Unsere erste Reise in diesem Jahr führte uns in die Gulasch-Paprika-Langos-Metropole Budapest, um alle Klischees gleich abgearbeitet zu haben. Die Wettergöttin meinte es die ersten beiden Tage nicht so wirklich gut mit uns, aber wir hatten eine wunderschöne Wohnung gemietet, es gab jede Menge Kaffeehäuser und Restaurants zu testen, ein klassisches Konzert und eine Fotoausstellung zu besuchen und nachts machten wir die Ruinenbars unsicher, daher kein Problem.
Ungarisch ist tatsächlich eine der unzugänglichsten Sprachen überhaupt. Auch nach ein paar Tagen war da gar keine Idee was die unglaublich langen Worte auch nur ansatzweise bedeuten könnten. Habe ich in dieser Form bisher noch nicht erlebt. Zum Glück kamen wir mit Englisch wirklich gut durch, so dass Egészégedre das einzige Wort blieb, dass wir von unserem Trip nach Hause brachten.
Der Wahlkampf ging auch nicht an uns vorbei. Unzählige Wahlplakate hingen in der Stadt und die Botschaft konnte man auch ohne Ungarisch-Kenntnisse leider nur zu gut verstehen: Immer wieder Plakate auf denen Massen an männlichen finster dreinblickenden Flüchtlingen abgebildet waren…
Wir sind wahrscheinlich eher mit den urbanen englischsprachigen weltgewandten jungen Ungarn in Kontakt gekommen, die Orbán sehr kritisch gegenüber stehen, aber leider haben dessen Manipulationen ja wieder genügend Menschen dazu gebracht, das Kreuzchen an der für ihn richtigen Stelle zu machen.
Obwohl die Regierung Ungarns extrem homophob ist, haben wir ein paar LGBT Menschen entdecken können, die aber alle (wie wir auch) extrem vorsichtig in der Öffentlichkeit agierten.
Wer sich über die ungarische Küche und unsere kulinarischen Abenteuer informieren möchte, der sollte hier bei den Münchner Küchenexperimenten vorbeischauen.
Vor dem Trip habe ich natürlich die heimische Bibliothek nach passender Reiselektüre durchsucht und dachte schon, ich muss wieder Fernlese kontaktieren, die in schwierigen Fällen Lektüre für jeden Ort der Welt aufspüren können, als ich dann aber doch noch fündig wurde.
Arthur Koestler, der Budapester Jung! Drei Bände gleich von ihm standen allesamt ungelesen im Regal, schauten vorwurfsvoll und reiselustig in die Gegend und damit war das Thema Reiselektüre auch geklärt, wenn auch nur zwei von drei in den Koffer wanderten.
Koestler schrieb „Sonnenfinsternis“ ursprünglich auf deutsch, aber das deutsche Manuskript ging verloren, so dass nur die englische Übersetzung des Buches überlebte.
„Sonnenfinsternis“ ist ein wichtiges, tiefgründiges und erschütterndes Buch. Es erinnert an Orwells „1984“ nicht nur, weil es in beiden Romanen um totalitäre Regime geht, aber auch weil beide Werke tief in die menschliche Seele blicken und die Natur des Menschen ergründen. Koestler beschäftigt sich in dem Roman mit dem Thema Überzeugungen: wie der unerschütterliche Glaube an Ideologien moralisches Empfinden in Schieflage bringt und wie Menschen immer wieder versuchen, ihre Taten vor sich selbst zu rechtfertigen und mit ihrer Ideologie in Einklang zu bringen. Er zeigt, wie unzuverlässig unser viel beschworener gesunder Menschenverstand und unsere Logik ist, denn gerade die Logik kann immer wieder dazu missbraucht werden, schrecklichste Taten rational zu erklären, wenn schon die anfänglichen Annahmen ausreichend verdorben sind. Koestler gibt Einblick darin wie idealistische Intentionen sich in totalitäre Realitäten verwandeln können.
„Die Bewegung kannte keine Rücksichten, unbeirrbar wälzte sie sich ihrem Ziele zu und lagerte die Leichen der Ertrunkenen an den Krümmungen, so verlangte es ihr Gesetz…
Die Gründe des einzelnen interessierten sie nicht. Die Moral des einzelnen interessierte sie nicht, was in seinem Kopf und Herzen vorging, war ihr gleichgültig. Sie kannte nur ein Verbrechen: vom Kurs abzuweichen, und nur eine Strafe: den Tod. Der Tod in der Bewegung war kein Mysterium, er hatte keine erhabenen Aspekte; er war die logische Folge politischer Divergenzen.“
Die Sprache im Buch ist einfach und deklaratorisch, die Themen des Buches arbeitet Koestler aber aufs Feinste und Sicherste heraus. Das Buch ist wahnsinnig düster und ohne jede Hoffnung, trotz des gelegentlichen Humors im Text. Der Leser gerät nach und nach immer tiefer in Rubashovs Gedankenwelt, wo er versucht das verwobene Netz an Überzeugungen, Taten und Rechtfertigungen zu entwirren.
Die Alten erleiden das Schicksal, das ihre durchs Alter langsam gereifte Weisheit sie ihre schrecklichen Jugendsünden erkennen lassen, ihren naiven Idealismus dem sie alles geopfert haben. Sie können diese Erkenntnisse aber nicht wirklich weitergeben, sie werden jetzt selbst gerichtet von den jugendlichen Parteisoldaten, die ihnen folgen.
Koestler selbst war definitiv ein Mann mit einer mehr als kontroversen Vergangenheit. Er wurde 1905 in Budapest als Sohn eines wohlhabenden Fabrikanten geboren. Er war als Journalist tätig und lebte in Palästina in einem Kibbuz, in Paris, Berlin und später in London. Er trat 1931 in die kommunistische Partei ein und berichtete aus dem spanischen Bürgerkrieg, wo ihn die Faschisten ins Gefängnis warfen, wo er in wochenlanger Einzelhaft damit rechnete erschossen zu werden.
Nach einer journalistischen Reise durch die Sowjetunion, entsetzt über die dortigen Verhältnisse, tritt er aus der Kommunistischen Partei aus. Während des 2. Weltkriegs schloss er sich der Fremdenlegion an, wo er nach einiger Zeit desertierte. Seine Partnerin Daphne Hardy flüchtete mit seinem Manuskript von „Sonnenfinsternis“ vor den Nazis, doch das Schiff auf dem sie reiste, wurde bombardiert und sie ertrank, Koestler beging daraufhin einen Selbstmordversuch, wobei mir nicht ganz klar ist, ob er mehr um seine Partnerin oder das vermeintlich verlorene Manuskript trauerte.
Koestler lebte seit den 1940er Jahren in London, arbeite als Autor und Journalist. Er wurde wiederholt mit Vergewaltigungsvorwürfen belastet, die er versuchte dadurch weg zu erklären, dass er ein stürmischer Liebhaber sei. Seine letzte Lebensgefährtin soll er in den gemeinsamen Selbstmord tyrannisiert haben, den er aufgrund seiner fortgeschrittenen Leukämie-Erkrankung nicht alleine begehen wollte. Aber egal, wie sehr er als Mensch teilweise versagt hat, er hat mit „Sonnenfinsternis“ ein überaus wichtiges Buch geschrieben, das sich ganz klar gegen jede Form von Totalitarismus ausspricht.
Koestler untersucht in „Das Gespenst in der Maschine“ die Idee, dass die Teile des menschlichen Hirns, die für Vernunft und Emotion zuständig sind, nicht komplett koordiniert sind. Aus diesem Fehler lässt sich der Wahnsinn, die Gewalt und die Paranoia erklären, mit der große Teile der menschlichen Geschichte zu kämpfen hatte.
Das Buch war teilweise richtig brilliant, wenn er sein Konzept der „Holons“ erklärt, die allgegenwärtigen Teile im Gesamten natürlicher Systeme. Es ist überaus unterhaltsam, wie er den Behaviorismus auseinander nimmt, in dem Buch stecken wirklich eine ganze Reihe großartiger Ideen. Gleichzeitig aber auch eine ganze Menge Blödsinn, insbesondere mit Blick auf seine Interpretation der Evolutionstheorie. Bei einigen Kapiteln merkte man, dass das Buch während der Hochzeit der Drogenjahre Ende der 1960er entstand, ich kann noch immer nicht wirklich fassen, dass er ernsthaft vorschlägt, der einzige Weg, die Menschheit vor sich selbst zu retten, ist sie komplett weltweit unter Droge zu setzen. Ab ins Trinkwasser damit, hat man schließlich auch mit Jod gemacht und wie wunderbar ist es, dass jetzt auch in den abgelegensten Bergdörfern keiner mehr mit Kropf rumrennt. Also neben Jod einfach noch LSD ins Wasser – hätten wir das doch nur beherzigt, vielleicht hätten wir dann jetzt in der Tat keinen Vollidioten als amerikanischen Präsidenten – wer weiß 😉
Dennoch lohnt es sich, das Buch wegen des großartig interessanten Holon Konzepts zu lesen und für eine paar ausgesprochen schön geschriebene wissenschaftliche Einsichten. Die durchgeknallten Absätze einfach mit genug Humor umschiffen