The Night Circus – Erin Morgenstern

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Ein Reading Weekend in Barcelona ist eine maximal wunderbare Sache. Man fährt mit gleichfalls lesebegeisterten Menschen in eine der schönsten Städte der Welt, in der es auch Ende Oktober noch wunderbar warm ist. Man packe Unmengen an Bücher ein, miete sich eine schöne Wohnung an und dann gehts einfach los. Lesen, über Bücher diskutieren, Barcelona unsicher machen, jede Menge Tapas, Cava und Vino Tinto testen und eine literarische Stadtführung gab es auch.

Öhm ok, aber was hat ein Reading Weekend in Barcelona mit Frau Morgenstern’s „The Night Circus“ zu tun? Alles und nichts würde ich sagen. Eigentlich war es nur das Buch, das ich gerade am Start hatte, als wir nach Barcelona geflogen sind, es hatte nicht wirklich eine nähere Verbindung zu Barcelona oder zum Reading Weekend, entpuppte sich dann aber doch als richtig Wahl.

Es geht um zwei Zauberer, die anscheinend unsterblich sind, zumindest verdammt alt werden können. Prospero the Enchanter (Hector Bowen), und Mr. A. H. „the man in the grey suit“, die einen über Generationen ausgetragenen Wettstreit miteinander ausfechten, ausgetragen über ihre jeweiligen Schüler. Ende des 19. Jahrhunderts wählt Prospero seine 6jährige Tochter Celia als Schülerin, während A. H. einen 9jährigen Waisenjungen namens Marco Alisdair als seinen Schüler auswählt. Die beiden sind dadurch in einen lebenslangen Wettkampf verwoben, dessen genaue Ausmasse und Parameter ihnen nie wirklich erklärt werden und jahrelang wissen die beiden nicht einmal, dass sie überhaupt in einem Wettkampf miteinander stehen und wer eigentlich ihr Gegner ist.

The circus arrives without warning. No announcements precede it, no paper notices on downtown posts and billboards, no mentions or advertisements in local newspapers. It is simply there, when yesterday it was not. The towering tents are striped in white and black, no golds and crimsons to be seen. No color at all, save for the neighboring trees and the grass of the surrounding fields. Black-and-white stripes on grey sky; countless tents of varying shapes and sizes, with an elaborate wrought-iron fence encasing them in a colorless world. Even what little ground is visible from outside is black or white, painted or powdered, or treated with some other circus trick.

Der Nachtzirkus, der über Nacht plötzlich auftaucht, auch als Le Cirque des Rêves bekannt, ist ein Ort, der sich ständig ändert und durch die leidenschaftlichen Aufführungen und Wettkämpfe von Marco und Celia beeinflusst wird. Diese Leidenschaft überträgt sich (natürlich) auch irgendwann auf die beiden und sie werden von Rivalen zu leidenschaftlichen Liebenden. Der Wettkampf wird zum Kampf um ihre Liebe, der sie gegenseitig und den Zirkus zerstören könnte – oder wird es ihnen möglich sein ihrem Schicksal zu entkommen?

Der Roman hat eine wundervolle melancholisch dunkle Atmosphäre bevölkert mit exzentrischen Protagonisten, wie z.B. Friedrich Thiessen, der deutsche Uhrmacher, Zirkus-Groupie Tsukiko, eine Schlangenfrau, oder die rothaarigen Zwillinge, die in der Eröffnungsnacht des Zirkus geboren wurden und noch viele viele mehr.

Selbst für Leute die keine großen Zirkusfans sind, dieses Buch zieht einen so hinein in die Farben und Gerüche. Alles ist Illusion und es lohnt sich, die Neugierde einfach manchmal zu unterdrücken und nicht hinter den Spiegel zu schauen.

“The finest of pleasures are always the unexpected ones.”

Das Zitat passt wie die Faust aufs Auge. Denn genauso überraschend wie der Night Circus im Buch auftaucht, genauso überraschend ist in Barcelona plötzlich ein Zirkus vor mir aufgetaucht, der dem Night Circus meiner Phantasie fast haargenau entsprach. Ich dachte ich spinne.

Die anderen Reading Weekendler wollten gerne zur Sagrada Familia, da ich sie aber kannte und keine Lust auf lange Schlangen hatte, hab ich mich alleine am Hafen an der Barceloneta rumgetrieben und da war er der Zirkus.  Hab mich um die Umzäunung reingeschlichen, mir die Wagen angeschaut, ins Zelt geguckt, er war fast komplett leer an diesem sonnigen Sonntagmorgen, hab ein paar Bilder gemacht, ein kleiner Artisten-Junge mit dem süßesten Hund der Welt hat sogar versucht, mir das Jonglieren beizubringen. Ja, da war ich nun leider nicht sehr begabt.  Schade, das ich mein Night Circus Buch nicht dabei hatte,  das wäre sonst das perfekte Bild geworden. Wären wir nicht am Abend abgereist, ich wäre auf jeden Fall in den Zirkus gegangen – aber irgendwann taucht der schon noch mal auf in meiner Nähe – und dann ….

“You may tell a tale that takes up residence in someone’s soul, becomes their blood and self and purpose. That tale will move them and drive them and who knows that they might do because of it, because of your words. That is your role, your gift.”

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Wahrscheinlich hat mich auch der Film „Prestige“ an das Buch erinnert, den ich diese Woche gesehen habe. Die Verfilmung von „The Night Circus“ ist aktuell in Produktion, der Trailer hier ist anscheinend von einem Fan erstellt und daher nicht offiziell, sieht aber schon mal ganz gut aus:

Mein nächstes Reading Weekend kommt bestimmt – watch out !

Das Buch ist auf deutsch unter dem Titel „Der Nachtzirkus“ im Ullstein Verlag erschienen.

Das Gespenst von Canterville – Oscar Wilde

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Endlich wird wieder mal eine klaffende Bildungslücke geschlossen. In England dürfte es schwierig sein, einen Menschen zu finden, der das Gespenst von Canterville nicht schon in der Schule gelesen hat, mir war die Kurzgeschichte bislang aber nicht bewusst untergekommen. Unbewusst wohl schon eher, denn vieles in der Geschichte kam mir aus unzähligen Geisterfilmen bekannt vor. Und „Das Buch als Magazin“ ist für mich nach wie vor die schönste Art, Klassiker wieder oder überhaupt zu entdecken. Auch hier wieder ein wirklich gelungener Mix aus der Kurzgeschichte, tollen Fotos und Geschichten, die dazu passen. Ich bin schon riesig gespannt auf Band 5!

„The Canterville Ghost“ ist auf jeden Fall eine entzückende unterhaltsame Kurzgeschichte, in der eine reiche amerikanische Familie ein altes englisches Landhaus inklusive spukendem Geist kauft und dorthin einzieht. Sehr zum Entsetzen des über 300 Jahre alten Geistes Sir Simon, der bislang noch jeden erfolgreich in Grund und Boden gespukt hat und mit dieser Familie erstmals an seine Grenzen stößt. Sein fürchterliches nächtliches Kettengerassel bringt sie nicht dazu, vor Schreck ohnmächtig zu werden oder wenigstens ängstliche Schreie auszustossen, nein, sie drücken ihm ein hippes amerikanisches Schmiermittel namens „Rising Sun“ in die Geisterhand, mit dem er doch bitte die Ketten ölen möge, damit Ruhe herrscht in der Nacht. Und der täglich wiederkehrende Blutfleck in der Bibliothek, der schon so manchen in den Wahnsinn getrieben hat, führt nur dazu, dass ihm der älteste Sohn der Familie täglich mit Pinkerton’s Champion Stain Remover und Paragon Detergent zu Leibe rückt. Da hat auch der gruseligste Geist irgendwann wirklich keine Lust mehr.

Zum Glück hat die kleine Virginia ein Herz für den deprimierten Sir Simon und hilft ihm aus seiner unglücklichen Situation heraus. Der Schluß der Kurzgeschichte ist schon arg süßlich, aber wir verbuchen das einfach mal unter Ironie.

„Der Tod muss so schön sein! So schön, in weicher brauner Erde zu liegen, und das Gras schwankt über einem hin und her und man horcht auf die Stille. Und es gibt kein Gestern und es gibt kein Morgen. Man vergisst die Zeit, vergisst das Leben und hat Frieden.“

Das Buch als Magazin weiß auch eine Menge schlaue Sachen zu sagen über die Geschichte. Zum Beispiel, dass der Originaltitel „The Canterville Ghost – A Hylo-Idealistic Romance“ sich aus den Begriffen „Hyle“ einem philosophischen Begriff der für „Stoff“ oder „Materie“, und „Idealismus“ der philosophischen Position, die dem Geist den Vorrang vor der Marterie gibt zusammensetzt. Dieser Gegensatz ist Programm der gesamten Geschichte, in der Wilde mit Materialismus, Rationalität, Romantik und Geisterglauben spielt. Wilde hielt im Jahr 1882 eine Vortragsreihe in den USA. Den Eindruck, den er während seiner Reise von den Amerikanern bekam, kann man in dieser Geschichte gut nachvollziehen. Wilde spottete über den Kommerz, den Pragmatismus und das fehlende Traditionsbewußtsein vieler Amerikaner, bewunderte aber auch ihre Unbefangenheit.

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Die Geschichte ist einfach eine liebevolle polemische Satire auf die kulturellen Unterschiede der flachen, aufgeblasenen Amis auf der einen und die steifen, traditionsverliebten Engländer auf der anderen Seite. Eine Geistergeschichte mit einem Hauch Gothic und jeder Menge Humor. Ich habe riesige Lust, diese Geschichte irgendwann meiner kleinen Nichte vorzulesen und dann gruseln wir uns zusammen ein bisschen und gehen um Mitternacht auf Gespensterjagd.

The Ghost of Canterville ist ein Geist, der begeistert – ich glaube ich hätte in der Schule riesigen Spaß an der Lektüre gehabt.

Du kannst dein Geheimnis behalten, solange mir nur dein Herz gehört“

Den Film werde ich mir an einem verregneten Sonntag mal anschauen, schon allein wegen des wundervollen Patrick Stewart, mein Captain Picard 😉

The Spinning Heart – Donal Ryan

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Unsere Februar-Lektüre ist wieder ein gutes Beispiel dafür, warum ich es so liebe, durch den Bookclub auf Bücher gebracht zu werden, die ich sonst höchstwahrscheinlich nie gelesen hätte. Donal Ryan’s dünnes Debüt „The Spinning Heart“ ist so eines. 2013 auf der Longlist des Man Booker Prizes gelandet, ist es mir dennoch komplett unter den Radar durchgerutscht und vielleicht hätte ich es auch gar nicht gekauft, selbst wenn ich es entdeckt hätte, denn ein Buch über die Folgen der Wirtschaftskrise in Irland hört sich im ersten Moment nicht sonderlich anziehend an, da habe ich wohl vorurteilsbeladen ein etwas „Angela’s Ashes“-ähnliches alkoholgetränktes Depri-Buch befürchtet.

„My Father still lives back the road past the weird in the cottage I was reared in. I go there every day to see if he is dead and every day he lets me town. He hasn’t yet missed a day of letting me down.“

„Why can’t I want to be me?“

Ryan wurde aber zum Glück in unsere jährliche Liste gewählt und das war sehr gut so. Ryan erzählt in seinem virtuosen Debüt in 21 unterschiedlichen Stimmen, die in ebensoviele Kapitel aufgeteilt sind, die Geschichte eines irischen Dorfes in der Provinz, das von der Wirtschaftskrise hart getroffen wird. Die paar Boomjahre haben die Arbeiter am Wohlstand teilhaben lassen, als einer der größten Arbeitgeber und der Bauunternehmer Pokey Burke über Nacht abhaut, stehen sie vor dem Nichts und die Dorfgemeinschaft steht unter Schock. Sie sind nicht nur betrogen worden von ihrem Arbeitgeber und der Wirtschaft allgemein, sie sind auch noch pleite und der einzige Trost vielleicht, das es nahezu jeden getroffen hat.

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Foto: joyzz.com

Bobby, ist der zentale Charakter der Geschichte, der Vorarbeiter und ehemals allseits beliebte Golden Boy des Dorfes, dem bislang alles zu gelingen schien, hört das Eis unter seinen Füßen knacken „he is filling up with fear like a boat filling with water“. Die Geschichte spielt in einem namenlosen irischen Dorf und Ryan widmet jedem direkt oder indirekt betroffenen Erzähler ein kurzes Kapitel und darin liegt sein ganz besonderes Können: wie er es schafft, 21 deutlich voneinander unterscheidbare Charaktere greifbar zu machen, ihnen eigene Stimmen zu geben, ihre individuellen Geschichten nachvollziehbar. Man fühlt sich an Dylan Thomas’s „Under the Milk Wood“ erinnert, aber Ryan’s Geschichten erschienen mir härter, vielleicht einfach weil sie aktueller sind.

“I wish to God I could talk to her the way she wants me to, besides forever making her guess what I’m thinking. Why can’t I find the words?”

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Unser organisiertestes Bookclub Mitglied, die diesen Monat auch die Diskussionsleitung übernommen hatte, hat neben diesen phantastischen Cupcakes im Bild auch eine Art Flow Chart gemacht, um darzustellen, wie die verschiedenen 21 Charaktere miteinander zusammenhängen. Es ist nicht unbedingt notwendig, ein solches Chart anzufertigen, man versteht die Geschichte schon auch so, aber es war schon hilfreich 😉

“Bernadette never went to Mass; she was a fundamentalist Christian. Mother often said she only used religion as a framework for her craziness. She could just as easily have been a Muslim or a Buddhist or a white witch.”

„The Spinning Heart“ ist ab und an ein ganz klein wenig alkoholgetränkt-depri, aber es ist überwiegend liebevoll, spannend, häufig auch lustig und ich war einfach nur erstaunt, wie er Ryan es geschafft hat ein so rundes Buch zu verfassen auf nur 160 Seiten. Es ist wirklich großartig – lesen, lesen, lesen!

Das Buch erschien auf deutsch unter dem Titel „Die Gesichter der Wahrheit“ im Diogenes Verlag.

Meine Woche

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Foto: Maggie S. instagram.com/tigramgros

Gesehen: Heat von Michael Mann – grandios! Auch der Soundtrack ! im Kino „The Imitation Game“ gesehen, unbedingt anschauen und Dvojina/Dual – ein slowenischer Film, der mir gut gefallen hat. Nicht sicher, ob er in Ljubljana spielte, aber falls ja, würde ich da gerne mal hinfahren.

Gehört: The Moth and the Mirror – Everyone I know, Moby – God moving over the face of the waters, Air – So light is her footfall, Millie & Andrea – Stay Ugly

Gelesen: diesen spannenden Artikel, warum wir uns öfter mal verletzten sollten, dieser Artikel über japanische Literatur und diesen bewegenden Artikel von Oliver Sacks

Getan: ins Kino gegangen, den Bookclub besucht, im Fußballstadion mit St. Pauli gefiebert, einen Geburtstag gefeiert, gelesen und viel zu wenig geschrieben und – fast vergessen Schlittschuh laufen gewesen !

Gegessen: Tabouleh-Brot – unglaublich lecker! Muss man mal probiert haben.

Getrunken: Bier, Wein und Detox-Tee 😉

Gefreut:  über die tollen Streetart Bilder von Maggie S.

Geärgert: über die Pauli Niederlage gestern 😦

Gelacht: über Ro(Biene) Hood 😉

Geplant: Geburtstag in Paris – vielleicht ?!?

Gewünscht: diese Schuhe, diese Decke und dieses Bild

Gekauft: Bücher, ein Tshirt und sehr unspannende Dusch-Ersatzteile und Glühbirnen im Baumarkt

Gefunden: die Zeit und Lust den Heimwerker-King zu geben (destroy everything you touch)

Geklickt: auf Händels Alcina Aufführung, La Monnaie Brüssel, und diesen Artikel über einen beschämenden Trend in der Architektur und das Interview zum neuen Roman von Kazuro Ishiguro

Gewundert: das man sich an Pizza doch irgendwie überfuttern kann

Sich lieben – Jean-Philippe Toussaint

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Vor ein paar Monaten bin ich im Feuilleton über Toussaint gestolpert, hatte noch nie von ihm gehört, aber sein neu erschienener Roman „Nackt“ hat mich neugierig gemacht und der Begriff Roman-Tetralogie klang spannend. Ja und dann fällt mir der erste Band „Sich lieben“ auch noch im offenen Bücherschrank in die Hände. Wenn das kein Zeichen ist 😉

Interessanterweise kurz nach „Takeshis Haut“ wieder ein Roman, der in Tokio spielt, das war aber eher der zufälligen Reihenfolge meines SUBs zu verdanken, als irgendeiner bestimmten Planung und wieder schwankte der Boden und mit ihm die inneren Welten der Protagonisten.

Sich lieben“ erinnert am Anfang sehr an den Film „Lost in Translation“. Die Modeschöpferin Marie befindet sich mit dem Ich-Erzähler in einem Hotel in Tokio. Es wird nicht ganz klar, welche Verwicklungen zur Trennung führen, aber diese scheint unausweichlich zu sein.  Die beiden haben ein letztes Mal Sex, der jedoch von einem eingehenden Fax jäh gestört wird.

„Es braucht Zeit, um den Menschen nicht mehr zu lieben, den man nicht mehr liebt.“

„Aber wie oft haben wir uns nicht schon zum letzten Mal geliebt?“ Ich weiß es nicht, häufig. Häufig…

„An jenem Tag, da Marie mir vorschlug, sie nach Japan zu begleiten, begriff ich, daß sie bereit war, auf dieser großen Tour unsere letzten Liebesreserven zu verheizen.

„… denn so wie die Nähe uns zerriß, so hätte uns die Ferne wieder nähergebracht.“

Touissant erzählt lakonisch und reduziert von dieser Trennung. Immer weiter schält er das Eigentliche aus der äußeren Handlung heraus, entledigt sich lässig aller unwichtigen Nebensächlichkeiten und dringt zum Kern vor. Eine Reise zum Mandelkern der Angst vor dem Verlassen und dem Verlassenwerden.

Die beiden lieben sich noch, aber stets mehr, je weniger sie tatsächlich zusammen sind. Nähe ist Gift für ihre Beziehung. Je mehr man von den beiden erfährt, desto weniger versteht man sie, desto unklarer werden ihre Beweggründe.

Der erste Teil liest sich fast quälend. Quälend im Sinne von, ich habe das alles irgendwie körperlich als quälend empfunden. Ihre Übermüdung, da sie seit fast 48 Stunden auf den Beinen sind und doch gönnen sie sich keinen Schlaf. Irren durch Tokio, gehen ins Hotelzimmer, schlafen miteinander, werden vom Fax unterbrochen, trennen sich. Er bricht in den Wellnessbereich ein, schwimmt eine Runde, geht in Hose, Tshirt und Hotelschlappen in die Lobby und trifft dort Marie im Abendkleid, ebenfalls in Hotelschlappen die das Coitus-Interrupti-Fax an der Rezeption holt. Sie gehen spazieren in der eiskalten Nacht. Es schneit, sie verirren sich, die Schlappen weichen durch und die Erde bebt wieder, sie küssen sich, lieben sich fast auf offener Straße, kurz darauf streiten sie sich wieder.

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Foto: Matt Allison

Irgendwann geht er wirklich. Reist ab zu einem Freund nach Kyoto und erst da konnte ich wieder durchatmen. Die Luft scheint freier zu sein ohne Marie und auch, wenn er grippekrank im Bett liegt und von Kyoto und seinem Freund nicht viel mitbekommt, so spürt man doch, wie gut und wichtig diese Distanz ist.

„Ich versuchte, der Gewalt der Gefühle, die mich zu Marie trugen, zu widerstehen, aber natürlich war es bereits zu spät, ihr Charme war erneut in Aktion getreten, und ich fühlte, daß ich mich wieder einmal in die Spirale hineinziehen lassen würde, diese Spirale wenn nicht der inneren Zerrissenheit und der Dramen, so doch der Leidenschaft.“

Solche Beziehungen sind wie Kerzen, die an beiden Enden brennen. Sie brennen irre hell, aber nicht dauerhaft und meist brennt einer zuerst aus und kann nicht mehr. Doch die Illusion, die Macht der Liebe könnte die immer wiederkehrenden Schmerzen und die Unerträglichkeit eines solchen Zusammensein überwinden, hält sich lange und wieder und wieder gibt man der Liebe eine Chance.

Nach „Sie lieben“ kommen die Bände „Fliehen“, „Die Wahrheit über Marie“ und „Nackt“  – Toussaint zieht einen in den Bann und man will mehr, tiefer eindringen in das Marie-Universum, die Neonlichter Tokios und bei dem Paar sein, dem die Trennung nicht so recht gelingen will. Mehr verstehen oder auch nicht, ich bin auf die kommenden Bände sehr gespannt.

Words of advice

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If you go home with somebody, and they don’t have any books, don’t fuck them!
(John Waters)

Every good blog should have a life advice column – so tune in again, when there will be more wise words coming your way. What is your advice that we should spread ? 😉

Fahrenheit 451 – Ray Bradbury

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Selten hat ein 50 Jahre altes Buch ein so erschreckend aktuelles Bild gezeichnet wie Fahrenheit 451. Die unermüdliche Suche nach dem Glück kann zum Fluch werden, für eine Gesellschaft, die das Glück zum Alleinzweck definiert. Ray Bradbury zeigt in seiner Dystopie eine Zukunft, in der niemand mehr Bücher liest. Anfangs, weil die Leute Unterhaltung und Informationen in immer kleiner zubereiteten Häppchen vorgesetzt bekommen wollten, bis am Ende nur noch Soundbites übrigbleiben, denn für mehr reicht die Aufmerksamkeit einfach nicht (klingt irgendwie bekannt, oder ?)

Irgendwann begannen sie in Büchern aber grundsätzlich einen Feind zu sehen, der unterschiedlichste Weltsichten, konkurrierende Ideen, Meinungen und Thesen vertritt, die Menschen damit überfordert und verwirrt.Dann doch lieber ein Leben als emotionslose Flatline, als diese ständigen Höhen und Tiefen und starken Gefühle, die häufig unglücklich machen.

Die Menschen beginnen ein immer schneller werdendes Leben zu führen, die in Super-Autos (Beetles – wie süß) durch die Gegend rasen, die alles umbringen, was ihnen in den Weg gerät. Ihre Kinder (wenn sie denn welche haben) sehen sie so gut wie nie, denn das raubt nur unnötig Zeit, die man doch lieber mit der Dauersoap „The Family“ zu Hause auf den lebensgroßen Bildschirmen verbringen möchte. Den ganzen Tag von der „Family“ berauscht, gehen sie abends dann mit Muscheln im Ohr ins Bett, die ohne Unterbrechung weitersenden, eine Dauer-Kakophonie aus bedeutungslosen News, Klatsch, Musik die die Leute betäubt.

“A book is a loaded gun in the house next door…Who knows who might be the target of the well-read man?”

“The terrible tyranny of the majority.”

Schlaf- und Beruhigungstabletten werden geschluckt, wie zu anderen Zeiten Süßigkeiten, Suizid weit verbreitet und kaum kommentiert. Montag, von Beruf Feuerwehrmann, dessen Job es nicht ist Feuer zu löschen, sondern Bücher zu verbrennen, trifft eines Tages auf ein junges Mädchen aus der Nachbarschaft und beginnt ein Gespräch mit ihr. Dieses Gespräch, das erste richtige das er seit einer Weile überhaupt führt, da seine Frau nur noch im Tablettenrausch zwischen Soap und Muschelrauschen dahingleitet. Das Gespräch bringt ihn aus dem Gleichgewicht, bringt ihn zum Nachdenken und dazu, die Welt mit anderen Augen zu sehen.

Why is it,“ he said, one time, at the subway entrance, „I feel I’ve known you so many years?“
„Because I like you,“ she said, „and I don’t want anything from you.

Er beginnt Bücher für sich zu entdecken und entschließt sich zum Kampf gegen die Gesellschaft, in der er lebt. Vielleicht sollten wir alle es so machen, wie die anderen Rebellen und ein uns wichtiges Buch auswendig lernen, nur für den Fall, dass wir es einmal brauchen könnten. Ich bin auf jeden Fall glücklich in einer Welt zu leben, in der Bücher noch einen sehr hohen Stellenwert haben, wobei ich glaube, dass wir dabei sind, die Fähigkeiten richtig zu lesen, zum „deep read“, zu verlieren, wenn wir nicht aufpassen.

“With school turning out more runners, jumpers, racers, tinkerers, grabbers, snatchers, fliers, and swimmers instead of examiners, critics, knowers, and imaginative creators, the word ‚intellectual,‘ of course, became the swear word it deserved to be.”

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“There must be something in books, something we can’t imagine, to make a woman stay in a burning house; there must be something there. You don’t stay for nothing.”

Die Kurzbiografie im Buch beschreibt einen Autor, der einen großen Teil seines Lebens in Bibliotheken verbracht hat. Bücher und Bibliotheken spielen eine große Rolle in einer Reihe seiner Werke und ich habe vor, noch einiges von ihm zu lesen. Ich habe gefühlt meine halbe Kindheit in einer Bücherei verbracht und werde für immer dankbar sein, für die Welt die sich mir dadurch erschlossen hat.

„The main thing to call attention to is the fact that I’ve been a library person all of my life.“

Fahrenheit 451 entstand auch im Keller einer Bibliothek, wo Bradbury eines Tages eine Münzschreibmaschine entdeckte, auf der er die Kurzgeschichte „The Fireman“ schrieb und immer 10-Centstücke nachwerfen musste, wenn die Zeitdauer überschritten war. Insgesamt kostete die erste Fassung 9,80 $.

Der Roman wurde 1966 von Francois Truffaut verfilmt und ich bin sehr gespannt darauf. Der Film weicht von der Romanvorlage etwas ab, aber eigentlich mag ich die Filme von Truffaut sehr gerne und bin gespannt.

Das Buch erschien auf deutsch unter dem gleichen Titel im Diogenes Verlag.

Meine Woche

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Foto: A Kuscu

Gesehen: Wild im Kino – eine absolut sehenswerte Verfilmung, unbedingt angucken und dann die nächste Fernwanderung planen 😉
Dirty Pretty Things von Stephen Frears mit Audrey Tatou, eine sehr bewegender Film über einen illegal in London lebenden Nigerianer der mit den widerwärtigen Realitäten Londons konfrontiert wird. Auch unbedingt gucken !
Ich will Dich“ ein deutscher Film, den ich mit viel Skepsis startete und den ich dann überraschend gut fand.

Gehört: Rósín Murphy „Simulation„, Sneaker Pimps „6 Underground“ und „Glory Box“ von Portishead

Gelesen: Jeanette Wintersons Artikel „On the transforming Power of Art„, und diesen Artikel aus dem Monopol „Wider den ästhetischen Blick auf Krieg

Getan: Den Mainz-Besuch verschoben 😦
in der Arbeit versucht die Administration zu zähmen, ins Kino gegangen, eine Oper besucht und viel zu Fuß gegangen

Gegessen: Geröstete Blumenkohlsuppe und Pizzaaaaaaaa

Getrunken: Granatapfel-Sprizz

Gefreut:  über Tickets für St. Pauli – 1860 nächstes Wochenende

Geärgert: back to square one mit meinem Bruder

Gelacht: „Fuck it“ – my final thought before making most decisions (so true!)

Geplant: ein paar Ideen zu einem bestimmten Thema mal zu Papier zu bringen

Gewünscht: ha ha dieses T-Shirt ist einfach perfekt für mich, natürlich nur in schwarz 😉 und diese Vasen sind einfach cool und diese Jacke ist toll

Gekauft: Konzertkarten und ein Buch

Gefunden: leider noch nicht – die perfekte neue Brille

Geklickt: hier – „Readers best worst Celebrity Traumas“ und diesen Artikel – ich hab Tränen gelacht über die epic hangovers. Sie hat sooo recht.

Gewundert: well we’re all just molecules, cutie!

Il Trovatore – Guiseppe Verdi

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Foto: Bayerische Staatsoper

Mein erster Verdi hat mich Dienstag Abend in die Staatsoper gebracht und es war in vielerlei Hinsicht ein spannender Abend. „Il Trovatore“ ist ein dunkles Drama mit Liebe, Lust, sehr viel Leidenschaft, Rache und nicht zu vergessen – opulenter, atemberaubender Musik, die einen total mitreißt.

Es geht um die Feindschaft zwischen zwei Männern, die die gleiche Frau lieben und nicht wissen, dass sie Brüder sind. Es wird viel geliebt, viel gelitten, Rache gefordert und Achtung *Spoiler Alert* am Ende sind fast alle tot. Das Bühnenbild isr ein existenziell anmutendes Räderwerk, in dem das Schicksal unter die Räder kommt, das die Düsternis des Stoffes unterstreicht und das Elemente aus dem Clone Club EBM Schuppen mit den Feuerkreuzen des Ku-Klux-Klans auf seltsame Art verbindet. Es strahlt Endzeitstimmung aus – ich fand es phantastisch !

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Noch beeindruckender als das Bühnenbild war aber auf jeden Fall Frau Harteros. Was für eine wuchtige Stimme und sie hat die Leonora richtig gut gespielt. Hin- und hergerissen zwischen Liebe und Verzweiflung, Aufopferung und Wut.
https://www.youtube.com/watch?v=AdCMDswyQgE

Nun mal Butter bei die Fische: ich bin jetzt nicht Libretto-Girl und als Händel und White Shirt Fan ist es zu Herrn Verdi schon ein Stück, aber mein Mut, mich mal ab und an mal der nicht ganz so fernen Vergangenheit zu widmen, hat sich absolut ausgezahlt.

Ich finde es im Übrigen auch immer spannend, wie das Orchester beim Applaus reagiert und welche Sänger freundlichen Beifall bekommen und welche ziemlich gedisst werden. Frau Harteros muss sehr beliebt sein, Yonghoon Lee dagegen irgendwas ausgefressen haben, gar keiner, der applaudiert ? Nun ja, wilde Spekulationen. Wir sind ja nicht bei Gossip Girl, wobei die beiden Violinistinnen, die sich immerzu umgedreht haben und auch was mitbekommen wollten vom Geschehen auf der Bühne und die ab und an den strafenden Blick geernet haben vom Maestro und dann heimlich gekichert haben, die haben mir auch gefallen 😉 Ja, ich hatte mal richtig gute Tickets und habe endlich mal alles sehen können – auf und vor der Bühne.

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Bild: Bayerische Staatsoper

Ich hatte das große Vergnügen, die Oper mit An von Thadieu’s opera rambling outlet zu sehen – die natürlich das Libretto vorher liest und die Aufführung bereits zum glaube vierten Mal gesehen hat – und war einfach nur beeindruckt. Sie weiß absolut alles über die Oper, Frau Harteros und ich habe enorm viel gelernt – it was a great pleasure 🙂 Eine wundervolle ausführliche Rezension von ihr findet ihr hier.

„To copy the truth can be a good thing, but to invent the truth is better, much better“

Takeshis Haut – Lucy Fricke

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Eigentlich war ja der Plan, dieses Jahr nach Japan zu reisen, doch dann hat die Vernunft gesiegt und es wird noch ein weiteres Jahr eisern gespart, damit wir dann nächstes Jahr gleich ein paar Wochen lang im Land herumreisen können. So lange wollte ich jetzt aber doch nicht warten auf „Takeshis Haut“, denn ich war sehr gespannt darauf.

Obwohl ich mich für Japan interessiere, mit Herrn Murakami einer meiner absoluten Lieblingsschriftsteller aus dem Land kommt, weiß ich nicht wirklich viel darüber. Kirschblüten, Kimonos, Herr Murakami, Frau Yoshimoto, leckeres Essen und die Bilder aus Tokio die man so kennt.

Daher große Vorfreude bei mir auf Lucy Frickes Buch, ein Weihnachtsgeschenk über das ich mich sehr gefeut habe, denn die Geschichte klingt ziemlich ungewöhnlich. Eine Geräuschemacherin namens Frida verschlägt es für die Vertonung von Filmaufnahmen nach Japan. Sie reist ohne große Erwartungen hin, sieht es hauptsächlich einfach als Arbeitsauftrag und merkt plötzlich, das Japan ganz anders klingt. Auf ihren Aufnahmen meint Frida ein Geräusch zu hören, das nicht dort hingehört, das sie ängstigt und es irgendwie bedrohlich durch ihren Körper zu rollen scheint. So recht will und kann ihr keiner glauben.

Ihr Auftraggeber in Deutschland vermittelt ihr mit Takeshi einen Begleiter, der ihr mit Rat und Tat zur Seite stehen soll in Japan. Die beiden teilen bald nicht nur jede Menge Dosenbier miteinander, sondern auch das Bett. Er zeigt und erzählt ihr viel über seine Heimat, über sich selbst eher weniger.

„Er war so wenig Mann und sie so sehr Frau“

Die Geschichte spielt im Frühling 2011 und während Fridas Aufenthalt kommt es zur Katastrophe von Fukushima und ihr Leben gerät endgültig aus den Fugen. Wie ein Seismograph spürt der Roman die verschiedenen Erschütterungen auf. Die inneren und die äußeren. Sie bleibt trotz der Katastrophe, obwohl es bebt und schwankt und Frida droht den Boden unter den Füßen zu verlieren, ihre Stabilität, die sie auch so attraktiv für Takeshi macht.

„Wir akzeptieren das Unvermeidliche, in der Hoffnung, dass es nie passiert.“

Zurück in Deutschland erlebt sie die Deutschen, die nahezu in Panik sind, obwohl das Unglück soweit weg ist. Ganz im Gegensatz zu den Japanern, die versuchen schnellstmöglich in ihren gewohnten Alltag zurückzukommen. Freunde weichen aus Angst vor Strahlung vor ihr zurück, am Flughafen wird sie mit Geigerzähler empfangen.

Ob es ihr gelingen wird, in ihr altes Leben mit ihrem langjährigen Freund zurückzukehren, werde ich nicht verraten. Erst einmal kehrt sie zurück in ihr Haus, in dem es ebenfalls bebt durch die Bauarbeiten in der Nähe und durch das ein riesiger Riss geht.

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Fricke selbst trat nur wenige Wochen nach der Fukushima Katastrophe ein Stipendium am Goethe-Institut in Kyoto an. „Takeshis Haut“ ist ein Roman mit einer ganz und gar außergewöhnlichen Atmosphäre. Man muss in der richtigen Stimmung sein, um den Roman geniessen zu können. Die Sprache kann man aber jederzeit genießen. Lucy ist schon teilweise ein depressives Miststück, Takeshi manchmal ein bisserl sehr Film noir tragisch. Macht aber nix.

Ein bewegender Roman – hätte ich vorher nicht schon riesige Lust gehabt, nach Japan zu fahren, jetzt habe ich noch viel mehr. Ob es dort bebt oder nicht.

„Takeshis Haut“ ist im Rowohlt Verlag erschienen.