Kim Jiyoung, geboren 1982 – Cho Nam-Joo

Kim Jiyoung, Geboren 1982 ist ein ungewöhnliches Buch und ich kann schon jetzt sehen, dass es nicht für jeden etwas ist. Es ist eine seltsame Kombination aus Fiktion und Fakten, einschließlich Fußnoten, die sich auf tatsächliche Daten über Frauen am Arbeitsplatz, Hausfrauen, das Hoju-System und Abtreibung beziehen. Was es für mich wirklich ist, ist die Verfilmung einer wahren Geschichte; die wahre Geschichte der Ungleichheit der Geschlechter in Korea.

Es beginnt sehr merkwürdig, nicht unähnlich Han Kangs Der Vegetarier, mit einem Mann, der seine Frau Kim Jiyoung dabei beobachtet, wie sie ein sehr ungewöhnliches Verhalten an den Tag legt. Manchmal redet sie, als wäre sie jemand anderes, oder macht unpassende Kommentare, während sie ihre Familie besuchen. Woher kommt das? Früher hat sie sich nie so verhalten – was ist mit ihr passiert?

Dann gehen wir in der Zeit zurück und folgen Jiyoung durch die Geschichte ihres Lebens. Wir sehen, wie sie alles daran setzt, eine berufstätige Frau mit eigenem Einkommen zu werden. Wir sehen, wie sie mit einer Herausforderung nach der anderen konfrontiert wird; Ablehnung folgt Ablehnung. Wir sehen, wie sie in Angst vor räuberischen Jungs und aufdringlichen Lehrern lebt. Wir sehen, wie Föten abgetrieben werden, weil sie das falsche Geschlecht haben, und wie der Körper einer Frau zum Thema von Bewerbungsgesprächen wird.


Jiyoung ist damit aufgewachsen, dass ihr gesagt wurde, sie solle vorsichtig sein, sich konservativ kleiden und „ladylike“ sein. Dass es dein Job ist, gefährliche Orte, Tageszeiten und Menschen zu meiden. Es ist deine Schuld, wenn du es nicht bemerkst und nicht vermeidest.

Ich weiß nicht, ob manche Leute dieses Buch lesen können und nicht wütend sind, aber ich war wütend. Ich hatte das Gefühl, dass ich fast sichtbar zitterte, während ich über Kim Jiyoung und die Frauen um sie herum las. Lesen Sie dieses Buch nicht, wenn Sie auf der Suche nach einer leichten Wohlfühllektüre sind.

Es sind so viele interessante Themen in dieses winzige Buch gepackt. Ein weiterer Aspekt, der mir gefallen hat, war die Darstellung von Kim Jiyoungs Mutter. Es muss so schwer gewesen sein, eine Mutter in dieser Zwischenzeit zu sein. In einer Zeit aufgewachsen zu sein, in der Frauen keine Wahlmöglichkeiten oder Chancen hatten, und zu versuchen, Töchter in einer Welt aufzuziehen, in der sie zwar einige Wahlmöglichkeiten haben, aber Vorurteile und geschlechtsspezifischer Missbrauch sie immer noch zurückhalten. Drängen Sie sie zum Besseren? Oder setzen Sie realistische Erwartungen?

Ich glaube, das Einzige, was ich nicht mochte, war, wie seltsam das Buch am Anfang und dann wieder am Ende ist. Es könnte einfach ein kultureller Stil sein, den ich nicht wirklich „verstehe“, aber ich finde, dass es ein fantastisches Porträt des Lebens einer Frau ist und die Situation war auch ohne Jiyoungs bizarren Zusammenbruch mehr als sympathisch genug.

Trotzdem sollte man es unbedingt lesen, wenn man mehr Geschichten darüber ertragen kann, wie ungerecht diese Welt für Frauen war und oft immer noch ist.

Women in Science (18) Cordelia Fine

Geschlechterdiskriminierung möchten uns viele glauben machen, ist ja ein Ding der Vergangenheit. Heute ist ja alles absolut ausgeglichen und wenn Mädchen Prinzessinnen werden wollen und Jungs sich beim Spielen dreckig machen, dann ist das halt biologisch schon so vorgesehen, das sind halt die unveränderlichen Unterschiede zwischen dem weiblichen und dem männlichen Gehirn. Jede Menge Artikel erscheinen auch heute noch, die wissenschaftlich erklären wollen, warum es so wenig Frauen in der Naturwissenschaft oder in technischen Berufen gibt.

Cordelia Fine ist eine kanadisch-britische Wissenschaftsautorin, Forscherin und Journalistin. 2001 promovierte Fine im Fach Psychologie am Institut für kognitive Neurowissenschaften des University College London. Sie ist Research Associate im Centre for Value, Agency & Ethics der Macquarie University in Australien und Ehrenmitglied in der Fakultät der psychologischen Wissenschaften der Universität Melbourne.

Basierend auf neuesten Forschungsergebnissen aus der Entwicklungspsychologie, den Neurowissenschaften und der sozialen Psychologie, räumt Cordelia Fine mit diesen Mythen auf und zeigt, wie hier alter Wein in neue angeblich wissenschaftliche Schläuche gefüllt wurde, um den geschlechterdiskriminierenden Status Quo zu erhalten.

Fines Buch bietet eine Fülle an spannenden Informationen, besonders spannend fand ich diesen Punkt:

Wir haben wahrscheinlich alle (mehrfach) die folgende Geschichte gehört: „Ich wollte meine Kinder wirklich geschlechtsneutral erziehen, aber an einem bestimmten Punkt hat der Bub einfach ganz natürlich angefangen, mit den Autos zu spielen und die Mädchen haben sich in rosafarbene Prinzessinnen verwandelt. Obwohl ich doch alles dafür getan habe, dass die Mädchen Autos spielen und die Jungs mit Puppen. Das muss also biologisch sein, an meiner Erziehung lag es jeden Falls nicht.“ Dieses Phänomen ist unter Soziologen als „biology as fallback“ bekannt.

„The frustration of the naively nonsexist parent has become a staple joke. An all but obligatory paragraph in contemporary books and articles about hardwired gender differences gleefully describes a parent’s valiant, but always comically hopeless, attempts at gender-neutral parenting“

Fine berichtet dann über über das Experiment von Sandra und Daryl Bem (Bem Sex-role inventory), die in den 1970er versuchten, Kinder geschlechtsneutral zu erziehen – und was sie dabei alles beachten mussten. Sie bearbeiteten sämtliche Kinderbücher, in dem sie Bärte wegretuschierten, die Haarlänge anglichen und Brüste hinzufügten oder übermalten (übrigens selbst heute ist sind Männer mit einer Ratio von 2:1 gegenüber Frauen repräsentiert). Sie überarbeiteten die Texte die Männer und Frauen in geschlechterspezifischen Stereotypen beschrieben und so weiter und so fort.

Foto: Wikipedia

Das zeigt, wie schwer es ist, ein Kind geschlechterneutral erziehen zu wollen. Fine erklärt, dass die Vergeschlechtlichung (manchmal wünschte ich, ich hätte diesen Artikel auf Englisch geschrieben und könnte einfach gendern schreiben 😉 ) so omnipräsent in unserer Kultur vorhanden ist und unglaublich intensiv. Nicht einmal die Kinder der Bems konnten sich dem komplett entziehen. Und Kinder reagieren unglaublich sensibel auf die unterschiedlichen Anleitungen, die sie bekommen, mit Blick darauf, wie sie sich ihrem Geschlecht entsprechend verhalten sollen.

Children randomly assigned at preschool to a ‘red’ group or a ‘blue’ group, and wearing the appropriate colored T-shirts to school each day, after three weeks, with no further reinforcement, will find themselves conforming to what they take to be the norms for their respective groups. One needs little imagination to see how much more intrusive the pressures on gender conformity will be, even if the parents are like the Bems.“

Fines Angriffsziel im Buch ist das, was sie mit „Neurosexismus“ bezeichnet – die Misinterpretation der modernen Neurowissenschaften, die bestehende Stereotypen bekräftigen und Diskriminierungen weiter aufrechterhalten. Frauen sind angeblich emphatischer, Männer analytischer, Frauen können nicht führen und Männer keine Kinder erziehen etc. etc.

Die Wurzeln dieser Überzeugungen finden sich aber nicht in inhärenten biologischen Limitationen, sondern in kulturellen Vorurteilen, in der Erziehung, der Bildung und darin, wie wir unsere Kinder prägen.

Wissenschaft existiert nicht in einem Vakuum. Fine zeigt jede Menge Fehler auf, in der grundlegenden Methodologie wie Experimente durchgeführt werden oder zeigt wilde Extrapolationen auf die auf dem Verhalten von Säuglingen basieren. Auch wenn Ergebnisse auf solidem Wege generiert wurden, werden die Interpretationen oft so hingebogen, wie man sie gerne hätte.

Cordelia Fine ist aber keine Dogmatin, sie akzeptiert, dass es medizinische Forschungsergebnisse gibt, die bestimmte biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen erkennen lassen (zum Beispiel im Vergleich von Lupus oder Haarausfall) aber es wäre völliger Unsinn zu behaupten, dass diese erkennbaren Unterschiede eine Basis bieten würden, um stereotypes Verhalten und gesellschaftliche Rollenverteilungen zu rechtfertigen.

Große Empfehlung für alle, die sich für Feminismus, Neurowissenschaften, Psychologie und Gender Studies interessieren.

Auf deutsch erschien das Buch unter dem Titel: „Die Geschlechterlüge: Die Macht der Vorurteile über Mann und Frau“ im Klett Cotta Verlag.

#WomeninSciFi (22) Ihrland – Charlotte Perkins Gilman

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Da ich gerne und häufig reise, ist Renie’s Lesetagebuch für mich immer eine gute Adresse, um insbesondere auf ihrer Rubrik „Um die Welt gelesen“ nach passender Reiselektüre zu suchen. Reiselektüre ist aber ganz sicher nicht das einzige, was man auf Claudias Blog finden kann, hier ist richtig viel los. Ob Indie-Lektüre, Bücher über Bücher, historische Romane oder Horror, ich stolpere immer wieder über Unbekanntes, zu oder wieder zu entdeckendes.

Heute stellt sie uns einen der absoluten Klassiker der feministischen SciFi Literatur vor, ich bin sehr gespannt, was ihr zu diesem Buch zu sagen habt.

Die Amerikanerin Charlotte Perkins Gilman (geb. 3. Juli 1860) war eine Frauenrechtlerin, die ihrer Zeit weit voraus war. Sie kam aus ärmlichen Verhältnissen. Die Mutter war Gelegenheitsarbeiterin, der Vater Buchhändler und Schriftsteller, der seine Familie früh im Stich ließ. Im Alter von 24 heiratete Charlotte, verließ ihren Mann jedoch bereits nach vier Jahren. Nach 10 Jahren wurde die Ehe geschieden. Ein, in der damaligen Zeit unvorstellbarer Schritt. Während ihrer Ehe litt Charlotte unter Depressionen. Sie versuchte die Krankheit durch Schreiben zu kompensieren. Nach der Scheidung lernte sie die sozialistische Schriftstellerin Helen Campbell kennen, die sie in die Frauenbewegung einführte. Charlotte besuchte Frauenkongresse auf der ganzen Welt, die sie durch ihre flammenden Reden für die Frauenrechte bereicherte. Denn sie galt als begnadete Rhetorikerin. Die damalige Frauenbewegung kämpfte für grundsätzliche und politische Rechte der Frau, wie z. B. das Recht auf Bildung, das Recht auf Erwerbstätigkeit sowie das Frauenwahlrecht, das im Übrigen in Deutschland im November 1918 rechtlich festgeschrieben wurde. In diesem Jahr feiern wir also den 100. Geburtstag des Frauenwahlrechts in Deutschland.

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Foto: WikiCommons

Aus ihrem Einsatz für die Rechte der Frau heraus, hat Charlotte Perkins den utopischen Roman „Ihrland“ (im Original „Herland“) geschrieben, der 1915 veröffentlicht wurde. Darin geht es um ein sagenhaftes Land, in dem nur Frauen leben.

 Die Geschichte wird aus der Sicht eines Mannes erzählt: Van – einer von drei Freunden, die auf einer Expedition irgendwo in Südamerika unterwegs sind. Hier hören die Männer das erste Mal von diesem verheißungsvollen Land. Von Abenteuerlust und Phantasie gepackt, begeben sich die Drei auf die Suche nach diesem Paradies. Natürlich entdecken sie das Land der Frauen und erleben einen Kulturschock. Für die Männer bricht eine Welt zusammen. Stellvertretend für das Frauenbild der Männer aus der damaligen Zeit lässt Charlotte Perkins Gilman die drei Freunde so einige Frauenklischees vertreten. Das ist lustig. Und wieder einmal mehr bestätigt sich der Verdacht, dass die Frau für den Mann ein unbekanntes Wesen ist.

„Als ich in meiner Lektüre so weit gekommen war, ging ich zu Somel, um mehr zu erfahren. Ich war mittlerweile so mit ihr befreundet wie kaum jemals zuvor in meinem Leben mit einer anderen Frau. Sie war eine sehr angenehme Seele, die einem das nette, sanfte Muttergefühl gab, das ein Mann in einer Frau mag, und doch besaß sie auch die klare Intelligenz und Zuverlässigkeit, von denen ich anzunehmen pflegte, dass sie männliche Eigenschaften waren.“

Männer sind in Ihrland überflüssig. Oh Wunder der Evolution – die Frauen haben gelernt sich auch ohne männliches Dazutun fortzupflanzen. Sie haben dabei eine Kultur geschaffen, die ohne jegliche Form der Aggressivität auskommt. Die Frauen praktizieren ein friedliches Miteinander, in dem das Wohl der Gemeinschaft und ihr Fortbestand an erster Stelle stehen. Aufgrund jahrhundertelanger Erfahrung sind sie heute in der Lage, ein perfektes Leben zu führen. Diese Perfektion stößt bei bei den drei Eindringlingen auf Misstrauen.

 

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Foto: Renie's Lesetagebuch

Von Anfang an werden die drei Männer von den Frauen mit Respekt behandelt. Allerdings dürfen sie Ihrland nicht verlassen. Die Zeit, die die Freunde mit den Frauen verbringen, wird genutzt, um gegenseitig voneinander zu lernen. So erfahren die Männer (und Leser), wie Ihrland entstanden ist, welche Lebensphilosophie hinter der Gesellschaft steckt, wie Ihrland organisiert ist und wie der Fortbestand gesichert ist. Die Frauen sind nicht so vermessen, ihre Gesellschaft als das Non Plus Ultra anzusehen. Stattdessen sind sie wissbegierig, was die Welt angeht, aus der die Männer kommen. So kommt es zum gemeinsamen Austausch. Die Männer versuchen, den Frauen ihre Welt schmackhaft zu machen, was leider nicht gelingt. Denn schon durch das einfachste Nachfragen der Frauen, werden die Schwächen der Männerwelt aufgezeigt, und das Überlegenheitsgefühl der Männer gegenüber den Frauen bekommt einen heftigen Dämpfer.

 

„Ich war natürlich immer stolz auf mein Land gewesen. Jeder ist es. Im Vergleich zu den anderen Ländern und Völkern, die ich kannte, schienen mir die Vereinigten Staaten von Amerika immer, um es gelinde zu sagen, so gut wie das beste von allen zu sein. Aber ebenso wie ein klarsichtiges, intelligentes, ehrliches und wohlmeinendes Kind durch unschuldige Fragen häufig das Selbstwertgefühl von jemandem ankratzen kann, so taten es auch diese Frauen ohne den geringsten Anschein einer bösen Absicht oder von Spott, indem sie ständig Diskussionspunkte vorbrachten, denen wir bestmöglich auszuweichen versuchten.“

Am Ende des Buches werden die Männer Ihrland wieder verlassen müssen. Bleibt zu hoffen, dass sie aus ihrem Aufenthalt in der Welt der Frauen gelernt haben.

Charlotte Perkins hat eine utopische Welt kreiert, die auf der Frage basiert: Was wäre, wenn Frauen die Welt beherrschen würden? Eine Frage, die schon so häufig gestellt wurde, und immer wieder gestellt werden wird. Die Antwort der Autorin ist dabei sehr komplex und liefert die unterschiedlichsten Denkanstöße, die mann und frau teilweise weiterverfolgen möchten, teilweise jedoch auch als Humbug abtun werden. Doch jeder so, wie er kann. Lesenswert ist dieses Buch alle Male.

Einziger Wermutstropfen: Ich habe dieses Buch in einer Übersetzung gelesen, die etliche Mängel in Stil und Ausdruck aufweist. Das ist nicht schön, insbesondere wenn man bedenkt, dass Charlotte Perkins für ihre Rhetorik berühmt war. Dadurch wird die Übersetzung ihrem Talent leider nicht gerecht, was sehr schade ist.

A Room of One’s Own – Virginia Woolf

“Lock up your libraries if you like; but there is no gate, no lock, no bolt that you can set upon the freedom of my mind.” 

Virginia Woolf

Virginia Woolfs Essay „A Room of One’s Own“ ist ein Herzensbuch, bei dem ich aus dem Unterstreichen nicht herausgekommen bin und auch bei wiederholtem Lesen verliert es nichts von seiner Faszination. Sie untersucht die Limitierungen von Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts und es hat meines Erachtens gar nichts an Aktualität und Wichtigkeit verloren.

“A woman must have money and a room of her own if she is to write fiction.” 

Virginia Woolf plädiert präzise und poetisch für die Freiheit der Frau, sie betont wie wichtig ein unabhängiges Einkommen und der titelgebende „eigene Raum“ sind, der die meisten Frauen davon abhält ihr literarisches Potential voll zu entfalten. Ihre Einsichten und die daraus resultierende Empörung ob dieser Tatsachen ist auch heute noch relevant und „A Room of One’s Own“ bleibt für mich eines der schönsten und treffendsten Analysen zur Rolle der Frau.

Wer Angst hat vor Virginia Woolf (um mal zu kalauern) und das sind leider gar nicht so wenige, dem lege ich dieses Büchlein ans Herz. Nirgendwo sonst zeigt sie so viel Humor, Herz und Klarheit wie hier und für mich war es damals die Einstiegsdroge, ich liebe ihre Bücher und finde es so schade, wie viele Menschen sie zitieren und grundsätzlich toll finden aber leider nicht lesen.

“One cannot think well, love well, sleep well, if one has not dined well.”

Ein Buch das ich wieder und wieder lese, gerade einmal 111 Seiten lang und jede Seite ist voller kostbarer Einsichten und man spürt die jahrelange Arbeit, ihre Gedanken, ihre Recherche, ihre Schlussfolgerungen und ihre Ansichten.

Dieser Essay ist eine Hommage an die unbekannten Heldinnen der Vergangenheit die vielleicht Gedichte, Lieder, Romane schrieben aber in die Anonymität gezwungen waren, einfach, weil es für Frauen unakzeptabel war zu schreiben. Wie furchtbar muss das sein, unbedingt schreiben zu wollen und nicht zu dürfen, nur, weil man dem “falschen” Geschlecht angehört und die Gesellschaft Frauen die geschlechtsspezifische Rolle der Mutter und Ehefrau aufgedrückt hat, aber kein Interesse daran hatte, Frauen den Zugang zu Bildung zu gewähren. Man spürt Virginia Woolfs Wut über dieses Ausgeschlossen sein und das gilt nicht nur für die Literatur, die für Frauen nicht zugänglich war.

Besonders spannend fand ich Woolfs Gedankenspiel was wäre, wenn Shakespeare eine ähnlich talentierte Schwester gehabt hätte, die ihr Talent nie hätte ausleben können, die ausgelacht worden wäre, hätte sie Interesse daran bekundet zu schreiben.

“Anon(ymus), who wrote so many poems without signing them, was often a woman.” 

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Jane Austen sieht Woolf ganz klar als sehr sehr clevere Autorin, da sie nie versuchte einen männlichen Stil zu kopieren, sondern sich sehr selbstbewusst für einen ganz eigenen Stil entschied. Sie konnte nur über einen sehr limitierten Ausschnitt ihrer Welt schreiben, denn sie hätte einfach nicht über Politik oder Kriege schreiben können, das waren Sphären die einer Frau einfach nicht zugänglich waren. Sie schrieb über das was sie sah und erlebte, während sie in den Ecken der Herrschaftshäuser saß und alles still beobachtete. Ich muss mich einfach mal wieder mit Jane Austen beschäftigen, ich habe sie immer ein wenig vernachlässigt.

“Women have sat indoors all these millions of years, so that by this time the very walls are permeated by their creative force, which has, indeed, so overcharged the capacity of bricks and mortar that it must needs harness itself to pens and brushes and business and politics.” 

Am Ende ihres Essays fordert sie Männer und Frauen auf zu schreiben, sie betont wie wichtig es ist die Limitierungen von Geschlechtsidentitäten hinter uns zu lassen und einen androgynen Geist zu entwickeln.

“It is fatal to be a man or woman pure and simple; one must be woman-manly or man-womanly.

“Anything may happen when womanhood has ceased to be a protected occupation.” 

“Women have served all these centuries as looking glasses possessing the magic and delicious power of reflecting the figure of man at twice its natural size.” 

 “The history of men’s opposition to women’s emancipation is more interesting perhaps than the story of that emancipation itself.” 

Ich bin überaus dankbar dafür, dass Virginia Woolf 500 Pfund im Jahr aus einer Erbschaft zur Verfügung standen (was heutzutage etwa 200,000 GBP entsprechen dürfte) und sie diesen wichtigen eigenen Raum hatte. Ohne wäre dieser wunderbare Essay und ihr Werk vielleicht gar nicht zustande gekommen. Ich habe Virginia Woolf als Teenager entdeckt, ihre Lektüre machte mich mutiger, neugieriger und vielleicht sogar ein bisschen klüger.

Dieser Essay sind 100 Seiten Anfeuerung voller Eleganz, Poesie und Wissen und ihr werdet die Lektüre nicht bereuen, versprochen.

Wem ich noch ein wenig mehr Lust auf Ms Woolf machen darf, der könnte hier weiterleiten, da findet ihr eine Besprechung zu ihrem Buch „Jacob’s Room“ und meinem Besuch in „Monks House“ wo sie zeitweise lebte.

Das Buch erschien auf deutsch unter dem Titel „Ein Zimmer für sich allein“ im Reclam Verlag.

Short but sweet – Damenwahl

Heute stelle ich euch in „Short but Sweet“ vier Ladies vor, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ich liebe die Vorstellung, die vier könnten gemeinsam in einer Hotelbar sitzen und sich miteinander unterhalten und trinken. Madame de Salm serviere ich ein Glas Champagner, Ms Mitford einen Gin & Tonic, Andreas Burnier vielleicht ein Heineken und Caitlin Moran bekommt einen Cider von mir. Los geht’s in chronologischer Order

Constance de Salm – 24 Stunden im Leben einer empfindsamen Frau

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Ich merke, dass ich Briefromane überaus faszinierend finde. Egal ob es ein tatsächlich stattgefundener oder ein fiktiver ist – ich lese einfach gerne Briefe und noch einmal mehr, wenn es sich um ein sprachlich so kunstfertiges und poetisches Büchlein handelt.

Der Inhalt ist schnell erzählt und wird jedem, der einmal unglücklich verliebt war oder vor Eifersucht brannte, ganz und gar bekannt vorkommen. Auch wenn es heute vielleicht keine Briefe sind, die von Dienern und Boten hin und hergeschickt werden, ist die Situation doch absolut die gleiche und wer hat nicht schon ungeduldig aufs Handy-Display gestarrt, um endlich die ersehnte Antwort zu bekommen.

Madame de xxx schreibt ihrem Geliebten, nachdem sie zu Hause angekommen ist. Er hat sich nach einem gemeinsamen Theaterbesuch flüchtig von ihr verabschiedet und ist mit einer anderen Dame verschwunden. Die Eifersucht bringt sie fast zum Durchdrehen und sie versucht alles, um Klarheit zu bekommen, selbst vor einem Einbruch in sein Haus schreckt sie nicht zurück.

Das ist komplett egal, dass die Dame vor 200 Jahren lebte, ihre Gedanken und Gefühle sind so aktuell wie eh und je und daher kann ich diesen Briefroman uneingeschränkt empfehlen. Eine Frau, die trotz ihrer verliebten, eifersüchtigen Art nie unterwürfig wird, sondern ihren Schmerz und ihre Sorge zeigt, ohne sich zu erniedrigen.

„Guten Morgen, mein Freund; da bin ich, und meine Nacht war Grauen. Dein Bild und das ihre standen allzeit vor meinen Augen. Ich sah dich, hörte dich; sprach mit dir, geliebter, grausamer Freund; und wohl zwanzigmal erwachte ich mit schweißbedeckter Stirn und in schrecklicher Beklommenheit, ich wollte, ich könnte sie für dich malen. Soll ich es versuchen? Ich weiß nicht: Wir Frauen haben doch in unserer Seele unendlich viele Empfindungen, die auch der zärtlichste Geliebte kaum verstehen kann: für ihn gleichen sie einem Delirium; aber wäre selbst dieses Delirium der eigentliche Fehler der Liebe, ist es doch gleichwohl etwas Heiliges.“

Constance Marie zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1767 – 1845) war eine französische Dichterin und Schriftstellerin. Sie genoss eine für Frauen ihrer Zeit exzellente Ausbildung und und leitete einen angesehenen literarischen Salon, in dem u. a. Alexander von Humboldt, Stendhal und Alexandre Dumas verkehrten. “ 24 Stunden im Leben einer empfindsamen Frau “ war ihr einziger Roman und zugleich größter Erfolg ansonsten schrieb sie noch die Tragödie Sappho. Sie engagierte sich leidenschaftlich für die Emanzipation der Frau und wurde erstes weibliches Mitglied in einer der Pariser Akademien.

Mich hat der Roman an Marcelle Sauvageots „Ganz die Deine“ erinnert, die Rezension findet ihr hier. Da sind schon Parallelen, oder ?

Hier findet ihr bei Sätze und Schätze eine weitere Rezension.

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Nancy Mitford – The Pursuit of Love

Was für eine Familie! Die Oktober-Lektüre unseres Bookclubs hat uns einen sehr unterhaltsamen Roman präsentiert, über den wir wunderbar diskutieren konnten und der ausnahmslos jedem in unserer Runde gefallen hat. Eine Satire auf die  „NOCD“ (Not our class dear)-Flausen, die englische Upper Class und Familienmitglieder, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Britsh Humour at its best. Habe selten so häufig gekichert beim Lesen, seitenweise Sätze unterstrichen und mich einfach bestens amüsiert. Mitford schafft es ,in ihrer nahezu-Biografie selbst tragische Momente humorvoll zu verpacken. Viel interessanter jedoch als der Roman (der durchaus interessant ist) ist die Familie Mitford an sich.

“Always either on a peak of happiness or drowning in black waters of despair they loved or they loathed, they lived in a world of superlatives”

“My dear Lady Kroesig, I have only read one book in my life, and that is ‘White Fang.’ It’s so frightfully good I’ve never bothered to read another.” 

“Linda’s presentation of the ‚facts‘ had been so gruesome that the children left Alconleigh howling dismally, their nerves permanently impaired, their future chances of a sane and happy sex life much reduced.” 

Wir fragten uns, ob sie das damalige Äquivalent zu den heutigen Kardashians waren in deutlich intellektueller, aber vermutlich ist, wenn überhaupt ein Vergleich zur Familie Mann passender. Nancy Mitford war die älteste von 6 Schwestern und einem Bruder und fast jeder aus dieser Familie ist nahezu einen eigenen Roman wert. Besondere Aufmerksamkeit finden dabei Unity. Sie wurde 1914 geboren und von ihren Eltern zu Ehren des beendeten 1. Weltkriegs so optimistisch benannt. Sie verfällt noch in England in jüngsten Jahren dem Nationalsozialismus und reist mit gerade einmal 18 Jahren nach München, in der Hoffnung auf ihr Idol Hitler zu treffen. Sie schafft das sogar sehr schnell, die beiden freunden sich an, sie verfällt ihm ziemlich und schießt sich aus Kummer aufgrund der Kriegserklärung an England im englischen Garten eine Kugel in den Kopf – mit einer Pistole, die Hitler ihr geschenkt hatte. Aufgrund des kleinen Kalibers überlebt sie allerdings, geht zurück nach England und verstirbt nur wenige Jahre später an den Spätfolgen des Schusses. Peng.

Eine weitere Schwester, Diana, heiratet einen englischen Faschisten-Führer, Jessica wird Kommunistin, Nancy und Deborah wurden bekannte Schriftstellerinnen, einzig Pamela schien ein relativ aufsehensfreies Leben zu führen. Der Bruder, Tom, stirbt 1945 in Burma.

Ich kann die Lektüre von Nancy Mitfords Büchern nur empfehlen. Vor einer Weile las ich „Wigs on the Green“ ebenfalls richtig gut und es gibt eine sehr interessante Biografie von Susanne Kippenberger über die Familie, die ich unbedingt noch einmal lesen möchte.

Eine Bookclub-Freundin fand noch diese beiden interessanten Dokumentationen einmal über Unity,  https://youtu.be/Z9kBH47Ohlg sowie ein Interview mit der jüngsten Mitford Tochter Deborah. https://youtu.be/25IO32AxGq4

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Andreas Burnier – Knabenzeit

Bin gar nicht sicher, ob Andreas Burnier eigentlich glücklich wäre, hier als Frau genannt zu werden, geboren wurde sie als Catharina Irma Dessaur, sie nahm das Pseudonym Andreas Burnier an und wurde unter diesem Namen in den Niederlanden auch recht bekannt. Pünktlich zum Buchmessen-Schwerpunkt habe ich das kurze nur 112 Seiten lange Büchlein von Birgit von Sätze und Schätze erhalten und habe am gleichen Abend noch begonnen es zu lesen.

Der Titel „Knabenzeit“ bezieht sich auf die getrennten Schwimmzeiten für Mädchen und Jungen in öffentlichen Schwimmbädern. Die Protagonistin Simone musste sich mit 9 Jahren als Kind jüdischer Eltern verstecken. Die Geschichte wird chronologisch rückwärts erzählt und wir erleben Simone an den verschiedenen Stationen an denen sie für eine Weile unterkommen konnte. Das Mädchen ist häufig isoliert, ängstlich und alleine und beschäftigt sich neben den großen Themen wie Krieg, Verfolgung, Sorge um die Eltern auch noch mit ihrer eigenen Transsexualität/Homosexualität. Immer wieder werden ihr die Unterschiede und Ungerechtigkeiten zwischen Jungen und Mädchen / Männern und Frauen bewusst.

Die Sprache ist karg und realistisch, ich hatte das Gefühl als würde sich Burnier an ein jugendliches Publikum wenden. Eine dunkle melancholische Geschichte, deren stellenweiser Sarkasmus vielleicht nicht für jeden etwas ist.

  „Ich versuchte mir vorzustellen, wie es wäre, gleich als Junge zur Welt zu kommen. Man würde sich nicht darüber wundern. Es wäre selbstverständlich, daß mit dem Körper alles in Ordnung war. Daß man Fußball spielen konnte, abends durch die Stadt gehen und Mädchen ansprechen, schwimmen, wenn Knabenzeit war. Einen Beruf wählen und in diesem Beruf weiter arbeiten, wenn man heiratete und Kinder bekam. Daß man keine öden Sachen zu tun brauchte wie Handarbeiten oder Tischdecken. Daß man zu den Menschen gehörte, die im Leben etwas leisteten: Soldaten, Wissenschaftler, Minister, Entdeckungsreisende , Ingenieure, Direktoren, und nicht zu der unbedarften Hälfte, die, ob arm oder reich, die gleiche Hausarbeit verrichten mußte. Zu denen, die selbst kein Geld verdienten und sich wie Pfauen aufputzen mußten, um der anderen Hälfte zu gefallen.“

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Caitlin Moran – How to be a Woman

Witzig wie Nancy Mitford, aber deutlich unterschiedlichen Klassen angehörig. Auch Moran kommt aus einem Haushalt mit einer unüberschaubaren Anzahl an Geschwistern, aber statt in einem Schloss wohnen sie in einem Sozialbau und auch sonst gibt es im Alltag von Nancy und Caitlin vermutlich wenig überschneidende Elemente.

Mich hat an dem Buch etwas irritiert, dass es sich als feministisches Buch präsentierte „Feminism–now with jokes!“ tatsächlich ist es ist aber eigentlich vielmehr eine Biografie und man erfährt eine Menge über Caitlin Moran. Was gar nicht so schlimm ist, wenn man weiß, worauf man sich einläßt. Ich kenne Caitlin Moran aus meiner Zeit in London in den späten 90ern /Anfang 2000 und ich glaube, je besser man sie kennt, oder selbst in den 90ern in Großbritannien aufgewachsen ist, desto eher kann man mit ihrer Biografie etwas anfangen, denke ich. Sie ist unglaublich witzig und stellenweise fremdschämend ehrlich. Es geht ihr weniger um theoretische Implikationen des Feminismus, sondern sie schaut dem Feminismus knallhart unter den Rock und ins Gesicht.

Sie berichtet von ihrer Teenagerzeit, ihrem Übergewicht, stört sich an Haaren die an den immer falschen Stellen wachsen und im späteren Teil des Buches mit dem Verlieben, Kinderkriegen, Abtreibungen und warum es auch für Feministinnen vollkommen in Ordnung ist, sich eine Putzfrau zu engagieren.

“It’s difficult to see the glass ceiling because it’s made of glass. Virtually invisible. What we need is for more birds to fly above it and shit all over it, so we can see it properly.” 

Viele interessante Gedanken in dem Buch, die es für mich insgesamt zu einer witzigen und interessanten Lektüre machten, würde es aber wohl in meinem Bekanntenkreis eher British Natives empfehlen.
“No one has ever claimed for a moment that childless men have missed out on a vital aspect of their existence, and were the poorer, and crippled by it. Da Vinci, Van Gough, Newton, Faraday, Plato, Aquinas, Beethoven, Handel, Kant, Hume, Jesus. They all seem to have managed childlessness quite well.”

Sehr cool fand ich ihren Test mit dem man herausfinden kann, ob man eine Feministin ist: “Put your hand in your underpants. a. Do you have a vagina? and b. Do you want to be in charge of it? If you said ‚yes‘ to both, then congratulations! You’re a feminist“

Und eine Erklärung dafür, was Feminismus eigentlich bedeutet hat sie auch: “What is feminism? Simply the belief that women should be as free as men, however nuts, dim, deluded, badly dressed, fat, receding, lazy and smug they might be. Are you a feminist? Hahaha. Of course you are.” 

Konnte ich Euch jetzt auf eines der Bücher Lust machen ? Mit welcher Autorin würdet ihr am ehesten was trinken gehen?

Constance de Salm – „24 Stunden im Leben einer empfindsamen Frau“ erschienen im Hoffmann & Campe Verlag
Nancy Mitford – „Englische Liebschaften“ erschienen im Ullstein Verlag
Andreas Burnier – „Knabenzeit“ erschienen im Wagenbach Verlag
Caitlin Moran – „How to be a Woman: Wie ich lernte eine Frau zu sein“ erschienen im Ullstein Verlag