Ich habe schon so viele literarische Reiseberichte verfasst für diesen Blog, aber meine Heimatstadt, die habe ich bislang schmählich vernachlässigt. Das soll sich heute ändern. Anlass war unser Besuch in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt den sich meine Schwiegermama mit uns gewünscht hatte. Sie wollte immer schon mal die Mainzelmännchen Hauptstadt kennenlernen und der diesjährige Geburtstag der Bingereader-Gattin ließ sich bestens mit dem Weinfest in Nierstein verbinden.
Passende Reiselektüre war auch kein Problem, es stand noch eine ungelesene Anna Seghers Novelle im heimischen Bücherschrank.
Mit Mainz verbinden viele Menschen hauptsächlich Fastnachtssitzungen, Mainzelmännchen und „wolle mer se roilasse“ dabei ist Mainz natürlich noch sehr viel mehr.
Vor über 2000 Jahren von den Römern gegründete Stadt, begegnet man dem römischen Erbe an fast jeder Ecke. Für mich war das normalste auf der Welt als Kind in sämtliche Baustellen reinzuschauen, weil man sich fast sicher sein konnte, das etwas römisches zu Tage tritt. Neben spektakuläreren Fundstücken wie den nahezu komplett erhaltenen Römerschiffen, dem riesigen Amphitheater und dem Isis-Tempel, finden sich auch jede Menge Tore, Säulen, Steine etc
Im späten Mittelalter hatte dann mein persönlicher Held Johannes Gensfleisch genannt Gutenberg seinen Auftritt. Er gilt als Erfinder der beweglichen Lettern und damit der Buchdruckkunst und jedes Jahr zelebriert man während des Johannnisfests das „Gautschen“, die Buchdruckertaufe: „Bei der Zeremonie werden seit dem 16. Jahrhundert Gesellen in ein großes, mit Wasser gefülltes Holzfass eingetaucht und somit symbolisch von den Sünden der Lehrjahre und dem Bleistaub befreit. Diese Tradition wird heute immer am Johannisnacht-Samstag, in historischen Kostümen auf der Bühne am Liebfrauenplatz fortgeführt. Bei den Lehrlingen handelt es sich inzwischen hauptsächlich um Mediengestalter*innen, die ihre Ausbildung frisch beendet haben.“ (aus http://www.johannisnacht.de)
Einen Besuch im Gutenberg-Museum kann ich natürlich sehr empfehlen, aber wer wenig Zeit hat und sich entscheiden muss, unbedingt in den daneben gelegenen Druckladen gehen. Dort können sich Große und Kleine als Buchdrucker üben und die selbst gedruckten Erzeugnisse stolz mit nach Hause nehmen. Großer Spaß für wenig Geld.
Neben all den Römern, Buchdruckern und Mainzelmännchen ist der Wein in Mainz natürlich allgegenwärtig. Samstag morgens nach dem Einkauf auf dem Markt mit Weck, Worscht und Woi ins Wochenende starten
Foto: Mainz.de
Durch die französische Besetzung 1792 – 1814 wo in Mainz ab 1798 französisch als verbindliche Amtssprache galt, gelangten einige Wörter in den alltäglichen Mainzer Sprachgebrauch. Ein paar Beispiele gefällig?
Bagaasch: Familie (fr.bagage) *Coupé: Abteil (fr. coupé) *Briambel: Gezänk (fr. preámbule)*Buddige: Laden (fr. boutique) *Dormel: Schlafmütze (fr. dormir)* *Kannapee/Schesselong:Sofa (fr. canapé/chaise longue) *Kondukteer: Schaffner (fr.conducteur) *Monder: Schaufenster (fr. montrer) *Portmonee:Geldbörse (fr. porte-monnaie) *Regadd: Angst (fr. regard)*Trottwaa: Bürgersteig (fr. trottoir)
(aus dem Merkurist)
Wunderschön sind im Übrigen auch die Chagall-Fenster in der Stephanskirche, die man sich bei einem Besuch nicht entgehen lassen sollte.
Neben Carl Zuckmayer ist Anna Seghers wohl die bekannteste Autorin die in Mainz das Licht der Welt erblickte.
Aus Mainz.de:
Anna Seghers wurde am 19. November 1900 als Netty Reiling in Mainz geboren. Sie war das einzige Kind des jüdischen Antiquitäten- und Kunsthändlers Isidor Reiling (1868-1940) und seiner Frau Hedwig, geb. Fuld. Der Vater gehörte dem orthodoxen Teil der Mainzer jüdischen Gemeinde an, die Mutter engagierte sich im Vorstand des jüdischen Frauenbundes. Sie wurde 1942 in das Lager Piaski bei Lublin in Polen deportiert und dort ermordet. Netty wurde in der Religion der Eltern erzogen, trat dann aber zwischen 1925 und 1927 aus der jüdischen Gemeinde aus. Die jüdisch-christlichen „Wurzeln“ ihrer Herkunft sind in vielen ihrer literarischen Werke erkennbar.
Netty besuchte ab 1907 eine angesehene Privatschule in Mainz, wechselte nach drei Jahren auf die Höhere Mädchenschule und kam 1917 schließlich auf das Gymnasium, auf dem sie 1920 das Abitur erlangte. Danach begann Netty Reiling ein Studium der Philologie und Kunstgeschichte in Heidelberg und Köln, das sie 1924 mit einer Dissertation über „Das Jüdische im Werke Rembrandts“ abschloss.
In Heidelberg lernte sie ihren späteren Mann, den ungarischen Philosophen und Kommunisten László Radványi, kennen, den sie nach ihrem Studium nach Berlin begleitete. 1928 trat sie selbst der KPD und dem „Bund Proletarisch Revolutionärer Schriftsteller“ (BRPS) bei. Aufgrund ihres politischen Engagements und ihrer jüdischen Herkunft besonders gefährdet, floh sie schon 1933 aus Deutschland und lebte fortan mit ihrem Mann und den beiden Kindern im Exil in Frankreich und Mexiko.
1947 kehrte Anna Seghers zurück und lebte bis zu ihrem Tod im Jahre 1983 in Ostberlin. Mit ihrem literarischen Werk und ihrem gesellschaftlichem Engagement wollte sie das „neue Deutschland“ auf antifaschistischer Grundlage aktiv mitgestalten.
Mit dem Roman „Das Siebte Kreuz“ (1942) und der Erzählung „Ausflug der toten Mädchen“ (1944) setzte die Autorin, eine der bedeutendsten Erzählerinnen des 20. Jahrhunderts und seit 1981 Ehrenbürgerin, Mainz ein unvergängliches literarisches Denkmal.
