
Ein Telefonat mit einer Freundin, das sich um das Thema „Midlife-Crisis“ drehte, brachte mich zu der Erkenntnis, das ich nicht zu Lebensmitte-Krisen neige, da ich schon seit Ewigkeiten mit einer sehr existentiellen Dauerkrise beschäftigt bin. Mein Neid als Besitzlose.
Ich habe eigentlich schon so lange ich denken kann, Menschen beneidet die die Freiheit hatten, für ihren Lebensunterhalt nicht arbeiten zu MÜSSEN. Anfangs war ich noch sehr verwirrt, weil das sich für mich seltsam anfühlte. Ich bin doch eigentlich nicht geldgeil. Habe wenig Interesse an Designer-Klamotten, Autos, Uhren oder anderen Status-Symbolen. Also wenn es nicht unbedingt das Geld ist, worauf ich neidisch bin, worauf denn dann genau zur Hölle???
Irgendwann dämmerte es mir dann. Ich neide ihnen die Freiheit. Nicht neiden im Sinne von „sollen die nicht haben“, sondern der gute alte Neid in Form von „will ich auch“. Freiheit ist eines meiner absoluten wichtigsten Dinge im Leben. So wichtig, dass ich es mir u.a. fett auf die Wade tätowiert habe. Mir war es immer schon sehr wichtig, mein Glück und meine Zufriedenheit nicht zu eng an Geld und Status zu koppeln. Habe ich Geld, haue ich es raus. Ich bin ein Genussmensch – ich liebe es, gut zu essen, zu reisen, ich lade auch gerne ein und bin da nicht sehr sparsam-vernünftig, bin aber auch nicht der Typ, der sich verschulden würde. Ich mache mein Glück aber nicht davon abhängig. Mein Glück definiert sich viel eher über die kleinen Dinge, die nichts oder wenig kosten und die eventuell gerade deshalb noch viel kostbarer sind.
Ich mag gebrauchte Sachen. Ob Bücher oder Klamotten, CDs – alles mögliche wird einem heutzutage gebraucht nahezu hinterher geworfen. Ich verreise gerne, habe aber einen genauso schönen Urlaub mit Baden, Radeln an der Isar und Ausflüge in die nahegelegenen Berge. Gutes Essen ist wichtig, aber dafür brauche ich keine Restaurants, selbst kochen mit guten Lebensmitteln und nix wegwerfen tut es genauso. Aber, etwas, worauf ich einfach nahezu keinen Einfluss habe, ist das (viele) Geld, das ich brauche, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Klar kann man sagen „musst ja nicht mitten in München wohnen“, aber selbst weiter draußen ist das mieten oder gar kaufen überdurchschnittlich teuer. Ein Leben ohne bezahlte Erwerbstätigkeit wäre mir nicht möglich, da ich sonst kein Dach über dem Kopf hätte. Und das ist die Freiheit die ich meine, die, die ich neide.
Versteht mich nicht falsch, ich liebe meinen Job. Und zu 99% würde ich ganz genau das Gleiche machen wie jetzt, wenn ich meine bezahlte Erwerbstätigkeit nicht machen müsste, sondern machen könnte. Einfach, weil sie mir gefällt. Das Endergebnis mag das Gleiche sein. Ich arbeite. Ist es nicht egal, ob ich das mache, weil ich es muss oder weil ich es kann? Für mich nicht. Für mich ist es ein Riesenunterschied.
Glücklicherweise ist es ein mich nicht krankmachender Neid. Es ist an schlimmen Tagen mal ein Neid von der Sorte – ich werfe mich auf den Boden, trampel mit den Füßen und brülle „ich will aber auch“ – an weniger schlimmen Tagen ist es einfach nur ein leichtes melancholisches Seufzen auf hohem Niveau.
Käme eine gute Fee vorbei und ich hätte 3 Wünsche frei, wäre dies einer davon. Natürlich neben dem obligatorischen Wunsch von Gesundheit für mich und alle meine Lieben. Mein Wunsch wäre, diese Art von Freiheit für alle die Menschen, die sie möchten. Für alle, die den Mangel an ebendieser Freiheit jeden Tag spüren. Ich glaube nicht, dass ich die Einzige bin. Ich glaube, dass es mehr Menschen gibt, als man denkt, die – ob berechtigt oder unberechtigt -annehmen, in Jobs ausharren zu müssen, die ihnen keinen Spass machen, die nicht ihren Talenten entsprechen, in denen sie unsinnige Regeln befolgen müssen, sinnfrei genau 8 Stunden an einem Schreibtisch sitzen, weil irgendwann mal irgendwer beschlossen hat das es genau 40 Stunden in einer Woche sind, für die man die Summe x ausgezahlt bekommt. Egal ob das tatsächlich produktiv ist oder nicht.
Wie gesagt, mein Job macht mir Spaß. Macht mich nicht krank sondern glücklich. Und trotzdem sehne ich mich nach der Freiheit, für meinen Lebensunterhalt nicht arbeiten zu MÜSSEN, sondern zu können. Wie mag es dann erst für Menschen sein, die auch noch in fürchterlichen Jobs sind. Die richtig viel Lebenszeit für irgendeinen Schwachsinn opfern müssen, weil das nun mal so ist.
Und das ist es, worum ich die Leute in bestimmten Gegenden Münchens beneide, wenn ich durch die Strassen radel. Um die schönen alten Häuser mit dem alten Baumbestand. In denen Menschen sitzen, die ihre Talente ausprobieren können. Die einfach geduldig über Jahre ein Holzhaus renovieren oder Gitarren bauen. Mit all der Liebe und Zeit und Geduld die es braucht, um etwas Gutes zu schaffen. Ich neide nicht das Geld, das diese Häuser wert sind, ich wäre auch mit einem klitzekleinen Haus sehr glücklich (alter Baumbestand wäre aber schon sehr schön), nur die Möglichkeiten, die zumindest häufig mit diesen Häusern verbunden sind.
Die Kinder von Prominenten oder gutsituierten Menschen werden ganz selten Sparkassen-Angestellte oder Einzelhandelskaufmann oder Sachbearbeiter in der Versicherung. Die haben die Freiheit, sich ausprobieren zu können ohne von vornherein wissen zu müssen ob es auch gutgehen wird. Wie schön, die Gitarren bauen zu können, die man selbst gutfindet und an die man glaubt. Abwarten zu können, dass sie sich durchsetzen gegen schlechtere, billigere Modelle. Eben weil da kein ökonomischer Druck ist, erfolgreich sein zu müssen. Und es ist ja meistens so – hat man den Luxus der inneren Gelassenheit und ist unverkrampft, rennen sie einem oft die Bude ein. Ist man krampfhaft auf der Suche, ob als Single nach einem Partner oder als Produzent nach einem Käufer, geht es meistens in die Hose. Unverkrampft bleiben, wenn die nächste Mietzahlung fällig ist, aber noch nicht genug vertickt ist, ist allerdings eine Gabe, die mir zumindest nicht gegeben ist.
Mir ist schon klar, auch in den schönen Häusern mit dem alten Baumbestand ist nicht immer eitel Sonnenschein und alles happy, aber ich habe auch nie behauptet das mein Neid auf purer Logik basiert.
Wie sagte schon Tocotronic – „Pure Vernunft darf niemals siegen“ 😉