Gruseliger Horroctober

Zack ist er schon wieder vorbei mein liebster Monat. Viel zu warm, viel zu golden. Ich habe die neblig-düsteren Wochenenden doch ein bisschen vermisst, die meiner Lektüre etwas angemessener gewesen wären. Vermutlich sollten wir uns bei der drohenden Energiekrise aber über zu warme Monate erst einmal nicht beschweren. Die kalte nasse Jahreszeit wird sicherlich noch kommen. Ein guter Lesemonat war es – wenn natürlich dem Monatsthema geschuldet ein wenig mono-thematisch.

Hier also wieder im Schnell-Durchlauf meine Oktober-Lektüre:

„The Silent Companions“ – Laura Purcell auf deutsch unter dem Titel „Die stillen Gefährten“ im Festa Verlag erschienen übersetzt von Eva Brunner

Mein Highlight diesen Monat. Selten einen so spannenden modernen Gothic-Roman gelesen der stellenweise wirklich gruselig ist und einem klar machen, dass manche Türen vielleicht wirklich besser verschlossen bleiben…

Elsie Bainbridge nach kurzer Ehe frisch verwitwet und schwanger bezieht das alte Landgut ihres verstorbenen Mannes. In ihrem neuen Zuhause existiert ein verschlossener Raum. Als sich dessen Tür für sie öffnet, findet sie ein 200 Jahre altes Tagebuch und eine beunruhigende, lebensgroße Holzfigur – eine stille Gefährtin … und definitiv mehr als sie sich je erhofft hatte. Ein echter Pageturner hab bis kurz nach zwei nachts gelesen und mich dann vor meinem eigenen Schatten gegruselt 😉
Möchte auf jeden Fall auch die anderen Romane der Autorin lesen.

Imprisonment was never the real punishment: it was the people you were stuck with.

„The Vampyre“ – John Polidori erschienen im Black Letter Press Verlag

The Vampyre ist die erste in englischer Sprache veröffentlichte Vampirgeschichte, eine Novelle von John Polidori, dem Arzt von Lord Byron die 1819 erschien.

Die Geschichte erregte in Europa großes Aufsehen. Polidori schuf die erste Vampirerzählung der Weltliteratur und begründete gleichsam mit der Hauptfigur des Lord Ruthven den Typus des modernen Vampir und war bis zur Veröffentlichung von Dracula durch Bram Stoker im Jahr 1897 die unangefochtene Quelle sämtlicher Vampirgeschichten. Die Geschichte entstand am gleichen verregneten Wochenende wie Mary Shelleys „Frankenstein“ in der Villa Diodati am Genfersee aus einem dichterischen Wettstreit mit Lord Byron sowie Mary Shelley und Percy Bysshe Shelley.

Glück brachte sie dem jungen Arzt nicht. Die Geschichte wurde unter Lord Byrons Namen veröffentlicht, Polidori bekam vom Ruhm nicht wirklich was ab (vom Geld auch nicht), hatte Spielschulden, Liebeskummer und litt wohl auch unter Depressionen. Mit nur 26 Jahren starb er unter ungeklärten Umständen die auf Selbstmord hindeuteten. Über sein Leben und das seiner Mitstreiter:innen in der Villa Diodati zu lesen ist mindestens so spannend wie seine Novelle „Der Vampyr“.

Erwähnen möchte ich auch unbedingt den kleinen unabhängigen Verlag „Black Letter Press“ aus Hannover die wunderschöne, liebevoll gemachte dunkle Klassiker veröffentlichen.

Aubrey retired to rest, but did not sleep; the many circumstances attending his acquaintance with this man rose upon his mind, and he knew not why; when he remembered his oath a cold shivering came over him, as if from the presentiment of something horrible awaiting him.

„Sleepy Hollow“ und „Rip van Winkle“ – Washington Irving erschienen im Black Letter Press Verlag

Auch dies ein Klassiker aus dem Hause Black Letter Press. Bislang kannte ich nur die Verfilmung aus den 90er Jahren, die ich sehr liebe und es wurde Zeit mich mit einem Gothic Klassiker aus New England zu beschäftigen.

Irving beschäftigte sich mit der deutschen Romantik als ihm angeblich auf einer Reise durch England auf der Westminster Bridge in London die Idee zum kopflosen Reiter aus Sleepy Hollow kam. In Interviews beteuerte Irving jedoch stets das die Sage genau so in den Catskills erzählt werde und er sie selbst so erzählt bekomme habe. Es gab immer wieder einmal Plagiats Vorwürfe, dem Erfolg der Geschichte und dem Ruhm Irvings tat das jedoch keinen Abbruch.

Rip van Winkle geht wohl tatsächlich auf eine Sage zurück, allerdings auf eine deutsche. Irving hatte wie andere amerikanische Schriftsteller auch das Problem das die frisch gegründeten Vereinigten Staaten nicht wirklich auf eine Vergangenheit zurückblicken konnte aus der er Material ziehen konnte, daher verlegte er die deutsche Sage einfach in die Berge New Yorks.

Habe beide Geschichten gerne gelesen und große Lust bald mal wieder den Film anzuschauen.

All these, however, were mere terrors of the night, phantoms of the mind that walk in darkness; and though he had seen many spectres in his time, and been more than once beset by Satan in divers shapes, in his lonely pre-ambulations, yet daylight put an end to all these evils; and he would have passed a pleasent life of it, in despite of the devil and all his works, if his path had not been crossed by a being that causes more perplexity to mortal man than ghosts, goblins, and the whole race of witches put together, and that was – a woman.

„We have always lived in the castle“ – Shirley Jackson auf deutsch unter dem Titel „Wir haben schon immer im Schloß gewohnt“ im Diogenes Verlag erschienen, übersetzt von Anna Leube und Anette Grube

Ein Bücherschrank Fund in Würzburg im Oktober – das war ein Zeichen und das Buch musste umgehend in meinen Horroctober einfließen. Shirley Jackson die Grand Dame des „Uncanny“ des Unheimlichen, Seltsamen. Hier die Geschichte zweier Schwestern die allein mit ihrem Onkel in einem riesigen Haus leben und von der gesamten Dorfgemeinschaft gemieden werden. Ihre Familie wurde ein paar Jahre zuvor durch ein vergiftetes Abendessen ermordet, auch der Onkel hatte – allerdings nur wenig – vom Pilzgericht gegessen und sitzt seit dem verwirrt im Rollstuhl.

Constance wurde der Tat verdächtigt und verhaftet aber in der Gerichtsverhandlung freigesprochen, seit dem geht sie nicht mehr vor die Tür. Ihre Schwester Merricat ist höchst seltsam, erledigt die Einkäufe und besorgt wöchentlich Nachschub in der Bibliothek und versucht die zahlreichen echten und/oder imaginären Feinde der Familie mit Schutzzaubern im Zaum zu halten. Alles geht seinen mehr oder weniger seltsamen aber beständigen Gang bis eines Tages Cousin Charles auftaucht und alles durcheinander bringt…

Neben „The Haunting of Hill House“ mein liebster Roman von Shirley Jackson, ich kann auch die Verfilmung von Stacie Passon aus dem Jahr 2019 sehr empfehlen.

A pretty sight, a lady with a book

„Nothing but blackened Teeth“ – Cassandra Khaw erschienen im Titan Books Verlag

Der malayischen Autorin merkt man an, dass sie auch für die Gaming Industrie arbeitet. „Nothing but blackened Teeth“ ist ausgesprochen visuell und ein herrlich gruseliges Spukhausmärchen, durchdrungen von japanischer Folklore und voll von dramatischen Wendungen. Ein Herrenhaus aus der Heian-Ära steht verlassen da und vier Freund:innen die schnell merken, dass es keine gute Idee war in diesem Haus zu übernachten.

Eine kurze Novelle, perfekt für eine regnerische Nacht – wobei es schon düster zugeht und der Nachtschlaf könnte in Gefahr geraten. Habe es sehr gerne gelesen und werde die Autorin mal im Auge behalten.

But the interior didn’t smell like it’d had people here, not for a long, long time, and smelled instead like such old buildings do: green and damp and dark and hungry, hollow as a stomach that’d forgotten what it was like to eat

„The Fifty Year Sword“ – Mark Z. Danielewski auf deutsch unter dem Titel „Das Fünfzig-Jahr-Schwert“ im Tropen Verlag erschienen, übersetzt von Christa Schuenke

Mit „House of Leaves“ hat Danielewski eines meiner liebsten Bücher erschaffen und es wurde höchste Zeit, dass ich mich mal wieder mit diesem außergewöhnlichen Autoren beschäftige. Bekannt für sein visuelles Schreiben, für seine kompliziert miteinander verwobenen Erzählebenen, typografischen Variationen und unterschiedlichem Seitenlayouts.

„The Fifty Year Sword“ steht dem wieder in nichts nach. Ein Umschlag der von Nadelstichen durchdrungen ist umgibt eine Geistergeschichte für Erwachsene die Danielewski in Kooperation mit dem holländischen Künstler Peter van Sambeek erschuf.

Die Geschichte handelt von einer Halloween Party für Kinder bei der ein Geschichtenerzähler auftaucht. Die örtliche Näherin Chintana ist für fünf Waisenkinder verantwortlich, die nicht nur von der Rachegeschichte des Geschichtenerzählers gefesselt sind, sondern auch von der langen schwarzen Kiste, die er ihnen vorsetzt. Als es auf Mitternacht zugeht, wird die Kiste geöffnet, eine verhängnisvolle Mutprobe wird gemacht, und die Kinder sowie Chintana werden mit den Konsequenzen einer wiederholten und nun vorausgesagten Bosheit konfrontiert.

Ich fand es unnötig anstrengend zu lesen und nicht wirklich interessant. Zufällig stolperte ich gerade wieder über die Musik seiner Schwester die unter dem Künstlernamen „Poe“ auftritt und die ich ganz gerne höre.

What I have to tell you, he began slowly. I must show you. But what I show you I must also tell you. I have only myself and where I’ve been and what I found and what I now bring. And it will frighten you.

„Wolf in White Van“ von John Darnielle erschienen im Picador Verlag

Wolf in White Van ist der erste Roman des amerikanischen Autors und Musikers John Darnielle, dem Kopf der Band „The Mountain Goats“. Wolf in White Van erzählt die Geschichte von Sean Phillips, einem zurückgezogen lebenden Spieleentwickler, dessen Gesicht schwer entstellt ist. Die Handlung, die nicht chronologisch erzählt wird, wechselt zwischen Seans Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter, um die Umstände des Vorfalls zu beschreiben, der ihn entstellt hat. Ein fiktives Play-by-Mail-Rollenspiel namens Trace Italian spielt eine wichtige Rolle in dem Roman.

Der Roman beschäftigt sich mit den eskapistischen Qualitäten von Fantasyliteratur und Rollenspiele insbesondere als Mittel zur Bewältigung von Traumata. Wolf in White Van erhielt bei seiner Veröffentlichung positive Kritiken und wurde für den National Book Award 2014 nominiert.

Habe ich sehr gerne gelesen und ich kann nur empfehlen bei der Lektüre seine Musik im Hintergrund laufen zu lassen. Muss unbedingt noch mehr von John Darnielle lesen.

This is why people cry at the movies: because everybody’s doomed. No one in a movie can help themselves in any way. Their fate has already staked its claim on them from the moment they appear onscreen.

Der Fürst des Nebels / Der Mitternachtspalast / Der dunkle Wächter – Carlos Ruiz Zafon erschienen im Fischer Verlag, übersetzt von Lisa Grüneisen

Vielleicht kann mir ja eine schlaue Leser:in hier erklären, warum diese 3 Bände als Nebel-Trilogie gelten, denn ich konnte kein verbindendes Element in den Büchern erkennen, so sehr ich auch danach gesucht habe. Dennoch habe ich die Lektüre durchaus genossen. Perfekte Strandlektüre für die unter uns die nicht so gerne am Strand liegen, sondern lieber durch neblige Paläste oder Wälder wandern oder Strandspaziergänge bevorzugen bei denen einem ordentlich der Wind um die Ohren pfeift.

In allen drei Bänden kämpfen jugendliche Protagonist:innen gegen dunkle Mächte, die Geschichten spielen aber mal in Spanien, mal in Indien und mal in Frankreich meist in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Es sind Zafóns Erstlingswerke und sie waren für ein jugendliches Publikum gedacht, man kann aber von der ersten Seite an spüren, wie die typischen Zafón Elemente im Entstehen sind und auch wenn sie eine ungleich kleinere Rolle spielen, auch hier sind Bücher wieder wie so oft zumindest heimliche Hauptdarsteller.

Ich lese mich jetzt langsam aber sich teilweise erneut durch Zafóns Werk, das ja aufgrund seines frühen Todes recht überschaubar geblieben ist. Auf ARTE lief auch gerade eine interessante Doku über ihn. Geht es eigentlich nur mir so, oder sieht Zafón ein wenig wie der kleine Bruder von Guillermo del Toro aus?

Wer nach all dem Grusel hier noch immer nicht genug hat, den verweise ich gerne auf meine Horroctober der vergangenen Jahre. Hier geht es zum Oktober 2021, 2020, 2019, 2018, 2017, 2016

Was hat euch diesen Monat gegruselt?

Lektüre Februar 2022

Ein bisschen später als geplant, aber die weltpolitische Lage hat auch mich im doomscrolling (verdammnisblättern? bzw obsessive Konsumieren von schlechten Nachrichten) erstarren lassen und dem Lesen und Schreiben keinen Raum gelassen. Aber ein bisschen Struktur hilft in vielen Lagen, daher hier meine Lektüre aus dem Februar. Es war ein sehr guter und schöner Lesemonat, da wird im März deutlich weniger hinzukommen.

Hier geht’s lang – Mit Büchern von Frauen durchs Leben von Elke Heidenreich, Eisele Verlag

Es waren Bücher von Frauen, die Elke Heidenreich geprägt haben, von frühester Jugend an. Später machte sie das Reden und Schreiben über Bücher zu ihrem Beruf.

Als ich Anfang des Jahres hier verriet, dass ich ein Projekt plane, dann meinte ich dieses damit. Mich auch meiner Lebensbücher zu erinnern und darüber zu schreiben. Ich danke meiner lieben Freundin Barbara in Berlin sehr, mir das Buch nicht nur ans Herz gelegt sondern auch geliehen zu haben. Habe es sehr gerne gelesen und sobald mein Hirn wieder etwas ruhiger ist, beginne ich mal meine eigene Lesebiographie zu erforschen und aufzuschreiben.

… denn Literatur hat immer auch eine unterwandernde Wirkung, sie trägt uns davon aus unserer Umgebung, und mit dem Weg zurück kann es heikel werden

… und die Sonne schien in meinem Kopf und rettete mich vor Armut, Enge, Kleinkariertheit und den üblichen Nöten und Komplexen einer Heranwachsenden.

Maria Stuart – Stefan Zweig erschienen im Fischer Verlag

Sie war Königin von Schottland und Frankreich und hatte Anspruch auf den Thron von England – doch Elizabeth I. ließ Maria Stuart (1542–1587) jahrelang inhaftieren und schließlich hinrichten, um ihre Macht zu wahren. Das Leben der Maria Stuart war geprägt von Intrigen, Verschwörungen und politischen Ränkespielen, denen sie am Ende zum Opfer fiel. Stefan Zweig zeichnet ein Porträt einer Frau, deren Leben bis heute Anlass zu Spekulationen, Verklärung und Mystifizierung gibt.

Stefan Zweig ist einer meiner liebsten Autoren und auch diese Roman-Biografie habe ich sehr gerne gelesen. Gelegentlich merkt man natürlich schon aus welcher Zeit Zweig stammt und wie das seinen Blick auf Frauen geprägt hat, aber eine wirklich lohnende Lektüre, durch die ich immens viel über die schottisch-englische Geschichte und zwei ausgesprochen faszinierende Persönlichkeiten gelernt habe.

Doch eine Natur wie die ihrige kann, wenn auch noch so tief enttäuscht, nicht ohne Vertrauen leben; immer wieder sucht sie nach einem sicheren Menschen, auf den sie sich unbedingt verlassen kann. Lieber wird sie jemanden wählen, der niederem Range entstammt, der nicht die Ansehnlichkeit eines Moray und Maitland besitzt, aber dafür die Tugend, die ihr notwendiger ist an diesem schottischen Hofe, die kostbarste aller Dienergaben: unbedingte Treue und Verläßlichkeit.

The City & The City von China Miéville auf deutsch erschienen unter dem Titel „Die Stadt & Die Stadt“ bei Bastei Lübbe. Übersetzt von Eva Bauche-Eppers

Zwei Städte – geeint und doch entzweit. Die Bewohner werden erzogen, einander nicht zu sehen. Das unerlaubte Betreten der jeweils andere Stadt zieht schwerste Strafen nach sich.

Ganz warm werden Mr. Miéville und ich irgendwie nicht. Ist mein dritter Versuch, die Prämissen sind immer spannend, seine Romane stecken voller spannender Ideen, aber ich komme nie richtig in die Bücher rein, sie haben auch nicht die richtige Atmosphäre für mich. Definitiv ein gutes Buch, ein spannender Autor, nur eben nicht für mich.

“Is it more childish and foolish to insist that there is a conspiracy or that there is not?” 

Der Verdacht (The Push)- Ashley Audrain erschienen bei Penguin Random House. Übersetzt von Ulrike Wasel, Klaus Timmermann

Violet ist ein Wunschkind, und Blythe möchte die liebevolle Mutter sein, die ihr selbst so sehr fehlte. Doch als man ihr das Neugeborene in den Arm legt, fühlt sich alles falsch an. Da ist nur Ablehnung, und je älter das Mädchen wird, desto mehr wächst die Angst vor Violet und ihrem feindseligen Verhalten, das sich Blythe nicht erklären kann. Alles nur Einbildung? Oder ist das Mädchen tatsächlich absichtsvoll böse? Fox, der seine Tochter von ganzem Herzen liebt, beobachtet seine Frau mit wachsendem Misstrauen. 

Ein Buch das nur schwer auszuhalten ist, emotional alles andere als leichte Kost ist und das mir noch immer nach geht.

Ich erinnerte mich daran, warum wir Violet eigentlich bekommen haben: Du wolltest eine Familie, und ich wollte dich glücklich machen. Aber ich wollte außerdem all meine Zweifel widerlegen. Ich wollte auch meine Mutter widerlegen.

Wenn Männer mir die Welt erklären (Men explain things to me) von Rebecca Solnit erschienen im btb Verlag. Übersetzt von Kathrin Razum und Bettina Münch

Ein Mann, der mit seinem Wissen prahlt, in der Annahme, dass seine Gesprächspartnerin ohnehin keine Ahnung hat – jede Frau hat diese Situation schon einmal erlebt. Rebecca Solnit untersucht die Mechanismen von Sexismus. Sie deckt Missstände auf, die meist gar nicht als solche erkannt werden, weil Übergriffe auf Frauen akzeptiert sind, als normal gelten.

Rebecca Solnit ist eine Autorin die ich sehr schätze. Sie ist klug, warmherzig und hat ein wahninniges Gespür für die Themen unserer Zeit. Dieses Buch hat das Zeug dazu ein Klassiker zu werden. Sie schafft es auf ein paar Seiten, die Geschlechterdebatte auf den Punkt zu bringen.

Every woman knows what I’m talking about. It’s the presumption that makes it hard, at times, for any woman in any field; that keeps women from speaking up and from being heard when they dare; that crushes young women into silence by indicating, the way harassment on the street does, that this is not their world. It trains us in self-doubt and self-limitation just as it exercises men’s unsupported overconfidence.

Vier Tage währt die Nacht von Dorothea S. Baltenstein erschienen im Eichborn Verlag

Dorothea S. Baltenstein ist das Pseudonym von vier Schülerinnen und ihrem Lehrer die im Rahmen eines Unterrichtsprojektes, dem sogenannten Projekt Pegasus, zwischen September 1995 und Mai 1998 das Manuskript für den gleichnamigen Roman entwickelten.

Schottland, im Jahre des Herrn 1817. Jonathan Lloyd erhält von seinem alten Freund Sir Mortimer Pope eine Einladung nach Boroughmore Castle. Ein literarischer Wettstreit ist geplant; man will sich treffen wie einst die Shelleys sich mit Lord Byron in der Schweiz trafen, wo Mary Shelley die Inspiration zu Frankenstein hatte. Aber bereits in der ersten Nacht stürzt die Zugbrücke des Schlosses ein, was ein Todesopfer fordert.

Ein Roman den ich direkt nach Erscheinen gekauft und gelesen habe, denn meine Liebe zu allem Gothic / Dark Academia etc begleitet mich schon ein Leben lang. Ich habe es damals sehr gerne gelesen, war etwas besorgt, wie es wohl gealtert sein mag, aber auch es macht auch in dunklen Wintertagen im Jahr 2022 noch genauso viel Spaß sich in diese dunkel-romantische Schauergeschichte zu versenken.

Während ich am späten Nachmittag des 27. November des Jahres 1817 in einer Kutsche saß, die holpernd über steinige Straßen fuhr, und hoffte, noch vor einbrechender Nacht mein Ziel zu erreichen, breitete sich in mir bereits ein Gefühl der Unsicherheit aus – vielleicht war auch ein wenig Furcht dabei.

Krabat von Otfried Preußler erschienen bei der Büchergilde Gutenberg

Neugier lockt Krabat zur Mühle am Koselbruch, vor der alle warnen. Dort soll es nicht mit rechten Dingen zugehen. Ein leichtes und schönes Leben wird Krabat hier versprochen. Doch der Preis dafür ist hoch. Und aus der Verstrickung mit dem Bösen kann ihn nur die bedingungslose Liebe eines Mädchens retten.

Auch so ein Herzensbuch, das ich gerne alle paar Jahre lese und jedes Mal entdecke ich etwas Neues darin.

Es gibt eine Art von Zauberei, die man mühsam erlernen muß: Das ist die, wie sie im Koraktor steht, Zeichen für Zeichen und Formel um Formel. Und dann gibt es eine, die wächst einem aus der Tiefe des Herzens zu: aus der Sorge um jemanden, den man lieb hat. Ich weiß, daß das schwer zu begreifen ist – aber du solltest darauf vertrauen, Krabat.

Bibliomanie von Gustave Flaubert erschienen im Insel Verlag. Übersetzt von Erwin Rieger.

Der Buchhändler und Antiquar Giacomo lebt zurückgezogen in einer stillen Gasse in Barcelona. Seine Liebe gilt allein den Büchern. Er berauscht sich am Geruch ihres Papiers, dem Einband, der Vergoldung der Lettern und der Druckerschwärze. Sein Traum: der Aufbau einer eigenen Bibliothek. Bei dem Erwerb bibliophiler Schätze steht ihm allerdings sein Rivale Baptisto im Weg, der Buchhändler vom Königsplatz. Allmählich steigert sich Giacomos Leidenschaft zum verbrecherischen Wahn …

Einen einzigen Gedanken hatte er, eine einzige Liebe, eine einzige Leidenschaft: die Bücher! Und diese Liebe, diese Leidenschaft verbrannten sein Inneres, verdarben sein Leben, verschlangen sein Dasein.

The Offing von Benjamin Meyers erschienen auf deutsch unter dem Titel Offene See im Dumont Verlag. Übersetzt von Ulrike Wasel, Klaus Timmermann

Der junge Robert weiß schon früh, dass er wie alle Männer seiner Familie Bergarbeiter sein wird. Dabei ist ihm Enge ein Graus. Er liebt Natur und Bewegung, sehnt sich nach der Weite des Meeres. Daher beschließt er kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, sich zum Ort seiner Sehnsucht, der offenen See, aufzumachen. Fast am Ziel angekommen, lernt er eine ältere Frau kennen, die ihn auf eine Tasse Tee in ihr leicht heruntergekommenes Cottage einlädt. Eine Frau wie Dulcie hat er noch nie getroffen: unverheiratet, allein lebend, unkonventionell, mit sehr klaren und für ihn unerhörten Ansichten zu Ehe, Familie und Religion. Aus dem Nachmittag wird ein längerer Aufenthalt, und Robert lernt eine ihm vollkommen unbekannte Welt kennen. 

Das wurde ganz überraschend für mich ein richtiges Herzensbuch. Jede:r von uns braucht eine Dulcie im Leben. Ein Buch das ich ganz besonders in diesen dunklen Zeiten empfehlen kann. Es macht die Welt ein kleines bisschen besser.

There is poetry in silence but most of us don’t stop to hear it. They must talk, talk, talk, but say nothing because they are afraid of hearing their own heartbeat.

Let poetry and music and wine and romance guide the way. Let liberty prevail.

Welche Bücher davon kennt ihr oder habt ihr vielleicht Lust bekommen auf das Eine oder das Andere? Ich freue mich über Rückmeldung – lasst mal hören…

Gothic! – Part 2

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Weiter geht es im zweiten Teil der Gothic Parade mit Elizabeth Gaskell, die man sonst eher als Vertreterin des Realismus kennt, wie z.B. in ihren bekannten Romanen „North and South“ oder „Wives and Daughters“. Erfreulicherweise hatte sie aber auch eine ausgeprägt düstere Seite, der sie in den hier vorliegenden „Gothic Tales“ freien Lauf gelassen hat.

Diese neun schaurigen Geschichten vermischen Realistisches mit Übernatürlichem zu einer wohlig gruseligen Mischung. In „Disappearances“ ließ sich Gaskell von lokalen Geschichten und Zeitungsberichten über geheimnisvolle Fälle von verschwundenen Menschen inspirieren, in denen sie auf ihre ganz eigene Weise Tratsch und Fakten miteinander vermischt.

„The Old Nurse’s Story“ ist eine Geistergeschichte um ein mysteriöses kleines Mädchen, das durch die eisigen Moore Northumberlands streift und in „The Poor Clare“ haben wir es mit einer durch und durch bösen Doppelgängerin zu tun.

„Leave me!“ said she, suddenly, and again taking up the cross. „I defy the demon I have called up. Leave me to wrestle with it!“

Ich habe das Buch gar nicht weglegen können, diese wunderbar atmosphärischen Geschichten sind ein großer Lesespaß für alle Gothic Freunde und stehen in krassem Gegensatz zu ihrer sonst sehr realistisch bodenständigen Literatur.

Ich mag die Einführungen in den Penguin Classics Ausgaben grundsätzlich sehr gerne, diese hier, von Laura Kranzler, war ganz besonders interessant und informativ. Sie zeigt die dunkle Unterseite weiblicher Identität, in häuslicher Umgebung und im Gegensatz zu männlicher Autorität. Ich würde mir wünschen, solche Einführungen wären auch in deutschen Ausgaben häufiger zu finden, für mich sind sie definitiv eine wichtige Kaufentscheidung.

 „The sins of the fathers shall be visited upon the children.“

Auf Deutsch sind Erzählungen von Elizabeth Gaskell im Manesse Verlag erschienen, die zumindest einige der „Gothic Tales“ enthalten. Sie sind aber leider nur antiquarisch zu bekommen.

„Lois the Witch“ schließlich ist eine Novelle, die auf den Hexenprozessen in Salem basiert, was perfekt zu meinem nächsten Buch passte.

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Der amerikanische Klassiker schlechthin. Nathaniel Hawthorne rechnet hier scharf mit den Puritanern ab, er selbst ändert schuldbewußt seinen Nachnamen von Hathorne in Hawthorne, um sich damit von seinem Vorfahr John Hathorne zu distanzieren, einem der Richter in den Salem-Prozessen und der einzige, der sich nie öffentlich entschuldigte, Reue zeigte oder sich in irgendeiner Form von seinem Tun im Rahmen der „Hexen“-Prozesse und Verbrennungen distanzierte.

Es braucht ein bisschen, bis man in den Roman hineinfindet, die Sprache und der Stil sind etwas schwierig. Wenn man aber drin ist, dann ist das eine wirklich spannende Geschichte, auch wenn der Plot sich fast ein wenig nach Soap Opera anhört.

Der Roman ist eines der einflussreichsten Werke über die Puritaner und eines der ersten, der eine Frau wirklich in den Mittelpunkt der Handlung stellt. Die Geschichte beginnt etwas langatmig in halb-biografischer Manier damit, wie der Autor als Inspektor im Zollhaus in Salem/Massachusetts an die wahre Geschichte der Hester Prynne gekommen ist.

Der eigentliche Roman beginnt damit, dass Hester Prynne durch die Gefängnistür tritt, auf dem Weg zum Pranger, wo sie öffentlich vorgeführt werden soll. Sie trägt das titelgebende „A“ auf der Brust, mit dem man sie als „Adulteress“, also als Ehebrecherin markiert. Im Arm hält sie die kleine Pearl, ihre in Sünde geborene Tochter. Hester weigert sich, den Namen ihres Partners preis zu geben, selbst als ihr wesentlich älterer Ehemann nach Jahren der Abwesenheit in Salem ankommt. Er nennt sich jetzt Roger Chillingworth (grandioser Name), der als Arzt unfreiwillig ein paar Jahre bei den Indianern verbrachte. Er setzt es sich zum Ziel, den Namen seines Rivalen herauszubekommen, um sich an ihm gebührend zu rächen.

Die dritte Figur ist Arthur Dimmesdale, ein  bekannter und beliebter Prediger der Gemeinde, der keine Gelegenheit verpasst, Hester zu verteidigen und der an einer mysteriösen Krankheit zu leiden scheint, die ihn langsam aber sicher dahinsiechen lässt.

„The Scarlet Letter“ spielt im Jahr 1642 und enthält eine Reihe historischer Persönlichkeiten und Bezüge zu realen Ereignissen, mit denen Hawthorne versuchte, die Geschichte realistischer erscheinen zu lassen. Obwohl der Roman nur etwas über zweihundert Seiten lang ist, beschreibt er eine Zeitspanne von etwa sieben Jahren, in der die stoische und ziemlich isolierte Hester stolz ihre Scham erträgt und sich nach und nach wieder in die Gemeinde zurückarbeitet. Da wir es hier mit einer puritanischen Gemeinde zu tun haben, drückt sich das darin aus, dass die Gemeindemitglieder Hester nun etwas weniger böse angucken als vorher. Wirklich integriert wird sie nie wieder.

Hawthorne schafft es sehr gut, ein lebendiges Bild des alten puritanischen Salem auferstehen zu lassen. Mit Hester schuf er eine großartige stolze proto-feministische Protagonistin, die sich wenig darum schert, was andere von ihr halten.

Mein größtes Problem mit der Geschichte ist, wie Hawthorne darin insistiert, dass Dimmesdale gleichermaßen leidet wie Hester. Zum einen an seiner immer stärker auf ihm lastenden Schuld und zum anderen unter Chillingworths Racheplänen. Das halte ich für Unsinn. Als würde er genau so viel leiden, wie eine Frau, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird, die ein Kind alleine großziehen muss und die stets und ständig die strafenden, überheblichen Blicke in der Gemeinde ertragen muss.

Es scheint, das einzig Pearl, die so oft als „demon offspring“ bezeichnet wird, in der Lage ist, die Scheinheiligkeit ihres Vaters zu durchschauen:

„What a strange, sad man is he!“ said the child, as if speaking partly to herself. „In the dark nighttime he calls us to him, and holds thy hand and mine, as when we stood with him on the scaffold yonder! And in the deep forest, where only the old trees can hear, and the strip of sky see it, he talks with thee, sitting on a heap of moss! And he kisses my forehead, too, so that the little brook would hardly wash it off! But, here, in the sunny day, and among all the people, he knows us not; nor must we know him! A strange, sad man is he, with his hand always over his heart!“

Hawthorne hat zeitlose Themen wie Schuld, Scheinheiligkeit und fundamentalistisches Denken in eine spannende Geschichte verpackt, mit einer Protagonistin, die man nicht so schnell vergisst. Ganz zurecht ein großer Klassiker.

Auf Deutsch erschien das Buch unter dem Titel „Der scharlachrote Buchstabe“ im DTV Verlag.

Ich möchte mir auch unbedingt die Verfilmung aus dem Jahr 1995 mit Demi Moore anschauen:

Mein letztes Buch aus dieser kleinen Gothic-Reihe stammt ebenfalls von einem großen Vertreter der deutschen romantischen Klassik:

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Friedrich von Schillers einziger Roman (oder doch eher Novelle?) „Der Geisterseher“ ist ein experimentelles, unvollständiges Werk. Die titelgebende als auch die anderen Erzählungen in diesem Band haben alle einen recht dramatischen Plot und häufig opernhafte Settings.

Der Geisterseher handelt von einem reichen, jungen Prinzen und seinem loyalen Gefährten, die sich in Venedig aufhalten. Dort treffen sie auf einen mysteriösen maskierten Armenier, der ihnen eine seltsame Prophezeiung macht. Als diese tatsächlich eintrifft, entwickelt die rätselhafte Figur einen starken finsteren Einfluss auf den jungen Prinz. Der Armenier bringt diesen mit immer dunkler werdenden Formen der Magie in Berührung und es wird zunehmend unklarer, was wirklich passiert und was sich nur in der Vorstellung des Prinzen abspielt. Oder ist alles am Ende nur ein großer Betrug?

Es gibt viele Gründe, warum Freunde der düsteren Lektüre zu diesem kleinen Juwel greifen sollten, nicht zuletzt, weil dieser Roman der Ursprung für das Genre der Schauerliteratur in Deutschland war. Für einen unvollendeten Roman war dieser sehr einflussreich. Es gab nicht nur unzählige Schriftsteller, die die Geschichte beendeten, er ist auch einer der ersten Romane, die in Venedig spielten und der im Genre des Schauerromans eine eigene Unterkategorie gründete – und zwar die des Geheimbundromans. Seien es die Geheimbünde auf der einen oder Venedig als geheimnisvolle Location auf der anderen Seite, „Der Geisterseher“ hatte großen Einfluß auf Autoren wie E. T. A. Hoffmann, Daphne du Maurier oder auch Thomas Mann.

Damit beende ich jetzt erst einmal diese Gothic Reihe, es wird aber sicherlich nicht lange dauern, bis ich wieder Lust auf dunkel-düsteres Schauern bekomme.

Hier geht es zum Teil 1 der Reihe.

Habt ihr noch Empfehlungen für mich?

Gothic! – Part 1

Von jeher hatte ich eine große Affinität zur sogenannten Schauerliteratur. Je düsterer, desto besser, von Klassikern wie Frankenstein oder Dracula bis hin zu modernen Werken von Sarah Waters oder Susan Hill.

Dieses Jahr sollten die „12 Tage Weihnachten“ unter dem Gothic Label stehen, allerdings geht es mir hier nicht um sortenreine Genrebesprechungen, sondern ich wollte die Bücher lesen, die mein heimisches Regal zum Thema hergaben und die ich bislang noch nicht gelesen hatte. 6 Bücher sind es insgesamt geworden, die ersten drei stelle ich heute vor.

Beginnen möchte ich mit dem Dicksten: Susannah Clarkes „Jonathan Strange & Mr. Norrell“

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Aufmerksam wurde ich auf das Buch schon vor Jahren, als Naomi Alderman auf dem Reading Weekend in England das Wochenende über daraus vorlas. Seit dem wollte ich es lesen und dennoch hat es aus Gründen bis jetzt gedauert – das Warten hat sich aber definitiv gelohnt.

Eine Warnung vorab: Für die über 1000 Seiten sollte man sich Zeit nehmen, ich glaube das Buch gewinnt immens, wenn man ein paar Stunden am Stück darin versinken kann. Es ist ein ganz unglaubliches, fesselndes, verblüffendes Buch, das sich liest wie Charles Dickens mit den Dialogen einer Jane Austen oder Charlotte Brontë. Clarke verneigt sich vor diesen Größen, ohne ihren eigenen Stil zu verlieren.

Man liest und liest und liest und merkt gar nicht, dass schon wieder 2 Stunden und 200 Seiten vergangen sind. Es hätte nur noch perfektioniert werden können, wenn es draußen geschneit hätte, während ich eingemummelt mit einer Tasse Tee neben mir auf dem Sofa lesend lag und mir im England des 19. Jahrhunderts mit ein paar Zauberern die Zeit vertrieb.

“Houses, like people, are apt to become rather eccentric if left too much on their own; this house was the architectural equivalent of an old gentleman in a worn dressing-gown and torn slippers, who got up and went to bed at odd times of day, and who kept up a continual conversation with friends no one else could see.”

Das Buch ist – im positiven Sinne – ein einziger Umweg. Wieder und wieder und wieder führt uns die Autorin aus Mittelengland nach London, auf die napoleonischen Schlachtfelder und zurück und der Leser hat spannende Begegnungen mit historischen Größen wie Wellington, Lord Byron oder George III.

Clarkes Schreibstil hat mir sehr gefallen und ich war beeindruckt, wie nahtlos sie von geistreich zu sakarstisch, zu witzig und zu wunderbaren Dialogen wechselt:

“Can a magician kill a man by magic?” Lord Wellington asked Strange.
Strange frowned. He seemed to dislike the question. “I suppose a magician might,” he admitted, “but a gentleman never could.”

23 oct Naomi Alderman

Neben der sehr schönen Sprache hat mich auch das faszinierende, gut recherchierte Porträt Englands zur Zeit der napoleonischen Kriege beeindruckt. Sie spart auch die ernsthaften Probleme nicht aus, die England zu der Zeit hatte (z. B. die Rassen- und Klassenkonflikte).

Bücher wie diese sind es – unter anderem – warum ich Literatur so sehr liebe. Große Empfehlung.

Auf Deutsch erschien der Roman unter dem gleichnamigen Titel im Berlin Verlag.

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Das Buch hätte eigentlich eine Enttäuschung für mich sein müssen. Ich hatte es schon eine Weile auf meiner „To-Read-Liste“, mich riesig gefreut, als ich es bei unserem Bookclub Wichteln erwichtelte, es aber – aufgrund des Titels vermute ich – für eine gruselige Geistergeschichte gehalten. War es aber nicht, sondern ein kleiner, wunderbar düsterer Diamant…

Im Norden Englands, abseits von Städten, aber nicht weit von der Zivilisation entfernt, verbringt Silvie mit ihrer Familie ihren Sommerurlaub in einem studentischen Camp wie Briten in der Eisenzeit – sie nutzen die Werkzeuge und das Wissen, das den Menschen in der dieser Zeit zur Verfügung stand.

Zwei Wochen verbringen sie mit einem Anthropologie-Kurs in diesem Camp und spielen dort gemeinsam das einfache Leben dieser Zeit nach. Sie leben in der Nähe eines Waldes, sammeln Pilze, Kräuter und Wurzeln und kochen abends gejagtes Kaninchen. Die Studenten erfüllen mit dem Camp ihre Kursanforderungen, für Silvies Vater hingegen ist es eine lebenslange Obsession. Er hat seine Tochter von klein auf mit Geschichten von den britischen Urvätern versorgt, mit ihr frühe Artefakte besucht und ihr wieder und wieder von den Ritualen und Überzeugungen dieser Menschen erzählt – insbesondere von deren Opferritualen im Moor. Ihr Vater erträgt missmutig sein Leben in der Gegenwart als Busfahrer, insgeheim würde er mit seiner Familie lieber autonom als Bronzezeitler leben.

Silvie freundet sich mit den Studenten an und ihr öffnet sich die Welt, durch deren Geschichten von Reisen ins Ausland, der Möglichkeit, sich seine Kleidung selbst auszusuchen oder selbst entscheiden zu können, was man isst oder trinkt. Nach und nach beginnt sie sich und den Lebensstil ihrer Familie in Frage zu stellen.

Die Briten der Eisenzeit bauten eine Ghost Wall, um Eindringlinge abzuwehren, eine Barrikade aus groben Pfählen mit aufgespießten Totenschädeln ihrer Vorfahren. Als die Gruppe beginnt diese Ghost Wall nachzubauen, beginnen sie eine spirituelle Verbindung zur Vergangenheit aufzubauen. Mit ungeahnten Folgen …

“I shivered. Of course, that was the whole point of the re-enactment, that we ourselves became the ghosts, learning to walk the land as they walked it two thousand years ago, to tend our fire as they tended theirs and hope that some of their thoughts, their way of understanding the world, would follow the dance of muscle and bone. To do it properly, I thought, we would almost have to absent ourselves from ourselves, leaving our actions, our re-enactions, to those no longer there. Who are the ghosts again, us or our dead? Maybe they imagined us first, maybe we were conjured out of the deep past by other minds.” 

Eine gleichzeitig mystische wie zeitgemäße Geschichte, die ich überhaupt nicht aus der Hand legen und in einer Nacht durchlesen musste. Eine Geschichte, die einen darüber nachdenken lässt, wie sehr wir uns tatsächlich von unseren sogenannten „primitiven „Vorfahren weiterentwickelt haben.

Auch hier große Empfehlung! 

Auf Deutsch erscheint das Buch im Mai diesen Jahres unter dem Titel „Geisterwand“ im Berlin Verlag.

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Es hätte so schön werden können. Dieser kleine Mini-Schmöker befand sich in meinem Adventskalender und die Besprechungen auf dem Buchrücken lasen sich vielversprechend:

„Ein wunderbares Buch über die Magie von Büchern“ (FAZ)
„Eines dieser kleinen Bücher, die den Leser immerwährend verzaubern“ (The New York Times)

Um es kurz zu machen: Ich wollte so gerne verzaubert werden, aber es sollte einfach nicht sein. Das Buch beginnt genauso vielversprechend, wie es der Buchrücken verspricht. Tolles Setting, ganz „Borges“ oder „Der Schatten des Windes“, das für mich am Ende aber nicht wirklich abliefern konnte.

Im Frühling des Jahres 1998 wird die Literaturprofessorin Bluma Lennon aus Cambridge von einem Auto überfahren und stirbt. Sie hatte sich gerade einen Emily Dickinson Gedichtband in einem Antiquariat gekauft, als das Unglück geschah.

Ihrem Kollegen wird ein mysteriöses Buchpaket zugeschickt und er findet daraufhin in Blumas Haus eine Ausgabe von Joseph Conrads „Die Schattenlinie“, mit einer ebenfalls sehr mysteriösen Inschrift und Rückständen von Zement am Buchschnitt. Fasziniert und neugierig beginnt er Nachforschungen anzustellen, die ihn von Cambridge über Buenos Aires bis nach Montevideo bringen, um das Schicksal des obskuren Bibliophilen aufzuklären, mit dem Bluma einst ein Verhältnis hatte.

Wahrscheinlich ist es dem Format geschuldet, aber die Geschichte wirkte unnötig gehetzt, ihr bleibt keine Zeit, sich in Ruhe zu entwickeln. Die interessanten Einblicke in das Hirn und Herz eines ausgemachten Bibiophilen werden einfach in die Geschichte gestopft und mit möglichst viel Sinn und Bedeutung vollgefrachtet.

Vielleicht bin ich so frustriert, weil es so viel mehr hätte sein können, hätte der Autor nur darauf vertraut, die Geschichte selbst entwickeln zu lassen, statt dem Leser alles in einer recht monotonen Erzählstimme auflisten. So war es leider mehr eine Sammlung von Aphorismen, die durch einen eher skeletthaften Plot zusammengehalten wurden.

„Das Papierhaus“ erschien im Insel Verlag.

Wer Lust auf mehr „Schauerliteratur“ hat, dem empfehle ich Mary Shelleys „Frankenstein„, Shirley Jackson „The Haunting of Hill House„, E. T. A. Hoffmanns „Der Sandmann“ oder Sheridan Le Fanus „Carmilla„.

Im zweiten Gothic-Teil werden wir dann ein ganzes Stück mehr in die Vergangenheit reisen. Ich hoffe ihr seid wieder dabei?

Meine Woche

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Gesehen: „Gothic“ (1986) von Ken Russell mit Gabriel Byrne und Natasha Richardson. Fiebriger Horrorfilm um die Entstehung von Mary Shelley’s „Frankenstein“

Mary Beard – Meet the Romans“ (2017) 3 teilige BBC Dokumentation über das Leben der einfachen Römer. Super spannend, hab ich sehr gerne gesehen.

Castlevania“ 2. Staffel (2018) von Warren Ellis. Animationserie die auf dem japanischen Videospiel Castlevania beruht, in dem es um den Vampirjäger Trevor Belmont und die Zaubererin Sypha die gegen Draculas Armee kämpfen. Tolle Atmosphäre und ein großartiger Soundtrack.

Gehört: „The Haunting of Hill House“ + „Come Home“ – Newton Brothers, „Bloody Tears“ – Castlevania OST, „Volk“ – Tom Yorke, „Ways of Stillness“ – Vau, „Postcards“ – Endless Melancholy, „Tired Eyes“ – Coastlands, „Requiem“ – Guiseppe Verdi, „King Night“ – Salem

Gelesen: Post-Truth Germany, Daniel Ratcliffe and the art of the fact-check, Dozenten und Professoren erzählen was sie von ihren Studenten gelernt haben, why do we feel so busy, The Confidence Gap, Merkel and the revenge of the white boys club, The harder better stronger faster language of dieting

Getan: die Magnum Ausstellung in der Versicherungskammer Bayern angesehen, Guinness im Irish Pub getrunken und den Stoffmarkt in Freising besucht

Geplant: ein Workshop an der TU München

Gegessen: French Toast mit Beeren

Getrunken: Guinness

Gefreut: dass es meinem Papa nach dem heftigen Epilsepsie-Anfall wieder gut geht

Geklickt:  „Why do societies collapse“ – Jared Diamond, „The case for curiosity driven research“ – Suzie Sheehy, The End – In the praise of credits, Marlene Dietrich Blue Angel Screen Test

Gewünscht: ein Besuch in dieser Bar, diese Jacke, diese Vasen

Gestaunt: über diese Buch Cover der 50er Jahre

Gefunden: nix

Gedacht: “To be yourself in a world that is constantly trying to make you something else is the greatest accomplishment.” — Ralph Waldo Emerson

The 69 Eyes @Backstage

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Vor ein paar Jahren habe ich die finnischen Vampire mal als Vorband von Within Temptation gehört und dachte immer, da muß doch mal ein ganzes Konzert her. Die trinkfesten, schwarzen Herren machen Laune. Der Sänger ist eine Mischung aus psychotischem Elvis, abgestürztem Nick Cave und einer Prise Billy Idol. Auch wenn ich üblicherweise eher die dunkle Elektrotante bin, ab und an brauchts schrammelnde Stromgitarren.

Bevor die Jungs allerdings auf die Bühne kamen, hat mich die Vorband „Ghost Wolves“ aus Austin/Texas echt überrascht. Eine Drum/Guitar Mann/Frau/Biest-Truppe, die den Laden überraschend aufgemischt hat. Ein roher Garage-Band Sound, bei dem Carley fett und wütend in die Bass-Gitarre haut, während Johnny auf die Trommel einschlägt. Laune machen sie, aber Carleys Stimmchen ist für viele zu viel oder eher nicht genug.Sie klingt wie Betty Boop unter Strom, aber trotz allem hat es mir großen Spaß gemacht. Hier mal eine Kostprobe „Cry Babies

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Dann also die Herren 69 Eyes. Der Opener ist gleich ein Vorgeschmack was uns an diesem Abend erwartet. Schrammende Riffs, dunkel-düstere Lyrics und ein Energielevel, das man bei manch jüngeren Herren dieses Genres häufiger mal vermisst.

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Wer Spaß an dunklem Goth’n’Roll hat ist bei den 69 Eyes gut aufgehoben, sie sind der perfekte Soundtrack für einen abendlangen B-Movie Horrorfilm aus den 50er Jahren. Hier die Tracklist zum Reinhören:

  1. Devils
  2. Love Runs Away
  3. Jet Fighter Plane
  4. Tonight
  5. Wrap Your Troubles in Dreams
  6. Feel Berlin
  7. The Chair
  8. Perfect Skin
  9. The Hills Have Eyes
  10. Gothic Girl
  11. Never Say Die
  12. Dance D’Amour
  13. Brandon Lee
  14. Lost Boys

Das Gespenst von Canterville – Oscar Wilde

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Endlich wird wieder mal eine klaffende Bildungslücke geschlossen. In England dürfte es schwierig sein, einen Menschen zu finden, der das Gespenst von Canterville nicht schon in der Schule gelesen hat, mir war die Kurzgeschichte bislang aber nicht bewusst untergekommen. Unbewusst wohl schon eher, denn vieles in der Geschichte kam mir aus unzähligen Geisterfilmen bekannt vor. Und „Das Buch als Magazin“ ist für mich nach wie vor die schönste Art, Klassiker wieder oder überhaupt zu entdecken. Auch hier wieder ein wirklich gelungener Mix aus der Kurzgeschichte, tollen Fotos und Geschichten, die dazu passen. Ich bin schon riesig gespannt auf Band 5!

„The Canterville Ghost“ ist auf jeden Fall eine entzückende unterhaltsame Kurzgeschichte, in der eine reiche amerikanische Familie ein altes englisches Landhaus inklusive spukendem Geist kauft und dorthin einzieht. Sehr zum Entsetzen des über 300 Jahre alten Geistes Sir Simon, der bislang noch jeden erfolgreich in Grund und Boden gespukt hat und mit dieser Familie erstmals an seine Grenzen stößt. Sein fürchterliches nächtliches Kettengerassel bringt sie nicht dazu, vor Schreck ohnmächtig zu werden oder wenigstens ängstliche Schreie auszustossen, nein, sie drücken ihm ein hippes amerikanisches Schmiermittel namens „Rising Sun“ in die Geisterhand, mit dem er doch bitte die Ketten ölen möge, damit Ruhe herrscht in der Nacht. Und der täglich wiederkehrende Blutfleck in der Bibliothek, der schon so manchen in den Wahnsinn getrieben hat, führt nur dazu, dass ihm der älteste Sohn der Familie täglich mit Pinkerton’s Champion Stain Remover und Paragon Detergent zu Leibe rückt. Da hat auch der gruseligste Geist irgendwann wirklich keine Lust mehr.

Zum Glück hat die kleine Virginia ein Herz für den deprimierten Sir Simon und hilft ihm aus seiner unglücklichen Situation heraus. Der Schluß der Kurzgeschichte ist schon arg süßlich, aber wir verbuchen das einfach mal unter Ironie.

„Der Tod muss so schön sein! So schön, in weicher brauner Erde zu liegen, und das Gras schwankt über einem hin und her und man horcht auf die Stille. Und es gibt kein Gestern und es gibt kein Morgen. Man vergisst die Zeit, vergisst das Leben und hat Frieden.“

Das Buch als Magazin weiß auch eine Menge schlaue Sachen zu sagen über die Geschichte. Zum Beispiel, dass der Originaltitel „The Canterville Ghost – A Hylo-Idealistic Romance“ sich aus den Begriffen „Hyle“ einem philosophischen Begriff der für „Stoff“ oder „Materie“, und „Idealismus“ der philosophischen Position, die dem Geist den Vorrang vor der Marterie gibt zusammensetzt. Dieser Gegensatz ist Programm der gesamten Geschichte, in der Wilde mit Materialismus, Rationalität, Romantik und Geisterglauben spielt. Wilde hielt im Jahr 1882 eine Vortragsreihe in den USA. Den Eindruck, den er während seiner Reise von den Amerikanern bekam, kann man in dieser Geschichte gut nachvollziehen. Wilde spottete über den Kommerz, den Pragmatismus und das fehlende Traditionsbewußtsein vieler Amerikaner, bewunderte aber auch ihre Unbefangenheit.

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Die Geschichte ist einfach eine liebevolle polemische Satire auf die kulturellen Unterschiede der flachen, aufgeblasenen Amis auf der einen und die steifen, traditionsverliebten Engländer auf der anderen Seite. Eine Geistergeschichte mit einem Hauch Gothic und jeder Menge Humor. Ich habe riesige Lust, diese Geschichte irgendwann meiner kleinen Nichte vorzulesen und dann gruseln wir uns zusammen ein bisschen und gehen um Mitternacht auf Gespensterjagd.

The Ghost of Canterville ist ein Geist, der begeistert – ich glaube ich hätte in der Schule riesigen Spaß an der Lektüre gehabt.

Du kannst dein Geheimnis behalten, solange mir nur dein Herz gehört“

Den Film werde ich mir an einem verregneten Sonntag mal anschauen, schon allein wegen des wundervollen Patrick Stewart, mein Captain Picard 😉

Day 4 Penguin Book-a-Day Challenge (For chilly nights)

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Henry James‘ „Turn of the screw“ is the best read to send chills down your spine and best read on a chilly night wrapped like a burrito in your favourite blanket.
Any good book doctor will prescribe a hot toddy to go with the book. Here you can find the recipe for the perfect one.

Sláinte!