
Von dem in Australien geborenen Österreicher Heinrich Steinfest ist man ja einiges gewohnt und wer seine Romane in die Hand nimmt, sollte sich auf groteskes, geistreiches Speedgeplauder gefasst machen.
Die Hauptrolle neben dem 10jährigen Protagonisten Theo spielt ein grünes Rollo, das eines Nachts pünktlich um 23.02 vor Theos Fenster erscheint. Das ist allein schon einigermassen gruselig, noch schlimmer wird es als Theo merkt, dass das Rollo ein ziemliches Eigenleben besitzt und das er nicht nur in ein fremdes Universum hineinsehen kann, sondern er auch von der anderen Seite von seltsamen Männern mit Ferngläsern beobachtet wird.
„Alle litten, die Kinder, die Eltern, die Klavierlehrerin, übrigens eine wirklich freundliche Frau, die anderes verdient hätte im Leben, als einen Krieg gegen den Talentmangel zu führen.“
„Ich fragte mich schon damals, wie es ein so dummer Mensch wie er ständig zu ausgezeichneten Noten in Mathematik brachte. Oder war es vielleicht so, dass eine gewisse Dummheit, eine bösartige Einfalt nötig waren, um in diesem Fach zu brillieren? Nirgends schien der Begriff des Fachidioten derart angebracht. Daß diese Disziplin den höchsten Stellenwert besaß, gleichermaßen geachtet wie gefürchtet, stellte eine unglaubliche Absurdität dar. Indem nämlich ausgerechnet die für die Schönheiten des Lebens blinden Spezialisten den Rest tyrannisieren durften. Kunst war unwichtig, Religion war unwichtig, Naturkunde war unwichtig, sogar Sport, der doch im Fernsehen häufig triumphierte, alles Essentielle schien unwichtig. Und so waren Deutsch und Englisch und die anderen Sprachen nur insofern von Bedeutung, als sie der Tyrannei der Mathematik nahekamen.“
Das Rollo erscheint jede Nacht zur gleichen Zeit und Theo entdeckt ein kleines Mädchen mit einem Strick um den Hals, das auf einem Laufband um sein Leben läuft. Er stürzt sich hinein ins Rollo und versucht, sie zu retten. Die Schrift im Buch wechselt zu grün, wenn Theo sich auf der anderen Seite des Rollos aufhält, ein gelungener optischer Effekt, der sofort an Michael Endes „Unendliche Geschichte“ denken lässt.
Es gelingt ihm nach einigen Abenteuern das Mädchen zu befreien und zurück in seine Welt zu bringen. Dort muß er allerdings feststellen, dass sie in seiner Realität von allen als seine kleine Schwester wahrgenommen wird, die schon immer zur Familie gehört hat. Theo entsorgt das Rollo, lässt es von einer Tante vernichten und hat wieder seine Ruhe.
Vierzig Jahre später ist Theo März Astronaut und mehrfacher Vater. Er nimmt an einem Flug zum Mars teil, erfährt, das seine kleine Schwester spurlos verschwunden ist und plötzlich ist auch das Rollo wieder da und Theo begibt sich erneut in die mysteriöse grüne Welt….
Der Roman ist nicht logisch, wer das streng erwartet, wird wohl enttäuscht werden. Er ist für mich eine gekonnte Mischung aus Computerspiel, Kunstmärchen und Phantasy. Michael Ende meets Alice im Wunderland und trinken Tee mit Neil Gaiman, Parallelwelten treffen auf Existenzfragen und spannende Abenteuer rutschen auch mal ins Klischee ab. Ich habe mich wunderbar amüsiert, mich an der leisen Ironie, der teilweise absurden Vermischung von ganz normalen Begebenheiten mit plötzlich komplett paradoxen abgefahrenen Dingen erfreut, gleichzeitig aber auch das Gefühl gehabt, man hätte mehr aus dem Roman machen können.
Theos Beschreibung seiner Eltern ist stellenweise irre komisch und trifft den Zeitgeist, auch wenn da für einen zehnjährigen eine erstaunliche Weisheit herausklingt. Die Geschichte macht Spaß, aber ich hab jetzt nicht vor lauter Spannung die ganze Nacht weiterlesen müssen und ich habe auch nicht kurz nach 23.00 Uhr panisch ans Fenster geschaut, ob sich da jetzt ein Rollo entfaltet oder nicht.
Unbedingt hervorheben möchte ich aber die Gestaltung des Buches. Der Schutzumschlag ist wunderschön, das grün des Rollos findet sich auf dem Buch selbst, in der Schrift innen und sogar beim Lesebändchen wieder. Einfach perfekt!
Also dann, viel Spaß bei Eurer Reise „ins Grüne“.

„Der Eindruck, ob jemand blöd oder gescheit sei, hänge fast immer von der Auswahl der Fragen ab. Wenn man einen Arzt zu Krankheiten befragt, wirke dieser in der Regel intelligenter als bei einem Gespräch über Scheibenbremsen. „Meine Englischlehrerin, bestätigte ich, klingt auch nur so lange klug, wie sie englisch redet.“
„Hätte es allerdings geregnet, wäre ich nicht so optimistisch gewesen. Auch mitten in der Stadt nicht. Schlechtes Wetter wirkt dämpfend, gutes dagegen verführerisch. Das würde ich noch oft im Leben feststellen.“