Francoise Gilot Die Frau, die nein sagt – Malte Herwig

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Francoise Gilot war eine junge 21-jährige Malerin in Paris, als sie dem 62-jährigen Picasso zum ersten Mal begegnete. Sie sollte 10 Jahre lang seine Geliebte, sein Model und seine Muse bleiben, sowie die Mutter zweier seiner Kinder werden, Claude und Paloma. Außerdem war auch die einzige Frau, die Picasso jemals verlassen hat. Üblicherweise war das sein Job und er hat auch bis zuletzt nicht wirklich geglaubt, sie würde es durchziehen. „Keine Frau verlässt einen Mann wie mich“, hatte Picasso selbstsicher behauptet. „Einen Mann, so reich und berühmt“. Francoise bewies das Gegenteil und erwiderte, „dann sei sie eben die erste Frau, die es fertigbrächte“.

„Picasso tobte. Beladen mit Koffern, zwei Kindern und einer jungen Frau fuhr das Taxi vor der Villa La Galloise in Vallauris an. Bald war der Wagen nur noch eine Staubwolke auf der südfranzösischen Landstraße in Richtung Paris, und Picasso stampfte wütend zurück in das leere Haus. Sie hatte es tatsächlich getan, hatte Wort gehalten und war mit den beiden Kindern – seinen Kindern! – fortgefahren für immer. Es war ein Unding, nicht vorgesehen und nicht vorhersehbar im Lebensplan des alten Meisters.“

Kein geringerer als Robert Capa setzte dem außergewöhnlichen Paar mit diesem weltberühmten Foto ein Denkmal:

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Gilot ist ein unabhängiger Geist, die selbst ihren Liebhabern und engsten Vertrauten gegenüber stets undurchschaubar blieb.

„Selbst Picasso kannte mich trotz unserer zehn gemeinsamen Jahre nie, denn ich habe mich verschlossen. Ich enthülle mich nie, warum sollte ich das? Ich drücke mich in meinen Bildern aus“

Ihr Lebensmotto, das irgendwie zu ihren „accont circonflexe Augenbrauen“ passt, lautet: „Wenn du etwas riskierst, erlebst Du auch schlimme Dinge, aber du lebst und verstehst immer mehr. Vor allem wirst du nicht langweilig. Das ist das Allerschlimmste: langweilig werden“

Gilot ist 90 Jahre alt, als sich der SZ-Reporter Malte Herwig bei ihr meldet und sie um ein Interview bittet.

Aus einem geplanten Interview werden über Jahre andauernde fast freundschaftliche Gespräche. Sie philosophieren gemeinsam über den Zauber des Schreibens mit Tinte, über das Kunstgeschäft, die Rolle der Frauen in der Kunst und natürlich immer wieder um das Malen.

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Sie erzählt ihm von ihrem Leben an Picassos Seite und zeigt einen cholerischen, herrschsüchtigen Picasso, der liebevoll aber auch äußerst grausamsein konnte. Lange hat die zarte Gilot seine Ausbrüche ertragen. Picasso verstand sich darauf, seine Frauen auch finanziell von ihm abhängig zu machen. Dies sollte ihm bei Gilot nicht gelingen, der Ausdruck „Die Frau, die nein sagt“ ist ein fast resigniert klingendes Zitat Picassos über Francoise.

Malte Herwig ist sicherlich nicht immer objektiv in seinem Buch, denn er ist ganz verzaubert von der weisen, junggebliebenen Gilot. Ich kann es ihm nicht verdenken, mir wäre es genauso gegangen. Sie wächst einem ans Herz, diese zarte starke Frau.

Ich habe unglaublich viel aus dem Buch herausgeschrieben. Francoise Gilot hat sehr viel zu sagen und ich habe dieses Buch mit ganz unglaublichem Genuß gelesen – es ist wirklich grandios.

In den Museen sind nur verhältnismässig wenige Bilder von Gilot zu finden. Viele befinden sich in Privatbesitz. Sie ersteigert hin und wieder eines ihrer Bilder zurück.

In den 6oer Jahren schrieb sie eine Art Enthüllungsbuch über Picasso – „Leben mit Picasso“ – das den Meister gründlich erboste und sie eine zeitlang im Kunstbetrieb ziemlich aufs Abstellgleis beförderte.

Geblieben war Francoise Gilet aus ihrer Zeit mit Picasso eine Zeichnung und das berühmte Femme-Fleur Porträt, das er von ihr angefertigt hatte (allerdings erst als Matisse Gilot bat, ihm Modell zu sitzen). Der Verkauf des Bildes hat ihr die Atelierswohnung in New York in der Nähe des Central Parks beschert, ein weiterer Garant ihrer Unabhängigkeit.

Interessant fand ich auch, wie sehr auch heute noch Künstlerinnen im Schatten ihrer männlichen Kollegen stehen. Das teuerste Nachkriegsgemälde des Künstlers Marc Rothko erzielte 86,9 Millionen Dollar, das teuerste Kunstwerk einer Frau – Louise Bourgeois – dagegen nur 10,7 Millionen. Krass. Das Verhältnis in Ausstellungen, Museen und Galerien möchte ich gar nicht genau wissen.

Der für mich wichtigste Satz in dem Buch war einer, der meiner Lebensphilosophie entspricht und den ich selbst leider nie so auf den Punkt hätte bringen können:

„Du darfst nie etwas ausradieren! Du zeichnest eine Linie und Du mußt dafür sorgen, dass sie etwas bedeutet. Wenn sie da ist, ist sie da, und du mußt etwas daraus machen.

Aber wenn ich einen Fehler mache?

Dann mußt du damit arbeiten, bis der Fehler einen Sinn bekommt.

Am Ende ist ein Fehler kein Fehler mehr, weil du ihm einen Platz und eine Bedeutung im großen Ganzen gegeben hast.“

Ich bin so froh, auf der Buchmesse nicht nur den Ankerherz-Verlag, sondern auch dieses Buch entdeckt zu haben. Es ist nicht nur inhaltlich schön, es ist auch gestalterisch wundervoll. Der helltürkisgrüne Leinenumschlag mit Goldprägung – so so schön.

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Und wenn ein Verlagsgründer dann auch noch so wunderschöne inks hat, dann hat der Bingereader wohl einen neuen Lieblingsverlag gefunden 😉

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Hier ist ein interessantes kurzes Video über einen Besuch in Francoise Gilots Studio:

Das Buch erschien im Ankerherz Verlag.

The Blazing World – Siri Hustvedt

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In Siri Hustvedts sechstem Roman „The Blazing World“ erzählt sie die provokante Geschichte der Künstlerin Harriet Burden, die seit Jahren von der Kunstwelt ignoriert oder von der Kritik verrissen wird. Irgendwann hat sie die genug davon und sie präsentiert ihre Kunst hinter drei männlichen Masken verborgen und peng! die Kunstwelt ist begeistert. Die drei Ausstellungen, in denen ihre Kunst als die von jeweils drei unterschiedlichen Künstlern als die ihrige ausgegeben wird, sind ein riesen Erfolg, als Burden aber nach der letzten Ausstellung triumphierend als eigentliche Künstlerin hervortreten will, glauben ihr die Kritiken nicht.

Der erste Künstler, ein junger unbekannter Mann und der zweite, ein schwuler, farbiger Mann – das lies die Kritikerwelt noch irgendwie gelten. Aber das der bekannte Künstler Rune nicht selbst diese brillianten Ausstellungsstücke geschaffen haben soll, das nehmen sie ihr nicht ab. Sie sprechen ihr die Rolle als seine Muse zu, glauben schon, dass die beiden eng miteinander involviert waren, aber SIE, die tatsächliche Künstlerin, niemals! Burden hat 24 Tagebücher geführt für fast jeden Buchstaben im Alphabet ein eigenes. In diesen enthüllt sie ihr kompliziertes und auch gefährliches Maskenspiel, das mit dem Selbstmord (?) Runes endet.

Der Roman wird sehr raffiniert in Form der Tagebuch-Eintragungen Burdens, sowie Interviews und Gesprächsnotizen mit Familie, Freunden, den Mitbewohnern von Burdens exzentrischer Loft-WG und Kritikern erzählt.

Dieses Buch platzt fast aus allen Nähten an Informationen, Wissen und Geschichten, eine Ansammlung von Schriften die das Leben Harriets beleuchten, ihre Biografie die stellenweise auch gut eine Autobiografie Hustvedts sein könnte. Philosophische Gedanken sind genauso vertreten wie die Neurowissenschaften, Psychologie, Kunstbewegungen und immer wieder in diesem Fall wirklich hilfreiche Fußnoten, die es einfacher machen das Wissen zu sortieren. Die Geschichte wird aus vielen Perspektiven erzählt, es ist aber nie schwer diesen zu folgen.

Harriet ist das was man wirklich „larger than life“ nennt. Sie ist nicht nur köperlich riesig, sie hat auch ein großes Herz, ein noch viel größeres Gehirn und wirbelt durch das Leben und die Kunst. Sie brennt vor lauter Ideen und ein Kritiker wirft ihr einmal vor, zu ernsthaft zu sein, ja, das kann man ihr vielleicht vorwerfen, aber so what. So groß und stark sie auch wirkt, sie ist tief verletzt, wütend über die jahrzehntelange Ignoranz, die ihr und anderen Frauen in der Kunst entgegengebracht wird. Sie wütet, sie rebelliert – ein Mauerblümchen ist sie tatsächlich nicht.

Verheiratet mit einem sagenhaft reichen Kunsthändler, der nicht einmal im Traum daran dachte, sich für ihre Kunst einzusetzen und der sie wiederholt mit Männern betrog, kümmert sie sich um die beiden Kinder und arbeitet dennoch stets weiter. Mit dem Tod ihres Mannes verändert sich alles. Es gibt so sagenhaft viel über dieses Buch zu sagen. Der Titel „The Blazing World“ basiert auf einer der ältesten Science Fiction Geschichten gleichen Titels, der von einer ebenfalls zu ihrer Zeit schwer unterschätzten Adeligen, Philosophin und Naturwissenschaftlerin Magaret Cavendish im 17. Jahrhundert geschrieben wurde.

The Blazing World ist nicht immer einfach zu lesen, man muß schon bei der Stange bleiben. Aber man lernt nicht nur unglaublich viel, insbesondere wenn man den Fußnoten folgt, nachliest und es macht Spaß. Ich mag ja „angry books“ – kräftige befreiende Literatur. Ein notwendiges Buch. Es hat mich an Bücher Margaret Atwood oder Toni Morrison erinnert.

„I was the ruler of my own little Brooklyn Fiefdom, a rich widow woman, long past babies and toddlers and teenagers, and my brain was fat with ideas“.

„This amnesia is our phenomenology of the everyday – we don’t see ourselves – and what we see becomes us while we’re looking at it.“

„I suspect that if I had come in another package my work might have been embraced or, at least, approached with greater seriousness. I didn’t believe there had been a plot against me. Much of prejudice is unconcious.“

„If there is one thing that doesn’t fly in the art world, it’s an excess of sincerity. They like their geniuses coy, cool, or drunk and fighting in the Cedar Bar, depending on the era.“

„But it is not what is said, that makes us who we are. More often it is what remains unspoken.“

„A young person always extrapolates human reality from her own life.“

„The truth is Harriet was striking. She had a beautiful, strong, voluptuous body. Men stared at her on the street, but she wasn’t a flirt, and she wasn’t socially graceful or prone to small talk. Harriet was shy and solitary. In company, she was usually quiet, but when she spoke, she was so forceful and intelligent, she frightened people, especially boys her own age. They simply didn’t know what to make of her. Harry sometimes wished she were a boy, and I can say that had she been one, her route would have been easier. Awkward brilliance in a boy is more easily categorized, and it conveys no sexual threat.“

„Did I want to live as a man? No. What interested me were perceptions and their mutability, the fact that we mostly see what we expect to see.“

„She believed in her steam and fury, and she pushed her art out of her like wet, bloody newborns,“

„It was true they didn’t want Harry the artist. I began to see that up close. She was old news, if she had ever been news at all. She was Felix Lord’s widow. It all worked against her, but then Harry scared them off. She knew too much, had read too much, and she corrected people’s errors.“

Das Buch ist auf deutsch unter dem Titel „Die gleissende Welt“ im Rowohlt Verlag erschienen.