Lektüre Februar 2023

Meine Februar Lektüre war geprägt von einer Arbeits/Urlaubsreise nach Paris, daher mag ich damit starten und habe dieses Mal keine Lust auf alphabetische Reihenfolge. Steigt ein, der Zug fährt in wenigen Minuten ab und wir treffen uns dann am Gare de L’Est 🙂 Wie der große Walter Benjamin schon sagte: Paris ist ein großer Bibliothekssaal, der von der Seine durchströmt wird – wir haben also einiges zu besprechen:

Becoming Beauvoir – Kate Kirkpatrick auf deutsch unter dem Titel „Simone de Beauvoir – ein modernes Leben“ im Piper Verlag erschienen, übersetzt von Erica Fischer, Christine Richter-Nilsson

„Becoming Beauvoir“ ist eine Biografie der französischen existenzialistischen Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir von Kate Kirkpatrick die auf bislang unveröffentlichte Tagebücher und Briefe zurückgreift. Kate Kirkpatrick, Dr. phil., unterrichtete an der University of Hertfordshire, am St Peter’s College, University of Oxford, sowie am King’s College in London. Aktuell ist sie Fellow in Philosophie am Regent’s Park College, University of Oxford. Das Buch untersucht Beauvoirs Leben und ihre intellektuelle Entwicklung, von ihrer Kindheit in einer bürgerlichen Familie in Paris bis zu ihrem Aufstieg zu einer bedeutenden Feministin und existenzialistischen Denkerin. Kirkpatrick untersucht die wichtigsten Themen und Ideen in Beauvoirs Werk, darunter ihre Kritik am Patriarchat und den Geschlechterrollen, ihre Vorstellungen von Freiheit und Authentizität sowie ihre Beziehung zu Jean-Paul Sartre. Die Biografie beleuchtet auch Beauvoirs persönliches Leben, einschließlich ihrer langjährigen Liebesbeziehung zu Sartre und ihrer Erfahrungen als Frau im Frankreich der Mitte des 20. Jahrhunderts.

Ich bekam die Biografie bereits vor 2 Jahren zu Weihnachten geschenkt, wollte sie aber unbedingt in oder auf dem Weg nach Paris lesen und dann vor Ort de Beauvoirs Spuren folgen. Sie ist eine wahnsinnig spannende Frau über die ich schon sehr viel gelesen habe und obwohl das bei Weitem nicht meine erste Biografie war, hat mir Kirkpatricks Biografie mit Abstand am besten gefallen. Sie setzt vieles noch mal in Relation, findet immer wieder spannende, neue Perspektiven. Ganz große Empfehlung! Eine gut verständliche, tiefblickende intellektuelle Lektüre.

But that is my way. I have (sic) rather not things at all as doing them mildly.

She didn’t believe that any single point in her life showed „the“ Simone de Beauvoir because „there is no instant in a life where all moments are reconciled

Die schwarzen Fahnen von Paris – Leonard Fuest erschienen im Corso Verlag

Die „Stadt der Liebe“ in einem anderen Licht. Leonhard Fuest geht auf besonderen Spuren: Er folgt Dichtern und Denkern ins Labyrinth ihrer Gedanken und Texte. Der Leser begegnet dem verstörten Flaneur Charles Baudelaire, dem schlaflosen Aphoristiker E. M. Cioran, dem melancholischen Intellektuellen Roland Barthes, dem deprimierten Zyniker Michel Houllebecq – sie und andere tauchen die Stadt an der Seine in das Licht der schwarzen Sonnen.

Immer wenn ich Paris besucht habe, überkommen mich Zweifel. Bin ich wirklich dort gewesen? Aber ja, ich bin doch durch viele Straßen gelaufen, habe Menschen und Plätze und Gebäude gesehen und allerlei erfahren, wovon ich erzählen könnte. Indes: Wo genau in Raum und Zeit habe ich mich denn aufgehalten? War es nicht so, dass ich an jedem Tag durch die verschiedensten Epochen und Zeitläufe gegangen bin?

The Paris Bookseller – Kerri Maher auf deutsch unter dem Titel „Die Buchhändlerin von Paris“ im Suhrkamp Verlag erschienen, übersetzt von Claudia Feldmann

Eine Buchhandlung mitten in Paris. Für die junge Amerikanerin Sylvia Beach ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Dass sie mit »Shakespeare & Company« in die Geschichte der Weltliteratur eingehen wird, ahnt sie bei der Eröffnung 1919 nicht. Schon bald wird »Shakespeare & Company« zum literarischen Treffpunkt in Paris: Hemingway, Gide, Valéry und Gertrude Stein gehen hier ein und aus – und nicht zuletzt aber James Joyce. Als nach Abdruck einzelner Episoden die vollständige Publikation seines umstrittenen Romans Ulysses verboten wird, ist es die unerschrockene Sylvia Beach, die ihn gegen alle Widerstände veröffentlicht  – und damit ihre ganze Existenz aufs Spiel setzt.

Doch in der gleichgesinnten französischen Buchhändlerin Adrienne Monnier findet Sylvia Beach nicht nur eine wagemutige Mitstreiterin, sondern auch die Liebe ihres Lebens.

Ein Roman über zwei starke Frauen, das »gefährlichste Buch des Jahrhunderts« und eine Liebe im Paris der zwanziger Jahre.

Paris? Check – Lesbische Buchändlerinnen? Check – die literarische haute volée der 20 Jahre? Check und ja, ich mochte das Buch sehr, ABER es war mir stellenweise einen Hauch zu schmalzig. Habe vor einer ganzen Weile Sylvia Beachs „Shakespeare & Company“ gelesen, ihr autobiografischer Bericht über den Buchladen und das Buch gefiel mir ein kleines bißchen besser, weil eben nicht ganz so schmonzettig, aber das ist Jammern auf hohem Niveau – ich mochte das Buch ansonsten schon sehr.

I hold it true, whate’er befall; I feel it, when I sorrow most; ’Tis better to have loved and lost than never to have loved at all.

Madame de Staël – Maria Fairweather erschienen bei Carroll & Graf Publishers New York

Zu ihren Lebzeiten wurde allgemein gesagt, dass es in Europa drei politische Mächte gab – Großbritannien, Russland und Madame de Stäel. Byron beschrieb sie als „die erste weibliche Schriftstellerin dieses, vielleicht jedes Zeitalters“. Germaine de Stäel war zweifellos die bemerkenswerteste Frau ihrer Zeit, und sie bleibt einzigartig – sowohl wegen des Umfangs ihrer künstlerischen und intellektuellen Leistungen als auch wegen der Kraft ihres politischen Einflusses, der zum Sturz Napoleons beitrug. Germaine de Stäel wurde 1766 in Paris als Tochter von Jacques Necker, dem einflussreichen und reformorientierten Finanzminister Ludwigs XVI. geboren und wuchs im Salon ihrer Mutter inmitten der Philosophen der französischen Aufklärung auf. Mit ihrem erstaunlichen und disziplinierten Intellekt, ihrem Bedürfnis nach Liebe und ihrer Freiheitsliebe sowie ihrem bemerkenswerten Mut im öffentlichen wie im privaten Leben setzte sich Germaine de Stäel über Gefahren und Konventionen hinweg, oft um den Preis eines hohen Preises.

Ihre Bücher waren meist schon wenige Monate nach ihrem Erscheinen ausverkauft. Immer wieder bewies sie Skeptikern (milde ausgedrückt) wie Lord Byron und schließlich sogar Napoleon, dass sie besser zuhören und ihre Ideen berücksichtigen und sie sich besser nicht zum Feind machen sollten.

Mir hat die Biografie gut gefallen, ich habe eine Menge gelernt und erfahren über eine ganz und gar ungewöhnliche Frau, die ich sehr gerne kennengelernt hätte. Nichtsdestotrotz hätte das Buch für mich gerne ein ganzes Stück kürzer sein dürfen.

Lord Byron: „‘I do not love Madame de Staël but depend upon it – she beats all your natives hollow as an Authoress – in my opinion – and I would not say this if I could help it.’ In his diary he admitted: ‘she is a woman by herself and has done more than the rest of them together, intellectually – she ought to have been a man’“

A history of wild places – Shea Ernshaw erschienen bei Atria / Schuster & Schuster

Travis Wren hat ein ungewöhnliches Talent für das Aufspüren vermisster Personen. Oft von Familien als letzter Ausweg angeheuert, übernimmt er den Fall von Maggie St. James – einer bekannten Autorin düsterer, makabrer Kinderbücher – und wird bald an einen Ort geführt, den viele nur für eine Legende hielten.

Diese zurückgezogene Gemeinschaft mit dem Namen Pastoral wurde in den 1970er Jahren von Gleichgesinnten auf der Suche nach einer einfacheren Lebensweise gegründet. Allem Anschein nach sollte die Kommune nicht mehr existieren, und kurz nachdem Travis über sie gestolpert ist… verschwindet er. Genau wie Maggie St. James.

Jahre später entdeckt Theo, ein lebenslanges Mitglied von Pastoral, Travis‘ verlassenen Truck jenseits der Grenze der Gemeinschaft. Niemand darf rein oder raus, nicht, wenn die Gefahr besteht, dass eine Krankheit – eine Seuche – nach Pastoral eingeschleppt wird. Die Enträtselung des Geschehens bringt Geheimnisse ans Licht, die Theo, seine Frau Calla und ihre Schwester Bee voreinander verbergen. Geheimnisse, die beweisen, dass ihre perfekte, isolierte Welt nicht so sicher ist, wie sie glaubten – und dass die Dunkelheit

Die Zeichnung der Charaktäre war richtig gut, die spannende Atmosphäre unheimlich gelungen. Eine kluge, düstere, spannende und sehr empfehlenswerte Reise, die man nicht verpassen sollte! Es ist der erste Roman der Autorin den sie nicht für ein „Young Adult“ Publikum geschrieben hat und er hat auch in unserem sonst oft sehr strengen Bookclub ordentlich Punkte eingefahren. Volle Empfehlung!

There is no history in a place until we make it, until you live a life worth remembering.

Silence can hold a thousand untold stories.

Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten – Sara Weber erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag

Im März 2020 änderte sich alles. Homeoffice war plötzlich die neue Norm. Alle mussten sich digitalisieren und transformieren – ob sie wollten oder nicht. Die Arbeit drängte weiter ins restliche Leben, zur Erwerbsarbeit kam noch mehr Carearbeit. Die Schere zwischen systemrelevanten Berufen und Bürojobs ging weiter auf. Covid hat uns gezeigt, was in der Arbeitswelt nicht mehr funktioniert.

Und da ist nicht nur die Pandemie. Überschwemmungen, Waldbrände, Inflation, Krieg – unsere Welt steht in Flammen, im wahrsten Sinne des Wortes. Und wir? Brennen aus, um bloß keine Deadline zu reißen. Was zur Hölle machen wir da eigentlich? Warum tun wir uns das an?

Immer mehr Menschen stellen sich diese Fragen, einige ziehen Konsequenzen. In den USA hat der Trend sogar schon einen Namen: „The Great Resignation“, das große Kündigen. Es bricht eine neue Ära an, aber weder durch agile Methoden noch durch Yoga im Alltag wird es gelingen, ein für uns alle und für den Planeten verträgliches Wirtschaften zu realisieren. Wir müssen uns überlegen, wie Arbeit heute und morgen wirklich funktionieren kann – mit einem Fokus auf Gerechtigkeit, Zukunftsfähigkeit und den Menschen.

Ein Buch das ich bereits mehr als einmal verschenkt habe und das die Fragen und Probleme unserer Zeit einfängt und auf den Punkt bringt. Mein Hörbuch des Monats!

„Am Anfang klatschten wir noch für die Pflegekräfte vom Balkon, trugen brav unsere selbst genähten Masken. Aber irgendwann wurde das Klatschen leiser. Viele Menschen waren einfach viel zu müde vom Home-schooling und all den Meetings und der zwölften Diskussion über die Impfung. Wir hatten uns nichts mehr zu erzählen, denn niemand erlebte irgendwas – außer Arbeit.“

Darm mit Charme – Giulia Enders erschienen im Ullstein Verlag

Unser Darm ist ein fabelhaftes Wesen voller Sensibilität, Verantwortung und Leistungsbereitschaft. Wenn man ihn gut behandelt, bedankt er sich dafür. Das tut jedem gut: Der Darm trainiert zwei Drittel unseres Immunsystems. Aus Brötchen oder Tofu-Wurst beschafft er unserem Körper die Energie zum Leben. Und er hat das größte Nervensystem nach dem Gehirn. Allergien, unser Gewicht und eben auch unsere Gefühlswelt sind eng mit unserm Bauch verknüpft. In diesem Buch erklärt die junge Wissenschaftlerin Giulia Enders, was die medizinische Forschung Neues bietet und wie wir mit diesem Wissen unseren Alltag besser machen können. Die dazu gehörigen Illustrationen stammen aus der Feder ihrer Schwester Jill. Die aktualisierte Neuauflage wird um ein Kapitel ergänzt: Die Schwestern Enders geben hier ein Update zu neuen Forschungsergebnissen und der Welt der Mikroben

Wer mehr über eines unserer wichtigsten Bereiche unseres Körpers lernen will sei Enders Buch auf jeden Fall empfohlen. Sie hat nicht nur Tipps zum richtigen Kacken auf Lager, sondern auch eine ganze Menge Hintergrundwissen über ein Organ, das einem in der Regel eher unangenehm ist und das nicht gerade das beste Image hat.

Übergewicht, Depressionen und Allergien hängen mit einem gestörten Gleichgewicht der Darmflora zusammen und wir tun alle gut daran uns ein kleines bißchen mehr mit diesem hochkomplexen Organ zu beschäftigen und es in Schwung zu halten. Gelegentlich hat mich die etwas bemüht lustige Sprache genervt, aber insgesamt ein gelungenes Buch.

Die Wissenschaft hat mit dem Mikrobiom ein Problem, dass die Generation Google gerade auch hat: Wir stellen eine Frage – und sechs Millionen Quellen antworten uns gleichzeitig. Da sagt man nicht einfach „Jetzt jeder nocheinmal einzeln“. Wir müssen kluge Bündel packen, deftig aussortieren und wichtige Muster erkennen.

Der Inselmann – Dirk Geiselmann erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag

Anfang der Sechziger in einem entlegenen Teil Deutschlands. Das Ehepaar Roleder zieht auf eine unbewohnte Insel inmitten eines großen Sees. Es ist eine Flucht nach innen, vor der Stadt und der Wirklichkeit. Mit dabei ist ihr Sohn Hans, der auf der Insel ein neues Zuhause findet. Und noch so viel mehr. Denn mit der Zeit scheint der schüchterne Junge geradezu mit der Insel, den Bäumen, dem Laub, dem Moos und dem Gestein zu verwachsen. Hans wird zum König der Insel. Bis, mit dem Bescheid der Schulbehörde, die Realität in seine kleine große Traumwelt einbricht und ihn von Insel und Eltern trennt. Es ist der Beginn einer beschwerlichen Odyssee, gelenkt zunächst von gnadenlosen Institutionen des Staates und schließlich dem einen großen, pochenden Wunsch: zurückzukehren auf seine Insel, in die ersehnte Einsamkeit im Schatten der Welt. Doch: Wie wird die Insel, wie werden die Eltern ihn empfangen?

Dirk Gieselmanns Debüt ist die faszinierende literarische Studie eines Insellebens und erzählt von der Sehnsucht nach Einsamkeit in einer Gesellschaft, die das Individuum niemals alleine lässt, im Guten wie im Schlechten. »Der Inselmann« ist ein Roman, der nachhallt, voller berückender Bilder, leuchtender Sätze und magischer Kulissen.

„Hans wollte sie beide umarmen, den Vater, die Mutter, damit sie und diese Welt nicht gleich wieder zerbräche, ganz fest umarmen, damit alles heil bliebe und eins.“

Eine ruhige, poetische Geschichte mit wunderschönen Naturbeschreibungen – habe ich sehr gerne gelesen.

Der Ursprung der Welt – Liv Strömquist erschienen im Avant Verlag übersetzt von Katharina Erben

In „Der Ursprung der Welt“ zeichnet die Autorin Liv Strömquist die Kulturgeschichte der Vulva nach – von der Bibel bis Freud, vom unbeholfenen Biologieunterricht bis hin zur aktuellen Tamponwerbung. Sie bedient sich des Mediums Comic, um in sieben Episoden auf nonchalante und scharfsinnige Art die noch immer geltenden patriarchalen Machtverhältnisse in Frage zu stellen und bestehende Probleme pointiert zu benennen.

Die studierte Politikwissenschaftlerin Liv Strömquist ist nicht nur eine umtriebige Künstlerin, sondern auch eine über die Grenzen der schwedischen Comic-Szene hinaus viel beachtete Stimme, die ihre politische Haltung und das soziologische Interesse zu feministischen und popkulturellen Phänomenen in den Fokus ihres Schaffens stellt. In ihren beliebten TV- und Radioformaten geht sie mit bissigem Humor und vernichtender Kritik gegen bestehende gesellschaftliche Machtstrukturen an.

Sieben Nächte – Simon Strauss erschienen im Aufbau Verlag

Es ist Nacht, ein junger Mann sitzt am Tisch und schreibt. Er hat Angst. Davor, sich entscheiden zu müssen. Für eine Frau, einen Freundeskreis, einen Urlaubsort im Jahr. Er hat Angst, dass ihm das Gefühl abhandenkommt. Dass er erwachsen wird. Doch ein Bekannter hat ihm ein Angebot gemacht: Sieben Mal um sieben Uhr soll er einer der sieben Todsünden begegnen. Er muss gierig, hochmütig und wollüstig sein, sich von einem Hochhaus stürzen, den Glauben und jedes Maß verlieren. »Sieben Nächte« ist ein Streifzug durch die Stadt, eine Reifeprüfung, die vor zu viel Reife schützen soll, ein letztes Aufbäumen im Windschatten der Jugend.

Dieses Büchlein steht zu Recht ganz am Ende – puh ist mir das auf die Nerven gegangen. Das jammerige Mimimi des Jungmannes der rumheult weil er bald 30 wird und dem die Welt nicht romantisch genug ist, hab ich nicht ganz so gut ertragen. Es gab ein paar schöne Sätze und es war ja auch nicht wirklich lang, daher kann man das schon lesen, aber für mich war das nix. Simon Strauß habe ich vor meinem geistigen Auge als Baby gesehen der schon mit Wildleder-Patches am Ellbogen auf die Welt gekommen ist…

Ich, der ich von Anfang an dicht bei der warmen Heizung gesessen habe, immer schon satt gefüttert, mit allen Chancen versehen. Das Opernabo gleich bei der Geburt abgeschlossen. Ich bin schon als Schwächling auf die Welt gekommen, und meine Privilegien haben mich nur noch weiter geschwächt. Was Gefahr heißt, habe ich nie gespürt….

So meine Lieben, das war es für diesen Monat. Ich hoffe es war etwas dabei für euch! Worauf konnte ich euch Lust machen, welche der vorgestellten Bücher kennt ihr oder möchtet ihr gerne gelesen. Ich hoffe, ihr habt jetzt wenigstens ein Taxi nach Paris bestellt 😉

Nächsten Monat wird es wissenschaftlich-physikalisch, soviel verrate ich schon mal. Ich freue mich sehr von Euch zu hören!

Lektüre November 2022

Ein spannender atmosphärischer Lesemonat liegt hinter mir. Keine wirklichen Ausfälle dabei, eine gute Mischung aus Sachbuch bei dem ich immens viel gelernt habe, ein paar zur November Stimmung passende Romane, ein wunderbares Wiederlesen und eine Bookclub-Lektüre die uns in die Sumpf- und Marschgebiete North Carolinas mitnahmen.

Hier wieder in alphabetischer Reihenfolge ein kurzer Einblick in die Bücher, in der Hoffnung euch auf das eine oder andere Lust machen zu können.

Auf See – Theresa Enzensberger erschienen im Hanser Verlag, gehört als Audible Hörbuch

Yada wächst als Bürgerin einer schwimmenden Stadt in der Ostsee auf. Ihr Vater, ein libertärer Tech-Unternehmer, hat die Seestatt als Rettung vor dem Chaos entworfen, in dem die übrige Welt versinkt. In den Jahren seit ihrer Gründung ist der Glanz vergangen, Algen und Moos überwuchern die einst spiegelnden Flächen. Yadas Vater fürchtet, sie könne das Schicksal ihrer Mutter ereilen, die vor ihrem Tod an einer rätselhaften Krankheit litt. Und Yada macht eines Tages eine Entdeckung, die alles ins Wanken bringt. Klug, packend und visionär erzählt Theresia Enzensbergers großer Roman von den utopischen Versprechen neuer Gemeinschaften und dem Glück im Angesicht des Untergangs.

Ich fand die Geschichte und vor allen Dingen die Ideen spannend, visionär und definitiv zum Nachdenken und Recherchieren anregend. Nur als Hörbuch fand ich es aufgrund der Sprecherin nicht ganz so gelungen, hätte es glaube ich lieber gelesen als gehört. Vielleicht besorge ich es mir noch mal als Buch. Das wird nicht das letzte Buch von Frau Enzensberger sein, mir gefällt ihr Stil und ihre Art zu denken sehr.

Das Ende des Kapitalismus – Ulrike Herrmann erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag

Um es gleich vorweg zu nehmen: Dieses Buch ist mein absolutes November Highlight. Eines von den Büchern bei denen ich nicht mehr aufhören kann davon zu erzählen und ich zur Buch-Missionarin werde und jedem fast mit Einzelhaft und Liebesentzug drohe, wenn die Menschen mir nicht auf der Stelle versprechen es umgehend zu lesen und danach mit mir darüber zu diskutieren.

Das es ein Rezensionsexemplar ist und auch noch von der Autorin für mich signiert wurde auf der Buchmesse hat damit wirklich nichts zu tun. Es hat mich einfach massiv zum Nachdenken gebracht, ich habe tonnenweise interessante Dinge gelernt und dazu geführt, dass ich jetzt nicht mehr sofort und automatisch den Wirtschaftsteil der Zeitung in die Papiertonne werfe.

Die Klimakrise verschärft sich täglich, aber konkret ändert sich fast nichts. Die Treibhausgase nehmen ungebremst und dramatisch zu. Dieses Scheitern ist kein Zufall, denn die Klimakrise zielt ins Herz des Kapitalismus. Wohlstand und Wachstum sind nur möglich, wenn man Technik einsetzt und Energie nutzt. Leider wird die Ökoenergie aus Sonne und Wind aber niemals reichen, um weltweites Wachstum zu befeuern. Die Industrieländer müssen sich also vom Kapitalismus verabschieden und eine Kreislaufwirtschaft anstreben, in der nur noch verbraucht wird, was sich recyceln lässt.

Aber wie soll man sich dieses grüne Schrumpfen vorstellen. Das beste Modell ist ausgerechnet die britische Kriegswirtschaft ab 1940.

„Damals zeigte sich erstmals ein Paradox, das den Kapitalismus bis heute prägt: Nur wenn das Risiko weitgehend ausgeschlossen ist, werden Investitionen gewagt.“

Our Missing Hearts – Celeste Ng auf deutsch erschienen unter dem Titel „Unsere verschwundenen Herzen“ erschienen im dtv Verlag übersetzt von Brigitte Jakobeit

Ich hatte den Roman schon auf dem Radar, nachdem wir vor einiger Zeit „Everything I never told you“ im Bookclub gelesen hatte und ihr neuer Roman auch noch unter „Dystopie“ firmierte. Frau Ngs Lesung im Amerikahaus in München wertete ich dann als finales Zeichen, dass ich diesen Roman unbedingt dringend lesen möchte.

Celeste Ng ist eine überaus kluge, interessante Frau der ich problemlos noch Stunden hätte zuhören können. Our Missing Hearts ist perfekte Winterlektüre. Dystopisch und düster, aber mit viel viel Hoffnung versehen und davon können wir alle momentan glaube ich eine doppelte Portion gebrauchen.

Der zwölfjährige Bird lebt mit seinem Vater in Harvard. Seit einem Jahrzehnt wird ihr Leben von Gesetzen bestimmt, die nach Jahren der wirtschaftlichen Instabilität und Gewalt die »amerikanische Kultur« bewahren sollen. Vor allem asiatisch aussehende Menschen werden diskriminiert, ihre Kinder zur Adoption freigegeben. Als Bird einen Brief von seiner Mutter erhält, macht er sich auf die Suche. Er muss verstehen, warum sie ihn verlassen hat. Seine Reise führt ihn zu den Geschichten seiner Kindheit, in Büchereien, die der Hort des Widerstands sind, und zu seiner Mutter. Die Hoffnung auf ein besseres Leben scheint möglich. Eine genauso spannende wie berührende Geschichte über die Liebe in einer von Angst zerfressenen Welt.

Librarians, of all people, understood the value of knowing, even if that information could not yet be used.

Where the Crawdads sing – Delia Owens auf deutsch erschienen unter dem Titel „Gesang der Flusskrebse“ im Hanser Verlag, übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann

Unser November Bookclub Buch hat mir um Einiges besser gefallen als ich dachte. Aus irgendeinem Grund befürchtete ich eine furchtbar schmalzige Schmonzette, aber die Naturbeschreibungen und die Protagonistin Kya haben mir auf jeden Fall ein spannendes Lesevergnügen beschert. Die Diskussion im Bookclub drehte sich natürlich auch stark um Delia Owens Rolle zu ihrer Zeit in Afrika, die Kontroversen die es um ihre Person und die ihres Ex-Mannes gibt. Es war eine intensive und sehr spannende Diskussion. Habe auch den Film gesehen und gemocht – großartige Naturaufnahmen, eine Ecke der Welt die ich unbedingt irgendwann mal sehen möchte.

Chase Andrews stirbt, und die Bewohner der ruhigen Küstenstadt Barkley Cove sind sich einig: Schuld ist das Marschmädchen. Kya Clark lebt isoliert im Marschland mit seinen Salzwiesen und Sandbänken. Sie kennt jeden Stein und Seevogel, jede Muschel und Pflanze. Als zwei junge Männer auf die wilde Schöne aufmerksam werden, öffnet Kya sich einem neuen Leben – mit dramatischen Folgen. Delia Owens erzählt intensiv und atmosphärisch davon, dass wir für immer die Kinder bleiben, die wir einmal waren. Und den Geheimnissen und der Gewalt der Natur nichts entgegensetzen können.

Das ist übrigens ein Buch, das ich wahrscheinlich besser in der deutschen Übersetzung gelesen hätte. Der lokale Dialekt der im Buch wiedergegeben wird, hat mich stellenweise an meine Grenzen gebracht. Solide Unterhaltung, kann man sicherlich gut zu Weihnachten verschenken, auch wenn gefühlt alle Menschen die gerne lesen das Buch wahrscheinlich bereits besitzen.

Autumn leaves don’t fall, they fly. They take their time and wander on this their only chance to soar.

Harry Potter and the Philosopher’s Stone / Harry Potter and the Chamber of Secrets / Harry Potter and the Prisoner of Azkaban – JK Rowling auf deutsch erschienen im Carlsen Verlag übersetzt von Peter Needham.

Zu Harry Potter muss ich wahrscheinlich nicht viel schreiben. Hatte schon eine Weile Lust mal wieder einzutauschen in die magische Welt der Zauberschüler*innen rund um Hogwarts, hatte aber irgendwie auch Schiss, ob es mir beim Wiederlesen noch gefallen würde. Man kann sich ja auch wirklich was kaputt machen, wenn die Magie beim Wiederlesen nicht überspringen will. Brauchte aber keine Sorge zu haben. Bin noch genauso ein Potterhead wie in den 90ern – möchte immer noch nach Hogwarts, trage stolz mein Ravenclaw Shirt und nach jedem Buch schaue ich mir direkt den Film dazu an, denn ich habe vor ein paar Jahren die Harry Potter Filmbox gewonnen und bin Besitzerin sämtlicher Filme in einer sehr sehr hübschen Box.

OK – genug angegeben. Frau Rowling und ihre anstrengende Transphobie nervt, aber davon lass ich mir meinen Harry Potter nicht kaputt machen und die Darsteller*innen sehen es ja zum Glück genau so.

Im Dezember geht es weiter mit den restlichen Bänden und danach möchte ich entweder noch mal nach Osaka wo wir vor ein paar Jahren im Universal Picture Park die Wizarding World of Harry Potter besucht haben oder vielleicht nach London in die Warner Brothers Filmstudios? Wofür ich mich auch immer entscheide, es braucht jede Menge Überzeugungsarbeit, denn die Bingereader-Gattin kann mit Harry Potter leider gar nix anfangen 😉

The Lamplighters – Emma Stonex auf deutsch erschienen unter dem Titel „Die Leuchtturmwärter“ im Fischer Verlag übersetzt von Eva Kemper

Durch das Dezember Bookclub Buch bin ich nur so durchgerauscht und habe die Lektüre sehr sehr genossen. Passt einfach perfekt zu nebelig-düsteren Winterwochenenden. Ein Pageturner im wahrsten Sinne des Wortes, konnte es gar nicht aus der Hand legen. Die Geschichte um das Verschwinden der drei Leuchtturmwärter beruht auf eine wahren Geschichte, was die Recherche rund ums Buch noch mal spannender macht.

In der Silvesternacht verschwinden vor der Küste Cornwalls drei Männer spurlos von einem Leuchtturm. Die Tür ist von innen verschlossen. Der zum Abendessen gedeckte Tisch unberührt. Die Uhren sind stehen geblieben. Zurück bleiben drei Frauen, die auch zwei Jahrzehnte später von dem rätselhaften Geschehen verfolgt werden. Die Tragödie hätte Helen, Jenny und Michelle zusammenbringen sollen, hat sie aber auseinandergerissen. Als sie zum ersten Mal ihre Seite der Geschichte erzählen, kommt ein Leben voller Entbehrungen zutage – des monatelangen Getrenntseins, des Sehnens und Hoffens. Und je tiefer sie hinabtauchen, desto dichter wird das Geflecht aus Geheimnissen und Lügen, Realität und Einbildung.

In all my years I’ve realized there are two kinds of people. The ones who hear a creak in a dark, lonely house, and shut the windows because it must have been the wind. And the ones who hear a creak in a dark, lonely house, light a candle, and go to take a look.

Es hört nie auf, dass man etwas sagen muss – Antje Rávic Strubel erschienen im Fischer Verlag.

Antje Rávic Strubel ist auch so eine Autorin an deren Bücher ich einfach nicht vorgehen kann, wenn sie etwas neues geschrieben hat. Und dieses Buch hier ist ja wohl zusätzlich auch noch ein phänomenaler Hingucker. Ein kleiner Essay-Band voller kluger Gedanken zu Virginia Woolf, Astrid Lindgren, Selma Lagerlöf, Gendergewändern, Theodor Fontane und Elche kommen auch vor. Ein elegantes Büchlein bei man das Gefühl hat mit jeder Zeile ein kleines wenig klüger zu werden.

Pointiert nimmt Antje Rávik Strubel die aktuelle gesellschaftliche Lage unter die Lupe. Mit engagierter und zugleich poetischer Stimme widerspricht sie dem Gezerre und Gezeter. Sie plädiert für einen spielerischen, abenteuerlichen, wagemutigen Umgang mit Sprache, für ein emphatisches und aufmerksames Miteinander und eine Vielfalt der Lebens- und Liebesweisen. Sie erzählt von Virginia Woolf und Selma Lagerlöf, von dem Griff nach den Sternen und dem Aufbruch ins Unbekannte. Diese kritischen, literarischen und persönlichen Reden und Essays spannen den Bogen vom Ende des 19. Jahrhunderts zum Beginn des 21. Jahrhunderts und blättern mit dem nötigen feministischen Hintersinn andere Seiten der gesellschaftlichen Landkarte auf.

Die unfassbar schöne Covergestaltung haben wir im Übrigen Judith Schalansky zu verdanken.

Ankleben verboten!
1. Halte dich nicht zurück.
2. Widersprich dir.
3. Widersteh der Versuchung, Bedeutsames zu sagen.
4. Vernachlässige dich selbst.
5. Betrachte die Wirklichkeit aus der Schräglage
6. Deine Sitze sind die Wirklichkeit, trau ihnen nicht.
7. Verschleier dein Anliegen.
8. Lösch deine Spuren.
9. Benutze deine Zweifel, um Sätze zu bilden.
10. Sei viele. Sei jung und alt, weiblich und männlich, hell und dunkel zugleich.
11. Mach dich unabhängig von Lob.
12. Kehr um und entwirf deine eigenen Regeln.
13. Ertränke deine Leser und deine Vögel im Licht.

The Bass Rock – Evie Wyld auf deutsch erschienen unter dem Titel „Die Frauen“ im Rowohlt Verlag übersetzt von Tanja Handels.

Noch ein unfassbar gutes, spannendes und atmosphärisches Buch bei dem ich mir nicht mehr sicher bin, wie ich auf diesen Titel gekommen bin. Habe es als Hörbuch gehört und habe den schottischen Akzent der Sprecherin sehr geliebt. Die Geschichte ist düster und sicherlich kein Wohlfühl Schauerroman, aber ein spannend konstruierter Roman, der einem noch lange nachgeht.

Der Bass Rock wirft seit Jahrhunderten einen Schatten auf North Berwick und seine Bewohner. Neu unter ihnen: Ruth Hamilton, die in den Jahren nach dem Krieg mit ihrem Mann und zwei Stiefsöhnen in ein zugiges Haus am Meer zieht. Ruth ist zum ersten Mal schwanger und zusehends allein: die Kinder im Internat, der Mann über Wochen in seiner Londoner Kanzlei. Als Großstädterin hadert sie mit der Abgeschiedenheit und auch mit den sonderbaren Gebräuchen der einheimischen Gesellschaft. Ein Strandpicknick mitten im Winter? Die Frauen eigenartig kostümiert? Ruth passt sich an, ein wenig. Bis sie begreift: Das hier passiert nicht nur ihr. Es ist ein altes Spiel. Sie soll es nicht gewinnen.

Ein halbes Jahrhundert später, das Anwesen am Bass Rock steht zum Verkauf, kommt wieder eine Frau in den Norden. Viv hadert mit ihrem Single-Dasein, aber auch mit den Gelegenheiten, es zu beenden. Außerdem schläft sie schlecht, in jedem der Betten in dem alten Haus. Ihr ist, als würde sie heimgesucht von dunklen Geschichten. Geschichten von aufsässigen Frauen, von Frauen in Bedrängnis. Und ihre Stiefgroßmutter Ruth ist nur eine davon.

My mother has found being alone a new beginning. Her house is tidy. She eats what she wants, when she wants: nothing for a day and then a dressed crab at eleven at night, or a bowl of frozen peas, uncooked, which she eats like peanuts for breakfast. I admire the singleness that she has embraced since Dad died. I think I could aspire to that, but without having to be widowed first. Sometimes, though, it would be nice to fuck and to be fucked.”

War echt eine Menge los im November – war irgendwas dabei, wofür ich euch begeistern konnte? Habt ihr schon etwas davon gelesen? Habt ihr Meinungen zu den vorgestellten Büchern? Freue mich sehr von euch zu hören.

Happy Reading!

Lektüre August 2022

Der August hat mit einigen längeren Zugfahrten und zwei längeren Wochenenden für mehr Lesezeit gesorgt und mich mit überaus spannender und guter Lektüre versorgt. Hier wieder im Schnelldurchlauf von A-Z.

Rumaan Alam – Leave the world behind auf deutsch erschienen unter dem Titel „Inmitten der Nacht“ übersetzt von Eva Bonné, erschienen im Ecco Verlag.

Alam lässt in dieser apokalyptischen Geschichte über eine weiße Familie, die ein Haus auf Long Island von einem älteren schwarzen Ehepaar mietet vieles offen. Die Vermieter stehen nachts genau in dem Moment vor der Tür, als die Dinge eine wirklich seltsame Wendung finden. Wir erfahren nie genau, worum es sich bei der Katastrophe handelt und es ist einerseits eine recht typische Horrorgeschichte, bei der man als Leser*in immer wieder sagt: „Lasst euch nicht trennen“, aber trotz fehlender Erklärungen und vielleicht der einer oder anderen nicht ganz nachvollziehbaren Situation eines meiner Lese-Highlights dieses Jahr.

Ich mochte die Atmosphäre des Buches, das ständig jeden Moment etwas bedrohliches komplett unbekanntes passieren könnte.

Konnte das Buch gar nicht aus der Hand legen. Wäre auf die Diskussion im Bookclub gespannt, denn im Hause Bingereader wurde der Roman einmal mit müden zwei und einmal mit fünf Sternen ausgezeichnet, leider findet die Diskussion während unseres Urlaubs statt – aber ich lasse mir berichten, könnte mir gut vorstellen, dass es recht kontrovers diskutiert wird.

Ich möchte es euch ans Herz legen, wenn euch Geschichten wie „Station Eleven“ gefallen, wobei bei Alam noch deutlich weniger klar ist, was genau passiert ist man ahnt nur dystopische Ausmaße.

You never know when a time is the last time, because if you did you could never go on with life.

Julia Armfield – Our Wives under the sea erschienen im Picador Verlag, aktuell noch nicht auf deutsch erschienen.

Mein Hörbuch diesen Monat und ebenfalls eines in dem es sehr atmosphärisch zugeht, aber man nur wenige Erklärungen bekommt. Wer gerne alles rational erklärt bekommt, sollte wahrscheinlich bei den ersten beiden Büchern direkt die Finger weglassen. Ich fand es richtig großartig, ein weiteres Lesehighlight dieses Jahr – der August war wirklich ein toller Lesermonat.

Miri glaubt, dass sie ihre Frau zurück hat, als Leah nach einer Tiefseemission, die in einer Katastrophe endete, endlich zurückkehrt. Es wird jedoch bald klar, dass Leah nicht mehr dieselbe ist. Was auch immer in dem Uboot passiert ist, was auch immer es war, das sie erforschen sollten, bevor sie auf dem Meeresgrund gestrandet sind, Leah hat einen Teil davon mit an Land und in ihr Haus gebracht.

Während sie sich durch etwas bewegt, das normalen Leben nur noch entfernt ähnelt, wird Miri klar, dass das Leben, das sie vorher hatten, wahrscheinlich nicht mehr da ist und eventuell auch nie wieder zurückkehren wird. Obwohl Leah äußerlich noch da ist, spürt Miri, wie die Frau, die sie liebt, ihr immer mehr entgleitet.

Our Wifes under the sea ist der Debütroman von Julia Armfield, die eine poetische, melancholische Geschichte über die Liebe, den Verlust, die Trauer und das Leben in den Tiefen des Meeres geschrieben hat.

I used to think there was such a thing as emptiness, that there were places in the world one could go and be alone. This, I think, is still true, but the error in my reasoning was to assume that alone was somewhere you could go, rather than somewhere you had to be left.

Oliver Burkeman – 4000 Weeks. Time Management for Mortals auf deutsch unter dem Titel „4000 Wochen. Das Leben ist zu kurz für Time Management“ übersetzt von Henning Dedekind und Heike Lutosch erschienen im Piper Verlag

Das Leben ist kurz, aber das ist kein Grund zur Sorge

Die Zeit reicht nicht aus – niemals. Gerade einmal 4000 Wochen haben wir auf der Erde, und das auch nur, wenn wir um die achtzig werden. Kein Wunder, dass wir unaufhörlich versuchen, möglichst viel in diese kurze Zeit hineinzupressen. Dabei verlieren wir genau die Dinge aus dem Blick, die uns wirklich wichtig sind und uns vor allem glücklich machen. Oliver Burkeman führt geistreich und kurzweilig vor, wie wir dem Zeit- und Effizienzdruck widerstehen – und damit der unerhörten Kürze und den schillernden Möglichkeiten unseres Lebens gerecht werden können.

Ein intelligentes, gut geschriebenes Buch das einem teilweise den Spiegel vorhält und den Finger in die Wunde und uns einlädt das Hamsterrad zu stoppen, mal durchzuatmen und einfach öfter mal in Ruhe durch die Natur zu laufen und nachzudenken.

Oliver Burkeman, schrieb jahrelang für den Guardian eine wöchentliche Kolumne woher ich ihn kenne, denn die habe ich immer sehr gerne gelesen. Seit einiger Zeit lese ich auch seinen wöchentlichen Newsletter und er ist einfach ein Mensch, der mich immer wieder ins Grübeln bringt. Seine Arbeiten sind darüber hinaus in der New York Times, dem Wall Street Journal, Psychologies und New Philosopher erschienen. Burkeman lebt in New York City.

Productivity is a trap. Becoming more efficient just makes you more rushed, and trying to clear the decks simply makes them fill up again faster. Nobody in the history of humanity has ever achieved “work-life balance,” whatever that might be, and you certainly won’t get there by copying the “six things successful people do before 7:00 a.m.” The day will never arrive when you finally have everything under control—when the flood of emails has been contained; when your to-do lists have stopped getting longer; when you’re meeting all your obligations at work and in your home life; when nobody’s angry with you for missing a deadline or dropping the ball; and when the fully optimized person you’ve become can turn, at long last, to the things life is really supposed to be about. Let’s start by admitting defeat: none of this is ever going to happen. But you know what? That’s excellent news.

Caroline Kebekus – Es kann nur eine geben erschienen im Kiwi-Verlag.

Ich bin ja wirklich nicht bekannt für mein Interesse an lustigen Themen, kann mit den allermeisten Comedians wenig bis gar nix anfangen, aber diese Frau hat mit ihrem Hörbuch dafür gesorgt, dass ich gelegentlich Angst hatte aus dem Bus zu fliegen, weil ich lauthals lachen musste.

Selten habe ich auf so witzige Art so derart viel gelernt und da sind einige Themen dabei, bei denen einem auch immer wieder das Lachen im Hals stecken bleibt.

Eigentlich klingt es ganz leicht: Frau ist begabt und klug, also kann sie es schaffen, ganz nach oben zu kommen. Aber oft genug ist der eine Platz schon besetzt, es scheint nämlich ein höchst dämliches Gesetz zu geben, das lautet: Eine Frau reicht, mehr brauchen wir nicht. Die große Komikerin, Sängerin, Schauspielerin und Feministin schreibt pointiert, unmissverständlich und gleichzeitig wahnsinnig komisch, dass die Zeit überreif ist, alte (Männer-)Gesetze auf den Müll zu werfen.

Wohin man auch schaut, immer ist es die eine Frau, die sich durchsetzt. In der Bibel ist es die jungfräuliche Maria, damit fing das Unheil an. Im Märchen gibt es immer die eine Prinzessin, sehr schön und sehr blöd. Die sündige Eva aus der Bibel und die böse Stiefmutter oder Hexe lassen wir mal hübsch beiseite, denn die sollen nur als Beispiele dafür dienen, was passiert, wenn Frauen nach Macht streben: Sie werden aus dem Paradies geworfen oder verbrannt. Mit dieser Prägung entlässt man Frauen ins Leben und wundert sich dann über die ständige Konkurrenz unter Frauen um diese begrenzten Plätze. Dann wird so getan, als wären Frauen von Natur aus eben stutenbissig und selbst schuld an dieser Rivalität. Carolin Kebekus kommt diesem bösen Spuk auf die Spur, sie untersucht alte und neue Geschichten, um zu zeigen, warum uns Frauen eingetrichtert wird, dass wir um den einen Platz – im Fernsehen, in der Firma, im Karneval usw. – konkurrieren müssten.

Ein Buch von höchster Wichtigkeit, das aufklärt und gleichzeitig unterhält.

Stanislaw Lem – Solaris übersetzt von Irmtraud Zimmermann-Göllheim, illustriert von Anna Stähler, erschienen in der Büchergilde Gutenberg

Solaris zählt zu den ganz großen Klassikern nicht nur der Science-Fiction, sondern der gesamten Literatur des 20. Jahrhunderts. Der Roman ist eine faszinierende Reise in die Weiten des Kosmos und in die Tiefen unserer Wünsche und Träume. Zum 100. Geburtstag von Stanisław Lem gibt die Büchergilde eine aufwendig gestaltete, illustrierte Neuausgabe heraus.

Über Solaris scheinen zwei Sonnen, eine rote und eine blaue. Die gesamte Oberfläche des Planeten ist von einem geheimnisvollen Ozean bedeckt, von dem viele sagen, er sei ein lebendiges Wesen. Kris Kelvin macht sich in einer Raumkapsel auf den weiten Weg von der Erde zu Solaris. Wie viele WissenschaftlerInnen vor ihm will er hinter das Geheimnis des Himmelskörpers kommen. Doch als er in der Forschungsstation eintrifft, warnen ihn seine Kollegen vor einer rätselhaften Gefahr.

Lems Schreiben zeichnet sich durch eine reiche literarische Sprache und philosophische Tiefe aus. Solaris ist ein faszinierender und ungewöhnlicher Roman über Leben auf fernen Planeten, das ganz anders ist als die typischen Darstellungen von Außerirdischen aus Literatur und Film, die oft Menschen oder Tiere zum Vorbild haben. Der Ozean auf Solaris sprengt die menschliche Vorstellungskraft. Er hat nichts mit dem gemein, was wir als Lebewesen kennen, und trotzdem spricht alles dafür, dass er eines ist. Lem interessiert vor allem, wie die Menschen auf dieses Phänomen reagieren, und thematisiert dabei ganz grundsätzliche Fragen: Wie nähern wir uns etwas, das uns fremd ist? Wie gehen wir mit dem um, was wir nicht verstehen?

Die rote Sonne war schon hinter dem Horizont verschwunden, und die schaumgekrönten Wellen verschwammen zu tintiger Wüste. Der Himmel loderte. Über dieser zweifarbigen, unbeschreiblich trostlosen Landschaft fluteten Wolken mit lilafarbenem Saum

Francesca Wade – Square Haunting erschienen im Faber Verlag, aktuell noch nicht auf deutsch erschienen.

Im Mittelpunkt dieses Buches stehen fünf Frauen, die alle zu verschiedenen Zeitpunkten zwischen den Weltkriegen am Mecklenburgh Square in London lebten. Das Bindeglied (abgesehen von dem Platz und der Tatsache, dass sie alle der Mittelschicht angehören) ist das Thema der weiblichen Autonomie, und es zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Es gibt zwei Akademikerinnen: die Historikerin Eileen Power und die Klassizistin Jane Harrison. Die Dichterin und Romanautorin Hilda Doolittle (HD). Die Romanautorin und Schriftstellerin Dorothy L. Sayers. Und schließlich natürlich Ms Bloomsbury, her one and only Virginia Woolf.

Der Platz liegt in der Nähe des Britischen Museums, und sie alle nutzten zeitweise den dortigen Lesesaal. Der Titel ist einem Tagebucheintrag von Woolf aus dem Jahr 1925 entnommen.

‚I like this London life . . . the street-sauntering and square-haunting. –Virginia Woolf, diary, 1925

Ich hatte den Eindruck, dass der Abschnitt über Virginia Woolf zu viel von dem wiederholt, was bereits über sie geschrieben wurde. Die überzeugendsten Porträts waren für mich die von Hilda Doolittle, bekannt als HD, und Dorothy Sayers – und die Verbindungen zwischen ihnen sind faszinierend. Das Konzept des „eigenen Zimmers“ wird durchgehend verwendet, um die Kämpfe und Kosten der weiblichen Unabhängigkeit zu verdeutlichen, aber dieses Zimmer könnte wahrscheinlich genauso gut in einem Oxbridge-College wie in Bloomsbury sein.

Daher war ich von der Bloomsbury-Verbindung als Daseinsberechtigung für das Buch nicht komplett überzeugt – aber die Lebensläufe geben interessante Einblicke in das Leben der Frauen, die den Status quo ihrer Zeit herausforderten und umstürzten und ich habe es sehr gerne gelesen.

Youth is an unsatisfactory period, full of errors, uncertainties and distress. You will grow out of it. What’s more, you were meant to grow out of it, into something more mature and satisfactory. Don’t let middle-aged people get away with the story that this is the best time of your life and that after it there is nothing to look forward to … Go on doing the thing you think you ought, or want, to be doing at the moment, and at about 40 you may discover that you actually are doing it and settle down to enjoy it

Iris Wolff – So tun, als ob es regnet erschienen im Klett Cotta Verlag

Der Erste Weltkrieg bringt einen österreichischen Soldaten in ein Karpatendorf. Eine junge Frau besucht nachts die „Geheime Gesellschaft der Schlaflosen“. Ein Motorradfahrer ist überzeugt, dass er sterben und die Mondlandung der Amerikaner versäumen wird. Eine Frau beobachtet die Ausfahrt eines Fischerbootes, das nie mehr zurückkehren wird. – Über vier Generationen des 20. Jahrhunderts und vier Ländergrenzen hinweg erzählt Iris Wolff davon, wie historische Ereignisse die Lebenswege von Einzelnen prägen. Zwischen Freiheit und Anpassung, Zufall und freiem Willen erfahren ihre Protagonisten: Es gibt Dinge, die zu uns gehören, ohne dass wir wüssten, woher sie kommen. Und es gibt Entscheidungen, die etwas bedeuten, Wege, die unumkehrbar sind, auch wenn wir nie wissen werden, was von einem Leben und den Generationen vor ihm bleiben wird.

Ich habe das Buch gerne gelesen, die Sprache hat mir sehr gefallen, aber den einzelnen Personen bin ich nicht wirklich nahe gekommen. Es ist auch kein Buch das mir noch lange nachgegangen ist, dennoch eine gute kurzweilige Lektüre.

Lea Ypi – Frei übersetzt von Eva Bonné erschienen im Suhrkamp Verlag

Ich traue es mich gar nicht mehr zu schreiben, aber das war tatsächlich auch noch mal ein Lese-Highlight für mich. Was für ein großartiges, fesselndes Buch – das Porträt einer sehr außergewöhnlichen Frau, die einen bemerkenswerten Weg gegangen ist.

Albanien 1989: Der letzte stalinistische Außenposten in Europa, ein isoliertes Land, das man nur schwer besuchen und noch schwerer verlassen kann. Es herrschen Mangelwirtschaft, Geheimpolizei und das Proletariat. Der Kommunismus hat den Platz der Religion übernommen. Für die zehnjährige Lea Ypi ist dieses Land ihr Zuhause: ein Ort der Geborgenheit, des Lernens, der Hoffnung und der Freiheit.

Alles ändert sich, als in Berlin die Mauer fällt und in Tirana Enver Hoxhas Statue vom Sockel stürzt. Jetzt können die Menschen wählen, wen sie wollen, sich kleiden, wie sie wollen, anbeten, was sie wollen. Aber die neue Zeit zeigt bald ihr unfreundliches Gesicht: Skrupellose Geschäftemacher ruinieren die Wirtschaft, die Aussicht auf eine bessere Zukunft löst sich auf in Arbeitslosigkeit und Massenflucht. Als das Land im Chaos zu versinken droht und in ihrer Familie Geheimnisse ans Licht kommen, beginnt Lea sich zu fragen, was das eigentlich ist: Freiheit.

In hinreißender Prosa erzählt Lea Ypi von ihrem Erwachsenwerden im poststalinistischen Albanien und in einer schillernden Familie, deren Geschichte eng mit der des Landes verwoben ist. Frei ist ein fesselndes Memoir und eine scharfsinnige Reflexion über die Grenzen des Fortschritts und die Last der Vergangenheit, über glänzende Ideale und harte Realitäten. Vor allem aber über die Leben von Menschen, die vom Sturm der Geschichte erfasst werden.

For some, leaving was a necessity that went under the official name of ‘transition’. We were a society in transition, it was said, moving from socialism to liberalism, from one-party rule to pluralism, from one place to the other. Opportunities would never come to you, unless you went looking for them, like the half-cockerel in the old Albanian folk tale who travels far away, looking for his kismet, and in the end returns full of gold. For others, leaving the country was an adventure, a childhood dream come true or a way to please their parents. There were those who left and never returned. Those who went and came back soon after. Those who turned the organization of movement into a profession, who opened travel agencies or smuggled people on boats. Those who survived, and became rich. Those who survived, and continued to struggle. And those who died trying to cross the border

So geschafft – das war wie gesagt ein außergewöhnlich großartiger Lesemonat. War für euch was dabei? Welche kennt ihr schon? Welche mochtet ihr oder auch nicht oder auf welche konnte ich euch Lust machen?

Lektüre Juli 2022

Im Juli waren wir mit lieben Freund*innen in Berlin zum Billie Eilish Konzert und haben es auch fast bis auf die Pfaueninsel geschafft, leider fiel unser Besuch dort für den ich das Buch als Berlin Lektüre dabei hatte im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser. Es fing so unfassbar heftig an zu regnen, dass wir die Fähre ohne uns fahren liessen und uns ins Wirtshaus zur Pfaueninsel flüchteten, in der Hoffnung es läßt nach. Tat es aber nicht. Dafür habe ich aber sehr liebe Freundinnen in Berlin getroffen, das hat mich dann wieder versöhnt und wir haben sogar einen kleinen Ausflug in den Spreewald gemacht.

Ansonsten war der Juli sehr heiß, von leider vielen Bruder-Dramen geprägt, ich war aber auch ganz wunderbar mit dem kleinen Neffen Karussell fahren, habe eine Arbeitswoche im Rheinland verbracht und habe daher viel in Zügen, in Hotelzimmern, auf dem Balkon und im kühlen Bettchen gelesen. War ein guter Lesemonat.

Den Anfang machen zwei Bücher, die ich von lieben Freund*innen bekommen habe, die literarisch Abhilfe oder zumindest doch Unterhaltung für meine schlaflosen Nächte schaffen sollten:

Anders Bortne – Schlaflos übersetzt von Sabine Richter erschienen im Mairisch Verlag

Anders Bortne leidet seit 16 Jahren an Schlaflosigkeit. Viele Nächte schläft er überhaupt nicht, manchmal findet er für wenige Stunden Ruhe auf der Couch. Teilweise ist er so müde, dass er seine Kinder nicht im Auto zur Kita bringen kann, aus Angst davor, am Steuer einzuschlafen. Wie er selbst leiden auch seine Familie und sein Umfeld unter seinen Stimmungsschwankungen. Bortne erkennt, dass es so nicht weitergeht, er will eine dauerhafte Lösung für sein Schlafproblem finden und zwar ohne Medikamente.

Und so nimmt uns der Autor mit auf eine Odyssee, bei der er Wissen über Schlaf und Insomnie aus der ganzen Welt zusammenträgt, Ärzte und Schlafforscher besucht und an deren Ende er wirklich eine Lösung für seine Schlafprobleme findet. Ein klug und unterhaltsam erzähltes Buch für alle, die ihren Schlaf besser verstehen und vielleicht endlich einmal wieder fest schlafen möchten.

Habe ich sehr gerne gelesen und auch den einen oder anderen Tipp für mich in den Alltag integriert.

Alle anderen schlafen, jede Nacht, das ganze Leben über. Fünf Stunden, sechs, sieben, acht, neun…
Wäre es nicht Schlaf, sondern Essen, das mir so über sechzehn Jahre hinweg genommen worden wäre, würde ich jetzt aussehen wie eine wandelnde Leiche.

Bernd Brunner – Das Buch der Nacht erschienen im Galiani Verlag

Bernd Brunner streift durch die wundersamen Stunden zwischen Dämmerung und Morgengrauen und beleuchtet unser Verhältnis zur Nacht auf dem Grenzgebiet zwischen Geschichte, Mythologie, Biologie und Literatur.

Jahrtausendelang gab die Natur einen festen Rhythmus vor. Am Tag herrschte rege Geschäftigkeit – doch nach Sonnenuntergang sank alles in die Welt des Schlafs und der Träume. Nur nachtaktive Geschöpfe und leidenschaftliche Noctivaganten wie Goethe, der bei Mondschein schwimmen ging, genossen die Dunkelheit.

Echte Finsternis finden wir heutzutage nur an entlegenen Orten oder paradoxerweise in künstlich geschaffenen Umgebungen, die den Tag zur Nacht machen: Nachttierhäuser oder Dunkelrestaurants, die sich großer Beliebtheit erfreuen.

In Bernd Brunners »Buch der Nacht« begegnen wir mystischen Nachtgestalten, Aberglaube und Bräuchen und begeben uns auf eine Entdeckungsreise, die uns darüber staunen lässt, welche Geheimnisse die Nacht bis heute birgt.

Für den Schriftsteller Alberto Manguel entwickeln die Bücher seiner Bibliothek bei Nacht „Stimmen“, die viel über die Welt, den Platz der Bücher in derselben sowie die Menschen erzählen, die die Bücher geliebt, verteufelt, verbannt oder sogar verbrannt haben. „Bei Licht lesen wir das, was andere ersonnen haben; in der Dunkelheit erfinden wir unsere eigenen Geschichten.“ Und er schrieb: „Die Bibliothek, die in den Morgenstunden die Sehnsucht nach einer streng an Vernunftprinzipien orientierten Weltordnung widerspiegelt, taucht nachts voller Freude ein in das elementare, fröhliche Durcheinander der Welt.“

Emily M. Danforth – Plain Bad Heroines erschienen im William Morrow Verlag mit Illustrationen von Sara Lautman

Mein Hörbuch diesen Monat. Hat mir richtig gut gefallen. Ein düster atmosphärisches Sommerbuch, eine seltene Kombination.

Die Geschichte beginnt im Jahr 1902 an der Brookhants School for Girls. Flo und Clara, zwei Schülerinnen, sind hin und weg: voneinander und von einer spannendenden jungen Schriftstellerin namens Mary MacLane, deren Werk sie verschlingen. Um ihre Verehrung für Mary zu zeigen, gründen die Mädchen ihren eigenen Club und nennen ihn „The Plain Bad Heroine Society“. Sie treffen sich heimlich in einer nahe gelegenen Apfelplantage, dem Ort an dem sie die schönsten Stunden erleben, am Ende aber leider auch auf schreckliche Weise zu Tode kommen. Ihre Leichen werden neben einem Exemplar von Marys Buch gefunden wo sie Opfer eines Schwarms von wütenden Wespen wurden. Weniger als fünf Jahre später schließt die Brookhants School for Girls für immer ihre Pforten – nach dem drei weitere Menschen auf mysteriöse Weise auf dem Gelände sterben, jede auf höchst beunruhigende Weise.

Eine Geschichte in einer Geschichte in einer Geschichte und mit wunderbaren Schwarz-Weiß-Illustrationen die ich zum Glück im Internet finden konnte, die beim Hörbuch natürlich fehlen. Toller Sommer-Gothic-Noir-Thriller mit einigen gruseligen Momenten, einem leider etwas schwachen Ende und nach der Lektüre hat man noch weniger Lust auf Wespen als eventuell vorher schon.

Emily M. Danforths erstes Buch „The Miseducation of Cameron Post“ wurde ein riesiger Erfolg der auch verfilmt wurde – Buch und Film stehen ganz weit oben auf meiner Liste…
Große Lust hat mir der Roman auch auf Mary MacLanes Buch „Ich erwarte die Ankunft des Teufels“ – würde sich sicherlich perfekt in Kombination mit „Plain Bad Heroines“ lesen.

Eleanor Faderman knew many books. But never before had she read a book that seemed to know her.

Adeline Dieudonné – Bonobo Moussaka übersetzt von Sina de Malafosse erschienen im dtv Verlag

Weihnachten ist das Fest der Familie. Daher nimmt sie ihre beiden Kinder mit zu ihrem Cousin, der die alleinerziehende Mutter großmütig eingeladen hat, sich mit seiner Musterfamilie und der Familie eines befreundeten Bankers an den üppig gedeckten Tisch zu setzen. Ein Essen in seliger Eintracht? Nicht ganz … Denn lauscht man dieser jungen Frau von heute (die Adeline Dieudonné gar nicht so unähnlich ist), offenbart sich, was sie angesichts der virulenten Themen unserer Gesellschaft fühlt und denkt. Doch sie wird sich nicht unterkriegen lassen. Schließlich hat sie zwei Kinder in diese Welt gesetzt und wird alles dafür tun, dass sie eine Zukunft haben.

Selten wechseln Lachanfälle und Momente in denen einem krass das Lachen im Hals stecken bleibt so rasant wie in diesem kleinen Büchlein. Definitiv eines das noch lange nachhallt und sich hartnäckig in den Gehirnwindungen festsetzt und von dem ich sicher bin, dass es demnächst auf der Theaterbühne zu sehen sein wird.

Lustigerweise entspricht das Haus genau der Definition von einem „sehr hübschen Haus am Stadtrand“. Es würde sich sehr gut auf dem Werbebanner einer Immobilienfirma machen, die eine neue Wohnsiedlung plant. Auf mich macht das Haus allerdings eher einen eher traurigen Eindruck

Viktor E. Frankl – Man’s search for meaning auf deutsch unter dem Titel „Trotzdem ja sagen zum Leben“ im Penguin Verlag.

Mehrere Jahre musste der österreichische Psychologe Viktor E. Frankl in deutschen Konzentrationslagern verbringen. Doch trotz all des Leids, das er dort sah und erlebte, kam er zu dem Schluss, dass es selbst an Orten der größten Unmenschlichkeit möglich ist, einen Sinn im Leben zu sehen. Seine Erinnerungen, die er in diesem Buch festhielt und die über Jahrzehnte Millionen von Menschen bewegten, sollen weder Mitleid erregen noch Anklage erheben. Sie sollen Kraft zum Leben geben.

Viktor E. Frankl, geboren 1905, war Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien und Professor für Logotherapie u. a. in San Diego, Kalifornien. Er war Inhaber von 29 Ehrendoktoraten, und seine Bücher wurden in 22 Sprachen übersetzt. Die Erinnerungen an seine Zeit im Konzentrationslager – haben seit Erscheinen 1946 Millionen von Lesern bewegt. Viktor E. Frankl starb 1997 in Wien.

Wir haben das Buch gemeinsam im Bookclub gelesen und sind gemeinsam zu dem Schluß gekommen, dass das wirklich eines der wichtigsten Bücher unserer Zeit ist. Unfassbar wieviel ein Mensch aushalten kann.

Everything can be taken from a man but one thing: the last of the human freedoms—to choose one’s attitude in any given set of circumstances, to choose one’s own way.

Thomas Hettche – Pfaueninsel erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag

Eine Insel außerhalb der Zeit

Die Pfaueninsel in der Havel ist ein künstliches Paradies. In seinem opulenten, kundigen und anrührenden Roman erzählt Thomas Hettche von dessen Blüte, Reife und Verfall aus der Perspektive des kleinwüchsigen Schlossfräuleins Marie, in deren Lebenslauf sich die Geschichte eines ganzen Jahrhunderts verdichtet.Es mutet an wie ein modernes Märchen, denn es beginnt mit einer Königin, die einen Zwerg trifft und sich fürchterlich erschrickt. Kaum acht Wochen nach dieser Begegnung auf der Pfaueninsel, am 19. Juli 1810, ist die junge Königin Luise tot – und der kleinwüchsige Christian und seine Schwester Marie leben fortan weiter mit dem entsetzten Ausruf der Königin: »Monster!« Damit ist die Dimension dieser Geschichte eröffnet.

Am Beispiel von Marie, die zwischen den Befreiungskriegen und der Restauration,zwischen Palmenhaus und Menagerie, Gartenkunst und philosophischen Gesprächen aufwächst und der königlichen Familie bei deren Besuchen zur Hand geht, erzählt Thomas Hettche von der Zurichtung der Natur, der Würde des Menschen, dem Wesen der Zeit und der Empfindsamkeit der Seele und des Leibes.Dabei geht es um die Gestaltung dieses preußischen Arkadiens durch den Gartenkünstler Lenné und um all das, was es bevölkerte: Palmen, Kängurus und Löwen, Hofgärtner, Prinzen, Südseeinsulaner, Riesen, Zwerge und Mohren – und es geht um die Liebe in ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen.Thomas Hettche ist das Kunststück gelungen, mit dem historisch verbürgten Personal seiner Geschichte von uns Heutigen zu erzählen. Atmosphärisch, detailgetreu und voller Lust an der phantasievollen Ausschmückung.

Wundervoller Roman, der zurecht vor ein paar Jahren den Deutschen Buchpreis gewonnen hat. Habe ich sehr gerne gelesen und nun fehlt nur noch der Besuch auf der Pfaueninsel, aber das wird sicherlich irgendwann einmal klappen.

Alles Künstliche verschwand in dem Moment, in dem der Wille verschwand, es zu erhalten, und was eben noch modern gewesen war und Versprechen einer neuen Zeit, sank lautlos und kraftlos als Mode zurück ins Vergessen. Das Vergehen der Zeit, dachte sie, war ja vor allem ein Vergehen von Zukunft und ein Sieg der Vergangenheit.

Irene Vallejo – Papyrus. Die Geschichte der Welt in Büchern übersetzt von Maria Meinel und Luis Ruby erschienen im Diogenes Verlag

„Papyrus“ erzählt die Geschichte des Buches, eines Artefakts, das die Menschheit seit fast dreitausend Jahren fasziniert und das es in den unterschiedlichsten Formen gegeben hat: aus Rauch, Stein, Ton, Schilf, Seide, Leder, Holz und neu auch aus Kunststoff und Licht. Auf ihrer Entdeckungsreise führt uns Irene Vallejo von den Schlachtfeldern Alexanders des Großen und den Palästen der Kleopatra über die ersten Buchhandlungen bis in das unterirdische Labyrinth des heutigen Oxford und verbindet dabei gekonnt klassische Werke mit der Gegenwart: Seneca mit postfaktischer Wahrheit, Aristophanes mit der Provokation durch Karikaturen oder Sappho mit dem weiblichen Blick. Ein Sachbuch, das sich liest wie ein Abenteuerroman – und eine leidenschaftliche Hommage an die Welt der Bücher.

Die Leidenschaft des Büchersammlers gleicht der eines Reisenden. Jede Bibliothek ist eine Reise; jedes Buch ist ein Fahrschein mit unbegrenzter Gültigkeit. Alexander zog durch Afrika und Asien, ohne sich von seinem Exemplar der Illias zu trennen; Historikern zufolge suchte er darin Rat und nährte seine Sehnsucht nach höherer Bedeutung. Die Lektüre eröffnete ihm, wie ein Kompass, Wege ins Unbekannte

Große Empfehlung für alle Bücher-Verrückten und Menschen mit Interesse für die Antike. Eine außergewöhnliche Weltgeschichte die meine Leseliste wieder immens befüllt hat. Ein Buch das sich auch ganz wunderbar verschenken läßt.

Klaus Cäsar Zehrer – Das Genie erschienen im Diogenes Verlag

1886 landet der junge ukrainische Einwanderer Boris Sidis in New York. Er hat keinen Cent in der Tasche, aber einen brillanten Geist und den großen Ehrgeiz, die Welt von Dummheit und Krieg zu befreien – durch Bildung. Wenige Jahre später, Boris ist inzwischen Harvard-Absolvent und ein berühmter Psychologe, wird sein Sohn geboren. Boris will an ihm demonstrieren, dass sich jedes Kind zum Genie erziehen lässt, wenn es von Anfang an die richtige Förderung bekommt. Der Erfolg ist durchschlagend: Der kleine William James bricht alle Rekorde, macht mit acht Jahren seinen High-School-Abschluss und wird als »Wunderjunge von Harvard« gefeiert. Doch als Erwachsener hat William nur noch einen Wunsch: ein selbstbestimmtes Leben nach seinen Vorstellungen zu führen, auch wenn er dafür mit den Erwartungen seiner Eltern und der Gesellschaft brechen muss. Kein einfaches Ziel in einer Zeit, in der Unangepasstheit nicht sonderlich geschätzt wird und zwei Weltkriege sowie eine schwere Wirtschaftskrise die Welt erschüttern. Ein biographischer Roman über die faszinierende, wahre Lebensgeschichte des exzentrischen Genies William James Sidis (1898–1944), bewegend und verblüffend aktuell.

Am besten, dachte er, wäre es, wenn man für jede wiederkehrende Situation im Leben eine eindeutige Handlungsanweisung hätte. Dann müsste man nie mehr überlegen, was man tun soll und wie. Er nahm ein Notizbuch und schrieb auf, wie er sich künftig verhalten wollte.

Krasse Geschichte und hätte ich nicht gewusst, dass es sich um einen biografischen Roman handelt, ich hätte niemals geglaubt, dass irgendjemand sein Kind erzieht wie es Boris Sidis mit seinem Sohn gemacht hat. Habe ich ebenfalls sehr gerne gelesen und kann es absolut empfehlen.

Das war ein sehr guter Lesemonat mit keinerlei Enttäuschungen.

Welches der Bücher kennt ihr bereits, auf welches konnte ich euch Lust machen? Freue mich immer sehr, von Euch zu hören.

Lektüre Juni 2022

Der Lesemonat Juni war insbesonders von unserer Reise nach New York geprägt, nicht nur was die entsprechende New York Lektüre betrifft, sondern auch die damit verbundene gestiegene Lesezeit, die dem Flug und dem Jetlag geschuldet war. Ich habe mich darüberhinaus intensiv mit Mary Shelley und Mary Wollstonecraft beschäftigt, mich bei einem CliFi Roman mit unserer Zukunft beschäftigt und durch einen danach folgenden Zeitreise Thriller ein bisschen dem Escapismus hingeben können. Ein guter Lesemonat, einzig Anne Tyler unsere Bookclub Lektüre des Monats konnte mich nicht ganz so in ihren Bann ziehen.

Aber jetzt zum Einblick in die Bücher die ich letzten Monat gelesen haben und welche davon wem ans Herz legen möchte:

Doris Dörrie – Die Heldin reist erschienen im Diogenes Verlag

Döris Dörrie erzählt in ihrem autofiktionalen Buch von drei Reisen – nach San Francisco, nach Japan und nach Marokko – und davon, als Frau in der Welt unterwegs zu sein. In Anlehnung an Joseph Campbells berühmtem „Der Heros in tausend Gestalten“ beschäftigt sie sich mit der Heldin die in die Welt hinaus muss und Abenteuer erleben um eben eine Heldin zu werden.

Dörries Bücher sind immer wie eine wunderbare elegante Sommerbrise, ich lese sie so so gerne, komischerweise kommt sie mir nie in den Sinn, wenn ich von meinen Lieblingsautorinnen spreche. Vielleicht weil ihre Bücher meist schmal sind, sich nicht zu ernst nehmen und nicht schwergewichtig daherkommen und das macht eigentlich einen großen Teil ihres Zaubers aus.

Der Held muss also aus dem Haus, um ein Held zu werden. Und die Heldin? Sie ist gar keine Heldin, sondern die Frau des Helden, sie bleibt, wo sie ist, und beschützt das Haus. Sie ist die Hausfrau, die Frau im Haus. Sie auch deshalb dableiben, damit jemand zu Hause ist, wenn der siegreiche Held zurückkehrt. Sie darf nicht ausziehen, um das Fürchten zu lernen, aber das muss sie auch gar nicht, denn sie hat ja sowieso permanent Angst. Sie macht sich ständig Sorgen, am meisten um den Helden. Der Held wiederum macht sich keine um sie, denn er kann sich darauf verlassen, dass sie geduldig auf seine Rückkehr wartet und in seiner Abwesenheit kratzige Pullover webt.

Passende Lektüre für alle die Lust haben sich Herz und Horizont erweitern zu lassen.

Teju Cole – Open City, übersetzt von Christine Richter-Nilsson im Suhrkamp Verlag

Julius, ein junger Psychiater, durchstreift die Straßen Manhattans, allein und ohne Ziel, stundenlang. Die Bewegung ist ein Ausgleich zur Arbeit, sie strukturiert seine Abende, seine Gedanken. Er lässt sich treiben, und während seine Schritte ihn tragen, denkt er an seine kürzlich zerbrochene Liebesbeziehung, seine Kindheit, seine Isolation in dieser Metropole voller Menschen. Fast unmerklich verzaubert sein Blick die Umgebung, die Stadt blättert sich vor ihm auf, offenbart die Spuren der Menschen, die früher hier lebten. Mit jeder Begegnung, jeder neuen Entdeckung gerät Julius tiefer hinein in die verborgene Gegenwart New Yorks – und schließlich in seine eigene, ihm fremd gewordene Vergangenheit.

Anfänglich erlebte ich die Straßen als eine unaufhörliche Geräuschkulisse, ein Schock nach der Konzentration und relativen Ruhe des Tages, so als zerrisse jemand die Stille einer abgeschiedenen Kapelle mit einem dröhnenden Fernseher

Passende Lektüre, insbesondere in dem kleinen Suhrkamp Format, um es in die Tasche zu stecken, während man durch New Yorks Straßen läuft und es morgens um 5 bei schwarzem Kaffee in einem Diner zu lesen.

Bill Hayes – Insomniac City erschienen im Bloomsbury Verlag

Bill Hayes kam 2009 mit einem One-Way-Ticket nach New York City und hatte nur eine vage Vorstellung davon, wie er zurechtkommen würde. Aber mit 48, nach Jahrzehnten in San Francisco und dem Tod seines Partners, brauchte er einfach Veränderung und fand Trost im unaufhörlichen Rhythmus der Stadt, dem Anblick des Empire State Buildings im Nachthimmel und die New Yorker die der an Insomnia leidende Hayes bei seinen nächtlichen Spaziergängen traf.

Und ganz unverhofft verliebt er sich wieder. In seinen Freund und Nachbarn, den Schriftsteller und Neurologen Oliver Sacks. Hayes zeichnet ein liebevolles Porträt Oliver Sacks‘ und zeigt ihn von seiner persönlichsten und liebenswertesten Seite. Er beschreibt wie sich Sacks im Alter von fünfundsiebzig Jahren zum ersten Mal im Leben verliebt, über die glücklichen gemeinsamen Jahre bis zur Auseinandersetzung mit Oliver Sacks Krankheit und seinem Tod im August 2015.

I suppose it’s a cliché to say you’re glad to be alive, that life is short, but to say you’re glad to be not dead requires a specific intimacy with loss that comes only with age or deep experience. One has to know not simply what dying is like, but to know death itself, in all its absoluteness. After all, there are many ways to die—peacefully, violently, suddenly, slowly, happily, unhappily, too soon. But to be dead—one either is or isn’t. The same cannot be said of aliveness, of which there are countless degrees. One can be alive but half-asleep or half-noticing as the years fly, no matter how fully oxygenated the blood and brain or how steadily the heart beats. Fortunately, this is a reversible condition. One can learn to be alert to the extraordinary and press pause—to memorize moments of the everyday.

Für alle Insomniacs die Spaß an skurillen Begegnungen haben die sich gerne von einer berührenden Liebesgeschichte verzaubern lassen.

Charlotte Gordon – Romantic Outlaws: The extraordinary lives of Mary Wollstonecraft & Mary Shelley erschienen im Penguin Verlag

Romantic Outlaws ist das erste Buch, das die Geschichte des leidenschaftlichen und außergewöhnlichen Lebens von Mary Wollstonecraft – englische Feministin und Autorin des bahnbrechenden Buches „The Vindication of the Rights of Women“ – und ihrer Tochter Mary Shelley, Autorin von Frankenstein, erzählt.

Obwohl sie Mutter und Tochter waren, haben sich diese beiden brillanten Frauen nie gekannt – Wollstonecraft starb 1797 im Alter von 38 Jahren, eine Woche nach ihrer Geburt, an einer Infektion. Dennoch waren ihre Leben so eng miteinander verwoben, ihre Entscheidungen, Träume und Tragödien so unheimlich ähnlich, dass es unmöglich scheint, die eine ohne die andere zu betrachten.

Beide Frauen wurden berühmte Schriftstellerinnen, verliebten sich in brillante, aber unmögliche Männer, waren alleinerziehende Mütter, die außereheliche Kinder bekamen, lebten im Exil, kämpften um ihre Stellung in der Gesellschaft und machten sich unentwegt Gedanken darüber, wie sie leben sollten. Und beide Frauen brachen mit fast allen starren Konventionen, die es zu brechen gab: Wollstonecraft verfolgte Piraten in Skandinavien. Shelley nahm es in Neapel mit Banditen auf. Wollstonecraft segelte nach Paris, um die Revolution mitzuerleben. Shelley brannte auf einem Fischerboot mit einem verheirateten Mann durch. Wollstonecraft verkündete, dass die Freiheit der Frauen für jeden von Bedeutung sein sollte.

Wollstonecraft setzte sich nicht nur für die Rechte der Frauen ein, sondern entfachte mit ihrem Werk auch die Romantik. Sie inspirierte Coleridge, Wordsworth und eine ganze neue Generation von Schriftstellern, darunter auch ihre eigene Tochter, die – zusammen mit ihrem jungen Liebhaber Percy Shelley – Wollstonecrafts Werk an ihrem Grab laut vorlas. Mit gerade einmal neunzehn Jahren und als frischgebackene Mutter schrieb Mary Shelley Frankenstein, während sie mit Percy und Lord Byron (der prompt ein Kind von Marys Stiefschwester zeugte) durch Italien reiste. Es ist ein bahnbrechender Roman, der die Grenzen der menschlichen Natur und die Macht der Erfindungen in einer Zeit großer religiöser und wissenschaftlicher Umwälzungen erkundet. Darüber hinaus wurde Mary Shelley nach dem frühen Tod ihres Mannes zur Herausgeberin seiner Gedichte – eine wissenschaftliche Leistung, die seinen literarischen Ruf begründete.

Romantic Outlaws bringt zwei visionäre Frauen zusammen, die eigentlich ein gemeinsames Leben hätten führen sollen, stattdessen aber ein starkes literarisches und feministisches Vermächtnis hinterlassen haben. Dieses Buch war mein Highlight im Juni, ich kann es euch gar nicht genug ans Herz legen.

Both women were what Wollstonecraft termed “outlaws.” Not only did they write world-changing books, they broke from the strictures that governed women’s conduct, not once but time and again, profoundly challenging the moral code of the day. Their refusal to bow down, to subside and surrender, to be quiet and subservient, to apologize and hide, makes their lives as memorable as the words they left behind. They asserted their right to determine their own destinies, starting a revolution that has yet to end.

Perfekte Lektüre für alle die zwei wahnsinnig inspirierende, spannende Frauen kennenlernen möchten, die schon BadAss waren bevor es dieses Wort überhaupt gab und für die dieser Begriff wahrscheinlich erfunden wurde.

Mary Wollstonecraft – Eine Verteidigung der Rechte der Frau übersetzt von Edith Schotte

Bildung und freie Entfaltung für Frauen aller Schichten, das war die wichtigste Forderung von Mary Wollstonecraft. Sie war eine feministische Aufklärerin und maßgebliche Vordenkerin der Frauenbewegung. Ohne Frauen wie sie, hätte sich die Lage der Frauen nie entscheidend verbessern können.

Lehrt sie zu denken!“ Diese Aufforderung richtete Wollstonecraft an Lehrer, an Gouvernanten, an Mütter und Väter, an alle, die für die Erziehung von Mädchen verantwortlich waren. Denn sie wollte die Frauenbildung ihrer Zeit revolutionieren. Ungebildet, hinterhältig und oberflächlich, so sah Wollstonecraft ihre Zeitgenossinnen. Schuld daran war eine verlogene Gesellschaft, die den Frauen intellektuelle Bildung verwehrte. Als feministische Aufklärerin kämpfte Wollstonecraft für die Bildung und die freie Entfaltung von Frauen aller Schichten. Mit ihrem Anliegen hat sie Maßstäbe gesetzt und war eine wichtige Vordenkerin für die kommenden Frauenbewegungen.

Männer besitzen mehr Körperkräfte, doch gäbe es nicht diese falschen Schönheitsauffassungen, dann würden die Frauen ihren Körper genügend stärken, um sich ihren Lebensunterhalt verdienen zu können, da allein dies die wahre Unabhängigkeit bedeutet.

Mich hat die Aktualität, Radikalität und Präzision von Wollstonecrafts Gedanken total umgehauen. Wir stehen in der Tat auf Schultern von Riesinnen.

Für alle die das tatsächliche Werk hinter der berühmten Frau kennenlernen wollen.

Sylvia Taschka – Wiederkunft erschienen im Prinzengarten Verlag

Im Jahr 2187 bestimmen Wasserknappheit und Wetterextreme den Alltag in den noch bewohnbaren Teilen der Erde.
Die brilliante Klimatologin Elli Pryce lebt zurückgezogen in der greeneuropäischen Hauptstadt Berlin. Sie kümmert sich lieber um den vernachlässigten Nachbarsjungen Aadalish als um ihre Beraterstelle der northernamericanischen Regierung.

Clif-Fi trifft SciFi trifft Fantasy. Ein interessanter Roman, den ich gerne gelesen habe, der zum nachdenken anregt, allerdings hätte ich auf den fantastischen Anteil (Wiederkehrer/Engel) gut verzichten können. Ich hätte mich gerne noch intensiver mit der Realität der Welt im Jahr 2187 beschäftigt.

Ein Buch über dessen Ideen man wunderbar bei einem Glas Wein philosophieren kann – ich werde den Roman demnächst in meiner „Women in SciFi“ Reihe noch etwas genauer vorstellen.

Im Innenhof waren zahlreiche Bäume gestanden. Diese waren mittlerweile alle wegen der zahlreichen Stürme und der Unfallgefahr gefällt. Statt der Bäume hatte man als Sonnenschutz eine Art durchsichtige Haut über den ganzen Hof gespannt, die an den Seiten von gigantischen, stählernen Pfosten gehalten wurde

Ein Buch für Fantasy-Fans mit Interesse für CliFi und Lust am spekulieren darüber haben, wohin sich unsere Welt in näherer und fernerer Zukunft entwickelt.

Das Buch habe ich im Übrigen als Rezensionsexemplar erhalten.

Lauren Beukes – The Shining Girls übersetzt von Karolina Fell erschienen im Rowohlt Verlag

Chicago zur Zeit der Großen Depression. Harper Curtis lebt auf der Straße. Er ist kaltblütig, hochgefährlich, von Wahnvorstellungen getrieben. Seit er die strahlend schöne Tänzerin Jeanette sah, träumt er von seinen «Shining Girls». Er will nur eines: ihr Licht für immer auslöschen. Eines Tages fällt ihm der Schlüssel zu einem alten Haus in die Hände – ein Portal. Von nun an reist Harper durch die Zeit, um zu töten. Niemand kann ihn stoppen, keiner vermag die Spuren zu deuten, die er am Tatort hinterlässt. Dinge, die noch nicht oder nicht mehr existieren. Doch dann überlebt eines von Harpers Opfern. Der jungen Kirby gelingt es, die seltsamen Puzzleteile zusammenzusetzen. Und sie beginnt, den Killer durch die Zeit zu jagen.

The problem with snapshots is that they replace actual memories. You lock down the moment and it becomes all there is of it.

Für Fans von intelligenten Thrillern mit Zeitreise-Thematik, die allerdings nicht allzu zart besaitet sein sollten. Wurde auch als Mini-Serie verfilmt. Hier der Trailer:

Anne Tyler – Digging to America auf deutsch unter dem Titel „Tag der Ankunft“ übersetzt von Christine Frick-Gerke, erschienen im List Verlag

Zwei ganz verschiedene Familien, eine amerikanische und eine iranische, lernen sich auf dem Flughafen in Baltimore kennen. Hätten sie nicht beide ein koreanisches Kind adoptiert, sie wären sich wohl nie begegnet. Es entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen den ungleichen Familien, die fast alle Mitglieder auf immer verändern wird.

Jedes Jahr am Jahrestag des „Ankunftstages“ feiern die beiden Großfamilien gemeinsam mit immer aufwändigeren Partys, und begleiten Susan und Jin-ho dabei wie sie Wurzeln schlagen und zu Amerikanerinnen werden.

Anne Tyler kann definitiv gut schreiben, aber das Buch war nichts für mich. Ich empfand die ständigen Parties als repetitiv und konnte mit keinem der Protagonist*innen viel anfangen. Da ich grundsätzlich nicht so der Typ „Familienroman“ bin, muss das nicht gegen das Buch sprechen, allerdings wurde es auch im Bookclub von einer Hälfte heiß geliebt, die andere war zu Tode gelangweilt.

Isn’t it odd,” Maryam said. “Just like that, a completely unknown person is a part of their family forever. Well, of course that’s true of a birth child, too, but … I don’t know, this seems more astonishing.” “To me, both are astonishing,” Dave said. “I remember before Bitsy was born, I used to worry she might not be compatible with the two of us. I told Connie, ‘Look at how long we took deciding whom we’d marry, but this baby’s waltzing in out of nowhere, not so much as a background check or a personality quiz. What if it turns out we don’t have any shared interests?

So meine Lieben – das war mein Lese-Juni. Welche Bücher kennt ihr bereits? Auf welche konnte ich euch Lust machen?

Freue mich wie immer sehr von Euch zu hören.

Lektüre März 2022

Mich wieder vermehrt in Bücher verkrochen, um den Nachrichten weitestgehend zu entkommen. Ein guter Lesemonat mit einigen großartigen Büchern. Ich hoffe, ich kann Euch Lust auf das eine oder andere Buch machen.

Lighthousekeeping – Jeanette Winterson auf deutsch unter dem Titel „Der Leuchtturmwärter“ im Berlin Verlag erschienen, übersetzt von Monika Schmalz

Habe bislang jedes ihrer Bücher sehr sehr gerne gelesen. Lighthousekeeping war da keine Ausnahme. Was für eine schöne poetische, spannende Geschichte um die tutter- und ankerlose Silver, die vom „zeitlosen“ Mr. Pew, dem Wärter des Leuchtturms von Cape Wrath, aufgenommen wird. Pew erzählt Silver uralte Geschichten von Sehnsucht und Wurzellosigkeit, von Bindungen, die bleiben und von Entgleisungen, die jedes Leben mit sich bringt.

As for myself, I am splintered by great waves. I am coloured glass from a church window long since shattered. I find pieces of myself everywhere, and I cut myself handling them.

Plötzlich an jenem Abend – Daphne Du Maurier

Obwohl sie oft als romantische Autorin eingestuft wird, sind ihre Kurzgeschichten durchweg stimmungsvoll, düster und voller paranormaler Untertönen. Ihre Bestseller wurden von den Kritikern zunächst nicht ernst genommen, haben sich aber inzwischen einen bleibenden Ruf für ihr erzählerisches Handwerk erworben. Viele von ihnen wurden erfolgreich verfilmt, darunter die Romane Rebecca, Frenchman’s Creek, My Cousin Rachel und Jamaica Inn sowie die Kurzgeschichten „The Birds“ und „Don’t Look Now“.

Du Maurier verbrachte einen Großteil ihres Lebens in Cornwall, wo auch die meisten ihrer Werke spielen. Ich kann diese Kurzgeschichtensammlung nur jedem ans Herz legen, einfach unfassbar gut. Muss jetzt unbedingt Hitchcocks „Die Vögel“ nochmal ansehen, obwohl ich gemerkt habe, wie sehr du Mauriers Kurzgeschichte und die Verfilmung voneinander abweichen.

Nat listened to the tearing sound of splintering wood, and wondered how many million years of memory were stored in those little brains, behind the stabbing beaks, the piercing eyes, now giving them this instinct to destroy mankind with all the deft precision of machines.” (The Birds)

The Darkening Age – Catherine Nixey übersetzt von Cornelius Hartz unter dem Titel „Heiliger Zorn. Wie die frühen Christen die Antike zerstörten“. Deutsche Verlags-Anstalt

„The darkening age“ ist die weitgehend unbekannte Geschichte, wie eine militante Religion die Lehren der klassischen Welt umfassend und voller Absicht auslöschte und Jahrhunderte des bedingungslosen Festhaltens an dem „einen wahren Glauben“ einleitete.

Trotz der seit langem vorherrschenden Vorstellung, dass die frühen Christen sanftmütig und mild waren und in den Märtyrertod gingen, indem sie Hymnen der Liebe und des Lobes sangen, sieht die Wahrheit, wie Catherine Nixey zeigt, ganz anders aus. Sie waren alles andere als sanftmütig und mild, sondern gewalttätig, rücksichtslos und von Grund auf intolerant. Anders als in der polytheistischen Welt, in der die Hinzufügung einer neuen Religion keinen grundlegenden Unterschied zu den alten machte, erklärte diese neue Ideologie nicht nur, dass sie der Weg, die Wahrheit und das Licht sei, sondern auch, dass jeder andere Weg falsch sei und zerstört werden müsse. Vom 1. bis zum 6. Jahrhundert wurden diejenigen, die nicht mit ihren Überzeugungen konform gingen, auf jede erdenkliche Weise verfolgt: sozial, rechtlich, finanziell und physisch. Ihre Altäre wurden umgestürzt und ihre Tempel zerstört, ihre Statuen zerhackt und ihre Priester getötet. Es war komplette Auslöschung.

Anschaulich geschrieben und äußerst fesselnd – das bemerkenswerte Debüt einer brillanten jungen Historikerin.

It wasn’t just the fact that Christians were ignorant about philosophical theories that annoyed Celsus; it was that Christians actually reveled in their ignorance.

Sprache und Sein – Kübra Gümüşay erschienen im Hanser Verlag

Kübra Gümüşay beschreibt wie Sprache unser Denken prägt und unsere Politik bestimmt. Dieses Buch folgt einer Sehnsucht: nach einer Sprache, die Menschen nicht auf Kategorien reduziert. Nach einem Sprechen, das sie in ihrem Facettenreichtum existieren lässt. Nach wirklich gemeinschaftlichem Denken in einer sich polarisierenden Welt. Kübra Gümüşay setzt sich seit langem für Gleichberechtigung und Diskurse auf Augenhöhe ein. In ihrem ersten Buch geht sie der Frage nach, wie Sprache unser Denken prägt und unsere Politik bestimmt. Sie zeigt, wie Menschen als Individuen unsichtbar werden, wenn sie immer als Teil einer Gruppe gesehen werden – und sich nur als solche äußern dürfen.

Wer also trotz der Auseinandersetzung mit einer gerechteren Sprache auf der Verwendung ächtender Sprache beharrt, der bekennt sich zur Ächtung von Menschen und positioniert sich bewusst gegen Gerechtigkeit, gegen die Gleichstellung der Geschlechter – für rassistische, sexistische, menschenfeindliche Sprachnutzung.

Civilisations: How do we look – Mary Beard

Die renommierte Klassizistin Mary Beard hat diesen eleganten Band über die Art und Weise, wie wir Kunst betrachten, als prachtvoll illustriertes Begleitbuch zu den berühmten TV-Sendungen „How Do We Look“ und „The Eye of Faith“ konzipiert. In Teil I konzentriert sich Beard auf die Olmekenköpfe des frühen Mesoamerikas, die kolossalen Statuen des Pharaos Amenhotep III. und die Akte des klassischen Griechenlands.

In Teil II stellt Beard einige der atemberaubendsten religiösen Bilder vor, die je geschaffen wurden – ob in Angkor Wat, Ravenna, Venedig oder in der Kunst jüdischer und islamischer Kalligraphen -, um zu zeigen, dass alle Religionen, ob alt oder modern, bei dem Versuch, das Göttliche darzustellen, vor unlösbaren Problemen standen.

One of its (civilisations) most powerful weapons has always been ‚barbarity‘: ‚we‘ know that ‚we‘ are civilised by contrasting ourselves with those we deem to be uncivilised, with those who do not -or cannot be trusted to – share our values. Civilisation is a process of exclusion as well as inclusion. The boundary between ‚us‘ and ‚them‘ may be an internal one (for much of world history the idea of a ‚civilised woman‘ has been a contradiction in terms), or an external one, as the word ‚barbarian‘ suggests; it was originally a derogatory and ethnocentric ancient Greek term for foreigners you could not understand, because they spoke in an incomprehensible babble: ‚bar-bar-bar …‘ The inconvenient truth, of course, is that so-called ‚barbarians‘ may be no more than those with a different view from ourselves of what it is to be civilised, and of what matters in human culture. In the end, one person’s barbarity is another person’s civilisation.

The Origins of Species – Charles Darwin

OK – an dem Band habe ich schon eine ganze Weile lang hingelesen, aber es war jede Minute wert. Ein Buch das so viel einfacher und angenehmer zu lesen war, als ich es mir jemals hätte träumen lassen.

Darwins hervorragend lesbare Erforschung des Evolutionsprozesses gilt noch immer als eines der wichtigsten und bahnbrechendsten wissenschaftlichen Werke aller Zeiten und stellte die meisten festen Überzeugungen der westlichen Welt in Frage. Jahrhunderts wurden die Leser gezwungen, die Idee eines Schöpfers in Frage zu stellen, und sahen sich mit Darwins Theorien über die Gesetze der natürlichen Selektion und den Zufall der Evolution konfrontiert, was zu jener Zeit zu massiven Kontroversen führte. Darwins Theorien bilden jedoch auch heute noch das Rückgrat der modernen Biologie.

I think it inevitably follows, that as new species in the course of time are formed through natural selection, others will become rarer and rarer, and finally extinct. The forms which stand in closest competition with those undergoing modification and improvement will naturally suffer most.

Lilith’s Brood – Octavia E. Butler erschienen im Heyne Verlag „Die Genhändler“ Übersetzt von Barbara Heidkamp

Octavia Buttler veröffentlichte ihre Xenogenesis-Trilogie (später unter dem Titel Lilith’s Brood zusammengefasst) nachdem sie in den 1980er Jahren wichtige SciFi Preise wie den Hugo Award gewonnen hatte. In der Trilogie geht es um die Rettung der Menschheit nach einem verheerenden Krieg; die Überlebenden treffen auf eine Alien-Rasse, die ein drittes Geschlecht besitzt, welches nicht nur die anderen beiden Geschlechter mental miteinander verknüpfen, sondern sie auch genetisch verändern kann.

In der Xenogenesis-Trilogie werden die Themen Sexualität, Geschlecht, Rasse und Spezies erforscht. Die Oankali glauben, dass die menschliche Spezies einen unausweichlichen selbstzerstörerischen „Widerspruch“ zwischen ihrer hohen Intelligenz und ihrer hierarchischen Natur hat.

Eine der ungewöhnlichsten SciFi Stories die ich je gelesen habe.

Intelligence is relatively new to life on Earth, but your hierarchical tendencies are ancient.

Das Seelenhaus – Hannah Kent erschienen im Droemer Verlag übersetzt von: Leonie Reppert-Bismarck

Island 1828. Agnes ist eine selbstbewusste und verschlossene Frau. Sie wird als hart ­arbeitende Magd respektiert, was sie denkt und fühlt, behält sie für sich. Als sie des Mordes an zwei Männern angeklagt wird, ist sie allein. Die Zeit bis zur Hinrichtung soll sie auf dem Hof eines Beamten verbringen. Die Familie ist außer sich, eine Mörderin beherbergen zu müssen – bis Agnes Stück um Stück die Geschichte ihres Lebens preisgibt.

Atmosphärische düstere Geschichte, die noch lange nachklingt – habe ich sehr gerne gelesen. Eine ausführliche Besprechung findet ihr hier bei Constanze von Zeichen und Zeiten.

… Aber die Leute merken, daß ich denken kann, und sie finden, dass man einer denkenden Frau nicht trauen kann. Da ist für Unschuld kein Platz. So sieht’s aus, das ist die Wahrheit, Herr Pfarrer, ob´s Ihnen passt oder nicht. ….

Und – war diesen Monat etwas dabei worauf ihr Lust bekommen habt, oder habt ihr eventuell schon eines oder mehrere der Bücher gelesen? Bin gespannt auf Eure Rückmeldungen.

Lektüre Dezember 21 + Januar 22

A Tale of Two Cities – Charles Dickens, Penguin

Das war mal wieder eine tolle gemeinsame Leseaktion unter dem #Dickens2Cities auf Twitter mit meinen wunderbaren Mitstreiter:innen Miss Booleana (ihre großartige Rezension des Buches könnt ihr hier lesen), Jana vom Blog Wissenstagebuch sowie Matthias alias @_quoth_ 

It was the best of times, it was the worst of times, it was the age of wisdom, it was the age of foolishness, it was the epoch of belief, it was the epoch of incredulity, it was the season of light, it was the season of darkness, it was the spring of hope, it was the winter of despair.

Verbundensein – Kae Tempest, Suhrkamp Nova übersetzt von Conny Lösch

Kae Tempests erster großer Essay ist zugleich intimes Selbstporträt, hellsichtige Zeitdiagnose und mitreißendes Plädoyer für mehr Selbstsorge, Empathie und Gemeinsinn.

Mitgefühl ist, wenn man nicht vergisst, dass jede:r eine eigene Geschichte hat. Viele Geschichten. Und daran denkt, Raum zu schaffen, um sich die Geschichte anderer anzuhören, bevor man seine eigene erzählt.

A Gentleman in Moscow – Amor Towles, Windmill Books auf deutsch erschienen unter dem Titel Ein Gentleman in Moskau im Ullstein Verlag

Moskau, 1922. Der genussfreudige Lebemann Graf Rostov wird verhaftet und zu lebenslangem Hausarrest verurteilt, ausgerechnet im Hotel Metropol, dem ersten Haus am Platz. Er muss alle bisher genossenen Privilegien aufgeben und eine Arbeit als Hilfskellner annehmen. Rostov mit seinen 30 Jahren ist ein äußerst liebenswürdiger, immer optimistischer Gentleman. Wurde im Bookclub fast einstimmig geliebt, hat mir sehr sehr gut gefallen.

If a man does not master his circumstances then he is bound to be mastered by them

Das Dorf der toten Seelen – Camilla Steen, Harper Collins, übersetzt von Nina Hoyer

Alice Lindstedt hat gerade die Filmhochschule in Stockholm abgeschlossen und plant, ihren ersten Dokumentarfilm zu drehen: über Silvertjärn, einen abgelegenen Grubenort im Wald von Norrland in dem vor 60 Jahrenunter ungeklärten Umständen alle Bewohner von einem Tag auf den anderen verschwinden. Tolle Atmosphäre, nicht wahnsinnig spannend, aber ich könnte es mir ganz gut als Film vorstellen.

A Haunted House – Virginia Woolf, Triad Grafton

A Haunted House ist eine 1944 erschienene Sammlung von 18 Kurzgeschichten von Virginia Woolf. Sie wurde von ihrem Ehemann Leonard Woolf nach ihrem Tod produziert, obwohl er im Vorwort erklärt, dass sie die Produktion gemeinsam besprochen hatten

Safe, safe, safe,” the heart of the house beats proudly. “Long years—” he sighs. “Again you found me.” “Here,” she murmurs, “sleeping; in the garden reading; laughing, rolling apples in the loft. Here we left our treasure—” Stooping, their light lifts the lids upon my eyes. “Safe! safe! safe!” the pulse of the house beats wildly. Waking, I cry “Oh, is this your buried treasure? The light in the heart.

Wie soll ich leben: oder das Leben Montaignes – Sarah Bakewell, Beck Verlag übers. von Rita Seuß

Lebe den Augenblick! – Philosophiere nur zufällig! – Bedenke alles, bereue nichts! – Mit diesen und anderen Antworten auf die eine Frage „Wie soll ich leben?“ führt Sarah Bakewell durch das ungewöhnliche Leben des Weingutbesitzers, Liebhabers, Essayisten, Bürgermeisters und Reisenden Michel de Montaigne. Dabei gelingt ihr das Kunststück, ihn ganz im 16. Jahrhundert, im Zeitalter der Religionskriege, zu verorten und gerade dadurch für unsere Zeit verständlich zu machen. 

The trick is to maintain a kind of naïve amazement at each instant of experience – but, as Montaigne learned, one of the best techniques for doing this is to write about everything. Simply describing an object on your table, or the view from your window opens your eyes to how marvelous such ordinary things are. To look inside yourself is to open up an even more fantastical realm.

Tyrant: Shakespeare on Power – Stephen Greenblatt, The Bodley Head auf deutsch erschienen unter dem Titel Der Tyrann im Siedler Verlag

Wie kann es sein, dass eine große Nation in die Hände eines Tyrannen fällt? In seinen Dramen – von „Richard III.“ bis „Julius Cäsar“ – hat sich William Shakespeare immer wieder mit diesen Fragen beschäftigt und vom Aufstieg der Tyrannen, von ihrer Herrschaft und ihrem Niedergang erzählt. Stephen Greenblatt, einer der renommiertesten Shakespeare-Experten unserer Zeit, zeigt uns, wie präzise und anschaulich der Dichter aus Stratford das Wesen der Tyrannei eingefangen hat – und wie erschreckend aktuell uns dies heute erscheint.

Populism may look like an embrace of the have-nots, but in reality it is a form of cynical exploitation. The unscrupulous leader has no actual interest in bettering the lot of the poor. Surrounded from birth with great wealth, his tastes run to extravagant luxuries, and he finds nothing remotely appealing the lives of underclasses… But he sees that they can be made to further his ambition.

Will in the World – Stephen Greenblatt, Pimlico auf deutsch erschienen unter dem Titel „Will in der Welt“ im Pantheon Verlag

Shakespeare ist wohl der bekannteste Dramatiker aller Zeiten, doch über sein Leben wissen wir so gut wie nichts. Kein Brief blieb von ihm erhalten, wir kennen nur ein paar dürre Lebensdaten, vereinzelte Schriftsätze aus Prozessen, die er betrieb – und ein überaus nüchternes Testament, in dem er seiner Frau sein zweitbestes Bett vermacht. In seiner hochgelobten Biographie versucht Stephen Greenblatt mit detektivischem Scharfsinn, die Lücken dieser Lebensgeschichte zu füllen und hinter das Geheimnis zu kommen, wie aus einem talentierten Jungen aus einer englischen Kleinstadt der größte Dramatiker aller Zeiten werden konnte, kurz: wie Shakespeare zu Shakespeare wurde.

The Elizabethan Renaissance – A. L. Rowse, Macmillan

Die elisabethanische Renaissance ist ein Beitrag zur Sozialgeschichte und porträtiert das Leben der einzelnen Klassen vom Hof abwärts – Adel, Adelige, Mittelstand, Landbevölkerung – und ihre bewusste oder unbewusste Mentalität, die ihre Lebensweise mit ihrer Folklore und ihrem Glauben, ihren Bräuchen und ihrem Sport prägte.

The Scotch ambassador, Melville, saw well enough that her (Elizbeth I) deepest passion was to rule and that she would never give herself a master – as any sixteenth-century woman did by marrying.

Die europäische Renaissance – Peter Burke, Beck Verlag, übersetzt von Klaus Kochmann

Von den Anfängen um 1330 bis zu den Ausläufern rund drei Jahrhunderte später erzählt dieses Buch die Geschichte der Renaissance. Peter Burke führt den Leser darin zu den großen Schauplätzen der Epoche von Italien bis in den europäischen Norden, er porträtiert ihre großen Protagonisten von Petrarca bis zu Kepler und Shakespeare, und er zeigt mit genauer Beobachtungsgabe Kräfte und Tendenzen einer einzigartigen kulturellen Bewegung.

Die Stellung der Frau wurde in der Renaissance weniger randständig als zuvor. Zwei italienische Anthologien aus der Mitte des 16. Jahrhunderts … widmeten sich ausschließlich den literarischen Arbeiten von Frauen.

Das Geheimnis von Shadowbrook – Susan Fletcher übersetzt von Marieke Heimburger, Insel Verlag

Im Sommer 1914 wird die junge Botanikerin Clara Waterfield von London nach Gloucestershire gerufen: Sie soll auf einem Landsitz namens Shadowbrook den Aufbau eines Gewächshauses mit exotischen Pflanzen aus den Kew Gardens betreuen. Doch das alte, mit Glyzinien bewachsene Wohnhaus wirkt seltsam abweisend, die meisten Räume stehen leer oder sind verschlossen, der Eigentümer Mr. Fox ist viel auf Reisen. Haushälterin und Dienstmädchen wirken verängstigt – denn nachts scheint es im Haus zu spuken. 

Das waren zwei großartige Lesemonate. Ich habe die ruhige Zeit zwischen den Jahren sehr genossen. Kennt ihr etwas von den Büchern oder habt ihr vielleicht Lust bekommen auf das Eine oder das Andere?

Erlesener Sommer – die August Bücher

Draußen war nicht immer so viel Sommer, wie ich es mir gewünscht hätte, aber ich habe mir den Sommer auf jeden Fall mit einer ganzen Reihe Bücher herbeigelesen. Der August war ein guter Lesemonat mit interessanten Entdeckungen, erneuten Begegnungen und ohne Ausfälle.

Ich starte gleich mal mit einer meiner größten überraschenden Entdeckungen. Ein Buch, das mir garantiert durch die Lappen gegangen wäre, hätte mich die wunderbare Susanne vom Diogenes Verlag nicht zu einer Autorinnen-Lesung/Zoom-Runde eingeladen. Leseexemplar bestellt, aufgrund vom Klappentext erst mal gar nicht so viel erwartet und dann war ich aber – peng – komplett umgehauen, von diesem überraschenden, ungewöhnlichen, bild- und sprachgewaltigen Werk:

Ohne Fürsorge und Liebe wächst der 11-jährige Martin am Rande eines Dorfes auf. Er hat nur seinen schwarzen Hahn und wird gemieden von den Dörflern, die das Tier für den Teufel halten. Doch nutzen sie den Jungen aus, wann immer sich die Möglichkeit bietet. Martin jedoch verfügt über ein reines Herz und einen wachen Verstand, der ihn Verbrechen erkennen lässt. Als er mit ansehen muss, wie ein schwarzer Reiter, der der Legende nach jedes Jahr Kinder entführt, ein Mädchen raubt, steht für ihn fest, dass er die verschwundenen Kinder finden und dem Spuk ein Ende setzen muss. Mit dem Maler verlässt Martin sein Dorf und bricht auf zu einer Odyssee, auf der er nicht nur menschlichen Abgründen nachspürt, sondern auch seinen Fähigkeiten.

Ein Roman über die Hoffnung in einer dunklen Welt, über Mut und den Sieg der Rationalität über Aberglauben und Hass. Großartige Sprache – unvergessliche Bilder, dieses Buch wird, glaube ich, durch die Decke gehen und ich würde mich für die sympatische Autorin von Herzen freuen.

Witziger Zufall war die Verknüpfung, die in meinem Hirn passierte zwischen dem Maler in diesem Buch, der irgendwann im Mittelalter in einer Kirche ein Wandgemälde anfertigt und dem Roman „Ein Monat auf dem Land“, in dem ein junger Restaurateur in den 1920er Jahren ein Wandgemälde aus dem Mittelalter in einer Kirche freilegt. Was für ein witziger Zufall…

„Alles an ihm wirkt ruhig und bedacht. Und das macht ihn den Leuten im Dorf unbequem. Sie haben es nicht gern, dass einer zu lebendig ist oder zu ruhig.“

Ich danke dem Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.

Ein wunderschöner Roman über eine besondere Freundschaft, die Ruhe auf dem Lande und den Einfluss der Vergangenheit. Die junge Sally ist von zu Hause weggelaufen und trifft auf Liss, die einen eigenen Bauernhof betreibt. Liss nimmt Sally bei sich auf und zwischen den beiden Frauen entwickelt sich eine Beziehung, die sie nicht erwartet hatten.

Vor allem die Beschreibungen der Landschaft und des Geschehens auf dem Hof schaffen eine gewisse Ruhe beim Lesen. Die Langsamkeit, mit der Liss und Sally mit ihren Händen Birnen und Trauben pflücken, Kartoffeln ausgraben und all die anderen Arbeiten verrichten, spiegelt sich auch im Schreibstil des Romans wider. In aller Ruhe. Der ruhige Bauernhof, das friedliche Dorf mit seinen Kirchenglocken, das Tal, in dem der Nebel verweilt… Die Atmosphäre der Umgebung ist wunderschön wiedergegeben.

Ein Buch, das garantiert blutdrucksenkende Wirkung hat und man es kaum abwarten kann zum Markt zu kommen, um verschiedene Birnensorten zu kaufen, die man während des Lesens verzehrt. Das perfekte Spätsommerbuch und ein Autor, von dem ich sehr gerne noch mehr lesen möchte.

Vielleicht würde Sonnenlicht so schmecken, wenn es durch das Laub alter Bäume direkt auf die Zunge fiele.

Tom Birkin wird beauftragt, ein mittelalterliches Wandgemälde in einer Kirche freizulegen und zu restaurieren, das vor über vierhundert Jahren verdeckt wurde. Als er die Kalk- und Schmutzschichten fachmännisch abblättert, findet er an den Wänden unerwartete Motive von berauschender Qualität. Auch was er über die Menschen, insbesondere über sich selbst, erfährt, ist unerwartet: Der Prozess der Restaurierung ist für ihn der Beginn einer Transformation und wunderbar erholsam.

Und Erholung hat er bitter nötig. Der 1. Weltkrieg hat ihn an Leib und Seele zerstört, er kehrt entfremdet in sein altes ziviles Leben zurück. Während seine Gefühle in der heutigen Zeit auf eine posttraumatische Belastungsstörung zurückgeführt werden können, hatte Birkin 1920 kein Ventil für seine Gefühle. Seine Frau Vinny hatte ihn wegen eines anderen Mannes verlassen, desillusioniert vom Leben als ungewollter Single in London nimmt Birkin den Restaurantions-Job in einem kleinen Dörfchen namens Oxgodby an.

J.L. Carr schafft es auf elegante Weise, eine große Bandbreite und Tiefe auf nur 102 Seiten zu vereinen: Geheimnisse, Liebe, Tragödie, Humor, soziologische Analysen, verlorene Chancen, Freundschaft, Kunst und allgemeine Schönheit. Es ist eine nuancierte Mischung, die geschickt ein paar dunkle Untertöne in eine ländliche Idylle einwebt.

Ja, es wird ein einziger Monat beschrieben, mit wenig Plot und es passiert auch nicht viel, aber Birkin verlässt Oxgodby verwandelt, verändert und auch verbessert und ich hatte das Gefühl tatsächlich auch. Ein Buch, das einen ein kleines bisschen besser macht.

Ein wunderbarer leiser Roman, der ganz große Lust auf Sommerabende in der englischen Countryside macht.

Das mag ein bisschen nach Larifari klingen, aber genau darum geht es: Wenn man sehen oder sich ausmalen kann, was für ein Kommen und Gehen an einem Ort vom ersten Tageslicht bis zur Abenddämmerung geherrscht hat, wie die Menschen vor den Bildern niederkauerten und andächtig nickend Brüste und Köpfe mit Fingern berührten, die gerade noch mit schmutzigen Kochtöpfen hantiert hatten, wie sie mit ihren ungewaschenen Gesichtern zu dem einzigen Gemälde hinaufstarrten, das sie ihr Leben lang zu Gesicht bekommen würden – nun, dann legt man sich noch ein bisschen mehr ins Zeug, dann macht man sich nicht nur mit alkoholischer Salzsäurelösung, sondern auch mit Gefühl ans Werk.

Als Iris zur Beerdigung ihrer Großmutter nach Hause zurückkehrt, stellt sie erstaunt fest, dass diese ihr das Haus vererbt hat, obwohl ihre Mutter und ihre beiden Schwestern noch leben. Während sie in dem Haus wohnt und versucht zu entscheiden, ob sie es behalten will, wird sie von den Erinnerungen an die Sommer, die sie dort verbracht hat, überrollt.

Eine Geschichte über das Erinnern und das Vergessen, denn vor ihrem Tod litt ihre Großmutter an Alzheimer. Ein trauriger und ergreifender Blick auf eine Frau, die sich jeden Tag ein bisschen mehr verliert.

Schillernd und magisch sind die Erinnerungen an die Sommerferien bei der Großmutter, geheimnisvoll die Geschichten der Tanten. Katharina Hagena erzählt von den Frauen einer Familie, mischt die Schicksale dreier Generationen.

Ein genussvoller kluger Roman der nach Sommer duftet und Lust auf Äpfel, Johannisbeeren und Marmeladekochen macht und mich sehr an lange warme Sommertage mit meiner Oma erinnert hat.

Wer wie ich ohne Vater aufwächst, muß erst durch Beobachtung lernen, was das eigentlich ist, so ein Vater. Als Kind studierte ich neugierig, aber mit sicherem Abstand die Väter in den Familien meiner Freundinnen. Insgeheim fand ich sie interessant, aber auch ein wenig unheimlich.

Da, wo bei anderen der Vater einfach angewachsen ist, stehe ich stets aufs Neue vor einem fremden Geräteteil, von dem man nicht weiß, wo es in meinem Apparat hingehört. Es fällt bei jeder Erschütterung von mir ab. Im Grunde brauche ich es nicht.

Mely Kiyak schreibt darüber was Frausein bedeutet, sie erzählt von den Gesprächen über Weisheit und Nichtwissen, die sie als Mädchen mit dem Vater führte. Von den Cousinen, die vom Begehren erzählten. Vom Aufwachsen zwischen Ländern und Klassen, zwischen „Herkunftsgepäck“ und Neugier auf unbekannte Erfahrungen. Vom Alleinsein, von Selbsterkundung, von Familie. Was ist Weiblichkeit, wenn man den öffentlichen Blick überwindet und zurückbleibt mit sich selbst? Aufrichtig, lebenslustig, zärtlich und entwaffnend klug erinnert Mely Kiyak daran, dass es die Verhältnisse sind, die einem beibringen, wie man liebt und lebt.

Wieviel man in einem so schmalen Buch anstreichen kann, was für eine poetische Sprache – ein Buch das klüger macht, dem ich wunderbare Gedanken verdanke und das einen gleichzeitig beglückt und tieftraurig zurück läßt. Eines meiner Lese-Highlights 2021.

Das Erlesen der Welt stürzte mich regelmäßig in gedankliche Krisen. Das eigene Erleben hingegen hatte kaum Auswirkung auf meine psychische Stabilität.

Das Lesen der Bücher aus der Stadtbibliothek war ein Vergnügen. Das Lesen der Seminarliteratur ist eine Qual. Ich hätte jemanden gebraucht, der mich betreut und mir die Sätze erklärt, die ich las. Ich war mit Sufismus aufgewachsen, mit altorientalischer Dichtung, mit politischen Theorien, mit einer Kultur, verwoben mit Elementen, die nicht einmal als Schatten in den Fächern vorkamen, die ich studierte. Plötzlich war ich umgeben von Studenten, die immer alles bereits kennen. Sie sind gebildete Kinder gebildeter Eltern.

Ich weiß, jede Silbe in diesem Satz ist wahr: Wer eine Schule eröffnet, schließt ein Gefängnis.

Ein Haus an einem märkischen See ist das Zentrum, fünfzehn Lebensläufe, Geschichten, Schicksale von den Zwanzigerjahren bis heute ranken sich darum. Das Haus und seine Bewohner erleben die Weimarer Republik, das Dritte Reich, den Krieg und dessen Ende, die DDR, die Wende und die Zeit der Nachwende. Jedem einzelnen Schicksal gibt Jenny Erpenbeck eine eigene literarische Form, jedes entfaltet auf ganz eigene Weise seine Dramatik, seine Tragik, sein Glück. Alle zusammen bilden eine Art kollektives literarisches Gedächtnis des letzten Jahrhunderts, geformt in einer Literatur, die nicht nur großartige Sätze und Bilder zu bieten hat, sondern die auch Wunden reißt, verstört, beglückt, verunsichert und versöhnt.

Ein Roman, den ich gemeinsam mit Miss Booleana auf Goodreads gelesen habe, was mir wieder großen Spaß gemacht hat. Der Roman selbst konnte mich allerdings nicht so in seinen Bann ziehen, wie ich es aufgrund des Themas eigentlich erwartet hätte und auch im Vergleich zu Erpenbecks „Gehen, Ging, Gegangen“, das mich förmlich umgehauen hatte.

Ich wurde nicht warm mit dem Buch. Es springt durch die Zeiten, ich wußte oft nicht wo ich mich gerade befinde, wer gerade spricht und die einzelnen Hausbewohner blieben mir leider fast alle recht fremd und distanziert.

Wo der neue Mensch anfangen soll, kann er nur aus dem alten wachsen.“

Jana hat ihren Vater nie kennengelernt. Alles, was sie über ihn weiß, ist, dass er als Kapitän auf der MS Mozart arbeitet, einem eher wenig glamourösen Kreuzfahrtschiff auf der Donau. Also bucht sie sich kurzerhand eine Woche dort ein. Ob sie sich ihm zu erkennen geben wird, weiß sie noch nicht. Mit knapp hundert Gästen im Seniorenalter und der trinkfesten Bordbesatzung beginnt die Fahrt von Passau nach Wien. Mit großer Sensibilität erzählt Ilona Hartmann die Geschichte einer jungen Frau auf der Suche nach den eigenen Wurzeln. Ein Roman voller Situationskomik und ungewöhnlicher Begegnungen, aber auch der Beginn einer zärtlichen, emotionalen Annäherung zwischen Vater und Tochter, die gerade erst lernen, was es heißt, einander Familie zu sein.

„Emanzipation war im Dorf eine Freizeitbeschäftigung. Eine, der man sich als Frau nur zuwandte, wenn man im klassischen Modell versagt oder sich bewusst dagegen verweigert hatte, also selber Schuld war. “

Noch eine große positive Überraschung. Der Autor war mir völlig unbekannt, wieder ein Roman, der seltsam zeitlos wie „Der Junge mit dem schwarzen Hahn“ irgendwo in einer unbestimmten Zeit im Mittelalter spielt und von Anfang an an einen Folk-Horror Film erinnert.

Ein abgelegenes, von Wäldern umschlossenes Dorf. Einige Bauern führen hier ein einsames und zufriedenes Dasein, das von Ereignissen kaum berührt wird. Eines Tages geschieht etwas vermeintlich Belangloses: Einer der Bauern findet auf einer Wiese am Dorfrand ein Seil. Er geht ihm nach, ein Stück in den Wald hinein, kann jedoch sein Ende nicht finden. Neugier verbreitet sich im Dorf, ein Dutzend Männer beschließt, in den Wald aufzubrechen, um das Rätsel des Seils zu lösen. Ihre Wanderung verwandelt sich in ein ebenso gefährliches wie bizarres Abenteuer: Das Ende des Seils kommt auch nach Stunden nicht in Sicht – und die Existenz des ganzen Dorfes steht auf dem Spiel.

Konnte es gar nicht aus der Hand legen, spannend, atmosphärisch, düster und wunderbar.

Wenn das Glück zu groß wird, wird es zu einem Leid.

Ein verhafteter französischer Rechtsanwalt im besetzten Paris des II. Weltkriegs versucht der willkürlichen Hinrichtung zu entgehen. Jean-Pierre Chavel kann sich während der Besatzungszeit durch die Deutschen sein Leben von einem Mithäftling, der sich für ihn hinrichten läßt, erkaufen. Dafür überschreibt er der Familie des todkranken Mithäftling Geld und Besitz. Nach Kriegsende kehrt Chavel auf sein Gut zurück und verdingt sich unter falschem Namen bei den neuen Besitzern. Er verliebt sich in die Schwester des für ihn Hingerichteten, die ihm von ihrem Hass auf Chavel berichtet. Als ein gesuchter Kollaborateur auftaucht und sich als Chavel ausgibt, führt das zur Katastrophe.

“An artist paints his picture not in a few hours but in all the years of experience before he takes up the brush, and it is the same with failure.”

„The Tenth Man“ war unsere August Lektüre im Book Club und es war wieder eine spannende und durchaus kontroverse Diskussion. Wir wissen jetzt, welche unserer Bookclub Kolleginnen uns eher geopfert hätten in einem ähnlichen Szenario, wer sich hingegen für die anderen aufgeopfert hätte 😉

Man merkt diesem schmalen Roman an, dass er ursprünglich als Film-Script für MGM gedacht war und dort aus welchen Gründen auch immer in einer Schublade vor sich hinmoderte, bis er in den 1980er Jahren zufällig entdeckt und endlich veröffentlicht wurde. Mir hat er gut gefallen, ein klassischer Graham Greene – allerdings kommt er nicht an meine Lieblingsbücher von ihm „The End of the Affair“ und „Stamboul Train“ heran.

Das Buch wurde 1988 mit Anthony Hopkins und Kristen Scott Thomas verfilmt und ist derzeit in ganzer Länge auf YouTube zu finden. Mir hat er gut gefallen:

OK – jetzt ihr: Welches der Bücher kennt ihr bereits, teilt ihr meine Begeisterung, konnte ich euch auf irgendwas besonders Lust machen? Lasst doch mal hören:

Hier noch mal die Bücher im Überblick:

  • Junge mit dem schwarzen Hahn – Stefanie vor Schulte erschienen im Diogenes Verlag
  • Alte Sorten – Ewald Arenz erschienen im Dumont Verlag
  • Ein Monat auf dem Land – J. L. Carr erschienen im Dumont Verlag
  • Der Geschmack von Apfelkernen – Katharina Hagena erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag
  • Frau sein – Mely Kiyak erschienen im Hanser Verlag
  • Heimsuchung – Jenny Erpenbeck erschienen im Penguin Verlag
  • Land in Sicht – Ilona Hartmann erschienen im Blumbenbar Verlag
  • Das Seil – Stefan aus dem Siepen erschienen bei DTV
  • The Tenth Man – Graham Greene erschienen im Penguin Verlag

Die Juli Bücher im Schnelldurchlauf

Habe gerade eine ziemliche Schreibflaute. Lesen geht immer, aber mich hinsetzen und sehr ausführlich über ein Buch schreiben, dafür ist es mir momentan zu warm, ist zu anstrengend, ich mag nicht, in der Zeit könnte ich ja schon wieder ein weiteres Buch lesen. Daher einfach ein Überblick ganz kurz und knapp über das im Juli gelesene und gehörte und ganz ohne schlechtes Gewissen – los geht’s 🙂

Korede ist verbittert. Und wär wäre es nicht? Ihre Schwester Ayoola steht immer im Mittelpunkt: sie ist das Lieblingskind, die Schöne, möglicherweise ist sie aber auch eine Serienkillerin, denn Ayoolas dritter Freund in Folge ist tot. Koredes praktische Fähigkeiten retten ihrer Schwester mehrfach den Hintern. Ob bei der Reinigung von Blut, mit einem Kofferraum der groß genug ist für eine Leiche, oder indem sie ihre leichtsinnige Schwester davon abhält, Bilder von ihrem Abendessen auf Instagram zu posten, wenn sie eigentlich um ihren „verschwundenen“ Freund trauern sollte… Aber wirklich Anerkennung bekommt sie dafür nicht…

Ein freundlicher, gut aussehender Arzt in dem Krankenhaus, in dem Korede arbeitet, ist der Lichtblick in ihrem Leben. Sie träumt von dem Tag, an dem er erkennen wird, dass sie perfekt füreinander sind. Doch als Ayoola eines Tages uneingeladen im Krankenhaus auftaucht, verfällt auch er sehr schnell ihrem Aussehen und begibt sich damit unter Umständen in tötliche Gefahr.

Oyinkan Braithwaite hat ein wunderbares, tödliches Debüt geschrieben, das zugleich unterhaltsam und schockierend ist, voller Scharfsinn und trockenem Humor.

Korede, ich habe ihn umgebracht.
Ich hatte gehofft, diese Worte nie wieder zu hören

Judith Hermann erzählt von einem Aufbruch: eine alte Welt geht verloren und eine neue entsteht.

Ihre Tochter ist eine Reisende, unterwegs in der Ferne. Ihrem Ex-Mann schreibt sie kleine Briefe, in denen sie erzählt, wie es ihr geht, in diesem neuen Leben am Meer und im Norden. Sie richtet sich ein Haus ein, schließt vorsichtige Freundschaften, versucht eine Affäre, fragt sich, ob sie heimisch werden könnte oder ob sie weiterziehen soll. Judith Hermann erzählt von einer Frau, die vieles hinter sich lässt, Widerstandskraft entwickelt und in der intensiven Landschaft an der Küste eine andere wird. Sie erzählt von der Erinnerung. Und von der Geschichte des Augenblicks. Melancholisch mit viel Atmosphäre, ein Buch das für mich viel zu schnell zu Ende war. Wäre sehr gerne noch ein wenig im Haus am Meer geblieben…

Wir sind Trabanten, denke ich, wir kreisen um unsere Sonnen, jeder um seine eigene.

Warwickshire im Jahr 1580. Agnes ist eine Frau, die wegen ihrer ungewöhnlichen Gaben ebenso gefürchtet wie begehrt ist. Sie lässt sich mit ihrem Mann in der Henley Street in Stratford nieder und bekommt drei Kinder: eine Tochter, Susanna, und dann Zwillinge, Hamnet und Judith. Der Junge, Hamnet, stirbt 1596 im Alter von elf Jahren. Etwa vier Jahre später schreibt der Ehemann ein Stück namens Hamlet.

Dies ist das herzzerreißende Drama hinter Shakespeares berühmtestem Stück. Und das alles, ohne den Namen William Shakespeare auch nur einmal zu erwähnen!

Unsere Juli-Lektüre im Bookclub und es hat fast durch die Bank weg von allen höchste Punktzahl bekommen.

Mehr Shakespeare Inspirationen findet ihr übrigens hier.

What is given may be taken away, at any time. Cruelty and devastation wait for you around corners, inside coffers, behind doors: they can leap out at you at any time, like a thief or brigand. The trick is never to let down your guard. Never think you are safe. Never take for granted that your children’s hearts beat, that they sup milk, that they draw breath, that they walk and speak and smile and argue and play. Never for a moment forget they may be gone, snatched from you, in the blink of an eye, borne away from you like thistledown.

Jean McClellan verbringt ihre Zeit in fast völliger Stille und beschränkt sich auf nur hundert Worte pro Tag. Wenn sie mehr sagt, fließen tausend Volt Strom durch ihre Adern.

Jetzt, wo die neue Regierung an der Macht ist, hat sich alles geändert. Frauen sind auf das Haus beschränkt, dürfen nicht arbeiten, müssen sich nur um ihre Männer und Kinder kümmern und dürfen vor allem nicht mehr als hundert Worte pro Tag sprechen. „Armband“ nennen sie das Gerät, das ihre Worte zählt und elektronische Schocks aussendet, wenn sie die festgelegte Zahl überschreiten. Dr. Jean McClelland, einst eine erfolgreiche und renommierte Wissenschaftlerin, sieht sich in ihrem Leben stark eingeschränkt und bereut all die Märsche, an denen sie nicht teilgenommen hat, die Petitionen, die sie nicht unterschrieben hat, und die Zeichen, die sie falsch gedeutet hat. Als der Bruder des Präsidenten fast tödlich verunglückt, wird sie als fähigste Ärztin und Wissenschaftlerin gebraucht und so gerät Jean unverhofft in die Lage, möglicherweise Bedingungen zu stellen und einen Fluchtweg aus dem Land zu finden.

Diese Dystopie ist in vielerlei Hinsicht höchst beunruhigend, irgendwie kann man sich leicht ausmalen, dass eine solche Situation Realität werden könnte. Nicht wenige Männern fühlen sich ihrer Überlegenheit beraubt und würden alles dafür tun, um die Zeit zurückzudrehen.

Eine Dystopie, die sehr an Margaret Atwoods „The Handmaid’s Tale“ erinnert und die ich sehr gerne gelesen habe.

Denk darüber nach, was du tun musst, um frei zu bleiben. Tja, mehr zu tun als rein gar nichts, hätte ein guter Anfang sein können.

Think Again ist ein Buch über den Nutzen des Zweifels und darüber, wie wir besser darin werden können, das Unbekannte zu akzeptieren und durchaus auch mal Freude am Irrtum und an Ambivalenz zu haben. Es ist erwiesen, dass überdurchschnittlich kreative Menschen nicht an einer Identität festhalten, sondern ständig bereit sind, ihre Positionen zu überdenken und das Führungskräfte, die zugeben, dass sie etwas nicht wissen, und sich um kritisches Feedback bemühen, produktivere und innovativere Teams haben.

Umdenken ist eine Fähigkeit, die erlernt werden kann, und Grant erklärt, wie man die dafür notwendigen Qualitäten entwickelt. Im ersten Teil wird untersucht, warum es uns schwerfällt, umzudenken, im zweiten Teil wie wir unsere „Argumentationskompetenz“ ausbauen können und im letzten Teil geht es darum, wie Schulen, Unternehmen und Regierungen es aktuell noch versäumen, eine Kultur zu fördern, die zum Umdenken ermutigt.

Neue Informationen müssen dazu führen, dass wir unsere Glaubenssätze hinterfragen und auch liebgewonnene Überzeugungen müssen immer wieder auf den Prüfstand. Scientific Method for President 😉

If knowledge is power, knowing what we don’t know is wisdom.

Die weltfremde junge Effi Briest wird mit dem Baron von Innstetten verheiratet, einem strengen und ehrgeizigen Beamten, der doppelt so alt ist wie sie und nur wenig Zeit für seine neue Frau hat. Isoliert und gelangweilt findet Effi Trost und Ablenkung in einer kurzen Liaison mit Major Crampas, einem verheirateten Mann mit einem gefährlichen Ruf.

Doch Jahre später, als Effi ihre Affäre schon fast vergessen hat, holt sie das Geheimnis wieder ein – mit fatalen Folgen. In straffer, ironischer Prosa schildert Fontane eine Welt, in der die Sexualität und der Wille, das Leben zu genießen, durch gesellschaftliche Enge und die Verpflichtungen der Umstände erstickt werden. Dieser Roman, der als sein größter gilt, ist ein menschliches, unsentimentales Porträt einer jungen Frau, die zwischen ihren Pflichten als Ehefrau und Mutter und den Instinkten ihres Herzens hin- und hergerissen ist.

Mit „Effi Briest“ hat Fontane eine spannende Sozialstudie über gesellschaftliche Konventionen und die Folgen eines Ausbruchs aus diesen Zwängen geliefert. Ein zeitloser Klassiker der deutschen Literatur und insbesondere des bürgerlichen Realismus. Habe ich sehr gerne gelesen.

Wir müssen verführerisch sein, sonst sind wir gar nichts.

Eine faszinierende Einblick in die Welt der Erinnerung, warum wir vergessen und was wir tun können, um unsere Erinnerungen zu bewahren und uns zumindest ein wenig vor Alzheimer zu schützen.

Jeder hat vermutlich schon mal einen Moment der Panik erlebt, wenn man sich partout nicht mehr an den Namen des Schauspielers erinnern kann aus dem Film, den man vor ein paar Tagen gesehen hat, oder wenn man einen Raum betritt und nicht mehr weiß was man da eigentlich wollte? Vielleicht hat man sogar Schiss, dass diese Gedächtnislücken ein frühes Anzeichen von Alzheimer oder Demenz sein könnten. In Wirklichkeit sind diese Fälle von Vergesslichkeit für die große Mehrheit von uns völlig normal. Und warum? Weil das Gedächtnis zwar ziemlich bemerkenswert, aber bei weitem nicht perfekt ist. Unser Gehirn ist nicht darauf ausgelegt, sich an jeden Namen zu erinnern oder an jeden Tag, den wir erleben. Nur weil das Gedächtnis manchmal versagt, heißt das nicht, dass es kaputt ist oder an einer Krankheit leidet. Vergessen gehört zum Menschsein dazu.

In Remember geht die Neurowissenschaftlerin Lisa Genova – deren Buch „Leben ohne Gestern“ ich hier gemeinsam mit Claudia vom Blog „Das graue Sofa“ in der Reihe „Women in Science schon mal vorgestellt hatte – der Frage nach, wie Erinnerungen entstehen und wie wir sie abrufen. Sie erklärt, wann vergessene Erinnerungen vorübergehend unzugänglich sind oder für immer gelöscht werden und warum manche Erinnerungen nur für ein paar Sekunden bestehen (wie ein Passcode), während andere ein ganzes Leben lang halten können (zB der Tag, an dem man heiratet). Sie erklärt den Unterschied zwischen normalem Vergessen (wo man das Auto geparkt hat) und Vergessen aufgrund von Alzheimer (dass man ein Auto besitzt).

Darüberhinaus erfährt man viel darüber, wie sehr das Gedächtnis durch Bedeutung, Emotionen, Schlaf, Stress und Kontext beeinflusst wird. Wenn man die „Sprache“ des Gedächtnisses und seine Funktionsweise, seine unglaublichen Stärken und verrückten Schwächen, seine natürlichen Schwachstellen und potenziellen Superkräfte verstanden hat, kann man ggf. seine Erinnerungsfähigkeit deutlich verbessern und vor allem auch viel weniger beunruhigt sein, wenn man wieder einmal verzweifelt überlegt, wie die eine oder andere Schauspielerin heißt. Sie können gebildete Erwartungen an Ihr Gedächtnis stellen und so eine bessere Beziehung zu ihm aufbauen. Sie müssen es nicht mehr fürchten. Und das kann lebensverändernd sein.

These declines in memory creation, retrieval, and processing speed aren’t all inevitable, are they? You’re not gonna like this, but appears the answer is ultimately yes. If you eat a daily diet of doughnuts, only go for a run if someone is chasing you, regularly sacrifice sleep by binge watching entire seasons of the latest show on Netflix until 3 AM, and are chronically stressed, you’ll most definitely accelerate the ageing of your memory.

In „Mutation der Menschheit“, ging es Bertaux um die „Überlebenschancen der Menschheit“ angesichts der vom Menschen selbst bewirkten waffentechnologischen Entwicklung; damit befassten sich in den 1950er Jahren recht viele Philosophen und Physiker, die Originalität von Bertaux lag darin, wie sehr er den Grundgedanken durchzog, „dass die biologische Entwicklung nicht abgeschlossen ist, dass in ihrem Verlauf die gegenwärtige Menschheit nur ein Durchgangsstadium darstellt, dass aus den Menschen etwas hervorgehen wird, das sich zwar von ihm herleitet, aber dem nicht mehr genau entsprechen wird, was wir uns unter dem Wort ‘Mensch’ vorstellen.“

Der Mann, der von einer biologischen Mutation des Menschen der „neotechnischen Ära“ überzeugt war, kombinierte ein Leben lang Wissenschaft, Praxis und unbefangene Neugier. Womit er eigentlich überall aneckte. Pierre Bertaux (1907 bis 1986), war kein „Futurologe“, sondern Germanist und ist heute weitgehend unbekannt. Eventuell ist er Hölderlin-Forschern noch ein Begriff, da er die These vertrat, Hölderlin sei gar nicht verrückt gewesen, sondern habe nur simuliert.

Ein Zufallsfund aus dem Bücherschrank, wollte eigentlich nur mal kurz reinlesen, blieb dann aber hängen. Waren ein paar sehr spannende Gedanke enthalten und ich habe das Buch in einem Rutsch durchgelesen.

Vielleicht der reinste, größte und originellste Ausdruck der europäischen Kultur und Weisheit ist: Daß ich recht habe, will noch lange nicht sagen, daß die unrecht hätten, welche anders denken als ich. Toleranz ist nicht nur eine Tugend, sie ist auch eine hohe Form der Klugheit. Das geistige Entgegenkommen, die Bemühung, das Bezugssystem derer zu verstehen, die nicht so denken wie wir, ist eine – und zwar die fruchtbarste – Form der Überlegenheit.

Verstehen bedeutet nicht unbedingt übernehmen; vielmehr handelt es sich darum, „unser“ Bezugssystem und das des „anderen“ in ein Bezugssystem höheren Grades zu integrieren, das beide umfaßt, und so kommt man einen Schritt weiter.

Hier noch mal die Bücher im Überblick:

  • Meine Schester die Serienmörderin von Oyinkan Braithwaite erschienen im Blumenbar Verlag
  • Daheim von Judith Hermann erschienen im Fischer Verlag
  • Hamnet von Maggie O’Farrell auf deutsch erschienen unter dem Titel „Judith und Hamnet“ im Piper Verlag
  • Vox von Christina Dalcher erschienen im Fischer Verlag
  • Think Again von Adam Grant bisher noch nicht auf deutsch erschienen
  • Remember von Lisa Genova bisher noch nicht auf deutsch erschienen
  • Effie Briest von Theodor Fontane erschienen im Fischer Verlag
  • Mutation der Menschheit von Pierre Bertaux erschienen im Suhrkamp Verlag

Wie war Euer Lesemonat? Was waren Eure Highlights?

Große gemischte Tüte

Es ist zu warm für lange Rezensionen, daher ein sommerlich kurzer Überblick über die Bücher der letzten Wochen:

An diesem wunderbaren Buch habe ich ein paar Monate hingelesen. Alle paar Tage ein paar Seiten – ein echtes Schmuckstück:

Dieses Buch zeigt Objekte, die frühere Zivilisationen – oft zufällig – hinterlassen haben, um diese als Prismen zu verwenden, durch die der Leser vergangene Welten erkunden kann. Die Bandbreite des Buches ist enorm. Es beginnt mit einem der frühesten erhaltenen, von Menschenhand hergestellten Objekte, einem Hackwerkzeug aus der Olduvai-Schlucht in Afrika, und endet mit einem Objekt aus dem 21. Jahrhundert, das die Welt repräsentiert, in der wir heute leben.

Neil MacGregors Ziel ist es, diese Dinge nicht einfach nur zu beschreiben, sondern uns ihre Bedeutung zu zeigen – wie eine Steinsäule von einem großen indischen Kaiser erzählt, der seinem Volk Toleranz predigte, wie spanische Münzen vom Beginn einer globalen Währung erzählen oder wie ein frühes viktorianisches Teeservice von den Auswirkungen des Imperiums erzählt. In jedem Kapitel taucht man in eine vergangene Zivilisation ein und erlebt Geschichte als Kaleidoskop – sich ständig verändernd, miteinander verbunden, oft überraschend und unsere heutige Welt prägend, wie man es sich kaum vorstellen konnte. Ein intellektuelles und visuelles Fest, eines der fesselndsten und ungewöhnlichsten Geschichtsbücher die seit Jahren veröffentlicht wurden.

Kann man ganz wunderbar in Kombination mit Noah Yuval Hararis „Sapiens“ lesen.

Der Roman spielt größtenteils in einem fiktiven zukünftigen New York City, das durch zwei große Anstiege des Meerwasserspiegels, die durch den Klimawandel verursacht wurden, permanent überflutet ist. Der größte Teil von New York City steht permanent unter Wasser, jedoch leben die Menschen noch in den oberen Etagen der Gebäude, ähnlich wie im Venedig von heute.

Der größte Teil Manhattans unterhalb der 46. Straße ist überflutet und hat den Spitznamen „SuperVenedig“ erhalten. Einige der Charaktere des Buches leben im MetLife Tower in der 23. Straße, den die Mietervereinigung mit Mechanismen zum Schutz vor Überschwemmungen und einem Bootslager ausgestattet hat. Robinson wählte das Gebäude als prominenten Schauplatz, da es dem Campanile di San Marco in Venedig nachempfunden wurde.

Die Wohlhabenden leben in neu errichteten Wolkenkratzern in Uptown Manhattan und in der Nähe von The Cloisters, da beide Orte über Wasser bleiben. Denver hat New York als Zentrum des amerikanischen Finanzwesens und der Kultur abgelöst und ein Großteil der Vereinigten Staaten wurde absichtlich von Menschen verlassen, um Platz für Wildtiere zu schaffen.

Der Roman befasst sich mit Klimawandel, Kapitalismuskritik, den unregulierten Finanzsystemen und sich immer schneller ausbreitenden Artensterben.

“We’ve been paying a fraction of what things really cost to make, but meanwhile the planet, and the workers who made the stuff, take the unpaid costs right in the teeth.”

Habe den Roman als Hörbuch gehört und es war anfangs nicht so leicht reinzufinden durch die vielen vielen Charaktere. Ich habe einiges gelernt, stellenweise ist es jedoch ein bisschen lang geraten.

Kaiserslautern in den neunziger Jahren: Christian Baron erzählt die Geschichte seiner Kindheit, seines prügelnden Vaters und seiner depressiven Mutter. Er beschreibt, was es bedeutet, in diesem reichen Land in Armut aufzuwachsen. Wie es sich anfühlt, als kleiner Junge männliche Gewalt zu erfahren. Was es heißt, als Jugendlicher zum Klassenflüchtling zu werden. Was von all den Erinnerungen bleibt. Und wie es ihm gelang, seinen eigenen Weg zu finden.

Nach dem Tod der Mutter trifft Christian seinen Vater vor dessen Tod noch einmal. Da fällt ihm dieser plötzlich unvermittelt in die Arme: „Ich fühlte mich wie ein Boxer, an den sich der erschöpfte Gegner klammert, aber nicht, um ihn zu umarmen, sondern um ihn kampfunfähig zu machen, um im Spiel zu bleiben, obwohl er genau wissen musste, dass er diesen Kampf nicht gewinnen konnte.“

Als Christian übrigens in die Pubertät kommt, kümmert sich eine andere Tante um ihn, die durch Heirat in ein Bildungsmilieu aufgestiegen ist. Sie versorgt ihn mit Büchern, ein Lehrer wird auf ihn aufmerksam, Christian entdeckt die Lust am Schreiben und wird noch als Schüler Sportreporter für die Rheinpfalz.

Ich mochte das Buch sehr, auch wenn ich persönlich damit gehadert habe, wieviel Raum und Wohlwollen er seinem Vater einräumt, der sich so gut wie nie um ihn gekümmert hat, seine Mutter und Tante werden dagegen viel kürzer abgehandelt.

Wenn sie zu hören ist, werden die Radios lauter gedreht und stocken die Gespräche: Nora Tewes hat die perfekte Radiostimme – und einen Plan: Auf 100.7, einem Sender, den sie mit zwei Freunden gegründet hat, will sie einen lange davongekommenen Täter in die Enge treiben.
Überstürzt ist Nora in ihre Heimatstadt zurückgekehrt, um ihrer Mutter, die im Sterben liegt, nahe zu sein. Unter der Last des viel zu frühen Abschiednehmens bricht eine nur oberflächlich verheilte Wunde auf und ein Verbrechen, dessen Opfer ihre Mutter als Kind geworden ist, wird offenbar. Nora erstattet Anzeige und erhält eine niederschmetternde Antwort: Verjährt.

Temporeiche Geschichte mit interessantem Personal – Karin Kalisa beschäftigt sich in ihrem neuesten Roman mit der Frage, wie beherztes Handeln die Suche nach Gerechtigkeit vorantreibt.

Der perfekte Krimi für eine lange Autofahrt – auch wenn er jahreszeiten technisch so gar nicht gepasst hat:

Dieser Debütroman verbindet Gothic Elemente mit einem Locked-Room-Mysterium, das in den Schweizer Alpen spielt und das Ergebnis ist ein spannender Thriller voller Atmosphäre, schaurigen Intrigen und durchaus spannend. THE SANATORIUM folgt einer Frau, die sich vor kurzem von ihrer Arbeit als Polizistin beurlauben ließ, die gegen einen gruseligen Killer, der in einem hochklassigen, minimalistischen Hotel in den Schweizer Alpen am Werk zu sein scheint ermittelt.

“Her body is reacting to something here; something living, breathing, woven into the DNA of the building, as much a part of it as its walls and floors.”

Als ein Schneesturm die Zufahrt zum und vom Hotel abschneidet, liegt es an der Protagonistin Elin, eine Reihe von verstörenden Vorkommnissen im Hotel zu untersuchen und dem Fall auf den Grund zu gehen, bevor noch mehr Menschen zu Tode kommen. Ich lese nur selten Krimis, dieser hat mich ganz gut unterhalten, ein Meisterwerk ist er sicherlich nicht, aber wer im nächsten Winter Lust auf einen atmosphärischen Schnee-Krimi hat, der kann hier eigentlich nicht viel falsch machen.

Sie heißen Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde. Sie kennen sich, weil das Schicksal ihre Lebenslinien überkreuzt. Sie sind aufgewachsen in den Grenzen der DDR, nun, nach der Wende, wollen sie alles, bekommen vieles, doch immer sticht der Stachel ihrer Rolle als Frau: Muss man gefallen? Muss man gefällig sein? Ist allein zu sein eine Option, oder ist man nur mit Mann oder Familie eine wirkliche Frau? Und wie kann sie gehen, die Liebe in Zeiten wie diesen?

Scharf beobachtet und voller Empathie berührt dieser Roman so vieles im Leben einer Frau in ihrer Rolle als Mutter, Tochter, Schwester, Geliebte und Ex-Frau. Ist Liebe ein Gefühl oder ist sie ein Akt, betrachtet aus der Perspektive der Krise?

„Liebe ist kein Gefühl. Liebe ist keine Romantik. Liebe ist eine Tat. Man muss die Liebe vom Ernstfall aus betrachten.“

Ich bin mir aber immer noch nicht sicher, wie ich das Buch jetzt wirklich gefunden habe. Vielleicht kam ich nicht wirklich rein, weil all diese Frauen so gar nichts mit meiner Lebenswirklichkeit zu tun haben, ich hatte auf jeden Fall ein bisschen Mühe dran zu bleiben, wobei ich wirklich anerkenne, wie gut Daniela Krien schreiben kann.

Von kleinen Schritten bis hin zu riesigen Sprüngen: A Galaxy of Her Own erzählt fünfzig Geschichten von inspirierenden Frauen, die für die Geschichte des Menschen im Weltraum von grundlegender Bedeutung waren, von Wissenschaftlerinnen bis hin zu Astronautinnen, aber auch die Näherinnen der ersten Raumanzüge werden vorgestellt.

Von Ada Lovelace im 19. Jahrhundert bis zu den Frauen hinter den Apollo-Missionen, von den Astronauten, die auf der Internationalen Raumstation Rekorde brechen, bis zu denjenigen, die den Weg zum Mars bahnen – A Galaxy of Her Own enthüllt außergewöhnliche Geschichten, setzt sich für unbesungene Helden ein und feiert bemerkenswerte Leistungen aus aller Welt.

Geschrieben von Libby Jackson, einer führenden britischen Expertin auf dem Gebiet der bemannten Raumfahrt, und illustriert mit wunderschönen Illustrationen von Studenten des London College of Communication, ist dies ein Buch, das kleine und große Space Cowboys inspirieren wird und ihnen Lust macht, selbst nach den Sternen zu greifen..

Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen und mochte das Bild, das es von einem Mann zeichnet, der an Gerechtigkeit in einem Staat glaubt, in dem die Gerechtigkeit allzu oft den Bedürfnissen des Regimes zum Opfer fällt. Das Buch spielt kurz vor dem Beginn des Bürgerkriegs – das letzte spezifische Ereignis, das erwähnt wird, ist der Aufstand in Tunesien, der den Arabischen Frühling auslösen würde – und der Held Zacharia Barudi, der leitende Ermittler der konventionellen Polizei, bekommt den Fall des Mordes an einem Kardinal, der zu Besuch ist, etwa zwei Monate bevor Barudi in den Ruhestand gehen soll.

„Das Elend ernährt sich von der Genialität der armen Kinder“

Einerseits handelt es sich um einen geradlinigen, polizeilichen Kriminalroman, andererseits geht es aber auch um das Leben und Arbeiten in einer Diktatur, in der die Launen und Bedürfnisse der herrschenden Elite nur allzu oft an erster Stelle stehen. Die Alawiten, Syriens Christen, die Sekte, der Barudi angehört, konventionelle Muslime, muslimische Extremisten und hier und da sogar Menschen mit einem ausgeprägten synkretistischen Religionsverständnis sind alle Teil der Geschichte, während Schami über den Konflikt zwischen den Gläubigen nachdenkt. Ich weiß nicht viel über Syrien, aber ich habe das Gefühl, dass ich es jetzt ein kleines bisschen besser verstehe.

Ich habe mich gefreut, Rafik Schami wieder entdeckt zu haben für mich, ein Autor, den ich vor Jahren regelmäßig gelesen habe und den ich überaus sympatisch finde.

»70 and female is the new cool«, schrieb jüngst die New York Times über diese großartige Generation der Frauen 70+ Frauen, die sich mit Energie und Kraft Gehör verschaffen und durch ihre Haltung inspirieren: Sie sind längst in der zweiten Lebenshälfte angekommen – und aufrecht, ehrgeizig, willensstark. Sie bringen den amerikanischen Präsidenten aus der Fassung wie Nancy Pelosi, sie sind entschieden in ihrer Haltung wie die Richterin Ruth Bader Ginsburg, und für sie alle ist das Attribut »unbequem« ein Kompliment für ihr Engagement. Viele der Frauen sind Kult, sie sind Wegbereiterinnen und immer Vorbilder. Frauen, die wissen, wer sie sind, was sie geleistet haben und morgen noch bewegen können. Frauen, die cool, rebellisch und klug oder manchmal auch »schräg« sind, die ihren eigenen Kopf haben. Sie alle sind Frauen, die uns viel zu sagen haben.

Mit Juliette Gréco, Ruth Bader Ginsburg, Jane Fonda, Charlotte Knobloch, Letizia Battaglia, Erika Pluhar, Herlinde Koelbl, Margaret Atwood, Tina Turner, Vivienne Westwood, Nancy Pelosi, Annie Ernaux, Élisabeth Badinter, Elfie Semotan, Alice Nkom, Marina Abramović, Helen Mirren, Carla Del Ponte, Shirin Ebadi, Marianne Birthler. Mit einem Vorwort von Iris Berben.

1945 flüchteten die Menschen aus ihrer Heimat. Häuser wurden bombardiert und Dörfer dezimiert. Hildegard von Kamcke war eine von vielen Frauen, die ihr sterbendes Baby in einem Wagen zurücklassen und fliehen mussten. Als sie mit der fünfjährigen Vera auf einem Bauernhof in Atland ankam und von Ida Eckhoff aufgenommen wurde, zogen Mutter und Kind in eine eiskalte Dienstbotenunterkunft. Ida weigerte sich, Essen und Kleidung zu geben. Hildegard stiehlt heimlich Äpfel und melkt die Kuh, um Vera zu ernähren. Zwei Jahre später kehrt Karl, Idas Bruder, ein ehemaliger Kriegsgefangener, nach Atland zurück.

Hildegard heiratet Karl, kommt aber mit seinen nächtlichen Angstzuständen, Überbleibseln seiner Internierung, nicht zurecht. Jahre später, nach Idas Selbstmord durch Erhängen und Hildegards Verlassen des Hofes, bewohnen Vera und Karl das große, triste Haus. Obwohl sie Karl treu ergeben ist, ist Vera nicht in der Lage, außerhalb ihrer florierenden Zahnarztpraxis eine tragfähige Beziehung aufzubauen. Sie interessiert sich weder für die Instandhaltung des Hauses noch für die Pflege ihrer Apfel- und Kirschbäume. Sie lässt zu, dass das Haus und das Grundstück verwahrlosen und viele Apfel- und Kirschbäume aufgrund von Vernachlässigung keine Früchte mehr tragen. Vera ahnt nicht, dass eine Veränderung in der Luft liegt. Da kommt Anne, die Tochter von Veras Halbschwester Marlene.

Anne Hove hat eine Tischlerlehre absolviert und drei Jahre lang als Tischlergesellin gearbeitet. Diese Erfahrung kommt ihr sehr gelegen, als die alleinerziehende Mutter Anne mit ihrem Vorschulsohn Leon im Schlepptau auf Veras Farmhaus ankommt und Zuflucht sucht. Vera und Anne kommen zu einer Übereinkunft, das Leben ändert sich überraschend und nach und nach entsteht sowas wie eine Familienstruktur unabhängig von tatsächlichen Verwandtschaftsgraden und die beiden Frauen lernen, sich aufeinander zu verlassen.

„Sie hatten mit dem Haus auch Heinrich renoviert, so kam es Vera vor. Er spielte Skat mit ihnen bis tief in die Nacht und stellte sich am nächsten Morgen nicht den Wecker, er brauch auf einmal seine eigenen Gesetze. Vielleicht spürte Heinrich Lührs, dass er der Knecht gewesen war und nicht der Herr in seinem Leben, und dass die strengen Regeln nicht viel taugten“

Ich war anfangs skeptisch, ob „Altes Land“ ein Buch für mich ist, da ich alles andere als ein Dorfkind bin und ich irgendwie Sorge hatte, es geht in Richtung „Zurück zur Scholle und zum Apfelkuchen“ – aber das Buch ist wirklich komplett klischeefrei, großartig und hat mich total in seinen Bann gezogen. Ich freue mich schon auf weitere Bücher von Dörte Hansen.

Wie können wir jenseits von Wachstumszwang eine nachhaltige und gerechte Gesellschaft gestalten?

Der Nachhaltigkeitsforscher Niko Paech liefert dazu die passende Streitschrift, die ein »grünes« Wachstum als Mythos entlarvt. Dabei gelten »grünes« Wachstum und »nachhaltiger« Konsum als neue Königswege. Doch den feinen Unterschied – hier »gutes«, dort »schlechtes« Wachstum – hält Paech für Augenwischerei.

In seinem Gegenentwurf, der Postwachstumsökonomie, fordert er industrielle Wertschöpfungsprozesse einzuschränken und lokale Selbstversorgungsmuster zu stärken. Diese Art zu wirtschaften wäre genügsamer, aber auch stabiler und ökologisch verträglicher. Und sie würde viele Menschen entlasten, denen im Hamsterrad der materiellen Selbstverwirklichung schon ganz schwindelig wird.

Aus dieser Perspektive dienen zum Beispiel die europäischen Agrarsubventionen keineswegs dazu, die Verfügbarkeit andernfalls knapper Nahrungsmittel zu steigern. Die Subventionen tragen vielmehr dazu bei, den Ausgabenanteil für Nahrung zu marginalisieren, damit mehr Kaufkraft für Smartphone, Urlaubsreisen oder zur Finanzierung von Eigenheimen frei wird.“

Ich fand seinen aggressiven Schreibstil ziemlich anstrengend beim Lesen, aber häufig muss ich mich beim Lesen auch erstmal ordentlich reiben, konnte aber auf jeden Fall sehen, dass Paech prägnante Argumente hat und den Finger definitiv in die Wunde legt.

Ein Buch das kratzt und beißt, aber mega wichtig ist und ich wünsche ihm möglichst viele aufgeschlossene Leser.

Hier noch mal die Übersicht:

  • Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten – Neil MacGregor erschienen im Beck Verlag
  • New York 2140 – Kim Stanley Robinson auf deutsch unter dem gleichen Titel im Heyne Verlag erschienen
  • Ein Mann seiner Klasse – Christian Baron erschienen im Claasen Verlag
  • Radio Activity – Karin Kalisa erschienen im Beck Verlag
  • The Sanatorium – Sarah Pearse (bislang nicht auf deutsch erschienen)
  • Die Liebe im Ernstfall – Daniela Krien erschienen im Diogenes Verlag
  • A Galaxy of her own – Libby Jackson (bislang nicht auf deutsch erschienen)
  • Die geheime Mission des Kardinals – Rafik Schami erschienen im Hanser Verlag
  • Frauen 70+ – Rita Kohlmaier erschienen im Elisabeth Sandmann Verlag
  • Altes Land – Dörte Hansen erschienen im Knaus Verlag
  • Befreiung vom Überfluß – Niko Paech erschienen im Oekom Verlag

Habt ihr irgendwelche dieser Bücher gelesen – wie fandet ihr sie oder plant ihr vielleicht das eine oder andere zu lesen? Ich hoffe, ich konnte euch ein bisschen Lust drauf machen.