Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir mehr wünsche, ich hätte dieses Buch schon mit Anfang 20 gelesen oder lieber selbst geschrieben. Ich denke, man muss sich nur mal die Kommentare unter Stokowskis Spiegel Kolumne anschauen um zu begreifen, wie wichtig und immer noch notwendig ihr Buch ist.
Sie schreibt darüber, wie Mädchen von klein auf lernen, dass ihre Körper per se nicht in Ordnung sind, dass man an ständig herumoptimieren und verbessern muss.
Ihr geht es nicht darum, Haarentfernung oder Schminke zu verdammen, sondern viel mehr ganz unaufgeregt den schmalen Grat zwischen dem eigenen Schönheitsempfinden und der internalisierten sozialen Erwartungshaltung an einen Frauenkörper zu untersuchen.
„Alles ist schöner, wenn es freiwillig ist und bewusst selber gewählt, und dazu muss man die Alternativen zumindest kennen“
Kleine Mädchen, die in ihrem Leben nie etwas anderes als eine permanent Diät haltende Mutter erlebt haben, werden ganz selbstverständlich selbst ihr Leben lang hungern und tief davon überzeugt sein, dass das nichts mit gesellschaftlichem Druck, sondern nur mit dem eigenen Schönheitsempfinden zu tun hat.
Untenrum frei bezieht sich auf ihre zentrale These: „Wir können untenrum nicht frei sein, wenn wir obenrum nicht frei sind.“ Es geht ihr nicht nur um strukturelle Machtfragen, sondern auch über die „kleinen schmutzigen Dinge“ untenrum, über die man auch nicht spricht.
„Wir haben die Fesseln des Patriarchats nicht gesprengt, sondern sind mit ihnen shoppen gegangen.“
Margarete Stokowski beleuchtet diese Zusammenhänge durch persönliche Rückblicke und gesellschaftspolitische Beobachtungen. Sie klingt so, wie man sie aus ihren Spiegelkolumnen kennt: lässig, ohne flapsig zu wirken, sie schreibt klar mit viel Tiefe und großem Respekt vor Menschen und Gefühlen.
Stokowski liefert Argumente für die Freiheit von Geschlechterklischees, Stereotypen und Mythen. Es ist ein sehr persönliches Buch über Feminismus, Esstörungen, Sexualität, Machtstrukturen und Katholizismus.
Stokowski hat ein kluges Buch geschrieben, dem man bei aller Lässigkeit deutlich die philosophische Ausbildung der Autorin anmerkt und das für mich am Stärksten ist durch die Fusion von autobiographischem Erleben und theoretischem Erlesen.
Hier noch ein Link zu ihrem Servicetext: „Wie können Männer Feministen sein“ und das spannende Gespräch zwischen Margarete Stokowski und der Herausgeberin des Philosophie-Magazins, Svenja Flaßpöhler, zum Thema: „Perspektiven des heutigen Feminismus“:
„Untenrum frei“ erschien im Rowohlt Verlag.
Danke für die fundierte Analyse – klasse. Entscheidung es doch zu lesen, also mir Zeit dafür zu nehmen, ist gefallen. LG Bri
Ich bin gerade am Beginn von „Bad Feminist“ da kommt Frau Stokowski passend dazu. Die übrigens in den Kommentaren bei Spiegelonline teils widerwärtig schwachköpfig (meist schwänzig) angegangen wird und diese Diskussion ist so notwendig! Es wird tatsächlich mit den patriarchalischen Fesseln shoppen gegangen und wenn ich mich in der Kita so umschaue, alles rosa und Glitzer und tütü wird mir bange! Besonders, weil darauf angesprochen niemand das so empfindet, dass wir damit die Geschlechterrollenzuweisung wiederdurch die Hintertür zementieren. Mehr Stokowski und andere, mehr Bewusstsein ist dringend nötig.
Teilweise wird die sog. Beschneidung von Frauen in Afrika mit Schönheitsoperationen im Westen verglichen. Ich finde diese Vergleiche nicht sehr zutreffend. Wenn ich aber dann hier in München am Marienplatz die Rolltreppe zu S-Banh nehme und auf Reklametafeln von Schönheitschirurgen treffe, die Eingriffe im Intimbereich bewerben, dann drängen sich für mich doch Fragen zum Zustand unserer Gesellschaft und dem Rollenverständniss der Geschlechter auf. Und ob wir untenrum zu wenig oder zu sehr frei sind …