Endlich wird wieder mal eine klaffende Bildungslücke geschlossen. In England dürfte es schwierig sein, einen Menschen zu finden, der das Gespenst von Canterville nicht schon in der Schule gelesen hat, mir war die Kurzgeschichte bislang aber nicht bewusst untergekommen. Unbewusst wohl schon eher, denn vieles in der Geschichte kam mir aus unzähligen Geisterfilmen bekannt vor. Und „Das Buch als Magazin“ ist für mich nach wie vor die schönste Art, Klassiker wieder oder überhaupt zu entdecken. Auch hier wieder ein wirklich gelungener Mix aus der Kurzgeschichte, tollen Fotos und Geschichten, die dazu passen. Ich bin schon riesig gespannt auf Band 5!
„The Canterville Ghost“ ist auf jeden Fall eine entzückende unterhaltsame Kurzgeschichte, in der eine reiche amerikanische Familie ein altes englisches Landhaus inklusive spukendem Geist kauft und dorthin einzieht. Sehr zum Entsetzen des über 300 Jahre alten Geistes Sir Simon, der bislang noch jeden erfolgreich in Grund und Boden gespukt hat und mit dieser Familie erstmals an seine Grenzen stößt. Sein fürchterliches nächtliches Kettengerassel bringt sie nicht dazu, vor Schreck ohnmächtig zu werden oder wenigstens ängstliche Schreie auszustossen, nein, sie drücken ihm ein hippes amerikanisches Schmiermittel namens „Rising Sun“ in die Geisterhand, mit dem er doch bitte die Ketten ölen möge, damit Ruhe herrscht in der Nacht. Und der täglich wiederkehrende Blutfleck in der Bibliothek, der schon so manchen in den Wahnsinn getrieben hat, führt nur dazu, dass ihm der älteste Sohn der Familie täglich mit Pinkerton’s Champion Stain Remover und Paragon Detergent zu Leibe rückt. Da hat auch der gruseligste Geist irgendwann wirklich keine Lust mehr.
Zum Glück hat die kleine Virginia ein Herz für den deprimierten Sir Simon und hilft ihm aus seiner unglücklichen Situation heraus. Der Schluß der Kurzgeschichte ist schon arg süßlich, aber wir verbuchen das einfach mal unter Ironie.
„Der Tod muss so schön sein! So schön, in weicher brauner Erde zu liegen, und das Gras schwankt über einem hin und her und man horcht auf die Stille. Und es gibt kein Gestern und es gibt kein Morgen. Man vergisst die Zeit, vergisst das Leben und hat Frieden.“
Das Buch als Magazin weiß auch eine Menge schlaue Sachen zu sagen über die Geschichte. Zum Beispiel, dass der Originaltitel „The Canterville Ghost – A Hylo-Idealistic Romance“ sich aus den Begriffen „Hyle“ einem philosophischen Begriff der für „Stoff“ oder „Materie“, und „Idealismus“ der philosophischen Position, die dem Geist den Vorrang vor der Marterie gibt zusammensetzt. Dieser Gegensatz ist Programm der gesamten Geschichte, in der Wilde mit Materialismus, Rationalität, Romantik und Geisterglauben spielt. Wilde hielt im Jahr 1882 eine Vortragsreihe in den USA. Den Eindruck, den er während seiner Reise von den Amerikanern bekam, kann man in dieser Geschichte gut nachvollziehen. Wilde spottete über den Kommerz, den Pragmatismus und das fehlende Traditionsbewußtsein vieler Amerikaner, bewunderte aber auch ihre Unbefangenheit.
Die Geschichte ist einfach eine liebevolle polemische Satire auf die kulturellen Unterschiede der flachen, aufgeblasenen Amis auf der einen und die steifen, traditionsverliebten Engländer auf der anderen Seite. Eine Geistergeschichte mit einem Hauch Gothic und jeder Menge Humor. Ich habe riesige Lust, diese Geschichte irgendwann meiner kleinen Nichte vorzulesen und dann gruseln wir uns zusammen ein bisschen und gehen um Mitternacht auf Gespensterjagd.
The Ghost of Canterville ist ein Geist, der begeistert – ich glaube ich hätte in der Schule riesigen Spaß an der Lektüre gehabt.
„Du kannst dein Geheimnis behalten, solange mir nur dein Herz gehört“
Den Film werde ich mir an einem verregneten Sonntag mal anschauen, schon allein wegen des wundervollen Patrick Stewart, mein Captain Picard 😉
Wir durften/mussten das Stück in einer Schulauführung vorführen. Der Verbrauch an Bettlaken war enorm. Das ganze eigentlich ein Fiasko – aber ein extrem lustiges. Seinerzeit…
lg-e.
Ich liebe Oscar Wild ´s Bücher – dieses Buch steht jetzt bereit für meine Kinder. Wir haben schon ausgemacht, dass wir es in den Ferien zusammen lesen. 🙂 Das Bild ist klasse – ich hätte dich fast nicht erkannt – bisschen bleich um die Nase – lol