Kreta by the Book oder auch Juni Lektüre

Ich habe mich den ganzen Juni mit Kreta, dem Meer und der Antike beschäftigt, auch wenn der eigentliche Urlaub nur zwei Wochen dauerte. Ich lese ja nach Möglichkeit immer gerne Bücher die zu meinem jeweiligen Aufenthaltsort passen, natürlich in Kombination mit innerer Wetterlage, aber diese Kombination ist auf jeden Fall eine meiner liebsten. Ich habe schon vor dem Urlaub mit der Lektüre begonnen, bzw den gesamten Monat diesem Themenkomplex gewidmet, da ich einige gewichtige Bücher zu diesem Thema angesammelt hatte, die ich unmöglich noch in den Koffer bekommen hätte, so dass ich mich bei den Büchern, die ich vor Ort lesen wollte und konnte, etwas beschränken konnte.

Meine beiden Lieblingsländer bzw -inseln sind Griechenland und Schottland bzw Kreta und Skye und ich habe das riesige Glück, dieses Jahr sogar beide besuchen zu können. Unser Urlaub war phänomenal schön und ich kann mich nur schwer wieder in diese meer-ferne bayrische Lebenswelt zurückfinden.

Landschaftlich sind sich die beiden Länder übrigens viel ähnlicher als man so denkt, ich werde auch in diesen Bericht hier ein Schottland-Bild einmogeln und ihr müsst versuchen, herauszufinden welches es ist 😉

Jetzt aber erst einmal zur Lektüre, wie immer ein kurzer Schnelldurchlauf in alphabetischer Reihenfolge:

Das lebende Meer – Jacques-Yves Cousteau übersetzt von Isolde Kolbenhoff, erschienen im Verlag Buch und Welt (nur noch antiquarisch erhältlich)

Jacques-Yves Cousteaus unentdeckter Kontinent ist der Meeresgrund und die Gräben der Tiefsee. Durch seine hartnäckigen Versuche seit den 1950er Jahren das Steigen und Fallen der rätselhaften Tiefenstreuschichten im Meer zu erforschen, und sein Drang, immer mehr über das Leben auf dem Meeresgrund zu erfahren, führten zur Erfindung der Tiefsee-Kameraschlitten, die tausend Meter unter der Meeresoberfläche über den Meeresboden gleiten und Phänomene fotografieren, die bis dahin nie ein Mensch zu Gesicht bekommen hatte.

Mit Hilfe seiner „tauchenden Untertasse“, einem Düsen-Uboot mit Bullaugen und mechanischen Greifern begegnen wir in diesem Buch lange unbekannten Lebewesen wie silberne Fische, die wie eine Triangel geformt sind, Fische deren Haut wie ein Schachbrett in Felder aufgeteilt ist, Tiefseehaie, Riesenkranken und vieles mehr. Wir lernen den Lastwagenfisch kennen und freunden uns mit „Ulysses“ an, einem Riesen-Zackenbarsch, der den Tauchern wie ein treuer Hund durchs Wasser folgt und ihr Lieblingstier wird.

Cousteau und seine Mannschaft (bis auf seine Ehefrau alles Männer) sind aber in mancher Hinsicht auch Kinder ihrer Zeit. Ich war ziemlich schockiert, über ihr vorsätzliches brutales Erschlagen von Haien, weil diese ein kleines verletztes Walbaby gefressen hatten oder ihr Reiten auf Riesenschildkröten. Das Buch ist eine Sammlung von National Geografic Artikeln die zwischen Januar 1954 und Juli 1961 erschienen waren und diese anfänglich überwiegend von Abenteuerlust getriebenen Expeditionen sind später nach und nach wissenschaftlicher geworden und der Tier- und Umweltschutzgedanke begann auch Cousteau und seine Leute stärker zu beeinflussen. Wir haben es zu einem großen Teil auf jeden Fall Cousteau zu verdanken, dass das Mittelmeer nicht zu einem Atommüll-Lager wurde, denn die Plände in den 1950/60er Jahren sahen exakt das vor und es war unter anderem dem unermüdlichen Protest von Cousteau und anderen zu verdanken, dass man von dieser Idee irgendwann absah.

Neben den Beobachtungen des Lebens auf dem Meeresgrund, standen auch Tauchexpeditionen zu gesunkenen Schiffen auf dem Programm und ein Experiment bei dem zwei Männer erstmalig eine Woche lang ununterbrochen unter Wasser leben.

„Noch immer degradieren manche Biologen das Mittelmeer zu einem „sterilen“ Meer. Ich wünschte, ich könnte bei derartigen Gelegenheiten diese Leute an Bord der Calypso haben. Zwischen der Cote d’Azur und Korsika sind wir oft dem begegnet, was wie ein Rudel hier ansässiger großer Blauwale aussah. Ein dutzendmal im Jahr fuhren wir hier durch und stellten immer mindestens zwei große Wale fest, die herumwanderten, als hätten sie Eigentumsrechte.“

Ein spannendes Zeitdokument, das mich beim Lesen wiederholt in meine Kindheit zurückbeamte, wo ich fieberhaft mit dem Opa vorm Fernseher saß, wenn Cousteau mit seinem knallgelben Uboot abtauchte und wir gemeinsam mit ihm die Tiefsee erforschten. Ein Buch das ich mit einigen Einschränkungen auch heute noch mit großem Interesse und Spaß gelesen habe.

Reisende Helden (Travelling Heroes) – Robin Lane Fox übersetzt von Susanne Held erschienen im Klett-Cotta Verlag

Im Zentrum des Buches stehen die reisenden Zeitgenossen Homers: euböische Griechen des 8. Jahrhunderts, die als Seefahrer und Piraten rund um das Mittelmeer unterwegs waren, Handel trieben und neue Welten entdeckten. Fundstück für Fundstück trägt der Autor zusammen, was sich über diese frühen Griechen herausfinden lässt.

Reisende Helden, das sind auch die Figuren des Mythos, die weit herumkamen: etwa Dädalus, der sogar fliegen konnte, Herkules, der kreuz und quer im Mittelmeerraum seine Arbeiten verrichtete, oder die unglückliche Io, die von Zeus erst verführt und dann in eine Kuh verwandelt wurde.
Indem Robin Lane Fox den unendlichen Schatz der griechischen Mythen mit der Sachwelt der archäologischen Funde verknüpft, lässt er vor unseren Augen ein lebendiges Bild dieser Zeit entstehen.

Robin Lane Fox’ reisende Helden sind verwegene griechische Seefahrer aus dem 8. Jahrhundert v. Chr., die ferne Länder und Küsten entdeckten. Das Wissen und die Geschichten aus der Fremde integrierten sie in ihre Vorstellungswelt und legten so den Grundstein für die griechische Kultur.

„Im Norden Kretas, in Knossos, fanden Archäologen eine Bronzeschale aus dem 10. Jahrhundert, die von einem Zyprer hergestellt und von einem Phönizier mit einer Inschrift versehen wurde, diese wurde als Bezug auf eine frühere Weihung der Schale an den ägyptischen Gott Amon interpretiert. Das weit gereiste Stück gelangte schlussendlich in das Grab eines Griechen auf Kreta, zusammen mit griechischer Keramik aus dem 9. Jahrhundert v. Chr. Es berührt damit gleich drei Punkte aus der Geschichte des Odysseus: Kreta, Phönizien und (wenn auch nicht sicher) Ägypten.

Der Autor glaubt wahrscheinlich etwas ganz originelles und mitreissendes zu erzählen, indem er so viele archäologische Beweise wie möglich mit allen möglichen obskuren griechischen Mythologien und ihren Variationen, Einflüssen und Geschichten kombiniert aber es ist alles ziemlich zäh insgesamt. Er präsentiert dazu riesige Menge an Informationen in manchmal erschöpfender Ausführlichkeit, gemischt mit interessanten aber etwas fragwürdigen Schlussfolgerungen. Ich bin mit dem Buch nicht warm geworden und daher nicht sicher, ob ich noch ein weiteres Buch von ihm lesen würde.

Kurze Geschichte der antiken Welt – Siegfried Lauffer erschienen im dtv Verlag (nur noch antiquarisch erhältlich)

Siegfried Lauffer war Professor für Alte Geschichte an der Universität München. Das Buch bietet eine sehr gute Einführung in die griechische und römische Geschichte von der kretisch-mykenischen Kultur bis in das frühe Mittelalter. Dieser Prof kann wirklich gut schreiben und er betont hier die stark matriarchalische, mutterrechtliche Religion, Familien und Gesellschaftsverfassung altmediterraner Völker, in deren Mittelpunkt (endlich mal) die Frau, nicht der Mann stand, im Gegensatz zur patriarchalischen, vaterrechtlichen Ordnung der indogermanischen Völker.

„In dem sich Europa seiner Grundlagen bewußt wird, wird es sich auch seiner Einheit bewußt“

„Der starke Gegensatz von Stadt und Land war Schuld daran, daß die hellenistische Kultur, die von den Städten ausging, das Hinterland nicht voll erfaßte. Die Landbevölkerung führte weiterhin ihr eigenes Leben, bewahrte ihr altes Volkstum, ihre Sprache und Religion. Sie konnte daher auch zur Regierung des Landes kein rechtes Verhältnis gewinnen. Diese kulturelle und politische Kluft zwischen Stadt und Land, Staat und Untertanen mußte sich in der weiteren Entwicklung bemerkbar machen.“

Die Lagune oder wie Aristoteles die Naturwissenschaften erfand – Armand Marie Leroi übersetzt von Susanne Schmidt-Wussow und Manfred Roth erschienen im Theiss Verlag

Für sein Buch – einer gut geschriebene Mischung aus Reisebericht, Biografie, Biologiegeschichte und erkenntnisphilosophischer Erörterung, der man gebannt in hochfliegende Überlegungen zur Philosophie des Geistes folgt – begibt sich Armand Marie Leroi auf die Spuren des großen Griechen. Es ist die Biologie, die für Leroi bei Aristoteles alles grundiert: Das Erstaunen vor der unglaublichen Vielfalt der Lebensformen, die Bereitschaft, sich noch in die winzigste Schnecke, den schleimigsten Wurm zu vertiefen, um zu erfassen, welches Maß an Komplexität in ihrer Gestaltung steckt. Vor allem aber trieb Aristoteles die Suche nach dem Warum um: Welche Ursachen stecken hinter dem Rüssel des Elefanten, der Schwimmblase der Fische, dem Umstand, dass Kinder ihren Eltern ähnlich sehen? Während Platon mit dem Kopf in abstrakten Ideen steckte, grub Aristoteles, um die Welt zu begreifen, im Lagunenschlamm, zog Getier hervor und sezierte Gedärme.

Das große Papierboot, Argonauta argo, ähnelt einem Oktopus. Das Tier selbst ist wenige beeindruckend, aber sein Gehäuse ist wunderschön: so dünn und weiß wie eine Eierschale und von perfekter planispiraler Geometrie. Und obwohl das Große Papierboot palagisch weit draußen im Meer lebt, wird es häufig angespült. Nach STürmen findet man sie zu Hunderten sterbend am Strand“

Der kretische Gast – Klaus Modick erschinen im Kiepenheuer & Witsch Verlag

Kreta 1943: Der deutsche Archäologe Johann Martens soll im Auftrag der Wehrmacht die Kunstschätze der besetzten Insel katalogisieren. Der Einheimische Andreas wird zu seinem Fahrer und Führer, doch verbindet beide bald mehr. Die Lebensart der Kreter und noch mehr Andreas’ schöne Tochter Eleni schlagen Martens immer mehr in ihren Bann. Als die Deutschen eine Razzia planen, muss sich Johann entscheiden, wo er steht.

Das Buch gibt einen wirklich guten Einblick in die Geschichte der Insel Kreta zur Zeit der Besetzung. Es ist gut geschrieben und war das perfekte Buch um vor Ort gelesen zu werden. Erstaunlich wie freundlich einem die Menschen in Kreta begegnen, obwohl die Deutschen sich dort vor etwas mehr als 70 Jahren viel Schreckliches verursacht und viel Schuld auf ihre Schultern geladen haben.

Karsch habe daraufhin die Dorfbewohner zusammentreiben lassen und Auskunft über die Herkunft der Waffen verlangt. Geantwortet hatte niemand. Also habe Karsch drei Männer exekutieren lasen, eine kurze Frist gesetzt und mit weiteren Erschießungen gedroht. Als aber die nächsten drei an an die Wand gestellt worden seien und das Kommando bereits die Gewehre angelegt habe, sei von den umliegenden Hausdächern plötzlich heftiges Feuer auf die Soldaten eröffnet worden.

Women in the Ancient World – Jenifer Neils erschienen im Verlag British Museum Press

Von der treuen Ehefrau bis zur mächtigen Königin, von der unberührbaren Priesterin bis zur Prostituierten mit hohem Lebensstandard – das tägliche Leben und die Rollen der Frauen in der antiken Welt Griechenlands und Roms, Ägyptens und des Nahen Ostens waren faszinierend und vielfältig und gingen oft über die traditionelle Vorstellung von der Stellung der Frau hinaus. Anhand von Themen wie häusliches Leben, Religion, Arbeit, Mütter und Trauernde, Stereotypen, Kostüme und Körper erforscht dieses lebendige Buch die Traditionen und Trends verschiedener Kulturen und vergleicht und kontrastiert die Haltungen der einzelnen Gesellschaften anhand faszinierender Gegenüberstellungen von Bildern.

Die Autorin wirft einen frischen und zum Nachdenken anregenden Blick auf neue Betrachtungsweisen dieser Bilder und zeigt die Zeichen auf, die verraten, wie eine Frau zu sehen ist, ob als Beispiel für perfekte Weiblichkeit oder als Objekt der Verachtung. Dieses Buch ist wunderschön gestaltet und enthält eine Vielzahl von Illustrationen, von öffentlicher Kunst bis hin zu häuslichen Artefakten, von denen viele speziell fotografiert wurden. Es enthüllt fesselnde Details über das alltägliche Leben der Frauen in der antiken Welt, die alle Leser erfreuen, informieren und unterhalten werden, oft mit überraschenden Anklängen an unsere heutige Zeit.

In general, the more elaborate the costume the higher the rank of the person depicted… Those without clothes are often slaves or children, but older girls usually dressed like adults. Women with special religious rank often wore distinctive garments, such as the Vestal Virgins in Rome or wome in the Panathenaic processions in Athens… The prize for the most elaborate form of female dress in antiquity must surely go to the Minoans of Bronze Age Crete. Their tight bodices contrasted with their wide flounced skirts, and if the works of art are accurate renderings of women’s outfits, they regularly exposed their ample breasts.

Das Buch ist ein Begleitband zu einer empfehlenswerten aber mittlerweile beendeten Ausstellung die ich vor einer Weile im Britischen Museum gesehen habe.

Göttlich aber war Kreta – Hans Pars erschienen im dtv Verlag (nur noch antiquarisch erhältlich)

Seit der Archäologe Sir Arthur Evans an der Stätte des alten Knossos auf Kreta die Ruinen eines Königspalastes freigelegt hat, sind wir genauer über die Vergangenheit dieser Insel unterrichtet. Hier blühte schon ein hohes kulturelles Leben, ein Jahrtausend bevor der griechische Dichter Homer in seinen berühmten Epen die Eroberung Troias besang. Von Kreta holten die Griechen Künstler und Künste auf ihr Festland.


Mit Hans Pars blicken wir nun in die viertausendjährige Vergangenheit dieser Insel; der Autor erweckt die toten Zeugnisse aus längst vergangenen Tagen, die bei den Ausgrabungen entdeckt wurden, zu neuem, sprechendem Leben. Aus den Bruchstücken von Wandbildern prunkvoller Paläste, aus bemalten Gefäßen und Reliefs auf Goldbechern und steinernen Vasen erschafft er ein lebendiges Bild der einstmals großen Zeit Kretas. Er hat ein umfassendes, auch in den Einzelheiten immer lebendig gehaltenesWerk über Kunst, Kultur und Geschichte Kretas geschrieben.

„Die Bevorzugung der Frau ist das sozial auffälligste in der kretischen Bilderchronik. Das hat seinen Grund in der noch dem ältesten griechischen Historiker bekannten uralten mutterrechtlichen Struktur der kretischen Gesellschaft, die ihren Ausdruck in einem Überwiegen der weiblichen Gottheiten findet. Der erste Platz ist den Frauen eingeräumt, und sie zeigen sich vor aller Öffentlichkeit in ihrem hohen Rang.“

Wenn Haie leuchten – Julia Schnetzer erschienen bei hanserblau

Aktuellste Forschung und ein Gespür für das Kuriose: Die Meeresbiologin Julia Schnetzer über Meeresmücken, giftige Kugelfische, Delfinnasen und andere faszinierende Meeresbewohner

Das Meer ist unser erstaunlichstes und rätselhaftestes Ökosystem. Es waren mehr Menschen auf dem Mond als am Grund des Ozeans. Zu Unrecht, findet Meeresbiologin und Science-Slammerin Julia Schnetzer. Denn in der Unsterblichkeit von Quallen, der Sprache der Delfine und dem Lebensrhythmus von Unterwassermücken verbergen sich nicht nur neueste Erkenntnisse über unsere Umwelt, sondern auch über uns Menschen.

Der Kauf dieses Buchs unterstützt die Organisation MovingSushi, die Korallenriffe vor der Westküste des afrikanischen Kontinents erforscht und versucht, mithilfe der Fluoreszenz der Tiere Haibeifang in der Fischerei zu minimieren.

Wie ist das Ganze aber nun bei Fischen? Werden die auch von solchen Illusionen getäuscht? Diese Frage wirkt auf den ersten Blick etwas abwegig, vielleicht war sie deswegen nie wirklich in der Wissenschaft relevant. Zumindest bis jetzt. Zugegebenermaßen ist das auch nicht ganz einfach zu testen. Man kann die Fische ja schlecht fragen. Um dieses Kommunikationsproblem zu lösen, hat man die Fische mit einem klassischen Belohnungssystem trainiert: Immer, wenn sie bei einer Auswahl von zwei unterschiedlich großen Kreisen den größeren Kreis mit der Schnauze anstupsten, wurden sie mit Futter belohnt. Sobald sie gut trainiert waren, wurden ihnen die Delboeuf- und die Ebbinghaus-Illusionen gezeigt und geguckt, welche der beiden Kreise sie auswählen….

Oktopia – Matthias Wittmann & Michèle Ganser erschienen bei der Büchergilde Gutenberg

Was haben Ozean und Weltall gemeinsam? Wie sind Kraken und Menschen entstanden? Was genau sind Kopffüßer – und warum heißen die so komisch? Kraken sind die ältesten intelligenten Lebewesen unseres Planeten, wahre ≫Aliens≪, deren Fähigkeiten uns staunen lassen.

Michael Stavarič und Michèle Ganser haben ein Sachbuch voll überraschender Wendungen kreiert, das wesentlich mehr bietet als schlichte Wissensvermittlung. Gemeinsam mit ihren Leser*innen begeben sie sich ins Reich der Kraken und laden ein zum gemeinsamen Abenteuer.

Ein Buch, das so ungewöhnlich wie der Krake selbst ist: zum Mitdenken und Mitmachen, voll witziger Details und plastischer Beschreibungen. Dass man danach zwangsläufig alles Wichtige über Licht, Erde, Evolution, Genetik und so weiter weiß, bleibt fast schon ein Nebeneffekt.

Ich folge Michèle Ganser schon länger auf Instagram und mag ihre Zeichnungen sehr. Dieses kluge dünne Büchlein ist ein Juwel und jede einzelne Zeichnung im Buch wert als Druck an meiner Wand zu landen.

Die große Herausforderung bei der Durchführung von Experimenten mit Kraken besteht darin, diese daran zu hindern, zurückzublicken und das Verhalten der Wissenschaftler zu beobachten. Kraken können durchaus listig Verknüpfungen zwischen den Apparaturen und den Blicken der Krakenforscherinnen herstellen und deren Pläne immer wieder auch durchkreuzen. Sie spielen also gewissermaßen mit unseren Erwartungshaltungen, da sie uns – wir wir ihnen auch – Handlungsmotive unterstellen, auch wenn Begriffe wie „Motiv“, „Intention“ und „Interesse“ in der Krakenwelt nicht existieren.

Leider ist er hiermit vorbei der Lesemonat Juni und ihr müsst mit mir nun Kreta und das Meer verlassen. Ich hoffe die Reise hat euch gefallen und ich konnte euch nicht nur auf die Insel sondern auch auf das eine oder andere Buch hier Lust machen, auch wenn dieses Mal einige Bücher dabei waren, die leider nur noch antiquarisch erhätlich sind.

Welche kennt ihr, auf welche habt ihr Lust bekommen und was ist euer Lieblingsland bzw eure Lieblingsinsel und noch viel wichtiger – habt ihr mein dazwischen gemogeltes Bild aus Schottland entdecken können?

Hirngymnastik Krieg

Those people who think they know everything are a great annoyance to those of us who do // Isaac Asimov

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Diese Hirngymnastik hat sich mit der Frage beschäftigt: Ist Krieg ein fest verankerter Teil unserer DNA? Oder ist Gewalt eine Verirrung und wir sind von Natur aus Pazifisten?

Natürlich ist diese Frage nicht neu. Gewalt ist in der Regel auch nur eine Taktik, um bestimmte Ziele zu erreichen: Nahrung, Partner, Territorium, Überleben.

Früher war die vorherrschende Weisheit, dass Gewalt unter Menschen mit der Entwicklung dauerhafter Siedlungen und der Landwirtschaft zusammenfiel. Die Landwirtschaft führte zu konzentrierten Gebieten, in denen Wohlstand geschaffen wurde, was die Entwicklung sozialer Hierarchien beschleunigte, was wiederum Raubzüge durch Jäger- und Sammlerbanden auslöste. In dieser strukturellen Interpretation der Geschichte waren die Dörfer, die Landwirtschaft und der konzentrierte Wohlstand die Hauptantriebskräfte der Kriegsführung, nicht die menschliche Lust oder die Natur.

Neunzig Prozent der Musketen, die nach der Schlacht von Gettysburg eingesammelt wurden, waren geladen, oft mit zwei oder mehr Kugeln, da die Männer jede Ausrede nutzten, um ihre Waffen nicht abzufeuern und dabei vorgaben, nachzuladen, anstatt sich in die Schlacht zu stürzen.

An Weihnachten 1914 feierten Deutsche und Briten gemeinsam, sangen sich aus ihren Schützengräben heraus Weihnachtslieder zu und trafen sich dann, um Geschenke auszutauschen, Fußball zu spielen und zu feiern. Bis zu dem Punkt, an dem die Generäle den Befehl verstärken mussten, sich nicht mit dem Feind zu verbrüdern.

Von Troja bis Waterloo und von Korea bis Vietnam haben nur wenige Armeen ohne die Hilfe von Rauschmitteln gekämpft und ich wusste zum Beispiel nicht, dass beispielsweise die deutsche Wehrmacht Methamphetamin-Pillen an Soldaten verteilte (alias Crystal Meth, eine Droge, die extreme Aggressionen hervorrufen kann), eine Droge, die auch im Vietnam Krieg eine große Rolle spielte.

Ich neige nach der Lektüre dieser Bücher eher zu dem Schluss, dass der Mensch nicht von Natur aus kriegerisch ist und dass Menschen gerade in riskanten, dramatischen Situationen über sich hinauswachsen, emphatisch und hilfsbereit sind.

Ich denke Menschen sind zu großer Gewalt fähig, aber sie haben auch Normen der Zusammenarbeit und Kooperation entwickelt. Wir sind ein Bündel von biologischen Impulsen, teils Rousseau und teils Hobbes, teils Bonobo und teils Schimpanse.

Hier eine detaillierte Besprechung der Bücher, die ich für diese Hirngymnastik gelesen habe:

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Die Söhne des Mars – Eine Geschichte des Krieges von der Steinzeit bis zur Antike ist keine herkömmliche Beschreibung der Kriegsgeschichte. Der Althistoriker will vielmehr aufzeigen, welche Umständen und Dynamiken vorherrschten, die den Krieg von einer eher selten auftretenden Absonderlichkeit in den Anfängen der Menschheitsgeschichte zu einem alltäglichen Thema werden ließen.

Er vertritt die These, dass der Mensch nicht von Natur aus ein Krieger ist, sondern vielmehr erst durch die kulturelle Evolution dazu gemacht wurde.  Seiner Ansicht nach geschah dieser Paradigmenwechsel durch das Schwert.

Im Gegensatz zu allen früheren Waffen, die der Mensch erfand, ob Steinäxte, Speere oder Pfeil und Bogen ist das Schwert die erste reine Kriegswaffe. Sie setzt eine hoch entwickelte Technologie voraus, sowie eine arbeitsteilige Gesellschaftsform. Stellenweise hat mir Eich ein bisschen zu viel über die Techniken und Feinheiten der Bronzegießerei verloren, aber das ist eine der wenigen Kritikpunkte, die ich an dem Buch habe. Schwerte waren von Anfang an Machtinstrumente und ich fand es überaus spannend zu lesen, wie Eich die wirtschaftlichen, technischen und sozialen Entwicklungen verknüpft, um ein sehr anschauliches Bild der Geschichte des Krieges zu zeichnen.

„Abgesehen von der Effizienzsteigerung militärischer Gewalt ging mit dieser erneuten Runde der Eskalation und Erschöpfung kein geschichtlicher Lernprozess im Sinne von Lessings „Erziehung des Menschengeschlechts“ einher. So ist es seitdem geblieben. Dieser negativen historischen Erfahrung steht gegenüber, dass die Triebkraft der Gewalt erst relativ spät in der Geschichte der menschlichen Spezies einsetzt“

Für Eich sind die zahlreichen Massaker der Steinzeit Belege für eine der Situation geschuldeten Aggressivität und deutet nicht auf eine inhärente Eigenschaft des Menschen hin.

Er schlägt sich in dem uralten Streit zwischen Hobbes (Homo homini lupus – Ein Wolf ist der Mensch dem Menschen) und Rousseau (der den Menschen im Naturzustand den Einklang mit der Natur suchen sieht und der erst durch die Zivilisation das Böse lernte) eher auf die Seite Rousseaus.

Diese Debatte geht auf die größeren Fragen ein: Warum kämpfen wir? Und wie verringern wir die Gewalt unter den Menschen? Die Antworten, die vielleicht noch in noch nicht ausgegrabenen archäologischen Ausgrabungen vergraben sind, können darüber entscheiden, wie wahrscheinlich Frieden in unserer Zukunft ist.

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In „Wired for War“ – The Robotics Revolution and Conflict in the 21st Century“ erforscht P. W. Singer die größte Revolution im militärischen Bereich seit der Atombombe: den Beginn der robotergestützten Kriegsführung. Wir stehen an der Schwelle zu einem massiven Wandel in der Militärtechnologie, der die Stoffe von „I Robot“ und „Terminator“ Wirklichkeit werden zu lassen droht.

Er vermischt historische Beweise mit Interviews und zeigt, wie die Technologie nicht nur die Art und Weise verändert, wie Kriege geführt werden, sondern auch die Politik, die Wirtschaft, die Gesetze und die Ethik, die den Krieg selbst umgeben.

Leider sind nach Singers Ansicht nicht nur Roboter die, die „wired for war“ sind, sondern auch die Menschen. Wie Singer zu Recht sagt sind die ursprünglichen Sünden unserer Spezies ihre Unfähigkeit, in Frieden zu leben. Der schlimmste Alptraum eines demokratisch gewählten Politikers ist allerdings ein Krieg, der viele menschliche Opfer fordern kann. Das ist nämlich auch der sicherste Weg zu einer vernichtenden Niederlage bei der nächsten Wahl. Es ist daher keine Überraschung, dass das Militär weltweit der größte Geldgeber für Roboterforschung und -entwicklung ist, wobei das US-Militär bis zu 80 Prozent der gesamten KI-Forschung in den USA finanziert. Tote Roboter hinterlassen eben keine trauernden Familien.

„Every vehicle is a robot waiting to happen“

Roboter sind ideal für Rollen, die von menschlichen Soldaten als die „Drei Ds“ („Dull, Dirty or Dangerous“) bezeichnet werden. Der menschliche Pilot wird nach 10 Stunden in der Luft vor Müdigkeit, Hunger oder einem Druck in der Niere ohnmächtig? Kein Problem, ersetzen wir ihn durch einen Roboter.

Die DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency)  arbeitet nach eigenen Aussagen an einer Drohne, die bis zu fünf Jahre lang in der Luft bleiben kann.  Technologie hat einfach nicht die gleichen Einschränkungen wie der menschliche Körper. Ein aktueller Jagdbomber kann so schnell und hart manövrieren, dass sein Pilot sofort ohnmächtig würde. Die Lösung? Roboterpiloten, die Kampfflugzeuge ohne menschlichen Einsatz „bemannen“. Das hilft auch, die Entscheidungsschleifen dramatisch zu reduzieren. Selbst der beste menschliche Kampfpilot braucht mindestens 0,3 Sekunden, um auf einen einfachen Reiz zu reagieren, und sogar doppelt so lange, um aus einer Reihe von Möglichkeiten die richtige Handlung auszuwählen. Wie viel Zeit braucht ein Roboterpilot für die gleiche Aufgabe? Weniger als eine millionstel Sekunde.

Der Mensch wird zum schwächsten Glied in jedem Verteidigungssystem. Die Zukunft wird nicht wie in Star Wars-Filmen sein, in denen Y-Wings und TIE-Kampfflugzeuge von Menschen mit minimaler Roboterunterstützung (R2D2, BB8 usw.) geflogen werden. Stattdessen wird es Roboterpiloten geben, weil Menschen gegen sie keine Chance hätten.

„Those vested in the current system, or whose talents and training might become outdated by new technologies, will fight any change that threatens to make them obsolete or out of work, or in any way harms their prestige“

Unbemannte Systeme können die schrecklichen menschlichen Kosten des Krieges mindern. „Cubicle Warriors“, die ihre Drohnen in Afghanistan oder im Irak steuern, während sie in klimatisierten Büros irgendwo in Nevada sitzen, werden wahrscheinlich nie selbst zum Kriegsopfer werden. Die geringen drohenden Verluste von Menschenleben können für Politiker sehr verführerisch sein und es ihnen künftig viel leichter machen, sich für einen Krieg zu entscheiden. In der Zukunft könnte das Dilemma, Menschenleben zu opfern, vollständig durch eine kaltherzige Wirtschaftlichkeitsberechnung über die Kosten der erforderlichen Investitionen in Roboter ersetzt werden.

„The forecast of the writers may prove to be more accurate than the forecast of the scientists“

Das Kapitel über die „Singularität“ hat mich etwas gestört, weil es einen deutlichen Mangel an Verständnis für den aktuellen Stand der Technik zeigt. Computer werden im Moment nicht schneller. Die Prozessorgeschwindigkeiten haben sich in den letzten Jahren bei etwa 3,0 GHz eingependelt, weil jede Beschleunigung und entsprechende Wärmeableitung zu einem unlösbaren Problem wird. Sogar die Geschwindigkeit von Supercomputern erreicht aus den gleichen Gründen eine Obergrenze.

Der spannenste Teil in „Wired for War“ war für mich der Teil, in dem Singer aufzeigt, wie Science-Fiction die Entwicklung der Militärtechnologie beeinflusst hat. Er vertritt den Standpunkt, dass Science-Fiction die Wissenschaftler dazu inspiriert hat, diese Dinge Wirklichkeit werden zu lassen.

Im Großen und Ganzen ist das Buch informativ, durchdacht und zugänglich und er bestärkt den Leser darin, sich kritisch über den Einsatz von Technologie und die  damit verbundenen ethischen Implikationen Gedanken zu machen.

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The wise warrior avoids the battle.

Die Kunst des Krieges ist ein altes chinesisches Militärtraktat aus der Frühlings- und Herbstzeit (etwa 771 bis 476 v. Chr.). Das Werk, das dem altchinesischen Militärstrategen Sun Tzu („Meister Sonne“, auch Sunzi geschrieben) zugeschrieben wird, besteht aus 13 Kapiteln. Jedes widmet sich einem bestimmten Aspekt der Kriegsführung und der Frage, wie sich das auf die Militärstrategie und -taktik auswirkt. Fast 1.500 Jahre lang war es der Leittext einer Anthologie, die 1080 von Kaiser Shenzong als die „Sieben Militärklassiker“ formalisiert werden sollte. Die Kunst des Krieges ist nach wie vor der einflussreichste Strategietext in der ostasiatischen Kriegsführung. Sie hat einen tiefgreifenden Einfluss sowohl auf das militärische Denken im Osten als auch im Westen, auf Geschäftstaktiken, Rechtsstrategien und darüber hinaus.

The supreme art of war is to subdue the enemy without fighting.

Die Kunst des Krieges ist nicht nur offensichtliche Lektüre für Menschen in militärischen Berufen, sondern sondern wird auch vielfach in der Wirtschaft, insbesondere für das Management empfohlen und sicherlich können viele der Lektionen des Buches auf fast jeden Bereich angewendet werden, in der es um Interaktion mit anderen geht, die einen Sieger hervorbringt. Dabei geht es nicht nur um Kriege und Wettkämpfe im klassischen Sinne, sondern zum Beispiel um Alltagssituationen, in denen Verhandlungsgeschick notwendig ist.

All warfare is based on deception.

Jede Kriegsführung basiert auf Täuschung. Ohne Täuschung hätte zum Beispiel der Zweite Weltkrieg nicht gewonnen werden können, denn während die echten Invasionstruppen an den Stränden der Normandie eintrafen, fielen dieNazi-Streitkräfte an anderer Stelle auf falsche Botschaften, eine fake Militär-Siedlung und sogar unechte Panzer rein, die aus der Luft wie echte aussahen.

So in war, the way is to avoid what is strong, and strike at what is weak.

Es gibt keinen Fall, in dem eine Nation von einem verlängerten Krieg profitiert hätte. Im Krieg geht es also darum, das Starke zu meiden und das Schwache anzugreifen.

Es gibt fünf gefährliche Fehler, die einem General unterlaufen können:
(1) Rücksichtslosigkeit, die zur Zerstörung führt;
(2) Feigheit, die zur Gefangennahme führt;
(3) ein übereiltes Temperament, das durch Beleidigungen provoziert werden kann;
(4) eine übertriebene Ehrempfindung, die empfindlich auf Scham reagiert;
(5) übertriebene Fürsorglichkeit für seine Männer

Zuletzt noch ein belletristisches Werk zu dieser Hirngymnastik:

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Sarat Chestnut, geboren in Louisiana, ist erst sechs Jahre alt, als im Jahr 2074 der Zweite Amerikanische Bürgerkrieg ausbricht. Aber selbst sie weiß, dass Öl verboten ist, dass Louisiana halb unter Wasser liegt, dass unbemannte Drohnen den Himmel füllen.

Als ihr Vater getötet wird und ihre Familie in Camp Patience für Vertriebene eingewiesen wird, beginnt sie – geprägt durch den besonderen Ort und die verrückten Zeiten in denen sie aufwächst durch den Einfluss eines mysteriösen Funktionärs zu einem tödlichen Kriegsinstrument zu werden.

Ihr Neffe, Benjamin Chestnut, der während des Krieges geboren wurde und zur „Miracolous Generation gehört“ erzählt ihre Geschichte. Heute ist er ein alter Mann, der sich mit dem dunklen Geheimnis seiner Vergangenheit, mit der Rolle seiner Familie in dem Konflikt und insbesondere mit der seiner Tante konfrontiert sieht, einer Frau, die ihm das Leben rettete und gleichzeitig unzählige andere zerstörte.

Die Protagonistin, Sarat, ist eine interessante und tragische Figur, aber es war manchmal wirklich schwer, Sympathie für sie zu empfinden. Einige ihrer Handlungen waren vorhersehbar, um nicht zu sagen fast karikaturhaft.

Hier gibt es keine hellen Töne, es ist eine Geschichte Amerikas, in der seine Vorherrschaft in der Welt mit einem großen Teil seines Landes untergegangen ist, in der ökologische Veränderungen die Wüsten in verwüstete Gebiete verwandelt haben, in der die Politik auf den Kopf gestellt wurde – überall sonst dank des Endes der Öl-Energie-Krise, und in der Seuchen und Kriege den Boden Amerikas verwüstet haben.

Es ist schwer zu sagen, was genau Omar El Akkad mit seinem Buch falsch gemacht hat, denn oberflächlich betrachtet scheint es sich um einen gut konstruierten Roman zu handeln. El Akkad verknüpft die Geschichte von Sarat mit der imaginären Vision eines zweiten amerikanischen Bürgerkriegs. Die Welt, die sich in diesem Roman aufbaut, ist immens, und Nachrichtenartikel sind wie historische Versatzstücke über die gesamte Erzählung verstreut. Aber wenn man genauer hinsieht, gibt es jede Menge klaffender Löcher.

Was ist mit dem gegenwärtigen sozialen Klima in Amerika, mit dem institutionalisierten Rassismus und der Polizeibrutalität? Wie kann El Akkad für seine Erzählung so stark auf den ersten amerikanischen Bürgerkrieg zurückgreifen und die Frage der Sklaverei und des Rassismus völlig ignorieren? Wie kann der Süden weiterhin fossile Brennstoffe nutzen, wenn der Rest des Landes dies nicht mehr tut? Wie kam es zur Annexion einer großen Region der USA durch Mexiko? Wie um alles in der Welt haben sich alle Länder des Nahen Ostens im Laufe von etwa fünfzig Jahren (?!?!) zu einer Republik zusammengeschlossen?

Dies sind nur einige der Fragen, die „American War“ für mich unbeantwortet gelassen hat. Vielleicht sind sie nicht der Punkt, aber es hat mich genervt, dass der Roman nicht einmal versucht, dem Leser einigermaßen zufriedenstellende Antworten geben zu können.

Mein zweites Problem bei diesem Buch ist, dass es langweilig und wirklich ermüdend ist. Ich konnte partout keine Verbindung zu Sarat oder irgendeine andere Figur aufbauen. Ich hatte mich sehr auf diese Dystopie gefreut, klang die Ausgangssituation doch überaus spannend. Ich hätte wahrscheinlich einige der Plotlöcher durchaus verzeihen können, wenn ich wenigstens etwas Sympatie für die Figuren hätte aufbringen können. So war ich aber einfach nur froh, als ich das Buch nach etwa 2/3 abgebrochen habe.

Hat einer von Euch den Roman gelesen und eine andere Erfahrung gemacht? Es kann auch durchaus an mir gelegen haben.

Die Thematik war viel spannender als ich dachte, aber ich bin auch froh, mich mal wieder mit anderen Themen beschäftigen zu können. Allerdings, falls jemand auf der Suche nach einem Kriegsgeneral ist, stehe ich gern zur Verfügung, denn aufgrund dieser Hirngymnastik bin ich jetzt mit Kriegstaktiken bestens vertraut. Bitte nur ernstgemeinte Zuschriften.

Hier noch mal im Überblick die Bücher aus dieser Hirngymnastik:

Armin Eich – Die Söhne des Mars erschienen im Beck Verlag
P. W. Singer – Wired for War erschienen im Penguin Verlag
Sun Tzu – The Art of War  als „Die Kunst des Krieges“ im Knaur Verlag erschienen
Omar El Akkad – American War erschien auf deutsch unter dem gleichen Titel im Fischer Verlag.

Meine Reisen mit Herodot – Ryszard Kapuściński

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Als der frisch graduierte Ryszard Kapuściński seiner Verlegerin mitteilte, er würde gerne einmal ins Ausland reisen, hatte er keine Ahnung, wie sehr dieser Wunsch sein Leben beeinflussen würde. Eigentlich ging es ihm um den konkreten Grenzübertritt, dieses Gefühl zu erleben, tatsächlich eine Grenze zu überschreiten. Er hatte einen kurzen Abstecher ins benachbarte sozialistische Ausland wie z.B. Prag im Kopf, seine Verlegerin schickte ihn allerdings gleich einmal um die halbe Welt: nach Indien. Damit begann seine ereignisreiche und erfolgreiche Karriere als Auslandskorrespondent und Autor diverser Bücher, dessen Name immer wieder einmal in den Topf der Anwärter auf den Literaturnobelpreis geworfen wurde.

Kapuściński verstarb, bevor das tatsächlich passieren konnte, aber zum Glück hat er uns eine Vielzahl großartiger Bücher hinterlassen. Auf seinen vielen Reisen begleiteten ihn stets die Historien von Herodot, ein Buch, das ihm seine damalige Verlegerin für seine erste Reise schenkte.

Bei dieser ersten Reise ins Ausland wird der junge Journalist einfach so ins kalte Wasser geworfen. Aus dem sozialistischen Ausland kommend, mit rudimentären Englischkenntnissen, merkt er schnell, dass einzig Sprache ihn retten kann. In Herodots Welt wurde überall Griechisch gesprochen, in Kapuścińskis Welt ist es das Englische ,ohne das man verloren ist. Ihm wird klar, dass er nur sehen und sich erinnern kann, wofür er Namen hat und je mehr Namen er für die Dinge in der Welt hat, desto reicher wird die Welt für ihn sein.

Er erzählt auch von seinen Schwierigkeiten in Indien, stets bedient zu werden, gerade für ihn, der im Sozialismus im Geiste der Gleichheit erzogen wurde und wie er lernen musste, dass er jemandem das Geld zum Überleben verweigert, wenn er sich nicht in einer Rikscha kutschieren oder einen Knopf annähen lässt.

Zurück in Polen wird er schon bald darauf wieder losgeschickt. Dieses Mal geht es nach China, wo eine kurze Phase der Offenheit seinen Aufenthalt dort ermöglicht, doch kommt es nie zu einer wirklichen Zusammenarbeit mit chinesischen Journalisten. Sein Radius wird schon bald vor Ort stark eingeschränkt und jeder seiner Schritte überwacht. Ihm wird klar, dass eine Mauer nicht nur vor Feinden draußen schützt, sie hilft auch, die zu kontrollieren, die sich innerhalb der Mauern befinden. Er merkt, wie eine solche Mauer die Menschen verändert, sie dazu bringt, alles von Mauern umringt und in schwarz-weiß/gut und schlecht aufgeteilt zu sehen.

Von China aus geht es für ihn nach Afrika, ein Kontinent, der viel stärker fragmentiert und differenzierter ist als Asien und für ihn daher etwas einfacher zu fassen. In Afrika reift Kapuściński als Journalist, er beginnt, die unter den Ereignissen liegenden Gründe zu analysieren und nicht mehr nur über die Ereignisse an sich zu berichten. Er beginnt, sich mit den Menschen in Afrika anzufreunden, er redet mit ihnen, er beobachtet, er liest und nimmt sich Herodot immer wieder als Vorbild.

Er verbindet das, was er bei Herodot liest, stets mit seiner eigenen Laufbahn. Wie führte Herodot seine Nachforschungen aus? Welche Quellen nutzte er? Wie mag er gereist sein, mit wem gesprochen und wem hat er wiederum seine Geschichten erzählt? Wer war sein Publikum? In Herodot findet er seiner Ansicht nach den ersten, der Konnektivität der Welt erfasst hat, etwas das für Kapuściński eine gradueller Lernprozess war.

Herodot ist ein Geschichtenerzähler der weiß, wie man ein Publikum unterhält und wie man eine Geschichte würzen muss. Er ist unendlich neugierig, eine Eigenschaft die Kapuściński mit ihm gemein hat.

„Er (Herodot) war vollauf beschäftigt mit seinen Reisen, den Vorbereitungen dafür, und dann mit der Auswahl und Sichtung der mitgebrachten Materialien. Denn eine Reise beginnt nicht in dem Moment, da wir uns auf den Weg machen, und sie endet nicht, wenn wir ans Ziel gelangt sind. In Wahrheit beginnt sie viel früher, und sie ist faktisch nie zu Ende, weil sich das Band unserer Erinnerungen in unserem Inneren weiterdreht, auch wenn wir angekommen sind. Es gibt so etwas wie eine Infizierung mit dem Reisebazillus, und das ist eine im Grunde unheilbare Krankheit.“

Herodot wollte verhindern, dass die menschlichen Geschehnisse im Dunkel der Zeit verloren gehen und sah seine Aufgabe darin, ein Chronist der Zeit zu sein. Auszüge aus Herodots Werk ziehen sich durch das gesamte Buch. Kapuściński erzählt die Geschichte der Griechisch-Persischen Kriegs nach und stellt seine eigenen Nachforschungen an. Er begibt sich in die Geschichten hinein, z.B. in die Geschichte der Belagerung Babylons, bei der die Männer beschlossen, jeweils alle Frauen bis auf eine pro Haushalt zu erwürgen, um Vorräte zu sparen. Er fragt sich, wie genau die Männer die Entscheidung trafen, wer entscheidet welche übrig bleibt, wer führte die Tötungen durch, töteten sie die Frauen ihrer eigenen Familien oder die der anderen? Die Frauen müssen mitbekommen haben was vor sich geht. Haben sie sich gewehrt? Haben sie versucht ihre Töchter zu schützen? Herodot berichtet einfach nur die Fakten, ohne jeglichen Kommentar, hier lernt Kapuściński weiterzugehen, nach Fragen zu suchen und Antworten zu finden in seiner Arbeit.

„Die Perser und die Franzosen wurden von derselben Leidenschaft angetrieben – erobern, erlangen, besitzen. Beide erleiden eine Niederlage, weil sie gegen das griechische Gesetz verstoßen, das Gesetz der Mäßigung: niemals zu viel zu wollen, nicht alles zu begehren.“

Kapuściński sieht Herodot und sich als Reporter die auf Begegnungen mit Menschen angewiesen sind. Zu Herodots Zeiten gab es keine andere Form der Kommunikation als der direkte Kontakt, er lebte in einer Zeit der mündlichen Weitergabe von Wissen, das sich hauptsächlich auf  die Erinnerung stützte. Er wusste wie fragil und unzuverlässig Erinnerungen sind und dennoch sammelte er das Wissen und ließ sich auch auf die Ungenauigkeiten ein.

„Alle Diktaturen bedienen sich eines solchen passiven Magmas. Damit ersparen sie sich teure Armeen bezahlter Polizisten. Sie brauchen nur auf diese Menschen zurückzugreifen, die nach etwas in ihrem Leben suchen. Ihnen das Gefühl zu geben, sie könnten sich nützlich machen, man würde auf sie zählen, sie wahrnehmen, ihnen Bedeutung beimessen.“

Das Einnehmen von unterschiedlichen Gesichtspunkten, die Wahrheit zu suchen, Quellen zu prüfen, das sind gemeinsame Werte und die Verbindungen, die Kapuscinski in seiner und Herodots Arbeit sieht.

Man könnte Kapuścińskis Buch einfach vordergründig für die Memoiren eines berühmten Reporters halten, der einigen historisch äußerst bedeutsamen Ereignissen beiwohnte.

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Aber Kapuścińskis Buch wirkt durch den Bezug auf Herodots Werk noch auf einem tieferen Level. Durch ihn zeigt der Journalist, wie wenig sich für den Einzelnen seit Herodot verändert hat, wann immer große geschichtliche Ereignisse auf ihn hereinbrechen.

„Wann immer man tote Tempel, Paläste, Städte betrachtet, stellt man sich die Frage nach dem Schicksal ihrer Erbauer. Nach ihren Schmerzen, den gebrochenen Rückgraten, den durch Steinsplitter verlorenen Augen, dem Rheumatismus. Nach ihrem unglücklichen Leben. Ihren Leiden. Und daraus ergibt sich die nächste Frage: hätten diese Wunderwerke ohne solches Leiden überhaupt entstehen können? Ohne die Peitsche der Aufseher? Ohne die Angst, die den Sklaven im Nacken saß? Ohne den Hochmut, der den Herrscher erfüllte? Wurden die großen Kunstwerke der Vergangenheit nicht gerade durch das hervorgebracht, was im Menschen negativ ist und böse? Andererseits: Sind sie nicht auch aufgrund der Überzeugung entstanden, daß das, was im Menschen negativ ist und schwach, nur durch die Anstrengung und den Willen, Schönes zu erschaffen? Und daß das einzige, was sich nie ändern wird, die Form des Schönen ist? Und das uns innewohnende Bedürfnis danach?“

Immer wieder pausiert Kapuściński, wenn er eine Geschichte über Herodot erzählt, um die Parallelen aufzuzeigen, die überall immer wieder auftauchen. Beispielsweise zum Ende des Buches hin, als der Journalist in Algier den Zusammenstoß zwischen dem toleranten Islam der Händler und Kaufleute und des fremdenfeindlichen Glaubens der Nomaden und Hirten diskutiert, nimmt er Bezug auf ähnlichen Erlebnisse des Herodot zu seiner Zeit.

„Er entschloß sich, vermutlich gegen Ende seines Lebens, ein Buch zu schreiben, da er wußte, daß er eine riesige Menge von Geschichten und Nachrichten zusammengetragen hatte, und wenn er die nicht in einem Buch festhielt, würde alles, was er bisher in seinem Gedächtnis gespeichert hatte, einfach verschwinden. Da haben wir wieder den Kampf gegen die Schwäche der Erinnerung, gegen ihre Flüchtigkeit, ihre immerwährende Tendenz, sich zu verwischen und zu verschwinden.“

„Eines zeichnet solche Individuen aus: Sie haben das unersättliche Wesen von Hohltieren, Schwämmen, die alles leicht aufsaugen und es ebenso leicht wieder abgeben. Sie behalten nichts länger für sich, und da die Natur keine Leere duldet, brauchen sie immer etwas Neues, müssen ständig etwas aufsaugen, ergänzen, vermehren, vergrößern. Herodots Denken ist nicht imstanden, bei einem Ereignis oder einem Land zu verweilen. 

Oder in einem Kapitel als Kapuściński im östlichen Mittelmeerraum unterwegs ist, liest er die Passagen, wo Herodot über die Verzweiflung eines Kriegers spricht, der ahnt, dass er kurz darauf in einem aussichtslosen Kampf fallen wird. Auch Kapuściński erlebt die Region in Unruhe, während seines Besuches und auch heute noch sterben – genauso sinnlos – nahezu jeden Tag Kämpfer in und um Syrien herum.

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„Herodot ist ein Kind seiner Kultur und der menschenfreundlichen Atmosphäre, in der sich diese entwickelt. Es ist eine Kultur der langen, gastlichen Tische, an denen Menschen an lauen Abenden gemeinsam sitzen, Käse und Oliven essen, kühlen Wein trinken und sich unterhalten. Dieser offene, von keinen Mauern begrenzte Raum am Meeresufer oder auf einem Berghang wirkt befreiend auf die menschliche Phantasie.“ 

Meine Reisen mit Herodot ist kein Buch für ungeduldige Leser und es ist eines, das es verdient, mehrfach gelesen zu werden. Ich habe auf jeden Fall Lust bekommen, mir auch einen Herodot für künftige Reisen zuzulegen.

Eine sehr schöne Besprechung des Buches findet sich auch bei Birgit von Sätze und Schätze.

#Women in Science (8) Mary Beard

„The aim of Classics is not only to discover or uncover the ancient world. Its aim is also to define and debate our relationship to that world“

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Ich mag die „Very Short Introduction“-Serie sehr gerne, diese Ausgabe habe ich mir explizit wegen der Co-Autorin Mary Beard geholt, eine der führenden Historikerinnen, die einen wunderbar trockenen Humor besitzt. In dieser Ausgabe war jetzt nicht unbedingt viel Platz für ihren Humor, aber mir hat die Herangehensweise hier sehr gefallen. Die Beschreibung eines griechischen Tempels, den sie aus ganz unterschiedlichen Richtungen beleuchtet um nicht nur dessen Geschichte herauszuarbeiten, sondern die Entwicklung der Altertumswissenschaften selbst mit Ausflügen in die Mythologie, antike Religionen, Reisen in der Antike, Erdkunde, Philosophie und die Literatur.

Mary Beard ist Professorin of Classics an der Universität Cambrige, Fellow am Newnham College und der Royal Academy of Arts und Professorin für antike Literatur. Sie ist Redakteurin für die Classics beim Times Literary Supplement und betreibt nebenher noch recht regelmäßig einen Blog namens „A Don’s Life“. Durch ihre regelmäßigen Auftritte in den Medien und ihre gelegentlich etwas kontroversen Aussagen ist sie mittlerweile die wohl bekannteste britische Altertumswissenschaftlerin.

Ihr ist wichtig, dass antike Quellen als Dokumente der Meinungen und Überzegungen ihrer jeweiligen Autoren zu werten sind und nicht als zuverlässige Quellen für die Ereignisse die sie beschreiben. Ein Gedanke, dem ich mich tatsächlich gut anschließen kann.

Diese „Very Short Introduction“ ist eine eloquente und fesselnde Reise in die Welt der Antike. Aber anstatt zum x-ten Mal den Peleponnesischen Krieg zwischen den Griechen und den Persern hoch- und runterzubeten, oder Athen als Geburtsstätte der Demokratie oder ähnliche Meilensteine der Antike zu beleuchten, fokussiert sie sich auf ein ganz bestimmtes Objekt. Auf die Ruinen eines antiken griechischen Tempels: den Tempel des Apollo in Bassae in Arkadia.

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Der Tempel agiert als Landkarte die Beard und Henderson die Möglichkeit gibt die Altertumsforschung aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Die Leser werden zu Touristen und Beard und Henderson sind die informativen Tour Guides.

“When we look, for example, at the Parthenon for the first time, we look at it already knowing that generations of architects chose precisely that style of building for the museums, town-halls, and banks of most of our major cities.” 

Die Fragen, die die Altertumsforschung stellt zielen nicht einfach nur darauf ab, Licht in das Dunkel der Antike zu bringen, es geht auch darum unsere Beziehung zu dieser antiken Welt zu definieren.

So ein kurzes Büchlein kann natürlich nicht alles abdecken und das versucht es auch gar nicht unbedingt. Es ist sehr gut geschrieben und macht Lust sich wieder einmal intensiver mit griechischer und römischer Geschichte auseinander zu setzen. Die Altertumsforschung ist ein Fachgebiet, dass so tief wie die Menschheitsgeschichte ist und was Altertumsforschung tatsächlich bedeutet muss stets und ständig neu austariert und erkundet werden.

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Foto: Wikipedia

Et in Arcadia Ego“ – Auch ich war in Arkadien. Noch nicht, aber nach der Lektüre dieses Buches möchte ich wahnsinnig gerne einmal die Ruinen in Griechenland ansehen, idealerweise mit der Hörbuch-Ausgabe. Dann steige ich mit Mary Beard in eine Zeitmaschine und sehe mir den Tempel an so wie er ursprünglich einmal war mit bunt bemalten Säulen und voller Leben.

Auf deutsch erschien das Büchlein unter dem Titel „Kleine Einführung in die Altertumswissenschaft“ im J. B. Metzler Verlag.

Hat einer von Euch den Tempel bzw seine Ruinen schon einmal besichtigt? Oder die Fresken im Britischen Museum in London?

Book-a-Day Challenge – Day 7

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Jared Diamond, the winner of the Pulitzer price, argues in this book quite convincingly that geographical and environmental factors shaped the world we live in. Societies that had the first crack in producing food and start agriculture advanced much quicker beyond the hunter-gatherer stage, developed writing, technologies, the state and also organized religion.

They also were the first do „develop“ germs and virus which came from living in close proximity to the animals and they also invented deadly weapons which gave them a major advantage when it came to conquering land and decimate culture that had been slower in adapting agriculture and therefore were often still in preliterate stages.

Jared Diamond offers a stunning analysis of why civilization emerged in the places in which it did and why societies that had a head start could keep it until today.

“History followed different courses for different peoples because of differences among peoples‘ environments, not because of biological differences among peoples themselves” 

His main theory is that it is not racial biology that determines the victor in history but a complex combination of agriculture, population size, geography, and continental orientation. A theory that I found entirely fascinating and compelling. For the enourmous amount of research in an astounding number of fields like biology, agriculture, history, climatology, sociology, etc. I found the book refreshingly accessible. I can totally understand why Mr. Diamond received so much praiseand the Pulitzer for this important work written in a way that non-scientists can grasp quite easily.

“In short, Europe’s colonization of Africa had nothing to do with differences between European and African peoples themselves, as white racists assume. Rather, it was due to accidents of geography and biogeography—in particular, to the continents’ different areas, axes, and suites of wild plant and animal species. That is, the different historical trajectories of Africa and Europe stem ultimately from differences in real estate.”

“It’s striking that Native Americans evolved no devastating epidemic diseases to give to Europeans in return for the many devastating epidemic diseases that Indians received from the Old World.” 

Guns, Germs and Steel chronicles the way in which the world we live in started and convincingly dismantles any racially based theories on human history.

Follow up today’s recommendation with Yuval Noah Harari’s „Sapiens“ and Stephen Greenblatt’s „The Swerve

21 Lektionen für das 21. Jahrhundert – Yuval Noah Harari

“In a world deluged by irrelevant information, clarity is power.”

In „Sapiens: A Brief History of Humankind“ führt uns Harari durch die Geschichte der Menschheit und nimmt uns in „Homo Deus“ mit in die Zukunft, in die wir als Spezies unterwegs sind. In den „21 Lessons for the 21st Century“ beschäftigt er sich mit den größten Herausforderungen, vor denen wir heutzutage stehen und was wir in der näheren Zukunft erwarten sollten. Es wird euch wahrscheinlich nicht überraschen, das ist überwiegend nicht gerade lustig, aber Harari verbreitet keinesfalls reine Weltuntergangsstimmung, sondern zeigt Wege auf, uns aus der Erstarrung zu lösen und erste Schritte zu machen, um mögliche Lösungen zu finden.

Wir können nicht wirklich vorhersagen, welche Änderungen Artifial Intelligence, Machine Learning und andere Technologien bringen werden und wie sie sich auf unser Leben auswirken werden, was wird sich hoffentlich dadurch verbessern wird, aber auch, auf welche Risiken wir vorbereitet sein sollten. Unsere Welt ist so derart anders, als die Welt von vor 500 Jahren zum Beispiel, wir können also davon ausgehen, dass die Welt schon in 100 Jahren eine wiederum komplett andere sein wird. Schon jetzt haben wir das Gefühl, dass sich permanent alles verändert und wir mit den Änderungen gar nicht mehr Schritt halten können. Ich denke, das Tempo wird sich eher erhöhen und wir müssen als Spezies lernen, uns auf diese Dauerveränderungen besser einzustellen.

Wie müssen wir unsere Kinder erziehen, was müssen sie in der Schule lernen, um für eine so volatile Zukunft das beste Rüstzeug zu haben? Wie können wir selbst lernen, wer wir eigentlich sind, bevor Algorithmen uns besser kennen, als wir selbst und uns nach Beliebigkeit manipulieren?

“Humans think in stories rather than in facts, numbers, or equations, and the simpler the story, the better.”

Harari beschäftigt sich mit diesen Fragen als auch mit den Themen Politik, Terrorismus, Bildung, Klimawandel, Religion etc. Wie schon in seinen vorherigen Büchern verteilt er kräftig Hirnfutter in Form von Fakten, regt zum Nachdenken an und bietet erste Lösungsideen, auf denen man weiter herum denken kann.  Dieses Buch ist philosophischer als die beiden vorherigen und bringt den Leser dazu, intensiv über uns als Menschheit, unsere Geschichte und Geschichten, unsere Vergangenheit und unsere Zukunft nachzudenken.

Wenn wir als Spezies nicht einfach nur überleben, sondern auch eine lebenswerte Zukunft für alle (inklusive der Tier- und Pflanzenwelt) schaffen wollen,  muss es uns gelingen, uns von überholten Legenden und Geschichten zu lösen wie Nationalismus, Religionen oder unsere Besessenheit, mit dem Markt als einzig regulierendem Element. Wir müssen lernen zu akzeptieren, dass unsere eigene Sicht auf die Welt nicht automatisch die Sicht eines anderen sein muss und das deren Leiden weniger ernst zu nehmen ist, als unser eigenes. Wenn wir es als Menschheit schaffen wollen im Angesicht von Klimawandel, Demokratie-Erodierung und sich immer tiefer spaltenden Bevölkerungen, dann wird uns das nur gelingen, wenn wir als Weltbürger zusammen kommen.

Ich hoffe nicht, dass die Erhaltung der Erde als einen für unsere Spezies bewohnbaren Planeten als weiteres Kapitel unter der „Tragedy of the Commons“ laufen wird.

Morality doesn’t mean ‘following divine commands’. It means ‘reducing suffering’. Hence in order to act morally, you don’t need to believe in any myth or story. You just need to develop a deep appreciation of suffering.” 

Ich hoffe, wir schaffen es Vorurteile und jegliches völkisches Stammesgehabe hinter uns zu lassen. Das war hilfreich für unsere Jäger & Sammler Vorfahren, wird uns aber bei den Problemstellungen, die wir als Menschheit heute vor uns haben, eher hinderlich sein.

“Questions you cannot answer are usually far better for you than answers you cannot question.”

Für mich ist Harari ein Licht in der Dunkelheit und ich finde seine Bücher enorm wichtig. Es ist vielleicht nicht sein bestes Buch, aber da war so viel in dem Buch, dass mich zum Nachdenken gebracht that. Auch wenn vieles natürlich spekulativ ist und er bewusst teilweise überzeichnet, es geht darum, den Leser zu provozieren und zum Nachfragen und Denken zu bringen und das kann meines Erachtens fast keiner so gut wie Harari.

Ich danke dem CH. Beck Verlag für das Rezensionsexemplar.

Hier ist ein sehr spannendes Interview mit dem Autor:

Lukrez und die große Wende

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Foto: Wikipedia

Der griechische Philosoph Epikur (341 – 270 BCE) gründete eine philosophische Schule, die hunderte von Jahren in der hellenistischen und römischen Welt gedeihte und viele Anhänger hatte. Von Epikur sind uns leider nur ganz wenige Fragmente seiner Schriften erhalten geblieben. Das wohl am besten erhaltene Schriftstück ist das vom römischen Dichter Lukrez verfasste Gedicht „Über die Natur der Dinge“. „The Swerve“ ist Stephen Greenblatts Interpretation, wie das Gedicht von einem humanistischen Beamten namens Poggio Bracciolini aus dem Vatikan im 15. Jahrhundert wieder entdeckt und gerettet wurde und welchen Einfluss dieses Ereignis auf den Verlauf der Geschichte nehmen sollte.

Bracciolini war ein Bücher- bzw Manuskriptjäger. Er und auch andere Humanisten seiner Generation suchten in ganz Europa in Klösterbibliotheken nach antiken Manuskripten und versuchten, diese vor dem Vergessen zu bewahren. Poggio entdeckte Lukrez‘ Gedicht vermutlich in einem deutschen Kloster im Jahr 1417. Poggio ist ein ungewöhnlicher Charakter seiner Zeit: er ist neugierig, in einer  Zeit in der das absolut nicht als Tugend gesehen wurde und er ist fasziniert von den Ideen und Schriften der heidnischen Antike, ein nicht ungefährliches Hobby für ihn, das ihn oft gefährlich nah in die Ecke der Ketzerei bringt.

Das Gedicht hatte immensen Einfluss auf die Denker der Renaissance. Sein Einfluss kam nicht nur von der großen Schönheit der Sprache, sondern auch von der subversiven Natur, die Epikurs Philosophie zu Grunde liegt. Epikur war ein Materialist. Er glaubte, dass alles in der Natur aus fundamentalen kleinen Partikeln besteht, die er Atome nannte. Diese Atome existieren in unbegrenzter Leere, aber nach Epikurs Ansicht in bestimmten Formen und Größen. Sie sind unsterblich und wurden nicht von irgendwem erschaffen und sie werden auch nie enden. Epikur glaubte, dass Atome sich ständig bewegen und miteinander kollidieren und dabei sämtliche existierende Formen des Universums bilden, inklusive des Menschen, die nach Epikurs Auslegung ebenfalls nicht einzigartig geschaffen werden. Darüberhinaus sind die Anhänger von Epikur überzeugt, dass es einen freien Willen gibt.

Ausgehend vom Materialismus glaubte Epikur auch nicht an irgendeine Form von Leben nach dem Tod oder Auferstehung. Wenn wir sterben, setzen wir unsere Atome frei und diese formen dann neue Dinge. Er lehnte Religion grundsätzlich als Irrglauben und Täuschung ab, die den Menschen davon abhalten, glücklich zu sein. Damit der Mensch nach Glück streben kann und glücklich sein kann, muss er sich von diesen Illusionen lösen.

Epikurs Materialismus war – nicht sehr überraschend – absolute Ketzerei für die Christen und aus diesem Grund wurde Epikur stets heftig von ihnen attackiert. Eine der nachhaltigsten und am Weitesten verbreite Anschuldigung gegen ihn war der Vorwurf seines grenzenlosen Hedonismus. Dieser Vorwurf lässt sich aber recht leicht widerlegen. Epikur glaubte nämlich, dass der Mensch maßvoll leben sollte und durch Reflektion und Kontemplation ein gelassenes Leben führen kann, das frei von Ängsten und körperlichen Schmerzen ist. Für Epikur ist diese Kombination aus Gelassenheit und Freiheit von Angst und Schmerz der Weg zum Glück.

Als Poggio das Manuskript „Von der Natur der Dinge“ in die europäische Gesellschaft des 15. Jahrhunderts entlässt, war es kein Wunder, dass die christlichen Autoritäten versuchten, es zu unterdrücken wo sie nur konnten. Was das Gedicht rettete und seine Zerstörung verhinderte, war seine absolut wunderbare Sprache. Selbst christliche Gelehrte konnten sich dieser Wirkung nicht völlig entziehen und es wurde – oft heimlich – immer wieder untereinander ausgetauscht und abgeschrieben. Auch der Atomismus/Materialismus Epikurs begann seinen Einfluss zu entfalten, den man am Stärksten in den Werken von Malern wie Raphael oder Leonardo da Vinci sieht oder in den Schriften von Machiavelli, Giordano Bruno und einigen anderen.

Greenblatt hat mich mit diesem Buch sehr beeindruckt. Er hat ein intellektuelles, aber sehr eingängiges Buch geschrieben, das sich intensiv mit Epikurs Philosophie, Lukrez‘ Poesie und Poggio Braccolinis wunderbarem Triumph beschäftigt. „The Swerve“ erhielt den Pulitzer Preis 2012 und wer das Buch liest, versteht sehr schnell warum. Eines meiner absoluten Lieblingsbücher dieses Jahr. Lukrez’ Gedicht “Von der Natur der Dinge” ist überraschend modern und war zu seiner Zeit unglaublich radikal. Greenblatt schafft es wunderbar, die Geschichte des „Buchjägers“ Poggio Bracciolini mit dem Fall Roms und dem Finden von raren antiken griechischen und römischen Dokumenten die in Klöstern verborgen sind zu verbinden.

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Wie gut es für die Nachwelt ist, dass die meisten Texte im Laufe der Jahrhunderte nicht aus einer intellektuellen Stimulanz heraus wieder und wieder von Mönchen kopiert wurden, sondern aus einem mechanischen Akt des Gehorsams heraus, das wurde mir erst durch Greenblatts Buch bewusst. Ein intellektuell stimulierter Mönch wäre deutlich mehr in Versuchung gewesen, mit dem Text zu interargieren und ihn gegebenenfalls zu ändern oder zu ergänzen, wodurch wir den Mönchen im Nachhinein für ihr stumpfes Abschreiben dankbar sein können.

“The Swerve” ist nicht nur eine romantische Geschichte über besessene Buchjäger, es ist so so viel mehr. Das Buch erzählt von Leidenschaft und Opferbereitschaft, aber auch von Fanatismus und philosphischer Entschlossenheit. Die Glaubenskriege, die heute toben sind nichts Neues, sondern im Grunde nur eine Weiterführung der Kämpfe von Angst gegen Rationalität und Glaube gegen Logik. Ketzer, die an Atome und nicht an die Seele und ein Leben nach dem Tod glaubten, wurden lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrannt, oft nach qualvoller Folter und Verstümmelungen, alles im Namen der Religion. Ideen haben schon immer eine unglaubliche Kraft besessen, waren gefährlich und konnten einem im Handumdrehen das Leben kosten. Intoleranz ist leider nichts neues und sehr weit sind wir in unserer Entwicklung da leider noch nicht gekommen. Überraschend fand ich auch, dass Thomas Jefferson sich selbst als Epikureer gesehen hat und Amerika auf sein „Streben nach Glück“ auf den philosophischen Gedanken von Demokrit und Epikur basiert. Auf diese Grundwerte sollten sich nicht nur die Amerikaner wieder einmal zurückbesinnen, denn mit Angst alleine werden wir unsere Zivilisation nicht weiterentwickeln.

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Die Lektüre von Lukrez‘ Gedicht kann ich nur jedem ans Herz legen. Wer Latein spricht, den beneide ich, doch auch deutsche Übersetzung war von unglaublicher Klarheit und Schönheit und es ist eines der Bücher, das man immer wieder aus dem Regal nimmt um darin zu blättern und sich festzulesen. Die Büchergilde hat mit der Ausgabe in der Übersetzung von Klaus Binder ein absolutes Schmuckstück geschaffen.

The Swerve“ ist auf deutsch unter dem Titel „Die Wende: Wie die Renaissance begann“ im Siedler Verlag erschienen.

Über der Natur der Dinge“ ist bei der Büchergilde Gutenberg erschienen.

Hirngymnastik: Alexander von Humboldt Marathon

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Es gibt wohl kaum einen Wissenschaftler, der unser Verständnis der Natur als universales zusammenhängendes Netz mehr geprägt hat, als der große preußische Naturforscher, Forschungsreisender und Universalgelehrte Alexander von Humboldt, der mit diesem Verständnis auch als Urvater der Naturschutzbewegung und Ökologie gelten kann.

In ihrer preisgekrönten großartigen Biografie stellt uns die Historikerin Andrea Wulf den Menschen Alexander von Humboldt als überraschend modernen Forscher vor, dessen Ideen bis heute wirken, insbesondere wenn es um Klimawandel oder Nachhaltigkeit, Konzepte und Ideen geht, mit denen er gut ein Jahrhundert seiner Zeit voraus war.

Sein Vermächtnis ist nicht so sehr eine einzelne Entdeckung, obwohl er als Entdecker des magnetischen Äquators, der Klimazonen und der Isothermen gilt – es ist tatsächlich mehr seine Haltung, seine Sicht auf die Welt und die Fähigkeit, Muster und Verbindungen zu sehen und diese zusammenzufügen – „Alles ist Wechselwirkung“.

Zu Humboldts Freundes- und Bekanntenkreis zählten schon früh die führenden Intellektuelle seiner Zeit wie Goethe, Schiller, Johann David Schlegel und andere. Seine Entdeckungsreisen begannen 1790 mit seiner Reise in Begleitung Georg Forsters an den Niedrhein, nach England und in das revolutionsbewegte Frankreich.

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Humboldt war neben all seinen wissenschaftlichen Entdeckungen auch sowas wie der Urvater des Networking. Er hatte die wunderbare Eigenschaft, mit jedem reden zu können und pflegte intensive Freundschaften. Er finanzierte und unterstützte junge Forscher durch Empfehlungsschreiben an Menschen aus seinem reichhaltigen Netzwerk und sein Einfluß auf die Literatur und Wissenschaft seiner Zeit war immens.

So weckten die Werke Alexander von Humboldts in Darwin die Reiselust nach Südamerika und Humboldts „Reise nach den Tropenländern“ war seine stetige Lektüre auf der Beagle.

Thoreau, Emerson, der amerikanische Präsident Thomas Jefferson oder auch der südamerikanische Revolutionär Simon Bolivar waren große Verehrer von Humboldt und auch die Astronomin Maria Mitchell, die ihn kurz vor seinem Tod traf, zeigte sich beeindruckt von seinem wissenschaftlichen Enthusiasmus und seiner Präsenz.

Humboldt beeinflusste nicht nur die hellsten Köpfe seiner Zeit, er war einer der ersten, der sich für ein fruchtbares Miteinander von Geistes- und Naturwissenschaften einsetzte. Sein integratives Herangehen an die Wissenschaft bedeutete für ihn immer auch Elemente aus der Philosophie, der Geschichte, der Literatur und Kunst mit aufzunehmen.

Er versuchte, das Silodenken in der Wissenschaft zu überbrücken, regte zum interdisziplinären Denken an und  veranstalte einen der ersten Kongresse, auf denen Wissenschaftler und Künstler nicht nur Vorträge hielten, sondern explizit aufgefordert waren, miteinander zu sprechen.

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Nach seiner fünfjährigen Forschungsreise durch Südamerika lebte der nur selten lange an einem Ort verweilende Herr überwiegend in der damaligen geistigen Hochburg Paris, sehr zum Missfallen des preußischen Königs, der ihn lange Zeit dennoch finanziell unterstützte. Humboldts Schaffensdrang war immens. Er veröffentlichte Hunderte von Büchern, wissenschaftlichen Texten, führte eine immense Korrespondenz und allein seine Tagebücher umfassten über 4500 Seiten. Seine Reisen und die hohen Druckkosten verschlangen einen Großteil seines Vermögens und etwa 20 Jahre nach seiner Rückkehr aus Südamerika riss dem preußischen König der Geduldsfaden und er orderte ihn 1829 als „Wirklich Geheimer Rat“ nach Berlin zurück. Immerhin handelte er einen jährlichen viermonatigen Paris-Aufenthalt heraus, denn Berlin war für Humboldt nie Heimat und sollte es auch nicht mehr wirklich werden.

„Das Land, in das Humboldt zurückkehrte, war entschieden anti-liberal. Die politischen Rechte waren sehr eingeschränkt, und liberale Ideen wurden generell unterdrückt. Preußens Mittelschicht hatte sich deshalb aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen und widmete sich ihren Privatinteressen. Musik, Literatur und Kunst drückten Gefühle aus anstelle revolutionärer Ansichten. Den Geist von 1789, wie Humboldt ihn nannte, gab es nicht mehr.“

1830 unternahm Humboldt seine letzte Forschungsreise nach Russland, wo er gemeinsam mit seinen Begleitern innerhalb eines knappen halben Jahres 15.000 km zurücklegte, gezogen von sage und schreibe 12.000 Pferden.

Die immense Popularität zu seinen Lebzeiten erlangte Humboldt insbesondere durch seine Gesamtschau der wissenschaftlichen Welterforschung, dem KOSMOS, dem er sich in seinen letzten zweieinhalb Jahrzehnten widmete und das zwischen 1845 – 1862 in fünf Titeln veröffentlicht wurde.

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Im Winter 1827/28 hielt er in der Berliner Singakademie 16 öffentliche Vorlesungen, die keinen Eintritt kosteten, die zu den Sternstunden der populären Wissenschaftsvermittlung gelten können. Er begründete damit das Genre der Populärwissenschaft und das soziale Spektrum seiner Hörer reichte vom Maurermeister, Krankenschwestern über wissenschaftliche Kollegen bis hin zu König Friedrich Wilhelm III – eine soziale Mischung, die in dieser Breite zuvor kein anderer deutscher Gelehrter erreicht hatte und die sehr dem Wesen Humboldts entsprachen.

Auch wenn es unzählige Orte, Pflanzenarten etc. gibt, die nach ihm benannt sind, ist Humboldt heute zu Unrecht deutlich weniger präsent als beispielsweise Darwin. Andrea Wulf rückt Humboldt in ihrem weltweit sehr erfolgreichen Buch wieder mehr ins verdiente Rampenlicht.

„Die Erfindung der Natur“ ist absolut fesselnde Lektüre und bringt uns einen Menschen näher, der nicht nur zum Begründer des Naturschutzes wurde, sondern der sich für alle Menschen unabhängig ihrer Herkunft einsetzte.

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Ein ganz besonderes Schmankerl ist die wunderschöne Ausgabe „Das Buch der Begegnungen – Menschen / Kulturen / Geschichten aus den amerikanischen Reisetagebüchern“ von Alexander von Humboldt aus dem Manesse Verlag, dem ich an dieser Stelle sehr für dieses umwerfende Rezensionsexemplar danke.

„Man glaubt einen alten Freund zu sehen beim Anblick des Meeres: Das Herz öffnet sich, die Einbildungskraft füllt sich mit tausenderlei Gedanken an Verbindungen, an Möglichkeiten, an Hoffnungen, Freunde ankommen zu sehen, zu den Seinen zurückzukehren …“

Es macht riesigen Spaß in diesem wunderschön aufgemachten Buch mit edlem Leineneinband, Lesebändchen und feiner Typografie zu blättern. Ein Buch, in dem man versinken kann und das gewollt nicht unbedingt chronologisch gelesen werden muss, sondern man blättert, liest, bleibt hängen.

Es gibt ein chronologisches Inhaltsverzeichnis aber auch einen sogenannten „Leseparcours“ der eine Sortierung nach individuellen Themen bietet, der dem vernetzten Denken Humboldts huldigt und uns an seiner Themenfülle, dem breiten Spektrum seines Denkens teilhaben läßt.

Man kann wunderbar seine immer stärkere, kritische Haltung zum Kolonialismus und insbesondere zur Sklavenhaltung verfolgen. Wissen war für ihn nicht einfach intellektuelles Können – es war die Fähigkeit eines integrativen, holistischen Erfassens des Lebens in all seinen Dimensionen.

„Die Sklaverei ist auf Unmoral gegründet; die Regierung soll Menschen ihrer heiligsten Rechte berauben, deren Haut von einer anderen Farbe ist, mit der Erlaubnis, das, was man in Havanna, auf Jamaica, in Sainte-Croix (und vor 1789 auf Saint-Domingue) tat, zu verüben: einer Mutter ihr Kind zu rauben und in 400 Meilen Entfernung zu verschleppen. Eine Regierung besitzt keinerlei Recht, die Unmoral zu sanktionieren.“

Humboldt war bis ins hohe Alter begeisterter Bergsteiger, Vulkanologe und Wanderer und hat wieder und wieder seine wissenschaftlichen Thesen an seinem eigenen Körper getestet. Für ihn waren Körper, Geist und Seele Instrumente, mit denen er die Welt vermessen und ergründet hat. Er war ein Fürsprecher von Rationalität und Emotionalität in einer Welt, die beides gerne sauber von einander getrennt halten wollte.

Durch seine Sensibilität für die Tatsache, dass alles miteinander verbunden ist, war er auch einer der ersten der erkannte, welche katastrophalen Folgen der durch die Menschen verursachte Klimawandel mit sich bringt. Das war ihm gerade deshalb möglich, weil er es vermied, klare Trennlinien zu ziehen zwischen Wissenschaft, Kunst und Literatur.

„Betrachtet man Natur nun als Netz, wird offensichtlich, welchen Gefahren sie ausgesetzt ist. Alles hängt mit allem zusammen. Wenn ein Faden gezogen wird, kann sich das ganze Gewebe auflösen.“

Mein Humboldt Marathon hat riesigen Spaß gemacht und ich kann folgende Bücher aus ganzen Herzen empfehlen:

  • Alexander von Humboldt: Das Buch der Begegnungen erschienen im Manesse Verlag
  • Andrea Wulf: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur erschienen in der Büchergilde Gutenberg
  • Alexander von Humboldt: Die Kosmos-Vorträge erschienen im Insel Verlag.

 

Kluge Köpfe II

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Als sich vor ein paar Tagen „meine“ Siri Hustvedt mit Miriam Meckel in Zürich zum Gespräch traf, wurde ich vor lauter Neid schon ein bisschen ohnmächtig. Es gibt einfach Menschen mit wahnsinnig attraktiven Gehirnen und mit diesen beiden Damen würde ich liebend gerne mal ein paar Nächte durch diskutieren und über die Zukunft der menschlichen und künstlichen Intelligenz sprechen.

Miriam Meckel untersucht in ihrem Buch „Mein Kopf gehört mir“ in 14 Stationen die unterschiedlichen Wege, in denen die Menschen momentan versuchen, ihr Hirn zu tunen und sich mit Hilfe der Technologie in mehr oder weniger Cyborgs zu verwandeln. Dabei reicht es ihr bei weitem nicht, entsprechende Literatur darüber zu lesen, Frau Meckel startet eigentlich überall den Selbstversuch und führt protokollarisch Tagebuch über ihre Erlebnisse.

„Es wird unsere Aufgabe für die Zukunft sein, den Verbindungsbalken zwischen den Hemisphären des neuen Weltgeistes aus menschlicher und künstlicher Intelligenz zu bauen. Wenn es schlecht läuft, werden wir verlieren von dem, was unsere Welt und das Leben schön macht: Kreativität, Emotionen, geistige Einzigartigkeit und die Fähigkeit, Menschen und Dinge zu lieben. Wenn es gut läuft, wird es uns gelingen, die beiden Zustände zu verbinden und in einer großartigen Welt zu leben…“

Das geht von 24 Stunden in der Dunkelkammer, Neuro Enhancer Pillen und Stromstößen fürs Gehirn bis hin zu Spracherkennung über das Gedankenlesen. Nicht alle Versuche gingen spurlos an ihr vorbei und sie hat sich da weit aus ihrer Komfortzone rausgewagt.

Besonders gefiel mir, dass Meckel nie plakativ ins Schwarz-Weiße verfällt. Sie zeigt kritisch Gefahren auf, erklärt aber auch die durchaus bestehenden positiven Möglichkeiten, insbesondere für die Medizin. Immer wieder werden wir mit der Frage konfrontiert, sollen wir wollen, was wir können, was bedeutet das aus ethischer Sicht für die Menschen und wie weit können wir die möglichen Folgen absehen, weil aktuell vieles noch nicht durch Langzeitstudien erforscht ist?

Ein spannendes und unterhaltsames Buch, das ich sehr gerne gelesen habe und ich hoffe noch immer auf einen Besuch der Autorin in München. Mein Hirn war jedenfalls permanent on fire und ich könnte problemlos die ganze Nacht mit Frau Meckel diskutieren – auch ganz ohne Hirnboosting durch Stromzufuhr.

Ich bedanke mich beim Piper Verlag für das Rezensionsexemplar.

Verteidigung des liberalen Charakter

Dieses kleine Büchlein hatte unglaublich viele großartige Erkenntnisse geboten für mich, ich kam aus dem Unterstreichen überhaupt nicht mehr raus. Strenger führt aus, dass die Menschen ihre Freiheiten als selbstverständlich und naturgegeben ansehen und nicht als etwas, dass man sich erarbeiten muss und für das es sich zu kämpfen lohnt.

Wir sehen die politische Stabilität und die Menschenrechte zum Beispiel als eines unserer Grundrechte an und in dem Moment, wo irgendwer diese Rechte beschneidet oder uns ins Gehege kommt, kreiden wir das dem jeweiligen Politiker oder der Gesellschaft als solches an, sehen es aber in der Regel nicht als unser ureigenes Problem an, das wir proaktiv mit lösen müssen.

Die meisten sind so sehr damit beschäftigt, sich selbst zu optimieren durch Sport, die passende Ernährungsweise oder dem optimierten Schlafverhalten, dass neben Beruf und Selbstoptimierung maximal noch Zeit für Beruf und etwas Familie bleibt, aber für die Gesellschaft bleibt am Ende nichts übrig.

Wir haben meistens kein größeres Ziel, als uns selbst zu verbessern, was dazu führt, dass unsere gesellschaftlichen Systeme einknicken oder von rechts unterwandert werden. Wir sind zuviel mit uns selbst beschäftigt und haben keine Zeit und nicht genügend Interesse, der Gesellschaft etwas zurück zu geben. Eine Kritik, die ich mir auch persönlich gefallen lassen muss. Ich sehe einiges positiver als Strenger, aber grundsätzlich trifft er mit vielen Punkten ins Schwarze.

Die größte Leistung der westlichen Aufklärung liegt darin, dass sie den Menschen die Möglichkeit, gibt ihr Leben frei gestalten zu können und es heute mehr Auwahl gibt als je zuvor. Das ist aber nicht nur Anlass zur Freude, denn es bedeutet auch, dass die Menschen sich ihre existentiellen Fragen nach dem Warum, ihrer Identität, dem Sinn etc. selbst beantworten und ihrem Leben einen eigenen Sinn geben müssen. Manche Menschen befreit diese Freiheit, doch für einige bedeutet es ein zu viel an Verantwortung, Mut und Anstrengung und das auch noch ohne Erfolgsgarantie.

„Wo negative Freiheit als Freiheit von äußeren Zwängen definiert ist, besteht die positive darin, dass wir wirklich autonom sind. Wahre Selbstbestimmung erfordert Vernunft, Wissen und Disziplin. Mit negativer Freiheit ist durchaus vereinbar, dass wir zu Sklaven unserer Leidenschaften, Begierden oder auch äußerer Manipulation werden. Der Begriff der positiven Freiheit hingegen gibt einer starken menschlichen Intuition Ausdruck: Wahrhaft frei sind wir nur dann, wenn wir die negative Freiheit mit Inhalten füllen, für die wir uns bewusst entschieden haben.“

Die westlichen Gesellschaften werden nicht überleben können, wenn die Menschen nicht bereit sind, ihre persönliche und gesellschaftliche Freiheit zu verteidigen.

Mit eines der wichtigsten Bücher für mich, die ich dieses Jahr gelesen habe. Spannend und bringt das Hirn garantiert auf Hochtouren.

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Ich habe hier ja schon bis zum Abwinken seine beiden Bücher „Sapiens“ und „Homo Deus“ besprochen, beworben und vielfach verschenkt und zugegebenermaßen ist hier nichts neues drin, da es sich hier um einen Auszug aus seinen beiden Büchern handelt. Trotzdem. Es hat sich gelohnt, dieses Büchlein zu lesen.

Der erste Teil erzählt die Geschichte des Geldes. Wie und warum wurde es erfunden? Warum hat es so eine derart große Bedeutung in unserem Leben und macht es uns eher glücklich oder unglücklich? Im zweiten Teil entwickelt er Zukunftsszenarien zur Zukunft der Menschheit, des Individuums und der Gesellschaft. Wir befinden uns am Rande einer Revolution, ob wir das wollen oder nicht.

Seine brillianten Einsichten, Klarsicht und seine Weitsichtigkeit sorgen für Lektüre die den Leser aufrüttelt, zum Nachdenken bringt und wer sich bislang nicht sicher war, ob er seine beiden Bücher lesen sollte, spätestens nach diesem Auszug dürfte alles klar sein.

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Die beiden Essays machte Susan Sontag über Nacht zu einer literarischen Sensation und waren die ersten, die versucht die Grenzen zwischen der sogenannten „Hoch- und Trivialkultur“ zu überwinden.

„Camp“ auf Deutsch vielleicht mit dem Begriff „Kitsch“ oder „affektiert“ zu übersetzen ist eine bestimmte Form des Ästhetizismus. Eine bestimmte Art, die Welt zu sehen. Es hat nicht unbedingt mit Schönheit im klassischen Sinne zu tun, sondern mehr mit einer Versinnbildlichung der artifiziellen stilisierten Form.

The more we study Art, the less we care for Nature“

„The ultimate camp state means it’s good because it’s awful“

Mir hat der zweite Essay „One Culture and the New Sensibility“ vielleicht sogar noch besser gefallen. Es beschäftigt sich mit der nach wie vor aktuellen Debatte um den Bruch zwischen low und high brow Kultur und die Weiterentwicklung in die sogenannte nobrow Kultur.

„One important consequence of the new sensibility is that the distinction between high and culture seems less and less meaningful.“

4 Hirne und die daraus entstandenen Texte/Bücher, die garantiert den Blickwinkel erweitern und die eigenen Synapsen zum Glühen bringen. Hier die klugen Köpfe noch mal im Überblick:

  • Miriam Meckel „Mein Hirn gehört mir“ erschienen im Piper Verlag
  • Carlo Sprenger „Abenteuer Freiheit“ erschienen im Suhrkamp Verlag
  • Yuval Noah Harari „Money“ erschienen im Vintage Verlag
  • Susan Sontag „Notes on Camp“ erschien im Penguin Verlag

Day 21 – Can’t stop talking about it

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After briefly checking with the people around me, it looks like it was pretty difficult to shut me up when it came to „Sapiens“ – I just totally loved that book. Read the book and the follow-up „Homo Deus“ (which is also pretty good) in a week, whilst on holiday on Crete and it was not easy to make me stop reading even just long enough to go for dinner…

I have turned into this annoying missionary-like person who tries to force the people around me to buy and read it already…

You can find the full review here.

Do you have one of this books that you just can’t shut up about? 😉