Hirngymnastik – Meeresbiologie

“Before we existed, and after we are gone, the ocean will continue to whisper to the atmosphere.” (Kate Marvel)

Die Hirngymnastik findet dieses Mal unter Wasser statt, wir begeben uns in tiefste Tiefen und befassen uns mit der Meeresbiologie und der Geschichte unserer Ozeane. Schon immer hat mich dieses unbekannte Universum ähnlich stark fasziniert wie die unendlichen Weiten des Weltalls. Beim Schwimmen im Meer bin ich eine ziemliche Schissbüx und nehme schnell beim kleinsten Fisch Reissaus, aber ich hätte große Lust, mich mal mit Kapitän Nemo in seinem Unterseeboot auf Tauchstation zu begeben.

Wir starten mit einem ganz besonderen Buch:

Rendezvous mit einem Oktopus – Sy Montgomery

Oktopoden habe ich schon immer geliebt, ich finde diese hochintelligenten Tiere einfach wahnsinnig spannend und als ich das Cover von Sy Montgomerys Buch sah, war mir sofort klar, dieses Buch möchte ich lesen, haben, inhalieren. Der Inhalt des Buches konnte auch locker mit dem wunderschönen Cover mithalten. Das Buch liest sich wunderbar, ganz unmerklich wird man schlauer, erfährt mehr und mehr über Oktopoden und zum Ende der Lektüre beschäftigt man sich sehr intensiv mit Fragen rund um Bewußtsein, Interaktion und Kommunikation zwischen unterschiedlichen Spezies und unser noch sehr eingeschränktes Wissen um die unterschiedlichen Arten von Intelligenz.

Das Buch ist sehr erfolgreich, aber nichts für Menschen auf der Suche nach streng wissenschaftlichen Texten. Montgomery erzählt in dem Buch über ihre persönlichen Erfahrungen beim Erforschen von Oktopoden. Sie ist eine Wissenschaftlerin, die sich tief mit ihren Studienobjekten beschäftigt und zwar „hands-on“ und nicht in einem Labor oder Elfenbeinturm. Sie lernt unglaublich viel über den Oktopus „Octavia“ gleich am Anfang des Buches und umgekehrt lernt auch der Oktopus viel über Montgomery, da diese Tiere über ihre Tentakeln die Haut der Menschen schmecken und darüber die entsprechenden Emotionen lesen. Der Geschmackssinn ist einer der wichtigsten für Oktopoden und es verwundert vielleicht nicht, dass sie sich sehr schnell von Leuten zurückziehen, die beispielsweise heftige Raucher sind.

Montgomery ist von Anfang an mehr als fasziniert von den Oktopoden die sie kennenlernt und sie bringt uns die Tiere, die sie in der Zeit ihrer Studie kennenlernt, wahnsinnig nahe. Sie persönlich glaubt, dass Oktopoden Bewußtsein und vielleicht sogar eine Seele haben, eine finale Antwort kann das Buch auf diese Frage natürlich nicht geben. Sie beschreibt die Tiere als Individuen mit eigenen Persönlichkeiten, Erfahrungen, Wünschen etc.

 

Wir lernen neben Octavia auch Kali und Karma kennen. Wir erleben, wie sie mit den Mitarbeitern im Aquarium interagieren, wir erleben, wie einer der Oktopoden sich liebevoll um ihre unbefruchteten Eier kümmert, lernen schmerzhaft, wie kurz die Lebensdauer von Oktopoden ist und erleben teilweise ihren Tod, aber auch, wie manche zurück in die Freiheit entlassen werden.

„Eine andere Gefahr wäre, dass ein Oktopus aus Langeweile versuchen könnte, auf Wanderschaft zu gehen, um sich einen interessanteren Ort zum Leben zu suchen. In ihrer Fähigkeit, ihren Gefängnissen zu entfliehen, sind die Kraken dem berühmten Entfesselungskünstler Houdini vergleichbar. L. R. Brightwell von der Meeresbiologischen Station im englischen Plymouth traf einmal nachts um halb drei auf einen Oktopus, der gerade die Treppe hinunterkrabbelte. Er war aus seinem Bassin im Labor der Forschungsstation ausgebüxt. Auf einem Fischtrawler, der im Ärmelkanal unterwegs war, gelang es einem frisch gefangenen, auf Deck abgelegten kleinen Oktopus, die Mannschaftsleiter hinunterzugleiten und bis in die Kajüte zu gelangen. Stunden später fand man ihn wieder, er hatte sich in einer Teekanne versteckt.“

Die Oktopoden pushen manche Menschen weg, einige lassen sie sehr nah an sich heran, sie können sehr gefährlich sein und Menschen verletzen, sind unglaublich schlau, wahnsinnige Gestaltwandler, die sich durch die kleinste Lücke pressen um auszubrechen, Tiere die ständig Stimulanz brauchen, da sie sich sehr schnell langweilen. Sie wechseln ihre Gestalt, ihre Farbe, zeigen Freude, Einsamkeit und Sehnsucht.

Montgomery bringt uns auch die Aquariums-Gemeinschaft näher. Menschen, die auf unglaubliche Art und Weise mit den Oktopoden verbunden sind. Von Oktopoden berührt, geschmeckt und „gelesen“ zu werden, scheint fast jeden der Menschen im Buch auf ganz besondere Weise zu berühren und zu beruhigen.

Es gibt nach wie vor viele Leute die glauben, der Mensch ist das einzig intelligente Tier, was mir nicht so wahnsinnig intelligent erscheint 😉 Ich hoffe das Buch kann ein wenig helfen, nicht nur den Oktopoden mehr Aufmerksamkeit zu widmen, sondern auch dem Thema Verbundenheit über die Grenzen verschiedener Spezies hinweg und wie wichtig es für uns Menschen ist, unseren Mitlebewesen gegenüber mehr Respekt zu zeigen.

 

Nachrichten aus einem unbekannten Universum – Frank Schätzing

Auf dieses Buch hatte ich mich sehr gefreut. Ich habe vor Jahren mal bei einer über Tage dauernden unangenehmen Wurzelzahnbehandlung Schätzings „Der Schwarm“ als Hörbuch gehört und war sehr begeistert davon. Als ich vor einiger Zeit die illustrierte Ausgabe von „Nachrichten aus einem unbekannten Universum“ auf einem Grabbeltisch entdeckte mußte ich sofort zuschlagen und mir war klar, das wird mal Teil einer Hirngymnastik.

Es macht auch großen Spaß das Buch durchzublättern, hineinzustöbern, die Bilder anzuschauen, nur das Buch von vorne bis hinten durchlesen, das fand ich ziemlich anstregend. Entweder war es mir bei der Zahnbehandlung aufgrund der Betäubung nicht aufgefallen oder er hat es im „Schwarm“ noch nicht so exzessiv betrieben, aber sein permanentes antropomorphisieren (gibts das Wort?) ging mir sehr auf den Keks und auch die super flapsige Sprache hat mir den Spaß am Buch ein wenig genommen. Ab und an ist das vollkommen ok für mich, aber nicht bemüht in jedem Satz, manchmal hatte ich den Eindruck Mario Barth war der Ghostwriter des Buches.

Man liest über die Gefühle und Entscheidungen von Hummern, Pflanzen, Haien oder auch ganzen Kontinenten. Selbst die Evolution kommt nicht ungeschoren davon und wird permanent als „Miss Evolution“ betitelt, was mich schier in den Wahnsinn getrieben hat.

Im Buch geht es um die Evolution und die Entwicklung der Erde mit speziellem Fokus auf das Meer. Er startet mit der Entstehung der Erde und arbeitet sich dann zeitgeschichtlich in die Gegenwart und gibt dann einen Ausblick in die Zukunft der Meere.

Ein paar interessante Fakten habe ich mitgenommen, die Bilder haben mir gefallen, daher ist das Buch kein kompletter Ausfall für mich, aber etwas enttäuscht war ich schon.

Abgrund – Bernhard Kegel

Richtig glücklich bin ich mit „Abgrund“ auch nicht geworden. Es ist definitiv ein wunderschönes Buch, ich liebe Haie und es spielt auf den Galapagos-Inseln, die Zutaten waren also richtig gut, dennoch hat es mir letztlich nicht wirklich geschmeckt. Das Buch ist ein Wissenschaftsroman und damit eine Mischung aus Sachbuch, Krimi und Reportage.

Sehr gelungen fand ich den Prolog des Buches, der einen spannenden Rückblick in Darwins Galapagos-Reise und das Sammeln seiner Finken durch seinen Begleiter Syms Covington gibt. Entsprechend aufgewärmt und freudig stürzte ich mich dann auf die eigentliche Lektüre des Romans, fand die Story aber recht schwach und alles andere als spannend.

Habe vor vielen Jahren mal „Das Ölschieferskelett“ vom gleichen Autor gelesen und war damals ganz begeistert. Hier wollte der Funke aber partout nicht überspringen. Die Tauchgänge, die im Roman beschrieben werden, bei denen eine neue Haiart entdeckt wird, wirken wie mühsam herbeigezogenes Beiwerk, um dem Leser die Gefahren des globalen Klimawandels nahe zu bringen, was an sich ja sehr löblich ist, hier aber einfach nicht wirklich gut gemacht ist.

Etwas subtiler hätte das sein dürfen und Spannung wollte bei mir überhaupt nicht aufkommen. Letztlich behalte ich das Buch (für den Moment) wegen des schönen Covers, werde es sicherlich nicht noch einmal lesen und kann es nicht wirklich empfehlen.

Ich mag Haie sehr gerne und hätte große Lust, mal einen Roman zu lesen, in dem diese stets unterschätzten und weitestgehend ungeliebten Tiere im Mittelpunkt stehen. Kann mir da jemand was empfehlen?

Alles in allem also eine durchwachsene Hirngymnastik. Die Meeresbiologie finde ich nach wie vor spannend, bin dabei aber bei der Auswahl entsprechender Dokumentationen deutlich erfolgreicher gewesen als bei 2/3 meiner Buchauswahl.

Ich kann die Dokumentation „Planet Ocean“ sehr empfehlen:

Hier noch mal im Überblick die Bücher der Hirngymnastik Meeresbiologie:

  • Rendezvous mit einem Octopus – Sy Montgomery (ich danke dem Mare Verlag für das Rezensionsexemplar)
  • Nachrichten aus einem unbekannten Universum – Frank Schätzing (Kiepenheuer & Witsch)
  • Abgrund – Bernhard Kegel (Büchergilde Gutenberg)

Menschenwerk – Han Kang

Als in den 1980er Jahren in Korea ein Studentenaufstand losbricht, wird dieser mittels einer unglaublichen Gewaltorgie niedergeschlagen. Die Studenten werden niedergeschossen, geschlagen und vom Militär nahezu gänzlich ausgerottet. Das Ereignis geht später als das Gwangju-Massaker in die Geschichte ein und ist tatsächlich eines der verstörensten und heftigsten Gewaltakte des an brutalen Gewaltakten nun wahrlich nicht armen 20. Jahrhunderts. Viele wurden einfach tot oder schwer verletzt in den Straßen liegen gelassen, der klägliche Rest wurde ins Gefängnis geworfen. Wer sich über das Ausmaß ein Bild machen will, kann auf YouTube Aufnahmen finden, man sollte allerdings hart im Nehmen sein.

Schon die Lektüre des Buches ist brutal und absolut kompromisslos, es beginnt mit der Beschreibung von krassen Gemetzteln und einer Blutorgie, die mich trotz entsprechender Vorwarnungen dennoch in seiner Härte unvorbereitet getroffen hat. Das Buch erzählt die Verheerung die das Massaker hinterlassen hat bei denen, die überlebt haben, in dem wir die Geschichte aus den unterschiedlichen Perspektiven der Protagonisten erzählt bekommen, was die eigentliche Brillianz des Buches ausmacht.

Hang Kang vermeidet es, über das Geschehnis selbst konkret zu berichten und beginnt ihre Geschichte mit den Leichenbergen, den ganzen Ozeanen aus Blut und der Beschreibung der toten Studenten, die niedergemetzelt wurden, als sie die Nationalhymne singend durch die Straßen marschierten und dann von den Soldaten ihrer eigenen Regierungen vernichtet wurden. Als sie sich in den Straßen versammelten, mit ihren Flaggen und ihrem Kampf für Demokratie, trafen sie auf die unbarmherzige Härte der südkoreanischen Diktatur.

„Was letztendlich ausschlaggebend für die Moral von größeren Gruppen ist, darüber weiß man noch noch nicht viel. Interessant ist jedoch, dass die ethischen Werte an Ort und Stelle der Geschehnisse einer Eigendynamik unterworfen sind, unabhängig von den üblichen Moralvorstellungen der einzelnen Individuen in der Gruppe. Unter dem Einfluss der Gruppe stehlen, vergewaltigen und töten manche. Andere entwickeln plötzlich einen ungewöhnlich starken Altruismus oder außerordentlichen Mut, zu dem sie normalerweise nie fähig wären. Nach Meinung des Autors handelt es sich bei der zweiten Kategorie nicht um besonders edle Menschen, die Gruppe fördert lediglich den Edelmut zutage, der in jedem Einzelnen steckt. Auch seien die Menschen aus der ersten Kategorie nicht besonders unmenschlich, denn auch bei ihnen bringt erst die Gruppe eine genetisch angelegte Gewaltbereitschaft zum Vorschein.“

Han Kang  beschreibt mit einzigartiger Sprache und Poesie die Verwüstung die dieses Ereignis in den Überlebenden angerichtet hat. Ihre verzweifelten Versuche, irgendwie danach ein halbwegs normales Leben zu führen. Nichts würde für diese Menschen jemals wieder sein wie vor dem Ereignis.

„Menschenwerk“ liest sich mehr wie lose miteinander verknüpfte Kurzgeschichten, die in der Leichenhalle beginnen, wo sich ein paar junge Menschen Tag und Nacht um die Identifizierung der Leichen kümmert. In der nächsten Geschichte dringen wir ins Bewußtsein eines gerade getöteten Jungen ein, der versucht zu verstehen, wo er jetzt hingehört, nachdem er getötet worden ist. In der nächsten Geschichte reisen wir 5 Jahre in die Zukunft und treffen auf Studenten, die das Massaker im Gefängnis und die schreckliche Folter, die sie über sich ergehen lassen mussten, überlebten. Schließlich zeigt Kang wie die Überlebenden auch 20 Jahre später noch unter dem Ereignis leiden und sie bei jedem Schritt verfolgt werden von dem Vermächtnis der Vergangenheit.

Ein Buch, das zeigt wie ein einziges Ereignis letztendlich das Gesicht einer ganzen Nation verändern kann. Wie schaffen es Menschen, sich weiterhin als Teil einer Gesellschaft zu sehen, die so derart bösartig mit ihnen umgegangen ist? Man verzagt im Angesicht des Terrors, zu dem Menschen oder auch die eigene Regierung fähig sind. Was wird aus diesen Menschen? Eine ganze Nation leidet und die Menschen sind verloren, desillusioniert, entfremdet und entwurzelt.

Was mir einzig fehlte bei diesem grandiosen Buch war vielleicht eine Stimme, die die Sicht der Männer beschreibt, die „nur Befehlen folgten“, die den Abzug drückten, weil man ihnen auftrug, das zu tun. Wie fühlten sie sich danach? Das war die Perspektive über die ich auch gerne etwas erfahren hätte.

Ich hätte nie geglaubt, dass man derart poetisch, knapp einfach grandios über solche Greueltaten schreiben kann. Das Buch ist gefühlsgeladen, bitter und stellenweise ziemlich bissig.

Auf dieses Buch muss man sich einlassen. Es ist nicht sehr dick, aber ich mußte es immer wieder einmal auf Seite legen. Ich habe selten ein derart raues, authentisches und mächtiges Buch gelesen. Ich war schon von „Die Vegetarierin“ überaus begeistert, ich habe mit Han Kang definitiv eine Autorin gefunden, die sich zu einer meiner Lieblingsautorinnen entwickelt.

Weitere spannende Besprechungen findet ihr zum Beispiel bei wissenstagebuch und letusreadsomebooks

Hier noch ein sehr interessantes Interview mit Han Kang:

Interview with Han Kang

Ich danke dem Aufbau Verlag für das Rezensionsexmplar.

Meine Woche

Gesehen: „Stalker“ (1979) von Andrei Tarkovsky. Kann absolut nachvollziehen, warum der Film ständig auf Bestenlisten zu finden ist. Wow, unglaublich intensive Bilder, den möchte ich unbedingt noch mal im Kino sehen irgendwann.

Before Midnight“ (2013) von Richard Linklater mit Julie Delpy und Ethan Hawke. Einer der intelligentesten Liebesfilme die ich kenne mit wunderschönen griechischen Inselbildern.

Slaugtherbods“ ein Kurzfilm von Stuart Russel ein AI Researcher der Berkley Universität. Der Film warnt im Black Mirror Stil vor den Gefahren autonomer Waffen. Heftig und enorm erschreckend.

„To Catch a Dream“ (2015) von Jim Chuchu. Afrikanischer Kurzfilm um eine trauernde Witwe mit wunderschönen Bildern und sehr viel Atmosphäre.

Gehört: „Shades Fade“ – Dillon, Mother – Amanda Palmer, „This Year“ – Ine Hoem, „Giftraum“ – Diary of Dreams, „The Curse“ – Diary of Dreams, „Queen“ – Perfume Genius,

Gelesen: „Crash Course in the nature of mind, Brené Brown on „How to speak truth to bullshit“, über „Tech insiders who fear a smartphone dystopia“, „Butterfly child given life saving skin through gene therapy“, diese Warnung von über mehr als 15,000 Wissenschaftlern aus 184 Ländern und auf diesen Artikel über die bedrohte Netzneutralität

Getan: meinen Bruder mal wieder vom Abgrund weggezerrt, meine HR Philosophy aufgeschrieben, schöne Abende mit Freunden verlebt, das Diary of Dreams Konzert besucht und beim Perfume Genius Konzert leider vergeblich auf den Auftritt gewartet und eine ganz wunderbare Party gefeiert.

Geplant: die Colson Whitehead Lesung besuchen

Gegessen: einmal durch unser leckeres Party-Buffet

Getrunken: zuviel

Gelacht: über den Typ der sich mit einer Rakete in die Luft schießen will um zu beweisen, dass die Erde eine Scheibe ist

Geärgert: über einen sehr arroganten, komplett unempathischen Polizisten und über die Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel

Gefreut: über unsere wunderbaren Freunde und über die Geburt des Babys einer Freundin

Geklickt: auf die Horrorfilm-Plakat-Sammlung von Metallica Gitarrist Kirk Hammett, a brief history of AI, 8 literary powerhouses choose 80 books everybody should read und auf dieses 30-Tage Zeitraffer Video über eine Seereise vom Roten Meer nach Hong Kong – wunderschön und auf den TED Talk „We are building Dystopia to make people click on ads“ von Zeynep Tufekci

Gewünscht: dass mein Bruder endlich die Kurve bekommt, dieses Haus und diese Buchstütze

Gefunden: nix

Gekauft: einen neuen DVD Player

Gestaunt: dass fast alle Wasser-Unternehmen in UK Wünschelruten einsetzen

Desorientale – Négar Djavadi

Desorientale

Wir lernen die Protagonistin Kimia, eine moderne junge iranische Frau kennen, während sie in einer Kinderwunschklinik im Wartezimmer sitzt und auf ihre Befruchtung wartet. Während des Wartens denkt sie an ihre Vergangenheit und erzählt dem Leser von ihrer Familie, dem Sadr Clan, ihrer Herkunft und über ihre weitläufige Verwandtschaft: ihre Großmutter, die noch in einem  Harem geboren wurde, ihre zahlreichen Onkel, die einfach in der Reihenfolge ihrer Geburt Onkel Nr. Eins, Zwei, Sechs genannt wurden, ihr Vater der Journalist, Aktivist und Dissident war und sowohl den Schah als auch Khomeini ablehnte. Sie erzählt von ihrer gleichfalls als Aktivistin tätigen modernen Mutter und von blauen Augen, die dem Familien-Gen Pool vor Ewigkeiten beigefügt wurden und die eine besondere Rolle spielen.

Djavadi fängt die Kultur des Irans ein, ihre Sprache ist clever, amüsiert und unbeschwert. Sie läßt uns hinter die Kulissen schauen und zum ersten Mal hatte ich zumindest ansatzweise das Gefühl zu verstehen, dass der Konflikt zwischen Konservatismus und der Liberalismus auf den Beginn des 20. Jahrhunderts zurückgehen, die Einmischung der USA und Englands weil sie gierig waren auf die Ölvorkommen im Iran und wie es zu der religiösen Revolution um Khomeini kommen konnte. Es ist schwer sich vorzustellen, wie modern und weitgehend ohne Religion zumindest die Intellektuellen in Teheran lebten.

„Der Iraner mag weder die Einsamkeit noch die Stille – wobei jedes andere Geräusch als die menschliche Stimme, selbst der Lärm eines Verkehrsstaus, als Stille empfunden wird. Wäre Robinson Crusoe ein Iraner gewesen, er hätte sich gleich nach seiner Ankunft auf der Insel zum Sterben hingelegt und die Sache wäre erledigt gewesen.
Diese Neigung ständig zu schwatzen, bei der Begegnung mit anderen Sätze wie Lassos in die Luft zu werfen, Geschichten zu erzählen, die sich wie Matroschkas öffnen und immer neue Geschichten hervorbringen, ist wahrscheinlich eine Art, sich einem Schicksal anzupassen, in dem es nur Invasionen und Totalitarismus gegeben hat.“

Das Buch ist auch die Geschichte von Kimias Coming-out, die schon als junges Mädchen im Iran noch feststellt, dass sie eher Frauen liebt und wie sie im Laufe der Zeit mit sich selbst ins Reine kommt und ihren Frieden mit sich schließen kann.

Desoriental ist ein wunderschönes Buch mit einer selbstsicheren Erzählerin, mitreißenden Charakteren, toller Musik und einem überraschenden Ende.

Ein Buch, das man am besten mit dieser Playlist liest:

Ich danke dem Beck Verlag für das Rezensionsexemplar.

Meine Woche

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Gesehen: „Jaws“ (1975) von Steven Spielberg, mit Roy Schneider und Richard Dreyfuss. Sehr spannend und großartig – die Klamotten! Keine Ahnung warum ich den bisher nie gesehen hatte.

The Amazing Spiderman“ (2012) von Marc Webb mit Andrew Garfield und Emma Stone. Ich liebe Spidy – mir hat er gefallen insbesondere wenn er der Tante Eier auf dem Heimweg von der Superhero-Arbeit mitbringt.

„Beyond Stranger Things“ (2017) Interviews mit den Darstellern in Episoden mit verschiedenem Fokus. Für Fans unverzichtbar.

Gehört: „Sweet Dreams“ und „Running back to the edge of the world“- Marilyn Manson, „Wanna Sip“ – Fever Ray, „Nuraghe“ – The Cosmic Dead, „Infinity Studies“ – Tim Six, „Symphony for a Breach“ – Sea Trials, „You stand in a valley between dunes“ – April Larson, „My Blissing“ – Björk

Gelesen: diesen Artikel im New Yorker „The Tech Industry’s Gender Discrimination Problem“, diesen im Guardian „How Techies became the new Bankers“, Umberto Ecos Artikel über ungelesene Bücher, 20 erfolgreiche Frauen die man kennen sollte und kann Technologie zum Staatsfundament werden?

Getan: es war Workshop Week. Bootcamp und ein Führungskräfte Training an der TU München durchgeführt, Marilyn Manson gehört (aber kaum was gesehen), eine Reise nach Budapest gebucht und einen lustigen Abend mit Michelle verbracht

Geplant: Freunde treffen und zum Perfume Genius und Diary of Dreams Konzert gehen

Gegessen: Tarte mit karamellisierten Zwiebeln, roter Beete und Ziegenkäse

Getrunken: Rotwein

Gelacht: Did you know that 2-3 glasses of wine per day reduce your risk of giving a shit

Geärgert: ich hasse das Zenith aus tiefster Seele – man sieht nie von irgendwo etwas und die Akkustik ist Mist. Ich werde eine Petition zum Abriss starten 😉

Gefreut: wir sind auch die Stühle noch losgeworden und das die Workshops so gut gelaufen sind und soviel Spaß gemacht haben

Geklickt: auf diesen TED Talk „Architecture that repairs itself“ von Rachel Armstrong und auf diesen von Elizabeth Lesser: „Take „the Other“ to lunch, auf dieses Video zu Biomimicri und auf dieses Interview mit Elif Shafak

Gekauft: nix

Gewünscht: diese Star Wars Eiswürfel-Formen, dieses Regal, dieses Haus

Gefunden: „Herzzeit – Der Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Paul Celan“ im offenen Bücherschrank

Gestaunt: über die Tianjin Binhai Bibliothek

What works

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Wie hartnäckig sich auch heute noch – teilweise unbewußte – geschlechtsspezifische Vorurteile halten, kann auch den optimistischsten Menschen zur Verzweiflung bringen. Den Vorwurf des Sexismus weisen die meisten vehement von sich, aber die Stereotype sind omnipresent, in Kindergarten und Schule heute stärker als noch vor einigen Jahren. Die Erkenntnis, dass wir die Gleichstellung der Geschlechter und diversifizierte Belegschaften in Unternehmen brauchen, ist mittlerweile einigermaßen weitverbreitet. Bei der Umsetzung sieht es allerdings noch recht trüb aus.

Fast jedes größere Unternehmen bietet mittlerweile Diversitäts-Trainings an, der Markt an Trainingsanbietern floriert, doch den Nachweis für ihren Erfolg müssen diese Trainings noch erbringen. Die Verhaltenswissenschaft bietet da neue Lösungen an, die Iris Bohnet in ihrem Buch unter die Lupe nimmt. Anstatt das Verhalten der Menschen  durch kostspielige, langwierige und nicht nachgewiesen erfolgreiche Trainings ändern zu wollen, schlägt Bohnet vor die Organisationen selbst umzugestalten, in dem man versucht, mit smarten Lösungen große Wirkung zu erzielen.

Sie analysiert Verhalten und Prozesse um explizit zu machen, wie sich diese auf die Gleichstellung auswirken und schlägt entsprechende systemische Interventionen vor. Dieser verhaltens- und designbasierte Vorgang wird auch als „Nudging“ bezeichnet und erfreut sich zunehmend größerer Beliebtheit, wenn gleich auch das „Nudging“ nicht unumstritten und mit Vorsicht zu genießen ist.

Bohnet geht mit den Diversitätstrainings hart ins Gericht. Allein in den USA geben Unternehmen dafür jährlich 7 Millarden Dollar aus, ohne dass die Wirksamkeit tatsächlich belegt wär., Bohnet argumentiert viel mehr, es könne sogar sein, dass es nicht nur nichts bringt, es könne sogar durchaus nach hinten losgehen aufgrund „moralischer Lizensierung“: die Tendenz von Menschen, nach solchen Trainings unmoralischer zu handeln, da sie gefühlt durch das Training eine Art „Freibrief“ erhalten haben.
Stattdessen sollten Unternehmen ihre Prozesse überdenken und das Geld in deren Überarbeitung stecken, statt in nutzlose Trainings.

„Verhalten zu verändern ist Arbeit, und die große Mehrheit von uns ist nicht bereit, sie zu leisten.“

Sie zeigt das an einem Beispiel der fünf wichtigsten Orchester in den USA. Noch in den 1970 Jahren lag der Frauenanteil unter den Musikern bei gerade einmal 5 Prozent. Heute sind es immerhin über 35 Prozent. Diese Entwicklung ist kein Zufall und auch nicht das Ergebnis von erfolgreich absolvierten Diversitätstrainings, sondern das Ergebnis von „blindem Vorspielen“ hinter einen Vorhang oder einem Wandschirm. Das Boston Symphony Orchester führte das blinde Vorspielen als erstes ein und die anderen folgten dem Beispiel. Theoretisch sollte ein Dirigent allein auf die Töne hören und nicht auf Geschlecht oder Hautfarbe der Person achten, die das Instrument spielt. In der Praxis hingegen haben beispielsweise die Wiener Philharmoniker erst 1997 das erste weibliche Orchestermitglied aufgenommen. Die Dirigenten und Auswahlkomitees waren ganz zufrieden mit den durchweg männlichen und durchweg weißen Orchestermitgliedern und sich ihrer Voreingenommenheit wahrscheinlich nicht einmal bewußt.

Das ist das wirklich Ernüchternde: Egal, wie groß der gute Wille ist, wir benehmen uns oft voreingenommen, auch wenn wir das gar nicht wollen. Bohnet bezieht sich in ihrem Buch unter anderem auf Daniel Kahneman’s Forschungen, die er 2011 in dem Buch „Thinking Fast and Slow“ veröffentlichte und wo er belegt, wie sehr unser Verhalten, ob in der Arbeit oder sonstwo im Leben, deutlich stärker durch unbewußte Reflexe kontrolliert wird, als durch rationales Denken.

Bohnet macht auch darauf aufmerksam, wie wichtig es auf der einen Seite ist, eine „kritische Masse“ zu haben, auf der anderen Seite aber auch darauf zu achten, dass niemand als reine „Quoten-Besetzung“ wahrgenommen wird. Solche Selbstwahrnehmung führt häufig dazu, dass die Leute sich ganz besonders assimilieren wollen, ihre eigenen Perspektiven oft in den Hintergrund schieben und statt den Weg freizumachen für andere, sie größerer Gleichberechtigung sogar eher im Weg stehen.

Sie zeigt, dass es sich für Frauen noch immer eher auszahlt nett rüberzukommen, als kompetent. Firmen sind sich zunehmend dieses Dilemmas bewusst, vor dem Frauen in Gehaltsverhandlungen stehen. Sie wollen weibliche Angestellte nicht verlieren, die, nachdem sie einen Job und ein Vergütungspaket angenommen haben, enttäuscht feststellen, dass sie das schlechtere Geschäft gemacht haben. Wie die Oscar-Gewinnerin Jenniver Lawrence 2015 verbittert schrieb, nachdem sie in einer durch ein Internetleak veröffentlichten E-Mail erfahren hatte, wie viel weniger sie für einen Film bekommen hatte, als ihre Kollegen: „Ich würde lügen, wenn ich nicht zugäbe, dass der Wunsch gemocht zu werden, meine Entscheidung beeinflusste, den Vertrag ohne einen echten Kampf abzuschließen. Ich habe gefürchtet, als „schwierig“ oder „verwöhnt“ angesehen zu werden. Damals dachte ich, das sei eine gute Idee, bis ich die Gehaltsliste im Internet sah und feststellte, dass alle Männer, mit denen ich arbeitete, sich defnitiv nicht darum scherten, ob sie als „schwierig“ oder „verwöhnt“ angesehen wurden.“

Das zeigt, wie schwierig solche Prozessanpassungen sein können, dennoch findet Bohnet auch funktionierende Beispiele, wie solche Gruppenprozesse zu größerer Gleichberechtigung von unterschiedlichern Ansichten und Perspektiven führen können. Eines der Kapitel beschäftigt sich damit, wie wichtig es für Unternehmen ist, Personaldaten zu sammeln und zu analysieren, um Muster und Trends zu verstehen und Prognosen zu machen. Man wird keine Änderungen herbeiführen können, wenn nicht einmal bekannt ist wieviele Frauen im Unternehmen in senioren Führungspositionen arbeiten oder wieviele Mitglieder einer Minderheit im letzten Jahr eingestellt wurden.

Besonders nützlich war das Kapitel für mich, in dem es um einfache Veränderungen im Recruitingprozess ging und die simple Einführung von Checklists. Stehen die Fragen vorher fest? Sind die Interviewer vorbereitet und besteht eine entsprechende Rating- Matrix nach Beendigung des Interviews etc.? Ich komme selbst aus dem Personalbereich und habe Hunderte von Interviews geführt und war trotzdem geschockt, wie schnell man auf „Groupthink“ und unbewußte Vorurteile hineinzufallen droht.

„What works“ ist das Ergebnis ihres zehnjährigen Projekts, dem man anmerkt, wie fasziniert sie von dem Thema war, wieviel Wissen und Herzblut darinsteckt. Sie hat es nicht nötig, den Leser mit akademischem Jargon oder komplizierten Diagrammen beeindrucken zu wollen, wobei ihr Buch durchaus akribisch recherchiert und mit Fußnoten versehen ist. Sie zeigt unkomplizierte Methoden auf die Unternehmen helfen können, Diversität und ein integratives Umfeld zu schaffen, der eigentliche Test für das Buch kommt aber dann, wenn es darum geht, die zu erreichen, die nicht (wie ich zum Beispiel) ohnehin schon mehr als offen für das Thema sind.

“What works” ist ein Buch, in dem Firmen jede Menge Denkanstösse finden können – sie müßten sie nur auch wirklich umsetzen wollen.

Ich danke dem Beck Verlag für das Rezensionsexemplar.

Meine Woche

018

Gesehen: „Stranger Things“ Season 2 beendet. Sooo sooo gut. Unbedingt anschauen, freue mich schon auf die nächste Staffel.

Edge of Tomorrow“ von Doug Liman mit Tom Cruise und Emily Blunt. Live, Die, Repeat – interessanter Zeitschleifen Sci-Fi.

Whisper“ Horror short Film von Julian Terry, danach möchte man Alexa definitiv aus dem Schlafzimmer werfen.

Gehört: „Melting Morning“ – Solar Ocean, „The Book of Wind“ – Aware, „Dying Giants“ – ASIWYFA, „Run for Cover“ – Killers

Gelesen: diesen Artikel von Patty McCord über „Radical Honesty„, „What Facebook did to American Democracy“, „what a 21st century police state looks like“, „Why Futurism has a cultural blindspot“, „the back-stories of 5 famous books„, „The 36 Questions that lead to Love„, „How should one read a book“ von Virginia Woolf

Getan: das Radl zur Reparatur gebracht, einen schönen Abend mit Freunden im Fugazi/Frenzy verbracht, bei Microsoft über „Future of Work“ diskutiert, zwei Freundinnen unter die Haube gebracht und sehr viel getanzt.

Geplant: den Bookclub besuchen und ein richtig gutes Bootcamp durchführen

Gegessen: Dreierlei Bohneneintopf und ein sehr leckeres spontan gebasteltes Essen aus Brokkoli, Linsen und Chorizo

Getrunken: jeden Tag einen Ingwershot

Gelacht: Would you like you if you met you?

Geärgert: dass mein Papa uns im Dezember nicht besuchen kommt

Gefreut: wir haben Esstisch und Stühle zusammengebaut bekommen ohne dass Scheidung drohte 😉

Geklickt: auf diesen Talk von Paul Graham Raven zu Transhumanismus, diesen TED Talk über die Rolle von Städten in der Zukunft und diesen TED Talk „We can hack our immune system to fight cancer“

Gewünscht: diese schwebende Küchengarderobe, dieses Bild (gesehen bei amy von einfallsreich), diese Vitrine

Gefunden: nix

Gestaunt: mit diesem Adler mit dem man über die Berge fliegt

Shakespeare & Co

 

Shakespeare

Die Hogarth Press wurde 1917 von Virginia und Leonard Woolf gegründet mit der Vision, das beste zu drucken, was die moderne Literatur zu bieten hatte. 2012 wurde Hogarth in London und New York neu gegründet, um diese Tradition weiterleben zu lassen. Im Oktober 2015 begann der Verlag ein Shakespeare Projekt, das der Neuerzählung von Shakespeares Stücken gewidmet ist. Einige der renommiertesten Autoren der Gegenwart konnten für das Projekt gewonnen werden und haben sich jeweils einem Werk Shakespeares angenommen.

Den Anfang machte Jeannette Winterson, die sich in „The Gap of Time“ der Neuerzählung von Shakespeares „Winter Tale/Das Wintermärchen“ widmet und das gleichzeitig und eher zufällig die Oktober-Lektüre in unserem Bookclub war.

Bereits erschienen sind zudem Anne Tyler „Vinegar Girl“, basierend auf „The Taming of the Shrewd/Der Widerspenstigen Zähmung“, Howard Jacobsen „Shylock is my name“, basierend auf „The Merchant of Venice/Der Kaufmann von Venedig“, Margaret Atwood „Hagseed“, basierend auf „The Tempest/Der Sturm“ und Tracey Chevaliers „New Boy“, basierend auf „Othello“.

Geplant sind desweiteren Edward St. Aubyn mit einer Neuinterpretation von King Lear, Jo Nesbø versucht sich an Macbeth und Gillian Flynn an Macbeth.

Ian McEwans Buch „Nutshell“, die Neuinterpretation Hamlets, ist also außerhalb dieser Reihe entstanden und hat, wie es scheint, nichts mit dieser zu tun. Ich habe die deutsche Diogenes-Ausgabe kürzlich in einem öffentlichen Bücherschrank gefunden, gerade als ich mit Jeannette Wintersons „The Gap of Time“ begonnen hatte und sah das als Fingerzeig für den Bookclub, gleich beide Bücher zu lesen (für Extrapunkte, die ich dann bei Gelegenheit in einen Extra-Nachtisch umwandle oder so).

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„The Winter’s Tale“ ist eines von Shakespeares späten Stücken, in denen er etwas sanfter wurde und auch nicht mehr all seine weiblichen Protagonisten abmetztelt. Es ist die Geschichte eines Königs, dessen rasende Eifersucht zur Verbannung seiner kleinen Tochter führt und in den Tod seiner wunderschönen Frau. Die Tochter wird von einem Schäfer an der Küste Böhmens gefunden und nach einer Reihe außergewöhnlicher Umstände finden sich Vater, Tochter und gar die Mutter am Ende wieder.

In Jeanette Wintersons Version spielt der größte Teil der Geschichte im London im Jahr 2008 nach der Finanzkrise und von dort geht es in die amerikanische Stadt „New Bohemia“. Ihre Geschichte dreht sich um die zwei Jugendfreunde Leo und Xeno, die sich während ihrer Internatzeit mehr als nahe standen.

16 Jahre später ist Leo ist ein irre reicher, arroganter und ziemlich paranoider Hedge Fund Manager, der mit der wunderschönen Sängerin MiMi verheiratet ist und mit der er einen Sohn hat namens Milo. MiMi ist schwanger mit ihrem zweiten Kind.
Xeno ist ein schwuler, introvertierter Designer von Videospielen.

In seinem Wahn wird Leo immer besessener von der Idee, seine hochschwangere Frau MiMi habe eine Affäre mit Xeno und er sei der Vater des Kindes. Leo versucht Xeno zu töten, vergewaltigt seine Frau und gibt nach der dadurch ausgelösten Geburt das Kind einem Angestellten den Auftrag, es Xeno zu überliefern.

Natürlich geht das schief. Der Bote wird umgebracht, nachdem er das Baby in einer Babyklappe gelassen hat, da er den Angriff kommen sieht. Ein Mann namens Shep und sein Sohn Clo finden das Baby und nehmen es mitsamt der Tasche, die Geld und Juwelen enthält, mit, um es großzuziehen.

“And the world goes on regardless of joy or despair or one woman’s fortune or one man’s loss. And we can’t know the lives of others. And we can’t know our own lives beyond the details we can manage. And the things that change us forever happen without us knowing they would happen. And the moment that looks like the rest is the one where hearts are broken or healed. And time that runs so steady and sure runs wild outside the clocks. It takes so little time to change a lifetime and it takes a lifetime to understand the change.”

Nach unglaublichen Umwegen trifft das Findelkind Perdita 16 Jahre später Xeno und dessen Sohn Zel und – na klar – verliebt sich in Zel. Sie wird schlussendlich mit ihrem reumütigen und einsamen biologischen Vater wiedervereint als auch mit ihrer Mutter.

Fast alle Wunden werden geheilt und nahezu alles wieder gut gemacht. Ein überraschend befriedigendes Happy End, das man bei Shakespeare nicht oft erlebt.

Ich liebe Wintersons Art zu schreiben, ihren Witz, ihre Klugheit, die Mühelosigkeit, mit der sie die komplexen Emotionen der Charaktere und die Geschichte erzählt hat.

Sie erzählt eine Geschichte von Liebe, Eifersucht, Freundschaft, Geld, dem besonderen Schicksal von adoptierten Kindern und der Zeit, die sich immer wieder in elliptischen Kreisen dreht.

“I guess I’m afraid of not being like other people. No, that’s not true. I’m not afraid of not being like other people. I’m afraid I won’t find anybody who doesn’t mind me not being like other people. I’m not ambitious for money or power. I want to find some real way to live.” 

Hier ist ein Interview mit der Autorin in dem sie über „The Gap of Time“ spricht:

Jeanette Winterson wurde selbst adoptiert und hat daher ganz bewußt „The Winter Tale“ gewählt, dass sich wie ein roter Faden durch viele ihre Bücher zieht. In ihrem Nachruf auf die Autorin Ruth Rendell schreibt sie „… she (Ruth Rendell) did worry that I would shipwreck. I was reckless, wild, outspoken, lost, at odds with my past – I hated being adopted. I wanted to belong but not at the price of conformity. Ruth understood my contradictions…“ 

Vielleicht noch ganz interessant zu erfahren, dass wenige Bücher so einhellig gelobt und geliebt wurden im Bookclub. Zu große Harmonie und Übereinstimmung kann sonst gelegentlich zu etwas langweiligen Diskussionen führen, nicht bei diesem Buch, da war dank Shakespeare und auch dank Winterson so viel Stoff zum diskutieren.

Marion von Schiefgelesen hat hier eine wunderbare Rezension zu „The Gap of Time“ geschrieben, ebenso die Bücherphilosophin – ihre Rezension findet ihr hier.

Es hat sich auch mit dem Cast im Buch ganz vorzüglich „Who would you marry / Who would you shag / who would you throw off a cliff“ spielen. Über die Frage wer im Bookclub mit wem im Buch und so hüllen wir jetzt den Mantel des Schweigens und widmen uns dem nächsten Shakespeare 2.0 Kandidaten Ian McEwan:

 

Ian McEwan traut sich was. Seine Geschichte wird aus der Perspektive eines unglaublich gebildeten Fötus erzählt, der ein ganz unglaubliches Wissen über Wein, Geschichte und dem Zeitgeschehen angesammelt hat, überwiegend durch die Podcasts, die seine Mutter aufgrund von Schlaflosigkeit hört.

Dieser neunmalkluge Fötus ging mir anfangs auf den Nerv, ich brauchte etwas, bis ich mich auf die Geschichte eingelassen habe, aber dann war ich nur noch begeistert. „Nusschale“ ist eine zutiefst durchtriebene Version von „Hamlet“, wo die Treuelosigkeit zwischen „Trudy“ und ihrem Schwager „Claude“ nicht vom jugendlichen Hamlet beobachtet wird, sondern vom ungeborenen und unbenannten Fötus.

McEwans Spiel mit der Sprache gleicht einem Drahtseiltänzer, der routiniert ohne Netz und doppelten Boden die gewagtesten Sprünge vollzieht. Ich habe gefühlt das halbe Buch unterstrichen und möchte es unbedingt noch einmal im Original lesen, die Übersetzung scheint mir aber überaus gelungen zu sein.

„Mein Selbstmitleid, im einsamen Höhenflug, sieht mich irgendwo im dreizehnten Stock des barbarischen Hochhauses enden … Allein der Gedanke da zu wohnen.
Ganz genau. Eine Kindheit mit Computerspielen statt Büchern, mit Zucker, Fett und körperlicher Züchtigung. Schlagetal, o ja. Keine Gutenachtgeschichten, um meine Hirnplastizität zu fördern. Die neugierfreie Gedankenwelt der modernen englischen Unterschicht. Dann doch lieber Madenzucht in Utah? Ich Armer, ich elender Dreijähriger mit Igelschnitt, Wampe und Tarnhose, verloren in einer Wolke aus Fernsehlärm und Passivrauch. Die tätowierten, geschwollenen Knöchel der Adoptivmutter staksen vorbei, gefolgt vom stinkenden Köter ihres labilen Lovers.“

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Ich bleibe bei meiner Beschreibung hier jetzt absichtlich kurz, was den Plot angeht. Fast jeder hat wahrscheinlich „Hamlet“ in der Schule gelesen, daher nur kurz die Grobübersicht, das muss erst mal reichen. Ob also die zarte Truy und ihr tölpelhafter Lover ihren Plan durchgezogen bekommen, müsst ihr schon selbst rausfinden, es lohnt sich.

Dies also meine Kurzbesprechung von Ian McEwans „Nusschale“ in a nutshell…

Jeanette Winterson „Der weite Raum der Zeit“ ist im Knaus Verlag erschienen.

Ian McEwan „Nussschale“ erschien im Diogenes Verlag.

Gerade gesehen, dass mein Satz mit der Verlinkung zu Marions Shakespeare Projekt auf schiefgelesen verschwunden ist, hier also jetzt der link, dort gibt es auch jede Menge Hogarth Shakespeare zu entdecken.

 

 

Mogwai + Sacred Paws @ Backstage Werk

Ich hätte es wieder mal nicht besser sagen können. Wir hatten einen wunderbaren Abend mit Mogwai.

KULTURFORUM

Bei Mogwai hat man hinsichtlich Vorprogramm in den vergangenen Jahren Etliches an Überraschungen erlebt, Elektronik-Experimental-Frickler, die mit ihrer Klangkunst so gar nichts mit dem klassischen Postrock zu tun haben wollten, beim letzten oder vorletzen Mal einen schwergewichtigen, durchtätowierten Schotten, den man rein optisch im Death-Metal-Lager verortet hätte, der sich jedoch völlig unerwartet als versierter Könner in Sachen Flamenco-Akustik-Gitarre erwies, auf der aktuellen Tour nun das Duo Sacred Paws als Anheizer, ortsansässig in Glasgow, unter Vertrag beim Label Rock Action, damit hatte es sich auch schon in puncto Gemeinsamkeiten mit dem Hauptact des Abends.
Sympathische Ausstrahlung hatten sie, die beiden Mädels, am energetischen, vom Bewegungsdrang getriebenen Bühnengebaren gab es auch nichts zu beanstanden, ihr Instrumentarium beherrschten sie durchaus passabel, und doch mochte der Funke auf Teile des Publikums nicht überspringen mit dem flotten Indie-/Afrobeat-Groove und dem austauschbaren „Oh-Ooooh-Oooooooh“-Hurra-Singsang der beiden jungen Musikerinnen, die sich von Stück eins bis gefühlt Stück…

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Meine Woche

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Gesehen: „Joan Didion – The Center will not hold“ (2017) von Griffin Dunne. Biopic über eine großartige Autorin. Unbedingt anschauen, ist absolut sehenswert.

Nocturnal Animals“ (2016) von Tom Ford mit Amy Adams und Jake Gyllenhaal. Beklemmender Film mit wunderbaren Bildern.

Halloween“ (1978) von John Carpenter mit Jamie Lee Curtis. So viel besser als ich dachte, da kann sich so mancher Horrorfilm heute eine Menge abschauen.

Gehört: „Take me somewhere nice“ – Mogwai, „Coolverine“ – Mogwai, „Mesa“ – Cayatana, „Thinning“ – Snail Mail, „This Corrosion corroded“ – Andrew Liles, „Discourse on Lightning“ – Moljebka Pvlse, „Gil-Estel“ – Thangorodrim, „Blood & Chalk“ – EMA

Gelesen: über die massenhafte Opioide-Abhängigkeit in den USA, über diesen Buchladen den man in Schottland mieten kann, über den ersten Roboter der eine Staatsangehörigkeit bekam sowie die Überlegungen Roboter als „elektronische Personen“ zu führen, how the superrich have founded a new class of intellectuals, über die verschwindenden Insekten und über Istanbuls Bibliotheken als sichere Häfen in unruhige Zeiten

Getan: Mogwai live gesehen, viel gelaufen, einen Barkeeper Kurs besucht, ein belgisches Dinner genossen mit Gästen aus den verschiedensten Ländern und spannende Unterhaltungen geführt

Geplant: eine Lesung besuchen und Freunde unter die Haube bringen

Gegessen: salziges Guiness-Karamel Shortbread und sehr leckere belgische Hackbällchen

Getrunken: belgisches Trappistenbier

Gelacht: For all who think they might have a bad day

Geärgert: über meine kaputte Fahrradbremse

Gewein: bye bye Lovefilm und bye bye Octavia

Gefreut: über ein email von Mr Raven, viel Zeit mit guten Freunden verbracht zu haben und endlich wieder mit dem sporteln begonnen zu haben

Geklickt: auf die Liste mit den 100 Büchern die man 2017 gelesen haben sollte, diesen Ted Talk über den Bau eines Tempels und diesen TED Talk darüber was eigentlich problematisch ist mit Blick auf TED

Gewünscht: dieses Neonlicht, diese Leselampen, dieses Tablett

Gefunden: nix

Gestaunt: über diese wunderschönen Fotos bedrohter Tierarten