Literatur-Blog für alle, die keine Angst vor heftigen Mischungen haben. Paul Auster, Margaret Atwood, Haruki Murakami treffen auf Simone de Beauvoir, Batman und Orphan Black. Dosenbier auf Oper und St. Pauli auf Crispr, Philosophie, Science und Sci-Fi.
Von Vietnam geht es direkt weiter nach Afghanistan bei unserer literarischen Weltumrundung. Da wahrscheinlich die meisten von uns noch nicht in Afghanistan waren und so schnell wohl leider auch nicht hinreisen werden, beginne ich mal mit einem Überblick über die Geschichte, Geographie, die Kultur und gehe auch auf insbesondere auf die für Frauen schreckliche Situation im Land ein:
Afghanistan liegt im Herzen Asiens, umgeben von Pakistan, Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan und China. Das Land ist bekannt für seine gebirgige Landschaft, insbesondere das Hindukusch-Gebirge, das es in Ost und West teilt. Die Hauptstadt Kabul liegt in einem Tal im Osten des Landes. Afghanistan hat eine strategisch bedeutende Lage entlang wichtiger Handelsrouten, was es historisch zu einem Schauplatz vieler Konflikte gemacht hat.
Afghanistan hat eine lange und bewegte Geschichte. Schon in der Antike war es Teil des Achämenidenreichs und wurde von Alexander des Großen erorbert. In den darauffolgenden Jahrhunderten war es ein Zentrum der Seidenstraße und erlebte das Kommen und Gehen verschiedener Reiche, darunter das buddhistische Kushan-Reich und islamische Kalifate. Das Land ist etwa 1,8 Mal größer als Deutschland. Trotz dieser größeren Fläche hat Afghanistan jedoch eine deutlich geringere Bevölkerungsdichte als Deutschland (42 Mio Einwohner*innen), da ein großer Teil des Landes gebirgig und weniger dicht besiedelt ist.
Im 19. Jahrhundert wurde Afghanistan zum Spielball der Großmächte im sogenannten „Great Game“ zwischen dem Britischen Empire und dem Russischen Reich. Nach mehreren Kriegen mit den Briten wurde Afghanistan 1919 ein unabhängiges Königreich. 1979 wurde das Land durch die Sowjetunion besetzt, was zu einem Jahrzehnt blutigen Guerillakriegs führte. Nach dem Abzug der Sowjets und einem brutalen Bürgerkrieg übernahmen die Taliban 1996 die Macht.
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 griffen die USA Afghanistan an, da die Taliban dem Terrornetzwerk Al-Qaida Unterschlupf gewährten. Dies führte zum Sturz der Taliban, doch die darauffolgende Phase des Wiederaufbaus war von Instabilität und Korruption geprägt. Die Taliban gewannen nach und nach wieder an Einfluss, und im August 2021, nach dem Abzug der internationalen Truppen, übernahmen sie erneut die Kontrolle über das Land.
Fotos: Amber Clay, Pixabay
Afghanistan ist ein multikulturelles Land mit einer reichen Tradition. Die Bevölkerung besteht aus verschiedenen ethnischen Gruppen, darunter Paschtunen, Tadschiken, Hazara und Usbeken. Die offizielle Sprache ist Dari (eine Variante des Persischen) und Paschtu. Die afghanische Kultur ist geprägt von einer langen Geschichte, in der Poesie, Musik, Teppichweberei und Kalligraphie bedeutende Rollen spielen. Einer der berühmtesten Dichter des Landes ist Rumi, dessen Werke weltweit Anerkennung finden. Die afghanische Küche ist deftig und basiert auf Reis, Linsen, Brot und Fleisch.
Wir haben uns bei unserem afghanischen Dinner im Rahmen der literarischen Weltreise für ein Auberginen-Gericht entschieden „Borani Banyan“ und die Bingereader Gattin hat sich echt übertroffen – war wahnsinnig lecker. Ich habe das Rezept verlinkt, falls ihr Lust habt es nachzukochen.
Seit der erneuten Machtübernahme der Taliban 2021 steht Afghanistan vor großen Herausforderungen. Die Taliban-Regierung hat wieder strenge islamische Gesetze eingeführt. Unter der aktuellen Taliban-Herrschaft haben sich die Lebensbedingungen für Frauen und Mädchen drastisch verschlechtert. Die Taliban haben eine Reihe von Gesetzen und Vorschriften eingeführt, die Frauen aus dem öffentlichen Leben weitgehend ausschließen und ihre grundlegenden Menschenrechte massiv einschränken. Zu den gravierendsten Maßnahmen zählen:
Verbot der weiterführenden Bildung für Mädchen: Mädchen dürfen seit Ende 2021 nicht mehr die weiterführende Schule besuchen, was ihnen die Möglichkeit auf Bildung und berufliche Chancen nimmt.
Beschränkungen für Frauen im Arbeitsmarkt: Frauen dürfen in vielen Bereichen nicht mehr arbeiten, insbesondere in Berufen, die mit Männern zu tun haben. Viele Frauen, die zuvor in Nichtregierungsorganisationen oder im öffentlichen Dienst tätig waren, haben ihre Jobs verloren.
Einschränkung der Bewegungsfreiheit: Frauen dürfen oft nur in Begleitung eines männlichen Familienmitglieds das Haus verlassen und müssen sich in der Öffentlichkeit vollständig verschleiern.
Schließung öffentlicher Räume für Frauen: Öffentliche Parks, Fitnessstudios und andere Freizeiteinrichtungen sind für Frauen in vielen Städten verboten worden.
Diese Maßnahmen und der generelle Ausschluss von Frauen aus dem öffentlichen Leben machen Afghanistan zu einem der repressivsten Länder weltweit in Bezug auf Frauenrechte. Internationale Menschenrechtsorganisationen und die Vereinten Nationen haben die Taliban für diese Politik stark kritisiert und warnen vor den langfristigen Folgen für das Land und seine Entwicklung.
Afghanistan gilt daher heute als eines der Länder, in denen Frauen und Mädchen am stärksten diskriminiert werden. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Einschränkungen der Freiheiten und die Behandlung von Minderheiten sowie Frauen scharf.
Die internationale Gemeinschaft hat sich weitgehend von Afghanistan zurückgezogen, und das Land leidet unter wirtschaftlicher Isolation, Arbeitslosigkeit und humanitären Krisen. Hunger und Armut sind weit verbreitet. Das Land gehört neben Burundi, dem Südsudan und der zentralafrikanischen Republik zu den ärmsten Ländern der Welt.
Das Buch das ich gelesen habe ist Khaled Hosseinis „And the Mountain echoed“ das 2013 unter dem Titel „Traumsammler“ im S. Fischer Verlag erschien, übersetzt von Henning Ahrens.
And the Mountains Echoed ist der dritte Roman des afghanisch-amerikanischen Autors Khaled Hosseini, der auch durch seine Werke Drachenläufer und Tausend strahlende Sonnen bekannt ist. Wie in seinen früheren Büchern gelingt es Hosseini auch hier, emotionale Familiengeschichten mit den tiefen politischen und sozialen Umbrüchen Afghanistans zu verweben.
Der Roman beginnt mit einer herzzerreißenden Szene, in der der Vater eines kleinen Mädchens namens Pari sie verkaufen muss, um das Überleben seiner Familie zu sichern. Diese Tat hat weitreichende Konsequenzen, die das Leben vieler Charaktere im Laufe des Buches beeinflussen. Die Erzählung springt in verschiedenen Zeitebenen und Perspektiven hin und her, von Afghanistan bis in die USA und Frankreich, und verbindet das Schicksal zahlreicher Figuren.
Hosseinis Themen sind Familie, Liebe, Verlust und Opfer. Mich beeindruckt seine Fähigkeit, die Zerrissenheit der afghanischen Diaspora und die Belastungen durch die immerwährenden Kriege und Konflikte im Land darzustellen. Gleichzeitig schafft er es, uns auch die Schönheit Afghanistans und ihre reiche kulturelle Vielfalt zu übermitteln.
Was diesen Roman von Hosseinis anderen unterscheidet, ist seine Struktur: And the Mountains Echoed besteht nicht aus einer linearen Handlung, sondern eher aus einer Sammlung miteinander verbundener Geschichten. Dies verleiht dem Buch eine epische Dimension und spiegelt vielleicht die Komplexität des modernen Afghanistan wider.
Einige dieser Geschichten haben mich tief berührt, während ich in andere weniger gut hineingefunden habe. Besonders gefallen hat mir die Geschichte, die aus der Sicht von Nabi erzählt wird, und seine Beziehung zu seinem Arbeitgeber, Mr. Wahdati. Hosseini fängt die Komplexität dieser Charaktere auf eindrucksvolle Weise ein, lässt ihre inneren Konflikte lebendig werden und ist dabei so berührend.
Allerdings fand ich insgesamt die Vielzahl der Personen manchmal überwältigend. Irgendwann habe ich ein bisschen den Überblick verloren, was der emotionalen Tiefe des Romans etwas im Weg stand. Trotz meines Gefühls der Überfrachtung war es dennoch eine Lektüre, die ich gerne gelesen habe. Vor allem, weil das Buch mir Einblicke in das Leben und die Kultur Afghanistans gab, die ich sonst vielleicht nicht in dieser Intensität erfahren hätte.
Im Vergleich zu Hosseinis früherem Roman Drachenläufer, den ich vor einigen Jahren gelesen habe, muss ich sagen, dass mir dieser rückblickend vielleicht einen Tick besser gefallen hat. „And the Mountains Echoed“ ist komplexer und experimenteller, aber Drachenläufer war für mich emotional zugänglicher und stringenter. Dennoch ein lesenswertes Buch, das einen tiefen Einblick in die Schicksale der afghanischen Bevölkerung gibt.
Mein musikalischer Tipp aus Afghanistan ist die Dokumentation „Keeping the Music alive – Musikerinnen gegen die Taliban“ von Sarah El Younsi und Mandakini Gahlot über Zhora das erste weibliche Orchester Afghanistans:
Foto: WikiCommons
Mein Filmtipp ist „Der Film „Osama“ (2003), der unter der Regie von Siddiq Barmak entstand, der Film erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens in Afghanistan während der Taliban-Herrschaft. Da Frauen nicht arbeiten dürfen und Männer in ihrer Familie fehlen, verkleidet ihre Mutter sie als Jungen, damit sie arbeiten kann und die Familie überleben kann. Sie nimmt den Namen „Osama“ an, doch das Versteckspiel wird zunehmend gefährlicher, als sie in die strengen Alltagsstrukturen der Taliban eintritt. Der Film zeigt die bedrückende Lage der Frauen unter den Taliban und die extreme Unterdrückung in dieser Zeit. Ein auch visuell wirklich beeindruckender Film:
Auf meinem Blog ist bisher wenig Lektüre aus Afghanistan zu finden, ich kann euch daher keine älteren Beiträge verlinken, allerdings habe ich ein weiteres Buch auf meiner „To-Read-Liste“ das ich euch auch gern ans Herz legen möchte: „My Pen is the Wing of a Bird: New Fiction by Afghan Women“ eine Anthologie die sehr vielversprechend klingt.
Wie hat euch mein Ausflug nach Afghanistan gefallen? Habt ihr Literatur-, Musik- oder Filmtipps aus der Region? Hier noch der link zum vorherigen Stopp Vietnam.
Seid ihr schon gespannt auf den nächsten Stopp? Ich verrate nur so viel: wir müssen ca 15.000 KM reisen. Freu mich auf Euer Feedback.
Der September hat sich als Lesemonat auch wirklich nicht lumpen lassen. 9 Bücher und ein Hörbuch – das kann sich sehen lassen und wieder kein wirklicher Ausfall dabei. Wie schön. Lasst uns loslegen, ich möchte euch auf ein paar wirklich schöne Bücher neugierig machen und bin auch sehr gespannt wie euer Lesemonat war. Was hat euch begeistert? Oder enttäuscht? Und ich bin gespannt, welche meiner Vorstellungen ihr bereits kennt oder auf welche ich euch Lust machen kann. Freue mich auf eure Rückmeldungen.
Artful – Ali Smith auf deutsch unter dem Titel „Wem erzähle ich das“ im Luchterhand Verlag erschienen, übersetzt von Silvia Morawetz
Ali Smiths Artful hat mich auf eine Weise bewegt, die ich nur schwer in Worte fassen kann. Es ist eines dieser Bücher, die einen sofort in ihren Bann ziehen, obwohl – oder vielleicht gerade weil – es sich jeder klaren Kategorisierung entzieht. Es ist weder ein Roman noch eine einfache Sammlung von Essays, sondern eine seltsame, faszinierende Mischung aus beidem. Die vier Kapitel basieren auf Vorlesungen, die Smith ursprünglich an der Universität Oxford gehalten hat, und doch fühlt sich das Buch eher wie ein poetischer, manchmal sogar traumähnlicher Dialog an – zwischen Leben und Tod, zwischen Kunst und Denken.
Die Erzählung, die sich durch das Buch zieht, handelt von einer Frau, die nach dem Tod ihrer Geliebten trauert und plötzlich von deren Geist heimgesucht wird. Diese Tote ist nicht nur ein vages Gespenst; sie ist chaotisch, unordentlich, sie spricht in Rätseln, stiehlt Gegenstände und verbreitet einen Geruch, der die Nachbarn beunruhigt. Was mich daran so fasziniert hat, war, wie natürlich und zugleich verstörend Smith diesen Übergang zwischen Leben und Tod beschreibt. Es ist nicht das Drama eines tragischen Verlustes, sondern eher eine leise, seltsam humorvolle Akzeptanz des Unerwarteten.
“We do treat books surprisingly lightly in contemporary culture. We’d never expect to understand a piece of music on one listen, but we tend to believe we’ve read a book after reading it just once.”
Gleichzeitig spielt Smith meisterhaft mit den Themen Zeit, Form und Kunst. Manchmal fühlte es sich an, als wäre ich in einem wilden Gedankenspiel gefangen, das von einem intellektuellen Abendessen zu stammen schien, bei dem Figuren wie Virginia Woolf, Freud und Shakespeare zusammenkommen. Die ständige Bewegung zwischen intellektuellem Diskurs und ganz persönlichen, emotionalen Momenten hat mich tief beeindruckt. Es ist, als würde Smith mit Leichtigkeit zwischen den Ebenen von Gedanken und Gefühlen hin- und herspringen und dabei eine emotionale Tiefe erreichen, die mich oft unvorbereitet getroffen hat.
Recitatif – Toni Morrison erschienen unter dem Titel „Rezitativ“ im Rowohlt Verlag übersetzt von Tanja Handels
Toni Morrisons „Rezitativ“ ist eine unglaubliche Geschichte, die mich einfach nicht loslässt. Sie erzählt von zwei Mädchen, Twyla und Roberta, die in einem Heim aufwachsen. Eine ist weiß, die andere schwarz – doch Morrison gibt uns nie klar zu erkennen, wer welche Hautfarbe hat. Und genau das macht den Reiz der Geschichte aus: Man glaubt ständig, die Lösung zu wissen, doch dann zweifelt man wieder. Die Vorurteile, die man selbst mitbringt, werden dabei auf subtile Weise herausgefordert.
Was mich am meisten beeindruckt hat, ist, wie Morrison es schafft, unsicher zu bleiben. Jede Szene scheint Hinweise zu liefern, und doch bleibt man bis zum Ende ratlos. Es geht dabei nicht nur um die Hautfarbe der Protagonistinnen, sondern um viel mehr: um Vorurteile, um Machtstrukturen und um die Art und Weise, wie wir Menschen in Schubladen stecken. Diese Unsicherheit zieht sich durch die gesamte Geschichte und sorgt dafür, dass man sie auch lange nach dem Lesen nicht aus dem Kopf bekommt.
“Difficult to “move on” from any site of suffering if that suffering goes unacknowledged and undescribed.”
Interessant fand ich auch das Nachwort von Zadie Smith, das mir nochmal eine neue Perspektive eröffnet hat: Weiße Leserinnen und Leser neigen dazu, die Protagonistin als weiß zu lesen, während schwarze Leserinnen und Leser sie oft als schwarz interpretieren. Es zeigt, wie stark unsere Wahrnehmung von den eigenen Erfahrungen geprägt ist.
„Rezitativ“ ist viel mehr als nur eine Geschichte über zwei Mädchen – es ist ein intensives Spiel mit Wahrnehmung und Identität. Es zwingt einen dazu, sich selbst und die eigenen Vorurteile zu hinterfragen. Für mich war es eine Lektüre, die nachhallt und die ich sicher noch mehrmals lesen werde. Ganz große Klasse von Toni Morrison!
So long, see you tomorrow – William Maxwell auf deutsch unter dem Titel „Also dann bis morgen“ im Hanser Verlag erschienen, übersetzt von Benjamin Schwarz
Maxwells Roman, der nur 134 Seiten umfasst, beginnt mit einer außerehelichen Affäre und einem Mord in einer kleinen Stadt in Illinois zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Ich-Erzähler schildert die Ereignisse um den Mord, versucht aber gleichzeitig, sich emotional davon zu distanzieren. Während er sich erinnert, reflektiert er über den Wandel der Welt seit seiner Kindheit.
Was mir besonders gut gefallen hat, ist Maxwells Fähigkeit, die Charaktere so lebendig und vielschichtig darzustellen. Obwohl die Handlung eher ruhig verläuft, sind es diese fein ausgearbeiteten Figuren, die das Buch tragen. Vor allem die Beziehung des Erzählers zu seinem Freund Cletus, dessen Vater den Mord beging, bleibt im Gedächtnis. Der Erzähler quält sich bis ins hohe Alter mit Schuldgefühlen, weil er Cletus nach dem Mord ignorierte, als sie sich in der Schule begegneten.
Maxwell erzählt eine leise Geschichte, die tief bewegt, die zeigt, wie stark Kindheitserinnerungen und Schuld das Leben eines Menschen prägen können. Für alle, die langsame, tiefgründige Romane mögen, ist So Long, See You Tomorrow absolut empfehlenswert.
„I had to find an explanation other than the real one, which was that we were no more immune to misfortune than anybody else, and the idea that kept recurring to me…was that I had inadvertently walked through a door that I shouldn’t have gone through and couldn’t get back to the place I hadn’t meant to leave.“
William Maxwell (1908–2000) war ein amerikanischer Schriftsteller und über 40 Jahre Lektor beim New Yorker. Neben seinen Romanen schrieb er auch Kurzgeschichten und Kinderbücher, und seine Werke sind bekannt für ihre sensible Darstellung zwischenmenschlicher Beziehungen.
The Last Supper – Rachel Cusk erschienen im Picador Verlag – bislang nicht auf deutsch übersetzt
Rachel Cusks „The Last Supper“ ist ein ungewöhnliches, persönliches Reisebuch, das mich auf eine eigenwillige und charmante Reise durch Italien mitgenommen hat. Es ist kein klassischer Reisebericht, in dem schöne Landschaften und sonnige Tage im Vordergrund stehen. Stattdessen widmet sich Cusk der Kunst, dem Alltag und ihren inneren Beobachtungen, und sie tut dies mit einer Sprache, die oft poetisch und metaphorisch ist. Ihre Beschreibungen der Renaissance-Kunstwerke, die sie mit ihrer Familie betrachtet, wirken oft fast spirituell, als ob die Figuren auf den Gemälden ihr eigene Geschichten zuflüstern.
Es geht in diesem Buch jedoch nicht nur um Kunst und Architektur. Was mich besonders faszinierte, ist, wie Cusk ihre Umgebung und ihre Erlebnisse durch ihre eigene, kritische Linse betrachtet. Sie hinterfragt die touristischen Klischees von Italien, die Vorstellung von der „italienischen Lebensart“ und auch die Simplizität des Essens, die oft romantisiert wird. Wiederholt essen sie und ihre Kinder dasselbe einfache Essen – Tomaten, Schafskäse, grobes Brot – und beginnen, die Vielfalt des Essens in ihrer Heimat als etwas fast Groteskes zu empfinden.
„I wish I could learn how to read the structure of life as a weathermen read the structure of clouds, where the future must be written, if only you knew what to look for“
Interessanterweise wird in The Last Supper Cusks Ehemann nicht ein einziges Mal erwähnt, obwohl ihre beiden Töchter eine wichtige Rolle in der Erzählung spielen. Sie sind präsent, sie reisen mit, sie reagieren auf die fremde Umgebung – aber der Mann, mit dem sie in Italien unterwegs ist, bleibt unsichtbar. Es wirkt fast so, als wäre er in ihrer Wahrnehmung bereits verblasst, obwohl das Buch während der Ehe geschrieben wurde. Nur wenige Jahre nach der Veröffentlichung ließen sich die beiden tatsächlich scheiden. Die Tatsache, dass er nicht auftaucht, verleiht der Geschichte eine subtile Spannung und lässt Raum für Spekulationen.
Rachel Cusk wurde 1967 in Kanada geboren, zog aber im Alter von acht Jahren mit ihrer Familie nach Großbritannien. Sie studierte Englische Literatur in Oxford und veröffentlichte 1993 ihren ersten Roman Saving Agnes, für den sie den Whitbread First Novel Award gewann.
Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull – Thomas Mann erschienen im S. Fischer Verlag
Thomas Manns „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ hat mich total überrascht. Eigentlich hatte ich erwartet, dass mich der Stil überfordern könnte, oder ich wie beim Zauberberg kurz vor Schluß einfach nicht mehr mag, aber genau das Gegenteil war der Fall: Die Sprache ist ein reiner Genuss! Mann schreibt mit einer Eleganz und Leichtigkeit, die mich sofort in die Geschichte hineingezogen hat.
Manns Sprache ist ein Hochgenuss – elegant, ironisch und dabei erstaunlich leicht zugänglich. Schon nach wenigen Seiten war ich ganz im Bann von Felix Krull, einem Hochstapler mit so viel Charme und Witz, dass man ihm einfach alles verzeihen will. Er stiehlt sich durch die Gesellschaft mit einer Leichtigkeit, die mich fasziniert hat, und gleichzeitig ist er so sympathisch, dass ich mich fast ertappt fühle, wie ich ihm innerlich zujubelte.
Felix Krull selbst ist eine faszinierende Figur. Er ist ein Hochstapler, ja, aber einer mit so viel Charme und einem goldenen Herz, dass man ihm seine Täuschungen fast schon verzeiht. Die Art, wie er sich durch die Gesellschaft bewegt, immer mit einem Augenzwinkern, ist so unterhaltsam, dass ich mir fast wünsche, ihm mal im echten Leben zu begegnen – idealerweise bei einem Glas Champagner. Trotz seiner Betrügereien bleibt er durchweg sympathisch, was vor allem an der Art liegt, wie Mann ihn darstellt: als jemanden, der die Regeln der Gesellschaft geschickt ausnutzt, ohne dabei wirklich boshaft zu sein.
„Es war der Gedanke der Vertauschbarkeit. Den Anzug, die Aufmachung gewechselt, hätten sehr vielfach die Bedienenden ebensogut Herrschaft sein und hätte so mancher von denen, welche, die Zigarre im Mundwinkel, in den tiefen Korbstühlen sich rekelten – den Kellner abgeben können. Es war der reine Zufall, daß es sich umgekehrt verhielt – der Zufall des Reichtums; denn eine Aristokratie des Geldes ist eine vertauschbare Zufallsaristokratie.“
Interessant ist auch, dass Felix Krull schon früh in Manns Leben eine Rolle spielte. Bereits 1911 tauchte die Figur erstmals in einer Erzählung auf, und Mann kehrte später zu ihr zurück, als er sich mehr dem Humor und der Leichtigkeit zuwandte. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Werke, die oft von existenziellen Themen durchzogen sind, ist „Felix Krull“ ein eher heiteres und spielerisches Werk – fast so, als hätte Mann hier eine Pause vom Ernst des Lebens machen wollen. Ich kann im Übrigen auch die Verfilmung aus dem Jahr 1957 von Kurt Hoffmann mit Horst Buchholz in der Hauptrolle empfehlen – hat mir sehr gefallen.
Unbedingte Empfehlung – jetzt hab ich richtig Lust auf die Buddenbrocks bekommen.
Wie sieht es bei euch aus? Thomas Mann – yeahhh oder mehhh?
Brian – Jeremy Cooper erschienen bei Fitzcarraldo Editions, bislang nicht auf deutsch übersetzt
Ich hatte eigentlich nur vor, mal kurz in Jeremy Coopers Roman Brian reinzulesen, bin aber direkt hängengeblieben. Das Buch hat mich einfach reingezogen. Der Fitzcarraldo Verlag ist ein faszinierender Verlag aus London mit interessanten Romanen oft in Übersetzung bei dem ich oft fündig werde.
Cooper erzählt die Geschichte von Brian, einem einsamen Mann, der sein Leben um seine täglichen Routinen herum gebaut hat – ein Job im Camden Council, Mittagessen im Café Il Castelletto und zurück in seine kleine Wohnung. Alles läuft in geordneten Bahnen, bis Brian eines Tages das BFI (British Film Institute) entdeckt und das Kino zu einem festen Teil seines Lebens wird. Ab da sieht er sich fast jeden Abend Filme an, von Ozu über Fellini bis zu Varda, und findet so endlich eine Gemeinschaft, eine Gruppe von gleichgesinnten Filmfans. Es ist eine so schöne Idee, wie das Kino für ihn zu einem Zufluchtsort wird, wo er Freundschaft und Zugehörigkeit erlebt – etwas, das ihm sein bisheriges Leben nicht bieten konnte.
Die Art, wie Cooper die innere Welt von Brian beschreibt, ist so nah und gleichzeitig distanziert, dass man den Charakter förmlich vor sich sieht. Und ja, ich ertappe mich jetzt schon dabei, dass ich mich im Kino umsehe, ob Brian vielleicht irgendwo sitzt. Es ist ein Charakter, der einem einfach nicht aus dem Kopf geht.
„All his life, everywhere he went, Brian had shunned attention, the scars unhealed from being singled out at school in Kent as different and blamed for being so, by teachers, by other boys and by his mother. To ease his hurt he had made himself an expert at forgetting, a skill now matured, able most of the time to erase unwelcome thoughts and happenings. It did mean that he needed to hold himself on constant altert, ready to combat the threat of being taken by surprise, a state-of-being he had managed to achieve without the tension driving him crazy. There had been costs, by now discounted and removed from memory.“
Ich finde, das Buch macht auf eine sanfte, unaufgeregte Weise klar, wie stark Kunst – und in diesem Fall eben Filme – unser Leben bereichern und uns zu uns selbst führen kann. Brian erlebt das durch seine Filmleidenschaft, und ich denke, das ist etwas, womit sich viele identifizieren können, die im Kino einen besonderen Ort gefunden haben.
Wer Filme liebt und sich für das Zwischenmenschliche interessiert, sollte Brian unbedingt lesen. Es ist ein leises, aber nachhallendes Buch, das riesige Lust aufs Kino macht und meine Filmliste ist um etliches länger geworden. Große Empfehlung!
Wandering Souls – Cecile Pin erschienen im Atlantik Verlag, übersetzt von Maria Hummitzsch
Cecile Pins Debütroman Wandering Souls ist ein bewegender Roman, der die vietnamesische Flüchtlingserfahrung und die psychischen Belastungen der Assimilation einfängt. Es war mir in der Buchhandlung ins Auge gefallen, habe kurz reingelesen und konnte es gar nicht mehr aus der Hand legen. Pin nimmt uns mit auf die Reise der 16-jährigen Anh und ihrer jüngeren Brüder Minh und Thanh, die sich nach dem Vietnamkrieg auf die gefährliche Flucht nach Hongkong begeben. Die Familie ist gezwungen, auf zwei verschiedenen Booten zu reisen, und nur die drei älteren Geschwister erreichen ihr Ziel. Ihre Eltern und vier weitere Geschwister kommen auf tragische Weise ums Leben.
„Die Vietnamesen haben diese Tradition“, sagte er. „Sie glauben, dass man die Toten angemessen in ihrem Heimatort beerdigen muss. Tut man das nicht, sind Ihre Seelen dazu verdammt, als Geister auf der Erde herumzuirren.“
Die Geschichte setzt drei Jahre nach dem Abzug der US-Truppen ein, als Vietnam in politischem und wirtschaftlichem Chaos versinkt. Anh, Minh und Thanh landen nach vielen Stationen – darunter Flüchtlingslager und Ablehnung durch die US-Einwanderungsbehörde – in London. Dort kämpfen sie in den 1980er Jahren mit den Herausforderungen des Lebens in einer neuen, oft feindseligen Umgebung. Besonders Anh trägt als älteste Schwester die Last der Verantwortung, während Minh in Schwierigkeiten gerät und Thanh versucht, sich in der neuen Kultur zurechtzufinden.
Der Roman schafft es, sowohl die emotionalen Wunden der Flucht als auch die Herausforderungen der Assimilation in einer neuen Gesellschaft eindrucksvoll darzustellen. Dabei setzt Pin nicht nur auf emotionale Tiefe, sondern auch auf historische Genauigkeit. Man merkt wie sehr sie für diesen Roman recherchiert hat. Es gibt Momente großen Schmerzes, schrecklicher Grausamkeiten und der Verzweiflung, aber auch Zusammenhalt, Liebe und Hoffnung.
Der Autor begibt sich auf eine tiefgründige und bewegende Spurensuche, die mir noch lange nach dem Lesen im Gedächtnis bleiben wird. Das Buch erzählt die erschütternde Geschichte eines der schlimmsten Kriegsverbrechen in Österreich – das Massaker von Rechnitz – und verbindet diese düstere Vergangenheit mit Batthyanys eigener Familiengeschichte.
Was mich an diesem Buch besonders berührt hat, ist die Ehrlichkeit, mit der Batthyany die Geschehnisse aufarbeitet. Er scheut sich nicht, sich selbst und seine Familie kritisch zu hinterfragen. Auf eindringliche Weise erzählt er, wie er erst als Erwachsener von dem Massaker erfuhr und wie er sich daraufhin entschloss, der Wahrheit über seine eigene Familie auf den Grund zu gehen. Diese Recherche zieht sich über sieben Jahre und führt ihn an verschiedene Orte, von Ungarn über Sibirien bis nach Buenos Aires. Dabei werden Fragen aufgeworfen, die oft unbeantwortet bleiben – das macht die Geschichte umso eindringlicher und verstörender.
Besonders die Darstellung der Gräfin Margit Thyssen-Batthyány, Batthyanys Großtante, hat mich zum Nachdenken angeregt. Ihre Rolle in der Nacht des Massakers bleibt unklar, doch der Autor macht deutlich, dass sie eine Mitwisserin war, die mit den Tätern feierte. Diese Ambivalenz zwischen Festlichkeit und Grauen ist ein starkes Motiv des Buches. Es ist erschreckend zu sehen, wie das Schweigen über die Vergangenheit selbst in der eigenen Familie weitergegeben wurde, und Batthyanys Entschlossenheit, das zu durchbrechen, ist inspirierend.
„Die Schweiz war für sie immer nur ein Spieleland, das Leben kein echtes, jedenfalls keines mit Höhen und Tiefen, mit Glück und Leid. Denn wer nicht mindestens ein paar Verwandte im Krieg verloren, wer nie miterlebt hatte, wie eine fremde Besatzungsmacht, seien es Deutsche oder Russen, alles umstürzte, der durfte nicht von sich behaupten, wirklich etwas vom Leben zu verstehen.“
Sacha Batthyany wurde 1972 in Zürich geboren und ist Journalist und Autor. Heute arbeitet er als Korrespondent in Washington. Seine journalistische Laufbahn umfasst eine Vielzahl von Themen, wobei er oft gesellschaftliche und historische Fragestellungen aufgreift. „Und was hat das mit mir zu tun?“ ist sein Debüt in der literarischen Sachbuchszene, und es zeigt eindrucksvoll, wie persönliche Geschichte und historische Ereignisse miteinander verwoben sind.
„Und was hat das mit mir zu tun?“ ist nicht nur ein Geschichtsbuch, sondern auch eine tiefgreifende persönliche Auseinandersetzung mit Schuld, Verantwortung und dem Umgang mit der Vergangenheit. Batthyanys ehrlicher und verletzlicher Schreibstil zieht einen in seinen Bann. Es ist ein Buch, das man gelesen haben sollte, um die schmerzhaften Wahrheiten über die eigene Geschichte und die Geschichte der anderen nicht zu vergessen.
Lessons – Ian McEwan erschienen unter dem Titel „Lektionen“ im Diogenes Verlag, übersetzt von Bernhard Robben
Die Geschichte um Roland Baines, dessen Leben sich durch Zufälle und historische Ereignisse immer wieder in unerwartete Bahnen lenkt hat mich sehr begeistert. Die Art, wie McEwan über das Leben, die Liebe und die Last der Vergangenheit schreibt, ist mir stellenweise richtig nah gegangen – ich hätte so viele Sätze am liebsten direkt unterstrichen! Die philosophischen Gedanken und feinen Beobachtungen über menschliche Beziehungen und politische Umbrüche wirken nie aufgesetzt, sondern weben sich organisch in Rolands Lebensweg ein. Ich hatte das Gefühl, mit ihm gemeinsam durch die Jahrzehnte zu reisen und die Welt aus seiner Perspektive zu erleben.
Besonders gut gefallen hat mir McEwans Fähigkeit, alltägliche Momente so zu beschreiben, dass sie plötzlich eine ganz neue Bedeutung erhalten. Es sind oft die kleinen, beiläufigen Szenen, die einem noch lange im Kopf bleiben. Gleichzeitig stellt das Buch aber auch große Fragen: Wie beeinflussen uns die großen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche unserer Zeit? Wie sehr bestimmt die Vergangenheit unser Handeln in der Gegenwart? Ich habe das Gefühl, dass ich das Buch irgendwann unbedingt noch einmal lesen muss, weil man sicher viele Details erst beim zweiten Mal so richtig erfasst.
“His accidental fortune was beyond calculation, to have been born in 1948 in placid Hampshire, not Ukraine or Poland in 1928, not to have been dragged from the synagogue steps in 1941 and brought here. His white-tiled cell – a piano lesson, a premature love affair, a missed education, a missing wife – was by comparison a luxury suite. If his life so far was a failure, as he often thought, it was in the face of history’s largesse.”
Die Stimme des Sprechers hat perfekt zur Stimmung gepasst und die melancholischen, aber auch hoffnungsvollen Töne des Romans wunderbar transportiert. Insgesamt ist „Lektionen“ für mich ein nachdenkliches und intensives Werk, das lange nachhallt.
Ian McEwan mausert sich immer mehr zu einem meiner Lieblings-Autoren zu dessen Werken man fast blind greifen kann und man einfach sicher sein kann, nicht nur gut unterhalten zu werden, eine Menge zu lernen sondern die einem auch noch lange im Gedächtnis bleiben und mit deren Fragestellungen man sich noch eine ganze Weile beschäftigen wird.
Habt Ihr Lust auf eine Weltreise? In meiner neuen Reihe werde ich ein Buch aus jedem Land der Erde lesen und vorstellen, ein Projekt auf das ich schon lange Lust habe. Mithilfe eines Zufallsgenerators lose ich die jeweils nächsten drei Länder aus, sodass ich genügend Zeit habe, die passende Lektüre zu besorgen. Wo immer möglich ein Buch eine*r Autor*in aus dem jeweiligen Land. Da ich aber außerdem meinen SUB (Stapel ungelesener Bücher) abarbeiten möchte, werde ich in wenigen Ausnahmefällen ein Buch wählen dass sich bereits in meinem Regal befindet, auch wenn der/die Autor*in nicht ursprünglich aus dem Land kommt. Darüber hinaus werde ich auch zu jedem Land weitere kulturelle Elemente einbauen: ein Film, eine lokale Band, ein typisches Gericht zum Nachkochen sowie – wenn möglich – persönliche Erfahrungen und Fotos. Im Fall von Vietnam füge ich Bilder unserer Reise 2011 hinzu, als wir dieses faszinierende Land erkundeten. Alles klar? Dann kann es ja losgehen:
Wandering Souls – Cecile Pin auf deutsch unter dem gleichnamigen Titel im Atlantik Verlag erschienen, übersetzt von Maria Hummitzsch
Cecile Pins Debütroman Wandering Souls ist ein bewegender Roman, der die vietnamesische Flüchtlingserfahrung und die psychischen Belastungen der Assimilation einfängt. Es war mir in der Buchhandlung ins Auge gefallen, habe kurz reingelesen und konnte es gar nicht mehr aus der Hand legen. Pin nimmt uns mit auf die Reise der 16-jährigen Anh und ihrer jüngeren Brüder Minh und Thanh, die sich nach dem Vietnamkrieg auf die gefährliche Flucht nach Hongkong begeben. Die Familie ist gezwungen, auf zwei verschiedenen Booten zu reisen, und nur die drei älteren Geschwister erreichen ihr Ziel. Ihre Eltern und vier weitere Geschwister kommen auf tragische Weise ums Leben.
Die Geschichte setzt drei Jahre nach dem Abzug der US-Truppen ein, als Vietnam in politischem und wirtschaftlichem Chaos versinkt. Anh, Minh und Thanh landen nach vielen Stationen – darunter Flüchtlingslager und Ablehnung durch die US-Einwanderungsbehörde – in London. Dort kämpfen sie in den 1980er Jahren mit den Herausforderungen des Lebens in einer neuen, oft feindseligen Umgebung. Besonders Anh trägt als älteste Schwester die Last der Verantwortung, während Minh in Schwierigkeiten gerät und Thanh versucht, sich in der neuen Kultur zurechtzufinden.
Der Roman schafft es, sowohl die emotionalen Wunden der Flucht als auch die Herausforderungen der Assimilation in einer neuen Gesellschaft eindrucksvoll darzustellen. Dabei setzt Pin nicht nur auf emotionale Tiefe, sondern auch auf historische Genauigkeit. Man merkt wie sehr sie für diesen Roman recherchiert hat. Es gibt Momente großen Schmerzes, schrecklicher Grausamkeiten und der Verzweiflung, aber auch Zusammenhalt, Liebe und Hoffnung.
Die Vietnamesen haben diese Tradition“, sagte er. „Sie glauben, dass man die Toten angemessen in ihrem Heimatort beerdigen muss. Tut man das nicht, sind Ihre Seelen dazu verdammt, als Geister auf der Erde herumzuirren.
Ich mochte Pins präzisen ungeschnörkelten Stil. Es ist eine vielschichtige Erzählung, die sowohl das persönliche Schicksal der Charaktere als auch die größere historische Tragödie des Vietnamkriegs und seiner Nachwirkungen umfasst. Es ist ein beeindruckendes Debüt das 2023 auf der Longlist des Women’s Prize for Fiction landete, das auf sensible Weise den Verlust und die Anpassung an eine neue Realität beleuchtet.
Cecile Pin ist eine britisch-vietnamesische Autorin, die in Paris geboren und in London aufgewachsen ist. Sie studierte Philosophie und Politik und arbeitete in der Verlagsbranche, bevor sie sich dem Schreiben widmete.
Mir hat der „Wandering Souls“ richtig gut gefallen und freue mich schon auf weitere Romane von Cecile Pin.
Vietnam wird für uns immer einen besonderen Platz im Herzen haben, da wir dort 2011 unsere Hochzeitsreise verbracht haben. Unsere Reise begann in Hanoi, einer faszinierenden Stadt, die wie ein lebendiger Bienenstock summt. Besonders die Altstadt mit ihren labyrinthartigen Gassen hat uns beeindruckt, und das Gedränge aus Fahrrädern und Mopeds machte selbst einen einfachen Straßenspaziergang zu einem kleinen Abenteuer. Wir standen am ersten Tag gefühlt 15 Minuten am Straßenrand bis wir uns trauten uns einfach todesmutig in den Verkehr zu stürzen und irgendwie zwischen all den Millionen Fahrzeugen auf die andere Straßenseite zu gelangen.
Von Hanoi aus fuhren wir zur Halong-Bucht, wo wir eine traumhafte dreitägige Bootstour auf einer traditionellen Dschunke unternahmen. Die zerklüfteten Kalksteinfelsen und die mystische Atmosphäre der Bucht gehören zu den schönsten Erinnerungen, die wir von dieser Reise mitgenommen haben. Zum Programm gehörte auch eine Kanufahrt, bei der wir uns nicht wirklich talentiert anstellten. Wir hatten Sorge wir machen die Halong Bay kaputt, als wir ziemlich heftig an einen der ikonischen Felsen rammten und die Vietnames*innen in den Booten um uns rum die auf dem Weg zum floating Market waren, haben glaube ich um ihr Leben gebangt und einen großen Bogen um unser Kanu-from-Hell gemacht.
Die Halong Bay war wirklich eine einzigartige Erfahrung, eines der schönsten Erlebnisse unserer Reisen war wirklich diese Bootstour, danach ging es weiter nach Hoi An, einer wirklich hübschen Stadt, die für ihre gut erhaltene Altstadt und die bunten Lampions bekannt ist. Dort nahmen wir an einem Kochkurs teil und entdeckten einen sehr charmanten Second-Hand-Buchladen, bei dem wir Reiselektüre nachkaufen konnten.
Die letzte Etappe unserer Reise führte uns nach Saigon (Ho-Chi-Minh-Stadt), das uns leider weniger begeisterte. Nach zwei bis drei Tagen waren wir froh, auf die Insel Phu Quoc zu reisen, wo wir in einer malerischen kleinen Hütte am Strand übernachteten. Es war fast perfekt – wenn nicht eine Ratte nachts ins Zimmer gekommen wäre!
Die Geschichte Vietnams ist geprägt von Kriegen und Kolonialismus, besonders durch die französische Kolonialzeit und den verheerenden Vietnamkrieg. Nach der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1954 wurde Vietnam in einen kommunistischen Norden und einen kapitalistischen Süden geteilt. Der Vietnamkrieg (1955–1975) brachte großes Leid und Zerstörung, und nach dem Sieg der kommunistischen Kräfte wurde das Land wiedervereinigt. Heute ist Vietnam eine sozialistische Republik, die sich wirtschaftlich öffnet und einen bemerkenswerten Wandel erlebt hat.
Die vietnamesische Küche ist bekannt für ihre frischen Zutaten und ihre zarten Aromen. Im Gegensatz zur thailändischen Küche beispielsweise wird in Vietnam in der Regel nicht übermässig scharf gegessen. Wir haben stets phänomenal gegessen, oft am besten an den winzig kleinen Straßenständchen in denen ein riesiger Topf über offenem Feuer hing und wo es Phở, eine herzhafte Nudelsuppe mit Rind- oder Hühnerfleisch gab, ein Klassiker der vietnamesischen Küche der traditionell zum Frühstück gegessen wird. Das war überhaupt mein Highlight für mich alte Suppentante. Suppe zum Frühstück ist für mich der perfekte Start in den Tag.
Zu den weiteren bekanntesten Gerichten gehört Bánh Mì, ein knuspriges Baguette, gefüllt mit Fleisch oder Tofu, eingelegtem Gemüse, Kräutern und einer pikanten Sauce oder auch Wasserspinat (Rau Muống) den wir auch sehr sehr gerne gegessen haben. Ein weiteres Highlight ist der vietnamesische Kaffee (Cà Phê), der mit süßer Kondensmilch serviert wird – ein perfekter Abschluss für eigentlich jede Mahlzeit.
Filmempfehlung: The Scent of Green Papaya (1993) Für Vietnam möchte ich den Film The Scent of Green Papaya von Regisseur Tran Anh Hung empfehlen. Der Film spielt im Saigon der 1950er Jahre und erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens namens Mùi, das als Dienerin in einer wohlhabenden Familie arbeitet. Der Film besticht weniger durch eine komplexe Handlung, sondern durch seine visuelle Poesie und die subtile Darstellung des Alltagslebens in Vietnam. Die Sinnlichkeit des Films liegt in den alltäglichen Details: das Schälen der grünen Papaya, das leise Geräusch des Regens und die ruhigen, fast meditativen Bilder. Ich habe den Film vor ein paar Tagen gerade wieder geschaut und er ist und bleibt einer meiner allerliebsten Filme – ich kann ihn euch nur ans Herz legen.
Musiktipp: Timekeeper Vietnam hat eine dynamische und vielfältige Musikszene, die weit über traditionelle Töne hinausgeht. Eine spannende Band, die ich vorstellen möchte, ist Timekeeper. Diese Post-Rock-Band aus Ho-Chi-Minh-Stadt erschafft atmosphärische Klanglandschaften die eine ganz besondere Stimmung erzeugen. Nicht nur für Post-Rock-Fans ein echter Leckerbissen. Hört mal rein:
Noch ein paar Fakten über Vietnam: Vietnam ist etwa 8% kleiner als Deutschland, hat dabei aber knapp 20% mehr Einwohner*innen. Das bedeutet, die Bevölkerungsdichte in Vietnam ist auch höher, besonders in städtischen Gebieten wie Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt.
OK – das war der erste Beitrag meiner Reihe „Read Around the World“. Habt ihr Lust auf die Reihe? Fehlt euch was? War es zu lang, zu kurz und möchtet ihr vorab wissen wohin es als nächstes geht, oder wollt ihr euch überraschen lassen?
Cornwall – wild, ungezähmt, und ehrlich gesagt hatten wir uns in Sachen Wetter auf so ziemlich alles eingestellt. Aber das, was dann kam, war so viel besser als erwartet: Bis auf einen Tag strahlender Sonnenschein! Doch selbst die wenigen Wolken konnten unsere Stimmung nicht trüben – was auch daran liegen könnte, dass wir uns in einer sehr hübschen Ferienwohnung in Penzance einquartiert hatten. Der perfekte Ausgangspunkt für unsere täglichen Erkundungstouren.
Penzance hat einen rustikalen Charme, und die an Piraten reiche Geschichte Cornwalls konnte man nur ein paar Häuser weiter von unserer Unterkunft im sehr urigen seit 1695 bestehenden Admiral Bentow Pub bestens erkunden. Unser kulinarisches Highlight der Reise erlebten wir allerdings im „Cork & Fork“, wo wir eine richtig gute Seezunge gegessen haben. Empfehlenswert!
Ein anderer schöner Ort war der „The Edge of the World Bookshop“. Allein der Name verspricht schon ein kleines Abenteuer. Und genau so fühlt es sich an, wenn man erstmal durch die Tür tritt. Gemütlich, einladend, und – Achtung – unglaublich schwer, ohne mindestens drei Bücher unter dem Arm wieder rauszugehen. Sogar der Duft der Seiten hatte etwas Magisches. Man möchte fast glauben, dass ein paar dieser Bücher direkt aus Narnia stammen.
Kleine Anekdote am Rande: In Penzance haben wir auch die Morrab Library entdeckt. Ein echter Geheimtipp! Die Bibliothek befindet sich in einem alten Landhaus, das aussieht, als sei es einem Jane-Austen-Roman entsprungen. Über 70.000 Bücher, und das Beste: Die werden alle noch mit Papier-Karteikarten verwaltet! Ich fühlte mich sofort in die öffentliche Bibliothek meiner Kindheit zurückversetzt – wir wurden mit einem Lächeln empfangen, wir durften jeden Räum erkunden und sie haben sogar ein Foto mit uns gemacht, weil sie sich sehr über internationale Besucher freuen 🙂
Im Treppenhaus hängt ein großes Porträt von John le Carré Er lebte lange in Cornwall und war ein großer Fan der Morrab Library und unterstütze sie auch großzügig. Le Carré, der eigentlich David Cornwell hieß, fand in Cornwall nicht nur ein Refugium, sondern auch Inspiration. Seine Liebe zur Region und ihre Verbindung zur Natur spiegeln sich in vielen seiner Werke wider. Es wird gesagt, dass er sich von den Küsten Cornwalls ebenso zu seinen Spionageromanen inspirieren ließ wie von den politischen Spannungen seiner Zeit. Ein Mann voller Widersprüche – einerseits mit der Welt der Geheimdienste vertraut, andererseits mit einem Rückzugsort, der idyllischer nicht sein könnte. Cornwall und le Carré – das ist eine Verbindung von Kontrast und Harmonie und ich muss endlich mal meinen Le Carré Roman aus dem Bücherregal vorholen und endlich lesen.
Es ist übrigens überhaupt kein Problem ohne Auto in Cornwall unterwegs zu sein. Wahrscheinlich ist es sogar die bequemere Variante, denn die Single Track Roads sind tückisch und bei unseren Busfahrten haben wir so manche Autofahrer*in rückwärts manövrierend fast im Graben landen. Das Busnetz ist gut ausgebaut und sehr günstig – 2 GBP pro Strecke, und für 7 GBP gab’s ein Tagesticket, mit dem man sich kreuz und quer durch die Landschaft bewegen konnte.
Einer unserer ersten Ausflüge führte uns zu einem Treffen mit Freundinnen ins schöne St Ives, die dort zufällig auch gerade urlaubten. St. Ives ist ein wirklich niedliches Fischerstädtchen berühmt für sein gutes Licht und daher seit Jahrhunderten Anziehungspunkt für eine Menge Maler*innen. Wir schlenderten durch die Gassen, aßen abends richtig guten Chowder – diese fabelhafte, cremige Fischsuppe, die man in Cornwall überall findet – und genossen am Nachmittag einen richtig guten Cornish Cream Tea. Scones, clotted cream und Marmelade – da der Tag in St. Ives auch gleichzeitig der kühlste und regnerischste unserer Reise war, waren heißer Tee und süße Scones die perfekte Antidote dafür.
Ein weiteres Highlight unserer Reise war Mousehole. Nein, das ist kein Tippfehler. Mousehole (ausgesprochen „Mauzl“) ist ein winziges Fischerdorf, das wirklich charmant und zauberhaft ist. Die Häuser kleben an den Klippen, und die Boote im kleinen Hafen schaukeln gemütlich in der Sonne. Kein Wunder, dass Dylan Thomas, der walisische Dichter, Mousehole als „das schönste Dorf Englands“ bezeichnet hat. Finde ich total nachvollziehbar. Nach einem guten Mittagessen mit Blick auf den Hafen, packten wir uns mit unseren Büchern an den kleinen Strand im Ort und ließen uns die Sonne auf den gut gefüllten Bauch brennen.
Dann war da noch Mount St. Michael – diese märchenhafte Inselburg, die bei Ebbe zu Fuß erreichbar ist. Allein die Überquerung über den trockengelegten Meeresboden fühlte sich an, als ob wir Teil eines Fantasy-Abenteuers wären. Ein bisschen wie „Der Herr der Ringe“, nur ohne Orks, dafür mit einer imposanten Burg. Besonders angetan hatte es uns der riesige Blumengarten, soooo schön und der Ausblick – mir fehlen wirklich ein bißchen die Worte. Man hatte an dem Tag definitiv das Gefühl irgendwo im Süden zu sein.
Natürlich stand auch ein Besuch bei Lands End, dem westlichsten Punkt Englands, auf dem Plan. Die Klippen dort sind der Hammer! Das tosende Meer, das gegen die Felsen schlägt, und der Wind, der einem die Haare zerzaust – Cornwall in seiner wildesten und schönsten Form. Ich hätte stundenlang da sitzen und einfach nur aufs Wasser starren können. Oder Rebecca lesen. Was mich jetzt auch langsam aber sicher zum „by the Book“-Teil der Reise bringt. Da ich zwar eine ganze Menge du Mauriers zu Hause habe, mir die alle aber zu schade waren im Rucksack durch die Gegend geschlörrt zu werden, entschied ich mich für ein Hörbuch und zwar die Biografie von Daphne du Maurier.
Ein bisschen wehmütig wurden wir jedoch, als uns klar wurde, dass wir Manderley nicht besuchen konnten. Warum? Weil es nur in unserer Fantasie existiert! Aber auch das echte Vorbild, Menabilly House, konnten wir nicht besichtigen, da es sich in Privatbesitz befindet. Via Hörbuch tauchte ich ein in ihr du Mauriers faszinierendes Leben und insbesondere ihre mehrwöchtigen Wanderungen zu dem nahezu verfallenen Menabilly House und wie sie die damaligen Besitzer dazu überreden konnte es ihr zu vermieten. Maurier verbrachte einen Großteil ihres Lebens in Cornwall, und viele ihrer Bücher sind von dieser dramatischen Landschaft geprägt. Mit ihren düsteren Geschichten und mysteriösen Figuren hat sie Cornwall auf die literarische Landkarte gesetzt. Jeder noch so kleine Buchladen und Souvenirshop hat ihr gesamtes Angebot stets in verschiedensten Ausgaben im Angebot. Bei unserem nächsten Besuch in Cornwall wollen wir unbedingt den Jamaica Inn Pub besuchen, den sie in ihrem Roman unsterblich gemacht hat.
Ein Filmtipp den ich noch unterbringen möchte ist der sehr atmosphärisch-verstörende Film „Enys Men“ der wunderschöne Bilder hat und am Rande auf die Bergwerks-Vergangenheit Cornwalls eingeht. Sehr sehenswert!
Cornwall war früher ein Hotspot für Schmuggler. Die zerklüfteten Küsten und versteckten Buchten waren ideal für den illegalen Handel mit Brandy, Tabak und anderen Schmuggelwaren. Parallel dazu war Cornwall auch ein Zentrum des Bergbaus, besonders für Zinn und Kupfer. Heute? Heute ist der Bergbau weitestgehend Geschichte, aber der Tourismus boomt, wobei es höchstens in St. Ives für meinen Geschmack ein wenig überlaufen war.
Cornwall ist eine wunderschöne Gegend, wir kommen wieder und dank des „The Edge of the World Bookshops“ bin ich jetzt auch mit einer langen Liste von spannenden Büchern ausgestattet die dort spielen und die mal nicht von Daphne du Maurier geschrieben wurden.
Es gibt jetzt noch einen finalen Stopp – dann kommt unsere literarische Englandreise aus dem Frühsommer dieses Jahres zu seinem Ende. Kommt ihr mit nach Oxford? Habt ihr eine Idee was ich dafür an Literatur im Gepäck hatte und wie hat euch mein Cornwall Bericht gefallen? Seid ihr schon dort gewesen? Mögt ihr Daphne du Maurier – ich freue mich sehr von euch zu hören.
Der August war ein wirklich guter Lesemonat mit acht Büchern, darunter zwei Highlights, viele weitere großartige Titel – kein einziger Ausfall, ich bin rundum zufrieden! Aber jetzt ohne groß Schnacken geht es direkt los. Bin gespannt, welche davon ihr bereits kennt oder auf welche ich euch Lust machen kann. Freue mich auf eure Rückmeldungen. Wie war euer Lesemonat August?
Beim Lesen von Carolin Emckes „Für den Zweifel“ als auch beim Besuch ihres Gesprächs mit Asal Dardan in der Monacensia in München im Juni habe ich unglaublich viel gelernt. Emcke denkt und spricht in Lichtgeschwindigkeit, und ich habe versucht, mir so viele Notizen wie möglich zu machen. Ihre kluge und gleichzeitig bescheidene Art, insbesondere ihr ständiges Zweifeln und das Eingeständnis, nicht alles zu wissen, hat mich sehr beeindruckt. Davon bräuchten wir heute viel mehr.
Emckes Buch ist eine tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Thema Zweifel. Sie zeigt, dass Zweifel keine Schwäche, sondern ein wichtiger Teil des Erkenntnisprozesses ist. In einer Welt, die oft nach schnellen und einfachen Antworten sucht, erinnert sie uns daran, dass es wichtig ist, innezuhalten und gründlich nachzudenken. Ihre Bereitschaft, Unsicherheit zuzulassen und Fragen offen zu lassen, vermittelt eine wertvolle Lektion in Bescheidenheit und Offenheit.
„Dass es Erfahrungen geben kann, die sich nicht sofort beschreiben lassen, ja, dass es Erfahrungen gibt, die sich nicht einmal sofort verstehen lassen, weil sie uns überfordern, weil sie alles außer Kraft setzen, was sonst gilt, weil sie alle Erwartungen an das, was Menschen aneinander antun, übersteigen – das ist ungeheuerlich.“
Ein zentraler Punkt in Emckes Werk und im Gespräch war der Umgang mit Gewalt und Fanatismus in unserer Gesellschaft. Sie betont die Bedeutung des Dialogs und des Verständnisses für den Anderen, selbst wenn es schwierig ist. Sie fordert dazu auf, die Ursachen von Hass und Gewalt zu verstehen, anstatt vorschnelle Urteile zu fällen.
Ihre Erfahrungen als Reporterin in Krisengebieten verleihen ihren Argumenten eine besondere Authentizität. Emckes Berichte über ihre Begegnungen mit Gewalt und Entmenschlichung sind erschütternd und inspirierend zugleich. Sie zeigt, wie wichtig es ist, die Geschichten und Erfahrungen anderer Menschen zu hören, um die Welt besser zu verstehen.
In „Für den Zweifel“ fordert Emcke uns auf, immer wieder innezuhalten und zu reflektieren. Diese Haltung, stets neugierig und offen für Neues zu bleiben, sind inspirierend und da lasse ich gerne meine Hirnwindungen (ver)glühen…
Trespasses – Louise Kennedy auf deutsch unter dem Titel „Übertretung“ im Steidl Verlag erschienen, übersetzt von Claudia Glenewinkel und Hans-Christian Oeser
Ich muss ehrlich zugeben, dass es einige Themen in der Literatur gibt, um die ich normalerweise einen großen Bogen mache: zum Beispiel Mafia, Sport, Spionage oder auch der Nordirland-Konflikt. Doch manchmal purzeln durch meinen Bookclub Bücher auf meine Leseliste, die ich sonst wahrscheinlich nie in die Hand genommen hätte – und das ist wirklich gut so. Ein perfektes Beispiel dafür ist Louise Kennedys Trespasses, das mich gehörig aufgewühlt hat.
Die Geschichte spielt im Jahr 1975 in Nordirland, zu einer Zeit, in der der Alltag der Menschen von Gewalt und Terror geprägt war. Was mich besonders fasziniert hat, ist die Art und Weise, wie Kennedy den alltäglichen Schrecken darstellt. Diese Abgestumpftheit, die sich in den Menschen festsetzt, wenn Bedrohung und Anschläge zur traurigen Normalität werden, ist erschütternd und geht unter die Haut. Es ist kein Buch, das man leicht vergisst, weil es einem diese dunklen, tragischen Aspekte so unmittelbar vor Augen führt.
Im Zentrum der Handlung steht Cushla, eine junge katholische Lehrerin, die sich in einen älteren, verheirateten protestantischen Anwalt verliebt. Obwohl die Liebesgeschichte einen zentralen Teil des Buches ausmacht, hat sie mich persönlich weniger interessiert. Viel mehr habe ich mich auf die Darstellung des alltäglichen Lebens während der „Troubles“ konzentriert, auf die kleinen Details, die Kennedy so meisterhaft einfängt – wie den „soft dunt“ eines sich schließenden Kühlschranks oder die bedrückende Atmosphäre in einem Pub, in dem britische Soldaten die Gäste im Auge behalten.
Wir hatten eine wirklich spannende Diskussion im Bookclub, auch oder vielleicht gerade, weil es sehr unterschiedliche Meinungen zum Buch gab. Ein besonders spannender Aspekt bei der Diskussion über Trespasses in unserem Bookclub war, dass wir Informationen aus erster Hand hatten. Eine Teilnehmerin, die während der Troubles in Nordirland aufgewachsen ist – glücklicherweise auf dem Land, wo die Gewalt weniger spürbar war als in Belfast – lobte das Buch in den höchsten Tönen.Sie war besonders beeindruckt von der realistischen Darstellung der Ereignisse und bestätigte, wie genau Kennedy die bedrückende Atmosphäre jener Zeit eingefangen hat.
„Sprengfalle. Brandsatz. Plastiksprengstoff. Nitroglyzerin. Molotowcocktail. Gummigeschoss. Saracen. Internierung. Special Powers Act. Vortrupp. Was heutzutage zum Wortschatz eines siebenjährigen Kindes gehört.“
Kennedy ist eine Autorin, die erst spät zur Literatur gefunden hat, nachdem sie fast drei Jahrzehnte als Köchin gearbeitet hat. Vielleicht ist es gerade diese Lebenserfahrung, die ihrem Schreiben diese besondere Tiefe und Sensibilität verleiht. In Trespasses geht es nicht nur um die äußeren Umstände, sondern auch um die inneren Kämpfe der Charaktere – und genau das macht das Buch so lesenswert.
Ich bin froh, dass ich mich aus meiner literarischen Komfortzone herausgewagt habe, denn Trespasses ist ein Buch, bei dem ich eine Menge gelernt habe und das mir glaube ich noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Ich danke dem @steidlverlag ganz herzlich für das Rezensionsexemplar.
Der grosse Sommer – Ewald Arenz erschienen im Dumont Verlag
I know I know dieses Buch hätte ich natürlich auf dem 10m Brett im Schwimmbad fotografieren müssen, aber die Schlange war zu lang, ihr müsst also mit dem Bächlein hinterm Haus vorlieb nehmen. Ich denke das Buch muss ich nicht großartig vorstellen. Gefühlt hat es schon jede*r gelesen und ich jetzt auch. Ich mochte es, es zu lesen fühlt sich nach Sommerferien, Freibadpommes und Gartenglück an.
„Nana blätterte weiter. Ein Regenbild am Abend. Sie konnte einfach so gut malen. Ich fühlte einen Stich. Ich wollte auch etwas können. Richtig können. Irgendwas.“
Vielleicht werde ich mich bald nicht mehr an allzu viel aus dem Buch erinnern – aber das macht nichts. Ich habe darin eine neben Dulcie aus „The Offing“ eine weitere wunderbare coole weise Lady kennengelernt – gute Role Models fürs Alter kann man gar nicht genug haben.
Hier kurz der Klappentext: Die Zeichen auf einen entspannten Sommer stehen schlecht für Frieder: Nachprüfungen in Mathe und Latein. Damit fällt der Familienurlaub für ihn aus. Ausgerechnet beim gestrengen Großvater muss er lernen. Doch zum Glück gibt es Alma, Johann – und Beate, das Mädchen im flaschengrünen Badeanzug. In diesen Wochen erlebt Frieder alles: Freundschaft und Angst, Respekt und Vertrauen, Liebe und Tod. Ein großer Sommer, der sein ganzes Leben prägen wird. Hellsichtig, klug und stets beglückend erzählt Ewald Arenz von den Momenten, die uns für immer verändern.
Ein Buch das bezaubert, an vergangene Sommer erinnert und wirklich sehr große Lust auf Arschbombe im Freibad macht.
Klaus Modicks „Keyserlings Geheimnis“ liest sich ganz wunderbar am Ufer des Starnberger Sees. Wer also plant seine Sommerfrische dort zu verbringen, für den gibt es keine passendere Lektüre. Der Roman schafft es auf wunderbare Weise, die Stimmung des Fin de Siècle lebendig werden zu lassen und die Leser*innen in die Welt des Schriftstellers Eduard von Keyserling mitzunehmen. Modick verwebt geschickt historische Fakten mit Fiktion und lässt uns teilhaben an einem schicksalhaften Sommer am Starnberger See im Jahr 1901. Der Fokus liegt auf den letzten Lebensjahren von Keyserling, einem geheimnisvollen, von der Syphilis gezeichneten Dichter, der seine Vergangenheit sorgsam unter Verschluss hält.
Mir gefiel, wie Modick die Atmosphäre dieser Zeit einfängt – die Sommerfrische, die intellektuellen Gespräche in den Münchner Kneipen, die dekadente Bohème, die sich dort versammelt. Er schafft es, das Lebensgefühl jener Epoche einzufangen, ohne dabei kitschig oder nostalgisch zu werden. Stattdessen entsteht ein authentisches, lebendiges Bild, das Lust darauf macht, sich tiefer mit dieser Zeit und ihrer Literatur auseinanderzusetzen.
„Der wahre Sommer ist niemals der, den man gerade erlebt, sondern der andere, lichtdurchwobene, dufterfüllte, wundervolle, an den man sich eines Tages erinnert. Die heimatliche Sonne leuchtet heller in der Fremde, die Gärten der Kindheit duften stärker in der Erinnerung. Was verloren geht, das gerinnt zum Bild. Oder wird zu einer Geschichte. Es ist natürlich lästig, dass sie erst noch geschrieben werden muss, während die Erinnerung einfach da ist, die unauslöschliche Erinnerung an Ado oder auch an Veronika, an Vroni, die er in seinem Wiener Roman Tini genannt hat“
Die Figur des Eduard von Keyserling selbst, ein adeliger Dandy und Außenseiter, bleibt dabei rätselhaft und faszinierend. Durch die Augen des Malers Lovis Corinth, der Keyserling porträtiert, und des Dramatikers Max Halbe, der ihn zu dieser Sommerfrische eingeladen hat, erleben wir einen Mann, der charmant und wortgewandt ist, aber stets eine gewisse Distanz wahrt. Die Gerüchte um einen Skandal in seiner Jugendzeit, die ihn schließlich ins Exil trieben, werden nur angedeutet und tragen zur geheimnisvollen Aura bei, die den Schriftsteller umgibt.
Modicks Roman macht definitiv Lust mehr über Eduard von Keyserling zu erfahren. Geboren 1855 in einem deutsch-baltischen Adelsgeschlecht, führte Keyserling ein Leben, das ebenso schillernd wie tragisch war. Nach einem Skandal verließ er seine Heimat und verbrachte einen Großteil seines Lebens in München. Seine impressionistischen Werke, die oft von einer melancholischen Grundstimmung durchzogen sind, gehören zu den bedeutendsten literarischen Zeugnissen dieser Zeit.
Die Bagage – Monika Helfer erschienen im Hanser Verlag
Monika Helfer hat mit „Die Bagage“ einen Roman vorgelegt, der tief in die Geschichte einer armen und teilweise am Existenzminimum lebenden Familie eintaucht und gleichzeitig das Thema Herkunft auf nachdrückliche Weise behandelt. Die Autorin nimmt uns mit in ein abgelegenes österreichisches Bergdorf während des Ersten Weltkriegs, wo sie die Geschichte ihrer Großeltern Maria und Josef erzählt.
Maria, eine Frau von außergewöhnlicher Schönheit, und Josef, ihr schweigsamer und furchteinflößender aber ebenfalls sehr schöner Ehemann, stehen im Zentrum des Romans. Ihre Geschichte wird von den Gerüchten im Dorf über die Familie sowie aufgrund des drohenden Krieges überschattet. Als Josef eingezogen wird, geraten Maria und die Familie noch weiter ins Visier der Dorfbewohner, und die Unsicherheit über die wahre Herkunft eines ihrer Kinder wird zum Kern der Erzählung. Helfer erzählt eine ländlich geprägte Geschichte die dennoch universell erscheint.
Was Helfers Roman besonders auszeichnet, ist die Art und Weise, wie sie die Fragmentierung von Erinnerungen und Geschichten darstellt. „Die Bagage“ ist nicht nur ein Familienroman, sondern auch eine Reflexion darüber, wie Geschichte erzählt und wahrgenommen wird. Die Autorin gelingt es, die Balance zwischen dokumentarischer Genauigkeit und spekulativer Erzählung zu halten, wodurch die Lebensgeschichten ihrer Vorfahren in einem neuen Licht erscheinen. Helfer bleibt als Erzählerin meist im Hintergrund, lässt ihre Figuren jedoch durch kleine Details und liebevolle Beobachtung lebendig werden.
„Ihr braucht nicht mehr in die Schule zu gehen“ sagte sie. „Überhaupt nicht mehr. Nicht mehr, solange Krieg ist. Alles, was ihr in der Schule lernt, kann ich euch auch beibringen.“
„Die Bagage“ ist ein dichter und atmosphärischer Roman von nur knapp 160 Seiten, der durch seine präzise und doch poetische Sprache besticht. Die Art, wie Helfer die Beziehungen und Spannungen innerhalb der Familie schildert, lässt erahnen, wie schwer das „Gepäck“ der eigenen Herkunft wiegen kann. Besonders die Tatsache, dass das Buch auf realen Familienerinnerungen basiert, verleiht ihm eine zusätzliche Tiefe und Authentizität.
Monika Helfer hat mit diesem Roman nicht nur die Geschichte ihrer Familie auf beeindruckende Weise festgehalten, sondern gezeigt, dass ein Werk verfasst, das über das Individuelle hinausgeht und universelle Fragen nach Identität und Zugehörigkeit aufwirft. Ich habe auf jeden Fall Lust bekommen weitere Werke der Autorin zu entdecken.
Prodigal Summer – Barbara Kingsolver auf deutsch ist das Buch unter dem Titel „Im Land der Schmetterlinge“ im Piper Verlag erschienen, übersetzt von Anne Ruth Frank-Strauss
„Prodigal Summer“ von Barbara Kingsolver hat mich, nachdem ich „Demon Copperhead“ Anfang des Jahres verschlungen habe, wieder tief beeindruckt. Obwohl es nicht ganz an die Intensität von „Demon Copperhead“ heranreicht, war es wieder eine Lektüre, die ich kaum aus der Hand legen konnte. Besonders faszinierend fand ich es, über die Generation vor den Ereignissen in „Demon Copperhead“ zu lesen, und einen Einblick in das Leben der „Hillbillies“ in den Appalachen rund um das Jahr 2000 zu bekommen.
Das Leben auf den Farmen, das sich seit Jahrhunderten kaum verändert hat, bekommt zunehmend Risse. Man merkt wie der traditionelle Lebensstil immer mehr unter Druck gerät. Die Veränderungen in der Landwirtschaft, die Kingsolver beschreibt, wie das langsame Sterben kleiner Betriebe, die vom Farming allein nicht mehr leben können, machen deutlich, wie diese Entwicklung unaufhaltsam in die Armut und die Opioid-Krise der folgenden Jahrzehnte führen würde.
“Her body moved with the frankness that comes from solitary habits. But solitude is only a human presumption. Every quiet step is thunder to beetle life underfoot; every choice is a world made new for the chosen. All secrets are witnessed.“
Das Buch erzählt drei miteinander verwobene Geschichten von Menschen, die alle ihre Verbindung zur Natur auf unterschiedliche Weise leben und erleben. Die Protagonisten Deanna, Lusa und Garnett sind tief in ihrer Umgebung verwurzelt, und ihre jeweiligen Geschichten vermitteln ein starkes Gefühl für die Herausforderungen aber auch die Schönheiten des ländlichen Lebens. Besonders hat mir die Figur der Deanna gefallen, die als Park Rangerin allein in den Bergen lebt und sich für die dort ansässigen Kojoten einsetzt. Ihre Begegnungen mit einem jungen Mann bringen ihr selbstgewählt einsames Leben durcheinander und eröffnen spannende Perspektiven auf das Zusammenspiel von Mensch und Natur.
Lusa, die durch den plötzlichen Tod ihres Mannes in eine völlig neue Lebenssituation geworfen wird, muss sich in der rauen und teilweise feindseligen Schwiegerfamilie behaupten. Ihre Geschichte zeigt, wie tief verwurzelt Vorurteile und Traditionen in solch kleinen Gemeinschaften sein können, und wie schwer es sein kann, diese zu überwinden.
Das Buch vom Salz – Monique Truong erschienen im C. H. Beck Verlag und wurde von Barbara Rojahn-Deyk aus dem Englischen übersetzt.
„Das Buch vom Salz“ von Monique Truong ist eine Geschichte, die gleichzeitig melancholisch und von einer sommerlichen Leichtigkeit durchzogen ist. Die Erzählweise, ist fein und sinnlich, lässt einen förmlich den Duft frischer Kräuter und exotischer Gewürze in der Luft riechen.
Binh, der vietnamesische Koch von Gertrude Stein und Alice B. Toklas, ist die Hauptfigur dieses Romans. Durch seine Augen erleben wir nicht nur den Alltag dieser beiden berühmten Frauen, sondern vor allem seine eigene, schmerzhafte Geschichte des Exils und der Suche nach Zugehörigkeit. Die Art, wie Truong die Sinnlichkeit des Kochens und der Sprache miteinander verwebt, ist beeindruckend und lässt den/die Leser*in selbst in die Küche eilen, um etwas von dieser Magie einzufangen.
„Ich war sicher, daß ich die vertraute Schärfe von Salz spüren würde, aber was ich wissen mußte, war, was für eine Art von Salz: Küche, Schweiß, Tränen oder das Meer“
Die Melancholie, die über allem liegt, erinnert an die bittersüßen Momente, die das Leben so lebenswert machen. Gleichzeitig ist da aber auch eine Leichtigkeit, fast wie ein warmer Sommerwind, der durch die Seiten streicht wenn man Binhs „stream of consciousness“ folgt. Man fühlt mit Binh – mit seiner Sehnsucht, seinen Erinnerungen und seiner stillen Traurigkeit, aber auch mit seiner Leidenschaft für das Kochen und das Leben selbst.
Der Roman erinnert wie stark das Band zwischen Essen und Erinnerung sein kann, wie tief eine einfache Mahlzeit Gefühle und Vergangenheit miteinander verbinden kann. „Das Buch vom Salz“ ist ein sinnliches Erlebnis, das einen dazu einlädt, mit allen Sinnen zu lesen und danach den Kochlöffel in die Hand zu nehmen. Eine literarische Reise, auf die ich euch gerne mitnehmen möchte mit diesem Buch.
Liebesgeschichten – Marie Luise Kaschnitz erscheint im Suhrkamp Verlag
Marie Luise Kaschnitz’ „Liebesgeschichten“ wollte ich anfangs erst gar nicht so recht lesen, denn ich bin jetzt nicht unbedingt ein Fan von Liebesgeschichten. Ich hatte aber arge Lust wieder was von dieser spannenden Autorin zu lesen und aktuell war das alles was die heimische Bibliothek hergab. Zum Glück! Was für eine Überraschung – das schmale Büchlein enthält 11 Kurzgeschichten (ausgewählt von #elisabethborchers) , die auf faszinierende Weise das Unheimliche und Skurrile des Alltags offenbaren. Die erste Geschichte, spielte in Pompeji (juhu!!) und hat mich begeistert – die Atmosphäre ist so dicht und „unsettling“, damit hatte ich nicht gerechnet.
„Du hast deinen Kopf nach links und rechts gedreht, wie die Eisbären, und ich habe dich darum oft meinen Eisbären genannt.“
Die Erzählungen sind überraschend und oft auch beunruhigend. Besonders „Eisbären“ hat mich beeindruckt: Hier wird eine kleine Notlüge einer Frau zum Schicksalsschlag. Es zeigt, wie sehr unsere unausgesprochenen Erwartungen unser Leben prägen können. Auch „Die Füße im Feuer“ wird mir im Gedächtnis bleiben – eine Geschichte über jemanden, der keinen Schmerz empfindet und dadurch fast die Fähigkeit verliert, das Leben richtig zu spüren. Das fand ich unglaublich intensiv.
Kaschnitz, die 1901 geboren wurde und bis 1974 lebte, gehört für mich zu den spannendsten Erzählerinnen ihrer Zeit. Ihre Art zu schreiben ist so aufmerksam und präzise, dass sie die feinen Nuancen des Lebens mit wenigen Worten auf den Punkt bringt. Ich würde mir so wünschen, dass viel mehr Menschen #marieluisekaschnitz wieder entdecken. Mit diesem Band hier kann sie Shirley Jackson oder Muriel Spark absolut Konkurrenz machen. Große Leseempfehlung!
Danke fürs Durchhalten – ich hoffe, ihr hattet auch einen guten Lesemonat. Welches der Bücher würde euch am meisten interessieren?
Mein Lesemonat Juli – der war richtig gut. Gute Mischung, ein paar Kracher waren dabei, Neuentdeckungen für mich und keine wirklichen Ausfälle. Wie war Euer Juli und welche Bücher hier habt ihr schon gelesen bzw möchtet ihr lesen?
Ich mochte den Roman „Noch mal von vorn“ von Dana von Suffrin sehr. Er schafft es, ein ernstes Thema leicht und humorvoll zu präsentieren. Besonders interessant war die Veranstaltung im Literaturhaus, moderiert von Sascha Chaimowicz, bei der Dana von Suffrin erklärte: „Ja, Humor ist natürlich ein Bewältigungsmechanismus, aber auch die einzige Waffe, die ich habe.“
Dana von Suffrin, die bereits für ihren Debütroman „Otto“ (2019) ausgezeichnet wurde, erzählt in ihrem neuen Werk die Geschichte von Rosa Jeruscher. Rosa versucht, die eigene komplizierte Familiengeschichte zu rekonstruieren und die vielen Kratzer im Familien Furnier zu glätten. Die Handlung beginnt, als Rosa am Arbeitsplatz vom Tod ihres Vaters erfährt. Obwohl sie mit seinem Tod gerechnet hatte, stellt die Endgültigkeit des Abschieds vom Vaters eine bedeutende Zäsur dar – vor allem in ihrem Kopf. Jetzt muss sie sich allein mit der komplizierten Familiengeschichte auseinandersetzen.
Erinnerungen an die heftigen Diskussionen ihrer Eltern, die sie passiv, aber aufmerksam verfolgt hat, tauchen auf: „So tat ich, was ich meistens tat: überhaupt nichts, ich bewegte mich nicht und merkte mir alles.“ Die schwierige und belastete deutsch-israelische Beziehung der Eltern lastet wie ein Felsbrocken auf der Familie.
Dana von Suffrin verzichtet auf eine lineare Handlung und flicht fragmentarische Ereignisse aus der Weltgeschichte ein. Sie springt in die Vergangenheit, baut überlieferte Erinnerungen des Vaters und imaginierte Träume in die Handlung ein, und wechselt zurück zu Monologen nach dem Tod des Vaters. So entsteht ein vielschichtiges Bild einer Familie, deren Geschichte von persönlichen Enttäuschungen und Vorwürfen geprägt ist.
„Später beklagte die beauftragte Kommission, dass Hitler es versäumt hatte, seinen Bleistift anzuspitzen. Er war stumpf, und eine viel zu dicke Linie wurde nun zur Grenze, im Maßstab der Karte war sie sechs Kilometer breit geraten“, heißt es in einer historischen Anekdote.
Dana von Suffrin erzählt dieses ihre jüdische Familiengeschichte überraschend leicht, ohne Pathos, aber mit einer Affinität zum schwarzen Humor.
Im Nachhinein, sagte meine Mutter, würde man sich an Tage, an denen etwas besonders Schlimmes oder auch etwas besonders Schönes geschah, immer so erinnern, als hätte etwas in der Luft gelegen, aber das stimmte nicht, in der Luft lag nie etwas.
Rosa sucht nach Normalität, Unbeschwertheit und vielleicht sogar Lebensfreude. Die Autorin zeigt, wie Geschichte in uns weiterlebt und transportiert wird. Große Empfehlung – unbedingt lesen!
No one is talking about this – Patricia Lockwood auf deutsch unter dem Titel „Und keiner spricht darüber“ im btb Verlag, übersetzt von Anne-Kristin Mittag
Unser Juli Bookclub-Treffen geriet dieses Mal eher zu „No one is reading about this“ Selten habe ich erlebt, dass ein Buch so wenig Anklang fand, besonders der erste Teil, den die meisten wirr und undurchdringlich fanden. Es finden sich sonst fast immer ein paar Fans, ein paar die ein Buch gar nicht mochten und ein paar zwischendrin. Aber dieses Mal war das ungewöhnlich krass. Ich war noch eine von denen die (wie man im Foto sehen kann) durchaus ein paar interessante Absätze und Beobachtungen fand, aber auch ich als damit schon „Fan“ im Bookclub, konnte mich gerade mal zu 3 Sternen durchringen. Trotzdem hatten wir einen gelungenen Abend im Bookclub, und es entwickelte sich eine lebhafte Diskussion. Viele fühlten sich allerdings „zu alt“ für das Buch weil sie Twitter noch nie genutzt hatten daher insgesamt wenig Berührungspunkte mit dem Buch und seiner Protagonistin hatten.
Patricia Lockwood beschreibt in ihrem Roman „No one is talking about this“ zwei sehr unterschiedliche Lebenswelten. Im ersten Teil geht es um eine Protagonistin, die quasi auf Twitter lebt. Sie denkt ständig darüber nach, welche witzige Bemerkung sie als nächstes twittern kann und wie jede noch so kleine Begegnung in ihrem Alltag zum nächsten viralen Tweet wird. Der zweite Teil hingegen ist sprachlich und emotional auf einer ganz anderen Ebene und hat allen, die es bis dahin geschafft haben (oder die dann nur den 2. Teil gelesen haben), tatsächlich gut gefallen.
Bekannt wurde Patricia Lockwood durch ihr Gedicht „The Rape Joke“, das 2013 viral ging, und ihre Memoiren „Priestdaddy“, in dem sie von ihrer Jugend in einer streng katholischen Familie erzählt, in der ihr Vater durch Sondergenehmigung als Priester ordiniert wird, trotz Ehefrau und seiner drei Kinder.
White people, who had the political educations of potatoes – lumpy, unseasoned, and biased towards the Irish – were suddenly feeling compelled to speak out about injustice. This happened once every forty years on average, usually after a period when folk music became popular again. When folk music became popular again, it reminded people that they had ancestors, and then, after a considerable delay, that their ancestors had done bad things.
Im ersten Teil des Romans führt Lockwood uns in die Gedankenwelt einer namenlosen Protagonistin ein, die durch ihre witzigen Tweets berühmt geworden ist. Sie wird eingeladen, in Städten weltweit über „die neue Kommunikation, den neuen Informationsstrom“ zu sprechen. Der Humor und die Ironie des „Portals“ – so nennt sie das Internet – dominieren ihr Leben. Der zweite Teil des Buches verändert den Ton komplett als die Protagonistin mit einer familiären Tragödie konfrontiert wird. Plötzlich ist der vorher dominierende Humor nicht mehr ausreichend, um mit der Realität umzugehen.
Lockwood’s Fähigkeit, die absurde und oft triviale Natur des Internets zu beobachten und zu beschreiben, ist beeindruckend. Ihre Protagonistin kämpft mit „Ironie-Vergiftung“, und ihre Gedankenwelt ist ein chaotisches Durcheinander von absurden Internet-Memen und ernsthaften Gefühlen. Der Roman ist in zwei Hälften geteilt: Die erste ist eine Studie über ein statisches Leben, das ständig in den Abgrund des „Portals“ starrt. Im zweiten Teil jedoch nimmt das Buch an Tiefe und Komplexität zu, als eine persönliche Tragödie die Protagonistin und ihre Familie trifft.
Ein Buch das polarisiert, aber eigentlich durchweg sehr gute Kritiken bekommt. Nicht jedes Buch passt zu jede*r Leser*in. Da es so viele Bücher gibt, die noch warten von mir gelesen zu werden, wird es vermutlich keine weiteren Romane von Ms Lockwood für mich geben, aber auf der anderen Seite: sag niemals nie 😉
Ich habe dieses Buch so so gerne gelesen! Eines, das endlich den Scheinwerfer auf die zu Unrecht zum großen Teil vergessenen und wieder zu entdeckenden Autorinnen richtet. Meine Leseliste ist auf jeden Fall um Welten länger geworden: Nicole Seiferts „Einige Herren sagten etwas dazu“ ist ein beeindruckendes Werk, das eine wichtige Lücke in der literarischen Aufarbeitung der Nachkriegszeit schließt. Die Autorin beleuchtet die Rolle der Schriftstellerinnen der Gruppe 47, die stets im Schatten ihrer männlichen Kollegen standen und deren Beiträge zur Literaturgeschichte ungerechtfertigt in Vergessenheit gerieten.
Das Buch beginnt mit einem Einblick in die Strukturen und Mechanismen der Gruppe 47, die von Männern dominiert und geprägt wurde. Seifert zeigt, wie Frauen, trotz ihrer Talente und literarischen Leistungen, oft auf ihre äußere Erscheinung oder ihre Rolle als Ehefrauen oder „Tänzerinnen“ reduziert wurden. Seifert konfrontiert die sexistischen Kommentare mit den eigenen Aussagen der betroffenen Frauen, wodurch die Diskrepanz zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und der tatsächlichen literarischen Arbeit deutlich wird.
Bevor ich sie kennenlernte, sagte mir jemand, sei sei ein „Pummelchen““, beginnt Richter seine Beschreibung Ilse Aichingers. Tatsächlich habe er dann „eine schöne Frau“ vor sich gehabt, „die einige meiner Tagungsmitglieder so stark anzog, dass sie ganz außer sich gerieten und für meine Begriffe ein wenig an Contenance verloren.
Nicole Seifert startet jedes Kapitel mit Zitaten von Männern und Frauen der Gruppe 47. Diese Gegenüberstellungen verdeutlichen nicht nur die unterschiedlichen Perspektiven, sondern auch die vorherrschenden Vorurteile und die systematische Ausgrenzung der Frauen. Besonders ergreifend ist die Darstellung von Ilse Schneider-Lengyel, einer vielseitigen Künstlerin, die trotz ihrer umfangreichen Bildung und ihrer einzigartigen literarischen Stimme von ihren männlichen Kollegen kaum anerkannt wurde.
Ein weiteres starkes Kapitel widmet sich Gisela Elsner, einer Gesellschaftskritikerin, deren scharfsinnige Satiren über patriarchale Strukturen und Gewaltverhältnisse auch heute noch relevant sind. Elsner spielte bewusst mit ihrem Äußeren, um die Erwartungen der Männer zu unterlaufen und ihre eigene literarische Identität zu betonen.
Seiferts Buch ist nicht nur eine Sammlung von Biografien und literarischen Analysen, sondern auch eine fundierte Kritik am literarischen Kanon und der Rolle, die Frauen darin spielen oder vielmehr nicht spielen dürfen. Das Vergessen von Schriftstellerinnen ist kein Zufall, sondern das Ergebnis systematischer Benachteiligung. Es ist an der Zeit, diese ungerecht behandelten Stimmen wiederzuentdecken und zu würdigen.
Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat – Annett Gröschner / Peggy Mädler / Wenke Seemann erschienen im Hanser Verlag
Der Titel verspricht schon einiges – und das Buch hält es auch. Was passiert, wenn eine Dramaturgin, eine Journalistin und eine Soziologin zusammenkommen, um über den idealen Staat zu philosophieren? Genau: Ein witziger, tiefgründiger und höchst unterhaltsamer Trialog!
Die drei Frauen nehmen uns mit auf eine Reise durch ihre Gedankenwelt, gespickt mit persönlichen Anekdoten und scharfsinnigen Beobachtungen. Sie werfen einen kritischen Blick auf die Wendezeit, den heutigen Stand der deutschen Einheit und die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen. Dabei schrecken sie nicht davor zurück, auch mal ordentlich auszuteilen – sei es gegen alte DDR-Nostalgiker oder die kapitalistische Realität im vereinten Deutschland.
Ein zentraler Punkt des Buches ist die Frage nach der Solidarität, die in der DDR ein hohes Gut war und heute oft vermisst wird. Die Autorinnen diskutieren, wie diese verloren gegangen ist und warum sie heute wichtiger denn je ist. Besonders spannend wird es, wenn die drei sich mit einem Gläschen Wodka (oder auch mal einem Bier) in der Hand über die Möglichkeit einer besseren Gesellschaft austauschen. Man spürt regelrecht die Energie und Leidenschaft, mit der sie ihre Visionen und Ideen teilen.
Annett Gröschner erinnert uns an den Satz von Gerhard Gundermann: „Der Trabi und der Mercedes fahren auf den Abgrund zu. Der Trabi fällt halt nur schneller runter als der Mercedes – der fliegt noch eine Weile.“ Dieses Bild benutzen sie, um den unaufhaltsamen Wandel von Systemen zu beschreiben und um die Frage zu stellen, was danach kommen könnte. Besonders beeindruckend ist ihre Überzeugung, dass Veränderungen möglich sind – nicht durch Abwickeln, sondern durch aktives Gestalten.
Gegenüber, in der Mietwohnanlage der Deutschen Wohnen, die inzwischen Vonovia gehört, schreit einer laut und betrunken nach seiner Freundin, solche Eskapaden kann man sich hier noch leisten, anders als auf der anderen Seite der Ringbahn, wo der Kredit für die Eigentumswohnung zu mehr Disziplin und Selbstbeherrschung zwingt. Dort ist es nicht die Leber, die belastet wird, sondern das Herz, das viel Jogging (oder andere Formen der Selbstoptimierung), Arbeit, Vernetzung und späte Elternschaft managen muss.
Peggy Mädler betont, dass Privatisierung von Wohnraum ein Verrat am Sozialstaat ist und fragt, ob die Dogmen des Kapitalismus nicht genauso fatal sind wie die des Sozialismus. Sie fordert ein weniger moralisierendes, mehr dialektisches Denken: „Das, was uns an der Dialektik so gefällt, ist diese Form von ’nach-Erkenntnis-streben‘, Widersprüche auszuhalten und zu akzeptieren, dass Dinge gleichzeitig sein können, obwohl sie sich widersprechen.“
Die drei Autorinnen sind sich einig, dass es im Leben keine einfachen Antworten gibt und dass man stets in Bewegung bleiben muss – geistig und gesellschaftlich. Sie sehen das Leben als einen nimmer endenden Widerspruch, den man aushalten und durch den man wachsen kann.
„Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat“ ist ein Buch, das zum Nachdenken anregt, zum Lachen bringt und den Leser immer wieder überrascht. Ich habe richtig viel gelernt. Ich kannte die DDR aus diversen Besuchen, habe aber nie dort gelebt. Habe viel nachgelesen und insbesondere den Verfassungsentwurf für die DDR 89/90 fand ich sehr spannend.
Hier ist eine Einladung, sich auf die Widersprüche des Lebens einzulassen und aus ihnen zu lernen. Ein Buch, für alle, die sich für gesellschaftliche Fragen interessieren und die Freude an klugen, humorvollen Dialogen haben.
Reise im Mondlicht – Antal Szerb übersetzt aus dem ungarischen von Christa Viragh, erschienen im dtv Verlag
Antal Szerb ist eine schillernde Figur der ungarischen Literaturgeschichte. Geboren 1901 in Budapest, war er nicht nur Schriftsteller, sondern auch Literaturwissenschaftler und ein brillanter Kopf. Bevor er mit „Reise im Mondlicht“ 1937 ein Meisterwerk der Weltliteratur schuf, hatte Szerb bereits als Autor und Literaturkritiker für Aufsehen gesorgt. Seine Schriften und seine Leidenschaft für die Literatur prägten nicht nur seine Zeit, sondern beeinflussten auch Generationen nach ihm. Leider wurde sein Leben durch die Schrecken des Zweiten Weltkriegs abrupt beendet; 1945 wurde er von den Nationalsozialisten ermordet. Doch seine Werke, insbesondere „Reise im Mondlicht“, leben weiter und verzaubern Leser*innen weltweit.
Ich habe mich von Anfang an in die Atmosphäre des Romans verliebt. Die Geschichte beginnt mit einem unglücklichen ungarischen Geschäftsmann, Mihály, der sich mit seiner Frau in Venedig auf Hochzeitsreise befindet. Diese Szenerie mag auf den ersten Blick als ein einfaches Klischee erscheinen, doch Szerb gelingt es meisterhaft, eine tiefere, vielschichtige Erzählung zu entwickeln. Mihály, der sich von seiner Vergangenheit befreien möchte, wird bald von Erinnerungen eingeholt, die ihm zeigen, dass er seine eigene Geschichte und die seiner Mitmenschen nie ganz durchdringt und es stets ein tiefer liegendes Geheimnis gibt.
Was mich besonders an diesem Roman gefesselt hat, ist Szerbs brillante Art, Charaktere zu zeichnen und insgesamt mochte ich den Ton des Buches sehr. Mihály, der sich als Außenseiter fühlt, wird in Wirklichkeit von seiner Frau und den Menschen um ihn herum oft falsch eingeschätzt. Die scharfsinnigen Beobachtungen und die subtile Ironie machen das Buch zu einem Werk in dem ich aus dem Markieren spannender Sätze gar nicht mehr rauskam. Es ist eine Geschichte über die Suche nach Identität, über das Spannungsfeld zwischen Konvention und Rebellion, zwischen Mystik und Rationalität. Szerb verbindet Humor mit Tragik, und das auf eine Art und Weise, die mich immer wieder zum Staunen brachte.
Der Roman enthält eine Reihe von seltsamen Zufällen und Wendungen, die fast an einen moderne Schelmenroman oder Road Movie erinnern. Warum es umso erstaunlicher ist, wie gut mir dieser Roman gefallen hat, denn beides sind eigentlich nicht unbedingt meine Lieblings Themen in Romanen.
„Reise im Mondlicht“ ist ein Buch, das mich nachhaltig beeindruckt hat, und ich kann gar nicht anders, als es allen, die ich kenne, zu empfehlen. Lest dieses Buch! Ich würde mich freuen, wenn Antal Szerb noch viel mehr Menschen ein Begriff wäre. Besonders freue ich mich schon auf Szerbs Fantasy-Roman „Die Pendragon Legende“, der mir wärmstens ans Herz gelegt wurde.
Die seligen Jahre der Züchtigung – Fleur Jaeggy aus dem Italienischen übersetzt von Barbara Schaden, erschienen im Suhrkamp Verlag
Diese kleine Novelle hat es in sich“ „Die seligen Jahre der Züchtigung“ von Fleur Jaeggy wurde von Barbara Schaden übersetzt aus dem Italienischen übersetzt und spielt in einem Mädcheninternat im Appenzell der sechziger Jahre. Jaeggy schafft es, in einer relativ schmalen, aber unglaublich dichten Erzählung eine Atmosphäre zu erzeugen, die mich ziemlich in seinen Bann gezogen hat.
Die Geschichte wird von einer vierzehnjährigen Ich-Erzählerin erzählt, deren Alltag von Gehorsam und Disziplin geprägt ist. Die heitere Landschaft vor den Fenstern des Internats steht im krassen Gegensatz zu der strengen Ordnung des Hauses. Die Erzählerin verbringt stundenlange, einsame Spaziergänge in dieser idyllischen Umgebung. Doch dann betritt Frédérique die Szene – schön, streng und voller Überdruss. Frédérique hat eine gewisse Aura um sich, etwas Leises und Schreckliches, das die Erzählerin sofort fasziniert.
Wie man sieht, hatte ich damals noch nicht die Kunst des Vermittelns gelernt, ich glaubte noch, um etwas zu bekommen, müsse man geradewegs das Ziel ansteuern; in Wahrheit aber sind es nur die Ablenkungen, die Unbestimmtheit, der Abstand, die uns dem Vorhaben näherbringen – das Ziel trifft uns, nicht umgekehrt.
Die Beziehung zwischen den beiden Mädchen ist komplex und tiefgründig. Die Erzählerin fühlt sich immer stärker zu Frédérique hingezogen, nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern auch wegen ihrer Disziplin und Perfektion. Es ist fast wie eine morbide Anziehungskraft, die sie nicht loslässt. Erst viele Jahre später kann die Erzählerin ihre abgründige Liebe zu Frédérique in Worte fassen.
Jaeggy beschreibt diese düstere, fast surreale Welt mit einer solchen Präzision und Klarheit, dass man als Leser*in förmlich die beklemmende Atmosphäre des Internats spüren kann. Die Landschaft ist dunkel, die Stimmung melancholisch, und die Beziehungen zwischen den Mädchen sind von einer „keuschen Promiskuität“ geprägt, wie Jaeggy es nennt.
In den Internaten, zumindest in denen, die ich kennengelernt habe, wurde eine senile Kindheit in die Länge gezogen, bis an die Grenze des Schwachsinns.
Was mich besonders an diesem Buch fasziniert hat, ist Jaeggys Fähigkeit, komplexe Gefühle und Stimmungen in kurzen, prägnanten Sätzen einzufangen. Ihre Prosa ist kühl und präzise, fast chirurgisch, und sie schafft es dennoch, eine tiefe emotionale Wirkung zu erzielen. Man merkt, dass Jaeggy selbst eine Art Einsiedlerin ist, die sich in ihre eigene Welt zurückzieht und die vielen Spaziergänge in der Novelle und der Anfang der Geschichte lassen auch auf eine Hommage an Robert Walser schließen.
Eine Geschichte über Einsamkeit, Disziplin und die unergründliche Anziehungskraft zwischen zwei jungen Mädchen. Wer sich auf dieses Buch einlässt, wird mit einer tiefgründigen und bewegenden Lektüre belohnt, die man so schnell nicht vergisst.
Mich hat das Buch etwas ratlos zurückgelassen. Normalerweise gehe ich dann davon aus, dass ich irgendetwas nicht verstanden habe, besonders wenn es von Menschen, deren Geschmack und Empfehlungen ich schätze, hoch gelobt wird. Insgesamt bin ich auch kein großer Fan von Roadmovies (wie nennt man das bei Büchern? Roadbook?) und das ständige Erbrechen des Protagonisten war schwer zu ertragen. Aber jetzt möchte ich eine Barbour-Jacke (ich hatte mal eine Wachsjacke von Marks & Spencer, die leider bei einem Umzug verloren ging).
Das Buch schildert die abgründigen Seiten des Party-Deutschlands – von Fisch-Gosch, Champagner und Scampis auf Sylt, über bunte Pillen, schwule Burschenschaftler, Models und Yuppies in Hamburg, Frankfurt und Heidelberg, vom P1 in München und Parties in der Schweiz. Diese unterhaltsam klingenden Geschichten werden oft als Popliteratur bezeichnet, aber ist „Faserland“ eigentlich Popliteratur? Die oberflächliche Zärtlichkeit, mit der Kracht die Dinge beschreibt, scheinen das Leiden an der Welt des Protagonisten auszudrücken. Die Welt ekelt ihn an und er erbricht sich pausenlos.
Das Buch ist eine Topographie des Hedonismus im Verfallsstadium, wobei Kracht prätentiös, aber durchaus stilsicher vorgeht. „Faserland“ ist ein sehr deutsches Buch, denn es dreht sich um die alles durchdringende Angst. Diese Dynamik treibt die Erzählung voran, gekoppelt mit einem Hass auf dieses Land, der auf eine bislang kaum gesehene Weise in eine kosmopolitische und episch ergiebigere Form gegossen wird: Es ist ein Buch des Ekels.
Wie auch schon in Krachts Untergangsphantasie „1979“ ist „Faserland“ die Geschichte einer Reise, die im Verschwinden oder in der Selbstauslöschung endet. Der Ekel vor der Welt ist auch ein Ekel vor sich selbst, was dem markenbewussten Nihilismus des Buchs einen poetischen, fast schon ethischen Kern verleiht. Krachts Weg, sich der Welt zu nähern, ist die Flucht. Seine permanenten Vorurteile und Ablehnungen scheinen seine Art zu sein sich die Welt zu erschließen. Tief in seinem Herzen ist der Protagonist wohl ein Romantiker.
Also zahle ich dem Taxifahrer seinen Fahrpreis und gebe ihm noch ein dickes Trinkgeld, damit er in Zukunft weiß, wer der Feind ist.
Krachts Sehnsucht nach der Schauspielerin Isabella Rosselini beschreibt die feine Distanz, mit der er sich die Welt vom Leib hält, obwohl er sich so danach sehnt: „Ich meine, ich berühre sie nicht, ich denke auch nicht direkt an sie, sondern lasse sie am Rand meiner Gedanken auftauchen, ohne ihr näherzutreten oder mit ihr zu sprechen, ohne sie anzusehen.“
Es ist eine Reise ohne offensichtlichen Grund, ein Vaterland, das er wie von außen betrachtet und das ihm dabei immer mehr anekelt. Freunde mit mottenzerfressenen Pullis oder grünen Barbourjacken tauchen auf und verschwinden wieder. Erinnerungen verblassen im Taumel aus Alkohol und Drogen. Das Bild, das er von Deutschland zeichnet, ist präzise und einseitig zugleich, und spiegelt eine Wahrheit wider: das vom Ende einer Welt, noch bevor die Mehrheut überhaupt erkannte, dass diese Welt überhaupt existierte – geschweige denn, dass sie bereits wieder vorbei war. Kracht hat eine Erzählung geschaffen, die einem mit das Gefühl von totaler existenzieller Verlassenheit vermittelt.
The Driver Seat – Muriel Spark auf deutsch unter dem Titel „Töte Mich“ im Diogenes Verlag erschienen, übersetzt von Matthias Fienbork
Ich habe gerade Muriel Spark’s „The Driver’s Seat“ gelesen und bin immer noch völlig fasziniert von dieser kurzen Geschichte. Es ist ein atemloses, spannendes, hypnotisches und verrücktes Werk, das mich von Anfang bis Ende gefesselt hat.
Die Geschichte beginnt mit Lise, einer eher unscheinbaren Frau, die eines Tages aus ihrem Büro spaziert, sich ein auffälliges neues Outfit zulegt und einen mädchenhafteren Tonfall annimmt. Sie macht sich auf den Weg zum Flughafen, um in den Süden zu fliegen. Im Flugzeug nimmt sie Platz zwischen zwei Männern: Der eine ist erfreut über ihre Gesellschaft, der andere zutiefst beunruhigt. So beginnt eine unheimliche Reise in die dunkleren Bereiche der menschlichen Natur.
Muriel Spark, die Autorin dieses faszinierenden Romans, wurde 1918 in Schottland geboren. Sie war 2x shortlisted für den Booker Prize, hat ihn aber leider nie gewonnen.Ihr Erzählstil ist knapp und drängend, ma ist sofort in einer extravaganten Szene, die die fragile, extravagante Natur von Lise, einer 36-jährigen Frau, zeigt. Die Geschichte nimmt immer düsterere Wendungen, und früh wird uns klar, dass Lise ein schreckliches Schicksal ereilen wird. Diese düstere Geschichte entfaltet sich zu einer unerbittlichen Marschroute in den Tod.
Her lips are slightly parted: she, whose lips are usually pressed together with the daily disapprovals of the accountants‘ office where she has worked continually, except for the months of illness, since she was 18, that is to say, for 16 years and some months. Her lips, when she does not speak or eat, are normally pressed together like the ruled line of a balance sheet, marked straight with her old-fashioned lipstick, a final and judjing mouth, a precision instrument.
„The Driver’s Seat“ ist ein Buch voller Grausamkeit und enthält nur wenige flüchtige Momente des Mitgefühls. Es ist kaum mehr als 100 Seiten lang, doch jede Seite ist randvoll mit intensiven, verstörenden Szenen, die mich total fasziniert haben. Absolut verrückte Geschichte. Wer nach einer packenden und ungewöhnlichen Lektüre sucht, liegt hier genau richtig. Muriel Spark hat ein Meisterwerk geschaffen, das trotz seiner Dunkelheit und Absurdität tief beeindruckt. Es gibt auch eine faszinierende Verfilmung mit Elizabeth Taylor in der Hauptrolle namens „Identikit“ aus dem Jahr 1974.
Ich mach mich jetzt auf die Suche nach weiteren Büchern von Ms Spark. Kannte bislang nur „The Prime of Miss Jean Brodie“ – welche ihrer Bücher könnt ihr mir empfehlen?
Unsere England Reise Ende Mai begann in München, und nach einem kurzen Zwischenstopp in London landeten wir in Bath, einer Stadt, die so viel mehr zu bieten hat als nur ihre weltberühmten römischen Bäder. Bath, mit seiner beeindruckenden Architektur, seinen wunderschönen Parks und Gärten und den vielen Ecken, die man aus Film und Fernsehen kennt, ist ein echtes Juwel im Herzen Englands.
Schon bei unserer Ankunft waren wir von der Eleganz, den gemütlichen Pubs und den vielseitigen Restaurants beeindruckt. Bath ist bekannt für seine georgianische Architektur, die sich in den honigfarbenen Sandsteinbauten widerspiegelt, die die Stadt schmücken. Ein Spaziergang durch die Straßen von Bath fühlt sich an wie eine Reise in die Vergangenheit, und man kann sich leicht vorstellen, wie Jane Austen, die wohl berühmteste Bewohnerin der Stadt, hier ihre Inspiration fand. Austen lebte von 1801 bis 1806 in Bath und einige ihrer Romane, darunter „Northanger Abbey“ und „Persuasion“, spielen hier.
Unser erster Halt war die imposante Bath Abbey, ein prächtiges gotisches Bauwerk, das sich majestätisch im Zentrum der Stadt erhebt. Die Abbey, die im 7. Jahrhundert gegründet wurde, ist ein wunderbarer Ort, um die reiche Geschichte Baths zu erleben. Gleich nebenan befinden sich die römischen Bäder, ein beeindruckendes Zeugnis der römischen Präsenz in Großbritannien. Die gut erhaltenen Thermalbäder und der faszinierende Museumskomplex bieten einen tiefen Einblick in das Leben und die Kultur der Römer.
Ein weiteres architektonisches Highlight ist der Royal Crescent, eine halbmondförmige Reihe von 30 Stadthäusern, die zu den besten Beispielen georgianischer Architektur in Großbritannien zählt. Man glaubt jeden Moment kommt Jane Austen um die Ecke, und es ist leicht zu verstehen, warum dieser Ort so oft als Kulisse für historische Dramen genutzt wird. Auch die Pulteney Bridge, eine der wenigen Brücken weltweit, die mit Geschäften bebaut ist, hat einen ganz einzigartigen Charme und ist ein beliebter Drehort für Filme. Ich möchte hier unbedingt auch noch mal auf die kostenlosen großartigen Stadtführungen der Stadt Bath hinweisen. Der Spaziergang ging etwa 2,5 Stunden und hat wirklich Spaß gemacht.
Während unseres Aufenthalts in Bath besuchten wir auch das Jane Austen Centre, das einen interessanten Einblick in das Leben und die Werke der Autorin bietet. Die Ausstellung ist nicht nur für eingefleischte Austen-Fans interessant, sondern für jeden, der mehr über die literarische Geschichte der Stadt erfahren möchte. Ein weiteres literarisches Highlight ist das jährliche Jane Austen Festival. Wie man sieht war Ms Austen aber nicht wirklich an mir interessiert 😉
Bath ist eine Literatur-Stadt, die nicht nur wahnsinnig tolle Buchläden hat wie zum Beispiel Persephone Books, Mr B’s Emporium of Reading Delights oder auch Topping & Company. Wir stöberten stundenlang in diesen Buchläden in den Regalen, fanden besondere Ausgaben und ließen uns von den Empfehlungen des freundlichen Personals inspirieren und ich weinte bitterlich über den viel zu kleinen Koffer in den ich kaum etwas unterbrachte zumal es ja erst unser erster Stopp der Reise war. Diese Läden sind ein Muss für jeden Bücherwurm, der nach Bath kommt.
All diese Bücher machten uns dann irgendwann ziemlich durstig und wir entdeckten einen Pub, der umgehend in unsere Top 10 der besten Pubs der Welt aufstieg: The Raven mit eigen gebrautem Bier und einer unfassbar tollen Bibliothek im oberen Stockwerk, wo man sich lesend und weiter „book browsing“ betreibend ein Pint oder zwei schmecken lassen konnte.
Von Bath aus unternahmen wir einen Tagesausflug nach Stonehenge und in die Cotswolds, eine wirklich schöne Landschaft mit malerischen Dörfern, Steinkreisen, Kathedralen etc bekannt. Unser erster Halt war Avebury, ein charmantes Dorf, das inmitten eines der größten steinzeitlichen Monumente Europas liegt. Die mächtigen Steinkreise von Avebury sind mindestens genauso beeindruckend wie Stonehenge und es gab dort sehr viele super süße kleine Lämmchen zu sehen.
Weiter ging es nach Lacock, ein weiteres hübsches Dorf, das auch oft als Drehort wird. Die gut erhaltenen mittelalterlichen Gebäude und die wunderschöne Lacock Abbey, die im 13. Jahrhundert gegründet wurde, machen einen Abstecher dorthin auf jeden Fall lohnenswert. Fans der Harry-Potter-Filme werden Lacock bestimmt wiedererkennen, da mehrere Szenen in den Gängen der Abbey gefilmt wurden.
Unser letzter Halt in den Cotswolds war Castle Combe, das oft als das schönste Dorf in England bezeichnet wird. Mit seinen putzigen Cottages, wunderschönen Gärten und Pubs fühlt man sich definitiv ins vorige Jahrhundert zurückversetzt. Irgendwann möchten wir noch mal in die Cotswolds zurück und ein paar Tage dort verbringen, zum wandern und ausspannen. Allerdings wird man an einigen Stellen von Influencern ein bisserl totgetreten, aber verrückterweise immer nur ganz punktuell an bestimmten Stellen in Bath oder auch in den Cotswolds, zack einmal um die Ecke rum und alle waren weg. Seltsam 😉
Stonehenge ist ein prähistorisches Monument in Wiltshire, England, das vermutlich zwischen 3000 und 2000 v. Chr. errichtet wurde und das man nun wirklich nicht näher vorstellen muss. Die monumentalen Steine, die in konzentrischen Kreisen angeordnet sind, sind das Ergebnis mehrerer Bauphasen wurden ursprünglich als Grabanlage genutzt. Stonehenge wird oft mit rituellen und astronomischen Funktionen in Verbindung gebracht, da es möglicherweise als Kalender oder Tempel diente. Die genauen Gründe für den Bau und die Nutzung des Ortes bleiben bis heute ein Rätsel – ich liebe mysteriöse Rätsel und fand den Ort trotz aller Touristen sehr beeindruckend. Rund um Stonehenge gibt es eine ganze Reihe Menschen die dorthin pilgern, dort übernachten und sich von der Spiritualität der Gegend beeinflussen lassen wollen.
Passend zu Stonehenge hatte ich als Reiselektüre „Sarum“ von Edward Rutherford eingepackt. Ein Roman, der die Geschichte der Region um Salisbury, von der Urgeschichte bis in die Moderne erzählt. Im Mittelpunkt steht der Ort Sarum (heute Salisbury), und Rutherfurd verwebt fiktive Erzählungen mit realen historischen Ereignissen. Besonders ich die Teile um Stonehenge, dessen Errichtung in prähistorischer Zeit thematisiert wird. Rutherfurd zeigt, wie Stonehenge im Laufe der Jahrtausende eine zentrale Rolle im Leben der Menschen in der Region spielte und wie es sowohl als religiöses als auch als gesellschaftliches Symbol diente.
Wir wohnten in Bath in der Nähe des Stadtzentrum in einer kleinen Ferienwohnung die wir ganz bezaubernd fanden. Auch wenn unser Aufenthalt in Bath nur der erste Teil unserer Reise war, hat uns die Stadt mit ihrem Charme und ihrer reichen literarischen Tradition sehr beeindruckt. Ich bin ganz sicher, dass wir irgendwann noch einmal hinfahren, denn man kann auch rund um die Stadt tolle Wanderungen machen und wir haben noch lange nicht alles gesehen.
Meine Literaturempfehlungen für Bath, Stonehenge und die Cotswolds:
Northanger Abbey – Jane Austen
Persuasion – Jane Austen
Cider with Rosie – Laurie Lee
The White Cottage Mystery – Margery Allingham
Sarum – Edward Rutherford
Falls Ihr Lust habt dabei zu sein: Nächste Woche geht es dann weiter an die Englische Riviera und dort treffen wir the Queen of Crime: Agatha Christie. Kommt ihr mit?
Willkommen zu meinem Lesemonat April! Der war wirklich spannend, vor allem wegen meiner Reise nach Neapel und Pompeji. Aber auch im Kopf ging’s rund: Nele Pollatschek hat mich nach Oxbridge entführt, ich hab Zeit in Timor Kaleyas Sanatorium verbracht und eine Menge Einblicke in das Kastensystem der USA gelernt. Ich ließ mich von der poetischen Sprache Marie-Luise Kaschnitz‘ verzaubern habe über die die Sternstunden der Menschheit nachgedacht. Hier wieder ein kurzer Abriss meines Lesemonats in alphabetischer Reihenfolge:
Pompeii – Mary Beard auf deutsch unter dem gleichen Titel im Fischer Verlag erschienen, übersetzt von Ursula Blank-Sangmeister
Mary Beards Buch „Pompeii: The Life of a roman town“ ist ein faszinierender und humorvoller Streifzug durch die Stadt und die Geschichte. Sie liebt es gängige Annahmen über Pompeij zu widerlegen und kann dabei im Text ordentlich austeilen anderen Kolleg*innen gegenüber.
Beard betont immer wieder die Grenzen unseres Wissens und die Unbeständigkeit unserer Konstrukte. Sie widerlegt die Vorstellung, dass Pompeji eine „eingefrorene Stadt in der Zeit“ sei, wie es oft behauptet wird. Vielmehr zeigt sie auf, dass Pompeji von verschiedenen historischen Ereignissen geprägt wurde, angefangen von einem verheerenden Erdbeben bis hin zu Plünderungen und Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg.
Das Buch bietet einen überraschenden Blick hinter die Kulissen von Pompeji und beleuchtet das tägliche Leben der Menschen, ihre Häuser, ihre Bäder und sogar ihre Bordelle. Beard führt uns durch die Straßen, in die Häuser und öffentlichen Gebäude und lässt uns die Stadt mit all ihren Gerüchen und Geräuschen erleben.
In fact, a marriage was normally contracted, as the Romans put it, ‘by practice’: that is, in our terms, ‘by cohabitation’. If you lived together for a year, you were married.
Besonders bemerkenswert ist Beards Fähigkeit, komplexe Themen auf eine zugängliche und unterhaltsame Weise zu präsentieren. Man kann förmlich spüren, wie sie durch die Ruinen von Pompeji spaziert und uns dabei mit ihrem Wissen und ihrer Begeisterung mitreißt.
Lästige Liebe – Elena Ferrante erschienen im Suhrkamp Verlag, übersetzt von Karin Krieger
„Elena Ferrante“ ist das Pseudonym einer italienischen Schriftstellerin, deren wahre Identität bis heute ein gut gehütetes Geheimnis ist. Ihre Romane setzen sich häufig mit Themen wie weiblicher Freundschaft, Familienbeziehungen und dem Leben im südlichen Italien auseinander.
Ihr Debütroman „Lästige Liebe“ (Originaltitel: „L’amore molesto“), veröffentlicht im Jahr 1992, ist eine eindringliche, ziemlich beklemmende Geschichte über eine Frau namens Delia, die nach dem mysteriösen Tod ihrer Mutter Amalia deren Tagebuch entdeckt. Während Delia versucht, die Wahrheit über den Tod ihrer Mutter aufzudecken, taucht sie immer tiefer in deren geheimnisvolle Vergangenheit ein.
Betritt man die Wohnung eines vor kurzem verstorbenen Menschen, fällt es schwer, sie für unbewohnt zu halten.
„Lästige Liebe“ ist ein Roman, der mich mit seiner düsteren Atmosphäre und den komplexen Charakteren stellenweise durchaus in seinen Bann ziehen konnte, bin aber nicht wirklich warm geworden mit den Figuren und ich war bei der Lektüre eigentlich abwechseln verwirrt oder ein bißchen verstört. Durchaus ein gelungener Debütroman, Frau Ferrante kann wirklich schreiben – aber ich kann nicht sagen, dass ich unbändige Lust bekommen habe noch weitere Romane von ihr zu lesen.
Pompeij – Robert Harris im Heyne Verlag erschienen, übersetzt von Christel Wiemken
Robert Harris‘ Pompeij ist ein faszinierender historischer Roman, der des verheerenden Ausbruchs des Vesuvs und der Zerstörung der Stadt erzählt. Mit einer Mischung aus akribischer historischer Recherche und fesselnder Erzählung entführt Harris die Leser in die Welt des antiken Roms und verwebt geschickt Fakten mit Fiktion.
Die Geschichte folgt dem jungen Ingenieur Marcus Attilius Primus, der nach Pompeji kommt, um die Wasserleitungen der Stadt zu reparieren. Doch bald entdeckt er Anzeichen für ungewöhnliche Aktivitäten des Vesuvs und wird in ein Netz aus Intrigen, Machtspielen und persönlichen Dramen verstrickt. Während Attilius verzweifelt versucht, die Bewohner vor der bevorstehenden Katastrophe zu warnen, bahnt sich das Unheil unaufhaltsam an.
What is leadership, after all, but the blind choice of one route over another and the confident pretense that the decision was based on reason
Harris gelingt es richtig gut, die Atmosphäre und das Leben im antiken Pompeji zum Leben zu erwecken. Durch seine detaillierte Darstellung der Stadt, ihrer Bewohner und ihrer Bräuche entsteht ein lebendiges Bild dieser Tage und es hat was sehr beklemmendes wenn man schon von der ersten Seite an weiß, dass sehr bald unweigerlich eine Katastrophe passieren wird.
Man spürt die intensive Recherche, die in den Roman eingeflossen ist, und die Liebe zum Detail, mit der Harris die Welt von Pompeji zum Leben erweckt.
„Pompeji“ ist ein packender historischer Roman, der nicht nur unterhält, sondern auch zum Nachdenken anregt. Er wirft Fragen nach der Natur der Macht, dem Verhalten in Krisensituationen und der Fragilität menschlicher Existenz auf.
Heilung – Timon Karl Kaleyta erschienen im Piper Verlag
Ein Sanatoriumsroman kann wie eine Reise in eine unbekannte Welt sein, eine Welt, in der die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen und der Leser selbst zum Mitreisenden wird. Timon Karl Kaleytas Roman „Heilung“ ist eine solche Reise, die den Leser in die verschneiten Berge des San Vita entführt, einem Ort, der mehr Geheimnisse birgt, als man auf den ersten Blick vermuten würde.
Die Geschichte dreht sich um einen namenlosen Protagonisten, der plötzlich von Schlaflosigkeit geplagt wird und sich auf eine Reise der Selbstfindung begibt. Seine Frau schickt ihn in das exklusive San Vita, nicht um eine Krankheit zu heilen, sondern um ein diffuses Unbehagen zu vertreiben. Unter der Leitung von Professor Trinkl durchläuft er unkonventionelle Behandlungsmethoden, die eher an ein Abenteuer als an eine medizinische Therapie erinnern. Doch bald schon bricht er aus dem engen Korsett des Sanatoriums aus und findet sich auf dem Bauernhof seines Jugendfreundes Jesper wieder, wo er eine ganz andere Art der Heilung erfährt.
Was diesen Roman so faszinierend macht, ist die Atmosphäre der Ambiguität, die er schafft. Kaleytas Erzählstil lässt bewusst viele Fragen offen, und genau das macht den Reiz des Romans aus. Man wird als Leser dazu eingeladen, selbst zu interpretieren und zu reflektieren, anstatt alle Antworten serviert zu bekommen.
Besonders beeindruckend ist die Art und Weise, wie Kaleytas die Themen Männlichkeit und Selbstfindung behandelt. Anders als viele zeitgenössische Autoren, die sich in autofiktionalen Werken in endlosen Selbstreflexionen verlieren, schlägt Kaleytas einen erfrischend anderen Weg ein. Sein Protagonist ist kein klassischer Held, sondern ein Durchschnittsmensch, der sich in einer Welt voller Widersprüche und Ambivalenzen verliert. Es ist diese Alltäglichkeit, die den Roman so zugänglich und gleichzeitig so tiefgründig macht.
Auch die Settings, sei es das exklusive Sanatorium oder der idyllische Bauernhof, sind meisterhaft inszeniert und tragen zur Atmosphäre des Romans bei. Man fühlt sich geradezu, als würde man selbst durch die verschneiten Berge streifen oder den Morgentau auf den Feldern spüren.
Ins San Vita kommen Menschen, die wissen, dass sie gesund sind. Sie haben bereits die besten Ärzte der Welt aufgesucht. Und nun wollen sie von uns bestätigt bekommen, dass auch darüber hinaus alles in Ordnung ist. Sie wollen, wie soll ich sagen, von einem unguten Gefühl befreit werden, von einem Unbehagen, dass sie belastet.
Natürlich hat der Roman auch seine Schwächen. Einige Passagen wirken etwas überkonstruiert, und der manierierte Erzählstil mag nicht jedermanns Geschmack treffen. Doch gerade diese Unvollkommenheiten verleihen dem Roman eine gewisse Authentizität und machen ihn zu einem echten Erlebnis.
Insgesamt hat mir „Heilung“ von Timon Karl Kaleytas außerordentlich gut gefallen. Die unkonventionelle Erzählweise, die fesselnde Atmosphäre und die tiefgründigen Themen haben mich von der ersten bis zur letzten Seite in ihren Bann gezogen. Wer gerne auf literarische Entdeckungsreise geht und sich von einem Roman überraschen lassen möchte, dem kann ich „Heilung“ nur wärmstens empfehlen.
Orte / Gedichte – Marie-Luise Kaschnitz erschienen im Insel bzw Suhrkamp Verlag
Ich bin so so glücklich diese wundervolle Autorin für mich entdeckt zu haben. Ein absoluter Zufallsfund aus dem Bücherschrank, den ich nach einem Gedicht gesehen bei @buddenbohm aufschlug und nicht mehr weglegen konnte.
In Marie-Luise Kaschnitz‘ Werk „Orte“ begeben sich Leser auf eine faszinierende Reise durch die Landschaften der menschlichen Seele. Kaschnitz, eine der bedeutendsten deutschen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts, verwebt in diesem Werk auf meisterhafte Weise poetische Sprache mit tiefgründigen Einblicken in die menschliche Existenz.
Marie-Luise Kaschnitz wurde am 31. Januar 1901 in Karlsruhe, Deutschland, geboren. Sie entstammte einer wohlhabenden Familie und erhielt eine umfassende Bildung, die ihre Liebe zur Literatur und zum Schreiben förderte. Ihr Schaffen umfasst eine Vielzahl von Gedichten, Erzählungen, Essays und Romanen. Kaschnitz‘ Werke zeichnen sich durch eine klare, prägnante Sprache aus, die oft existenzielle Themen wie Vergänglichkeit, Einsamkeit und die Suche nach Identität behandelt.
Ihr literarisches Schaffen erstreckte sich über mehrere Jahrzehnte, in denen sie eine Vielzahl von Preisen und Auszeichnungen erhielt, darunter den Georg-Büchner-Preis im Jahr 1955. Marie-Luise Kaschnitz verstarb am 10. Oktober 1974 in Rom, hinterließ jedoch ein bedeutendes Erbe in der deutschen Literaturgeschichte.
Paris 1939, und wie töricht und glücklich wir dort sind. Wie wir die in den Buchhandlungen ausliegenden pazifistischen Bücher, die Späße der Goliarden auf den Straßen für ein Zeichen der Überlegenheit nehmen, wie wir selbst, aus der Kaserne Deutschland für kurze Zeit entlassen, gelöst umhergehen, fast tanzend in unserem lateinischen Viertel, im Jardin du Luxembourg und die Seine entlang.
„Orte“ ist eine Sammlung von Texten, die die Vielschichtigkeit menschlicher Erfahrungen und Emotionen erkunden. Kaschnitz führt die Leser durch metaphorische Landschaften, in denen sie die Untiefen des menschlichen Geistes erkunden. Jeder Ort, den sie beschreibt, ist nicht nur ein geografischer Ort, sondern auch ein Zustand des Bewusstseins.
Die Erzählungen in „Orte“ sind oft fragmentarisch und lassen Raum für Interpretation. Kaschnitz spielt mit Symbolen und Bildern, um tiefe emotionale Resonanzen zu erzeugen. Sie beschreibt verlassene Orte, einsame Landschaften und verträumte Szenerien, die eine Reflexion des inneren Zustands der Protagonist*innen sind. Kaschnitz‘ Sprache ist von einer tiefen Melancholie und einer unbestreitbaren Schönheit geprägt. Jedes Wort ist sorgfältig gewählt, jede Beschreibung ist kunstvoll ausgearbeitet.
Die Gedichte von Marie-Luise Kaschnitz sind oft von einer tiefen, introspektiven und existenziellen Stimmung geprägt. Ihre Poesie zeichnet sich durch eine präzise und zugleich poetische Sprache aus, die komplexe emotionale Zustände und philosophische Themen erforscht. Kaschnitz‘ Werke reflektieren häufig Themen wie Vergänglichkeit, Einsamkeit, Verlust und die Suche nach Sinn.
Dear Oxbridge – Nele Pollatschek erschienen im Galiani Verlag
Nele Pollatscheks „Dear Oxbridge“ bietet einen faszinierenden Einblick in die Welt der britischen Elite-Universitäten Oxford und Cambridge. Als langjährige Studentin dieser renommierten Institutionen beleuchtet Pollatschek nicht nur das akademische Leben, sondern wirft auch einen Blick hinter die Kulissen der britischen politischen Elite, die maßgeblich den Brexit beeinflusst hat.
Das Buch beginnt mit einer tragikomischen Pointe, als Pollatschek am Morgen des Brexit-Votums ihre Studienschulden begleichen kann, jedoch nicht aus Freude über den Ausgang der Abstimmung, sondern aus wirtschaftlicher Notwendigkeit. Von diesem Ausgangspunkt aus reflektiert sie über die Entstehung des Brexit und die Rolle der politischen Klasse, die von den Eliteuniversitäten geformt wird.
Pollatschek beschreibt Oxbridge als Symbol für Reichtum, Elite und Macht. Sie zeigt auf, wie diese Institutionen ein Milieu schaffen, das von seinen eigenen Privilegien überzeugt ist und diese über Generationen hinweg weitergibt. Dabei deckt sie auch die dunklen Seiten dieser Welt auf, wie die elitären Clubs und die Kultur der Abgeschlossenheit und menschenverachtenden Praktiken.
Trotz dieser kritischen Betrachtung ist Pollatschek jedoch nicht verbittert. Sie zeigt eine tiefe Zuneigung zu Großbritannien und seinen Universitäten, insbesondere zu der Leidenschaft für Wissen und Lehre, die dort herrscht. „Dear Oxbridge“ kann daher auch als eine Art universitärer Coming-of-Age-Text betrachtet werden, der neben dem Brexit vor allem Pollatscheks eigene intellektuelle Reifung thematisiert.
Der Politikertyp, der aus Oxbridge kommt, der vorher natürlich schon in Eton war, also Menschen wie David Cameron und Boris Johnson, das ist jemand, der immer schon alle Privilegien hatte, der immer schon etwas Besseres war, und der gleichzeitig gar nicht weiß, dass er sich das nicht erarbeitet hat, sondern dass das einfach ein Privileg ist, dass das einfach von Geburt an da ist. Und weil die vermehrt denken: Boah, das habe ich mir alles erarbeitet, das verdiene ich, kommt daraus eine Gnadenlosigkeit, also der Gedanke, dass diejenigen, die das nicht haben, was man selber hat, es auch nicht verdienen.
Das Buch besteht aus einer Reihe locker verbundener Essays, die humorvoll und pointiert geschrieben sind. Es offenbart Risse und Widersprüche in der britischen Gesellschaft und bietet gleichzeitig ein warmes Plädoyer dafür, immer wieder zuzuhören und die Menschlichkeit in den Diskussionen zu bewahren.
Ein großartiges Buch das ich sehr gerne gelesen habe und das nicht nur Einblicke in die Welt der Eliteuniversitäten bietet, sondern auch wichtige Fragen zur gesellschaftlichen und politischen Entwicklung Großbritanniens aufwirft. Wer verstehen möchte, was hinter den Türen von Oxbridge passiert und warum Großbritannien weiterhin von Bedeutung ist, sollte dieses Buch lesen.
Caste – The Origins of our Discontents – Isabel Wilkerson auf deutsch unter dem Titel „Kaste – Die Ursprünge unseres Unbehagens“ im Kjona Verlag erschienen, übersetzt von Jan Wilm
Isabel Wilkinsons „Kaste – Die Ursprünge unseres Unbehagens“ war mein Hörbuch im April, es wird von der New York Times als das bisher wichtigste Sachbuch des 21. Jahrhunderts gelobt. In ihrer Analyse betrachtet Wilkerson das System der Kaste als eine universelle Grammatik der Unterdrückung, die düstere Kontinuitäten wie Polizeigewalt, Wahlunterdrückung und Bildungsungleichheiten aufdeckt. Sie sieht wenig Platz für hoffnungsvolle Zukunftsszenarien, insbesondere in einer Welt nach Trump, in der die Frage „Weißsein oder Demokratie?“ im Mittelpunkt steht.
Radical empathy, on the other hand, means putting in the work to educate oneself and to listen with a humble heart to understand another’s experience from their perspective, not as we imagine we would feel. Radical empathy is not about you and what you think you would do in a situation you have never been in and perhaps never will. It is the kindred connection from a place of deep knowing that opens your spirit to the pain of another as they perceive it.
Empathy is no substitute for the experience itself. We don’t get to tell a person with a broken leg or a bullet wound that they are not in pain. And people who have hit the caste lottery are not in a position to tell a person who has suffered under the tyranny of caste what is offensive or hurtful or demeaning to those at the bottom. The price of privilege is the moral duty to act when one sees another person treated unfairly. And the least that a person in the dominant caste can do is not make the pain any worse.
Obwohl Wilkerson das Konzept der Kaste auf das gesamte gesellschaftliche Gefüge der USA anwendet, zeigt sich, dass dieses Konzept manchmal zu starr ist und den realen Fortschritten der Bürgerrechtsbewegung sowie einem langsamen, aber stetigen gesellschaftlichen Wandel entgegensteht.
Trotzdem präsentiert Wilkerson am Ende ihres Buches ein hoffnungsvolles Konzept der radikalen Empathie. Durch ein konsequentes Denken an der Stelle des Anderen hält sie eine Welt ohne Kaste grundsätzlich für möglich. Dieser Ansatz lässt Raum für Hoffnung und zeigt einen Weg auf, wie eine gerechtere und empathischere Gesellschaft erreicht werden könnte.
Vom Zauber des Untergangs – Gabriel Zuchtriegel erschienen im Propyläen Verlag
Gabriel Zuchtriegels Buch „Vom Zauber des Untergangs war die perfekte vorbereitende Reiselektüre auf meinen Besuch in Pompeij letzte Woche. Das Buch bietet nicht nur einen faszinierenden Einblick in die archäologischen Schätze Pompejis, sondern spannt auch einen Bogen von der Antike bis in die Gegenwart.
Gabriel Zuchtriegel, ein 42-jähriger Archäologe leitet seit 2021 den Archäologiepark Pompeji in Italien. Sein Buch reflektiert nicht nur die Geschichte der antiken Stadt, sondern wirft auch einen neuen Blick auf ihre Bedeutung für unsere heutige Zeit. Als ich durch die gut erhaltenen Überreste von Garküchen, Sklavenzimmern und Tempeln wanderte, wurde mir klar, dass diese vergangenen Zivilisationen mehr mit unserer Gegenwart zu tun haben, als wir oft glauben.
Zuchtriegel beschreibt in seinem Buch nicht nur die archäologischen Ausgrabungen und Restaurierungen, sondern auch die neuen Forschungsergebnisse, die ständig ans Licht kommen. Dabei schlägt er immer wieder eine Brücke zwischen der antiken Welt und unserer modernen Gesellschaft. Er stellt Fragen nach dem Wandel der Gesellschaft und der Bedeutung von Kultur und Erbe für unsere Identität.
Während man die beeindruckenden Überreste der antiken Villen und Theater bewundert, kommt man nicht umhin, darüber nachzudenken, wie sich das Leben in Pompeji vor dem verheerenden Ausbruch des Vesuvs abspielte. Doch Zuchtriegel erinnert uns daran, dass Pompeji nicht nur eine historische Stätte ist, sondern auch eine Quelle der Inspiration und Reflexion für unsere heutige Zeit.
Zuchtriegels Buch ist nicht nur eine Sammlung von Fakten und Daten über Pompeji, sondern auch eine persönliche Reise durch die Geschichte und Kultur einer vergangenen Zivilisation. Seine Leidenschaft für die Archäologie und sein Engagement für den Schutz und die Bewahrung des kulturellen Erbes sind in jedem Wort spürbar und ansteckend.
Gibt es auch heute Sachverhalte, von denen zukünftige Generationen sagen werden, dass uns dafür die Begriffe fehlten? Und welche könnten das sein?
Pompeji ist nicht nur eine historische Stätte, sondern auch ein Symbol für die Vergänglichkeit des Lebens und die Notwendigkeit, unser kulturelles Erbe zu schützen und zu bewahren.
Gabriel Zuchtriegel lädt uns ein, Pompeji mit neuen Augen zu sehen und die versteckten Geschichten und Geheimnisse dieser faszinierenden antiken Stadt zu entdecken. Eine Lektüre, die nicht nur für Archäologen und Geschichtsinteressierte, sondern für alle, die sich für die menschliche Geschichte und Kultur interessieren, von Interesse ist.
Sternstunden der Menschheit – Stefan Zweig erschienen im S. Fischer Verlag
Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ ist ein zeitloses Meisterwerk, das die Leser auf eine faszinierende Reise durch die Geschichte menschlicher Errungenschaften führt. Mit seiner unvergleichlichen Erzählkunst fängt Zweig vierzehn historische Momente ein, die als Sternstunden der Menschheit gelten können.
Von bedeutenden Persönlichkeiten wie Napoleon und Dostojewski bis hin zu wagemutigen Entdeckern und begabten Künstlern erzählt Zweig von den wegweisenden Ereignissen, die die Geschichte maßgeblich geprägt haben. Jeder dieser Augenblicke wird von Zweig mit einer novellistischen Intensität und einem tiefen Verständnis für die menschliche Natur dargestellt.
Immer sind Millionen Menschen innerhalb eines Volkes nötig, damit ein Genius entsteht, immer müssen Millionen müßige Weltstunden verrinnen, ehe eine wahrhaft historische, eine Sternstunde der Menschheit in Erscheinung tritt.
Durch Zweigs meisterhafte Erzählungen werden die Leser in die Atmosphäre und die Bedeutung dieser historischen Momente hineingezogen. Man spürt die Spannung von Napoleons Niederlage in Waterloo, erlebt die Aufregung der Entdeckung Kaliforniens und fühlt die Erleichterung von Dostojewskis Begnadigung.
„Sternstunden der Menschheit“ ist mehr als nur eine Sammlung von Geschichten – es ist eine Hommage an die Menschheit und ihre Fähigkeit, in entscheidenden Momenten über sich hinauszuwachsen. Stefan Zweigs Werk bleibt auch nach 125 Jahren ein unverzichtbarer Bestandteil der Weltliteratur und fasziniert weiterhin Leser auf der ganzen Welt.
Das war insgesamt ein richtig guter Lesemonat. Fast durchweg Bücher, denen ich 4-5 Sterne gegeben habe, bis auf Elena Ferrante auch alles Autor*innen die ich definitiv wieder lesen würde.
Was waren Eure Highlights im April und konnte ich euch auf das eine oder andere Buch hier Lust machen? Freu mich von Euch zu hören.
Neapel ist eine Stadt voller Kontraste und Eindrücke, die uns auf verschiedenste Weise überrascht hat. Die Geschichte Neapels reicht zurück bis in die Antike, als die Stadt als wichtiger Hafen und Handelszentrum des Römischen Reiches florierte. Später, im Mittelalter, wurde Neapel zu einem bedeutenden Zentrum des byzantinischen und normannischen Königreichs, was seine reiche kulturelle Vielfalt erklärt.
Wir wohnten in einem Apartment nahe des Hafens, in einem imposanten Gebäude aus dem 19. Jahrhundert. Der Zugang zu unserem Apartment gestaltete sich durch zwei antiquierte käfigartige, recht enge Aufzüge die ich bislang überwiegend aus alten Filmen kannte.
Während unseres Aufenthalts waren die phlegräischen Felder wieder recht aktiv, und ich muss zugeben, dass mir bei dem Gedanken, im siebten Stock oder höher während eines Vulkanausbruchs, Erdbebens oder Tsunamis zu sein, ein wenig mulmig wurde. Man fragt sich, ob diese Gedanken auch bei den rund 300.000 Menschen in der Gefahrenzone gelegentlich Ängste auslösen oder ob sie diese komplett ausblenden.
Nach unserem Besuch in Pompeij und Sorrento stand am Sonntag dann endlich eine ausführliche Neapel Tour auf dem Programm. Unser Highlight war die Gegend um das Archäologische Museum, insbesondere das Literaturcafe am Bellini-Platz. Den Bohemian-Flair und die entspannte Atmosphäre dort haben wir bei einem Aperol in der Sonne sehr genossen . Das Archäologische Museum selbst beherbergt eine beeindruckende Sammlung antiker Artefakte aus den nahegelegenen Ausgrabungsstätten Pompeji und Herculaneum, die einen faszinierenden Einblick in das Leben der antiken Bewohner bieten.
Ein paar Straßen weiter in der Altstadt erlebten wir das pulsierende Leben Neapels. Besonders an einem sonnigen Sonntagnachmittag fühlte es sich an, als ob die ganze Stadt auf den Beinen wäre. Überall Menschen, Stände mit leckerem Essen und Trinken – ein bunter Mix aus Touristen und Einheimischen, die das Leben in vollen Zügen genießen. Die engen Gassen der Altstadt sind gesäumt von historischen Gebäuden, traditionellen Handwerksläden und kleinen Trattorien. Unter anderem kann man hier die prächtige Kathedrale von Neapel bewundern, ein beeindruckendes Beispiel der neapolitanischen Barockarchitektur, sowie die prunkvolle Kapelle Sansevero.
Beeindruckend fand ich auch die Street Art, die überall in der Altstadt zu finden war und einen faszinierenden Einblick in die kreative Szene Neapels bietet.
An Diego Maradona und die hellblauen Vereinsfarben des SSC Neapel kommt man nicht vorbei. Die Fußballbegeisterung ist in der Stadt ist überall zu sehen und zu spüren. Ich bin nicht sicher, ob ich mehr Madonnen oder Maradonna Bildnisse in der Stadt gesehen habe, es dürfte sich die Waage gehalten haben.
Was uns allerdings wirklich wunderte, waren die nächtlichen Feuerwerke in unserer Straße. Jeden Abend gab es laute Auto-Corsos und eben Feuerwerke – ein Phänomen, das ich gerne ergründet hätte. Zumal die Neapolitaner immer genau den Moment abwarteten an dem ich am Einschlafen war, um genau dann das erste von teilweise 2-3 Feuerwerken pro Nacht zu starten 😉
Krass fand ich den Gegensatz von auf der einen Seite überwiegend elegant gekleideten Menschen, dem überdurchschnittlich guten Essen (und Kaffee!) und den prächtigen Gebäuden und auf der anderen Seite konnte ich nicht umhin, das unfassbare Müllproblem zu bemerken, mit dem die Stadt zu kämpfen hat.
Unsere Tour durch Neapel fand ihren Abschluss im spanischen Viertel, das sich, wenn das überhaupt möglich ist, als noch belebter, lauter und verwinkelter erwies als die engen Gassen der Altstadt rund um den Bellini-Platz. In einem Gedränge, das mich stark ans Oktoberfest erinnerte, wurden wir durch die Straßen geschoben. Schließlich waren wir erschöpft von der Masse an Menschen und dem Trubel, also suchten wir Zuflucht in der erstbesten Pizzeria, die uns mit ihren Plastikblumen auf den ersten Blick nicht sonderlich beeindruckte.
Ursprünglich hatten wir nur geplant, ein Glas zu trinken, uns auszuruhen und in Ruhe nach einem Restaurant für den Abend zu suchen. Doch allmählich füllten sich die Tische um uns herum, und die Gerichte, die serviert wurden, sahen so köstlich aus, dass wir spontan beschlossen, ebenfalls dort zu essen. Und es stellte sich heraus, dass es eine ausgezeichnete Entscheidung war. Als wir das Lokal später gut gesättigt verließen, staunten wir nicht schlecht, als wir eine unglaublich lange Schlange vor dem Restaurant sahen, die sich gebildet hatte.Egal wo und was wir in Neapel gegessen haben, es war stets von überdurchschnittlicher Qualität und dennoch erschwinglich.
Und welche Autorin darf natürlich nicht fehlen, wenn man Reiselektüre nach Neapel einpackt? Richtig – Elena Ferrante. An den 5-bändigen Zyklus habe ich mich nicht gewagt (habe Committment issues bei solchen Reihen) – aber ihr Debüt „Lästige Liebe“ eingepackt und vor Ort gelesen.
„Elena Ferrante“ ist das Pseudonym einer italienischen Schriftstellerin, deren wahre Identität bis heute ein gut gehütetes Geheimnis ist. Ihre Romane setzen sich häufig mit Themen wie weiblicher Freundschaft, Familienbeziehungen und dem Leben im südlichen Italien auseinander.
Ihr Debütroman „Lästige Liebe“ (Originaltitel: „L’amore molesto“), veröffentlicht im Jahr 1992, ist eine eindringliche, ziemlich beklemmende Geschichte über eine Frau namens Delia, die nach dem mysteriösen Tod ihrer Mutter Amalia deren Tagebuch entdeckt. Während Delia versucht, die Wahrheit über den Tod ihrer Mutter aufzudecken, taucht sie immer tiefer in deren geheimnisvolle Vergangenheit ein.
„Lästige Liebe“ ist ein Roman, der mich mit seiner düsteren Atmosphäre und den komplexen Charakteren stellenweise durchaus in seinen Bann ziehen konnte, bin aber nicht wirklich warm geworden mit den Figuren und ich war bei der Lektüre eigentlich abwechseln verwirrt oder ein bißchen verstört. Durchaus ein gelungener Debütroman, Frau Ferrante kann wirklich schreiben – aber ich kann nicht sagen, dass ich unbändige Lust bekommen habe noch weitere Romane von ihr zu lesen.
Neapel ist laut, leidenschaftlich, chaotisch und ein bisserl abgeranzt hat aber immens viel Charme, liebenswerte Menschen und unfassbar leckeres Essen.
Kennt und mögt ihr Neapel? Was haben wir verpasst? Konnte ich euch Lust auf die Stadt machen?
Willkommen zum Rückblick auf meinen Lesemonat März. Es war ein echtes Lesefest mit neun Büchern! Ich habe literarische Reisen durch Deutschland, Nordmazedonien, die USA, Japan und Israel unternommen, manchmal verbunden mit einer tatsächlichen Reise aber meist ohne meine gemütliche Leseecke zu verlassen.
Ich habe mich durch die Straßen von Athen, Konstantinopel, Paris, Leipzig und London bewegt, auf der Suche nach alten Manuskripten aus der Antike, habe ich eine dystopische Welt entdeckt, in der die Menschheit möglicherweise (oder auch nicht) durch einen Roboter gerettet wird und eine ganze Menge Postkarten gelesen.
Ich stelle euch die Bücher wieder in alphabetischer Reihenfolge vor und hoffe, ich kann euch auf das eine oder andere Buch neugierig machen.
Am Strand von Bochum ist allerhand los – Jurek Becker erschienen im Suhrkamp Verlag
„Am Strand von Bochum ist allerhand los“ ist eine Sammlung von Postkarten, die Jurek Becker im Laufe seines Lebens an Freunde und Verwandte geschickt hat. In diesen Postkarten teilt Becker seine Gedanken, Erlebnisse und Beobachtungen auf humorvolle und oft ironische Weise. Die Postkarten bieten einen Einblick in Beckers persönliche Welt und sein literarisches Schaffen und sind ein faszinierendes Dokument seines Lebens.
Wollte eigentlich nur kurz ins Buch reinlesen und zack komplett hängengeblieben. Das hat riesigen Spaß gemacht, seine lustigen, verrückten ganz bezaubernden Karten zu lesen und ihm durch die Welt und sein Leben zu folgen.
Jurek Becker wurde 1937 in Łódź, Polen, und verstorben am 14. März 1997 in Sieseby, Deutschland. Becker emigrierte 1945 nach Ost-Berlin und studierte dort Philosophie und Literaturwissenschaft. Seine literarische Karriere begann er in den 1960er Jahren mit Kurzgeschichten und Theaterstücken. Bekannt wurde er vor allem durch seinen Roman „Jakob der Lügner“, der auch verfilmt wurde. Beckers Werke zeichnen sich durch ihre einfühlsame Darstellung des menschlichen Lebens und ihre subtile Ironie aus.
Seine Kindheit und Jugend fielen in eine Zeit großer Unsicherheit und Gefahr für Juden in Europa während des Zweiten Weltkriegs. Als Jude musste Becker zusammen mit seiner Familie die Schrecken des Holocausts und der Verfolgung durch die Nationalsozialisten erleben.
Während des Krieges und der deutschen Besatzung Polens musste die Familie Becker zahlreiche Entbehrungen und Gefahren durchstehen. Sie wurden in das Ghetto von Łódź deportiert, das zu den am dichtesten bevölkerten Ghettos im von Deutschland besetzten Polen gehörte. Dort herrschten extreme Bedingungen, darunter Armut, Hunger und Krankheiten.
Becker verlor während des Krieges viele Angehörige und Freunde durch die Gräueltaten des Holocausts. Seine Erfahrungen als Jude während dieser dunklen Zeit prägten sein späteres Leben und sein literarisches Schaffen tiefgreifend. Sie beeinflussten seine Sichtweise auf die Welt und sein Verständnis für die menschliche Natur.
Nach dem Krieg emigrierte Becker mit seiner Familie nach Ost-Berlin, wo er aufwuchs und seine Ausbildung absolvierte. Seine Erlebnisse während des Krieges und seine jüdische Identität hatten einen nachhaltigen Einfluss auf sein Schreiben und fanden in vielen seiner Werke ihren Niederschlag. Beckers literarisches Werk zeugt von einem tiefen Verständnis für die menschliche Tragödie und die Suche nach Identität in einer von Konflikten geprägten Welt.
„Am Strand von Bochum ist allerhand los“ ist ein wunderbares Buch, das riesige Lust macht mal wieder Postkarten zu schreiben und vor allen Dingen auch welche zu bekommen. Also schreibt mir bitte Postkarten – ich verspreche, ich antworte auch!
North Woods – Daniel Mason auf deutsch unter dem Titel „Oben in den Wäldern“ im C. H. Beck Verlag erschienen, übersetzt von Cornelius Hartz
Daniel Masons „North Woods“ ist eine faszinierende fragmentarische Geschichte die sich über mehrere Jahrhunderte erstreckt, beginnend in den 1760er Jahren bis in eine undatierte Zukunft. Das Zentrum des Romans bildet ein entlegener Ort in den Wäldern von Massachusetts und ein gelbes Haus, das durch die Jahrhunderte hinweg verschiedenste Bewohner beherbergt. Mason wählt eine ungewöhnliche Erzählstruktur in der er durch Textfragmente, Briefe, Gedichte und andere Textformen eine reiche, facettenreiche Welt erschafft.
Die Natur, in Form von Wald, Flora und Fauna, ist nicht nur Kulisse, sondern integraler Bestandteil der Geschichten. Der Roman zeigt, wie menschliches Schicksal und natürliche Prozesse miteinander verwoben sind, wodurch eine tiefe Verbindung zwischen den Charakteren und ihrer Umgebung entsteht.
Die Erzählungen verfolgen das Leben verschiedener Charaktere, angefangen bei einem jungen Paar, das einer puritanischen Kolonie entflieht, bis zu einem schizophrener Mann namens Robert, der die Natur akribisch dokumentiert und glaubt, sie durch sein Gehen „reparieren“ zu können.
“The only way to understand the world as something other than a tale of loss is to see it as a tale of change.”
Die Verwendung von unterschiedlichen Textformen und Bildern war anfangs herausfordernd, doch das kreative Risiko zahlt sich aus. Auch wenn nicht mir einige Kapitel/Kurgeschichten besser als andere gefallen haben. Mason schafft eine literarische Welt, in der die Grenzen des Romans erweitert werden. Der Leser erlebt nicht nur die individuellen Geschichten der Charaktere, sondern auch die sich verändernde Landschaft und die Auswirkungen der Zeit auf Natur und Mensch.
„North Woods“ ist nicht nur ein historischer Roman, sondern auch eine Meditation über das Wesen der Zeit, über Veränderung und das unaufhörliche Spiel von Leben und Tod.
Insgesamt ist „North Woods“ ein kühner und origineller Roman, der seine eigene Form findet und den Leser dazu anregt, die Welt und ihre Geschichten auf neue Weise zu betrachten.
Ein spannendes literarisches Abenteuer, die Figuren im Roman sind aber distanziert geblieben, daher gute 3 Sterne für mich.
The Cat who saved books – Sōsuke Natsukawa auf deutsch unter dem Titel „Die Katze die von Büchern träumte“ im C. Bertelsmann Verlag erschienen, übersetzt von Sabine Mangold
Ein kleiner Buchladen in Japan, hohe Holzregale mit seltenen Erstausgaben, eine Tasse Tee, zubereitet nach traditioneller Zeremonie: Das ist das Reich von Rintaro und seinem Großvater. Als der alte Herr stirbt, ist der stille Schüler auf sich allein gestellt. Was soll er mit dem Laden anfangen, der schon lange keinen Gewinn mehr abwirft? Was mit sich selbst, mit seinem Leben ohne den Großvater und dessen Ruhe und Lebensweisheit? Rintaro versteckt sich vor der Welt, verkriecht sich zwischen den fast vergessenen Buchschätzen. Auch seine Klassenkameradin Sayo, die sich Sorgen macht, vermag es nicht, ihn aus seinem Schneckenhaus herauszulocken. Bis eines Tages eine Katze im Buchladen auftaucht – eine sprechende Katze, die Rintaro eindringlich um Hilfe bittet: Die Bücher sind in Gefahr – und nur ein wahrer Buchliebhaber wie er, der die Liebe zum gedruckten Wort von seinem Großvater verinnerlicht hat, kann sie retten …
Großvater sagte immer: »Bücher besitzen eine besondere Macht. Wenn du sie liest, wirst du immer einen Freund zur Seite haben.
Eine zauberhafte Hommage an die Macht der Literatur und der Fantasie – ein Buch das mir wirklich gut gefallen hat und dass zum Glück ein ganzes Stück weniger schmalzig war, als ich es befürchtet hatte.
Die Odyssee des Fälschers – Rüdiger Schaper erschienen im Siedler Verlag
Die Odyssee des Fälschers“ von Rüdiger Schaper ist ein Roman, der die faszinierende Geschichte von Konstantinos Simonides erzählt, einer realen historischen Figur des 19. Jahrhunderts. Simonides war ein griechischer Schriftsteller und Fälscher, der für seine geschickte Manipulation von antiken Texten bekannt war.
Der Roman folgt Simonides auf seiner Reise durch verschiedene Städte und Zeiten, während er antike Manuskripte sucht und reproduziert. Seine Abenteuer führen ihn von Athen über Konstantinopel nach Paris, Leipzig und London, wo er auf historische Persönlichkeiten trifft und in mysteriöse Situationen gerät.
Durch die Darstellung von Simonides‘ Leben und seinen Fähigkeiten als Fälscher wirft der Roman wichtige Fragen nach Authentizität, Wahrheit und Identität auf. Simonides steht im Zentrum eines Netzwerks von Intrigen, Geheimnissen und unerwarteten Wendungen, die die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen lassen.
In gewisser Weise hat er dem jungen Griechenland gegeben, wonach es dürstete: eine zugleich antike und moderne Identität. Aus einem ähnlichen Impetus schafft zur gleichen Zeit Richard Wagner im „Ring des Nibelungen“ für die Deutschen einen synthetisch-mythologischen Götterkosmos. Eine seltsame Koinzidenz: Wie Griechenland mit seinem bayrischen König ist auch Deutschland eine späte Nation. Dafür braucht es zurückeilende Erfindung und Phantasie.
„Die Odyssee des Fälschers“ bietet eine faszinierende Mischung aus historischen Fakten und literarischer Fantasie. Durch die Darstellung von Konstantinos Simonides‘ Abenteuern wird der Leser auf eine spannende Reise durch die Geschichte der antiken Manuskripte mitgenommen, die sowohl unterhaltsam als auch erhellend ist.
Das Liebespaar des Jahrhunderts – Julia Schoch erschienen im dtv Verlag
In einer Welt, die sich im raschen Wandel befindet, scheint die Liebe oft wie ein ferner Traum aus vergangenen Zeiten. Julia Schoch, eine etablierte Stimme in der deutschsprachigen Literatur, führt uns in ihrem jüngsten Werk „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ durch die Wirren einer Beziehung, die mit Leidenschaft begann und im alltäglichen Trott zu erkalten droht.
Der Roman erzählt die Geschichte eines Paares, das sich kurz nach dem Zusammenbruch der DDR kennenlernt. In einer kleinen Plattenbauwohnung in Potsdam erlebt ihre Liebe ihre erste Blüte, bevor sie sich auf spannende Reisen und Auslandsaufenthalten in Paris und Bukarest begeben. Doch selbst inmitten der Intensität und des Glücks scheint das Schicksal der Trennung ständig über ihnen zu schweben.
Schochs Prosa ist klarsichtig und von einer enormen Dringlichkeit durchdrungen. Sie stellt die Frage nach der Funktionalität der Liebe, während sie uns durch die Höhen und Tiefen einer langjährigen Beziehung führt. Die Ich-Erzählerin offenbart ihre Gedanken und Emotionen auf eine Weise, die den Leser*in unweigerlich mitnimmt. Man fühlt sich fast wie ein stiller Beobachter im innersten Zirkel dieser Beziehung.
Die Geschichte entfaltet sich nicht linear, sondern springt zwischen verschiedenen Zeitpunkten und Erinnerungen hin und her. Dadurch entsteht das lebendige Bild einer Liebe, die sich im Laufe der Zeit wandelt und transformiert. Von den bescheidenen Anfängen auf einem sonnigen Balkon bis hin zu den belastenden Verpflichtungen des Familienlebens – Schoch zeigt uns die verschiedenen Facetten der Liebe, die sowohl euphorisch als auch erschütternd sein können.
Besonders faszinierend ist die Art und Weise, wie die Autorin die Stagnation und Entfremdung in der Beziehung darstellt. Die zunehmende Distanz zwischen den Partnern wird mit jeder Seite spürbar, während die Ich-Erzählerin sich in einem Strudel aus ungesagten Worten und unausgesprochenen Sehnsüchten verfängt. Es ist ein leises Drama, das sich vor unseren Augen entfaltet, und doch so fesselnd in seiner Einfachheit.
Durch geschickte Beobachtungen und trockenen Humor gelingt es Schoch, die Alltäglichkeit des Lebens mit all ihren Höhen und Tiefen einzufangen. Von den kleinen Freuden des Elternseins bis hin zu den bitteren Momenten der Einsamkeit – nichts bleibt ungesagt in diesem Buch.
Doch trotz aller Tragik und Melancholie, die in den Seiten dieses Romans mitschwingen, gibt es auch einen Funken Hoffnung. Die Erzählerin erkennt schließlich die Muster ihres Unglücks und findet den Mut, einen neuen Weg einzuschlagen. Es ist ein Akt der Befreiung, der zeigt, dass es nie zu spät ist, sich selbst zu finden und sein eigenes Glück zu verfolgen.
Glauben sie ernsthaft, Trennung ist eine Lösung? Sich dauernd zu trennen und wieder zu verlieben ist, als sähe man Hunderte Filmanfänge, aber keinen Film zu Ende
„Das Liebespaar des Jahrhunderts“ ist ein Buch, das die Tiefen der menschlichen Seele erkundet und dabei die universelle Frage nach Liebe und Verlust aufwirft. Es ist eine Geschichte, die uns daran erinnert, dass die Liebe zwar kompliziert sein mag, aber immer noch die Kraft hat, uns zu transformieren und zu erneuern. Julia Schoch hat mit diesem Roman ein Meisterwerk geschaffen, das noch lange nach dem Lesen in unseren Gedanken nachhallt.
Ich sag es immer wieder: 2023 ist ein unfassbar gutes Lesejahr. Wieder 5/5 Punkten – wie ihr auf dem Bild seht, kam ich aus dem Markieren gar nicht mehr raus. Ganz großes Lesevergnügen. Ich möchte unbedingt noch viel mehr von Frau Schoch lesen!
Zeit der Ziegen – Luan Starova erschienen im Unionsverlag, übersetzt aus dem Makedonischen von Robert Mantovani
„Zeit der Ziegen“ ist ein Roman von Luan Starova, übersetzt von Roberto Mantovani, erschienen im Unionsverlag, der die Geschichte einer albanischen Familie im ehemaligen Jugoslawien während des Zweiten Weltkriegs und der kommunistischen Ära erzählt. Der Roman konzentriert sich auf das Leben der Familie Gjonbalaj, die sich mit den Herausforderungen und Veränderungen in ihrem Land während dieser turbulenten Zeiten auseinandersetzen muss. Dabei werden Themen wie Identität, politische Unterdrückung und die Suche nach Freiheit behandelt. „Zeit der Ziegen“ ist ein berührender und fesselnder Roman, der die Leser*innen durch die historischen Ereignisse und persönlichen Geschichten einer Familie führt, die um ihr Überleben und ihre Selbstbestimmung kämpft. Der Roman hat mir richtig gut gefallen, würde auf jeden Fall auch noch weitere Romane von Starova lesen.
Aber außer den wenigen ehern überzeugten Parteikadern versorgten sich alle anderen, einschließlich der höheren und untergeordneten Beamten, heimlich, wenn es niemand sah, mit Ziegenmilch und Milchprodukten. Einige der weniger hohen Kader bezahlten, bei den höheren drückte man ein Auge zu. An Feiertagen schickte Tschanga dem Parteisekretär und dem Bürgermeister je einen Bottich hochwertigen Ziegenkäse. Und so schwiegen alle in der Hauptstadt der südlichen Republik, gefangen in den Netzen der „Ziegenmafia“, so brummten zumindest die rechtgläubigen Parteiideologen still vor sich hin.
Wer Lust hat mehr über meine Reise nach Skopje zu lesen: bitte hier entlang.
Mockingbird – Walter Tevis auf deutsch unter dem Titel „Die letzten der Menschheit“ im Moewig Verlag erschienen
Wenn es um zeitlose Sci-Fi-Klassiker geht, ist Walter Tevis Mockingbird definitiv ein Juwel. Dieses meisterhafte Werk entführt den Leser in eine düstere Zukunft, in der die Menschheit an den Rand des Untergangs gedrängt wurde. Tevis schafft es, eine Welt zu entwerfen, die gleichzeitig faszinierend und erschreckend realistisch ist, eine Welt, die einen nicht mehr so schnell loslässt.
In „Mockingbird“ präsentiert uns Tevis eine dystopische Gesellschaft, die von einem mechanisierten System regiert wird. Eine Welt, in der die Menschen zu Sklaven ihrer eigenen Technologie geworden sind, in der die Kunst des Denkens und Fühlens verloren gegangen ist. Die Protagonisten sind gebrochene Seelen, die in einer Welt voller Leere und Entfremdung gefangen sind. Doch inmitten dieser Trostlosigkeit findet sich ein Funken Hoffnung, der durch die Seiten des Romans glimmt und den Leser auf eine Reise der Selbstfindung und Erlösung mitnimmt.
Die Charaktere in „Mockingbird“ sind so tiefgründig und facettenreich, dass man sie noch lange nach dem Lesen des Buches nicht vergessen kann. Der Bibliothekar Bentley, der in seiner Einsamkeit und Verlorenheit nach Bedeutung sucht; die junge Frau Mary Lou, die in einer Welt der Maschinen ihre Menschlichkeit bewahrt; und der Roboter Spofforth, der nach Liebe und Verständnis strebt – sie alle hinterlassen einen bleibenden Eindruck und machen „Mockingbird“ zu einer unvergesslichen Lektüre.
When literacy died, so had history.
Tevis‘ Schreibstil ist zugleich poetisch und nüchtern, voller tiefer Emotionen und existenzieller Fragen. Mit jeder Seite zieht er den Leser tiefer in die Welt von „Mockingbird“ hinein, bis man das Gefühl hat, selbst ein Teil dieser beklemmenden Zukunft zu sein. Tevis‘ Fähigkeit, eine so komplexe und faszinierende Welt zu erschaffen, zeugt von seinem außergewöhnlichen Talent als Autor.
Tevis ist ein spannender Autor, der zwar nur 5 Romane schrieb, die aber sehr erfolgreich waren und fast alle verfilmt wurden. Kürzlich erst der riesige Netflix Erfolg „The Queens Gamit“ oder das Juwel „The Man who fell to earth“ mit David Bowie in der Hauptrolle. Geboren 1928 war sein Leben geprägt von persönlichen Herausforderungen und Kämpfen.
Gewässer im Ziplock – Dana Vowinckel erschienen im Suhrkamp Verlag
Gewässer im Ziplock“ von Dana Vowinckel ist ein einfühlsamer Debütroman, der die Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie erzählt, die durch ihre jüdische Herkunft verbunden ist, aber von inneren Konflikten zerrissen wird. Die fünfzehnjährige Margarita verbringt ihre Ferien bei den Großeltern in den USA, sehnt sich jedoch nach Deutschland, wo ihr Vater als Kantor arbeitet. Als sie nach Israel geschickt wird, um ihre Mutter kennenzulernen, werden alte und neue Wunden aufgerissen, und Konflikte eskalieren während einer gemeinsamen Reise durch das Heilige Land. Zurück in Chicago muss Margarita am Krankenbett ihrer Großmutter eine folgenreiche Entscheidung treffen.
Der Roman wird für seine Aktualität und tiefgründige Darstellung der familiären Dynamik gelobt. Die „Stakkato“-Sätzen verdeutlichten stark die Spannungen innerhalb der Familie, die Charaktere entwickeln sich und bleiben nicht starr.
Ich konnte kaum glauben, dass ich es hier mit einem Debütroman zu tun habe. Wirklich großartig was die Autorin hier abliefert. Das Glossar am Ende mit jüdischen Begriffen fand ich sehr hilfreich, habe viel gelernt!
Insgesamt für mich eine sehr gelungene Darstellung des jüdischen Lebens in Deutschland (soweit ich das überhaupt beurteilen kann)
Die Differenz zwischen dem stark religiösen Vater und der pubertären Tochter habe ich als sehr reizvoll empfunden, ebenso wie die verschiedenen Perspektiven, aus denen die Geschichte erzählt wird.
Ich war von meinem hohen Lesevergnügen selbst überrascht, denn als wenig spirituelle Person, geht mir zuviel Religion und Esoterik schnell auf den Keks.
Auch Margarita würde gehen. Ihm das klägliche Herz brechen. Wenn man nur sich selbst verlassen könnte, dachte er, er täte es.
Insgesamt ist „Gewässer im Ziplock“ ein einfühlsamer Roman, der wichtige Themen wie Familienbeziehungen, Identität und kulturelle Zugehörigkeit auf sensible Weise behandelt. Gelegentlich waren mir etwas zu viele Körperflüssigkeiten im Spiel 😉
Große Leseempfehlung und ich habe mich sehr gefreut, dass Dana Vowinckel kürzlich im Literaturhaus München aus ihrem Roman vorgelesen hat und ich die Gelegenheit hatte mir das Buch signieren zu lassen.
Tolles Debut, spannendes Thema – unbedingt lesen!
So, geschafft! Jetzt ihr wieder: worauf konnte ich euch Lust machen? Welche Bücher kennt ihr? Wie war euer Lesemonat – ich möchte von euch hören 🙂