November by the Book

Der November war eine gelungene Mischung aus Vorbereitung aufs Reading Weekend in Paris mit Werken von und über Hemingway, herbstlichem Grusel, einem Abstecher ins viktorianische London zum Auftakt meines Sherlock Holmes Marathons und einem spannenden Sachbuch über die Evolution des weiblichen Körpers. Hier dürfte dieses Mal wirklich für fast jeden was dabei sein 😉 Wie immer geht es direkt los in alphabetischer Reiheinfolge.

Cat Bohannon – Eve: How the female Body drove 200 Million Years of Human Evolution auf deutsch erschienen im C. Bertelsmann Verlag

Eine Mythen entlarvende, aufschlussreiche Darstellung darüber, wie sich der Mensch entwickelt hat, die eine Paradigmenverschiebung in unserem Denken darüber bietet, was der weibliche Körper ist, wie er entstanden ist und wie diese Evolution immer noch unser aller Leben beeinflusst.

Wie hat der weibliche Körper 200 Millionen Jahre menschlicher Evolution vorangetrieben? • Warum leben Frauen länger als Männer? • Warum neigen Frauen eher zu Alzheimer? • Warum schneiden Mädchen in jedem schulischen Fach besser ab als Jungen, bis ihre Noten plötzlich in der Pubertät abfallen? • Ist Sexismus für die Evolution nützlich? • Und warum müssen Frauen jede Nacht wie verrückt schwitzen, wenn sie in die Menopause kommen?

Diese Fragen behandelt Cat Bohannon mit grenzenloser Neugier und scharfem Witz die letzten 200 Millionen Jahre, um die spezifische Wissenschaft hinter der Entwicklung des weiblichen Geschlechts zu erklären: „Wir brauchen eine Art Bedienungsanleitung für das weibliche Säugetier. Einen sachlichen, treffenden, ernsthaft erforschten (aber lesbaren) Bericht darüber, was wir sind. Wie sich weibliche Körper entwickelt haben, wie sie funktionieren, was es wirklich bedeutet, biologisch eine Frau zu sein. Etwas, das die Geschichte der Weiblichkeit neu schreiben würde. Dieses Buch ist diese Geschichte. Wir müssen den weiblichen Körper ins Bild rücken. Wenn wir das nicht tun, ist nicht nur der Feminismus beeinträchtigt. Moderne Medizin, Neurobiologie, Paläoanthropologie, sogar Evolutionsbiologie nehmen Schaden, wenn wir die Tatsache ignorieren, dass die Hälfte von uns Brüste hat. Also wird es Zeit, über Brüste zu sprechen. Brüste, und Blut, und Fett, und Vaginas, und Gebärmütter – alles. Wie sie entstanden sind und wie wir heute mit ihnen leben, ganz gleich, wie seltsam oder amüsant die Wahrheit ist.“

No other mammals on the planet have been observed regularly helping one another through birth. Or at least, none we know of. Two monkey species have been observed assisting in a birth, but each case seems incredibly rare. One was a black-and-white snub-nosed monkey in 2013, but it was hard to draw conclusions since it was a daytime birth and usually they occur at night. The second, involving a langur monkey, was recorded in 2014—and if it hadn’t been recorded, no one would have believed it. Chinese primatologists had observed this group of langurs for years and saw that the females generally gave birth alone. But not this time. On a rocky outcropping, an older female monkey hung around a younger mother who was clearly struggling in active labor. The newborn came out halfway. The older monkey quickly pulled the baby out of the mother’s vagina, held the kid for a minute, licked it, and then handed it to its mother. This may be the first clear evidence of active birth assistance in any mammal besides humans.”

Hab irre viel bei der Lektüre dieses Buches gelernt. Macht sich als Weihnachtsgeschenk wahrscheinlich richtig gut.

Arthur Conan Doyle – Eine Studie in Scharlachrot auf deutsch erschienen im Deutschen Bücherbund übersetzt von Gisbert Haefs

„Eine Studie in Scharlachrot“ ist der erste Roman von Sir Arthur Conan Doyles berühmter Sherlock-Holmes-Reihe. Die Geschichte beginnt damit, dass der Arzt Dr. John Watson einen Mitbewohner sucht und sich mit dem exzentrischen Detektiv Sherlock Holmes zusammentut. Die beiden werden in den Fall eines mysteriösen Mordes hineingezogen, bei dem ein Mann in einem verlassenen Haus in London tot aufgefunden wird. Das Opfer trägt einen scharlachroten Faden um das Handgelenk. Während Holmes mit seinen genialen deduktiven Fähigkeiten den Täter aufspürt, enthüllt die Erzählung auch die Hintergrundgeschichte des Mörders, die mit einem fanatischen religiösen Kult im amerikanischen Westen in Verbindung steht. „Eine Studie in Scharlachrot“ präsentiert die brillante Kombination von Holmes‘ Logik und Watsons Erzählkunst und markiert den Beginn einer faszinierenden Reihe von Kriminalgeschichten.

“To a great mind, nothing is little,‘ remarked Holmes, sententiously.”

Bin voll ins Sherlock Holmes Fieber geraten. Auch wenn ich die Romane und Erzählungen wahrscheinlich fast alle schon mal gelesen haben, macht es unfassbar viel Spaß die ganzen wunderschönen Bände jetzt noch einmal der Reihe nach zu lesen und dabei meine Book Nook zu bewundern, die ganz eindeutig das Arbeitszimmer von Sherlock darstellt.

Elizabeth Hand – A Haunting on the Hill erschienen bei Mulholland Books, bisher noch nicht auf deutsch übersetzt

Von der mehrfach ausgezeichneten Autorin Elizabeth Hand, kommt der allererste autorisierte Roman, der in die Welt von Shirley Jacksons „Spuk in Hill House“ zurückkehrt: eine spannende, zeitgenössische und beängstigende Geschichte von Sehnsucht und Isolation, die ganz für sich steht.

Holly Sherwin ist seit Jahren eine kämpfende Dramatikerin, aber jetzt, nachdem sie ein Stipendium erhalten hat, um ihr Stück „Die Hexe von Edmonton“ zu entwickeln, könnte sie endlich kurz vor ihrem großen Durchbruch stehen. Alles, was sie braucht, ist Zeit und Raum, um ihre Vision zum Leben zu erwecken. Als sie bei einem Wochenendausflug in den Norden auf Hill House stößt, ist sie sofort von dem opulenten, wenn auch verfallenden, gotischen Herrenhaus fasziniert, das fast versteckt außerhalb eines abgelegenen Dorfes liegt. Es ist riesig, alt und unheimlich – der perfekte Ort, um ihr Stück zu entwickeln und zu proben.

Trotz ihrer eigenen Bedenken stimmt Hollys Freundin Nisa zu, sich Holly anzuschließen und das Haus für einen Monat zu mieten, und bald darauf kommt eine Gruppe Schauspieler, jeder mit seinen eigenen Geistern, an. Doch während sie sich einrichten, werden die Eigenheiten des Hauses bekannt: Seltsame Kreaturen streifen über das Gelände, störende Geräusche hallen durch die Gänge, und die Zeit selbst scheint sich zu verschieben. Zu schnell finden sich Holly und ihre Freunde nicht nur untereinander, sondern auch mit dem Haus selbst im Konflikt. Es scheint, als ob etwas all die Jahre in Hill House gewartet hat und nicht mehr alleine gehen will…

“Some call me witch, and through their hatred they’ve taught me how to be one…”

War etwas skeptisch vorab, aber Elizabeth Hand ist wunderbar gruseliger, wohliger Horror gelungen für alle Fans von Shirley Jacksons Klassiker.

Matt Haig – Die Radleys erschienen im Rowohlt Verlag, übersetzt von Friederike Levin

Gestatten: die Radleys. Eine ganz normale Familie. Bishopthorpe, ein kleines Städtchen im Herzen Englands: Hier leben die Radleys. Vater Peter ist Arzt, Mutter Helen mit Leib und Seele Hausfrau und engagiertes Lesezirkel-Mitglied. Ihre Kinder Rowan und Clara besuchen das örtliche College. Eine Bilderbuchfamilie, geachtet bei Nachbarn und Freunden. Doch warum muss Rowan selbst im Winter Sonnenschutzfaktor 60 auflegen? Warum ist Clara Veganerin und hat dennoch nicht das Gefühl, sich gesund zu ernähren? Warum schmilzt der treue Ehemann Peter beim Anblick fremder weiblicher Nacken dahin? Warum verstummen alle Vögel, sobald ein Radley vor die Tür tritt? Und warum ist plötzlich alles voller Blut?

“That is what the taste of blood does. It takes away the gap between thought and action.To think is to do. There is no unlived life inside you as the air speeds past your body, as you look down at the dreary villages and market towns…”

Wem „richtige“ Vampir Romane zu düster oder blutig sind, für den bieten sich die Radleys als perfekte Einstiegslektüre an. Keine große Literatur aber ich habe den Roman gerne gelesen, Matt Haig ist einfach eine sichere Bank wenn man nach leichter gut geschriebener Literatur sucht.

Ernest Hemingway – Paris: Ein Fest fürs Leben erschienen im Rowohlt Verlag übersetzt von Werner Schmitz

Paris – ein Fest fürs Leben“ von Ernest Hemingway ist eine autobiografische Erzählung, die die Erfahrungen des Autors und seiner Frau Hadley während ihrer Zeit in Paris in den 1920er Jahren dokumentiert. Der Roman bietet einen Einblick in das künstlerische und kulturelle Leben der Stadt, insbesondere in den Kreisen der damaligen literarischen Größen wie Gertrude Stein, F. Scott Fitzgerald und Ezra Pound.

“We would be together and have our books and at night be warm in bed together with the windows open and the stars bright.”

Hemingway beschreibt die Atmosphäre von Paris als vital und inspirierend, und er teilt seine persönlichen Erlebnisse, darunter auch seine Beziehung zu seiner ersten Frau Hadley. Der Titel „Paris – ein Fest fürs Leben“ spiegelt die lebendige und leidenschaftliche Stimmung wider, die Hemingway mit der Stadt verbindet. Die Erzählung vermittelt nicht nur die Freuden und Herausforderungen des Schriftstellerlebens, sondern auch die Dynamik der zwischenmenschlichen Beziehungen in dieser künstlerisch aufgeladenen Umgebung. Hemingways prägnanter Schreibstil und seine Fähigkeit, lebendige Bilder zu malen, machen das Buch zu einem fesselnden Zeugnis seiner Zeit in Paris und seines persönlichen Wachstums als Schriftsteller.

Er kann wirklich gut schreiben der Herr Hemingway und es macht auch durchaus Spaß das Buch zu lesen insbesondere wenn man dann kurz drauf durch Paris stromert im Rahmen eines Reading Weekends, aber er ist echt eine ganz fürchterliche Lästerbacke. Jede und jeder der ihn mal unterstützt hat und dem er eigentlich vielleicht ein bisschen dankbar sein sollte bekommt sein Fett weg. Krass!

Paula McLain – Hemingway & Ich erschienen im Aufbau Verlag, übersetzt von Yasemin Dinçer


„Love & Ruin“ von Paula McLain ist ein historischer Roman, der sich auf das Leben von Martha Gellhorn konzentriert, einer amerikanischen Journalistin und Schriftstellerin, die auch die dritte Ehefrau von Ernest Hemingway war. Die Geschichte spielt in den 1930er und 1940er Jahren und führt die Leser durch Gellhorns faszinierendes Leben, ihre Arbeit als Kriegsberichterstatterin während des Spanischen Bürgerkriegs und des Zweiten Weltkriegs.

“Real writing, I was beginning to realize, was more like laying bricks than waiting for lightning to strike. It was painstaking. It was manual labor. And sometimes, sometimes if you kept putting the bricks down and let your hands just go on bleeding, and didn’t look up and didn’t stop for anything, the lightning came. Not when you prayed for it, but when you did your work.”

Der Roman erforscht ihre komplizierte Beziehung zu Hemingway, während beide versuchen, ihren Platz in der Welt des Journalismus und der Literatur zu finden. McLain beschreibt die Herausforderungen, denen Gellhorn als Frau und Kriegsreporterin gegenübersteht, sowie die intensiven Emotionen und Spannungen in ihrer Ehe mit Hemingway. „Love & Ruin“ bietet einen Einblick in die turbulenten politischen und persönlichen Zeiten, in denen Gellhorn lebte, und zeigt die Opfer und Hingabe einer Frau, die nach ihrer eigenen Identität strebte, während sie sich in einer von Männern dominierten Welt behauptete.

Habe schon den Band „The Paris Wife“ sehr gerne gelesen und auch dieser Roman um Martha Gellhorn ist klasse. Was für eine spannende Frau. Gegen sie sieht Hemingway stellenweise ganz schön blaß aus. Dieses Interview mit Martha Gellhorn fand ich unfassbar spannend:

Cathy Rentzenbrink – Dear Reader erschienen im Picardor Verlag, bislang nicht ins Deutsche übersetzt


Solange sie sich erinnern kann, hat sich Cathy Rentzenbrink in Geschichten verloren und wieder gefunden. Schon in ihrer Kindheit wurde sie selten ohne ein Buch gesehen und las heimlich noch lange, nachdem das Licht ausgeschaltet war. Als das Unglück zuschlug, hielten Bücher sie über Wasser. Schließlich wiesen sie ihr den Weg zu einem neuen Pfad, zuerst als Buchhändlerin und dann als Schriftstellerin. Egal, was die Zukunft bereithält, das Lesen wird immer helfen.

„Dear Reader“ ist eine bewegende, humorvolle und freudige Erkundung darüber, wie Bücher den Verlauf des Lebens verändern können, randvoll mit Empfehlungen von einer Leserin an eine andere.

Dies ist wirklich das ultimative Buch für Buchliebhaber. Cathy Rentzenbrink führt den Leser durch ein Labyrinth von Büchern von der Kindheit bis zur Mutterschaft und dem Verlust, wobei sie auf dem Weg einige ihrer liebsten und unvergesslichsten Geschichten empfiehlt. Es ist wirklich ein eigenartiges Buch zu kategorisieren – teilweise Memoiren, aber auch einfach ein Teil allgemeiner Plauderei über Bücher. Es fühlt sich an, als würde der Leser mit einer Freundin sprechen, die zufällig dieselbe Leidenschaft fürs Lesen teilt und viele Bücher liest.

“Don’t allow anything to dent your reading pleasure. Don’t let anyone tell you that what you like isn’t proper, that what brings comfort and ease to your soul isn’t good enough.”

Es ist wirklich spannend, wie transformativ Bücher wirklich sein können. In schweren Zeiten sind sie immer da – der stille Freund, der helfen kann, den Kopf frei zu bekommen und einen für eine Weile aus der realen Welt zu entführen. Sie können auch dazu beitragen, wie man die Welt sieht, die eigenen Horizonte erweitern und die Sicht auf das Leben verändern, direkt von Ihrem gemütlichen Lesesessel aus.

Hervé Le Tellier – Die Anomalie erschienen im Rowohlt Verlag, übersetzt von Romy & Jürgen Ritte

„Die Anomalie“ von Hervé Le Tellier ist ein Roman, der verschiedene Genres und Perspektiven geschickt miteinander verwebt. Die Geschichte beginnt mit dem mysteriösen Vorfall eines Flugzeugs, das während eines Transatlantikflugs für wenige Minuten in der Zeit verschwindet und dann sicher am Zielort landet. Der Roman beleuchtet die Auswirkungen dieses Ereignisses auf das Leben der Passagiere, die nach ihrer Rückkehr mit unerklärlichen Veränderungen und Konflikten konfrontiert sind.

“Es gibt ein Leben nach dem Tod, besonders nach dem der anderen.”

Der Plot entwickelt sich durch die Augen verschiedener Charaktere, darunter ein Schriftsteller, ein Bodyguard, eine Finanzmanagerin und andere, die alle an diesem ungewöhnlichen Ereignis beteiligt sind. Die Geschichte erkundet die Komplexität von Identität, Realität und den Auswirkungen von Entscheidungen. Mit Elementen von Science-Fiction, Thriller und Drama bietet „Die Anomalie“ eine fesselnde und tiefgründige Reflexion über das menschliche Dasein und die möglichen Verzweigungen, die durch eine solche Anomalie entstehen können.

Denke immer noch darüber nach was ich machen würde wenn ich auf einmal der Bingereaderin gegenüberstehen würde und über all die Implikationen. Eines meiner Bücher 2023 – große Empfehlung!

Das war der November meine Lieben! Und – war etwas dabei für euch? Welches kennt ihr, welches mochtet ihr oder vielleicht auch nicht? Freue mich wie immer sehr auf eure Rückmeldungen und verspreche auf jeden Fall mehr Sherlock Holmes in den kommenden Monaten.

Kreta by the Book oder auch Juni Lektüre

Ich habe mich den ganzen Juni mit Kreta, dem Meer und der Antike beschäftigt, auch wenn der eigentliche Urlaub nur zwei Wochen dauerte. Ich lese ja nach Möglichkeit immer gerne Bücher die zu meinem jeweiligen Aufenthaltsort passen, natürlich in Kombination mit innerer Wetterlage, aber diese Kombination ist auf jeden Fall eine meiner liebsten. Ich habe schon vor dem Urlaub mit der Lektüre begonnen, bzw den gesamten Monat diesem Themenkomplex gewidmet, da ich einige gewichtige Bücher zu diesem Thema angesammelt hatte, die ich unmöglich noch in den Koffer bekommen hätte, so dass ich mich bei den Büchern, die ich vor Ort lesen wollte und konnte, etwas beschränken konnte.

Meine beiden Lieblingsländer bzw -inseln sind Griechenland und Schottland bzw Kreta und Skye und ich habe das riesige Glück, dieses Jahr sogar beide besuchen zu können. Unser Urlaub war phänomenal schön und ich kann mich nur schwer wieder in diese meer-ferne bayrische Lebenswelt zurückfinden.

Landschaftlich sind sich die beiden Länder übrigens viel ähnlicher als man so denkt, ich werde auch in diesen Bericht hier ein Schottland-Bild einmogeln und ihr müsst versuchen, herauszufinden welches es ist 😉

Jetzt aber erst einmal zur Lektüre, wie immer ein kurzer Schnelldurchlauf in alphabetischer Reihenfolge:

Das lebende Meer – Jacques-Yves Cousteau übersetzt von Isolde Kolbenhoff, erschienen im Verlag Buch und Welt (nur noch antiquarisch erhältlich)

Jacques-Yves Cousteaus unentdeckter Kontinent ist der Meeresgrund und die Gräben der Tiefsee. Durch seine hartnäckigen Versuche seit den 1950er Jahren das Steigen und Fallen der rätselhaften Tiefenstreuschichten im Meer zu erforschen, und sein Drang, immer mehr über das Leben auf dem Meeresgrund zu erfahren, führten zur Erfindung der Tiefsee-Kameraschlitten, die tausend Meter unter der Meeresoberfläche über den Meeresboden gleiten und Phänomene fotografieren, die bis dahin nie ein Mensch zu Gesicht bekommen hatte.

Mit Hilfe seiner „tauchenden Untertasse“, einem Düsen-Uboot mit Bullaugen und mechanischen Greifern begegnen wir in diesem Buch lange unbekannten Lebewesen wie silberne Fische, die wie eine Triangel geformt sind, Fische deren Haut wie ein Schachbrett in Felder aufgeteilt ist, Tiefseehaie, Riesenkranken und vieles mehr. Wir lernen den Lastwagenfisch kennen und freunden uns mit „Ulysses“ an, einem Riesen-Zackenbarsch, der den Tauchern wie ein treuer Hund durchs Wasser folgt und ihr Lieblingstier wird.

Cousteau und seine Mannschaft (bis auf seine Ehefrau alles Männer) sind aber in mancher Hinsicht auch Kinder ihrer Zeit. Ich war ziemlich schockiert, über ihr vorsätzliches brutales Erschlagen von Haien, weil diese ein kleines verletztes Walbaby gefressen hatten oder ihr Reiten auf Riesenschildkröten. Das Buch ist eine Sammlung von National Geografic Artikeln die zwischen Januar 1954 und Juli 1961 erschienen waren und diese anfänglich überwiegend von Abenteuerlust getriebenen Expeditionen sind später nach und nach wissenschaftlicher geworden und der Tier- und Umweltschutzgedanke begann auch Cousteau und seine Leute stärker zu beeinflussen. Wir haben es zu einem großen Teil auf jeden Fall Cousteau zu verdanken, dass das Mittelmeer nicht zu einem Atommüll-Lager wurde, denn die Plände in den 1950/60er Jahren sahen exakt das vor und es war unter anderem dem unermüdlichen Protest von Cousteau und anderen zu verdanken, dass man von dieser Idee irgendwann absah.

Neben den Beobachtungen des Lebens auf dem Meeresgrund, standen auch Tauchexpeditionen zu gesunkenen Schiffen auf dem Programm und ein Experiment bei dem zwei Männer erstmalig eine Woche lang ununterbrochen unter Wasser leben.

„Noch immer degradieren manche Biologen das Mittelmeer zu einem „sterilen“ Meer. Ich wünschte, ich könnte bei derartigen Gelegenheiten diese Leute an Bord der Calypso haben. Zwischen der Cote d’Azur und Korsika sind wir oft dem begegnet, was wie ein Rudel hier ansässiger großer Blauwale aussah. Ein dutzendmal im Jahr fuhren wir hier durch und stellten immer mindestens zwei große Wale fest, die herumwanderten, als hätten sie Eigentumsrechte.“

Ein spannendes Zeitdokument, das mich beim Lesen wiederholt in meine Kindheit zurückbeamte, wo ich fieberhaft mit dem Opa vorm Fernseher saß, wenn Cousteau mit seinem knallgelben Uboot abtauchte und wir gemeinsam mit ihm die Tiefsee erforschten. Ein Buch das ich mit einigen Einschränkungen auch heute noch mit großem Interesse und Spaß gelesen habe.

Reisende Helden (Travelling Heroes) – Robin Lane Fox übersetzt von Susanne Held erschienen im Klett-Cotta Verlag

Im Zentrum des Buches stehen die reisenden Zeitgenossen Homers: euböische Griechen des 8. Jahrhunderts, die als Seefahrer und Piraten rund um das Mittelmeer unterwegs waren, Handel trieben und neue Welten entdeckten. Fundstück für Fundstück trägt der Autor zusammen, was sich über diese frühen Griechen herausfinden lässt.

Reisende Helden, das sind auch die Figuren des Mythos, die weit herumkamen: etwa Dädalus, der sogar fliegen konnte, Herkules, der kreuz und quer im Mittelmeerraum seine Arbeiten verrichtete, oder die unglückliche Io, die von Zeus erst verführt und dann in eine Kuh verwandelt wurde.
Indem Robin Lane Fox den unendlichen Schatz der griechischen Mythen mit der Sachwelt der archäologischen Funde verknüpft, lässt er vor unseren Augen ein lebendiges Bild dieser Zeit entstehen.

Robin Lane Fox’ reisende Helden sind verwegene griechische Seefahrer aus dem 8. Jahrhundert v. Chr., die ferne Länder und Küsten entdeckten. Das Wissen und die Geschichten aus der Fremde integrierten sie in ihre Vorstellungswelt und legten so den Grundstein für die griechische Kultur.

„Im Norden Kretas, in Knossos, fanden Archäologen eine Bronzeschale aus dem 10. Jahrhundert, die von einem Zyprer hergestellt und von einem Phönizier mit einer Inschrift versehen wurde, diese wurde als Bezug auf eine frühere Weihung der Schale an den ägyptischen Gott Amon interpretiert. Das weit gereiste Stück gelangte schlussendlich in das Grab eines Griechen auf Kreta, zusammen mit griechischer Keramik aus dem 9. Jahrhundert v. Chr. Es berührt damit gleich drei Punkte aus der Geschichte des Odysseus: Kreta, Phönizien und (wenn auch nicht sicher) Ägypten.

Der Autor glaubt wahrscheinlich etwas ganz originelles und mitreissendes zu erzählen, indem er so viele archäologische Beweise wie möglich mit allen möglichen obskuren griechischen Mythologien und ihren Variationen, Einflüssen und Geschichten kombiniert aber es ist alles ziemlich zäh insgesamt. Er präsentiert dazu riesige Menge an Informationen in manchmal erschöpfender Ausführlichkeit, gemischt mit interessanten aber etwas fragwürdigen Schlussfolgerungen. Ich bin mit dem Buch nicht warm geworden und daher nicht sicher, ob ich noch ein weiteres Buch von ihm lesen würde.

Kurze Geschichte der antiken Welt – Siegfried Lauffer erschienen im dtv Verlag (nur noch antiquarisch erhältlich)

Siegfried Lauffer war Professor für Alte Geschichte an der Universität München. Das Buch bietet eine sehr gute Einführung in die griechische und römische Geschichte von der kretisch-mykenischen Kultur bis in das frühe Mittelalter. Dieser Prof kann wirklich gut schreiben und er betont hier die stark matriarchalische, mutterrechtliche Religion, Familien und Gesellschaftsverfassung altmediterraner Völker, in deren Mittelpunkt (endlich mal) die Frau, nicht der Mann stand, im Gegensatz zur patriarchalischen, vaterrechtlichen Ordnung der indogermanischen Völker.

„In dem sich Europa seiner Grundlagen bewußt wird, wird es sich auch seiner Einheit bewußt“

„Der starke Gegensatz von Stadt und Land war Schuld daran, daß die hellenistische Kultur, die von den Städten ausging, das Hinterland nicht voll erfaßte. Die Landbevölkerung führte weiterhin ihr eigenes Leben, bewahrte ihr altes Volkstum, ihre Sprache und Religion. Sie konnte daher auch zur Regierung des Landes kein rechtes Verhältnis gewinnen. Diese kulturelle und politische Kluft zwischen Stadt und Land, Staat und Untertanen mußte sich in der weiteren Entwicklung bemerkbar machen.“

Die Lagune oder wie Aristoteles die Naturwissenschaften erfand – Armand Marie Leroi übersetzt von Susanne Schmidt-Wussow und Manfred Roth erschienen im Theiss Verlag

Für sein Buch – einer gut geschriebene Mischung aus Reisebericht, Biografie, Biologiegeschichte und erkenntnisphilosophischer Erörterung, der man gebannt in hochfliegende Überlegungen zur Philosophie des Geistes folgt – begibt sich Armand Marie Leroi auf die Spuren des großen Griechen. Es ist die Biologie, die für Leroi bei Aristoteles alles grundiert: Das Erstaunen vor der unglaublichen Vielfalt der Lebensformen, die Bereitschaft, sich noch in die winzigste Schnecke, den schleimigsten Wurm zu vertiefen, um zu erfassen, welches Maß an Komplexität in ihrer Gestaltung steckt. Vor allem aber trieb Aristoteles die Suche nach dem Warum um: Welche Ursachen stecken hinter dem Rüssel des Elefanten, der Schwimmblase der Fische, dem Umstand, dass Kinder ihren Eltern ähnlich sehen? Während Platon mit dem Kopf in abstrakten Ideen steckte, grub Aristoteles, um die Welt zu begreifen, im Lagunenschlamm, zog Getier hervor und sezierte Gedärme.

Das große Papierboot, Argonauta argo, ähnelt einem Oktopus. Das Tier selbst ist wenige beeindruckend, aber sein Gehäuse ist wunderschön: so dünn und weiß wie eine Eierschale und von perfekter planispiraler Geometrie. Und obwohl das Große Papierboot palagisch weit draußen im Meer lebt, wird es häufig angespült. Nach STürmen findet man sie zu Hunderten sterbend am Strand“

Der kretische Gast – Klaus Modick erschinen im Kiepenheuer & Witsch Verlag

Kreta 1943: Der deutsche Archäologe Johann Martens soll im Auftrag der Wehrmacht die Kunstschätze der besetzten Insel katalogisieren. Der Einheimische Andreas wird zu seinem Fahrer und Führer, doch verbindet beide bald mehr. Die Lebensart der Kreter und noch mehr Andreas’ schöne Tochter Eleni schlagen Martens immer mehr in ihren Bann. Als die Deutschen eine Razzia planen, muss sich Johann entscheiden, wo er steht.

Das Buch gibt einen wirklich guten Einblick in die Geschichte der Insel Kreta zur Zeit der Besetzung. Es ist gut geschrieben und war das perfekte Buch um vor Ort gelesen zu werden. Erstaunlich wie freundlich einem die Menschen in Kreta begegnen, obwohl die Deutschen sich dort vor etwas mehr als 70 Jahren viel Schreckliches verursacht und viel Schuld auf ihre Schultern geladen haben.

Karsch habe daraufhin die Dorfbewohner zusammentreiben lassen und Auskunft über die Herkunft der Waffen verlangt. Geantwortet hatte niemand. Also habe Karsch drei Männer exekutieren lasen, eine kurze Frist gesetzt und mit weiteren Erschießungen gedroht. Als aber die nächsten drei an an die Wand gestellt worden seien und das Kommando bereits die Gewehre angelegt habe, sei von den umliegenden Hausdächern plötzlich heftiges Feuer auf die Soldaten eröffnet worden.

Women in the Ancient World – Jenifer Neils erschienen im Verlag British Museum Press

Von der treuen Ehefrau bis zur mächtigen Königin, von der unberührbaren Priesterin bis zur Prostituierten mit hohem Lebensstandard – das tägliche Leben und die Rollen der Frauen in der antiken Welt Griechenlands und Roms, Ägyptens und des Nahen Ostens waren faszinierend und vielfältig und gingen oft über die traditionelle Vorstellung von der Stellung der Frau hinaus. Anhand von Themen wie häusliches Leben, Religion, Arbeit, Mütter und Trauernde, Stereotypen, Kostüme und Körper erforscht dieses lebendige Buch die Traditionen und Trends verschiedener Kulturen und vergleicht und kontrastiert die Haltungen der einzelnen Gesellschaften anhand faszinierender Gegenüberstellungen von Bildern.

Die Autorin wirft einen frischen und zum Nachdenken anregenden Blick auf neue Betrachtungsweisen dieser Bilder und zeigt die Zeichen auf, die verraten, wie eine Frau zu sehen ist, ob als Beispiel für perfekte Weiblichkeit oder als Objekt der Verachtung. Dieses Buch ist wunderschön gestaltet und enthält eine Vielzahl von Illustrationen, von öffentlicher Kunst bis hin zu häuslichen Artefakten, von denen viele speziell fotografiert wurden. Es enthüllt fesselnde Details über das alltägliche Leben der Frauen in der antiken Welt, die alle Leser erfreuen, informieren und unterhalten werden, oft mit überraschenden Anklängen an unsere heutige Zeit.

In general, the more elaborate the costume the higher the rank of the person depicted… Those without clothes are often slaves or children, but older girls usually dressed like adults. Women with special religious rank often wore distinctive garments, such as the Vestal Virgins in Rome or wome in the Panathenaic processions in Athens… The prize for the most elaborate form of female dress in antiquity must surely go to the Minoans of Bronze Age Crete. Their tight bodices contrasted with their wide flounced skirts, and if the works of art are accurate renderings of women’s outfits, they regularly exposed their ample breasts.

Das Buch ist ein Begleitband zu einer empfehlenswerten aber mittlerweile beendeten Ausstellung die ich vor einer Weile im Britischen Museum gesehen habe.

Göttlich aber war Kreta – Hans Pars erschienen im dtv Verlag (nur noch antiquarisch erhältlich)

Seit der Archäologe Sir Arthur Evans an der Stätte des alten Knossos auf Kreta die Ruinen eines Königspalastes freigelegt hat, sind wir genauer über die Vergangenheit dieser Insel unterrichtet. Hier blühte schon ein hohes kulturelles Leben, ein Jahrtausend bevor der griechische Dichter Homer in seinen berühmten Epen die Eroberung Troias besang. Von Kreta holten die Griechen Künstler und Künste auf ihr Festland.


Mit Hans Pars blicken wir nun in die viertausendjährige Vergangenheit dieser Insel; der Autor erweckt die toten Zeugnisse aus längst vergangenen Tagen, die bei den Ausgrabungen entdeckt wurden, zu neuem, sprechendem Leben. Aus den Bruchstücken von Wandbildern prunkvoller Paläste, aus bemalten Gefäßen und Reliefs auf Goldbechern und steinernen Vasen erschafft er ein lebendiges Bild der einstmals großen Zeit Kretas. Er hat ein umfassendes, auch in den Einzelheiten immer lebendig gehaltenesWerk über Kunst, Kultur und Geschichte Kretas geschrieben.

„Die Bevorzugung der Frau ist das sozial auffälligste in der kretischen Bilderchronik. Das hat seinen Grund in der noch dem ältesten griechischen Historiker bekannten uralten mutterrechtlichen Struktur der kretischen Gesellschaft, die ihren Ausdruck in einem Überwiegen der weiblichen Gottheiten findet. Der erste Platz ist den Frauen eingeräumt, und sie zeigen sich vor aller Öffentlichkeit in ihrem hohen Rang.“

Wenn Haie leuchten – Julia Schnetzer erschienen bei hanserblau

Aktuellste Forschung und ein Gespür für das Kuriose: Die Meeresbiologin Julia Schnetzer über Meeresmücken, giftige Kugelfische, Delfinnasen und andere faszinierende Meeresbewohner

Das Meer ist unser erstaunlichstes und rätselhaftestes Ökosystem. Es waren mehr Menschen auf dem Mond als am Grund des Ozeans. Zu Unrecht, findet Meeresbiologin und Science-Slammerin Julia Schnetzer. Denn in der Unsterblichkeit von Quallen, der Sprache der Delfine und dem Lebensrhythmus von Unterwassermücken verbergen sich nicht nur neueste Erkenntnisse über unsere Umwelt, sondern auch über uns Menschen.

Der Kauf dieses Buchs unterstützt die Organisation MovingSushi, die Korallenriffe vor der Westküste des afrikanischen Kontinents erforscht und versucht, mithilfe der Fluoreszenz der Tiere Haibeifang in der Fischerei zu minimieren.

Wie ist das Ganze aber nun bei Fischen? Werden die auch von solchen Illusionen getäuscht? Diese Frage wirkt auf den ersten Blick etwas abwegig, vielleicht war sie deswegen nie wirklich in der Wissenschaft relevant. Zumindest bis jetzt. Zugegebenermaßen ist das auch nicht ganz einfach zu testen. Man kann die Fische ja schlecht fragen. Um dieses Kommunikationsproblem zu lösen, hat man die Fische mit einem klassischen Belohnungssystem trainiert: Immer, wenn sie bei einer Auswahl von zwei unterschiedlich großen Kreisen den größeren Kreis mit der Schnauze anstupsten, wurden sie mit Futter belohnt. Sobald sie gut trainiert waren, wurden ihnen die Delboeuf- und die Ebbinghaus-Illusionen gezeigt und geguckt, welche der beiden Kreise sie auswählen….

Oktopia – Matthias Wittmann & Michèle Ganser erschienen bei der Büchergilde Gutenberg

Was haben Ozean und Weltall gemeinsam? Wie sind Kraken und Menschen entstanden? Was genau sind Kopffüßer – und warum heißen die so komisch? Kraken sind die ältesten intelligenten Lebewesen unseres Planeten, wahre ≫Aliens≪, deren Fähigkeiten uns staunen lassen.

Michael Stavarič und Michèle Ganser haben ein Sachbuch voll überraschender Wendungen kreiert, das wesentlich mehr bietet als schlichte Wissensvermittlung. Gemeinsam mit ihren Leser*innen begeben sie sich ins Reich der Kraken und laden ein zum gemeinsamen Abenteuer.

Ein Buch, das so ungewöhnlich wie der Krake selbst ist: zum Mitdenken und Mitmachen, voll witziger Details und plastischer Beschreibungen. Dass man danach zwangsläufig alles Wichtige über Licht, Erde, Evolution, Genetik und so weiter weiß, bleibt fast schon ein Nebeneffekt.

Ich folge Michèle Ganser schon länger auf Instagram und mag ihre Zeichnungen sehr. Dieses kluge dünne Büchlein ist ein Juwel und jede einzelne Zeichnung im Buch wert als Druck an meiner Wand zu landen.

Die große Herausforderung bei der Durchführung von Experimenten mit Kraken besteht darin, diese daran zu hindern, zurückzublicken und das Verhalten der Wissenschaftler zu beobachten. Kraken können durchaus listig Verknüpfungen zwischen den Apparaturen und den Blicken der Krakenforscherinnen herstellen und deren Pläne immer wieder auch durchkreuzen. Sie spielen also gewissermaßen mit unseren Erwartungshaltungen, da sie uns – wir wir ihnen auch – Handlungsmotive unterstellen, auch wenn Begriffe wie „Motiv“, „Intention“ und „Interesse“ in der Krakenwelt nicht existieren.

Leider ist er hiermit vorbei der Lesemonat Juni und ihr müsst mit mir nun Kreta und das Meer verlassen. Ich hoffe die Reise hat euch gefallen und ich konnte euch nicht nur auf die Insel sondern auch auf das eine oder andere Buch hier Lust machen, auch wenn dieses Mal einige Bücher dabei waren, die leider nur noch antiquarisch erhätlich sind.

Welche kennt ihr, auf welche habt ihr Lust bekommen und was ist euer Lieblingsland bzw eure Lieblingsinsel und noch viel wichtiger – habt ihr mein dazwischen gemogeltes Bild aus Schottland entdecken können?

Lektüre April

Der April war ein richtig guter Lesemonat. Das gruselige Wetter draußen hat für viel Lesezeit gesorgt, der freie Freitag ebenso. Ich habe gemerkt, wie gerne ich ein bißchen thematisch lese und habe mir durch Wald & Naturbücher versucht den Frühling eben literarisch ein bißchen ins Haus zu holen. War das schon eine Hirngymnastik oder nur ein thematischer Lesemonat? Wer weiß das schon und wen kümmert es. Lasst uns starten – ich stelle euch wieder kurz und knapp in alphabetischer Reihenfolge vor was ich diesen Monat gehört und gelesen habe:

Heimkehr – Wolfgang Büscher erschienen im Rowohlt Verlag

Wolfgang Büscher macht den Traum seiner Kindheit wahr. Er zieht in den Wald und erlebt dort Frühjahr, Sommer, Herbst. Ein Fürstenhaus an der hessisch-westfälischen Grenze, wo Büscher aufwuchs, überlässt ihm eine Jagdhütte – mitten im Wald, mitten in Deutschland. Hier schlägt er sein Feldbett auf. Kein Strom, kein fließend Wasser. Er richtet sich auf eine stille Zeit ein, auf Holzhacken und Feuermachen, eine Jagd ab und zu, eine Wanderung, ein Schützenfest, auf radikale Einsamkeit und eine Schwärze der Nächte, die in der Stadt unbekannt ist. Das Jahr wird ungeahnt dramatisch, Sturm, Hitze und Käferplage bringen den halben Wald um.

Das klang sehr vielversprechend, hat für mich aber so gar nicht gehalten was ich mir versprochen hatte. Da war eine Menge los im Wald und von Ruhe und Einsamkeit konnte keine Rede sein. Ich wollte wohl doch nichts von Schützenfesten und Jagdausflügen mit Fürsten lesen. Keine Empfehlung – ich fand es langweilig.

„Und wenn es so zugeht, wenn auf dem Wühltisch der Identitäten so einiges herumliegt und lockt, wenn gar nicht genau gesagt werden kann, wer einer ist – ist das dann alles, was über ihn gesagt werden kann?“

Die Fledermaus – Gunnar Decker erschienen im Berenberg Verlag

Eine Fledermaus im Schlaf­zimmer – nur stoische ­Naturen bleiben da unbeeindruckt. Nachdem sich bei Gunnar Decker der erste Schreck gelegt hatte, wurde er neugierig und wollte mehr über die unheimliche Herrin des Nachthimmels in Erfahrung bringen. Über ihre erstaunliche Fähigkeit, sich in stockdunklen Räumen zu orientieren, zu fliegen, obwohl sie keine Federn wie der Vogel, sondern Arme und Beine wie der Mensch hat. Über ihre zuneh­men­de Gefährdung und die Tatsache, dass die Fledermaus ein Wildtier ist, zu dem man – in beider­seitigem ­Interesse – den nötigen Abstand bewahren sollte. (Man holt sich schließlich auch keinen Wolf in die Wohnung.) Und über die zahllosen Legenden und Mythen. Denn natürlich gilt: Am Vampir kommt kein Fledermaus-Forscher vorbei.

Spannende Mischung aus Tierporträt, informativem Sachbuch und umfassender Kulturgeschichte – hat mir gut gefallen und ich habe noch so einiges über Fledermäuse erfahren, was ich nicht wußte. Finde sie weiterhin unendlich faszinierend, werde aber auch weiterhin respektvoll Abstand halten.

„Der Ruhepuls einer Fledermaus sinkt im Winterschlaf auf 3 bis 5 Herzschläge pro Minute, davon träumt jeder indische Yogi-Meister. Ihr normaler Puls im Wachzustand liegt bei 400 Schlägen pro Minute, im Jagdflug steigert er sich dann bis auf tausend Herzschläge pro Minute!“

The Geometer Lobachevsky – Aiden Duncan erschienen im Tuskar Rock Verlag

Nikolai Lobatschewski erkundet 1950 ein Moor in den irischen Midlands, wo er Landvermessungen vornimmt. Eines Nachmittags, kurz nach seiner Ankunft, erhält er ein Telegramm, das ihn zu einem „besonderen Termin“ nach Leningrad zurückruft.

Lobatschewski mag kein großes Genie sein, aber er erkennt ein Todesurteil, wenn er es sieht, und geht auf eine kleine Insel im Mündungsgebiet des Shannon, wo die Inselfamilien Seetang ernten und sich mit dem Spalten von Steinen abmühen. Hier muss Lobachevsky über den Tod nachdenken, darüber, wie er ihn vermeiden kann und ob er seine Heimat jemals wiedersehen wird.

Unsere April Bookclub Lektüre habe ich auf dem Kindle gelesen und es ist mir unfassbar schwer gefallen es zu Ende zu bringen. Ständig sind meine Gedanken abgeschweift, es war einfach wirklich wahnsinnig langweilig und ich möchte in diesem Leben nichts mehr über Landvermessung und Seetang lesen. Das letzte Kapitel wirkte als hätte er dringend noch den Bus bekommen müssen und hat dann im Laufen die letzten 10 Seiten geschrieben. War auch im Bookclub nicht wirklich der Renner, zwei mochten es sehr, die meisten empfahlen es als gut wirkendes Schlafmittel.

Zur See – Dörte Hansen erschienen im Penguin Verlag

Die Fähre braucht vom Festland eine Stunde auf die kleine Nordseeinsel, manchmal länger, je nach Wellengang. Hier lebt in einem der zwei Dörfer seit fast 300 Jahren die Familie Sander. Drei Kinder hat Hanne großgezogen, ihr Mann hat die Familie und die Seefahrt aufgegeben. Nun hat ihr Ältester sein Kapitänspatent verloren, ist gequält von Ahnungen und Flutstatistiken und wartet auf den schwersten aller Stürme. Tochter Eske, die im Seniorenheim Seeleute und Witwen pflegt, fürchtet die Touristenströme mehr als das Wasser, weil mit ihnen die Inselkultur längst zur Folklore verkommt. Nur Henrik, der Jüngste, ist mit sich im Reinen. Er ist der erste Mann in der Familie, den es nie auf ein Schiff gezogen hat, nur immer an den Strand, wo er Treibgut sammelt. Im Laufe eines Jahres verändert sich das Leben der Familie Sander von Grund auf, erst kaum spürbar, dann mit voller Wucht.

Das erste Drittel des Romans habe ich wirklich gerne gelesen, dann flachte mein Interesse ein kleines wenig ab. Hätte mir vielleicht etwas mehr stringente Handlung gewünscht, empfand es als etwas unzusammenhängende kurze Episoden. Altes Land gefiel mir etwas besser, aber Frau Hansen kann schreiben und selbst ein Buch das nicht vollends vom Hocker haut, ist immer noch ein sehr gutes.

“Alle Inseln ziehen Menschen an, die Wunden haben, Ausschläge auf Haut und Seele. Die nicht mehr richtig atmen können oder nicht mehr glauben, die verlassen wurden oder jemanden verlassen haben. Und die See soll es dann richten, und der Wind soll pusten, bis es nicht mehr wehtut.”

Quallen – Samuel Hamen erschienen im Matthes & Seitz Verlag

Von den direkten Gezeiten über die küstennahe Kontinentalschelfzone, von der Oberfläche des offenen Meeres bis hinab in dessen tiefste, kaum erforschte Bereiche bringen sie mit ihren ungeheuer reizbaren, »wie Hirnmasse in Häute verwandelten Leibern« nicht nur das Wasser zum Leuchten: Quallen. Seit Menschengedenken entziehen sich die Medusen jeglicher Festschreibung. Sie winden und wandeln sich wie organisiertes Wasser in den sie umströmenden Wellen und lassen die Imagination Funken sprühen. Doch gleich, ob als Störfaktor oder Symbol des Digitalen und Immersiven, als gestalterische Idee des Art Déco, als rückgratloses Schreckbild, Alien des Meeres, queeres Wappentier oder alarmistisches Emblem eines radikalen Wandels, bei dem selbst Wissenschaftler:innen mitunter an ihre Grenzen stoßen – Quallen, so zeigt Samuel Hamen in diesem schillernden Portrait, zucken nicht mit Wimpern, sondern mit Tentakeln, die je nach Art schon bei flüchtigem Kontakt starke Verbrennungen verursachen können. Wer es dennoch wagt, ihren Schwebebewegungen zu folgen, dem offenbart sich ein Einblick in die früheste Erdgeschichte wie auch in alle erdenkbaren Zukünfte.

Ich liebe Quallen und habe diesen Band wahnsinnig gerne gelesen. Wirklich spannend, gut geschrieben und sehr schön illustriert. Die Naturkunden Reihe ist eine kleine Schatztruhe an wunderschön gestalteten gut recherchierten Büchern – irgendwann möchte ich sie alle haben 🙂

„Die Blase von der die Rede ist, ist höchstwahrscheinlich der obere Teil der Physalia physalis, die gemeinhin Portugiesische Galeere genannt wird. Wem dieser Ausdruck noch nicht bellizistisch genug ist: Im Englischen trägt sie den Kosenamen Floating Terror. Von ihrem länglichen, halb durchsichtigen Körper, der an eine Boje erinnert und mit einer Gasmischung gefüllt ist, hängen angelschnurähnliche Tentakel herab, die üblicherweise eine Länge von acht bis zehn Metern erreichen und hochwirksame Gase absondern können.“

The Fifth Season – N. K. Jemisin unter dem Titel „Zerrissene Erde“ im Heyne Verlag erschienen übersetzt von Susanne Gerold

Inmitten einer sterbenden Welt hat die verzweifelte Essun nur ein Ziel: ihre Tochter aus den Händen eines Mörders zu befreien, den sie nur zu gut kennt.
Seit sich im Herzen des Landes Sansia ein gewaltiger Riss voll brodelnder Lava aufgetan hat, dessen Asche den Himmel verdüstert, scheinen immer mehr Menschen dem Wahnsinn zu verfallen. So lässt der Herrscher seine eigenen Bürger ermorden. Doch nicht Soldaten haben Essuns kleinen Sohn erschlagen und ihre Tochter entführt – sondern ihr eigener Ehemann! Essun folgt den beiden durch ein Land, das zur Todesfalle geworden ist. Und der Kampf ums nackte Überleben steht erst noch bevor.

Ich hatte es langsam bereits geahnt und das Buch hat er jetzt wohl final für mich bestätigt. Ich lese nicht so wahnsinnig gerne Space Operas. Das Buch ist wirklich gut geschrieben, es ist wahnsinnig intelligent und ich kann es Fans von Ursula LeGuin, Frank Herbert oder Octavia Butler nur ans Herz legen, aber ich freue mich auf eine Verfilmung, denn ich liebe SciFi und Space Opera – im Film, aber lese es einfach nicht so gerne. Daher werde ich die Trilogie auch nicht beenden und drücke mir und uns die Daumen, dass die Verfilmung nicht mehr allzu lange auf sich warten läßt.

“For all those that have to fight for the respect that everyone else is given without question.”

Wald – Doris Knecht erschienen im Rowohlt Verlag


Eine Frau allein in einem abgelegenen Haus in den Voralpen: Marian hat alles verloren. Die Krise und eigene Fehler trieben sie in den Bankrott, zum völligen Rückzug. Aber auch ihr Versuch, im geerbten Haus wieder zu sich zu finden, wird zum Überlebenskampf. Mühsam lernt Marian, sich zu versorgen, sie fischt, wildert, stiehlt Hühner, und dann ist da Franz …
Eine starke, gefallene Frau mit dem Willen zum Neuanfang, und das Landleben als Spiegel einer brüchigen bürgerlichen Welt – Doris Knecht erzählt mit unverwechselbarem Ton und auf mitreißende Weise davon, wie es ist, wenn man sein schönes Leben auf einen Schlag verliert.

Gelegentlich fremdel ich ja etwas mit deutscher Gegenwartsliteratur aber Frau Knecht ist genau wie Frau Hansen ganz mein Ding. Ein sehr intelligenter Roman der der Leser:in tief in die Seele schaut und den Finger in die Wunde unserer brüchigen bürgerlichen Welt hält mit ihren Unzulänglichkeiten und ihrer Doppelmoral. Große Empfehlung.

„Die Zeiten waren nicht normal, nicht ihre, und da es ihr nicht gelang, Sorgen und Furcht mit der Erinnerung an etwas Schönes zu kalmieren, vertrieb sie sie eben mit der Erinnerung an ein großes Scheitern.“

Der Klang der Wälder – Natsu Miyashita erschienen im Insel Verlag übersetzt von Sabine Mangold

Als der junge Tomura einem Klavierstimmer bei der Arbeit lauscht, fühlt er sich durch den Klang in die hohen, rauschenden Wälder seiner Kindheit zurückversetzt, und fortan prägt die Leidenschaft für die Musik sein Leben. Er lernt das Handwerk des Klavierstimmens, doch bei aller Hingabe ist da doch stets die Angst vor dem Scheitern auf der Suche nach dem perfekten Klang. Als er das Klavier der beiden Schwestern Kazune und Yuni stimmen soll, muss er erkennen, dass es dabei um mehr geht als um technische Versiertheit – und es »den einen« perfekten Klang nicht gibt. Und als er Kazune, die angehende Konzertpianistin, dann spielen hört, spürt er die Bestimmung seines Lebens: ihr Spiel zum Strahlen zu bringen.

Ein wunderschöner kleiner poetischer Roman, bei dem man sofort erkennt, dass es ein japanischer Roman ist, selbst wenn es keine Namen und Ortsbezeichnungen gebe. Leise und anmutig kommt es daher und ich habe ich sehr gerne gelesen.

„Mein Los war das Klavierstimmen, das mir den Duft der Wälder offenbart hatte. Ich konnte nicht mehr in die Berge zurück.“

The Shepherd’s Life – James Rebanks auf deutsch erschienen unter dem Titel „Mein Leben als Schäfer“ im Penguin Verlag übersetzt von Maria Andreas

James Rebanks‘ Familie lebt seit Generationen im englischen Hochland, dem Lake District. Die Lebensweise ist seit Jahrhunderten von den Jahreszeiten und Arbeitsabläufen bestimmt. Im Sommer werden die Schafe auf die kahlen Berge getrieben und das Heu geerntet; im Herbst folgen die Messen, wo die Herden aufgestockt werden, im Winter die Anstrengung, dass die Schafe am Leben bleiben, und die Erleichterung, die mit dem Frühling kommt, wenn die Lämmer geboren werden und die Tiere wieder in die Berge getrieben werden.

James Rebanks erzählt von einer archaischen Landschaft, von einer tiefen Verwurzelung an einen Ort. In eindrucksvoll klarer Prosa schildert er den Jahresablauf eines Hirten, bietet uns einen einzigartigen Einblick in das ländliche Leben. Er schreibt auch von den Menschen, die ihm nahestehen, Menschen mit großer Beharrlichkeit, obwohl sich die Welt um sie herum vollständig verändert hat.

Ich folge James Rebanks und seiner Frau seit geraumer Zeit auf Instagram und habe mich lange auf das Buch gefreut. Ich wurde nicht enttäuscht. Ich habe eine ganze Menge über den Lake District und das Leben der Menschen dort gelernt. Ein großartiges Buch, das ich rundum empfehlen kann.

„Frankly, every time I see a dog off a lead I am left fretting and fearing the worst until I see it back on the lead and packed into its owner’s car. So I suffer, even on the nine out of ten occasions when it all ends ok. Paranoid, maybe, but it is my job to fret about my sheep’s safety, and responsible visitors know that this fear exists and act accordingly. One person’s freedom is another man’s misery.“

Verwobenes Leben – Merlin Sheldrake erschienen im Ullstein Verlag übersetzt von Sebastian Vogel

Sie sind in der Erde, in der Luft, in unserem Körper. Pilze sind überall, aber man übersieht sie leicht. Sie halten uns am Leben, bauen Schadstoffe in der Atmosphäre ab und verändern das Verhalten von Tieren. Sie beeinflussen, wie wir Menschen fühlen und denken und sind für alle Lebensformen unverzichtbar. Sie existieren an der Grenze zwischen Leben und Tod. Der größte bekannte Pilz umfasst zehn Quadratkilometer, wiegt mehrere Hundert Tonnen und ist zwischen 2.000 und 8.000 Jahre alt. Pilze verfügen über eine eigene Intelligenz ohne zentrales Gehirn und können ihre Umwelt manipulieren. Merlin Sheldrake dringt ein in das verborgene Netzwerk der Pilze.

Ein wirklich erhellendes Buch das einen in die geheimnisvolle Welt er Pilze mitnimmt und mich stellenweise mit vor Staunen weit offenem Mund zurückgelassen hat. Man hat einfach keine Vorstellung, was es mit diesem Mycel auf sich hat, wozu Pilze so fähig sind und ich bin ziemlich sicher, wenn es nicht die Oktopoden sind, die die Weltherrschaft irgendwann übernehmen, dann werden es die Pilze sein. Unbedingt lesen!

„A mycelial network is a map of a fungus’s recent history and is a helpful reminder that all life-forms are in fact processes not things. The “you” of five years ago was made from different stuff than the “you” of today. Nature is an event that never stops. As William Bateson, who coined the word genetics, observed, “We commonly think of animals and plants as matter, but they are really systems through which matter is continually passing.”

„The Hobbit“ – JRR Tolkien erschienen unter dem Titel „Der kleine Hobbit“ im Klett Kotta Verlag übersetzt von Wolfgang Krege

Ohne große Ansprüche lebt Bilbo Beutlin im Auenland, bis er von dem Zauberer Gandalf und einer Horde Zwerge aus seiner Beschaulichkeit und seinem gemütlichen Alltag gerissen wird. Auf einmal findet er sich mitten in einem Abenteuer wieder, das ihn zu dem riesigen und gefährlichen Drachen Smaug führt, der einen kostbaren Schatz in seinen Besitz gebracht hat und eifersüchtig hütet. Der Hobbit ist der Anfang aller modernen Fantasy und erzählt die Vorgeschichte zum Herrn der Ringe.

Der Hobbit war diesen Monat mein Hörbuch, denn für mich bedeutet das Auenland irgendwie immerwährenden Frühling. Je ungemütlicher es draußen war, desto mehr bekam ich Lust trotz Regen mit dem Hörbuch auf den Ohren in meinem persönlichen Auenland den Isarauen herumzulaufen und mit Bilbo Beutlin große Abenteuer zu bestehen. Ich hatte es vor vielen Jahren immer Sonntags als Hörspiel im Radio gehört und war gespannt, ob es mir wohl genauso gut gefällt wie beim ersten Hören und Lesen und ich wurde nicht enttäuscht. Wo mir der „Herr der Ringe“ oft viel zu kampflastig ist und ich die vielen Szenen mit Schlachtgetümmel überblätterte ist der Hobbit eines meiner liebsten Fantasy Bücher. Wer den Regen nicht mehr sehen kann, sollte sich mit dem Hobbit ins Auenland begeben, da wo der ewige Frühling wohnt 😉

“There is nothing like looking, if you want to find something. You certainly usually find something, if you look, but it is not always quite the something you were after.”

Unter freiem Himmel – Markus Torgeby erschienen im Heyne Verlag übersetzt von Maximilian Stadler

Im Freien schlafen, umgeben von Bäumen, Dunkelheit und angenehmer Kälte. Dabei hoch zu den Sternen blicken und sehen, wie sich die Atemluft wie eine feine Wolke vor den Augen kräuselt. Vielleicht verpassen wir ja etwas, wenn wir immer nur in temperierten Räumen mit vier Wänden und einer Decke liegen. Markus Torgeby war ein erfolgreicher Langstreckenläufer, als er der Zivilisation den Rücken kehrte, in den Wald zog und fortan unter freiem Himmel schlief. Eine Erfahrung, die sein Leben und seinen Blick auf die Welt veränderte.

Mit dem Buch bin ich noch gar nicht fertig, aber ich wollte es hier schon mal hinein schmuggeln, denn es passt thematisch einfach so gut. Während ich mit meinen ganzen Waldbüchern beschäftigt war, habe ich dieses im öffentlichen Bücherschrank gefunden und da musste es natürlich mit. Ein wunderschön gestaltetes Buch und eine interessante Mischung aus Biografie und Ratgeber für alle die gerne mal unter freiem Himmel schlafen oder leben wollen. Mir reichen allerdings Wanderungen im Wald, das Bedürfnis da auch zu schlafen und gar noch auf nacktem Boden hält sich doch sehr in Grenzen. Insbesondere durch die Bilder ein wirklich schönes Buch.

„Im Jämtland, wo ich lebe, gibt es viele Nadelbäume und zwischendrin ein paar Birken. Ich gehe zuerst zu einer Birke und schäle ein paar Rindenfasern ab. Es fühlt sich ein bisschen so an, als würde man lose Haut abziehen. Wenn eine Tasche meiner Jacke voll ist, habe ich genug, um ein Feuer zu entfachen. Danach breche ich streichholzdünne Fichtenzweige ab, sie wachsen immer ganz unten und dicht am Stamm. Knackt es, wenn man sie abbricht, sind sie ausreichend trocken – es spielt keine Rolle, ob es aus Kübeln gießt, die Äste weiter oben schützen die dünnen Zweige darunter.“

Der Wald – Peter Wohlleben erschienen im Heyne Verlag

Peter Wohlleben, Förster aus Passion, zeigt den Wald, wie er ist und wie er sein könnte. Denn was wir irrtümlich für unberührte Natur halten, ist viel zu oft nur eine Ansammlung von Bäumen, die den Zwecken von Forstwirtschaft und Jagd zu dienen hat. Natürlich wachsende Bäume gedeihen in einer Lebensgemeinschaft, die alles umfasst, von den Geheimnissen des Waldbodens bis zu den höchsten Wipfeln. Peter Wohlleben lässt uns den Zauber der Natur wiederentdecken und vermittelt ein tiefes Verständnis vom Leben und Zusammenleben der Bäume.

Mein zweites Buch des Autors und wieder ein Fund aus dem Bücherschrank. Peter Wohlleben ist was den Wald angeht für mich das was Jamie Oliver seinerzeit fürs Kochen für mich war. Ich lerne viel, gehe mit offenen Augen durch den Wald bzw meine Isarauen und beschäftige mich deutlich intensiver mit den Bäumen um mich herum. Dieses Buch war deutlich biografischer als „Das geheime Leben der Bücher“ und ich fand es sehr spannend, was er über seine Ausbildung zum Förster schreibt, wie sich er Berufsstand in den letzten Jahren verändert hat und wie wichtig die Jagd für einen gesunden Wald ist.

„Die Chance, es so weit zu schaffen, beträgt für jeden Buchenembryo, der in einer Buchecker im Herbst zu Boden fällt, durchschnittlich 1:1,7 Millionen. Hungrige Tiere, die strenge Erziehung oder Unglücksfälle dezimieren die Baumjugend so stark, dass in 400 Jahren nur ein Baum ein komplettes Leben durchläuft. Aber das reicht zur Arterhaltung völlig aus.

Habt ihr es wirklich bis hier unten durchgehalten – dann Respekt. Das war ein wirklich umfangreicher Monat und ich bin gespannt, was ihr sagt. Konnte ich euch auf das eine oder andere Buch Lust machen? Habt ihr bei dem einen oder anderen eine änliche oder ganz andere Meinung? Freue mich immer von euch zu hören und jetzt Jacke an, Schuhe an und ab in den Wald…

Lektüre März 2023 oder auch Hirngymnastik Physik & Mathematik

Unsere März Bookclub Lektüre „When we cease to understand the world“ hat mich ordentlich in ein Mathematik & Physik-Rabbithole geschickt. Mein Hirn hat ordentlich geraucht, aber es hat auch wirklich Spaß gemacht. Ein insgesamt guter Lesemonat.

Dann mal ohne lange Vorrede gleich Butter bei die Fische und wie üblich bin ich sehr auf eure Meinung gespannt. Was habt ihr schon gelesen, was plant ihr davon zu lesen? Wie waren eure Eindrücke?

Heute mal wieder der Einfachheit halber in alphabetischer Reihenfolge:

Atlas of AI – Kate Crawford erschienen im Yale Verlag

Kate Crawford geht der Frage nach was passiert, wenn künstliche Intelligenz das politische Leben bestimmt und die Ressourcen unseres Planeten verbraucht? Wie formt KI unser Verständnis von uns selbst und unseren Gesellschaften? Sie beobachtet wie KI einen Wandel hin zu undemokratischen Regierungsführungen und zunehmender rassistischer, geschlechtsspezifischer und wirtschaftlicher Ungleichheit vorantreibt. KI verschwendet Ressourcen in großem Maßstab, nicht nur Energie und Mineralien, die für den Aufbau und die Aufrechterhaltung der Infrastruktur benötigt werden, sondern sie verschwendet auch die Kräfte ausgebeuteter Arbeiter, die hinter den „automatisierten“ Dienstleistungen stehen, wie bei Amazon zB, bis hin zu den Daten, die KI von uns sammelt.

Auch wenn technische Systeme den Anschein von Objektivität erwecken, sind sie immer auch Systeme die überwiegend den Mächtigen nutzen und bestehende ungerechte Systeme verfestigen. Ein wichtiges Buch das zeigt was auf dem Spiel steht, wenn Technologieunternehmen künstliche Intelligenz nutzen um sich weiter zu bereichern und dabei den Planeten zerstören.

WeWork, the coworking behemoth that burned itself out over the course of 2019, quietly fitted its work spaces with surveillance devices in an effort to create new forms of data monetization.

Schrödingers Katze auf dem Mandelbrotbaum – Ernst Peter Fischer erschienen im Pantheon Verlag.

Einstein, Schrödinger und Planck hatten ihr Herz an die klassische Physik des 19. Jahrhunderts verloren und konnten mit der Quantenphysik nie glücklich werden. Sie versuchten vergeblich ihr Leben lang die Forschungsergebnisse aus der Quantenphysik ihrer jüngeren Kollegen wie Heisenberg, Pauli etc zu widerlegen. Es gab ein paar Ausnahmen wie Nils Bohr oder auch Max Born die das Umdenken schafften, aber zum größten Teil kann man auch an diesen berühmten Forschern sehen wie schwer es teilweise ist Denkmodelle zu revidieren mit denen man aufgewachsen ist und die einen auch zu dem gemacht haben der man ist. Alte Denkmodelle sterben meistens aus, sie werden viel seltener von den vorherigen Generationen überarbeitet.

Physik bot auf einmal nur noch Wahrscheinlichkeiten wo jahrhundertelang Sicherheiten da waren.

Wissenschaft wird von Menschen gemacht, und manche von ihnen haben so gute Ideen, dass wir ihre Namen damit verbinden: Mandelbrots Baum, Maxwells Dämon, Schrödingers Katze, Poincarés Vermutung oder Einsteins Spuk. Ernst Peter Fischer versteht es wie kein Zweiter, die Faszination von Wissenschaft ebenso anschaulich wie unterhaltsam zu vermitteln. Er erläutert auf verständliche Weise, was sich hinter den genannten Entdeckungen verbirgt, und liefert so durch die Hintertür eine Einführung in die faszinierende Welt der modernen Naturwissenschaften.

Der Vater der Katze hatte in und zu seinem großen Verdruss nichts anderes erreicht, als nachzuweisen, dass Heisenberg und seine Anhänger recht hatten. Besonders ärgerlich war zudem, dass Schrödingers Gleichungen dies für Fachleute zugleich viel einfacher und überzeugender nachzuvollziehen gestatteten.

Und dann verschwand die Zeit (The High House) – Jessie Greengrass erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag übersetzt von Andrea O’Brien

Auf einer Anhöhe abseits einer kleinen Stadt am Meer liegt das High House. Dort leben Grandy und seine Enkeltochter Sally sowie Caro und ihr Halbbruder Pauly. Das Haus verfügt über ein Gezeitenbecken und eine Mühle, einen Gemüsegarten und eine Scheune voller Vorräte – die Vier sind vorerst sicher vor dem steigenden Wasser, das die Stadt zu zerstören droht. Aber wie lange noch?

Caro und ihr jüngerer Halbbruder Pauly kommen im High House an, nachdem ihr Vater und ihre Stiefmutter, zwei Umweltforscher*innen, sie aufgefordert haben, London zu verlassen, um im höher gelegenen Haus Zuflucht zu suchen. In ihrem neuen Zuhause, einem umgebauten Sommerhaus, das von Grandy und seiner Enkelin Sally betreut wird, lernen die Vier, miteinander zu leben. Doch das Leben ist anstrengend, besonders im Winter, die Vorräte sind begrenzt. Wie lange bietet das Haus noch die erhoffte Sicherheit?

Ein atemberaubender, emotional präziser Roman über Elternschaft, Aufopferung, Liebe und das Überleben unter der Bedrohung der Auslöschung, der unter die Haut geht und zeigt, was auf dem Spiel steht.

Das ist mein zweiter Roman von Jessie Greengrass – hier habe ich über ihren Roman „Was wir von einander wissen“ geschrieben. Ich mag ihren Stil sehr und werde auf jeden Fall auch die kommenden Bücher von ihr lesen.

.. betraf das alles nur unsere kleine Welt, nicht den gesamten Planeten. Weder die Überflutungen noch der Sturm. Ein paar Quadratkilometer, einige Dutzend Menschen. Solche Dinge waren immer wieder passiert, überall, immer schon. Aber ist nicht jedes Ende absolut für diejenigen, die es erleben?

Er erzählte Dad, es sei ganz schrecklich für ihn, mitansehen zu müssen, wie so vieles in Vergessenheit geriet – die kunstvolle Fertigung der hölzernen Schiffe, sagte er, und alles, was dazugehöre, die bemannten Leuchttürme, Sextanten, Navigation nach den Gestirnen. Alles verschwunden. Jahre hatte es ihn gekostet, das alles zu erlernen, nur um zu erleben, wie seine Fertigkeiten obsolet wurden.

Physik und Philosophie – Werner Heisenberg erschienen im Ullstein Verlag

Werner Heisenberg (1901 – 1976) war einer der bedeutendsten theoretischen Physiker des 20. Jahrhunderts. Seine Heisenberg’sche Unschärferelation spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Mechanik und übte großen Einfluß auf die moderne Philosoophie aus. 1932 erhielt er den Nobelpreis für Physik.

Diese Sammlung von Vorlesungen erschien 1958 zum ersten Mal. Sie stellt in allgemein verständlicher Weise die Ursprünge und die physikalischen Probleme dar, die zur Entwicklung der Quantenmechanik geführt haben. Werner Heisenberg lässt Epochen der Physik Revue passieren, die das Weltbild verändert und den Menschen zum Umdenken gezwungen haben. Er erörtert die Gedanken der modernen Physik in einer verständlichen Sprache, studiert ihre philosophischen Folgen und vergleicht sie mit anderen Traditionen.

Die Beobachtung selbst ändert die Wahrscheinlichkeitsfunktion unstetig. Sie wählt von allen möglichen Vorgängen den aus, der tatsächlich stattgefunden hat. Da sich durch die Beobachtung unsere Kenntnis des Systems unstetig geändert hat, hat sich auch ihre mathematische Darstellung unstetig geändert, und wir sprechen daher von einem Quantensprung.

Der Übergang vom Möglichen zum Faktischen findet also während des Beobachtungsaktes statt.

Klara und die Sonne (Klara and the Sun) – Kazuo Ishiguro auf deutsch erschienen im Blessing Verlag übersetzt von Barbara Schaden

Klara ist eine künstliche Intelligenz, entwickelt, um Jugendlichen eine Gefährtin zu sein auf dem Weg ins Erwachsenwerden. Vom Schaufenster eines Spielzeuggeschäfts aus beobachtet sie genau, was draußen vor sich geht, studiert das Verhalten der Kundinnen und Kunden und hofft, bald von einem jungen Menschen als neue Freundin ausgewählt zu werden. Als sich ihr Wunsch endlich erfüllt und ein Mädchen sie mit nach Hause nimmt, muss sie jedoch bald feststellen, dass sie auf die Versprechen von Menschen nicht allzu viel geben sollte.

Klara und die Sonne ist ein beeindruckendes, berührendes Buch und Klara eine unvergessliche Erzählerin, deren Blick auf unsere Welt die fundamentale Frage aufwirft, was es heißt zu lieben.

Ich mochte „The Buried Giant“ noch einen Ticken lieber, aber Ishiguro bleibt auch weiterhin einer meiner liebsten Autoren.

Until recently, I didn’t think that humans could choose loneliness. That there were sometimes forces more powerful than the wish to avoid loneliness.”

Hope,’ he said. ‘Damn thing never leaves you alone.

There was something very special, but it wasn’t inside Josie. It was inside those who loved her.

Devotion – Hannah Kent erschienen im Pan Macmillan Verlag

Preußen, 1836. Hanne ist fast fünfzehn, und die häusliche Welt der Frau rückt schnell näher an sie heran. Als Naturkind sehnt sie sich stattdessen nach dem Rauschen des Flusses und dem Wind, der sie umspielt. Hanne findet wenig Trost bei den Mädchen des Ortes, und Freundschaft fällt ihr nicht leicht, bis sie Thea kennenlernt und in ihr einen verwandten Geist und schließlich Akzeptanz findet.

Hannes Familie ist altlutherisch, und in ihrem kleinen Dorf werden die Gottesdienste im Geheimen abgehalten – eine Gemeinschaft, die bedroht ist. Doch als ihnen die sichere Überfahrt nach Australien gewährt wird, jubelt die Gemeinschaft: Endlich ein Ort, an dem sie ohne Angst beten können, ein dauerhaftes Zuhause. Freiheit.

Ein Freiheitsversprechen, das für Hanne und Thea verheerende Folgen haben wird, doch auf der langen und brutalen Reise erweist sich ihr Band als zu stark, als dass selbst die Natur es brechen könnte…

Thea, if love were a thing, it would be the sinew of a hand stretched in anticipation of grasping. See, my hands, they reach for you. My heart is a hand reaching.

When we cease to understand the world (Das blinde Licht) – Benjamin Labatut auf deutsch erschienen im Suhrkamp Verlag, übersetzt von Thomas Brovot

Sie sind Pioniere und Verdammte. Eroberer von Raum und Zeit. Träumer des Absoluten. Sie verändern den Lauf der Geschichte und verzweifeln an sich selbst: Werner Heisenberg, dessen Gleichungen – im Wahn auf der Insel Helgoland entstanden – zum Bau der Atombombe führen. Der Mathematiker Alexander Grothendieck, der es vorzieht, seine Formeln zu verbrennen, um die Menschheit vor ihrem zerstörerischen Potential zu schützen. Oder Fritz Haber, dessen physikalische Verfahren eine Hungerkrise vermeiden und zugleich das diabolischste Werkzeug der Nationalsozialisten hervorbringen werden …

In vier so bizarren wie betörenden Geschichten erzählt Benjamín Labatut vom schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn, von menschlicher Hybris und der zwiespältigen Kraft der Wissenschaft. Und von dem verhängnisvollen Moment, an dem wir aufhören, die Welt zu verstehen.

We can pull atoms apart, peer back at the first light and predict the end of the universe with just a handful of equations, squiggly lines and arcane symbols that normal people cannot fathom, even though they hold sway over their lives. But it’s not just regular folks; even scientists no longer comprehend the world. Take quantum mechanics, the crown jewel of our species, the most accurate, far-ranging and beautiful of all our physical theories. It lies behind the supremacy of our smartphones, behind the Internet, behind the coming promise of godlike computing power. It has completely reshaped our world. We know how to use it, it works as if by some strange miracle, and yet there is not a human soul, alive or dead, who actually gets it. The mind cannot come to grips with its paradoxes and contradictions. It’s as if the theory had fallen to earth from another planet, and we simply scamper around it like apes, toying and playing with it, but with no true understanding.

Fall of the Man in Wilmslow. The Life and Death of Alan Turing – David Lagercrantz auf deutsch unter dem Titel „Der Sündenfall von Wilsmlow“ im Piper Verlag erschienen, übersetzt von Wolfgang Butt

England, 1954, der kalte Krieg hält die Welt in seinem eisernen Griff – und im kleinen Städtchen Wilmslow wird ein Mann tot aufgefunden. Es ist der Mathematiker Alan Turing, neben seinem Bett liegt ein mit Zyankali versetzter Apfel, alles deutet auf Selbstmord hin. Hat Turing die Repressionen nicht mehr ertragen, unter denen er als Homosexueller zu leiden hatte? Oder hat sein Tod doch etwas mit seiner Arbeit für den Geheimdienst während des 2. Weltkriegs zu tun? Der junge Detective Sergeant Leonard Corell, selbst einst ein vielversprechender Mathematiker, hegt den Verdacht, dass höhere Mächte ihre Finger im Spiel haben. Gegen Widerstände beginnt er, die Teile eines Puzzles zusammenzusetzen, das vielleicht eines der am besten gehüteten Geheimnisse des Kriegs offenbart.

Those who are different, also have a tendency to think differently.

Hier gibt es ein sehr interessantes Interview mit David Lagercrantz über seine Faszination für Alan Turing.

Spiegel von Cixin Liu auf deutsch erschienen im Heyne Verlag übersetzt von Marc Hermann

China in der nahen Zukunft. Der junge, ehrgeizige Beamte Song Cheng stößt auf einen gewaltigen Korruptionsskandal. Doch plötzlich wird er selbst ins Gefängnis geworfen. Dort taucht ein geheimnisvoller Mann mit einem Supercomputer auf, der ebenfalls verfolgt wird – weil er alles weiß. Einfach alles. Wie kann das sein? Und welche Konsequenzen hat das?

Mit seiner Novelle Spiegel erweist sich Cixin Liu, Autor des Weltbestsellers Die drei Sonnen, einmal mehr als scharfer Beobachter der chinesischen Gegenwart und als literarischer Visionär der Welt von morgen. 

Dieses Büchlein ist ein wahnsinnig spannendes Gedankenexperiment und ich konnte mehrere Abendessen lang überhaupt nicht mehr aufhören darüber zu philosophieren 😉

Bertrand Russell ist einer der Ersten, der das Unbehagen der Physiker mit dem Prinzip von Ursache und Wirkung in Worte fasst, und er lässt kein gutes Haar daran: „Das Kausalgsetz“, so beginnt Russell seinen Aufsatz von 1912 über das Thema, „ist, wie so vieles, das unter Philosophen allgemein akzeptiert wird, ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, das, wie auch die Monarchie, nur überlebt, weil irrtümlich von ihm angenommen wird, dass es keinen Schaden anrichte.“

Wie war euer Lesemonat März? Im April geht es bei mir in die Natur. Ihr dürft euch auf Bücher zum Thema Pilze, Wälder und einen Abstecher nach Irland freuen.

Hirngymnastik Zukunft I

Es wird mal wieder Zeit für eine Hirngymnastik und ich beschäftige mich dieses Mal ausführlich mit der Zukunft. „Future Studies“ ist ein Studiengang, mit dem ich immer mal liebäugele.

Von einem Fokus auf die Vorhersage der Zukunft hat sich die moderne Disziplin der Zukunftsforschung zu einer Erforschung alternativer Zukünfte ausgeweitet und vertieft, um die Weltanschauungen und Mythologien zu untersuchen, die möglichen, wahrscheinlichen und bevorzugten Zukünften zugrunde liegen.

Da die Welt zunehmend risikoreicher geworden ist – zumindest in der Wahrnehmung, vielleicht aber auch in der Realität – werden Zukunftsworkshops bei Führungskräften und Strategieabteilungen in Organisationen, Institutionen und Nationen auf der ganzen Welt immer beliebter. So einem Workshop war auch Auslöser meines ersten Buches dieser Hirngymnastik.

Das Buch ist Teil eines Projekts der Management-Beratung A.T Kearney. Dort verdient Walker sein Geld, wenn er keine Bücher schreibt. Zum fünfzigjährigen Jubiläum des deutschen Büros Ende 2014 versammelte die Firma führende deutsche Politiker, Unternehmer und Wissenschaftler und stellte ihnen die Frage: Wie entwickelt sich Deutschland in Europa in den nächsten 50 Jahren? „Germany 2064“ ist der Versuch, die Ergebnisse dieses intellektuellen Abenteuers einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

Walkers Buch greift viele Themen auf: TTIP ist Realität und Deutschland steht wirtschaftlich sehr gut da. Aufgeteilt in urbane High-Tech Zonen auf der einen und auf der anderen zurück-zur-Natur „Freie Gebiete“ in Gegenden wie Mecklenburg-Vorpommern, in denen es zunehmend gesetzloser zugeht, nimmt Deutschland eine vorbildliche Rolle in Europa ein. Die Transaktionssteuer wurde eingeführt, selbstfahrende Autos sind das neue Normal und Roboter spielen überall eine zentrale Rolle. Und Walker sinniert ganz im Sinne Philip K. Dicks darüber, was eine Maschine zum Menschen macht.

„Wir spielen Gott, indem wir emphatische Wesen hervorbringen, mit denen wir Beziehungen eingehen und für die wir auch Zuneigung entwickeln können. Wir vertrauen ihnen unsere Kranken und unsere Alten an. Als deren Schöpfer tragen wir Verantwortung für sie.“

Als Krimi eher schwach, da die Figuren allesamt wirklich hölzern und leblos sind – aber als Gedankenexperimente definitiv spannend und interessant und zum Nachdenken anregend. Walker beschreibt eine Deutschland-Vision voller Optimismus. Seltsam fand ich allerdings, dass fast alle Deutschen bei ihm auch in knapp 50 Jahren Vornamen haben wie die aktuelle Boomer-Generation 😉 Aber vielleicht hat er ja recht und Namen wie Horst, Klaus, Thilo, Fred, Dieter oder Gerd sind dann wieder en vogue.

Wer sind eigentlich die Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben? Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Alter, Geschlecht oder Ausbildung. Nur ein Kriterium ist den meisten Anhängern von Verschwörungserzählungen gemein: Sie haben in der Vergangenheit eine Form des Kontrollverlusts erlebt. Das kann zum Beispiel eine Trennung sein, der Verlust des Arbeitsplatzes oder ein Missbrauch, zudem sind Männer empfänglicher für solche Erzählungen als Frauen. Auch ein formal niedriger Bildungsgrad macht etwas anfälliger als ein hoher.

Es gibt Interkontinentalflüge, eine internationale Raumstation und ausgefeilte Modelle darüber, wie das Weltall aufgebaut ist. Und trotzdem sind zunehmend mehr Menschen davon überzeugt, dass die Erde flach ist. Wie kann das sein? Wie kann man Logik und Wissenschaft so derart hinter sich lassen? Menschen, die an Verschwörungsmythen glauben, werden auf jeden Fall nicht von logischen Argumenten überzeugt, ihre Annahmen gründen sich hauptsächlich auf psychologische Aspekte, auf das, was ihnen ein gutes Gefühl verschafft. Verschwörungstheorien geben unsicheren Menschen Halt und bieten Erklärungen und teilweise Entschuldigungen für die Dinge die in ihrem Leben schief gegangen sind.

Wie aktuell das Buch ist zeigen die Autorinnen, in dem sie auch auf die Mythen rund um Covid-19 präzise eingehen. Die absurden Thesen und Phänomene wie „Hygiene-Demos“ oder „Corona-Rebellen“. Dass Pandemien mit Verschwörungserzählungen einhergehen, ist kein neues Phänomen. Das gab es schon zu Zeiten der Pest oder auch der Spanischen Grippe. Covid-19 hat die Verschwörungsgläubigen in einen Rausch versetzt und die wirren Theorien verbreiten sich ähnlich rasant wie das Virus selbst.

„Während Verschwörungserzählungen in ihren Erklärungen oft deutlich komplizierter sind als der tatsächliche Ablauf eines Ereignisses, reduzieren diese Erzählungen zugleich die Komplexität auf der Ebene der Verantwortlichkeiten beziehungsweise der Gründe, warum etwas so und nicht anders passiert ist“

„Dadurch, dass ein Mensch an etwas glaubt, das gängigen Erklärungsmustern widerspricht, kann er auch sein Bedürfnis danach befriedigen, sich einzigartig zu fühlen und sich von der Masse abzuheben“

„Insbesondere in rechtsextremen Kreisen“, betonen die Autorinnen, „wurden Erklärungsansätze für die Coronakrise mit antisemitischen Ideologien angereichert“. Die Holocaustleugnung stellt nach wie vor eine zentrale Verschwörungstheorie in der extremen Rechten dar. Was aber nicht bedeutet, dass linke Kreise gegen Verschwörungstheorien gefeit sind, wie sie am Beispiel der Blockupy-Bewegung belegen. Sie waren auch unterwegs auf einer Esoterik-Messe in einer Freimaurerloge in Berlin-Wilmersdorf und stellen die 1997 in Zentralrussland gegründete Anastasia-Siedlerbewegung vor, eine ganz besondere Spezies im Sumpf der braunen Verschwörungsideologien, die sich später auch im deutschsprachigen Raum ausbreitete.

Katharina Nocun und Pia Lamberty haben einen sehr guten, umfassenden Überblick entworfen, über das Phänomen der Verschwörung und seine Entwicklung, Empfehlenswert!

Der ambitionierte Titel dieses Buches legt die Messlatte für den Autor Patrick Dixon hoch. Der Arzt und ehemalige Krebsspezialist gründete die internationale Aids-Agentur ACET, die Programme in 18 Ländern unterhält. Er ist zudem Gründer von Global Change Ltd, einem Unternehmen für Wachstumsstrategien und -prognosen, und zählt Giganten wie Google, Microsoft oder auch die eine oder andere Weltbank zu seinen Kunden.

Er hat also durchaus das Rüstzeug, um Prognosen für die Zukunft zu wagen, die von Technologie, Demografie, zu Politik, Gesundheitswesen und sozialem Wandel reichen. Von dem was aktuell als Innovationen in der IT Branche gefeiert wird, hält er wenig. Die Verbindung zwischen unseren Gehirnen und Geräten ist viel zu schwerfällig und langsam. Unsere Lese- und Tippgeschwindigkeiten sind sogar gesunken und erst,, wenn es hirngesteuerte Displays gibt oder auch Steuerungen durch Gesten wird es zu einem wirklichen Wachstum unserer Hirnschnittstellen kommen.

Menschen sind dann selbst Teil des so genannten „Internets der Dinge“, ein Trend, der seiner Ansicht nach noch weiter zunehmen wird. Geräte zur Radiofrequenz-Identifikation (RFID) werden von Menschen unter die Haut gespritzt, um Zugang zu sicheren Einrichtungen zu erhalten, während tragbare Geräte zur Überwachung von Gesundheitsindikatoren, „Wearables“, weite Verbreitung finden werden.

Diese Entwicklungen haben aber auch Schattenseiten. Hacking wird eine zunehmend größere Bedrohung werden. Was passiert, fragt Dixon, wenn sich ein Terrorist in 100.000 fahrerlose Autos hackt, während sie auf der Straße sind? Ein durchschnittliches autonomes Fahrzeug enthält bereits jetzt 60 Prozessoren und 10 Millionen Zeilen Softwarecode. Der Schaden den ein solcher Angriff auslösen würde, wäre unvorstellbar groß.

Die Bedrohung durch einen Cyber-Krieg zieht sich durch das ganze Buch. Abgesehen von terroristischen und kriminellen Angriffen könnte es auch zu riesigem Chaos kommen, durch gezielte Angriff auf das Bankwesen, in der Telekommunikation, Energiewirtschaft und auf andere Versorgungseinrichtungen.

Auf der einen Seite wird der medizinische Fortschritt den Menschen eine höhere Lebenserwartung bringen, wobei Dixon sich mit einer möglichen Lebenserwartung von 140 Jahren für die heute Geborenen meines Erachtens ganz schön aus dem Fenster lehnt. Auf der anderen Seite wird das Klonen von Menschen technisch machbar sein und große ethische Bedenken aufwerfen. Wir sind bereits kurz davor, ausgestorbene Tiere zu klonen, indem wir Gene in gefrorenem Gewebe verwenden. Ein an Krebs sterbendes Kind könnte „wiederhergestellt“ werden, so dass die Eltern einen eineiigen Zwilling zur Welt bringen können.

„Scientists have also created a goat with genes from a spider, so that spider web proteins are excreted into the milk. These proteins can be extracted to create a kind of textile fibre which is highly elastic and alsmost as strong as Kevlar“

Paradoxerweise ruiniert der Wohlstand aber auch unsere Gesundheit. Eines von drei Kindern, die heute in New York geboren werden, wird aufgrund von Übergewicht im Laufe seiner Kindheit an Diabetes erkranken, so Dixon. Da im Jahr 2030 etwa 50 Prozent der Weltbevölkerung stark übergewichtig sein werden, wird eine neue Lebensmittelindustrie entstehen, die Anti-Food verkauft – Lebensmittel, die aus Molekülen bestehen, die der Körper nicht verdauen kann und die den Körper durchlaufen, so dass die Menschen essen können, ohne tatsächlich Nährstoffe und Kalorien zu sich zu nehmen.

Dixon beendet das Buch mit einem Kapitel über Werte und Ethik. All die großartige neue Technologie bedeutet gar nichts, wenn die Menschen den Sinn im Leben verlieren. Wenn die Menschen Zeit und Geld haben, wird diese Sinnsuche zunehmen und großen Einfluss auf Unternehmen und die Gesellschaft haben.

Glück ist nicht an ein hohes Einkommen gebunden – Menschen mit mittlerem Einkommen, die gute Freunde, einen liebevollen Partner, einen Beruf oder ein Hobby haben, das ihnen Spaß macht, werden weiterhin am zufriedensten sein. Interessanterweise sind die glücklichsten Menschen und die, die am Optimistischsten in die Zukunft blicken, aktuell diejenigen, die in Afrika leben.

Ein interessanter Blick in die Zukunft, stellenweise ging mir die Selbstbeweihräucherung des Autors und seine religiös-konservative Sicht auf die Welt etwas auf die Nerven.

Ich bin kein großer Krimi-Fan, ab und an habe ich aber mal Lust darauf, aber eher selten. Wenn, dann darf es gerne ab und zu ein Wissenschaftskrimi sein und vor ein paar Jahren hatte mich „Blackout“ von Marc Elsberg sehr begeistern können. Daher möchte ich den ersten Teil meiner Hirngymnastik „Zukunft“ gerne mit einem Techno-Thriller beenden bei dem der gläserne Mensch im Zentrum des Geschehens steht.

„Daten sind das Gold der Zukunft

„Die Menschen lebten ganz gut ohne Privatsphäre, bis sie ein raffinierter Anwalt vor 100 Jahren erfand. – Er erfand sie nicht, sie wurde bloß damals in die Gesetze aufgenommen. Gesetze kommen und gehen, die Privatsphäre wohl auch

London. Bei einer Verfolgungsjagd wird ein Junge erschossen. Sein Tod führt die Journalistin Cynthia Bonsant zu der gefeierten Internetplattform Freemee. Diese sammelt und analysiert Daten – und verspricht dadurch ihren Millionen Nutzern ein besseres Leben und mehr Erfolg. Nur einer warnt vor Freemee und vor der Macht, die der Online-Newcomer einigen wenigen verleihen könnte: ZERO, der meistgesuchte Online-Aktivist der Welt. Als Cynthia anfängt, genauer zu recherchieren, wird sie selbst zur Gejagten. Doch in einer Welt voller Kameras, Datenbrillen und Smartphones kann man sich nicht verstecken …

Spannend, erschreckend und immens informativ – Marc Elsberg bleibt eine gute Adresse für rasante wissenschaftliche speculative fiction.

Das war der erste Schwung Bücher für die Hirngymnastik „Zukunft“ – ich hoffe ihr habt Lust auch beim zweiten Teil der Hirngymnastik dabei zu sein.

Nichts Tun – Jenny Odell

Der Titel ist vielleicht ein bisschen irreführend, denn bei „Nichts tun“ handelt sich auf gar keinen Fall um eine Anleitung zum Digital Detox oder dem Ausstieg aus den sozialen Medien (dazu eignet sich Cal Newports Digital Minimalism oder Catherine Price‘ How to Break Up With Your Phone ganz gut). Stattdessen ist dies ein umfassend recherchiertes Buch über: das Selbst, Aufmerksamkeit, Bioregionalismus, was es bedeutet, sich zu verweigern und über die Auswirkungen des Kapitalismus auf diese Faktoren.

Der Großteil dieses Buches handelt von den Dingen, die wir nicht wirklich tun können, wenn unsere Aufmerksamkeit permanent in den sozialen Medien oder mit dem Scrollen durch Nachrichten an unsere Telefone gebunden ist. Im Grunde nehmen uns die sozialen Medien und der Dauerbeschuss an Nachrichten die Fähigkeit, zu reflektieren und umfassend über das nachzudenken, was unter dem Radar der Status-Updates und Schlagzeilen tatsächlich passiert. Darüber hinaus werden unsere Beziehungen zu anderen Menschen, zur Zeit und zur Umwelt um uns herum erodiert. wir versuchen, unsere Ideen in 280-Zeichen-Tweets zu pressen, stets bemüht, niemanden zu beleidigen und möglichst viele „Likes“ zu bekommen. Was passiert, wenn wir Menschen als Marken und Unternehmen als Menschen betrachten?

Odell fordert uns zunächst auf, die Idee der „Nützlichkeit“ zu überdenken und unsere Tendenz, Zeit und Aufmerksamkeit als Ware zu betrachten, in Frage zu stellen – etwas, das in der Gig-Economy zumeist als selbstverständlich erachtet wird. Sie verwendet das Beispiel eines alten Mammutbaums in Oakland, der für den menschlichen Verzehr nutzlos ist und ironischerweise ist es seine „Nutzlosigkeit“, die ihn davor bewahrt, gefällt zu werden, was ihn zum einzigen Baum seiner Generation macht, der überlebt. Sie nennen ihn sogar „Old Survivor“.

Teile des Buches waren für mich etwas unzugänglich – insbesondere ihre Beschreibungen diverser Kunstausstellungen waren etwas langatmig. Sehr spannend fand ich aber, wie sie sowohl Diversität und Klasse in die Betrachtung des Widerstands gegen die Aufmerksamkeitsökonomie einbezieht. Odells Referenzen im Buch sind erfreulich vielfältig; ja, sie bezieht sich viel auf Thoreau, aber sie bezieht auch Texte von Audre Lorde, der Arbeiterbewegung und der Umweltbewegung mit ein. All das setzt sie in einen historischen Kontext, sozusagen als Gegensatz zu der ständigen Gegenwartsbezogenheit der sozialen Medien.

„Nicht nur, dass es unbefriedigend ist, in permanenter Zerstreuung zu leben, oder dass ein Leben ohne zielgerichtetes Denken und Handeln armselig ist. Wenn es wahr ist, dass die kollektive Tatkraft das individuelle Aufmerksamkeitsvermögen spietelt und zudem auf diesem beruhen, dann scheint Zerstreuung, in einer Zeit, in der es zu handeln gilt, eine Sache auf Leben und Tod zu sein. Ein soziales Gefüge, das nicht in der Lage ist, sich auf sich selbst zu konzentrieren oder mit sich zu kommunizieren, ist wie eine Person, die weder denken noch handeln kann“

Und während andere Bücher zum gleichen Thema dazu neigen, die Vereinnahmung unserer Aufmerksamkeit und die Tyrannei der Algorithmen als ausgemachte Sache zu behandeln und damit das Digital Detox als ausweglose Lösung zu beschreiben, schafft es Odell, ganz sachlich zu bleiben, jede Sensationslüsternheit zu vermeiden und zeigt eigene Wege, mit der Aufmerksamkeitsökonomie umzugehen.

Als Lösungsideen präsentiert die Autorin unter anderem Bioregionalismus, weniger Konsum, mehr Dezentralisierung als Konzepte für eine bessere Welt. Ich glaube aber, solange die Menschen den Grad und die unfassbare kaltschnäuzige Raffinesse der Medien- und Nachrichtenmanipulation nicht erkennen, werden diese Ideen und Ideale chancenlos sein gegen die glitzernde, glamouröse Gamification und den Konsumterror.

Beim Lesen hatte ich das Gefühl, einen angenehmen Spaziergang mit einer klugen und überhaupt nicht überheblichen Freundin zu machen. Odells Ideen wirken rational und gar nicht revolutionär, haben aber eine große Tragweite, wenn es darum geht, unseren Fokus auf unsere Beziehungen und unser Umfeld zu lenken, anstatt sich permanent im Hamsterrad zu drehen und uns nur wohl zu fühlen, wenn wir uns optimieren und im Produktivitätsrausch versinken. Manchmal hätte ich mir ein bisschen mehr Pep gewünscht, da mäanderte es für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr, aber Odell schafft eine kluge Verbindung von Kunst, Ökologie, Soziologie und Wissenschaft auf nachdenkliche und manchmal überraschende Weise. Ein Buch, das mir große Lust auf rotweingetränkte Diskussionen mit Freunden gemacht hat.

Ich danke dem Beck Verlag für das Rezensionsexemplar.

Hirngymnastik Chemie

Chemie ist ein unglaublich faszinierendes Studiengebiet. Weil sie für unsere Welt so grundlegend ist, spielt die Chemie im Leben eines jeden Menschen eine Rolle und berührt fast jeden Aspekt unserer Existenz in irgendeiner Weise. Die Chemie wird oft als die zentrale Wissenschaft bezeichnet (wobei das wahrscheinlich fast jede Wissenschaft von sich behauptet), weil sie Physik und Mathematik, Biologie und Medizin sowie die Erd- und Umweltwissenschaften miteinander verbindet.

Die Chemie hilft, die Welt um uns herum zu verstehen. Warum verfärben sich Blätter im Herbst? Warum sind Pflanzen grün? Wie wird Käse hergestellt? Was ist in Seife enthalten und wie wird sie gereinigt? All dies sind Fragen, die mit Hilfe der Chemie beantwortet werden können.

Grundkenntnisse in Chemie helfen auch, Produktetiketten zu lesen und zu verstehen. Funktioniert ein Produkt wie beworben oder ist es ein Betrug? Wer versteht, wie Chemie funktioniert, ist in der Lage, ver-nünftige Erwartungen von reiner Fiktion zu trennen.

Chemie ist außerdem das Herzstück des Kochens. Wer die chemischen Reaktionen versteht, die beim Aufgehen von Backwaren, beim Neutralisieren von Säure oder beim Eindicken von Saucen ablaufen, hat gute Chancen, ein besserer Koch werden.

Ein guter Grund, dieser spannenden Naturwissenschaft mal ein wenig in die Reagenzgläser zu schauen – willkommen zur Hirngymnastik Chemie:

Was eignet sich besser zum Einstieg, als ein Buch über die 50 wichtigsten chemischen Elemente im Periodensystem? Das Periodensystem war bei mir im Übrigen Auslöser für die erste Brille, die ich auch wirklich aufgesetzt habe. Ich saß soweit von dem Ding weg, das sich partout die Ordnungszahlen nicht erkennen ließen. Es musste also eine Brille her und zack klappte es auch mit der Chemie 🙂

Die Elemente in 30 Sekunden vermitteln die chemischen Grundkenntnisse zu den wichtigsten 50 Elementen. Jedem Element ist eine Doppelseite gewidmet, jede mit einer klaren Beschreibung, den wichtigsten Eckdaten und einer Illustration. Der Band ordnet sie in den Rahmen der übrigen 68 Elemente des Periodensystems ein und beschreibt deren Wechselbeziehungen. Biographien von Chemikern, die unser Wissen bereicherten und damit die Geheimnisse des Lebens weiter entschlüsselten, ergänzen die Darstellung. Die Illustrationen veranschaulichen die Unterschiede und Übereinstimmungen zwischen den einzelnen Elementen.

Die Reihe ist nicht nur optisch ein Leckerbissen, sie gibt auch wirklich in kürzester Zeit einen ersten Überblick über ein Thema und ermöglicht dem Leser dann bei Bedarf abzutauchen. Ich habe noch einige weitere Themen aus der Reihe auf dem Radar.

Herausgeber Eric Scerri ist Chemiker und Wissenschaftstheoretiker, der vor allem zur Geschichte und Systematik des Periodensystems publiziert. Er ist Gründer und Chefredakteur der internationalen Zeitschrift Fundation of Chemistry.

Im 19. Jahrhundert strömten die New Yorker in Scharen in Sammlungen seltsamer und grotesker Kuriositäten, die als „Kuriositätenkabinette“ bezeichnet wurden. Jetzt soll in Manhattan an der Stelle eines der alten Kabinette ein moderner Wohnturm entstehen. Doch als die Ausgräber in einen Keller einbrechen, entdecken sie eine Leichenkammer des Grauens: die Überreste von über dreißig Menschen, die vor über 130 Jahren von einem unbekannten Serienmörder ermordet und auf grausame Weise zerstückelt wurden.

In der Folge beginnen FBI-Sonderagent Pendergast und die Museumsarchäologin Nora Kelly mit einer Untersuchung, die einen mysteriösen Arzt zutage fördert, der einst durch die Stadt streifte und medizinische Experimente an lebenden Menschen durchführte. Doch gerade als Nora und Pendergast beginnen, die Hinweise auf die jahrhundertealten Morde zu entschlüsseln, bricht um sie herum eine neue Welle von Mord und chirurgischer Verstümmelung aus und New York City wird von Terror überflutet.

Der Krimi ist in der Zeit Wissenschafts-Krimireihe herausgebracht worden und enthält eine Chemie-Analyse des Buches. Im Roman geht es um einen Serienkiller, der auf der Suche nach der Geheimformel für das ewige Leben ist. Seit der Mensch denken kann, versucht er seine Sterblichkeit zu überwinden und ein Elixier zu finden, dass den Tod in seine Schranken weist.

Noch immer ist rätselhaft, was im Organismus dafür sorgt, dass das Leben zum Tode führt. Viele Fachleute sind aber überzeugt, dass die Dauer menschlichen Lebens verlängert werden kann und künftig auch wird. „Altern ist keine gottgegebene Unausweichlichkeit, man kann es kontrollieren und ändern“ behauptet der amerikanische Genetiker Michael Rose, ein Pionier der modernen Altersforschung.

In metabolischen Prozessen, und auch in den Gen-Netzwerken, haben die Forscher erste Triebkräfte des Alters aufgespürt. Bereits durch die Ausschaltung einzelner Gene für Wachstum und Energiestoffwechsel können die Genetiker dem natürlichen Tod Einhalt gebieten.

Das einfachste Zaubermittel zur Lebensverlängerung heißt Hungern. Kalorische Restriktion hilft Fliegen, Mäusen und Würmern, dem Tod zu trotzen. Die Ursache ist vermutlich, dass dabei der Energiestoffwechsel heruntergefahren wird. Dadurch enstehen weniger aggressive Stoffwechselprodukte im Körper – der sogenannte oxidative Stress im Organismus nimmt ab.

Aber ist es wirklich erstrebenswert, 100 Jahre zu hungern, um 100 Jahre alt zu werden?
Da genetische Manipulationen des menschlichen Erbgutes, mit denen altersfördernde Gene blockiert werden könnten, derzeit weder sicher durchgeführt werden können, noch erwünscht sind, ruhen die Hoffnungen der Altersforscher vor allem auf der Pharmazie. Grausige Verfahren wie das des Killers in Formula sind indessen nicht zu befürchten.

Ein spannender Krimi, der nicht nur chemische Einblicke gewährt, sondern auch gut unter der Rubrik Forensik hätte laufen können. Allerdings nichts für Zartbesaitete.

Perfekt hätte in diese Hirngymnastik natürlich Primo Levis „Das periodische System“ gepasst – das habe ich allerdings bereits gelesen und auch schon hier besprochen. Wer Lust hat, die Grande Dame der Chemie, Marie Curie, näher kennenzulernen, den verweise ich auf diesen Artikel hier in der Rubrik „Women in Science“.

Ansonsten habe ich erstaunlich wenige Nicht-Fachbücher zu dieser Hirngymnastik gefunden, falls ihr also noch weitere Tipps habt – jederzeit gerne.

Ich hoffe, ich konnte euch etwas Lust auf Chemie machen – wie war es bei euch in der Schule? Mochtet ihr das Fach, beschäftigt ihr euch heute noch hin und wieder damit oder macht ihr lieber einen großen Bogen um Reagenzgläser, Kolbenbrenner und Periodensystem?

Findungen – Maria Popova

“Geschichte ist jedoch nicht das Geschehene, sondern das, was die Schiffbrüche von Urteil und Zufall überlebt.

Maria Popova hat mit Brainpickings einen meiner liebsten Blogs geschaffen, dem ich seit vielen Jahren folge und dem ich unglaublich viele Lektüretipps, Ideen und spannende Einsichten verdanke. Sie schafft es schon seit Jahren von einem Blog leben zu können, der sich mit Wissenschaft, Literatur, Philosophie, Feminismus, Poesie, Astronomie und vielem anderen beschäftigt.

Das Buch beginnt mit Johannes Kepler und mit dem Einfluß, den er mit seiner Persönlichkeit und seinem beruflichen Leben auf eine ganze Litanei an Menschen in der Astronomie und der Kunst seither genommen hat. Alles ist miteinander verbunden. Gedanken und Ideen durchdringen Raum und Zeit, landen irgendwo, inspirieren und die Kombination ganz unterschiedlicher Ideen führt immer wieder zu neuen und weiteren Entdeckungen.

“Leben verflechten sich mit anderen Leben, und aus diesem Wandteppich ergeben sich Hinweise zu Antworten auf Fragen, die die Essenz des Lebens betreffen: Was sind die Bausteine des Charakters, der Zufriedenheit, der nachhaltigen Errungenschaften?

„Figuring“ ist ein multidisziplinärer Begriff. Er steht für die Verbindung von unterschiedlichen wissenschaftlichen Domänen, den Künsten und menschliches Erkenntnisvermögen. Es gibt sogar ein Institute for Figuring in den USA, das sich zum Ziel gesetzt hat, den Menschen mit der ästhetischen und poetischen Dimension von Naturwissenschaft und Mathematik in Verbindung zu bringen. Und Kepler ist eine der großen Inspirationen für dieses Vorgehen, da er einer der führenden „Figurer“ in der Geschichte war.

“Nichts, was über die ersten mathematischen Formeln hinausgeht, kann als gegeben betrachtet werden. Stellen Sie alles Übrige in Frage” 

Für Popova ist Kepler sowas wie der Ur-Vater in ihrem Buch. Ein Mann, dessen facettenreiches Leben eine Verflechtung aus Naturwissenschaft, Ästhetik und Theologie war. Von ihm aus leitet sie uns an eine ganze Reihe historischer Charaktäre weiter, die ebenfalls disziplinübergreifend tätig waren, die Grenzen überschritten haben auf der Suche nach Warheit, Schönheit und der Suche nach dem wahren und richtigen Leben.

Für dieses disziplinübergreifende Sein könnte man sich keinen besseren Paten vorstellen als Kepler. Er schrieb eine Abhandlung über Schneeflocken, verfasste eine Stereometrie der Weinfässer, berechnete die Umlaufbahn von Planeten und gab 5 Bücher zur Harmonik der Welt heraus. Seine berühmteste Entdeckung war, dass die Planeten in Elipsen um die Sonne wandern, wobei er mal eben ein 2000 Jahre altes astronomisches Dogma über den Haufen warf und damit den Weg für Newtons Law of Gravity ebnete.

Auch wenn Kepler auch nicht annähernd so berühmt ist wie Newton oder Kopernikus, so ist er doch auf Augenhöhe mit ihnen und er ist einfach eine sehr spannende Persönlichkeit, insbesondere durch seine Mischung aus mathematischer Strenge und ästhetischer Verspieltheit. Er verteidigte seine Mutter, die von der Kirche der Hexerei angeklagt wurde und die er nach langem und qualvollem Prozess am Ende zum Freispruch verhilft. Kepler erkennt auch, dass seine Mutter als Frau nie die Möglichkeit hatte, selbst eine Gelehrte zu werden, sondern ihnen hilflos ausgeliefert war. Das veranlasste Kepler zu einer sehr modernen Erkenntnis:

“Die unterschiedlichen Schicksale der Geschlechter, deutet Kepler an, werden nicht vom Himmel bestimmt, sondern von der irdischen Konstruktion des Geschlechts als kultureller Funktion.”

Nach dem Einstieg mit Kepler fokussiert sich Popova weitestgehend auf weibliche Geschichten und man begegnet hier ein paar sehr interessanten Frauen – alle unerschrockene Denkerinnen – die immense Hindernisse überwinden mussten um astronomische Entdeckungen machen zu können, zu schreiben, zu malen oder die Umweltbewegung zu gründen.

Besonders spannend fand ich die Astronominnen Maria Mitchell und Caroline Herschel, die Mathematikerin Mary Somerville, die Autorin/Kritikerin Margaret Fuller, die Bildhauerin Harriet Hosmer, die Dichterin Emily Dickinson und die Biologin/Umweltaktivistin Rachel Carson. Frauen, die allesamt die Verkörperung von Francois Poullain de la Barres Aussage sind „der Verstand hat kein Geschlecht.“

„Figuring“ ist ein komplex geknüpftes Netz, in dem die Leben dieser Frauen und einem guten Dutzend weiterer wissenschaftlicher und literarischer Figuren über Jahrhunderte und Kontinente hinweg miteinander verbunden sind. Verbunden durch unerwartete Verkettungen  wie gemeinsame Freunde, „Serendipity“ (das wunderbare Wort kann man einfach nicht wirklich übersetzen finde ich), durch Zusammenkünfte, Briefe, Freund- und Liebschaften. Beim Lesen hat man das Gefühl, dass Popovas Hirn durch die immensen Berge an Literatur, die sie liest, mit speziellen Filtern ausgestattet ist, das solche Verbindungen aufspürt:

“Die Welt ist durch geheime Knoten verbunden.” (Athanasius Kircher)

Aber vor allen Dingen gelingt es Popova, diese Menschen greifbar zu machen, man lebt, leidet, liebt mit ihnen und sie alle Leben changierend zwischen Zufall und Entscheidung.

Kreative Arbeit geht aus dem Prozess der Zusammensetzung existierender Gedanken- und Bildfragmente zu neuen Kombinationen hervor.

Gelegentlich bin ich in den Verlinkungen und Verbindungen etwas verloren gegangen, dann hatte ich manchmal das Gefühl beim Lesen Brotkrumen legen zu müssen, damit ich mich von den verwobenen Abschweifungen wieder zum Hauptteil des Kapitels zurückfinde.

Aber es kann ab und an ja auch ganz schön sein sich zu verirren. Man macht überraschende Entdeckungen und am Ende findet man meist wieder zurück. In „Figuring“ treffen wir auf brilliante Menschen mit spannenden Gehirnen – die meisten davon gehören Frauen und die überwiegende Anzahl der Figuren im Buch ist queer und sie alle bestehen darauf, das Leben bis zum Letzten auszukosten und sich von nichts und niemandem aufhalten zu lassen.

Einen der schönsten Sätze sagt die Astronomin Maria Mitchell zu ihren Studenten:

“Lassen Sie das Sternenlicht in ihr Leben sickern und sie werden sich nie mehr über Kleinigkeiten ärgern“

Kepler hätte dem sicherlich zugestimmt.

Große Empfehlung und eine großartige Schatzkiste insbesondere für meine #WomeninScience Reihe

Ich danke dem Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.

Hirngymnastik Klassische Musik

Ein Jahr voller Wunder – Clemency Burton-Hill

Ich glaube, ich habe nicht viel mit der Krimi-Autorin Donna Leon gemeinsam, außer wahrscheinlich unsere immense Vorliebe für klassische Musik aus der Barock-Zeit und der (nicht ganz ernst gemeinten) Ansicht, die eigentliche Oper endet für uns mit Mozart.

Neben den Barockopern von Händel, Monteverdi, Gluck oder Vivaldi mag ich insbesondere geistliche Musik, was mir wieder zeigt, dass man, um großartige Musik oder auch Architektur (Kirchen) schätzen zu können, nicht unbedingt religiös sein muss.

Die heutige Hirngymnastik befasst sich mit Literatur, in der klassische Musik eine zentrale Rolle spielt.

Die europäische Musik unterscheidet sich sehr von vielen anderen außereuropäischen klassischen Musikformen – durch ihr Notationssystem, das etwa seit dem 11. Jahrhundert in Gebrauch ist. Katholische Mönche entwickelten die ersten Formen moderner europäischer Musiknotation, um die Liturgie in der gesamten Weltkirche zu vereinheitlichen.

Im Gegensatz zu den meisten volkstümlichen Stilen ist die klassische Musik für die Entwicklung hoch entwickelter Formen der Instrumentalmusik wie Symphonie, Konzert, Fuge, Sonate und gemischter vokaler und instrumentaler Stile wie Oper, Kantate und Messe bekannt.

Eines der schönsten Bücher, die ich dieses Jahr gelesen habe ist eines, das mich gelegentlich auch in ganz andere Epochen der klassischen Musik geführt hat und auch wenn das Jahr noch nicht ganz um ist, es ist ganz eindeutig mein Lieblingsbuch dieses Jahr:

Clemency Burton-Hill ist unglaublich enthusiastisch, nicht im Entferntesten versnobt und hat mir riesige Lust gemacht, jeden Morgen das Stück des Tages zu hören. Sie redet über Stücke, die sie in der U-Bahn, bei der Hausarbeit oder auch mal ganz ehrfürchtig in einem Konzertsaal hört. Alle wichtigen Komponisten sind hier und an 366 Tagen (ja, inklusive des extra Tages – also perfekt für das Schaltjahr 2020) stellt sie erfreulich viele Frauen, Nicht-Europäer/Amerikaner und Komponisten vor, die noch leben und arbeiten – viele von ihnen unter 50.

Ein Buch wie dieses wäre vor dem Streaming vielleicht gar nicht möglich gewesen, aber durch das Streaming ist es leicht, sich durch alle 366 Stücke zu hören (meistens an dem dafür vorgesehenen Tag, aber ab und an auch mal ein paar am Stück, wenn ich etwas hinterherhinkte ). Dadurch lernte ich so unglaublich viele neue Stücke/Komponisten kennen und schätzen.

Natürlich hat mir nicht jedes Stück gefallen, aber wer klassische Musik mag, spürt richtig, wie sich der eigene Horizont erweitert. Ein wunderbares Buch und das perfekte Geschenk für eigentlich fast alle Menschen.

Weiter geht es mit dem Genre der Oper. Das rote Opernbuch im Hintergrund habe ich als Kind von Verwandten aus der DDR geschickt bekommen und es hat mich seitdem überall hinbegleitet, wo auch immer ich gewohnt habe. Es ist ein guter erster Anlaufpunkt, wenn man sich über den Inhalt und den Hintergrund einer Oper informieren möchte.

Heute geht das natürlich auch sehr gut mit Wikipedia, dennoch kann ich jedem, der vielleicht auch gerade erst anfängt, sich mit Opern zu beschäftigen, empfehlen, sich ein solches Opernbuch anzuschaffen und/oder auch das Who’s Who in der Oper, ein hilfreiches Handbuch das einem noch mal mehr Einblick in die wichtigsten Figuren gibt, die immer wieder in Opern auftauchen.

Robert Levines „Weep, Shudder and Die“ ist ein sehr kompakter Guide, der noch mal interessante Einblicke in die Welt der Opernliebhaber in den USA gibt, die Auswahl der Komponisten und die Kürze der Opernbeschreibungen waren mir aber eine Spur zu oberflächlich. Es fehlte Händel (!!!).

Etwas umfassender möchte ich euch diesen Roman vorstellen:

Opernroman – Petra Morsbach

Wunderbarer Roman über das Treiben an einem fiktiven Opernhaus in einer fiktiven Stadt. Morsbach wirft einen messerscharfen Blick hinter die Kulissen. Man spürt, dass Petra Morsbach die Bühnen der Welt von innen heraus kennt, denn nur als Insider erlangt man diese Detailschärfe und kann so lebendig und humorvoll über diesen Mikrokosmos schreiben.

Hochs und Tiefs gehören zum künstlerischen Alltag in der Oper. Hinter den Kulissen ist das Geschehen aber fast genauso dramatisch wie auf der Bühne. Einige opfern ihr Leben für die Kunst, während andere recht skrupellos über Leichen gehen um Karriere zu machen. Die Menschen leben hier intensiver, leiden aber auch mehr als anderswo. Die Oper ist ein Ort der Extreme.

In diesem bislang einzigen Nicht-Brunetti Roman von Donna Leon geht es unter anderem um den italienischen Geistlichen, Diplomaten und Komponisten Agostino Steffani (1654 – 1728). Er lebte über zwanzig Jahre in München, was ihn noch einmal interessanter für mich machte.

Das Buch entstand in Kooperatin mit Cecilia Bartoli, einer Opernsängerin, die Ms Leon vor etwa zwanzig Jahren einmal interviewte und die seitdem ihr Opern-Buddie ist. Bartoli nahm eine CD mit Werken von Agostini auf und nur für die CD alleine hat sich der Kauf dieses wunderschönen Buches gelohnt. Der Krimi selbst spielte für mich eher eine untergeordnete Rolle, unterhalten habe ich mich aber auf jeden Fall sehr gut gefühlt.

Caterina Pellegrini ist gebürtige Venezianerin und wie so viele von ihnen musste sie ihre Heimat verlassen, um ihre Karriere fortzusetzen. Mit einem Doktortitel in „Barockoper“ aus Wien landet sie in Manchester. Als Caterina von einer Stelle in ihrer Heimat erfährt, ergreift sie die Gelegenheit beim Schopf und zieht zurück.

Die Stelle ist ziemlich ungewöhnlich. Nach fast drei Jahrhunderten wurden zwei verschlossene Truhen entdeckt, in denen sich vermutlich Papiere eines Barockkomponisten befanden. Mit religiösen und politischen Kreisen eng verbunden, starb der Komponist kinderlos; nun beanspruchen zwei (sehr unsympathische) Venezianer, Nachkommen seiner Cousins, jeweils das Erbe. Caterinas Aufgabe ist es, alle beigefügten Papiere zu prüfen, um so etwas wie eine testamentarische Verfügung des Komponisten zu finden. Doch als ihre Nachforschungen sie in unerwartete Richtungen führen, beginnt sie sich zu fragen, welche Geheimnisse diese Truhen wohl tatsächlich bergen.

Die Juwelen des Paradieses – ein großartiger Roman für Musikliebhaber*innen, eine fesselnde Erzählung über Intrigen, Musik, Geschichte und Gier mit großartiger Musik.

Hier könnt ihr Cecilia Bartolis Steffani-Aufnahme hören

Von Venedig aus reisen wir jetzt ins Deutschland der Bach-Zeit. Bach und Händel sind ja die großen deutschen Komponisten der Barock-Zeit und theoretisch hätten sie sich treffen können, es hat aber tatsächlich nie geklappt.

Die Suche in der häuslichen Bibliothek hat gleich zwei Bücher über Johann Sebastian Bach hervorgebracht – aber sträflicherweise keines über „meinen“ Händel, ein Zustand den ich schnellstens ändern muss.

Als die Musik in Deutschland spielte – Bruno Preisendörfer

Bruno Preisendörfer entführt uns in die Lebenswelt des Barock: Wie kleideten sich die Menschen? Wie sah das Familienleben aus? Tabak kam gerade in Mode und auch der Kaffee und damit der Siegeszug der Kaffeehäuser.

Musik wurde überall gespielt – ob in Gottesdiensten, zur Unterhaltung des Adels, der Bürger oder auf dörflichen Festen. Es war die Zeit von Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel und Georg Philipp Telemann, deren Kompositionen uns bis heute nachhaltig berühren.

Preisendörfer breitet ein Füllhorn an Fakten, Anekdoten und Wissen aus, für mich hat die Lesbarkeit manchmal etwas gelitten und mich machte dieses hektische Springen von einer Anekdote zur nächsten irgendwie etwas kirre.

Hätte mir mehr über das Leben Johann Sebastian Bachs gewünscht und etwas weniger Hektik.

Als Bach nach Dresden kam – Ralf Günther

Leider stand auch in diesem Buch nicht etwa Johann Sebastian Bach im Zentrum der Geschichte, sondern der Dresdner Konzertmeister und Direktor der französischen Hofmusik: Jean-Baptiste Volumier.

Im Jahr 1717 ist Volumier Konzertmeister der Hofkapelle August des Starken. Als ihm zu Ohren kommt, dass der skandalumwitterte französische Musiker Louis Marchand nach Dresden geholt werden soll, wird ihm angst und bange: Wird Marchand ihm den Rang streitig machen? Volumier fasst einen Plan: Ein Orgelduell, bei dem er Marchand gegen den größten lebenden deutschen Komponisten antreten lässt: Johann Sebastian Bach wird Marchand überstrahlen, da ist Volumier sicher, und nach einer Blamage wird Marchand das Weite suchen. In Weimar lernt Volumier Bachs Cousine Friedelena kennen. Die Begegnung verändert einiges. Kurz bevor das Tastenduell stattfindet, nehmen die Ereignisse einen unvorhergesehen Verlauf.

Ein unterhaltsames Buch, aber ich wollte doch etwas mehr Bach und weniger Volumier *mit den Füßen trampelt*.

Jetzt aber zwei Bücher über einen Komponisten, bei dem man tatsächlich das bekam, was auch außen drauf stand.

Wir reisen nach Österreich und widmen uns DEM Komponisten der Wiener Klassik: Wolfgang Amadeus Mozart

Mozart: Ein Leben ist eine gut recherchierte Biographie von Maynard Solomon und war 1996 Finalist für den Pulitzerpreis. Sie liest sich wie ein Roman, in dem wir Mozart durch seine frühe Kindheit in Salzburg bis zu seinen gefeierten Auftritten in den Hauptstädten Europas als Wunderkind begleiten.

Solomon folgt ihm nach Wien, wo er heiratet und als vielversprechender junger Komponist nicht nur in Wien, sondern auch in Prag und Deutschland Erfolg hat. Sein Leben überschattet eine sich stetig vertiefende Melancholie, die sich besonders ausprägte als er an seinem letzten Werk, dem Requiem, arbeitet, bevor er im Alter von 36 Jahren viel zu früh stirbt.

Mozart last Aria – Matt Rees

Matt Rees nimmt in seinem Roman das historische Rätsel des Mordes an Mozart unter die Lupe und präsentiert anhand von Fakten und Personen aus dem wirklichen Leben eine mögliche Lösung des Falles.

Zu Beginn der 1790er Jahre steht Europa vor einigen großen Problemen. In Frankreich ist die Französische Revolution im Gange. Preußen und Österreich sind Erzfeinde. Und Mozart verliert unter mysteriösen Umständen sein Leben und vermutet eine Vergiftung. Der Roman beginnt, als seine Schwester Nannerl im Sterben liegt und Mozarts Sohn das von ihr geführte Tagebuch gibt. Als Nannerl von Mozarts rätselhaftem Tod erfährt, verlässt sie ihr Dorf Salzburg und reist nach Wien, wo ihr Bruder Mozart Erfolg hatte und Zugang zu den höchsten gesellschaftlichen Kreisen erlangte. Nannerls Ziel ist einfach: herauszufinden, was mit ihrem Bruder geschehen ist.

Nur ist dem Wien, dem sie begegnet, ein anderes als das ihrer Jugend. Die Atmosphäre ist nicht mehr offen und entspannt, sondern geheimnisvoll und trügerisch. Als Nannerl beginnt, sich umzuhören, gerät sie in ein gefährliches Spiel – sie wird auf der Straße angegriffen und muss um ihr Leben fürchten.

Der Roman war eine verführerische Lektüre. Gleich zu Beginn des Buches stellt Rees dem Leser eine Liste der Charaktere und ihrer Identitäten zur Verfügung, das hilft sehr. Jedes Mal, wenn man glaubt, der Mörder sei entlarvt, schlägt Rees wieder einen Haken. Das Buch hat wirklich Spaß gemacht.

Die Mozart-Lektüre hat mir große Lust gemacht den Film Amadeus wiederzusehen, leider konnte ich ihn nirgendwo streamen, daher musste ich mich vorab erst mal mit dem Trailer begnügen:

Der letzte Roman dieser Hirngymnastik führt uns in die Welt der Kastraten.

Margriet de Moors „Der Virtuose“ hatte ich vor Jahren schon einmal gelesen und war gespannt, wie viel mir noch in Erinnerung geblieben war und wie gut es mir jetzt gefallen würde.

Dieser Roman erzählt die Geschichte eines berühmten Sängers. Der musikalisch begabte Garparo, der in furchtbare Armut hineingeboren wird lässt sich freiwillig und bereitwillig kastrieren, als er fast schon in der Pubertät ist. Danach wurde er ins Konservatorium gebracht und unzählige Stunden lang zu einem der berühmtesten Sänger Neapels ausgebildet.

Es ist die Geschichte der dramatischen Liebesgeschichte zwischen Gaspara und einer reichen Adligen.

Das Buch gibt Einblick in eine Zeit, in der Menschen – egal welcher Klasse sie angehörten völlig verrückt nach der Oper waren. Aristokraten, wie die Heldin des Romans, besuchten das Theater von San Carlo mehrmals in der Woche in ihren Logen, dort wurde gespielt und gegessen, Gespräche über Philosophie geführt und auch Liebesaffären nahmen dort ihren Lauf.

Manchmal widmeten sie sich aber auch der Musik und gingen mitunter sogar bis auf die Bühne, um die Aufführungen aus der Nähe zu sehen! Seither verstehe ich, warum Mahler darauf bestand, dass die Zuschauer ruhig sitzen und zuschauen sollten.

De Moor lässt die Welt der italienischen Musik und der neapolitanischen Aristokratie mit einer Sinnlichkeit aufleben, die einem den Atem raubt.

Der passende Film zum Buch ist natürlich Farinelli:

Zum Abschluß eine Playlist meiner liebsten klassischen Stücke:

Ich hätte gerade riesige Lust dazu. Habe mich für Ende Dezember um Tickets beworben an der Münchner Staatsoper, aber noch weiß ich nicht ob es geklappt hat. Wir werden sehen.

Ich hoffe ich konnte euch etwas Lust machen auf klassische Musik – habt ihr Lieblingskomponisten oder Stücke die ihr mir empfehlen würdet? Geht ihr gerne in die Oper?