sehnsucht ignorieren, den Abschied immer schon hinter sich haben.
Wer kann über dem stehen, der über dem Schicksal steht!
Über dem Schicksal zu stehen, darum hatte ich mich seit Jahren mit aller Kraft bemüht.

Ein simpler Eingriff – Yael Inokai erschienen im Hanser Verlag

Ein elegantes schmales Büchlein das ruhig und sachlich ohne ein Wort zu viel vom Horror des historischen Umgangs mit der weiblichen Psyche berichtet. Es ist aber auch eine Geschichte über Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.

Meret ist Krankenschwester. Die Klinik ist ihr Zuhause, ihre Uniform trägt sie mit Stolz, schließlich kennt die Menschen in ihrem Leiden niemand so gut wie sie. Bis eines Tages ein neuartiger Eingriff entwickelt wird, der vor allem Frauen von psychischen Leiden befreien soll. Die Nachwirkungen des Eingriffs können schmerzhaft sein, aber danach fängt die Heilung an. Daran hält Meret fest, auch wenn ihr langsam erste Zweifel kommen.

Ich dachte in diesem Moment, dass sie eine große Freiheit besaß. Egal, wo sie hinging, sie konnte sich einfach setzen. Sie fragte sich nie, ob dieser oder jener Platz für sie bestimmt war.

Was den Eingriff anbelangte, waren auch die Schwestern auf unserer Station geteilter Meinung. Wenn sie denn überhaupt eine hatten. Manche waren gut darin geworden, sich jede Meinung abzugewöhnen. Die Vorgaben und Regeln fingen einen immer auf. Meinungen konnten das nicht

Gegliedert ist das Buch in drei Abschnitte, benannt nach den drei Protagonist*innen des Buchs: Meret, Marianne und Sarah. Marianne ist die Patientin, deren fehlgeschlagene Operation erste Zweifel in Meret weckt. Sarah ist Merets Mitbewohnerin, in die sie sich von der ersten Begegnung an verliebt, die ihr neue Blickwinkel aufzeigt und mit der sie von einer besseren Zukunft zu träumen wagt und Merets eigene Beobachtungen.

Hatte meine alte Zimmernachbarin dafür geliebt, dass sie die unsichtbare Trennlinie zwischen unseren Betten nie übertrat, dass ihr Vergnügen so wenig bedeutete, dass ihr Herz in all den Jahren nur zweimal zu Bruch ging. Nicht wie bei den anderen, wo es ohne Unterlass brach, ein störanfälliges Organ, immer nur gerade so zusammengeflickt, bevor der Nächste es wieder auseinanderriss.

Harry Potter and the Order of the Phoenix – J. K. Rowling auf deutsch unter dem Titel Harry Potter und der Ordes des Phönix im Carlsen Verlag übersetzt von Klaus Fritz

Harry Potter ist wütend darüber, dass er den Sommer über im Haus der Dursleys zurückgelassen wurde, denn er vermutet, dass Voldemort eine Armee zusammenstellt, dass er selbst angegriffen werden könnte und dass seine so genannten Freunde ihn im Dunkeln lassen. Als er schließlich von Leibwächtern der Zauberer gerettet wird, erfährt er, dass Dumbledore den Orden des Phönix neu formiert – einen Geheimbund, der vor Jahren gegründet wurde, um Voldemort zu bekämpfen. Doch das Zaubereiministerium ist gegen den Orden, und das Zaubererblatt Daily Prophet verbreitet Lügen, und Harry fürchtet, dass er diesen epischen Kampf gegen das Böse vielleicht allein aufnehmen muss.

Meine Heldin ist natürlich insbesondere Hermione – wie gerne wäre ich sie, so klug, so belesen und mutig. Aber von Buch zu Buch merke ich, Hermione hat noch unerwartet große Konkurrenz mit Blick auf Lieblings-Figur bekommen. Professor McGonagall ich liebe die alte Schottin und im Buch vor allem diesen Dialog:

“Is it true that you shouted at Professor Umbridge?“
„Yes.“
„You called her a liar?“
„Yes.“
„You told her He Who Must Not Be Named is back?“
„Yes.“
„Have a biscuit, Potter.”

Idol in Flammen – Rin Usami erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag, übersetzt von Luise Steggewentz

Der Roman, der die japanische Verlagswelt in Brand gesetzt hat: Ein preisgekrönter Bestseller aus Japan von einer 21-jährigen Autorin, die zum Shootingstar der japanischen Literatur avanciert: Rin Usami. Ein Roman der sich auf brillante Weise mit toxischem Fandom, sozialen Medien und Desillusionierung beschäftigt.

Akari ist eine Highschool-Schülerin, die von „oshi“ Masaki Ueno, einem Mitglied der beliebten J-Pop-Gruppe Maza Maza, besessen ist. Sie schreibt einen Blog, der ihm gewidmet ist, und verbringt Stunden damit durchs Internet zu scrollen, süchtig nach Informationen über ihn und sein Leben. Verzweifelt versucht Akari, ihn zu analysieren und zu verstehen, und hofft, die Welt irgendwann mit seinen Augen zu sehen. Es ist eine Hingabe, die ans Religiöse grenzt: Masaki ist ihr Retter, ihr Rückgrat, jemand, von dem sie glaubt, dass sie ohne ihn nicht überleben kann – auch wenn sie ihn nie wirklich getroffen hat.

Als Gerüchte auftauchen, dass ihr Idol einen weiblichen Fan angegriffen hat, explodieren die sozialen Medien. Akari fängt sofort an, alles zu sichten, was sie über den Skandal finden kann, und teilt jedes Detail auf ihrem Blog und zieht damit zahlreiche Leser an, die begierig auf ihre Updates warten.

Aber die strukturierte und gut informierte Person, die Akari online präsentiert, ist ganz anders als der sozial unbeholfene, unkonzentrierte Teenager, die sie im wirklichen Leben ist. Als sich Masakis Situation zuspitzt, drohen seine Probleme auch ihr Leben zu zerstören. Anstatt einen Weg zu finden, sich zu befreien, um sich selbst zu retten, wird Akari immer fanatischer…

Da ist was für dich gekommen, Fräulein Akari Yamashita, sagt meine Schwester und reicht mir ein Paket, ds zehnmal dieselbe CD enthält, die ich in meinem Zimmer vorsichtig auspacke, um die Wahlscheine herauszunehmen. Neue Singles von Mazamaza kommen immer zusammen mit einem Wahlschein, und eine Single kostet zweitausend Yen. Fünf CDs habe ich schon, also kann ich jetzt insgesamt fünfzehn Stimmen bei der Beliebtheitswahl der Bandmitglieder abgeben.

Eine Geschichte über Ruhm, Trennung, Besessenheit und Desillusionierung von einer Autorin, die kaum älter ist als ihre Protagonistin. Idol in Flammen nimmt die Fan-Kultur, die Geldmacherei der J-Pop-Idol-Industrie, die verführerische Macht der sozialen Medien und die gewaltige emotionale Leere, die sich auftut, wenn ein Idol in Ungnade fällt unter die Lupe.

Ein Roman wie ein brennender Benzinkanister, der mit 200 km/h über die Autobahn rast. Atemlos in einem Rutsch durchgelesen. Krass.

The Wonder – Emma Donoghue auf deutsch erschienen unter dem Titel „Das Wunder“ erschienen im Goldmann Verlag, übersetzt von Thomas Mohr

Die irischen Midlands, 1859. Die englische Krankenschwester Lib Wright wird in ein kleines Dorf gerufen, um zu beobachten, was manche für eine medizinische Anomalie oder ein Wunder halten – ein Mädchen, das monatelang ohne Nahrung überlebt haben soll. Touristen strömen zu der Hütte der elfjährigen Anna O’Donnell, und ein Journalist ist gekommen, um über die Sensation zu berichten. The Wonder“ ist eine Geschichte über zwei Fremde, die das Leben des anderen verändern, ein psychologischer Thriller und eine Geschichte über Liebe im Kampf gegen das Böse.

How could the child bear not just the hunger, but the boredom? The rest of humankind used meals to divide the day, Lib realized – as a reward, as entertainment, the chiming of an inner clock. For Anna, during this watch, each day had to pass like one endless moment.

Habe „The Wonder“ als Hörbuch gehört und es sehr gemocht. Es passte sehr gut in die Jahreszeit und ich habe meine Isar-Spaziergänge gerne verlängert, um noch ein wenig weiter hören zu können, was es mit Anna und ihrer seltsamen Hunger-Geschichte auf sich hat. Das Buch ist bereits verfilmt worden mit Florence Pugh in der Hauptrolle und obwohl ich die Schauspielerin sehr sehr schätze, die Geschichte klasse fand, der Film großartige Bilder hat – ich bin nicht wirklich mit dem Film warm geworden. Hier ist das Buch wirklich um Längen besser meiner Meinung nach.

Das war es jetzt aber – eine reiche großartige Ausbeute hatte ich da im Januar und natürlich bin ich wieder sehr neugierig auf eure Reaktionen. Welche dieser Bücher habt ihr auch gelesen? Seid ihr anderer Ansicht als ich bei dem einen oder anderen? Auf welche konnte ich euch besonders neugierig machen?

Ich wünsche euch einen guten Februar und freue mich, wenn ihr dann wieder an meiner Lektüre teilhabt. Soviel kann ich schon verraten – es geht literarisch und auch in echt nach Paris. Jusque là!

Lektüre September 2022

Im September haben wir zwei herrliche Wochen in der Toskana verbracht, das bedeutete wunderbare faule Lesezeit auf der Terrasse, am Pool, am Strand und Hörbuch-Zeit bei der Autofahrt. Deswegen heute ein längerer Post, den im September habe ich überdurchschnittlich viel Lektüre gelesen bzw gehört.

Wie immer im Schnelldurchlauf von A-Z, ich hoffe ich kann euch auf das eine oder andere Buch Lust machen.

100 Autorinnen in Porträts – Verena Auffermann, Julia Encke, Gunhild Kübler, Ursula März, Elke Schmitter erschienen im Piper Verlag.

Fünf renommierte Kritikerinnen schreiben über ihre 100 bedeutendsten Autorinnen

Eine Auswahl der 100 bedeutendsten schreibenden Frauen aus zwei Jahrtausenden und der ganzen Welt, vorgelegt von den renommierten Kritikerinnen Verena Auffermann, Gunhild Kübler, Ursula März, Elke Schmitter und Julia Encke. Von Sappho bis Atwood, von Adichie bis Zeh porträtieren sie Schriftstellerinnen und ihren Weg zum Schreiben, betten ihr Werk in Lebens- und Zeitumstände ein und positionieren sie innerhalb literarischer Traditionen.

Denn viele dieser Autorinnen, die heute berühmt und erfolgreich sind – wie Siri Hustvedt und Hilary Mantel, wie Olga Tokarczuk und Leïla Slimani – erzählen davon, wie lust-, aber auch leidvoll es ist, eine Autorin zu sein, mit einem weiblichen Körper und einer michtmännlichen Erfahrung. Die, wo immer sie leben, vergleichbar und doch besonders ist.

Klare Warnung vor diesem Buch – es wird unweigerlich deine Wunschliste erweitern 😉

Unsere Welt neu denken – Maja Göpel erschienen im Ullstein Verlag

Unsere Welt steht an einem Kipp-Punkt, und wir spüren es. Einerseits geht es uns so gut wie nie, andererseits zeigen sich Verwerfungen, Zerstörung und Krise, wohin wir sehen. Ob Umwelt oder Gesellschaft – scheinbar gleichzeitig sind unsere Systeme unter Stress geraten. Wir ahnen: So wie es ist, wird und kann es nicht bleiben. Wie finden wir zu einer Lebensweise, die das Wohlergehen des Planeten mit dem der Menschheit versöhnt? Wo liegt der Weg zwischen Verbotsregime und Schuldfragen auf der einen und Wachstumswahn und Technikversprechen auf der anderen Seite? Diese Zukunft neu und ganz anders in den Blick zu nehmen – darin besteht die Einladung, die Maja Göpel ausspricht.

Als Hörbuch gehört und sehr gemocht. Hat zu spannenden Diskussionen geführt, läßt die Gehirnwindungen heiß laufen und führt dazu, dass man erkennt wie dringend wir handlen müssen. Große Empfehlung.

Radikale Kompromisse – Yasmine M’Barek erschienen im Hoffmann & Campe Verlag

Mehr und mehr kennzeichnet radikale Kompromisslosigkeit unsere Diskurse in Politik und Gesellschaft. Gleichzeitig wird klar: Wir kommen kaum voran. Über drängende Themen wie Klimawandel, Impfpflicht, Rassismus bei der Polizei oder Gleichberechtigung zwischen Klassen oder Geschlechtern wird heftig polemisiert, ohne dass es zu Ergebnissen kommt. Die Fronten sind klar: Ihr oder wir.

Yasmine M’Barek zeigt, dass es auch anders geht. Dass wir uns dringend vergegenwärtigen müssen, warum wir es verlernt haben, miteinander zu sprechen, und wo die Fehler in der Kommunikation der Idealisten liegen, die in der Konsequenz Kompromisse verhindern, die uns als Gesellschaft weiterbringen würden. Dabei erklärt sie den scheinbar unanfechtbaren Mythos der schwarzen Null (die außerhalb Deutschlands völlig unbekannt ist), warum der Ausstieg aus der Atomkraft ein gutes Beispiel dafür ist, warum man die Meinung der Realisten nicht vernachlässigen sollte, um negative Folgen zu vermeiden, und warum sich der Generationenkonflikt nur lösen lässt, wenn man ihn von der Schuldfrage löst.

Das zweite Hörbuch und eines das ich ebenfalls gerne gehört habe, weil ich es mochte auch mal aus meiner Denk-Komfortzone gekickt zu werden. Hier war ich definitiv nicht mit allem einverstanden, aber das ist gut so. Einzig ihre teilweise arg genervt klingende Stimme beim Einlesen des Buches fand ich gelegentlich etwas anstrengend.


A Month in Siena – Hisham Matar erschienen im Penguin Verlag, derzeit nicht auf deutsch übersetzt

Als Hisham Matar neunzehn Jahre alt war, stieß er zum ersten Mal auf die sienesische Malschule. In dem Jahr, in dem Matars Leben durch das Verschwinden seines Vaters erschüttert wurde, schienen ihm die Werke der großen Künstler von Siena ein Gefühl der Hoffnung zu geben. Im Laufe der Jahre vertieften sich Matars Gefühle gegenüber diesen Gemälden, und, wie er sagt, begann Siena die Art von unbehaglicher Ehrfurcht einzunehmen, die die Gläubigen gegenüber Mekka, Rom oder Jerusalem empfinden könnten“.

A Month in Siena ist die fünfundzwanzig Jahre später stattfindende Begegnung zwischen dem Schriftsteller und der Stadt, die er aus der Ferne verehrt hatte und die Beschwörung eines außergewöhnlichen Ortes und seiner Wirkung auf das Leben des Schriftstellers. Es ist ein Eintauchen in die Malerei, eine Betrachtung der Trauer und eine zutiefst bewegende Betrachtung der Beziehung zwischen Kunst und dem menschlichen Dasein.

Desire dies the moment it achieves its end

Die perfekte Lektüre für unseren Ausflug nach Siena. Ein Buch das Lust macht in die sienesische Renaissance Kunst einzutauchen. Sehr schönes Buch, tolle Stadt.

Saeculum – Ursula Poznanski erschienen im Loewe Verlag

Fünf Tage im tiefsten Wald, die nächste Ortschaft kilometerweit entfernt, leben wie im Mittelalter ohne Strom, ohne Handy , normalerweise wäre das nichts für Bastian. Dass er dennoch mitmacht bei dieser Reise in die Vergangenheit, liegt einzig und allein an Sandra.

Als kurz vor der Abfahrt das Geheimnis um den Spielort gelüftet wird, fällt ein erster Schatten auf das Unternehmen: Das abgelegene Waldstück, in dem das Abenteuer stattfindet, soll verflucht sein.
Was zunächst niemand ernst nimmt, scheint sich jedoch zu bewahrheiten, denn aus dem harmlosen Live-Rollenspiel wird plötzlich ein tödlicher Wettlauf gegen die Zeit.
Liegt tatsächlich ein Fluch auf dem Wald?

Das war spannender als ich dachte und hat mir gut gefallen. Werde Frau Poznanski mal auf dem Radar behalten.

Was uns Rassismus nimmt – Miriam Rosenlehner erschienen als Book on Demand

Wir alle lernen Rassismus, ohne uns bewusst dafür entschieden zu haben. Aber wie funktioniert das?
Dieses Buch bietet einen Blick hinter die Stirn unserer Gesellschaft. Neue Forschungsergebnisse, verständlich und spannend aufbereitet, lassen tiefe Einblicke in das Phänomen Rassismus zu.
Sie geben den Blick frei auf ein Gesellschaftsmuster, das uns alle mehr beeinflusst, als wir bisher dachten.

In dieses Buch wollte ich direkt nach dem Urlaub eigentlich erst mal nur kurz reinlesen und bin direkt hängen geblieben. Habe viel gelernt, unfassbar viel unterstrichen und rausgeschrieben und würde das Buch am liebsten zur Schullektüre machen, wobei wahrscheinlich die älteren Generationen es nötiger haben als die Kinder und Jugendlichen.

Eine wirklich gute, leicht verständliche Einführung in das Thema. Miriam Rosenlehner lädt Menschen ein und macht es ihnen leicht sich mit dem Thema zu beschäftigen. Sie vertritt die optimistische These das wir den Rassismus in zwei Generationen überwinden können und ich möchte diese so gerne und unbedingt glauben.

Es sind die Abwehrhaltungen, die immer wieder verhindern, dass die nichtWeiße Sicht in die Diskussion gelangt. Der Titel „White Fragility“, Weiße Zerbrechlichkeit, beschreibt, wie empfindlich Weiße reagieren, wenn man sie mir ihrem Verhalten konfrontiert. Weiße Zerbrechlichkeit soll darstellen, wie sehr Weiße sich angegriffen fühlen, wenn man ihre Haltungen kritisiert, und wie unglaublich unangenehm es für sie zu sein scheint, sich mit ihren Haltungen zu beschäftigen. DiAngelo folgert daraus, dass es für Weiße einfach unfassbar ungewohnt ist, sich an der Stelle infrage zu stellen, sie nennt das „racial stress“

Das Buch ist dafür ein guter Einstieg und Anfang und ich hoffe es wird zahlreiche Leser*innen finden.

Ich habe das Buch von Miriam Rosenlehner als Rezensionsexemplar erhalten. Meine Meinung hat das aber keinesfalls beeinflusst.

After Sappho – Selby Wynn Schwartz erschienen bei Galley Beggar Press bislang noch nicht auf deutsch übersetzt.

After Sappho ist Selby Wynn Schwartz‘ spannende Neuinterpretation des Lebens einer brillanten Gruppe von Feministinnen, Sapphisten, Künstlerinnen und Schriftstellerinnen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, die um die Kontrolle über ihr Leben, um Befreiung und Gerechtigkeit kämpfen.

Sarah Bernhard – Colette – Eleanora Duse – Lina Poletti – Josephine Baker – Virginia Woolf… dies sind nur einige der Frauen (einige berühmt, andere bisher unbesungen), die die Seiten eines ebenso kämpferischen wie leuchtenden Romans teilen.

A poet is someone who stands on the door sill and sees the room before her as a sea whose waves she might dive through. … A poet is someone who swims inexplicably away from the shore, only to arrive at an island of her own invention.

After Sappho ist die Geschichte von Frauen und Weiblichkeit, von Kreativität, Freiheit und Exzellenz. Und es ist eine Geschichte, die auf provokante Weise Männer fast vollständig ausschließt. Es handelt sich um das belletristische Debüt von Selby Wynn Schwartz, das bei dem ausgezeichneten Verlag Galley Beggar Press erschienen ist. Schwartz zeichnet das Leben von Frauen in der sapphischen Tradition nach, die gegen Grenzen ankämpften und den Grundstein für die Befreiung zu ihren eigenen Bedingungen legten.

Viele dieser Frauen sind bislang unbesungen, zumindest in unserer männerdominierten Gesellschaft. Schwartz‘ Fokus ist unverkennbar eurozentrisch und deckt den rund 50-jährigen Zeitraum von den 1870er bis zu den 1920er Jahren ab. Die Geschichte wird in Bruchstücken erzählt, was das Bemühen widerspiegelt, eine wiedergewonnene und rekonstruierte Geschichte aus dem Leben von Frauen zu erzählen, die weitgehend unbekannt bleiben. Leserinnen und Leser, die mehr Erfahrung mit feministischer Literatur haben – vor allem solche, die sich mit den Werken farbiger feministischer Schriftstellerinnen auskennen -, werden Schwartz‘ Sichtweise vielleicht als einschränkend oder altmodisch empfinden, ich habe es aber dennoch gerne gelesen und ein paar sehr spannende Frauen entdeckt, mit denen ich mich ausführlicher beschäftigen möchte.

Das geheime Leben der Römer – Michael Sommer erschienen im C. H. Beck Verlag

Willkommen auf der dunklen Seite der römischen Geschichte! Hier erwartet Sie eine mal schrille, mal bedrohliche und immer wieder verstörend vertraute Lebenswelt. Es ist eine Welt des Drogenkonsums, perfider Mordanschläge, obskurer Kulte, mysteriöser Staatsaffären, brutaler Bandenkämpfe und bizarrer Obsessionen. In dieser Szene finden Sie keine sittenstrengen Senatoren und Matronen, sondern treffen auf skrupellose Politiker, in allen Künsten bewanderte Prostituierte, nervenstarke Geheimagenten, geniale Waffenkonstrukteure und kaltblütige Giftmischerinnen. Willkommen in – Dark Rome !

Dem Elementarbedürfnis, ein Stückchen Gewalt über das Unkontrollierbare u erlangen, verdankt Religion ihre Existenz

War Mark Aurel drogensüchtig? Angeblich konsumierte der Philosophenkaiser Opium. Hat Archimedes, der geniale Baumeister aus Syrakus, tatsächlich eine Superwaffe konstruiert? Und tagte gar eine Geheimloge in der unterirdischen Basilika, die Archäologen in Roms Unterwelt entdeckt haben? Diese und viele weitere Rätsel erwarten die Leserinnen und Leser von Dark Rome – einer ebenso wilden wie faktenreich und spannend erzählten Sittengeschichte der römischen Welt. So stößt, wer in den Abgründen des römischen Imperiums schürft, gelegentlich auf Bleitäfelchen: Am richtigen Ort vergraben und mit der richtigen Fluchformel versehen, konnte man mit schwarzer Magie versuchen, unliebsame Zeitgenossen in den Orkus zu schicken. Eilige wählten für solche Anlässe lieber ein Pilzgericht wie beispielsweise Agrippina, die Gattin des Kaisers Claudius, die ihren Gemahl mit seiner Lieblingsspeise zu einem Gott machte (böse Zungen behaupten, er habe es im Jenseits nur zu einer Karriere als Kürbis gebracht …).

Was Mord aus politischen Motiven betrifft, so könnten selbst Despoten unserer Tage noch von den alten Römern lernen. Diese setzten bei Bedarf ihre Gegner – wie es etwa Sulla, Octavian und Marcus Antonius taten – einfach auf sogenannte Proskriptionslisten, so dass jeder die Vogelfreien straffrei töten und sich an ihrem Vermögen gütlich tun konnte.

Die Kunst der Renaissance – Andreas Tönnemann erschienen im C. H. Beck Verlag

In der Kunst der Renaissance spielten die Nachahmung der Antike und ein mächtiger Innovationsgeist auf faszinierende Weise ineinander. In Florenz und den italienischen Fürstentümern, in Rom und Venedig entstanden auf den Gebieten der Malerei, Skulptur und Architektur Werke von bis heute ungebrochener Anziehungskraft. Andreas Tönnesmann gibt einen anschaulichen und kompetenten Überblick über die reiche Kunst der italienischen Renaissance, ihre Anverwandlung in Frankreich und die besonderen Wege der Renaissance im übrigen Europa.

Sprezzatura, unangestrengte Formvollendung, gewinnt hier als höfisches Verhaltensideal der Epoche greifbare Gestalt

Brideshead Revisited – Evelyn Waugh auf deutsch unter dem Titel Wiedersehen mit Brideshead im Diogenes Verlag erschienen, übersetzt von pocaio.

Charles Ryder befreundet sich in Oxford mit Sebastian Flyte und widmet fortan sein Studium mehr den Drinks als den Büchern. Als Sebastian ihn nach Brideshead in sein prächtiges Zuhause einlädt, ist Charles fasziniert von der exzentrischen aristokratischen Familie, die ihn schon bald als einen der Ihren behandelt. Doch nach und nach erkennt er die Kluft, die ihn von den Flytes trennt: Sie sind geprägt von einer Moral, in der sich Pflichtgefühl und Begehren, Glaube und Glück im Wege stehen. Halb Beteiligter, halb Chronist, erzählt Charles Ryder von seinen Besuchen in Brideshead, von einer trügerisch leuchtenden, scheinbar unbekümmerten Welt – die schließlich unterging und nichts als verbrannte Erde zurückließ.

Sometimes, I feel the past and the future pressing so hard on either side that there’s no room for the present at all.

Ein Roman für Fans von Dead Poet Society oder The secret history und alle die ein Herz für exzentrische Dandys haben. Ein bisschen viel religiös-katholisches Geschwurbel aber ansonsten ein großartiger Roman den ich sehr sehr gerne gelesen habe und ich freue mich schon darauf, mir jetzt die Verfilmung anzusehen.

The Loved One – Evelyn Waugh auf deutsch unter dem Titel „Tod in Hollywood“ im Diogenes Verlag erschienen übersetzt von Andrea Ott

Dennis Barlow, junger Dichter und Drehbuchautor a.D., ist einstweilen Tierfriedhof-Angestellter in Los Angeles. Als sein älterer Freund, von den Studios entlassen, Hand an sich legt, lässt Dennis Barlow ihn in Hollywoods Bestattungsparadies »Gefilde der Seligen« bestatten. Neben dem Telefon stand eine Vase mit Rosen; ihr Duft wetteiferte mit dem Karbol, obsiegte aber nicht. Dort lernt er auch die Leichenkosmetikerin Aimée Thanatogenos kennen, die ihrerseits ein Auge auf Mr. Joyboy, den hauseigenen Meister der Einbalsamierungskunst, geworfen hat. In seiner rasanten Satire nimmt Waugh nicht nur die Filmbranche aufs Korn, sondern auch das Geschäft mit dem Tod und die kulturelle Unbedarftheit Amerikas.

They are a very decent, generous lot of people out here and they don’t expect you to listen. Always remember that, dear boy. It’s the secret of social ease in this country. They talk entirely for their own pleasure. Nothing they say is designed to be heard.

Wow puh das war ein voller Monat. Ich hoffe ihr konntet überhaupt durchhalten bis zum Ende? Ist irgendwas dabei auf das ich euch Lust machen konnte? Oder habt ihr das eine oder andere schon gelesen? Ich freue mich sehr auf eure Rückmeldungen und hoffe ihr schaut auch im Oktober wieder vorbei, wenn es der Jahreszeit entsprechend wunderbar dunkel-düster wird.

Lektüre April 2022

April war der Monat in dem ich Bücher schneller verliehen habe, als ich sie aufs obige Foto bekommen konnte. Verzeiht mir also die Unvollständigkeit, im Text gibt es noch die eine oder andere Empfehlung mehr.

Ich gehe hier diesen Monat mal alphabetisch durch, erscheint mir die logischste Variante. Den Anfang macht die von mir sehr verehrte:

Naomi Alderman – The Lessons auf deutsch erschienen unter dem Titel „Die Lektionen“ im Berlin Verlag, übersetzt von Christiane Buchner

Versteckt in einer Seitenstraße von Oxford liegt ein verfallenes georgianisches Herrenhaus, das nur die kennen, die einen Schlüssel zu seinem unscheinbaren Eingangstor besitzen. Sein Besitzer ist der tcharismatische Mark Winters, der es sich aufgrund eines überaus üppigen Familienvermögens leisten kann ein ziemlich wildes, üppiges und promiskuitives Leben zu führen. Mark schart eine Gruppe Studenten um sich: die glamouröse Emmanuella, die stets einen neuen Boyfriend im Schlepptau hat; Franny und Simon, beste Freunde und gelegentliche Liebhaber; die klassische Musikerin Jess sowie James, der sein erstes Jahr in Oxford nicht unbeschädigt überstanden hat und der endlich irgendwo dazugehören will.

There is no safety that does not also restrict us. And many needless restrictions feel safe and comfortable. It is so hard to know, at any moment, the distinction between being safe and being caged. It is hard to know when it is better to choose freedom and fear, and when it is simply foolhardy. I have often, I think, too often erred on the side of caution.

Eine Zeit lang leben sie in einer wunderbaren Bubble die aus Lernen, Partys, Alkohol und Liebesaffären besteht. Aber die Universität allein bereitet einen nicht auf das Erwachsenenleben vor, und als sie Jahre später von einer Tragödie heimgesucht werden, sind sie völlig unvorbereitet. Ein fesselndes Debüt mit ganz kleinen Schwächen dass von den Lektionen handelt, die das Leben oft er dann lehrt, wenn es (fast) zu spät ist.

Dark Academia Fans werden hier auf ihre Kosten kommen, es droht Gefahr, dass man Lust bekommt umgehend eine Reise nach Oxford zu buchen.

For this is the heart of the matter: disasters occur where accidents meet character.

A. S. Byatt – Possession auf deutsch erschienen unter dem Titel „Besessen“ im Suhrkamp Verlag, übersetzt von Melanie Walz

Dieses Buch habe ich mit Anfang 20 gelesen und heiß geliebt. So ein Buch dann nach Jahren ein zweites Mal zu lesen birgt ja immer gewisse Gefahren in sich. Den Umgang mit den LGBTQ+ Themen sehe ich heute etwas kritischer als damals, begeistert hat es mich aber auch beim erneuten Lesen.

Der junge Literaturwissenschaftler Roland Michell stößt auf einen unbekannten Liebesbrief des berühmten Dichters Randolph Henry Ash – ein sensationeller Fund und die große Chance für den perspektivlosen Forscher. Mit der Hilfe seiner Kollegin Maud Bailey versucht er, Ashs Geheimnis zu enthüllen. Bei der Jagd nach beweiskräftigen Dokumenten stürzen sich Roland und Maud in eine leidenschaftliche Affäre – und verstricken sich immer tiefer in ein Netz aus ominösen Intrigen und gefährlichen Verwicklungen: Denn sie sind nicht allein auf der Suche nach der geheimnisvollen Adressatin …

Now and then there are readings that make the hairs on the neck, the non-existent pelt, stand on end and tremble, when every word burns and shines hard and clear and infinite and exact, like stones of fire, like points of stars in the dark—readings when the knowledge that we shall know the writing differently or better or satisfactorily, runs ahead of any capacity to say what we know, or how. In these readings, a sense that the text has appeared to be wholly new, never before seen, is followed, almost immediately, by the sense that it was always there, that we the readers, knew it was always there, and have always known it was as it was, though we have now for the first time recognised, become fully cognisant of, our knowledge.

Rachel Carson – Silent Spring erschienen unter dem deutschen Titel „Der stumme Frühling“ im Beck Verlag, übersetzt von Margaret Auer

Der stumme Frühling» erschien erstmals 1963. Der Titel bezieht sich auf das Märchen von der blühenden Stadt, in der sich eine seltsame, schleichende Seuche ausbreitet. Das spannend geschriebene Sachbuch wirkte bei seinem Erscheinen wie ein Alarmsignal und avancierte rasch zur Bibel der damals entstehenden Ökologie-Bewegung.

Zum ersten Mal wurde hier in eindringlichem Appell die Fragwürdigkeit des chemischen Pflanzenschutzes dargelegt. An einer Fülle von Tatsachen machte Rachel Carson seine schädlichen Auswirkungen auf die Natur und die Menschen deutlich. Ihre Warnungen haben seither nichts von ihrer Aktualität verloren.

Ich war sehr erstaunt wie lesbar das Buch ist und wie aktuell die Thematik leider nach wie vor ist.

We stand now where two roads diverge. But unlike the roads in Robert Frost’s familiar poem, they are not equally fair. The road we have long been traveling is deceptively easy, a smooth superhighway on which we progress with great speed, but at its end lies disaster. The other fork of the road — the one less traveled by — offers our last, our only chance to reach a destination that assures the preservation of the earth.

Amanda Cross – Thebanischer Tod erschienen im Dörlemann Verlag, übersetzt von Monika Blaich und Klaus Kamberger

Kate Fansler nimmt eine wohlverdiente Auszeit mit ihrem frischgebackenen Ehemann Reed. Doch ihre gemeinsamen Martini-Abende werden von einer verzweifelten Bitte vom Theban, ihrer geliebten Alma mater, unterbrochen. Sie soll ein Seminar zu Antigone übernehmen.

Kate eilt zurück nach New York, wo ihre Schülerinnen nicht nur die Leuchtkraft Antigones kennenlernen, sondern auch gerade dabei sind, Sex und Drogen zu entdecken. Alles ist aufregend und abenteuerlich. Und dann wird auch noch eine Tote in einem Zeichensaal aufgefunden.

Da hat mich der Dörlemann mit diesem in einem Gewinnspiel gewonnen Buch aber auch direkt zum Kate Fansler-Riesenfan gemacht, die jetzt unbedingt auch alle anderen Bände lesen möchte. Was für eine großartige literarisch-feministische Lektüre, die bislang komplett an mir vorbeigegangen war. Ich habe kürzlich von einer Freundin „Writing a Woman’s Life“ geschenkt bekommen und war da zum ersten Mal Carolyn Heilbrun begegnet, die unter dem Pseudonym „Amanda Cross“ über Jahre Kriminalromane rund um Kate Fansler schrieb. Ob als Ms Heilbrun oder Ms Cross, eine kluge Autorin von der man lesen sollte was einem in die Finger gerät.

Ein Krimi – 1971 erschienen – der für meinen Geschmack nach wie vor aktuell ist und nicht schlecht gealtert ist.

Sehen Sie, Antigone steht für Liebe contra Tyrannei, für die Bewegungsfreiheit der Frau in einer männerdominierten Welt, für die Auseinandersetzung der Jugend mit dem Alter

Nivaq Korneliussen „Crimson“ auf deusch erschienen unter dem Titel „Nuuk #ohneFilter“ im Zaglossus Verlag

Niviaq Korneliussen ist in Nuuk geboren und in Nanortalik, einer Kleinstadt im Süden Grönlands, aufgewachsen. ‚Nuuk: ohne Filter‘, ihr Debütroman, wurde von der Danish Arts Foundation als ‚one of the season’s best books‘ prämiert und für den Literaturpreis des Nordischen Rates nominiert.

In Nuuk, Grönland …trennt sich Fia von ihrem Langzeitfreund und verliebt sich in Sara.

Sara hingegen ist in Ivik verliebt, der ein tiefes Geheimnis hat und im Begriff ist, sein Versprechen zu brechen.

Ivik kämpft mit seiner Geschlechtsdysphorie und dann ist da noch Inuk, der ebenfalls etwas zu verbergen hat und für ihn in Frage stellt, was es bedeutet, ein Grönländer zu sein, während Arnaq, die Partykönigin alles zu einem schockierenden Crescendo bringt.

Crimson ist fast eher eine Novelle als ein Roman voller Unruhe, Dunkelheit und Liebe – ein beeindruckendes Debüt in herausfordernder Form zu erzählt, bei dem ich nicht immer durchblickte, aber den ich doch gerne gelesen habe. Mein erster aber sicherlich nicht letzter Roman aus Grönland.

It was an honour to hold your heart, but my hands are all bloody, so you’d better take it or I’m gonna have to drop this sticky heart of yours.

Susanne Röckel – Der Vogelgott erschienen im Jung und Jung Verlag

Die Mitglieder einer wissenschaftlich orientierten Familie werden durch eine zufällige Entdeckung auf einem Kirchenbild in den schwer durchschaubaren Mythos eines Vogelgottes hineingezogen mit einem Sog, dem sie so wenig widerstehen können wie der Leser dieser Geschichte. Spätestens als sich herausstellt, dass dieser Mythos eben nicht nur ein Mythos ist.

Es ist eine sagenhafte, aber elende Gegend dieser Erde, wo die Verehrer des Vogelgotts leben, die ihm allerdings weniger ergeben als vielmehr ausgeliefert zu sein scheinen. In diesem unwiderstehlichen Roman entpuppt sich eine geheime Welt als die unsere, in der die Natur ihre Freundschaft aufkündigt und wir ihrer Aggression und Düsternis gegenüberstehen.

Hätten Mary Shelley, Edgar Allen Poe, HP Lovecraft und Kafka ein Kind – es wäre vermutlich „Der Vogelgott“ daraus entstanden – ein befremdliches, düsteres und irgendwie bedrohliches Werk. Lange hat mich ein Roman nicht mehr so sehr gegruselt.

Ihrer Arglosigkeit zum Trotz halte ich an dem fest, was meine Albträume zuverlässig überliefern. Ich kann nicht behaupten, dass ich über alles, wovon hier die Rede sein soll, präzises Wissen besitze. Vieles wird in der Schwebe bleiben, weil es mir im Studel von Ereignissen, die mich mit teuflischer Macht in ihrem Bann hielten, nicht immer gelang, kaltes Blut zu bewahren; und die papiernen Begriffe, die eine auf Lehrstühlen thronende „Wissenschaft vom Menschen“ für haarsträubende barbarische Gebräuche geprägt hat, wollen zu dem, was ich erlebte, nicht passen.

Das war wieder ein guter Lesemonat aber deutlich weniger Sachbücher dieses Mal. Ist etwas dabei was Euer Interesse wecken konnte oder kennt ihr schon das eine oder andere Buch? Freue mich über eure Kommentare.

Lektüre Februar 2022

Ein bisschen später als geplant, aber die weltpolitische Lage hat auch mich im doomscrolling (verdammnisblättern? bzw obsessive Konsumieren von schlechten Nachrichten) erstarren lassen und dem Lesen und Schreiben keinen Raum gelassen. Aber ein bisschen Struktur hilft in vielen Lagen, daher hier meine Lektüre aus dem Februar. Es war ein sehr guter und schöner Lesemonat, da wird im März deutlich weniger hinzukommen.

Hier geht’s lang – Mit Büchern von Frauen durchs Leben von Elke Heidenreich, Eisele Verlag

Es waren Bücher von Frauen, die Elke Heidenreich geprägt haben, von frühester Jugend an. Später machte sie das Reden und Schreiben über Bücher zu ihrem Beruf.

Als ich Anfang des Jahres hier verriet, dass ich ein Projekt plane, dann meinte ich dieses damit. Mich auch meiner Lebensbücher zu erinnern und darüber zu schreiben. Ich danke meiner lieben Freundin Barbara in Berlin sehr, mir das Buch nicht nur ans Herz gelegt sondern auch geliehen zu haben. Habe es sehr gerne gelesen und sobald mein Hirn wieder etwas ruhiger ist, beginne ich mal meine eigene Lesebiographie zu erforschen und aufzuschreiben.

… denn Literatur hat immer auch eine unterwandernde Wirkung, sie trägt uns davon aus unserer Umgebung, und mit dem Weg zurück kann es heikel werden

… und die Sonne schien in meinem Kopf und rettete mich vor Armut, Enge, Kleinkariertheit und den üblichen Nöten und Komplexen einer Heranwachsenden.

Maria Stuart – Stefan Zweig erschienen im Fischer Verlag

Sie war Königin von Schottland und Frankreich und hatte Anspruch auf den Thron von England – doch Elizabeth I. ließ Maria Stuart (1542–1587) jahrelang inhaftieren und schließlich hinrichten, um ihre Macht zu wahren. Das Leben der Maria Stuart war geprägt von Intrigen, Verschwörungen und politischen Ränkespielen, denen sie am Ende zum Opfer fiel. Stefan Zweig zeichnet ein Porträt einer Frau, deren Leben bis heute Anlass zu Spekulationen, Verklärung und Mystifizierung gibt.

Stefan Zweig ist einer meiner liebsten Autoren und auch diese Roman-Biografie habe ich sehr gerne gelesen. Gelegentlich merkt man natürlich schon aus welcher Zeit Zweig stammt und wie das seinen Blick auf Frauen geprägt hat, aber eine wirklich lohnende Lektüre, durch die ich immens viel über die schottisch-englische Geschichte und zwei ausgesprochen faszinierende Persönlichkeiten gelernt habe.

Doch eine Natur wie die ihrige kann, wenn auch noch so tief enttäuscht, nicht ohne Vertrauen leben; immer wieder sucht sie nach einem sicheren Menschen, auf den sie sich unbedingt verlassen kann. Lieber wird sie jemanden wählen, der niederem Range entstammt, der nicht die Ansehnlichkeit eines Moray und Maitland besitzt, aber dafür die Tugend, die ihr notwendiger ist an diesem schottischen Hofe, die kostbarste aller Dienergaben: unbedingte Treue und Verläßlichkeit.

The City & The City von China Miéville auf deutsch erschienen unter dem Titel „Die Stadt & Die Stadt“ bei Bastei Lübbe. Übersetzt von Eva Bauche-Eppers

Zwei Städte – geeint und doch entzweit. Die Bewohner werden erzogen, einander nicht zu sehen. Das unerlaubte Betreten der jeweils andere Stadt zieht schwerste Strafen nach sich.

Ganz warm werden Mr. Miéville und ich irgendwie nicht. Ist mein dritter Versuch, die Prämissen sind immer spannend, seine Romane stecken voller spannender Ideen, aber ich komme nie richtig in die Bücher rein, sie haben auch nicht die richtige Atmosphäre für mich. Definitiv ein gutes Buch, ein spannender Autor, nur eben nicht für mich.

“Is it more childish and foolish to insist that there is a conspiracy or that there is not?” 

Der Verdacht (The Push)- Ashley Audrain erschienen bei Penguin Random House. Übersetzt von Ulrike Wasel, Klaus Timmermann

Violet ist ein Wunschkind, und Blythe möchte die liebevolle Mutter sein, die ihr selbst so sehr fehlte. Doch als man ihr das Neugeborene in den Arm legt, fühlt sich alles falsch an. Da ist nur Ablehnung, und je älter das Mädchen wird, desto mehr wächst die Angst vor Violet und ihrem feindseligen Verhalten, das sich Blythe nicht erklären kann. Alles nur Einbildung? Oder ist das Mädchen tatsächlich absichtsvoll böse? Fox, der seine Tochter von ganzem Herzen liebt, beobachtet seine Frau mit wachsendem Misstrauen. 

Ein Buch das nur schwer auszuhalten ist, emotional alles andere als leichte Kost ist und das mir noch immer nach geht.

Ich erinnerte mich daran, warum wir Violet eigentlich bekommen haben: Du wolltest eine Familie, und ich wollte dich glücklich machen. Aber ich wollte außerdem all meine Zweifel widerlegen. Ich wollte auch meine Mutter widerlegen.

Wenn Männer mir die Welt erklären (Men explain things to me) von Rebecca Solnit erschienen im btb Verlag. Übersetzt von Kathrin Razum und Bettina Münch

Ein Mann, der mit seinem Wissen prahlt, in der Annahme, dass seine Gesprächspartnerin ohnehin keine Ahnung hat – jede Frau hat diese Situation schon einmal erlebt. Rebecca Solnit untersucht die Mechanismen von Sexismus. Sie deckt Missstände auf, die meist gar nicht als solche erkannt werden, weil Übergriffe auf Frauen akzeptiert sind, als normal gelten.

Rebecca Solnit ist eine Autorin die ich sehr schätze. Sie ist klug, warmherzig und hat ein wahninniges Gespür für die Themen unserer Zeit. Dieses Buch hat das Zeug dazu ein Klassiker zu werden. Sie schafft es auf ein paar Seiten, die Geschlechterdebatte auf den Punkt zu bringen.

Every woman knows what I’m talking about. It’s the presumption that makes it hard, at times, for any woman in any field; that keeps women from speaking up and from being heard when they dare; that crushes young women into silence by indicating, the way harassment on the street does, that this is not their world. It trains us in self-doubt and self-limitation just as it exercises men’s unsupported overconfidence.

Vier Tage währt die Nacht von Dorothea S. Baltenstein erschienen im Eichborn Verlag

Dorothea S. Baltenstein ist das Pseudonym von vier Schülerinnen und ihrem Lehrer die im Rahmen eines Unterrichtsprojektes, dem sogenannten Projekt Pegasus, zwischen September 1995 und Mai 1998 das Manuskript für den gleichnamigen Roman entwickelten.

Schottland, im Jahre des Herrn 1817. Jonathan Lloyd erhält von seinem alten Freund Sir Mortimer Pope eine Einladung nach Boroughmore Castle. Ein literarischer Wettstreit ist geplant; man will sich treffen wie einst die Shelleys sich mit Lord Byron in der Schweiz trafen, wo Mary Shelley die Inspiration zu Frankenstein hatte. Aber bereits in der ersten Nacht stürzt die Zugbrücke des Schlosses ein, was ein Todesopfer fordert.

Ein Roman den ich direkt nach Erscheinen gekauft und gelesen habe, denn meine Liebe zu allem Gothic / Dark Academia etc begleitet mich schon ein Leben lang. Ich habe es damals sehr gerne gelesen, war etwas besorgt, wie es wohl gealtert sein mag, aber auch es macht auch in dunklen Wintertagen im Jahr 2022 noch genauso viel Spaß sich in diese dunkel-romantische Schauergeschichte zu versenken.

Während ich am späten Nachmittag des 27. November des Jahres 1817 in einer Kutsche saß, die holpernd über steinige Straßen fuhr, und hoffte, noch vor einbrechender Nacht mein Ziel zu erreichen, breitete sich in mir bereits ein Gefühl der Unsicherheit aus – vielleicht war auch ein wenig Furcht dabei.

Krabat von Otfried Preußler erschienen bei der Büchergilde Gutenberg

Neugier lockt Krabat zur Mühle am Koselbruch, vor der alle warnen. Dort soll es nicht mit rechten Dingen zugehen. Ein leichtes und schönes Leben wird Krabat hier versprochen. Doch der Preis dafür ist hoch. Und aus der Verstrickung mit dem Bösen kann ihn nur die bedingungslose Liebe eines Mädchens retten.

Auch so ein Herzensbuch, das ich gerne alle paar Jahre lese und jedes Mal entdecke ich etwas Neues darin.

Es gibt eine Art von Zauberei, die man mühsam erlernen muß: Das ist die, wie sie im Koraktor steht, Zeichen für Zeichen und Formel um Formel. Und dann gibt es eine, die wächst einem aus der Tiefe des Herzens zu: aus der Sorge um jemanden, den man lieb hat. Ich weiß, daß das schwer zu begreifen ist – aber du solltest darauf vertrauen, Krabat.

Bibliomanie von Gustave Flaubert erschienen im Insel Verlag. Übersetzt von Erwin Rieger.

Der Buchhändler und Antiquar Giacomo lebt zurückgezogen in einer stillen Gasse in Barcelona. Seine Liebe gilt allein den Büchern. Er berauscht sich am Geruch ihres Papiers, dem Einband, der Vergoldung der Lettern und der Druckerschwärze. Sein Traum: der Aufbau einer eigenen Bibliothek. Bei dem Erwerb bibliophiler Schätze steht ihm allerdings sein Rivale Baptisto im Weg, der Buchhändler vom Königsplatz. Allmählich steigert sich Giacomos Leidenschaft zum verbrecherischen Wahn …

Einen einzigen Gedanken hatte er, eine einzige Liebe, eine einzige Leidenschaft: die Bücher! Und diese Liebe, diese Leidenschaft verbrannten sein Inneres, verdarben sein Leben, verschlangen sein Dasein.

The Offing von Benjamin Meyers erschienen auf deutsch unter dem Titel Offene See im Dumont Verlag. Übersetzt von Ulrike Wasel, Klaus Timmermann

Der junge Robert weiß schon früh, dass er wie alle Männer seiner Familie Bergarbeiter sein wird. Dabei ist ihm Enge ein Graus. Er liebt Natur und Bewegung, sehnt sich nach der Weite des Meeres. Daher beschließt er kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, sich zum Ort seiner Sehnsucht, der offenen See, aufzumachen. Fast am Ziel angekommen, lernt er eine ältere Frau kennen, die ihn auf eine Tasse Tee in ihr leicht heruntergekommenes Cottage einlädt. Eine Frau wie Dulcie hat er noch nie getroffen: unverheiratet, allein lebend, unkonventionell, mit sehr klaren und für ihn unerhörten Ansichten zu Ehe, Familie und Religion. Aus dem Nachmittag wird ein längerer Aufenthalt, und Robert lernt eine ihm vollkommen unbekannte Welt kennen. 

Das wurde ganz überraschend für mich ein richtiges Herzensbuch. Jede:r von uns braucht eine Dulcie im Leben. Ein Buch das ich ganz besonders in diesen dunklen Zeiten empfehlen kann. Es macht die Welt ein kleines bisschen besser.

There is poetry in silence but most of us don’t stop to hear it. They must talk, talk, talk, but say nothing because they are afraid of hearing their own heartbeat.

Let poetry and music and wine and romance guide the way. Let liberty prevail.

Welche Bücher davon kennt ihr oder habt ihr vielleicht Lust bekommen auf das Eine oder das Andere? Ich freue mich über Rückmeldung – lasst mal hören…

The Pull of the Stars – Emma Donoghue

Dublin, 1918: drei Tage auf einer Entbindungsstation auf dem Höhepunkt der Influenza Pandemie. Ein Mikrokosmos aus Arbeit, Risiko, Tod und unerwarteter Liebe.

In Irland, das nicht nur vom Krieg, sondern auch von Krankheit heimgesucht wird, arbeitet die Krankenschwester Julia Power in einem unterbesetzten Krankenhaus im Stadtzentrum, wo werdende Mütter, die an der schrecklichen neuen Grippe erkrankt sind, gemeinsam unter Quarantäne gestellt werden. In Julias reglementierte Welt treten zwei Außenseiter – die Ärztin Kathleen Lynn, die auf der Flucht vor der Polizei ist, und eine junge freiwillige Helferin, namens Bridie Sweeney.

I found myself wondering who’d put us all in the hands of these old men in the first place.

In der Dunkelheit und Intensität dieser winzigen Station verändern diese Frauen über drei Tage hinweg ihr Leben auf unerwartete Weise. Sie verlieren Patienten an diese rätselhafte Pandemie, aber sie bringen auch neues Leben in eine von Angst erfüllte Welt. Mit viel Zärtlichkeit und unermüdlicher Menschlichkeit leisten die Pflegerinnen und Mütter ihre Arbeit, in der Hoffnung, dem Tod möglichst häufig ein Schnäppchen zu schlagen.

Die Grippe von 1918 war eine verheerende Pandemie. Noch während sich die Menschen auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs gegenseitig umbrachten, verbreitete sich ein noch weitaus tödlicherer Killer von Mensch zu Mensch – dieses Mal durch Berührungen, Liebe und Mitmenschlichkeit. Durch das Verbot von Verhütungsmittel durch die katholische Kirche, dem sozialen Druck, Babys zu gebären (mehr als zehn waren die Norm), sexuellem Missbrauch in religiösen Institutionen und in den Magdalenenheimen, einer Müttersterblichkeitsrate von 15% UND der Pandemie, war dies die wahrscheinliche ohnehin schrecklichste Zeit, eine Frau zu sein. Wer dann auch noch schwanger war, konnte einem nur leid tun.

Nurse Power sieht Mütter, die versuchen und teilweise scheitern, ihr zwölftes Kind oder so zu gebären, weil ihre Körper einfach nicht mehr können. Sie sieht junge Opfer von sexuellem Missbrauch, die gezwungen werden, die Babys ihrer männlichen Verwandten zu gebären, die sie vergewaltigt haben. Sie sieht die „gefallenen Frauen“ aus den Magdalenenheimen, die gezwungen werden, ihre Babys abzugeben. Sie sieht Missbrauchsopfer, die Angst haben, wieder gesund zu werden und das Krankenhaus zu verlassen.

She murmured, We could always blame the stars. I beg your pardon, Doctor? That’s what influenza means, she said. Influenza delle stelle—the influence of the stars. Medieval Italians thought the illness proved that the heavens were governing their fates, that people were quite literally star-crossed. I pictured that, the celestial bodies trying to fly us like upsidedown kites. Or perhaps just yanking on us for their obscure amusement

Ein Großteil des Grauens, das in Nurse Powers Krankenzimmer geschieht, hat seine Wurzeln im Machtmissbrauch, in religiöser Heuchelei und einer verheerenden Sozialpolitik. Donoghue hat eine Menge historischer Fakten mit ihrer Geschichte verwoben, einschließlich der Figur der Ärztin, Kathleen Lynn, die ich vorher nicht kannte. Die romantische Nebenhandlung störte nicht weiter, tauchte aber völlig aus dem Nichts auf, ohne dass vorher auch nur ansatzweise ein Knistern zu spüren gewesen wäre.

I seem to have stumbled onto love, like a pothole in the night.

In The Pull of the Stars findet Emma Donoghue wieder einmal Licht in der Dunkelheit. Es ist ein Buch das uns zeigt, dass wir mit „unserer“ Pandemie noch fast Glück haben, denn es hätte uns noch viel schlimmer treffen können. Ein Buch voller Hoffnung und eine Hymne auf das Überleben gegen alle Widrigkeiten.

Nach der Lektüre empfehle ich diese kurze Dokumentation über die Ärztin, Kathleen Lynn, eine wirklich interessante Persönlichkeit.

Happy Pride

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Nur weil die Pride-Veranstaltungen im echten Leben abgesagt wurden, heißt das nicht, dass wir nicht hier auf dem Blog ein bisschen feiern und die Community unterstützen können.

Ich stelle euch hier meine 10 liebsten LGBTQ Romane bzw Biografien vor und würde mich riesig freuen, wenn ich euch nicht nur Lust auf die vorgestellten Bücher machen würdet, sondern ihr vielleicht für die Organisation „Queer Refugees Deutschland“ spenden würdet, ein Projekt das queere Geflüchtete in Deutschland unterstützt.

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Patricia Highsmiths dramatische Liebesgeschichte ist vielleicht einer der wichtigsten, Meilensteine in der queeren Literatur. Erstmals 1952 veröffentlicht und als „Roman einer Liebe, die die Gesellschaft verbietet“ angepriesen, wurde das Buch bald zu einem absoluten Kultklassiker.

Die Verfilmung aus dem Jahr 2016 mit Cate Blanchett und Roonie Mara machte das Buch dann auch dem Mainstream zugänglich.

Hier die ausführliche Rezension, die ich damals auf Birgits Blog „Sätze und Schätze“ in der Rubrik „Verschämte Lektüren“ veröffentlichte.

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Virginia Woolfs Orlando „Der längste und charmanteste Liebesbrief der Literatur“ konstruiert auf spielerische Weise die Figur des Orlando als fiktive Verkörperung von Woolfs enger Freundin und Geliebten, Vita Sackville-West. Der Roman, der sich über drei Jahrhunderte erstreckt, beginnt damit, dass Orlando, ein junger Adliger im Elisabethianischen England, auf den Besuch der Königin wartet und seine Erfahrungen aufzeichnet.

In der Mitte des Romans erwacht Orlando, jetzt Botschafter in Konstantinopel, und stellt fest, dass er jetzt eine Frau ist. Der Roman schwelgt in Farce und Ironie, und beschäftigt sich mit der Rolle der Frau im 18. und 19. Jahrhundert. Der Roman endet im Jahr 1928, wo Orlando jetzt Ehefrau und Mutter, an der Schwelle zu einer Zukunft steht, die neue Hoffnungen und Möglichkeiten für Frauen birgt.

Hier die ausführliche Rezension dazu.

Giovannis Room

Baldwins eindringlicher und umstrittener zweiter Roman ist ein Klassiker der schwulen Literatur. Im Paris der 1950er Jahre, das von Expatriates wimmelt und durch gefährliche Liaisons und versteckte Gewalt gekennzeichnet ist, kann ein Amerikaner seine Homosexualität nicht länger unterdrücken, obwohl er fest entschlossen ist, ein konventionelles Leben zu führen. Obwohl er eine junge Frau kennengelernt und ihr einen Heiratsantrag gemacht hat, gerät er in eine leidenschaftliche Affäre mit einem italienischen Barkeeper…

Hier die ausführliche Rezension.

fullsizerender

Lesbian Dickens – ein viktorianisches Murder-Mystery inklsuiver lesbischer Romanze – was will man mehr? 😉

London 1862. Sue Trinder, bei der Geburt verwaist, wächst unter Taschendieben und unter der rauen, aber liebevollen Fürsorge von Mrs. Sucksby und ihrer „Familie“ auf. Doch vom ersten Moment an, ist Sues Schicksal mit dem eines weiteren Waisenkindes verbunden, das in einer düsteren Villa nicht allzu weit entfernt aufwächst….

Bei der Lektüre fühlt man sich gelegentlich wie Alice, die in das Kaninchenloch fällt. Diese Geschichte hat mehr Drehungen und Wendungen als eine handelsübliche Schraube und ich konnte das Buch überhaupt nicht aus der Hand legen und habe die ganze Nacht durchgelesen bis es fertig war.

Hier die ausführliche Rezension.

fun home

Alison Bechdel schildert in der Graphic Memoir ihre schwierige Beziehung zu ihrem verstorbenen Vater.

Bruce Bechdel war ein distanzierter und anspruchsvoller Englischlehrer und Direktor des städtischen Bestattungsinstituts, das Alison und ihre Familie als „Fun Home“ bezeichneten. Erst am College entdeckte Alison, die sich kürzlich als Lesbe geoutet hatte, dass ihr Vater ebenfalls schwul war. Wenige Wochen nach dieser Enthüllung war er tot und hinterließ seiner Tochter ein mysteriöses Vermächtnis, das es zu lösen gilt.

Hier die ausführliche Rezension.

Winterson

Warum glücklich sein, wenn man normal sein könnte? ist die hartnäckige Suche der Protagonistin nach Zugehörigkeit, nach Liebe, Identität, Heimat und einer Mutter.

Why Be Happy When You Could Be Normal? (Warum glücklich sein, wenn man normal sein könnte) ist eine Biografie über die Lebensaufgabe der Protagonistin ihr Glück zu finden. Das Buch erzählt davon wie sie aus ihrem Haus ausgesperrt wurde und die ganze Nacht auf der Türschwelle saß; es erzählt von einer Frau, die mehr religiöse Fundamentalistin als Mutter ist, mit falschen Zähnen und einem Revolver in der Kommode auf den Weltuntergang wartet und davon wie die schmerzliche Vergangenheit, von der Jeanette dachte, sie hätte sie längst überschrieben und verarbeitet immer wieder aufsteigt…

Hier geht es zur ausführlichen Rezension.

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Fried Green Tomatoes at the Whistle Stop Cafe ist ein Roman über zwei Frauen: Evelyn, eine etwas unglückliche Frau in den Wechseljahren, und die grauhaarige Frau Threadgoode, die ihre Lebensgeschichte erzählt. Zu ihrer Lebensgeschichte gehören zwei weitere Frauen – der draufgängerische Wildfang Idgie und ihre Freundin Ruth -, die gemeinsam in den 1930 Jahren ein kleines Lokal in Whistle Stop, Alabama hatten in dem es neben gutem Kaffee, Barbecue und Whisky auch jede Menge Liebe und Leidenschaft gab – und sogar gelegentlichen einen Mord.

Ein Buch das man nicht lesen kann ohne gleich danach die wunderbare Verfilmung aus dem Jahr 1991 anzuschauen und Lust auf gegrillte grüne Tomaten zu bekommen.

Hier geht es zur ursprünglichen Besprechung.

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Maggie & Me ist eine Biografie über das Überleben in im Arbeiterviertel einer schottischen Kleinstadt während der Thatcher-Jahre.

12. Oktober 1984. Eine IRA-Bombe sprengt das Grand Hotel in Brighton in die Luft. Wie durch ein Wunder überlebt Maggie Thatcher. In einer schottischen Kleinstadt sieht der achtjährige Damian Barr mit Schrecken zu, wie seine Mutter ihren Ehering abreißt und ihre Koffer packt. Er weiß, dass auch er überleben muss.

Damian, seine Schwester und seine Mutter ziehen mit ihrem gewalttätigen neuen Freund zusammen, während sein Vater mit der glamourösen Mary (the Canary) zusammenlebt. Je mehr Maggie Thatcher Fuß fasst, desto dramatischer wird das Leben für Damian: Maggie schafft die Schulmilch ab, zerschlägt die Gewerkschaften und sorgt dafür, dass Habgier als gute Eigenschaft gilt. Dem Rat von Maggie folgend, arbeitet Damian hart und plant seine Flucht aus Armut und Enge. Er entdeckt, dass Geschichten Leben retten können und schafft es  Gewalt, Streiks, Aids und Homophobie zum Trotz – sich in Glasgows einzigem Schwulenclub zu verlieben…

Hier geht es zur ausführlichen Rezension.

Ein berauschender Roman über die alles verzehrende Liebesaffäre zwischen zwei Frauen in Paris…

Eine Lehrerin um die dreißig treibt durch ihr Leben in Paris, zieht eine Tochter allein auf und ist trotz ihres neuen Freundes einsam. Eines Abends, auf der der Silvesterparty eines Freundes, tritt Sarah – einem Tornado gleich ihr Leben. Die begabte junge Geigerin ist voller Energie – es ist der Beginn einer intensiven Beziehung, die das Leben beider Frauen komplett auf den Kopf stellt.

Hier geht es zur ausfühlen Rezension.

Nachtgewächs: Roman (suhrkamp taschenbuch): Amazon.de: Barnes ...

Djuna Barnes‘ seltsame Tour de Force, gehört laut dem TLS zu jener kleinen Klasse von Büchern, die irgendwie eine Zeit oder eine Epoche widerspiegeln“ Diese Zeit ist die zwischen den beiden Weltkriegen, und Barnes‘ Roman entfaltet sich im dekadenten Schatten der großen Städte Europas: Paris, Berlin und Wien.

Sie erzählt von einer Welt, in der die Grenzen von Klasse, Religion und Sexualität überraschend durchlässig sind. Nightwood ist der Klang von zerbrechenden Herzen, von fünf Menschen, die sich gegenseitig aussaugen und das Leben zur Hölle machen. Das Buch selbst macht es dem Leser schwer, es weigert sich förmlich seine Geheimnisse preiszugeben.

Man muss es sehr sehr langsam lesen, wird dann aber tatsächlich mit einer psychologischen Tiefe belohnt die verblüfft und es knistert noch immer mit derselben elektrischen Ladung, die es bei seiner ersten Veröffentlichung 1936 hatte.

Ein schwieriges, fiebriges, dunkles Juwel soll diese Reihe abschließen. Hier geht es zur Besprechung der Biografie von Djuna Barnes, für alle die sich noch ein bisschen mehr mit dieser spannenden Schriftstellerin beschäftigen möchten.

Ich hoffe es war etwas für euch dabei und ihr hattet Spaß an dieser Blog Pride. Vergesst bitte die Queer Refugees nicht – Happy Pride allerseits 🙂

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Habt Ihr Empfehlungen für mich – möchte gerne mein Lesespektrum erweitern. Welche LGBTQ Bücher haben euch besonders gefallen?

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Today I would like to enthuse you for one of my favorite books „Orlando“ – the longest love letter and the history of literature.

It’s difficult to imagine who forward thinking Virginia Woolf was to come up with this gender-society-time-bending story of the young Duke Orlando who is Vita Sackville-Wests alter ego. Orlando tells the high spirited adventures of a poet who changes sex from man to woman and lives for centuries.

„But listen; suppose Orlando turns out to be Vita and it’s all about the lusts of your flesh and the lure of your mind … Shall you mind?“

Vita didn’t mind, she was in fact thrilled and who can blame her? Orlando is a story about the life and development of a human being striving to become liberated from the constructs of gender and social norms of any kind.

If you live in Munich or plan a visit you should find the time to pop into the Literaturhaus where they are currently showing an exhibition with photos inspired by Sally Potter’s movie „Orlando“ and which was curated by Tilda Swinton.

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Virginia Woolf described the writing of this book as taking holidays from being a writer and it is possibly her most lighthearted book.

Check out Vita’s love letters to Virginia in „Geliebtes Wesen„, Virginia Woolf’s famous feminist icon „A room of one’s own“ and the biographies of Vita and Virginia.

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#WomeninSciFi (52) Planet der Frauen – Joanna Russ

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Das ist kein Buch für schwache Gemüter, für das Buch muss man echt ein bisschen arbeiten. Man muss höllisch aufpassen und sehr aufmerksam lesen. Wer hier eine stringente Science Fiction Geschichte erwartet, könnte enttäuscht werden. Es gibt einen Science-Fiction Rahmen, aber die Geschichte an sich ist eher eine Ansammlung ironischer Gedanken von Frauen aus verschiedenen Gesellschaften in unterschiedlichen Welten und zur unterschiedlichen Zeiten.

Daher würde ich das Buch wohl eher als eine teils satirische feministisch-philosophische Sozialstudie bezeichnen. Was es etwas schwierig macht reinzukommen ist, dass alle 4 Protagonistinnen einen Vornamen mit „J“ haben und jede von sich als „Ich“ spricht. Es dauert daher immer ein bisschen, bis man auf dem Schirm hat, wer jetzt gerade aktuell spricht.

Wenn die Protagonistinnen in eine jeweils andere Welt wechseln, verändern ihre jeweiligen Sichten auf die Geschlechterrollen ihre zuvor bestehenden Vorstellungen von der Rolle der Frau. Die Begegnungen beeinflussen sie dahingehend, dass sie ihr eigenes Leben reflektieren und sich Gedanken zu ihrer jeweiligen Rolle als Frau in der Gesellschaft machen.

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Eine der Frauen, Joanna, nennt sich selbst einen weiblichen Mann, weil sie sie glaubt, sie müsse ihre Identität als Frau vergessen, um anerkannt zu werden.

Planet der Frauen besteht aus mehreren unterschiedlichen Welten:

  • Joannas Welt: Joanna lebt in einer Welt, die der unserer Erde um die 1970er Jahre ähnelt.
  • Jeannine’s Welt: sie lebt in einer Welt, in der die amerikanische Weltwirtschaftskrise nie endete. Der 2. Weltkrieg fand nicht statt, da Hitler 1936 ermordet wurde.
  • Janets Welt (Whileaway): Janet lebt in einer Welt, die sich Whileaway nennt, eine utopische Gesellschaft in der fernen Zukunft, in der alle Männer vor 800 Jahren an einer geschlechtsspezifischen Krankheit gestorben sind. Die Frauen leben in lesbischen Beziehungen und begannen, sich durch Parthenogenese fortzupflanzen. Die Gesellschaft ist technologisch weit fortgeschritten, dennoch besteht der größte Teil der Wirtschaft aus Landwirtschaft.
  • Jael’s Welt: ist eine Dystopie, wo Männer und Frauen sich permanent in einem Geschlechterkampf befinden. Obwohl dieser Konflikt schon mehr als 40 Jahre andauert, betreiben beide Gesellschaften Handel miteinander. Frauen tauschen Kinder gegen Ressourcen. Um den Sexualtrieb der Männer befriedigen zu können, werden kleine Junge kosmetischen Operationen unterzogen, so dass sie wie Frauen aussehen.

Joanna Russ schrieb den Roman in den 1970er Jahren und die Protagonisten Joanna lebt in der Welt, die der ihren am ähnlichsten war.

Ich habe mich mit der Struktur des Romans etwas schwer getan und ich habe eine Weile gebraucht, bis ich drin war. Auch wenn der Roman ziemlich wütend wirkt, gibt es doch auch manche witzige Stelle.

Joanna Russ (1937 – 2011) war eine radikale Feministin, Autorin und Wissenschaftlerin. Sie unterrichtete an verschiedenen amerikanischen Universitäten und erhielt Ende der 1970er Jahre einen Lehrstuhl an der Washington University.

Sie veröffentlichte 6 Romane und über 50 Kurzgeschichten. Sie galt neben James Tiptree Jr als eine der einflussreichsten Science Fiction Autorinnen. 2013 wurde sie in die Science Fiction and Fantasy Hall of Fame aufgenommen.

Definitiv ein sehr interessanter Roman, der zu den Klassikern der feministischen Science Fiction Literatur gehört und bei dem es sich lohnt, dran zu bleiben und sich die Zeit zu nehmen, in die Geschichte hineinzufinden.

Vita Sackville-West

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Die Autorin, Dichterin und Garten-Designerin Vita Sackville-West wurde am Bekannstesten durch ihre Affäre und langjährige Freundschaft mit Virginia Woolf, die ihr wiederum mit dem Roman „Orlando“ ein einmaliges literarisches Denkmal setzte. Die Geschichte von Vitas Ehe mit Harold Nicolson ist eine Mischung aus Faszination und Fassungslosigkeit. In „Porträt einer Ehe“ kombiniert Vitas Sohn Nigel die Memoiren seiner Mutter, die er nach ihrem Tod in ihrem Arbeitszimmer fand, mit seinen eigenen Erinnerungen und dem, was er in zahllosen Briefen über die Ehe seiner Eltern erfuhr. Trotz Vitas zahlreicher Beziehungen und Affären mit verschiedenen Frauen und Haralds gelegentlichen kurzen Affären mit Männern, blieben die beiden bis zu ihrem Tode ein sich liebendes Ehepaar. Zwei Menschen, die häufig missverstanden wurden, aber stets zu faszinieren wußten.

Neben Virginia Woolf und Harold Nicolsen gab es noch eine weitere große Liebe in Vitas Leben: die zu ihrem Geburtsort Knole, einem riesigen Landhaus in Kent aus dem 16. und 17. Jahrhundert mit über 360 Räumen. Vita hätte Knole von ihrem Vater geerbt, wäre sie ein Mann gewesen, so allerdings ging es an ihren Onkel. Ein Verlust, den sie nie ganz überwinden sollte.

Knole,_Sevenoaks_in_Kent_-_March_2009Knole Country House Foto: Wikipedia

Im Jahr 1918, als Vita 26 Jahre alt war, hatte sie eine Beziehung mit Violet Trefusis, die ihr in einem Brief schrieb:

Give me great glaring vices, and great glaring virtue… be wicked, be brave, be drunk, be reckless, be dissolute, be despotic, be an anarchist, be a suffragette, be anything you like, but for pity’s sake be it to the top of your bent. Live fully, live passionately, live disastrously. Let’s live, you and I, as none have ever lived before.

Vita hatte mit 20 einen symphatischen jungen Mann namens Harald Nicolson geheiratet. Er war Diplomat und Kritiker. Sie wusste schon bei der Heirat, dass sie eigentlich auf Frauen steht, aber sie glaubte, das die beiden Seiten ihrer Persönlichkeit gut nebeneinander her existieren könnten. Was auch ganz gut klappte, bis sie Violet traf. Als Violets Familie von der Affäre der beiden Frauen erfuhr, wurden einige Augenbrauen hochgezogen und Violet solange unter Druck gesetzt, bis sie sich fügte und den unglücklichen Denys Trefusis heiratete. Von da an wurde alles ziemlich kompliziert.

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In einem Brief schreibt Violet an Vita:

He is abhorrent to me with his tears and his servility. I told him I looked upon him merely as my jailor, and that my one ambition was to get away from him.

Worauf Vita im gleichen Jahr über Violets Ehemann schreibt:

I now hate him more than I have ever hated anyone in this life, or am likely to; and there is no injury I would not do to him with the utmost pleasure.

Vita und Violet verlassen ihre Ehemänner und hauen gemeinsam nach Paris ab, wo Vita sich unglaublich frei fühlte und überwiegend in Männerklamotten durch die Gegend läuft:

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I dressed as a boy. It was easy… It must have been successful because no one looked at me curiously or suspiciously – never once, out of the many times I did it. My height, of course, was my great advantage. I looked like a rather untidy young man, a sort of undergraduate of about nineteen. It was marvelous fun, all the more so because there was always the risk of being found out.

Harold Nicolson versuchte, seine Frau zur Rückkehr zu bewegen:
When you fall into Violet’s hands, you become like a jellyfish addicted to cocaine.

In der britischen Oberschicht schienen offene Ehen mehr oder weniger an der Tagesordnung gewesen zu sein. Es wurde lediglich erwartet, dass die jeweiligen Ehepartner ihre Affären diskret behandelten und die Ehe nicht in Gefahr brachten.

Vita und Harold haben diese übliche Offenheit aber wahrscheinlich noch ein bisschen extremer betrieben als die meisten. Als die hitzige Violet-Affäre nach etwa drei Jahren im Sand verlief, erreichten Vita und Harold sowas wie ein zivilisiertes Gleichgewicht. Beide hatten weiterhin gleichgeschlechtliche Affären, aber nie wieder in einer solchen Heftigkeit, dass der Fortbestand ihrer Ehe in Gefahr geriet.

So carefree were they that quite often Harold’s friend and Vita’s would join the same weekend party, and the four of them would refer to the situation quite openly.

Virginia Woolfs Affäre mit Vita findet einige Jahre nach Violet statt. Virginias Unvermögen, Sex zu genießen, war der Grund dafür, dass ihre körperliche Beziehung nicht sehr lange dauerte, Virginias Liebe zu Vita sollte allerdings bis an ihr Lebensende halten. Vita scheint sich sehr positiv auf Virginias Schreiben ausgewirkt zu haben, denn sie schrieb einige ihre besten Bücher während dieser Zeit. Auch Virginia war verheiratet, doch weder ihr Mann Leonard, noch Harold hatten ein Problem mit der Beziehung der beiden. Vitas Sohn Nigel nannte Virginia Woolfs Roman „Orlando“, den sie Vita gewidmet hatte, den längsten und bezaubernsten Liebesbrief in der Literatur.

Überhaupt war fast jeder im Dunstkreis von Vita und Harold (und natürlich auch die beiden selbst) wahre Buchproduktionsmaschinen:

Vita schrieb 17 Romane, 12 Gedichtbände, Tagebücher und natürlich jede Menge Briefe, Artikel etc.

Virginia Woolf schrieb 9 Romane, unzählige Essays, Kurzgeschichten, Tagebücher, Briefe und Artikel.

Violet schrieb 7 Romane und eine Autobiografie.

Harold brachte es gar auf 40 Bücher überwiegend zum Thema Geschichte und Biografien, daneben noch Tagebücher und Briefe.

Wenn man noch die ganzen Bücher dazu zählt, die über die jeweiligen Protagonisten geschrieben hat, würde man locker eine ganze Bibliothek mit ihren Werken füllen können.

Wer sich für das Leben einer der aufregendsten Frauen des 20. Jahrhunderts interessiert, dem kann ich sowohl Nigel Nicolsons „Porträt einer Ehe“ als auch Matthew Dennisons „Behind the Mask“ nur ans Herz legen.

Im Literaturhaus in München gibt es seit dem 8. November eine Ausstellung zu „Orlando„, eine von Tilda Swinton kuratierte Fotosammlung, auf die ich mich schon sehr freue und die ich zum Anlass genommen habe, mal wieder „Orlando“ zu lesen. Hier wird es also in nächster Zeit noch mehr von Virginia & Vita zu lesen geben.

Bei Interesse verweise ich noch auf den Briefwechsel zwischen Virginia Woolf (Link zu ihrer Biografie hier) und Vita Sackville-West, den ich hier besprochen habe.