
Kann man, darf man, soll man über ein Buch schreiben, das man nicht zu Ende gelesen hat? Das ich trotzdem wahnsinnig gut fand, aber – ich kann das nicht zu Ende lesen ohne mir umgehend Antidepressiva verschreiben zu lassen. Dieses Buch ist so kontrovers, wie fast kein anderes, das ich jemals gelesen habe.
Zuerst einmal der Autor. Céline ist bekanntermaßen Jahre nach der Veröffentlichung dieses Buches zu einem ausgesprochenen Faschisten geworden, er hat mit den Nazis kollaboriert hat nach 1937 einen so wahnsinnigen Hass auf die Juden entwickelt, dass man wohl durchaus von einer Psychose sprechen kann. Kann man, soll man so ein Buch lesen und gar stellenweise für großartig halten? Es fällt mir so schwer Buch und Autor voneinander zu trennen, auch wenn in der Reise ans Ende der Nacht von seinem Judenhass noch nicht übermässig viel zu spüren ist.
Aber ich habe noch nie eine bessere Beschreibung des Krieges gelesen. Große Teile des Buches sind autobiographisch und wie der Ich-Erzähler Bardamu hat auch Céline am 1. Weltkrieg teilgenommen, ist dort für seine Tapferkeit mit Orden dekoriert, aber schwer verwundet nach Frankreich zurückgekehrt und verbrachte Zeit im Kamerun.
Bardamu gelangt dann nach New York und auch dort zieht es ihn immer weiter in die Tiefe. Seine Beschreibung der Arbeitsbedingungen bei Ford, seine Kritik am Kapitalismus sind pointiert und wunderbar geschrieben aber ich habe bislang noch nie ein Buch, das derart misanthropisch ist, gelesen wie dieses. Ich habe seitenweise tolle Sätze angestrichen, aber mit dem Kapitel in dem Bardamu wieder in Frankreich landet und dort als Armenarzt zu arbeiten beginnt, da konnte und mochte ich für den Moment nicht mehr.
Ich habe das Buch vor ein paar Monaten auf der Auer Dult gekauft. Es ist eine Ausgabe aus den 50er Jahren im „Modernen Buchclub Darmstadt“ erschienen. Der vorherige Besitzer hat fast immer die gleichen Stellen markiert, die auch ich am besten fand und interessanterweise scheint er an einer ähnlichen Stelle aus dem Buch ausgestiegen zu sein, denn die Unterstreichungen ändern abrupt.
Céline war einfach ein wirklich ausgesprochen unsymphatischer Mensch mit schrecklichen Überzeugungen. Er hat offen mit Hitler sympathisiert, die Resistance versuchte mehrfach, ihn zu töten und nach Kriegsende wurde er als Kollaborateur verhaftet. Er hat sich nie vom Faschismus abgewandt und pflegte sein Image als misanthropischer, unbelehrbarer Alt-Nazi mit Arbeiterhintergrund. Aber man muss ihm eines wirklich lassen, er konnte wahnsinnig gut schreiben und war ein guter Beobachter und Kommentator seiner Zeit.
„Weil ich die Menschen noch nicht kannte. Ich werde nie mehr glauben, was sie sagen, was sie denken. Vor den Menschen, vor ihnen allein muß man Angst haben, immer.“
„Sollte ich der einzige Feigling auf Erden sein? dachte ich. Und mit welchem Entsetzen! Unter zwei Millionen heldenhafte, entfesselte, bis an die Zähne bewaffnete Wahnsinnige verirrt? Mit Helmen, ohne Helme, ohne Pferde, auf Motorrädern, brüllend, in Automobilen, pfeifend, Plänkler, Verschwörer in der Luft, auf den Knien, sich eingrabend, stürmend, sich auf den Pfaden tummelnd, mit den Gewehren furzend, eingeschlossen auf der Erde wie in einer Kerkerzelle, um alles auf ihr zu zerstören, Deutschland, Frankreich und die Kontinente, um alles zu zerstören, was atmet, toller als die Hunde, die eigene Tollheit anbetend (was die Hunde nicht tun), hunderttausendmal toller als tausend Hunde, und um soviel lasterhafter! Schön schauen wir aus! Wirklich, jetzt begriff ich es, ich war in einem apokalyptischen Kreuzzug geraten.“
„Die Kanonenschüsse waren für sie nichts als Lärm. Deshalb können Kriege so lange dauern. Die, die ihn mitmachen, erfassen ihn nicht, während sie ihn mitmachen. Mit einer Kugel im Leib hätten sie weiter alte Sandalen auf der Straße aufgeklaubt, die „noch zu brauchen waren“. Wie ein Schaf, das röchelnd in der Wiese liegt und noch immer Gras frißt. die meisten Menschen sterben erst im letzten Augenblick; die anderen fangen früher damit an und greifen um zwanzig Jahre vor, manchmal noch um mehr. Das sind die Unglücklichen auf Erden.“
Und vielleicht steht aus das Alter drohnend an unserem Bett. Wahrscheinlich hat man schon keine Musik mehr in sich, zu deren Takt das Leben sich in heiterem Reigen schwingen könnte. Die ganze Jugend ist schon ans Ende der Welt im Schweigen der Wahrheit in den Tod gegangen. Und wie soll man über sich hinausgelangen, wenn man schon nicht mehr genügend Taumel in sich hat? Die Wahrheit ist ein Todeskampf, de rniemals endet. Die Wahrheit dieser Welt, das ist der Tod. Man muß sich entscheiden, ob man sterben oder lügen will. Ich habe nie den Mut zum Selbstmord aufgebracht.“
„Die kleinen Leute forschen fast nie nach den Ursachen ihrer Leiden. Sie begnügen sich damit, sich untereinander zu hassen.“
„Die Reichen brauchen nicht selber töten, um was zum Fressen zu haben. Sie lassen die Leute für sich arbeiten, wie sie sagen. Sie tun selber nichts Böses, die Reichen. Sie zahlen. Man tut alles, ihnen zu Gefallen, und alle sind hochzufrieden. […] Weiter ist das Leben seit Anbeginn nicht gekommen“