Nichts Tun – Jenny Odell

Der Titel ist vielleicht ein bisschen irreführend, denn bei „Nichts tun“ handelt sich auf gar keinen Fall um eine Anleitung zum Digital Detox oder dem Ausstieg aus den sozialen Medien (dazu eignet sich Cal Newports Digital Minimalism oder Catherine Price‘ How to Break Up With Your Phone ganz gut). Stattdessen ist dies ein umfassend recherchiertes Buch über: das Selbst, Aufmerksamkeit, Bioregionalismus, was es bedeutet, sich zu verweigern und über die Auswirkungen des Kapitalismus auf diese Faktoren.

Der Großteil dieses Buches handelt von den Dingen, die wir nicht wirklich tun können, wenn unsere Aufmerksamkeit permanent in den sozialen Medien oder mit dem Scrollen durch Nachrichten an unsere Telefone gebunden ist. Im Grunde nehmen uns die sozialen Medien und der Dauerbeschuss an Nachrichten die Fähigkeit, zu reflektieren und umfassend über das nachzudenken, was unter dem Radar der Status-Updates und Schlagzeilen tatsächlich passiert. Darüber hinaus werden unsere Beziehungen zu anderen Menschen, zur Zeit und zur Umwelt um uns herum erodiert. wir versuchen, unsere Ideen in 280-Zeichen-Tweets zu pressen, stets bemüht, niemanden zu beleidigen und möglichst viele „Likes“ zu bekommen. Was passiert, wenn wir Menschen als Marken und Unternehmen als Menschen betrachten?

Odell fordert uns zunächst auf, die Idee der „Nützlichkeit“ zu überdenken und unsere Tendenz, Zeit und Aufmerksamkeit als Ware zu betrachten, in Frage zu stellen – etwas, das in der Gig-Economy zumeist als selbstverständlich erachtet wird. Sie verwendet das Beispiel eines alten Mammutbaums in Oakland, der für den menschlichen Verzehr nutzlos ist und ironischerweise ist es seine „Nutzlosigkeit“, die ihn davor bewahrt, gefällt zu werden, was ihn zum einzigen Baum seiner Generation macht, der überlebt. Sie nennen ihn sogar „Old Survivor“.

Teile des Buches waren für mich etwas unzugänglich – insbesondere ihre Beschreibungen diverser Kunstausstellungen waren etwas langatmig. Sehr spannend fand ich aber, wie sie sowohl Diversität und Klasse in die Betrachtung des Widerstands gegen die Aufmerksamkeitsökonomie einbezieht. Odells Referenzen im Buch sind erfreulich vielfältig; ja, sie bezieht sich viel auf Thoreau, aber sie bezieht auch Texte von Audre Lorde, der Arbeiterbewegung und der Umweltbewegung mit ein. All das setzt sie in einen historischen Kontext, sozusagen als Gegensatz zu der ständigen Gegenwartsbezogenheit der sozialen Medien.

„Nicht nur, dass es unbefriedigend ist, in permanenter Zerstreuung zu leben, oder dass ein Leben ohne zielgerichtetes Denken und Handeln armselig ist. Wenn es wahr ist, dass die kollektive Tatkraft das individuelle Aufmerksamkeitsvermögen spietelt und zudem auf diesem beruhen, dann scheint Zerstreuung, in einer Zeit, in der es zu handeln gilt, eine Sache auf Leben und Tod zu sein. Ein soziales Gefüge, das nicht in der Lage ist, sich auf sich selbst zu konzentrieren oder mit sich zu kommunizieren, ist wie eine Person, die weder denken noch handeln kann“

Und während andere Bücher zum gleichen Thema dazu neigen, die Vereinnahmung unserer Aufmerksamkeit und die Tyrannei der Algorithmen als ausgemachte Sache zu behandeln und damit das Digital Detox als ausweglose Lösung zu beschreiben, schafft es Odell, ganz sachlich zu bleiben, jede Sensationslüsternheit zu vermeiden und zeigt eigene Wege, mit der Aufmerksamkeitsökonomie umzugehen.

Als Lösungsideen präsentiert die Autorin unter anderem Bioregionalismus, weniger Konsum, mehr Dezentralisierung als Konzepte für eine bessere Welt. Ich glaube aber, solange die Menschen den Grad und die unfassbare kaltschnäuzige Raffinesse der Medien- und Nachrichtenmanipulation nicht erkennen, werden diese Ideen und Ideale chancenlos sein gegen die glitzernde, glamouröse Gamification und den Konsumterror.

Beim Lesen hatte ich das Gefühl, einen angenehmen Spaziergang mit einer klugen und überhaupt nicht überheblichen Freundin zu machen. Odells Ideen wirken rational und gar nicht revolutionär, haben aber eine große Tragweite, wenn es darum geht, unseren Fokus auf unsere Beziehungen und unser Umfeld zu lenken, anstatt sich permanent im Hamsterrad zu drehen und uns nur wohl zu fühlen, wenn wir uns optimieren und im Produktivitätsrausch versinken. Manchmal hätte ich mir ein bisschen mehr Pep gewünscht, da mäanderte es für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr, aber Odell schafft eine kluge Verbindung von Kunst, Ökologie, Soziologie und Wissenschaft auf nachdenkliche und manchmal überraschende Weise. Ein Buch, das mir große Lust auf rotweingetränkte Diskussionen mit Freunden gemacht hat.

Ich danke dem Beck Verlag für das Rezensionsexemplar.

Women in Science (25) Digitale Ethik – Sarah Spiekermann

Digitale Ethik

Ich freue mich sehr die Women in Science Reihe mit einem so großartigen Beitrag, von Wiederholungstäterin Claudia vom wunderbaren Blog „Das graue Sofa„, fortführen zu dürfen. Mir liegt die Reihe sehr am Herzen, wer also ebenfalls Lust hat mit einem Gastbeitrag in dieser Reihe weitere interessante Frauen aus der Wissenschaft vorzustellen, meldet euch gerne. Jetzt aber geht es hier mit einem Thema weiter, mit ich mich bislang noch viel zu wenig beschäftigt habe:

Sarah Spiekermann: Digitale Ethik. Ein Wertsystem für das 21. Jahrhundert

In ihren Seminaren zum Thema Innovationsmanagement an der Wirtschaftsuniversität Wien stellt Sarah Spiekermann ihre Studierenden vor die Aufgabe, eine Produkt-Roadmap für den fiktiven Lieferdienst FoodIS, dessen Geschäftsmodell an denen von Foodora und Deliveroo angelehnt ist, zu erstellen. Hier setzen die Studierenden um, was sie gelernt haben, wenn sie die technischen Raffinessen eines selbstlernenden, eines intelligenten Systems mit Blick auf die verschiedenen Nutzer – die Kunden, die Restaurants und Fahrradkuriere, den Betreiber der App – erarbeiten und darlegen. Sie denken daran, dass die Handy-App den Kurieren immer den schnellsten Weg weist, über ihre Ortung aber auch erkannt werden kann, wie lange sie Pausen machen. Sie wollen eine App entwickeln, die Aufträge mit einer nach einem Menschen klingenden Stimme weitergibt und sie so bearbeitet und bündelt, dass eine hohe Effizienz entsteht. Und weil sie im Seminar von Sarah Spiekermann sitzen, denken die Studenten auch daran, Werte wie Datensicherheit und Privatheit mit einzubinden.

Aber, so erklärt die Autorin, die Studierenden überlegen nicht eine Sekunde, ob solch eine App überhaupt nötig ist. Ob Digitalisierung wirklich immer sofort eine bessere Lösung erzielt, „weil technische Entwicklungen schlichtweg die Zukunft sind“. Und sie denken überhaupt gar nicht – und das haben eigene Erfahrungen mit einer ähnlichen Aufgabenstellung gezeigt – darüber nach, welche Folgen diese digitalen Leistungen haben, wiederum für die Kunden, die Fahrradkuriere, die Mitarbeiter der App, wenn sie nämlich zu Services ohne Wert, ja, ohne Herz werden.

Mit ihrem Fallbeispiel zielt Sarah Spiekermann ins Herz einer Debatte, die sie in ihrem Buch vor allem mit Blick auf die technische Entwicklung führt  – die aber ebenso für unser Wirtschaftsgeschehen insgesamt geführt werden sollte. Indem sie mit ihren Studenten zu einem gedanklichen Ausflug in die Welt der Philosophie startet, indem sie mit ihnen die Frage vom „guten Handeln“ auslotet und Einblicke in die Diskussion um Werte gewährt, ermöglicht sie ihren Studenten einen anderen Blick auf die ursprüngliche Aufgabenstellung. Die dann, in einem zweiten Durchgang, sehr viel mehr kreatives Potenzial und entsprechend auch mehr Lösungsvorschläge für die Konzeption einer Liefer-App einbringen: „Was jedoch eine solche kurze Einführung in die Ethik zu kreativen und menschenfreundlichen Ideen für den Innovationsprozess bewirken kann, hat selbst mich überrascht.“

So ist es Sarah Spiekermanns erklärtes Ziel, den digitalen Entwicklungsprozess, der ja unausweichlich sein wird, durch eine werteorientiertes Debatte zu begleiten. Nicht, wie sie schreibt, um den Unternehmen ein „ethisches Feigenblatt“ zu gewähren, nicht, um ihnen zu zeigen, wie sie „noch mehr Geld mit der Digitalisierung machen können“, sondern um „besser und weiser“ diese Entwicklungen zu steuern: „Meine Zielfunktion ist also nicht das Geld. Meine Zielfunktion ist ein gutes Leben, die Eudaimonia, bei der das Geld nur eine Randbedingung ist.“

Dass sich mit dieser Haltung, nämlich werthaltige (digitale) Produkte zu erstellen und anzubieten, durchaus auch Geld verdienen lässt, hat schon Michael Porter 1980 mit seinem Modell zur Wettbewerbsstrategie und der Strategie der Qualitätsführerschaft, herausgestellt.

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Sarah Spiekermann hat das „digitale Fieber“ 1996 gepackt, als sie – mehr aus Zufall – einen Praktikumsplatz bei 3com im Silicon-Valley antrat. 3com galt damals als Marktführer von Netzwerktechnologien, war mit seinen Produkten einer der Pioniere beim Aufbau der ersten Datenautobahnen. Sie verstand erst nicht, was die blinken Plastikplatten ermöglichten, doch dann holte sie nach, was die Welt der IT ausmacht. Und blieb auch nach dem Studium voller Begeisterung und Enthusiasmus in der IT-Welt, promovierte in diesem Bereich auch. Doch dann kam der 11.9.2001, den sie als Wendepunkt in ihrem Blick auf die Entwicklung des Internets betrachtet. Ihr schwirrten Ideen durch den Kopf, wie Künstliche Intelligenz geschaffen werden könnte, wie KI die Menschen tagtäglich unterstützen, wie die Kommunikation und der Umgang mit ihr gestaltet werden könnte. Ihr Stipendium für ein Forschungsjahr in Berkeley wurde nicht genehmigt, weil ihre Forschungsfrage plötzlich obsolet war. Sie wollte darüber forschen, wie der Wert der digitalen Privatheit zu erreichen sei, wenn KI zu unseren alltäglichen Begleiter wird. Tatsächlich aber zeigte sich nach den Anschlägen in New York, dass das Internet genutzt wurde, um die Täter zu identifizieren. Die amerikanische Regierung gründete das Department of Homeland Security und brachte fast über Nacht den Patriot Act durch das Parlament. Nun konnten die Behörden ihren Bürgern auch ohne richterlichen Beschluss auf ihren digitalen Spuren im Internet folgen: „Der Wert der Privatheit schien durch die Ereignisse des 11. September erloschen.“

Seit dieser Zeit wohl treibt Sarah Spiekermann die Frage nach einem Konzept von digitaler Ethik um. Um die gesellschaftlichen Folgen der einen oder anderen Fehlentwicklung im Umgang mit Daten analysieren und auch die Konzeption von Programmen kritisch auszuloten arbeitet und forscht Sarah Spiekermann derzeit am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Gesellschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien. Ihre fachlichen Kenntnisse der Informatik kann sie nun ergänzen durch ihre Suche nach philosophischen Fragestellungen und Denkansätzen, die zu einem anderen Verständnis des Einsatzes der Technik führen können.

Diesem zweifachen Ansatz folgt sie auch in ihrem Buch zur digitalen Ethik. Indem sie nämlich zunächst einmal die verschiedenen Besonderheiten der digitalen Güter beschreibt und analysiert. Hier spricht sie von der „Big-Data-Illusion“, weil die komplexe reale Welt eben auch durch die beste Datenanalyse nicht abgebildet werden könne. Hier weist sie auf die „Fehleranfälligkeit des Digitalen“ hin, weil der Code Fehler hat und für Fehleranalysen oft keine Zeit bleibt, weil der Code nicht über genügend Daten verfügt – oder sich schlicht ein Hacker seiner bemächtigt hat. Hier setzt sie sich damit auseinander, wie schnell wir uns in die digitalen Welten „verstricken“ lassen und durch die Aufmerksamkeit, die wir eher unseren digitalen Geräten und den darauf eingehenden Push-Nachrichten schenken zu „seichten“ Persönlichkeiten werden können. Mit der Forderung nach einer besonders ausgeprägten Bildung im Umgang mit der Technik versucht sie, Fehlentwicklungen einzuhegen.

Forscht sie einmal den Charakteristika des Digitalen im Detail nach, so weitet sie im nächsten Kapitel den Blick und betrachtet die Geschichte des Fortschrittsdenkens über die letzten 900 Jahre. Lange galt das „klassische“ Streben nach dem „persönlichen Fortschritt“ als Ideal der menschlichen Entwicklung, die Suche nach einem kultivierten Leben, die Suche nach dem Glück, die „Sorge um sich“. Erst im Hochmittelalter änderte sich diese Sicht langsam, festzumachen am Begriff des „Fortschreitens“, den Albertus Magnus (1200 – 1280) erstmals nutzte, als er davon sprach, dass wir nach Weisheit streben und uns dabei von dem, was bereits bekannt oder erfunden ist „fortschreiten“.

Dass das Neue gerne als das Bessere angesehen wird, das weist Spiekermann nach in den Schriften der Philosophen, Erfinder und Wissenschaftler der kommenden Jahrhunderte, in der immer deutlicher werdenden wissenschaftlichen Entwicklung weg von der Philosophie hin zu Mathematik und Naturwissenschaften und damit zu einem Denken in Modellen. Ja, bis hin zu der Vorstellung, dass sich die Zukunft prognostizieren lasse, wenn man nur die Vergangenheit kenne (Condorcet, 1793). Damit sind wir bei den heute gängigen Prognose- und Wachstumsmodellen, die sich durch die Vielzahl der jetzt vorliegenden Daten und Algorithmen noch viel schneller, einfacher und vermeintlich besser berechnen lassen. Dass das eben nicht klappt, dass sich daraus geradezu erschreckende Fehlentscheidungen ergeben können, das weist Spiekermann an der seit sieben Jahren plötzlich, unerwartet und überhaupt nicht prognostizierten Steigerung der Geburtenzahlen nach – und den daraus folgenden fehlenden Kita-Plätzen und Schulangeboten. Trotzdem: Die Idee, dass das Neue immer besser ist als das Alte und dass die neue Technik so viel zu leisten vermag als der Mensch, das ist in unserem Denken fest verankert. Und führt, zumindest bei denjenigen, die dieser Idee anhängen, den Transhumanisten, dazu, den Menschen als durch Maschinen zu optimierendes Wesen anzusehen.

Dem stellt Spiekermann ihren Ansatz der digitalen Ethik entgegen und fordert alle Beteiligten dazu auf, Werte zu leben. Die „Kunst des Weglassens“ könnte zum Beispiel eingesetzt werden, um den Wert der Gesundheit zu stärken. Dann nämlich, wenn gesammelte Gesundheitsdaten nicht weiter verkauft werden, sondern alleine der wissenschaftlichen Forschung dienen. In dieser Form setzt sich die Autorin mit weiteren Werten auseinander, mit den Werten des Wissens und der Freiheit. Gerade bei diesen Argumentationen in den abschließenden Kapiteln macht Sarah Spiekermann deutlich, welche Chancen in der Digitalisierung liegen, wenn ihre Nutzung werteorientiert ist und der Mensch zum Zielpunkt ihres Einsatzes wird.

Vermutlich werden die digitalen Güter, die Werte beinhalten, einen höheren Preis haben, als diejenigen, die Privatheit und Freiheit beispielsweise nicht berücksichtigen, so dass Werte eben nur den Nutzern zugänglich sein werden, die sie sich leisten können. Vielleicht erscheint die eine oder andere Forderung Spiekermanns auch unrealistisch, wenn sie vom „Willen zum Guten spricht“, vom „guten Leben“, von der gelungenen Lebensführung. Und fordert, dass Werte eben nicht durch „finanzielle Anreize“ eingeschränkt werden dürfen. Welche Anbieter werden sich an diese hehren Ziele halten? Welche werden tatsächlich werthaltige digitale Dienste für alle anbieten und ihr Angebot nicht nach Preisen differenzieren? Trotzdem: „Digitale Ethik“ ist ein ungemein anregendes und vielschichtiges – und nebenbei auch noch gut verständlich geschriebenes – Buch darüber, wie das Verhältnis von Mensch und IT in Zukunft sein könnte. Ein Buch, das die losen wissenschaftlichen Fäden vom technischen Fortschritt und von den Werten wieder zusammenbringt.

Sarah Spiekermann (2019): Digitale Ethik. Das Wertesystem für das 21. Jahrhundert, München, Droemer/Knaur

Wer mag, kann sich hier (https://sarahspiekermann.com/) und hier (https://www.wu.ac.at/ec/team/sarah-spiekermann) über die Autorin informieren und sie in Videos auch als Sprecherin bei Konferenzen sehen.

Book-a-Day-Challenge Day 18

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Especially in times of the pursuance and killing of people of a different faith or of different ideas by fanatic Islamists on the one side and equally fanatic fascists on the other side Voltaire’s text is more important than ever.

No philosopher has fought for this ideal more than the French Enlightenment thinker Voltaire. His treatise “Über die Toleranz” is a timeless document that shows how important religious moderation is. It is a plea for humility against megalomania, and for humanity against dogmatism. Wherever religious fanaticism occurs Voltaire is having none of it:

„Mensch, du erhebst dich über Gott, wo du andere Menschen aufgrund ihres Glaubens richtest.“

Unfortunately he does not speak about non-religious fundamentalism which is based on class, race or a nation at all in his treatise and that certainly is a major shortcoming from the vantage point of the present.

Voltaire’s text is a reaction to the religiously motivated judicial murder of the Protestant merchant Johann Calas. Voltaire, who was mainly known in well-educated parts of society before he published this treatise, became very popular with the masses with his text. His text is not – as some people assumed – an attack on or a plan to abolish Catholicism (even though he seems to have a slight preference for eastern philosophies) his interest lies in a tolerant, enlightened spirituality.

His text was the main reason that Johann Calas was posthumously rehabilitated and the legal scandal publicly denounced. Voltaire continued the tolerance discourse of the Enlightenment which was amongst others triggered by John Locke.

Which philosophical texts would you recommend?

Check out Hannah Arendt’s “Die Freiheit frei zu sein“, Steven Pinker’s „Enlightenment Now“ and Manfred Geier’s „Aufklärung – Das europäische Projekt

 

Book-a-Day-Challenge Day 6

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This groundbreaking essay was hard work for me and it took me a while and a second and third reading to be able to somewhat summarize my takeaways. It explores how in the age of mass media audiences can see a work of art or listen to music repeatedly and what the social implications of that might be.

Benjamin questions the notion of art, connecting the meaning and the value of it with the conditions in which it was produced, distributed and received.

Benjamin applies some of Karl Marx ideas by showing how the devaluing of an art work as a unique object in time and space might cause alienation in the artist and the viewer as a result.

There were a lot of interesting ideas especially with regards to film theory but I had the impression the book ended a bit abruptly so I felt a bit hanging there at the end.

“One of the foremost tasks of art has always been the creation of a demand which could be fully satisfied only later. The history of every art form shows critical epochs in which a certain art form aspires to effects which could be fully obtained only with a changed technical standard, that is to say, in a new art form. The extravagances and crudities of art which thus appear, particularly in the so-called decadent epochs, actually arise from the nucleus of its richest historical energies.”

In general reading Walter Benjamin felt to me like trying to catch soap bubbles. Oh and interesting idea, oh no it spins off in all direction, I try to catch it but it’s really hard to keep up 😉

I personally take away from the book as a consumer to fully engage with all the art that I consume.

Definitely not an easy read but definitely worthwhile. What other books by him would you recommend me to read?

Women in Science (14) Hannah Arendt

Heute möchte ich in den Women in Science eine Geisteswissenschaftlerin vorstellen, die keiner Vorstellung bedarf. Die von mir sehr verehrte Philosophin Hannah Arendt, die sich selber allerdings nie so bezeichnete, sondern eher als politische Theoretikerin und Publizistin.

Schon Kierkegaard war ja der Meinung, dass eines der lächerlichsten Dinge am modernen Leben die Tatsache sei, dass der Mensch keine Zeit mehr habe zu reflektieren – das schein im 19. Jahrhundert also nicht großartig anders gewesen zu sein als heute. Cocktail Bars sind aber auf jeden Fall ein Ort, an dem man sich die Zeit und den Raum nehmen kann und nehmen sollte, nachzudenken und über den Lauf des Lebens zu reflektieren.

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Philosophie und Cocktails haben eine lange und intime Geschichte, über die wir jetzt gerne noch deutlich mehr schreiben würde, das Problem ist, Hannah Arendt, über die wir heute Abend schreiben und der unser heutiger Cocktail gewidmet ist, partout keine Philosophin sein wollte.

Sie gilt als eine der einflussreichsten politischen Philosophinnen des 20. Jahrhunderts, auch wenn sie diesen Titel für sich selbst stets ablehnte. Ich habe mich ewig darüber gewundert, überlegt ob es in einer falschen Bescheidenheit begründet liegt, bis Thomas Meyer, Dozent für Philosophie an der LMU München, bei einer Veranstaltung im Literaturhaus München meinte, seiner Einschätzung nach habe sich Arendt mit dieser Äußerung einfach von der Philosophie distanzieren wollen, die sie bis zu einem gewissen Grad für die Gräueltaten des Holocaust und des Nationalsozialismus mit verantwortlich machte. Eine für mich neue, aber durchaus einleuchtende Theorie.

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Sie wirft der Philosophie vor, feindselig auf die Politik zu blicken und mit Blick auf die Gräueltaten des Holocaust und des Nationalsozialismus versagt zu haben. Sie kritisiert die künstliche Trennung zwischen praktischer und theoretischer Philosophie. Die politische Theorie stellte für sie eine mögliche Alternative zur Philosophie dar.

Der Text „Die Freiheit, frei zu sein“, der letztes Jahr wiederentdeckt wurde, ist erstaunliches Bestsellerlisten-Material. Er ist alles andere als zugänglich, es scheint, als wolle die Bevölkerung sagen „traut uns sowas Schwieriges zu“, „wir wollen nicht nur Leichtverdauliches“. Die Menschen wollen nicht mehr unterfordert werden und wehren sich gegen die sprachliche und intellektuelle Verwahrlosung unserer Zeit. Wollen einer konservativen Revolution etwas entgegensetzen, die allen voran ausgerufen wird von einem Typen, der das Wort „Freiheit“ nicht einmal buchstabieren kann.

Der Text ist das Transkript einer Rede, dass sie vor einem konservativen Think Tank in Chicago hielt, für die alles Denken und alle Philosophie nach Plato eigentlich nur noch eine Fußnote darstellte.

Gerade diesem steifen Publikum kommt Arendt – vermutlich charmant wie immer – gleich mit der Revolution ins Haus.

„Mein Thema heute ist, so fürchte ich, fast schon beschämend aktuell. Revolutionen sind inzwischen alltägliche Ereignisse, denn mit der Beendigung des Imperialismus haben sich viele Völker erhoben, um „unter den Mächtigen der Erde den selbständigen und gleichen Rang einzunehmen, zu dem die Gesetze der Natur und ihres Schöpfers es berechtigen.“

Revolutionen werden für die Freiheit gemacht. Aber Freiheit von was? In der Regel folgen auf Befreiungen erst einmal Terror und die wichtigste Frage ist nicht so sehr wie erlange ich Freiheit, sondern wie bewahre ich die Freiheit? Freiheit darf für Hannah Arendt nicht in der Passivität bleiben (noch einmal ein Wink mit dem Zaunpfahl nach Freiburg) Freiheit muss rückverankert in die Gesellschaft sein, es muss das Ziel jedes Einzelnen sein, Freiheitsräume zu schützen, denn Freiheit geht jeden an.

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Hannah Arendt hat mit diesem gut fünfzig Jahre alten Text ein Gegengift in die Welt gesetzt, dass uns hilft darüber nachzudenken, was in unserer Zeit und in unserer Gesellschaft erhaltenswert ist.

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Es lebe die Freiheit und Hannah Arendt 😉

Wer noch mehr möchte – hier der link zu ihrem unvergesslichen Interview mit Günter Gaus:

Be like Water

ego and lee

Eigentlich verrückt, die Biografie eines Schauspielers und Kung Fu Meisters zu lesen, von dem man nicht einmal einen Film geschaut hat. Auf Lees Biografie bin ich durch mein Fangirling auf Maria Popovas Seite „Brainpicking“ gestoßen, die vor einigen Jahren schon über das Buch geschrieben und mich sehr neugierig gemacht hat. Hier könnt ihr den entsprechenden Beitrag von ihr dazu lesen.

Bruce Lee ist ein Name, den viele kennen und man hat ihn als Schauspieler in mittelprächtigen Kung Fu Filmen der 1970er Jahre abgespeichert. Ich war recht überrascht zu lesen, dass er sich intensivst mit fernöstlicher und westlicher Philosophie beschäftigt hat und sein „Be like water“ Zitat dürfte weltberühmt sein. Bruce Lee war ein sehr intensiver Mensch, mit unglaublich Präsenz sowohl persönlich als auch auf dem Bildschirm. Besonders symphatisch war mir seine unglaubliche Leidenschaft für das Lesen und das Lernen.

Er füllte eine Menge an Notizbüchern, in denen er sich viel mit Philosophie, den Büchern die er gelesen hatte und seiner Kampfsportart Kung Fu beschäftigte. In der Philosophie faszinierte ihn die Verbindung zwischen westlicher und fernöstlicher Lehre, die er für sich in eine ganz eigene persönliche Philosophie der Selbsterkenntnis verwandelte. Das Buch „Bruce Lee: Artist of Life“ gibt Einblicke in seine persönliche Weiterentwicklung und ist eine spannende Mischung aus Philosophie, Psychologie, Poesie, Kung Fu und Schauspielkunst.

“The ideal is unnatural naturalness, or natural unnaturalness. I mean it is a combination of both.
I mean here is natural instinct and here is control. You are to combine the two in harmony.
Not if you have one to the extreme, you’ll be very unscientific.
If you have another to the extreme, you become, all of a sudden, a mechanical man
No longer a human being.
It is a successful combination of both.
That way it is a process of continuing growth.
Be water, my friend.

In dem Band sind auch eine Auswahl von Lees Briefen an Freunde und Bekannte enthalten, in denen er äußerst eloquent seine Gedankengänge nachvollziehbar macht und stets wohlmeinende Empfehlungen und Tipps zur persönlichen Entwicklung weitergibt.

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Im Buch sind auch zahlreiche Variationen eines Textes, in dem er über Kung Fu schreibt, diese waren mir irgendwann etwas zu repetitiv, das ist aber mein einziger Kritikpunkt an diesem Band, der einen Einblick in seine spannende Persönlichkeit bietet.

Sein tragischer Tod mit nur 33 Jahren konnte nie komplett aufgeklärt werden. Studiobosse sollen ihn aus ästhetischen Gründen gebeten haben, sich die Unterarm Schweißdrüsen entfernen zu lassen. Es gibt Mutmaßungen, dass ein sehr anstrengendes Training ggf. zu Überhitzung und Kopfschmerzen führte, gegen die ihm eine Schauspiel-Kollegin das Schmerzmittel Equagesic gab. Er legte sich hin, kam nicht zum Dinner zurück und konnte auch nicht wieder aufgeweckt werden. Bei Ankunft im Krankenhaus konnte nur noch sein Tod festgestellt werden.

Hier noch ein interessantes Interview mit Bruce Lee:

Direkt im Anschluß las ich „Ego is the Enemy“ von Ryan Holiday. Schon der Titel hätte Bruce Lee wahrscheinlich gefallen und dessen Interesse an Taoismus und Stoizismus hätte bestens zu Ryan Holiday gepasst, einem Autor, der sich als selbsternannter moderner Stoiker ausgiebig mit dieser Philosophieschule beschäfigt.

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Ryan Holiday beschäftigt sich mit dem Ego, unserem größten Feind. Es kann uns davon abhalten, Notwendiges zu lernen, weil wir uns überschätzen und uns damit selbst im Weg stehen, unsere Talente zu entwickeln. Ist man erfolgreich ist, besteht stets die Gefahr, die eigenen Fehler zu übersehen, läuft gerade vieles schief, kann das eigene Ego extrem hinderlich daran sein, es erneut zu versuchen.

Amor Fati – die Liebe zum (eigenen) Schicksal ist ein wichtiges Konzept für Holiday. Gerade die schwierigen Episoden in unserem Leben machen uns zu den Menschen, die wir sind. Häufig muss man erst einmal ganz tief fallen, bevor man in der Lage ist, über sich hinaus zu wachsen.

“Impressing people is utterly different from being truly impressive.”

„Ego is the Enemy“ erinnert uns daran, dass wir alle stinknormal sind. Keiner schuldet uns etwas, wir sind nicht weniger, aber auch nicht mehr als Sternenstaub. Wir sind Teil des Universums, von etwas, das soviel größer ist als wir selbst. Wer am Meer sitzt, in der Natur wandert oder die Sterne beobachtet, bekommt einen Eindruck davon wie klein und unwichtig wir eigentlich sind. Aber auch von der unglaublichen Schönheit um uns herum.

“Your potential, the absolute best you’re capable of—that’s the metric to measure yourself against. Your standards are. Winning is not enough. People can get lucky and win. People can be assholes and win. Anyone can win. But not everyone is the best possible version of themselves.”

Ein Buch das daran erinnert, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen, uns um unsere Mitmenschen und die Natur zu kümmern, denn das Ego ist gar nix und Liebe ist Alles 😉

“When we remove ego, we’re left with what is real. What replaces ego is humility, yes—but rock-hard humility and confidence. Whereas ego is artificial, this type of confidence can hold weight. Ego is stolen. Confidence is earned. Ego is self-anointed, its swagger is artifice. One is girding yourself, the other gaslighting. It’s the difference between potent and poisonous.” 

 

 

Book-a-Day Challenge – Day 9

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I had never heart of Will Durant before somebody recommended this really excellent „The Story of Philosophy“ to me. When I looked him up I was astonished to see that this guy has basically written the entire History of the World in 11 volumes in collaboration with his wife Ariel. They had planned it into the 20th century, but due to their old the 11th volume The Age of Napoleon ended in 1975. They left behind notes for a 12th volume, The Age of Darwin, and an outline for a 13th, The Age of Einstein, which would have taken The Story of Civilization to 1945.

Their idea was to unify and humanize the great body of historical knowledge, which had become fragmented into esoteric specialties and too complex, and to vitalize it for contemporary application.

The couple shared a very intense love for each another. After Will entered the hospital, Ariel stopped eating, and died on October 25, 1981. Though their daughter, Ethel, and grandchildren strove to keep Ariel’s death from Will, he learned of it on the evening news, and died two weeks later, at the age of 96, on November 7, 1981.

Back to „The Story of Philosophy“ in which Durant profiles several important Western philosophers and their ideas from Socrates and Plato to Nietzsche. Durant was aiming to show the interconnectedness of their ideas and how each philosopher build on the ideas of the ones before him.

There are nine chapters each focused on one philosopher, and two more chapters each containing briefer profiles of three early 20th century philosophers namely Henri Bergson, Benedetto Croce (of whom I had never heart before) and Bertrand Russell who published his „History of Western Philosophy“ in 1945 and is an equally astonishing read

In a later edition Durant accepted the criticism for not including philosophers from Asia.

The book was published in 1926 but also due to its subject the book has aged well. Will Durant is a good writer and the book is very accessible. I think it makes a really good Christmas present for anybody who’s interested in testing the waters of Philosophy.

Are you interested in Philosophy and which philosopher interests you the most?

Skin in the Game – Nassim Nicholas Taleb

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Nassim Nicholas Taleb oder auch NNT ist eine ziemliche Diva und es ist ganz offensichtlich, dass er eine ganze Reihe Menschen für absolute Idioten hält. Er ist sehr von sich und seinen Ansichten überzeugt, klingt auch sehr überzeugend, aber ob er wirklich so umfassend im Recht ist mit all seinen Ansichten, weiß ich wirklich nicht.

Ich glaube NNT macht sich mit jedem neuen Buch auch neue Feinde und wenn der Leser dieses Buches sich hier nicht wenigstens 1-2 mal angegriffen fühlt und empört ist, dann hat er das Buch glaube ich nicht richtig gelesen. Taleb ist sehr direkt, hat eine scharfe Zunge, aber mit einigen Sachen hat er durchaus Recht. Mich stört nur, dass er seine doch recht scharfen Meinungen nicht immer mit wirklich nachvollziehbaren Argumenten stützt, sondern es dem Leser überlässt, sich den Beweis seiner Thesen selbst zu suchen.

„Ausschlaggebend ist nicht, was eine Person hat oder nicht hat; ausschlaggebend ist, was sie Angst hat zu verlieren“

„Wer redet, sollte auch handeln, und nur wer handelt, sollte auch reden“

„Lassen Sie sich nicht von Personen beraten, die davon leben, Ratschläge zu geben, es sei denn, sie haften für die Folgen“

„Bürokratie ist ein Mechanismus, durch den eine Person von den Folgen ihres Handelns abgetrennt wird.“

„Es ist schlichtweg unmoralisch ein öffentliches Amt zur persönlichen Bereicherung auszunutzen“

Die Prämisse des Buch ist, dass man den Meinungen oder Prognosen anderer Leute nur dann Wert beimessen soll, wenn diese auch tatsächlich „Skin in the Game“ haben, also wenn sie auch persönlich etwas einsetzen und etwas zu verlieren haben. Es sind die Resultate die zählen, Meinungen und Gerede allein ist wertlos. Es ist seiner Meinung nach einfach, eine Menge Meinungen zu vertreten oder Dinge anzuleiern, wenn man selbst keinerlei Konsequenzen zu fürchten hat, oder man vom Ergebnis selbst nicht betroffen ist. Das gilt in seinen Augen insbesondere für Akademiker oder die Intellektuellen, die NNT ein ganz besonderer Dorn im Auge sind. Er setzt viel auf die „harten“ Naturwissenschaften, die seiner Meinung nach durch das Falsifikationsprinzip vor einfachen Glaubenssätzen stärker geschützt sind.

Das Buch ist eine ziemliche Schimpftirade und größtenteils etwas unstrukturiert, fast schon ein wenig stream-of-consciousness. Es hat mich stellenweise sehr begeistert, oft hätte ich NNT aber auch gerne vors Schienbein getreten, wenn er sich in meiner Nähe befunden hätte. Man mag nicht immer mit ihm übereinstimmen, aber er bringt einen zum Nachdenken, ist ein sehr kluger Kopf und er läßt nie einen Zweifel, auf welcher Seite er sich bei der jeweiligen Fragestellung gerade befindet.

Es geht ihm um Symmetrie, darum, den Schaden zu teilen das Bonus/Malus System, also auch eine Strafe zu zahlen, wenn etwas misslingt. Wie schwierig und vielleicht überholt die bestehende Links-Rechts-Etikettierung ist, zeigt sich vielleicht an diesem Spruch:

„Auf Bundesebene bin ich Liberalist;
auf Staatsebene Republikaner;
auf Kommunalebene Demokrat;
und auf der Verwandten- und Bekanntenebene Sozialist“

Mich hat das Buch nicht durchgängig überzeugt, aber es ist eine interessante und provokante Lektüre, die mich zumindest auf einige Autoren wie Frédéric Dard, Libanius Antiochus, Michael Oakeshort, Ibn Battuta, Saadia Gaon oder Ammianus Marcellinus aufmerksam gemacht hat, von denen ich bislang noch nie gehört hatte.

Ich danke dem Penguin Random House Verlag für das Rezensionsexemplar.

Hier ein Vortrag des Autors zum Thema „Antifragilität“:

21 Lektionen für das 21. Jahrhundert – Yuval Noah Harari

“In a world deluged by irrelevant information, clarity is power.”

In „Sapiens: A Brief History of Humankind“ führt uns Harari durch die Geschichte der Menschheit und nimmt uns in „Homo Deus“ mit in die Zukunft, in die wir als Spezies unterwegs sind. In den „21 Lessons for the 21st Century“ beschäftigt er sich mit den größten Herausforderungen, vor denen wir heutzutage stehen und was wir in der näheren Zukunft erwarten sollten. Es wird euch wahrscheinlich nicht überraschen, das ist überwiegend nicht gerade lustig, aber Harari verbreitet keinesfalls reine Weltuntergangsstimmung, sondern zeigt Wege auf, uns aus der Erstarrung zu lösen und erste Schritte zu machen, um mögliche Lösungen zu finden.

Wir können nicht wirklich vorhersagen, welche Änderungen Artifial Intelligence, Machine Learning und andere Technologien bringen werden und wie sie sich auf unser Leben auswirken werden, was wird sich hoffentlich dadurch verbessern wird, aber auch, auf welche Risiken wir vorbereitet sein sollten. Unsere Welt ist so derart anders, als die Welt von vor 500 Jahren zum Beispiel, wir können also davon ausgehen, dass die Welt schon in 100 Jahren eine wiederum komplett andere sein wird. Schon jetzt haben wir das Gefühl, dass sich permanent alles verändert und wir mit den Änderungen gar nicht mehr Schritt halten können. Ich denke, das Tempo wird sich eher erhöhen und wir müssen als Spezies lernen, uns auf diese Dauerveränderungen besser einzustellen.

Wie müssen wir unsere Kinder erziehen, was müssen sie in der Schule lernen, um für eine so volatile Zukunft das beste Rüstzeug zu haben? Wie können wir selbst lernen, wer wir eigentlich sind, bevor Algorithmen uns besser kennen, als wir selbst und uns nach Beliebigkeit manipulieren?

“Humans think in stories rather than in facts, numbers, or equations, and the simpler the story, the better.”

Harari beschäftigt sich mit diesen Fragen als auch mit den Themen Politik, Terrorismus, Bildung, Klimawandel, Religion etc. Wie schon in seinen vorherigen Büchern verteilt er kräftig Hirnfutter in Form von Fakten, regt zum Nachdenken an und bietet erste Lösungsideen, auf denen man weiter herum denken kann.  Dieses Buch ist philosophischer als die beiden vorherigen und bringt den Leser dazu, intensiv über uns als Menschheit, unsere Geschichte und Geschichten, unsere Vergangenheit und unsere Zukunft nachzudenken.

Wenn wir als Spezies nicht einfach nur überleben, sondern auch eine lebenswerte Zukunft für alle (inklusive der Tier- und Pflanzenwelt) schaffen wollen,  muss es uns gelingen, uns von überholten Legenden und Geschichten zu lösen wie Nationalismus, Religionen oder unsere Besessenheit, mit dem Markt als einzig regulierendem Element. Wir müssen lernen zu akzeptieren, dass unsere eigene Sicht auf die Welt nicht automatisch die Sicht eines anderen sein muss und das deren Leiden weniger ernst zu nehmen ist, als unser eigenes. Wenn wir es als Menschheit schaffen wollen im Angesicht von Klimawandel, Demokratie-Erodierung und sich immer tiefer spaltenden Bevölkerungen, dann wird uns das nur gelingen, wenn wir als Weltbürger zusammen kommen.

Ich hoffe nicht, dass die Erhaltung der Erde als einen für unsere Spezies bewohnbaren Planeten als weiteres Kapitel unter der „Tragedy of the Commons“ laufen wird.

Morality doesn’t mean ‘following divine commands’. It means ‘reducing suffering’. Hence in order to act morally, you don’t need to believe in any myth or story. You just need to develop a deep appreciation of suffering.” 

Ich hoffe, wir schaffen es Vorurteile und jegliches völkisches Stammesgehabe hinter uns zu lassen. Das war hilfreich für unsere Jäger & Sammler Vorfahren, wird uns aber bei den Problemstellungen, die wir als Menschheit heute vor uns haben, eher hinderlich sein.

“Questions you cannot answer are usually far better for you than answers you cannot question.”

Für mich ist Harari ein Licht in der Dunkelheit und ich finde seine Bücher enorm wichtig. Es ist vielleicht nicht sein bestes Buch, aber da war so viel in dem Buch, dass mich zum Nachdenken gebracht that. Auch wenn vieles natürlich spekulativ ist und er bewusst teilweise überzeichnet, es geht darum, den Leser zu provozieren und zum Nachfragen und Denken zu bringen und das kann meines Erachtens fast keiner so gut wie Harari.

Ich danke dem CH. Beck Verlag für das Rezensionsexemplar.

Hier ist ein sehr spannendes Interview mit dem Autor:

Lukrez und die große Wende

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Foto: Wikipedia

Der griechische Philosoph Epikur (341 – 270 BCE) gründete eine philosophische Schule, die hunderte von Jahren in der hellenistischen und römischen Welt gedeihte und viele Anhänger hatte. Von Epikur sind uns leider nur ganz wenige Fragmente seiner Schriften erhalten geblieben. Das wohl am besten erhaltene Schriftstück ist das vom römischen Dichter Lukrez verfasste Gedicht „Über die Natur der Dinge“. „The Swerve“ ist Stephen Greenblatts Interpretation, wie das Gedicht von einem humanistischen Beamten namens Poggio Bracciolini aus dem Vatikan im 15. Jahrhundert wieder entdeckt und gerettet wurde und welchen Einfluss dieses Ereignis auf den Verlauf der Geschichte nehmen sollte.

Bracciolini war ein Bücher- bzw Manuskriptjäger. Er und auch andere Humanisten seiner Generation suchten in ganz Europa in Klösterbibliotheken nach antiken Manuskripten und versuchten, diese vor dem Vergessen zu bewahren. Poggio entdeckte Lukrez‘ Gedicht vermutlich in einem deutschen Kloster im Jahr 1417. Poggio ist ein ungewöhnlicher Charakter seiner Zeit: er ist neugierig, in einer  Zeit in der das absolut nicht als Tugend gesehen wurde und er ist fasziniert von den Ideen und Schriften der heidnischen Antike, ein nicht ungefährliches Hobby für ihn, das ihn oft gefährlich nah in die Ecke der Ketzerei bringt.

Das Gedicht hatte immensen Einfluss auf die Denker der Renaissance. Sein Einfluss kam nicht nur von der großen Schönheit der Sprache, sondern auch von der subversiven Natur, die Epikurs Philosophie zu Grunde liegt. Epikur war ein Materialist. Er glaubte, dass alles in der Natur aus fundamentalen kleinen Partikeln besteht, die er Atome nannte. Diese Atome existieren in unbegrenzter Leere, aber nach Epikurs Ansicht in bestimmten Formen und Größen. Sie sind unsterblich und wurden nicht von irgendwem erschaffen und sie werden auch nie enden. Epikur glaubte, dass Atome sich ständig bewegen und miteinander kollidieren und dabei sämtliche existierende Formen des Universums bilden, inklusive des Menschen, die nach Epikurs Auslegung ebenfalls nicht einzigartig geschaffen werden. Darüberhinaus sind die Anhänger von Epikur überzeugt, dass es einen freien Willen gibt.

Ausgehend vom Materialismus glaubte Epikur auch nicht an irgendeine Form von Leben nach dem Tod oder Auferstehung. Wenn wir sterben, setzen wir unsere Atome frei und diese formen dann neue Dinge. Er lehnte Religion grundsätzlich als Irrglauben und Täuschung ab, die den Menschen davon abhalten, glücklich zu sein. Damit der Mensch nach Glück streben kann und glücklich sein kann, muss er sich von diesen Illusionen lösen.

Epikurs Materialismus war – nicht sehr überraschend – absolute Ketzerei für die Christen und aus diesem Grund wurde Epikur stets heftig von ihnen attackiert. Eine der nachhaltigsten und am Weitesten verbreite Anschuldigung gegen ihn war der Vorwurf seines grenzenlosen Hedonismus. Dieser Vorwurf lässt sich aber recht leicht widerlegen. Epikur glaubte nämlich, dass der Mensch maßvoll leben sollte und durch Reflektion und Kontemplation ein gelassenes Leben führen kann, das frei von Ängsten und körperlichen Schmerzen ist. Für Epikur ist diese Kombination aus Gelassenheit und Freiheit von Angst und Schmerz der Weg zum Glück.

Als Poggio das Manuskript „Von der Natur der Dinge“ in die europäische Gesellschaft des 15. Jahrhunderts entlässt, war es kein Wunder, dass die christlichen Autoritäten versuchten, es zu unterdrücken wo sie nur konnten. Was das Gedicht rettete und seine Zerstörung verhinderte, war seine absolut wunderbare Sprache. Selbst christliche Gelehrte konnten sich dieser Wirkung nicht völlig entziehen und es wurde – oft heimlich – immer wieder untereinander ausgetauscht und abgeschrieben. Auch der Atomismus/Materialismus Epikurs begann seinen Einfluss zu entfalten, den man am Stärksten in den Werken von Malern wie Raphael oder Leonardo da Vinci sieht oder in den Schriften von Machiavelli, Giordano Bruno und einigen anderen.

Greenblatt hat mich mit diesem Buch sehr beeindruckt. Er hat ein intellektuelles, aber sehr eingängiges Buch geschrieben, das sich intensiv mit Epikurs Philosophie, Lukrez‘ Poesie und Poggio Braccolinis wunderbarem Triumph beschäftigt. „The Swerve“ erhielt den Pulitzer Preis 2012 und wer das Buch liest, versteht sehr schnell warum. Eines meiner absoluten Lieblingsbücher dieses Jahr. Lukrez’ Gedicht “Von der Natur der Dinge” ist überraschend modern und war zu seiner Zeit unglaublich radikal. Greenblatt schafft es wunderbar, die Geschichte des „Buchjägers“ Poggio Bracciolini mit dem Fall Roms und dem Finden von raren antiken griechischen und römischen Dokumenten die in Klöstern verborgen sind zu verbinden.

Lukretius

Wie gut es für die Nachwelt ist, dass die meisten Texte im Laufe der Jahrhunderte nicht aus einer intellektuellen Stimulanz heraus wieder und wieder von Mönchen kopiert wurden, sondern aus einem mechanischen Akt des Gehorsams heraus, das wurde mir erst durch Greenblatts Buch bewusst. Ein intellektuell stimulierter Mönch wäre deutlich mehr in Versuchung gewesen, mit dem Text zu interargieren und ihn gegebenenfalls zu ändern oder zu ergänzen, wodurch wir den Mönchen im Nachhinein für ihr stumpfes Abschreiben dankbar sein können.

“The Swerve” ist nicht nur eine romantische Geschichte über besessene Buchjäger, es ist so so viel mehr. Das Buch erzählt von Leidenschaft und Opferbereitschaft, aber auch von Fanatismus und philosphischer Entschlossenheit. Die Glaubenskriege, die heute toben sind nichts Neues, sondern im Grunde nur eine Weiterführung der Kämpfe von Angst gegen Rationalität und Glaube gegen Logik. Ketzer, die an Atome und nicht an die Seele und ein Leben nach dem Tod glaubten, wurden lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrannt, oft nach qualvoller Folter und Verstümmelungen, alles im Namen der Religion. Ideen haben schon immer eine unglaubliche Kraft besessen, waren gefährlich und konnten einem im Handumdrehen das Leben kosten. Intoleranz ist leider nichts neues und sehr weit sind wir in unserer Entwicklung da leider noch nicht gekommen. Überraschend fand ich auch, dass Thomas Jefferson sich selbst als Epikureer gesehen hat und Amerika auf sein „Streben nach Glück“ auf den philosophischen Gedanken von Demokrit und Epikur basiert. Auf diese Grundwerte sollten sich nicht nur die Amerikaner wieder einmal zurückbesinnen, denn mit Angst alleine werden wir unsere Zivilisation nicht weiterentwickeln.

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Die Lektüre von Lukrez‘ Gedicht kann ich nur jedem ans Herz legen. Wer Latein spricht, den beneide ich, doch auch deutsche Übersetzung war von unglaublicher Klarheit und Schönheit und es ist eines der Bücher, das man immer wieder aus dem Regal nimmt um darin zu blättern und sich festzulesen. Die Büchergilde hat mit der Ausgabe in der Übersetzung von Klaus Binder ein absolutes Schmuckstück geschaffen.

The Swerve“ ist auf deutsch unter dem Titel „Die Wende: Wie die Renaissance begann“ im Siedler Verlag erschienen.

Über der Natur der Dinge“ ist bei der Büchergilde Gutenberg erschienen.