Hirngymnastik Architektur

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Den Beginn meiner Architektur-Leidenschaft kann ich ganz genau benennen. Ich war beruflich in Chicago und wollte mir unbedingt auch die Stadt ansehen. Eine Stadtführung zu Fuß wollte ich machen und terminlich war die „Architektur-Stadtführung“ die passendste und es dauerte gar nicht lange, da war ich einfach hin und weg. Die Gebäude in Chicago fand ich natürlich auch vor der Stadtführung schon spannend, aber durch die Erklärungen, die Leidenschaft der Stadtführerin, wurde ich einfach unheilbar angefixt.

Die Tour war kaum zu Ende und ich stürmte den nächsten Barnes & Noble, um mich nach entsprechenden Büchern umzuschauen und insbesondere entwickelte ich eine Leidenschaft für den Architekten Mies van der Rohe. Von ihm war es dann nicht weit zu den anderen Architekten der Moderne wie Walter Gropius, Le Corbusier, Frank Lloyd Wright oder Louis Kahn.

Die zwei Bände „Architektur des 20. Jahrunderts“ aus dem Taschen Verlag kann ich jedem ans Herz legen, der einen soliden Einstieg in das Thema sucht. Die chronologisch geordneten Kapitel rücken alles ins rechte Licht, illustriert durch Hunderte von großformatigen Fotos sowie eine Fülle von Zeichnungen und Grundrissen. Der biographische Anhang umfasst alle großen Architekten des Jahrhunderts, einschließlich des Nachwuchses.

Man erhält einen historischen Überblick über Entwicklung und Stile mit allen wichtigen Namen und vielen Fotos. Die Bücher sehen nicht nur gut aus, sondern sind auch sehr gut geschrieben und mit gutem Grund mittlerweile ein Standardwerk für Architekturliebhaber.

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Inspiriert wurde ich zu dieser Hirngymnastik im Übrigen von dem Roman „The Glass Room“ von Simon Mawer, den wir im Bookclub gelesen haben. Ich hatte das Buch gar nicht mehr auf dem Radar als mir klar wurde, das es unsere Lektüre im März sein würde und dachte beim Blick aufs Cover im ersten Moment „oh no“. Irgendwie fürchtete ich eine oberflächliche Liebesschmonzette und wurde unglaublich positiv überrascht.

Es ist schon eine Weile her, dass ein Buch mir noch so lange nachgeht. Die Geschichte basiert auf einem realen Haus, der Villa Tugendhat, die sich im tschechischen Brünn befindet und vom deutschen Architekten Ludwig Mies van der Rohe für die Familie Tugendhat entworfen wurde, die jüdisch war und als solche nach der deutschen Besetzung 1938 in die Schweiz auswandern musste.

„On Honeymoon in Venice in 1928 Vikor and Lisel Landauer face a new world when they meet brilliant architect Rainer Von Abt. Soon, on a hillside near a provincial Czech town, the Landauer house with its celebrated Glass Room will become a modernist masterpiece of travertine floors and onyx walls, filled with light and optimism. But as Victor is Jewish, when Nazi troops arrive the family must flee. The house slips from hand to hand, Nazi to Soviet and finally to Czechoslovak state.“

Das Haus, das 1929 vom Automobilhersteller Victor Landauer und seiner Frau Liesel in Auftrag gegeben wurde, hat als Mittelpunkt den Glasraum. Es ist ein Haus, das vom modernistischen Architekten Rainer von Abt erbaut wurde. Er folgt damit Victors Forderung, dass das Haus etwas Neues widerspiegelt und nicht die Tradition des alten, ornamentalen Stils fortsetzt, der unter den europäischen Reichen der damaligen Zeit vorherrschte. Es steht über einer Stadt auf einem Hügel in der Tschechoslowakei, mit spektakulärer Aussicht, und es bot „die bemerkenswerteste Erfahrung modernen Lebens“, ein Thema, das sich durch den ganzen Roman und durch die Zeit zieht.

Die Geschichte (ohne hier auf Einzelheiten der Handlung einzugehen) folgt dem Leben der Landauers, während der Zeit, die sie im Haus verbrachten und nachdem sie die Tschechoslowakei wegen der Nazi-Besatzung und der Aktionen Hitlers gegen die Juden verlassen mussten. Während sich die Zeiten ändern, bleiben das Haus und der Glasraum erhalten und dienen als Vehikel, durch die sich die Geschichte durch mehrere Regime hindurch abspielt – die Nazis, die Sowjets und dann durch den Fall der Berliner Mauer.

Liesels Freundin Hana ist bei weitem die faszinierendste Figur und vielleicht sollte ich den Autor bestechen, sie zur Hauptfigur in einem seiner nächsten Romane zu machen.

Das Haus ist praktisch ein eigenständiger Charakter und zugleich der zentrale Ort, um den sich die Geschichten drehen. Es ist ein Meisterwerk minimalistischer Architektur und steht für Freiheit, Transparenz und Licht, insbesondere der große offene Glasraum, der an zwei Seiten von weißem Flachglas ummauert ist, mit Ausnahme einer Wand aus hellem Onyx, die im späten Nachmittagslicht leuchtet.

„Life is like that, he said, his gaze caught by the glow of the light reflecting against the Onyx wall as evening fell. Modern is the future. And then they had sex on the linoleum.“

Wäre dieses Buch ein Musikstück, könnte es eine Klaviersonate in mehreren Sätzen sein, denn die Musik klingt durch das ganze Haus und dieses Buch. Besondere Erwähnung verdient die junge Komponistin, Vitezslava Kaprálová, die einen Gastauftritt im Buch hat, genau wie zum Beispiel Hedy Lamarr.

Mir hat der Roman sehr gefallen, obwohl die Geschichte der Landauers schon sehr viel Zufall enthält. Mawers Charakterisierungen sind wunderbar, und das Haus selbst ist die wahrscheinlich wichtigste Figur im Roman. Der Autor hat immenses Gefühl für Ort und Zeit, was die Geschichte real, glaubwürdig und lesenswert macht.

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Durch die Lektüre von Mawers „The Glass Room“ angefixt, hatte ich Lust auf mehr Architektur in der Literatur und konnte mich erinnern, das irgendwo in den Bücherregalen noch ein T.C. Boyle schlummerte, in dem es um den amerikanischen Architekten Frank Lloyd Wright geht. „The Women“ erzählt das Leben des Architekten durch die Frauen, mit denen er verheiratet war.

Frauen sind in der Architektur überhaupt sträflich unterrepräsentiert. Mein beiden Bände Architekturgeschichte haben wenig zu bieten gehabt, was berühmte Architektinnen angeht, definitiv auch ein Bereich den man mal mit Scheinwerferlicht etwas beleuchten sollte.

Aber jetzt zu T.C. Boyles „The Women“: Der Roman erzählt das Leben der vier wichtigsten Frauen im Leben von Frank Lloyd Wright. Boyle erzählt einen Großteil der Geschichte aus der Perspektive eines jungen japanischen Architekten, der als Praktikant bei Wright gearbeitet hat, und strukturiert die Geschichte chronologisch rückwärts, von Frank im Alter, mit einer slawischen Schönheit an seiner Seite, über seine früheren Ehefrauen bis hin zur gewalttätigen Tragödie seiner ersten Liebe.

Man erfährt viel über die Frauen und über den Architekten selbst, der viel Gerede, Tatendrang, Getöse, Genie – und ein bisschen ein Betrüger – in sich vereint.

So gern ich den „Glass Room“ gelesen habe, so schwer habe ich mich mit „The Women“ getan und ich hatte mich so auf dieses Buch gefreut. Ich kam überhaupt nicht rein und habe mich ziemlich durchgequält. Keine Ahnung warum Boyle sich dazu entschlossen hat, Lloyds Leben rückwärts zu erzählen, ich fand es nervig und unnötig anstrengend.

Boyle selbst lebt in einem von Frank Lloyd Wright erbauten Haus, das macht die Motivation hinter dem Roman auf jeden Fall klar. Ich fand den Roman zäh und leider passiert mir das bei Boyle nicht zum ersten Mal. Wir zwei sind definitiv noch immer in der Annäherungsphase, so richtig funkt es zwischen uns einfach nicht.

Auf Instagram kann man momentan fast alle Häuser Wrights visuell besuchen und auch die Villa Tugendhat in Brünn kann visuell besucht werden.

Ich hoffe ich konnte euch mit dieser Hirngymnastik ein bißchen Lust auf Architektur im Allgemeinen und insbesondere auf die der Moderne machen. Sollte einer von euch in der Lotterie gewinnen, würde ich mich sehr über ein Haus von Mies van der Rohe freuen, ihr denkt dann bestimmt an mich, oder?

Wie ist das bei Euch? Interessiert ihr Euch für Architektur? Habt ihr Lieblings-Architekten oder Architekturstile?

Israel by the Book – Part I

Tel Aviv haben wir relativ spontan gebucht. Nach Israel wollten wir schon immer einmal, das Wetter sprach für eine Veränderung und als wir einen recht günstigen Flug gefunden hatten, machten wir Nägel mit Köpfen. Ab nach Tel Aviv – in das Hotel, in dem Freunde von uns vor einer Weile schon einmal waren und es für gut befunden hatten.

Natürlich kann eine solche Reise nicht ohne die passende Lektüre unternommen werden. Ran ans gut gefüllte Bücherregal um mit Erschrecken festzustellen, dass da eine Israel-Lücke bestand. Mit Jonathan Safran Foers neuem Roman hätte ich die zwar irgendwie auch a bisserl füllen können, aber ich habe mir dann doch professionelle Hilfe bei Fernlese geholt. Reiseziel plus literarische Vorlieben und Abneigungen geklärt, mich fürs Zweier-Buchpaket entschieden und dann bequem auf die Vorschläge gewartet, die auch blitzschnell eintrafen.

Meine Wahl fiel auf Lizzie Dorons „Ruhige Zeiten“, ein Roman mit knapp 180 Seiten, der gleichzeitig warmherzig, humorvoll und voll dunkler Melancholie ist. Leale ist Witwe und arbeitet als Kosmetikerin in einem kleinen Friseursalon in Tel Aviv. Sajtschik, der Frisör hat die junge Witwe aus Mitleid eingestellt, sie freunden sich an und irgendwann ist klar, dass sie ihn liebt. Die meisten in ihrem Viertel lebenden Menschen sind Überlebende der Shoah und der Friseursalon hat für viele fast therapeutische Zwecke.

„Der Krieg hat uns die Familie und die Verwandten genommen, und die Zeit, die vergeht, nimmt uns die Nachbarn und die Freunde.“

„Wenn das Herz weh tut, sieht man nur das, was nicht da ist.“

Das Buch hat mich sehr berührt und beim Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem habe ich immer wieder an die Figuren im Roman denken müssen. Ein Buch, das auf keiner Reise nach Tel Aviv fehlen sollte, das aber auch außerhalb von Israel ganz sicher ein wertvoller Lesegewinn ist. Unbedingte Empfehlung von mir für diesen Roman.

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Israel ist ein recht kleines Land, in etwa so groß wie das Bundesland Hessen. Es grenzt an Syrien, Jordanien, Libanon, Ägypten und die West Bank und ist somit militärisch stets und ständig sehr gefordert.

Zum Konflikt selber mag ich nicht viel schreiben, dazu weiß ich einfach noch immer nicht genug, die Hardcore-Siedler finde ich schwierig, die heftige Trump-Verehrung der Zeitungen vor Ort war aber massiv anstrengend. Aber wie gesagt, ich weiß zu wenig, um mich auf ernsthafte Diskussionen einzulassen, werde mich aber definitiv künftig intensiver damit beschäftigen.

Die Anreise ist auf definitiv nicht ohne. Man fliegt von einem speziellen Terminal am Flughafen ab und es gibt außer den üblichen Sicherheitsvorkehrungen kurze persönliche Interviews, in denen es weniger darum geht, etwaige Bomben als etwaige Terroristen zu finden. Bei der Ausreise war das persönliche Interview fast noch intensiver.

Nach Jerusalem heißt es fährt man zum Beten, nach Haifa zum Arbeiten und nach Tel Aviv zum Sündigen. Zu Haifa kann ich nix sagen, da sind wir nicht gewesen, aber Tel Aviv ist auf jeden Fall die deutlich entspanntere Stadt mit einem etwa 14 km perfekten Sandstrand.

Die Menschen sind dort sind freundlich, relaxed und hat die Stadt hat den Ruf, die gay-freundlichste des Mittleren Ostens zu sein. Habe ich auf jeden Fall auch so empfunden.

Meine nächste Empfehlung von Fernlese war Etgar Kerets „Gaza Blues“ – Kurzgeschichten, die fast comicartig daherkommen in ihrer Kürze und seinem teils absurden Tonfall. Keret genießt ziemlichen Kultstatus in Israel. Seine Kurzgeschichten sind heftig, lakonisch, teils böse, lustig aber auf jeden Fall voller Energie dabei oft tragisch und sehr bewegend.

Ich habe sie sehr gerne gelesen, meine einzige Kritik vielleicht ist, sie blieben mir nicht wirklich im Gedächtnis. Sollte dennoch in keinem Reisegepäck nach Israel fehlen.

Tagsüber waren es angenehme 20/21 Grad, aber sobald die Sonne unterging, wurde es ruckzuck verdammt kalt und da kam dann die dicke Münchner Winterjacke zum Einsatz. Der Strand ist wirklich einmalig schön. Hat jede Menge bequeme Bänke auf Steintreppen eingelassen am Wasser, auf denen man stundenlang liegen und lesen kann. Kein Wunder, das ich mit den ersten beiden Büchern also ruckzuck durch war.

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Bevor ich Euch im zweiten Teil von Jerusalem und unserem Ausflug in die Wüste und ans Tote Meer berichte, noch ein bisschen mehr Tel Aviv. Die Stadt wurde 1909 gegründet, als die alte Hafenstadt Jaffa aus allen Nähten platzte. Eine überaus junge Stadt also. In den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts kamen jede Menge deutschstämmige jüdische Architekten ins Land und bauten bis in die 50er Jahre etwa 5000 Gebäude im Modernist-Stil von Bauhaus und Le Corbusier. Die meisten befinden sich rund um den Boulevard Rothschild und wurden von der UNESCO als Weltkulturerbe aufgenommen.

Viele der Gebäude sind mittlerweile ziemlich runtergekommen, aber das Bauhaus-Center in Tel Aviv setzt sich seit einiger Zeit recht erfolgreich für die Renovierung und Instandhaltung der Gebäude ein.

Da ich ein echter Bauhaus-Fan bin, habe ich mir für die Reise den Roman „Gläserne Zeit“ von Andreas Hillger besorgt. In seinem Roman stellt er bewußt nicht die Bauhaus-Meister in den Mittelpunkt, wie der Autor in einem Interview erklärt, „denn wissenschaftliche Bücher über die Hochschule gibt es genug“.

Er verknüpft Realität und Fiktion und stellt die Designstudentin Clara in den Mittelpunkt der Geschichte, die mit dem Architekturstudentin Carl und dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Lukas im Zentrum einer gewagten Ménage à trois steht. Immer wieder begegnet man historischen Figuren wie dem Bauhaus-Direktor Walter Gropius oder dem Maler Paul Klee.

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„Mittlerweile diente das Dossier von Mutmaßungen und Verdächtigungen, Halbwahrheiten und polemischen Angriffen als Beleg für die Ohnmacht der Rechtschaffenen, die mit dem Krieg auch den Einfluss auf die eigenen Kinder verloren hatten.“

Die Politik spielt eine wichtige Rolle. Hillger zeigt den Einfluß der nationalsozialistischen und kommunistischen Tendenzen, die nicht nur die beiden Männer immer stärker beschäftigen, sondern die auch immer größen Einfluß auf die Bauhaus-Schule nehmen.

Ein sehr interessanter Einblick in die Dessauer Jahre des Bauhaus vor dem Panorama der Weimarer Republik. Auch wenn ich während der Lektüre die Bauhaus-Gebäude in Tel Aviv und nicht in Dessau vor Augen hatte, für mich war es die perfekte Reiselektüre.

Das letzte Buch, das ich hier für heute erwähnen möchte, hat nicht wirklich mit Israel zu tun, aber mit Architektur und ich habe es direkt vor dem Urlaub beendet und es hat die Bauhaus-Lektüre für mich um so spannender gemacht.

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Buckminster Fuller war seiner Zeit glaube ich stets gut 50 Jahre voraus. Sein Name ist mir in letzter Zeit wieder und wieder untergekommen, so dass ich „Bucky Works“ von J. Baldwin unbedingt haben musste.

Keine Biografie im klassischen Sinne, mehr ein Werkschau und chronologische Übersicht von Buckys Ideen, die teilweise schon wirklich abgefahren waren.

Er war ein amerikanischer Architekt, Systemtheoreteiker, Designer und Erfinder, der mehr als 30 Bücher publizierte und insbesondere durch die von ihm geprägten Begriffe „Spaceship Earth“ und „Ephermerisierung“ bekannt wurde sowie für seine geodätischen Kuppeln, die man gerne mit Science Fiction assoziiert.

Er entwickelte zahlreiche Erfindungen, hauptsächlich architektonische Designs außerdem wurde ein Karbon Molekül nach ihm benannt, da diese von der Struktur her seinen geodäsischen Kuppeln ähnelte.

Soviel heute zum ersten Teil unserer Israel-Reise, die in diesem Teil etwas architekturlastiger ausfiel, im nächsten Teil verspreche ich deutlich mehr landestypische Inhalte und ich möchte euch auf einen Ausflug nach Jerusalem und ans Tote Meer einladen.

Kommt Ihr mit ?

Lizzie Doron – Ruhige Zeiten erschienen bei dtv
Andreas Hillger – Gläserne Zeit erschienen im Osburg Verlag
J. Baldwin – Bucky Works