
Wie hartnäckig sich auch heute noch – teilweise unbewußte – geschlechtsspezifische Vorurteile halten, kann auch den optimistischsten Menschen zur Verzweiflung bringen. Den Vorwurf des Sexismus weisen die meisten vehement von sich, aber die Stereotype sind omnipresent, in Kindergarten und Schule heute stärker als noch vor einigen Jahren. Die Erkenntnis, dass wir die Gleichstellung der Geschlechter und diversifizierte Belegschaften in Unternehmen brauchen, ist mittlerweile einigermaßen weitverbreitet. Bei der Umsetzung sieht es allerdings noch recht trüb aus.
Fast jedes größere Unternehmen bietet mittlerweile Diversitäts-Trainings an, der Markt an Trainingsanbietern floriert, doch den Nachweis für ihren Erfolg müssen diese Trainings noch erbringen. Die Verhaltenswissenschaft bietet da neue Lösungen an, die Iris Bohnet in ihrem Buch unter die Lupe nimmt. Anstatt das Verhalten der Menschen durch kostspielige, langwierige und nicht nachgewiesen erfolgreiche Trainings ändern zu wollen, schlägt Bohnet vor die Organisationen selbst umzugestalten, in dem man versucht, mit smarten Lösungen große Wirkung zu erzielen.
Sie analysiert Verhalten und Prozesse um explizit zu machen, wie sich diese auf die Gleichstellung auswirken und schlägt entsprechende systemische Interventionen vor. Dieser verhaltens- und designbasierte Vorgang wird auch als „Nudging“ bezeichnet und erfreut sich zunehmend größerer Beliebtheit, wenn gleich auch das „Nudging“ nicht unumstritten und mit Vorsicht zu genießen ist.
Bohnet geht mit den Diversitätstrainings hart ins Gericht. Allein in den USA geben Unternehmen dafür jährlich 7 Millarden Dollar aus, ohne dass die Wirksamkeit tatsächlich belegt wär., Bohnet argumentiert viel mehr, es könne sogar sein, dass es nicht nur nichts bringt, es könne sogar durchaus nach hinten losgehen aufgrund „moralischer Lizensierung“: die Tendenz von Menschen, nach solchen Trainings unmoralischer zu handeln, da sie gefühlt durch das Training eine Art „Freibrief“ erhalten haben.
Stattdessen sollten Unternehmen ihre Prozesse überdenken und das Geld in deren Überarbeitung stecken, statt in nutzlose Trainings.
„Verhalten zu verändern ist Arbeit, und die große Mehrheit von uns ist nicht bereit, sie zu leisten.“
Sie zeigt das an einem Beispiel der fünf wichtigsten Orchester in den USA. Noch in den 1970 Jahren lag der Frauenanteil unter den Musikern bei gerade einmal 5 Prozent. Heute sind es immerhin über 35 Prozent. Diese Entwicklung ist kein Zufall und auch nicht das Ergebnis von erfolgreich absolvierten Diversitätstrainings, sondern das Ergebnis von „blindem Vorspielen“ hinter einen Vorhang oder einem Wandschirm. Das Boston Symphony Orchester führte das blinde Vorspielen als erstes ein und die anderen folgten dem Beispiel. Theoretisch sollte ein Dirigent allein auf die Töne hören und nicht auf Geschlecht oder Hautfarbe der Person achten, die das Instrument spielt. In der Praxis hingegen haben beispielsweise die Wiener Philharmoniker erst 1997 das erste weibliche Orchestermitglied aufgenommen. Die Dirigenten und Auswahlkomitees waren ganz zufrieden mit den durchweg männlichen und durchweg weißen Orchestermitgliedern und sich ihrer Voreingenommenheit wahrscheinlich nicht einmal bewußt.
Das ist das wirklich Ernüchternde: Egal, wie groß der gute Wille ist, wir benehmen uns oft voreingenommen, auch wenn wir das gar nicht wollen. Bohnet bezieht sich in ihrem Buch unter anderem auf Daniel Kahneman’s Forschungen, die er 2011 in dem Buch „Thinking Fast and Slow“ veröffentlichte und wo er belegt, wie sehr unser Verhalten, ob in der Arbeit oder sonstwo im Leben, deutlich stärker durch unbewußte Reflexe kontrolliert wird, als durch rationales Denken.
Bohnet macht auch darauf aufmerksam, wie wichtig es auf der einen Seite ist, eine „kritische Masse“ zu haben, auf der anderen Seite aber auch darauf zu achten, dass niemand als reine „Quoten-Besetzung“ wahrgenommen wird. Solche Selbstwahrnehmung führt häufig dazu, dass die Leute sich ganz besonders assimilieren wollen, ihre eigenen Perspektiven oft in den Hintergrund schieben und statt den Weg freizumachen für andere, sie größerer Gleichberechtigung sogar eher im Weg stehen.
Sie zeigt, dass es sich für Frauen noch immer eher auszahlt nett rüberzukommen, als kompetent. Firmen sind sich zunehmend dieses Dilemmas bewusst, vor dem Frauen in Gehaltsverhandlungen stehen. Sie wollen weibliche Angestellte nicht verlieren, die, nachdem sie einen Job und ein Vergütungspaket angenommen haben, enttäuscht feststellen, dass sie das schlechtere Geschäft gemacht haben. Wie die Oscar-Gewinnerin Jenniver Lawrence 2015 verbittert schrieb, nachdem sie in einer durch ein Internetleak veröffentlichten E-Mail erfahren hatte, wie viel weniger sie für einen Film bekommen hatte, als ihre Kollegen: „Ich würde lügen, wenn ich nicht zugäbe, dass der Wunsch gemocht zu werden, meine Entscheidung beeinflusste, den Vertrag ohne einen echten Kampf abzuschließen. Ich habe gefürchtet, als „schwierig“ oder „verwöhnt“ angesehen zu werden. Damals dachte ich, das sei eine gute Idee, bis ich die Gehaltsliste im Internet sah und feststellte, dass alle Männer, mit denen ich arbeitete, sich defnitiv nicht darum scherten, ob sie als „schwierig“ oder „verwöhnt“ angesehen wurden.“
Das zeigt, wie schwierig solche Prozessanpassungen sein können, dennoch findet Bohnet auch funktionierende Beispiele, wie solche Gruppenprozesse zu größerer Gleichberechtigung von unterschiedlichern Ansichten und Perspektiven führen können. Eines der Kapitel beschäftigt sich damit, wie wichtig es für Unternehmen ist, Personaldaten zu sammeln und zu analysieren, um Muster und Trends zu verstehen und Prognosen zu machen. Man wird keine Änderungen herbeiführen können, wenn nicht einmal bekannt ist wieviele Frauen im Unternehmen in senioren Führungspositionen arbeiten oder wieviele Mitglieder einer Minderheit im letzten Jahr eingestellt wurden.
Besonders nützlich war das Kapitel für mich, in dem es um einfache Veränderungen im Recruitingprozess ging und die simple Einführung von Checklists. Stehen die Fragen vorher fest? Sind die Interviewer vorbereitet und besteht eine entsprechende Rating- Matrix nach Beendigung des Interviews etc.? Ich komme selbst aus dem Personalbereich und habe Hunderte von Interviews geführt und war trotzdem geschockt, wie schnell man auf „Groupthink“ und unbewußte Vorurteile hineinzufallen droht.
„What works“ ist das Ergebnis ihres zehnjährigen Projekts, dem man anmerkt, wie fasziniert sie von dem Thema war, wieviel Wissen und Herzblut darinsteckt. Sie hat es nicht nötig, den Leser mit akademischem Jargon oder komplizierten Diagrammen beeindrucken zu wollen, wobei ihr Buch durchaus akribisch recherchiert und mit Fußnoten versehen ist. Sie zeigt unkomplizierte Methoden auf die Unternehmen helfen können, Diversität und ein integratives Umfeld zu schaffen, der eigentliche Test für das Buch kommt aber dann, wenn es darum geht, die zu erreichen, die nicht (wie ich zum Beispiel) ohnehin schon mehr als offen für das Thema sind.
“What works” ist ein Buch, in dem Firmen jede Menge Denkanstösse finden können – sie müßten sie nur auch wirklich umsetzen wollen.
Ich danke dem Beck Verlag für das Rezensionsexemplar.