Meine Woche

Gesehen: The Innocents / De Uskyldige (2021) von Eskil Vogt mit Rakel Lenora Fløttum und Alva Brynsmo Ranstad. Norwegischer supernatural Thriller um Kinder mit seltsamen und teilweise gefährlichen Fähigkeiten die irgendwann beginnen tötlich zu enden. Fand ich mega gut. Wirklich sehenswert und großartige schauspielerische Leistung der Kinder.

Gehört: The Well – Esben and the Witch, Faiblesse Des Sens – Amesoeurs, Oceans Niagara – M83, Insomnia – Lost in Kiev

Gelesen: Bourdieu und der Habitus, dieses Interview mit Leïla Slimani, diesen Artikel über den legendären Buchladen Shakespeare & Company in Paris

Getan: 2 Tage Global People & Culture Workshop in Paris, danach dort ein paar Tage mit einer lieben Freundin und ihrer Familie verbracht, durchs Quartier Latin gestreift, Madame Eiffel bewundert, etliche Kilometer an der Seine und auf den Boulevards entlang spaziert, auf dem Markt eingekauft und viel Zug gefahren

Gefreut: über die tollen Begnungen in Paris

Geärgert: dass ich kein Ticket für die Katakomben bekommen habe

Gegessen: Galette, Jakobsmuscheln, Bisque de Langouste, Croissant, Baguette, jede Menge Käse und am allerbesten im Le Petit Lucas

Getrunken: Champagner, Rotwein und Ingwertee

Geklickt: auf den Buzzer beim Jumanji Brettspiel das wir mit den Kindern gespielt haben

Gestaunt: über die vielen Sprachen die die Kinder meiner Freundin sprechen, dass Taxifahren verhältnismässig günstig ist in Paris, wie kompliziert es ist Ubahn und Zugtickets zu lösen und dass es Menschen gibt, die wirklich um 6.00 Uhr aufstehen um Yoga zu machen

Gelacht: über mein Selbstporträt das wir im Workshop malen mussten

Gewünscht: ein Haus in Paris

Gefunden: nix

Gekauft: Bücher bei Shakespeare & Company und Leckereien in der Gourmet-Abteilung der Galerie Lafayette

Gedacht: There were three great powers in Europe: Britain, Russia and Mme de Staël

From Paris with Love

Mit dem Schiff von Havanna nach Frankreich und dann per TGV nach Paris – bequemer und perfekter geht es gar nicht. Draußen zischt die Welt vorbei und drinnen sind wir in unserer Lese-Bubble und tauchen ein in meinen Bücherkoffer. Ganz bin ich nicht durchgekommen, aber für einen Coup de Chapeau hat es immerhin gereicht.

Begonnen haben wir unsere Stadtführung mit Roland Barthes „Der Eiffelturm“ – ein dünnes wunderschönes Bändchen, das einen perfekt einstimmt auf die Paris-Woche. In seinem Essay betrachtet Barthes liebevoll eines der beliebtesten Symbole der Welt. Er entdeckt den Eiffelturm für uns auf ganz neue Art, macht ihn sicht- und greifbar.

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Es macht Spaß, mit Barthes gemeinsam die Welt zu entdecken, macht mir mit diesem Essay Lust, noch mehr von der Welt durch seine Augen zu entdecken. Er schreibt charmant, bleibt zugänglich bei gleichbleibend hohem Niveau und hat Humor . Ich liebe Barthes‘ Exaktheit in der Betrachtung und seine Ästhetik.

Der Eiffelturm ist so sehr Sinnbild für Paris geworden, dass man sich partout nicht vorstellen kann, wie groß die Ablehnung war, als der Turm anlässlich der Weltausstellung 1887 gebaut wurde. Es gab unzählige Proteste, eine Gruppe Künstler entwarf gar einen Protestbrief der in der Zeitschrift „Le Temps“ veröffentlicht wurde und der die Welt vor der unfranzösischen „tragischen Straßenlaterne“ bewahren sollte:

„Wir, Schriftsteller, Maler, Bildhauer, Architekten und leidenschaftliche Liebhaber der bis jetzt noch intakten Schönheit von Paris, protestieren hiermit mit all unserer Kraft und aus all unserer Empörung, im Namen des falsch verstandenen französischen Geschmacks, im Namen der Kunst und der bedrohten französischen Geschichte, gegen die Errichtung des nutzlosen und monströsen Eiffelturms im Herzen unserer Hauptstadt, den die Bösartigkeit der Öffentlichkeit – die oft über gesunden Menschenverstand und Gerechtigkeitssinn verfügt –, bereits den ‚Turm zu Babel‘ nennt.“

Wer damit leben kann, in einer Schlange zu stehen, dieses Büchlein hat die perfekte Anstehlänge und ist sicherlich das Beste und Anspruchsvollste, womit man sich die Zeit vertreiben kann, bis man von oben die Aussicht über die Stadt der Liebe bewundern kann.

Mit Djuna Barnes Biografie ausgestattet sind wir dann durch das Paris der 20er Jahre spaziert. Das ist die Zeit, die ich wohl wählen würde, sollte mich eine Zeitreisemaschine mal per Anhalter mitnehmen.

Djuna Barnes (1892 – 1992) war eine bekannte Persönlichkeit der Pariser Left Bank und in lesbischen Kreisen der Zwanziger und Dreißiger Jahre. Fields Autobiografie beschäftigt sich ausführlich mit Barnes Familienleben, ihrer Herkunft und es ist vielleicht auch notwendig, soviel über ihre Wurzeln zu erfahren, um die Schriftstellerin, Journalistin, Dichterin besser verstehen zu können.

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Foto: Rhys Tranter

Heute ist sie hauptsächlich für ihren Roman „Nightwood“ bekannt, den ich ehrlich gesagt nie fertig gelesen habe, da ich damals zumindest partout keinen Zugang zu dem Werk gefunden habe. Bei einem der vielen Umzüge ist mir „Nightwood“ leider abhanden gekommen, es wäre die passende Begleitlektüre gewesen. Trotz meiner Schwierigkeiten mit ihrem Werk (bei ihren Gedichten tue ich mich sichtlich leichter) übt Barnes auch heute noch eine ziemliche Faszination auf mich aus.

Die Biografie ist die faszinierende Dokumentation einer inspirierenden Persönlichkeit, die eine Vorreiterin des modernen Feminismus war in vielerlei Hinsicht. Die Frauen der Left Bank, zu denen auch Djuna Barnes gehörte, glaubten an ihr Recht auf kreative Selbstbestimmung und auf ihr Recht so zu leben, wie sie es für richtig hielten.

Wer speziell an Djuna Barnes interessiert ist, dem kann ich Andrew Fields‘ Biografie empfehlen, wobei ich ihn stellenweise dröge fand. Zugänglicher und spannender geschrieben fand ich Andrea Weiss‘ Buch „Paris was a Woman„, das ich vor einigen Jahren gelesen habe.

Natürlich kann man nicht durch Paris spazieren ohne den Cafés einen Besuch abzustatten, die Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre, Albert Camus und all die anderen aus der Existentialisten-Clique frequentierten. Ein literarischer Spaziergang entlang der rive gauche ist natürlich auch für uns ein absolutes Muss.

Nach so viel Spaziergang musste dann aber jetzt dringend ein Glas Rotwein und eine Baguette her. Wie gut, dass die Muenchner Kuechenexperimente stets genau dann Proviant hervorzaubern können, wenn die Truppe schon halb am verhungern ist:

Zutaten für 2-3 Baguettes (je nach Größe):

500 g Weizenmehl

350 ml lauwarmes Wasser

10g frische Hefe oder 1 Päckchen Trockenhefe (ich habe Trockenhefe genommen)

1,5 TL Salz

Zubereitung:

Alle Zutaten miteinander vermengen und in der Küchenmaschine zu einem glatten Teig kneten. Den Teig abgedeckt 1 Stunde lang bei Zimmertemperatur gehen lassen.

Anschließend in 2 oder 3 gleichgroße Stücke teilen, je nachdem, wie groß ihr eure Baguettes haben wollt. Ich habe 2 Stücke draus gemacht. Die Stücke jeweils zu gleich langen Rollen formen und entweder auf ein Baguette-Backblech oder ein mit Backpapier ausgelegtes normales Backblech geben. Die Baguettes nochmal 30 Min. gehen lassen. Mit einem Messer anschließend mehrfach schräg leicht einschneiden. 

Den Backofen auf 230 Grad Ober-/Unterhitze vorheizen. Auf die unterste Stufe eine Fettpfanne einhängen, die mit Wasser gefüllt ist. Diese kurz mit aufheizen lassen. Das Blech mit den Baguettes auf zweite Schiene von unten einhängen und für 10 Minuten backen. Dann die Fettpfanne mit Wasser entfernen und die Baguettes nochmal für 10 Minuten weiter backen

Unsere Film-Empfehlung für das passende Paris-Feeling ist Amélie:

Morgen geht es mit dem TGV weiter nach Brüssel. Wir hoffen, ihr seid wieder dabei ?

Books & Booze – Die Mandarins von Paris

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Wer in unserer illustren Runde der fröhlich pichelnden Schriftsteller natürlich nicht fehlen darf, ist Simone de Beauvoir, die berühmte Autorin, Philosophin und Frauenrechtlerin. Philosophie und Cocktails haben eine ganz intime Beziehung. Es war sogar ein Cocktail, der den französischen Existentialismus letztendlich inspiriert hat.

Eines abends im Jahr 1932 saß Simone mit Jean-Paul Sartre und ihrem gemeinsamen Freund Raymond Aron in einer chicen Pariser Bar, dem Bec de Gaz. Aron sinnierte so vor sich hin, dass Phenomenologisten sogar über Aprikosen-Cocktails philosophieren könnten. Sartre und Beauvoir wurden berühmt dafür, eine Philosophie der alltäglichen Dinge geschaffen zu haben, eben jenen französischen Existentialismus. Berüchtigt waren sie eher, wenn es um ihre Trinkgewohnheiten ging. Beauvoir flirtete stets recht hingebungsvoll mit Gin Fizzes und hat als Morgenroutine erstmal zwei Vodka getrunken und ein paar Whiskies über den Tag verteilt.

Einen besonderen Stellenwert hatte aber in der Tat der Aprikosen-Cocktail, den sie in ihrem Buch „In den besten Jahren“ erwähnt:

“I had a weakness for two specialities – mead cocktails at the Vikings’ Bar, and apricot cocktails at the Bec de Gaz on the Rue Montparnasse: what more could the Ritz Bar have offered us?”

Cocktailbars sind die perfekten Foren für philosophische Untersuchungen, weil sie einen ruhigen Hafen bieten im Trubel und Chaos der Welt, wo man Beziehungen anbahnen, erkunden und vertiefen kann und nie lässt sich die Welt erfolgreicher verändern als mit einem Cocktailglas in der Hand.

Wer Lust auf tiefe Gedanken und süßen Genuss hat, der sollte es mit der Variante der Münchner Küchenexperimente von Simone de Beauvoirs Lieblingscocktail versuchen. Die ist so gut, da kommen nicht nur Philosophen ins Schwärmen.

Man nehme

  • 1 TL Vodka
  • 4 EL Aprikosenpürree
  • mit Champagner aufgiessen

Santé!

Am besten genießt man den Cocktail im Übrigen mit meinem Lieblingsbuch von Simone de Beauvoir den „Mandarins von Paris“ oder dem wunderbaren „Das Café der Existentialisten“ von Sarah Bakewell.

 

Desorientale – Négar Djavadi

Desorientale

Wir lernen die Protagonistin Kimia, eine moderne junge iranische Frau kennen, während sie in einer Kinderwunschklinik im Wartezimmer sitzt und auf ihre Befruchtung wartet. Während des Wartens denkt sie an ihre Vergangenheit und erzählt dem Leser von ihrer Familie, dem Sadr Clan, ihrer Herkunft und über ihre weitläufige Verwandtschaft: ihre Großmutter, die noch in einem  Harem geboren wurde, ihre zahlreichen Onkel, die einfach in der Reihenfolge ihrer Geburt Onkel Nr. Eins, Zwei, Sechs genannt wurden, ihr Vater der Journalist, Aktivist und Dissident war und sowohl den Schah als auch Khomeini ablehnte. Sie erzählt von ihrer gleichfalls als Aktivistin tätigen modernen Mutter und von blauen Augen, die dem Familien-Gen Pool vor Ewigkeiten beigefügt wurden und die eine besondere Rolle spielen.

Djavadi fängt die Kultur des Irans ein, ihre Sprache ist clever, amüsiert und unbeschwert. Sie läßt uns hinter die Kulissen schauen und zum ersten Mal hatte ich zumindest ansatzweise das Gefühl zu verstehen, dass der Konflikt zwischen Konservatismus und der Liberalismus auf den Beginn des 20. Jahrhunderts zurückgehen, die Einmischung der USA und Englands weil sie gierig waren auf die Ölvorkommen im Iran und wie es zu der religiösen Revolution um Khomeini kommen konnte. Es ist schwer sich vorzustellen, wie modern und weitgehend ohne Religion zumindest die Intellektuellen in Teheran lebten.

„Der Iraner mag weder die Einsamkeit noch die Stille – wobei jedes andere Geräusch als die menschliche Stimme, selbst der Lärm eines Verkehrsstaus, als Stille empfunden wird. Wäre Robinson Crusoe ein Iraner gewesen, er hätte sich gleich nach seiner Ankunft auf der Insel zum Sterben hingelegt und die Sache wäre erledigt gewesen.
Diese Neigung ständig zu schwatzen, bei der Begegnung mit anderen Sätze wie Lassos in die Luft zu werfen, Geschichten zu erzählen, die sich wie Matroschkas öffnen und immer neue Geschichten hervorbringen, ist wahrscheinlich eine Art, sich einem Schicksal anzupassen, in dem es nur Invasionen und Totalitarismus gegeben hat.“

Das Buch ist auch die Geschichte von Kimias Coming-out, die schon als junges Mädchen im Iran noch feststellt, dass sie eher Frauen liebt und wie sie im Laufe der Zeit mit sich selbst ins Reine kommt und ihren Frieden mit sich schließen kann.

Desoriental ist ein wunderschönes Buch mit einer selbstsicheren Erzählerin, mitreißenden Charakteren, toller Musik und einem überraschenden Ende.

Ein Buch, das man am besten mit dieser Playlist liest:

Ich danke dem Beck Verlag für das Rezensionsexemplar.

From Paris with Love

Der Club der Optimisten

Ich kann nicht nach Paris reisen ohne die passende Lektüre. Panisch stellte ich fest, dass ich das Wochenende literarisch gar nicht wirklich geplant hatte und fürchtete schon, ohne passendes Buch fahren zu müssen, da ließ sich in der heimischen Bibliothek doch noch ein Buch auftreiben, dass ich noch nicht gelesen hatte und welches in Paris spielt.

„Der Club der unverbesserlichen Optimisten“ saß unverständlicherweise schon ganz schön lange im Regal, ein Spontankauf im Tollwood-Bücherzelt vor ein paar Jahren. Die Geschichte spielt im Paris der 1960er Jahre und folgt überwiegend dem Teenager Michel Marin, ein Junge der leidenschaftlich gerne liest und Tischfußball spielt in den Cafés und Bars der Stadt.

Seine Eltern heirateten 1946, nachdem sein Vater aus Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war, der erst zu dem Zeitpunkt erfuhr, überhaupt Vater geworden zu sein. Die Familie seiner Frau schaut auf den ärmlichen Mann mit algerischen Wurzeln herab.

Als er eines Tages in einem Cafe, das auch sein älterer Bruder frequentiert, in ein Hinterzimmer gerät, lernt Michel die Schachspieler rund um Jean-Paul Sartre, Joseph Kessel und andere Geistesgrößen des intellektuellen und existentialistischen Paris kennen. Die meisten Clubmitglieder sind Exilanten aus Osteuropa und wir erfahren durch Michel die Hintergründe einiger dieser Menschen. Überwiegend Künstler, Intellektuelle, Ärzte, die allesamt ein ähnliches Schicksal teilen und von Berufsverbot, Einsamkeit, Armut und dem Verlust der Heimat betroffen sind.

Guenassia packt viele Themen an in diesem Buch. Neben dem Schicksal der Exilanten geht es um den Algerien-Konflikt, die Auseinandersetzungen zwischen Proletariat und Kapital, der Enttäuschung der Mutter gegenüber dem Vater, der ihr nicht ambitioniert genug ist und die Tragödie um Michels älteren Bruder.

Michel versucht zwischen den verschiedenen Parteien zu vermitteln. Zwischen seinen Eltern, seinem Bruder Franck und dessen Verlobten und stürzt sich kopfüber in die Literatur, um den Schwierigkeiten der Gegenwart zu entfliehen. Er freundet sich mit den älteren Freunden seines Bruders an, hört deren Musik und hängt mit ihnen in den Cafés und Bars herum.

„Jetzt werden keine Rechnungen mehr beglichen. Es wird nicht Bilanz gezogen. Wir sind alle gleich, und wir haben alle unrecht.“

 

Das Buch fängt die Atmosphäre der Zeit gut ein, es wird viel politisiert, getrunken und die Figuren sind hervorragend gezeichnet. Ich kann daher keine wirkliche Erklärung dafür finden, warum das Buch mir dennoch nicht so gut gefallen hat, wie erwartet. Vielleicht hatte ich etwas mehr Philosophie erwartet? Ich habe selten das Bedürfnis, ein Buch mir selbst gegenüber zu verteidigen. Ich möchte es empfehlen, auch wenn ich selbst nicht komplett warm geworden bin mit diesem Buch.

Jean-Michel Guenassia „Der Club der unverbesserlichen Optimisten“ erschien im Insel Verlag.

Paris – Coup de Chapeau

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Mit dem TGV direkt von München nach Paris – bequemer und perfekter geht es gar nicht. Draußen zischt die Welt vorbei und drinnen bin ich in meiner Lese-Bubble und tauche ein in meinen Bücherkoffer. Ganz bin ich nicht durchgekommen, aber für einen Coup de Chapeau hat es immerhin gereicht.

Begonnen habe ich mit Roland Barthes „Der Eiffelturm“ – ein dünnes wunderschönes Bändchen, das einen perfekt einstimmt auf die Paris-Woche. In seinem Essay betrachtet Barthes liebevoll eines der beliebtesten Symbole der Welt. Er entdeckt den Eiffelturm für uns auf ganz neue Art, macht ihn sicht- und greifbar.

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Es macht Spaß, mit Barthes gemeinsam die Welt zu entdecken, macht mir mit diesem Essay Lust, noch mehr von der Welt durch seine Augen zu entdecken. Er schreibt charmant, bleibt zugänglich bei gleichbleibend hohem Niveau und hat Humor . Ich liebe Barthes‘ Exaktheit in der Betrachtung und seine Ästhetik.

Der Eiffelturm ist so sehr Sinnbild für Paris geworden, dass man sich partout nicht vorstellen kann, wie groß die Ablehnung war, als der Turm anlässlich der Weltausstellung 1887 gebaut wurde. Es gab unzählige Proteste, eine Gruppe Künstler entwarf gar einen Protestbrief der in der Zeitschrift „Le Temps“ veröffentlicht wurde und der die Welt vor der unfranzösischen „tragischen Straßenlaterne“ bewahren sollte:

„Wir, Schriftsteller, Maler, Bildhauer, Architekten und leidenschaftliche Liebhaber der bis jetzt noch intakten Schönheit von Paris, protestieren hiermit mit all unserer Kraft und aus all unserer Empörung, im Namen des falsch verstandenen französischen Geschmacks, im Namen der Kunst und der bedrohten französischen Geschichte, gegen die Errichtung des nutzlosen und monströsen Eiffelturms im Herzen unserer Hauptstadt, den die Bösartigkeit der Öffentlichkeit – die oft über gesunden Menschenverstand und Gerechtigkeitssinn verfügt –, bereits den ‚Turm zu Babel‘ nennt.“

Das zeigt einem noch einmal deutlich, wie sehr Menschen dazu neigen, alles Neue erst einmal abzulehnen, um es ein paar Jahre später ganz selbstverständlich zu nutzen und noch ein paar Jahre später verzweifelt darum zu kämpfen, wenn sie es bedroht sehen. Daher versuche ich stärker ein UND zu propagieren statt einem ODER. Taxis UND Uber, Hotels UND AirBnB, Bücher UND Kindle, Treppen UND Rolltreppen etc 😉

Es hätte die perfekte Länge gehabt, das Büchlein in der Schlange zum Aufgang des Eiffelturms zu lesen, aber ich bin so gar kein Schlangesteher. Möche gar nicht wissen, was mir im Leben alles schon entgangen ist, weil ich mich einfach nicht anstellen mag. Entweder ich schlupfe irgendwo durch wie bei der Sagrada Familia in Barcelona oder ich bleibe draußen. Schön blöd vielleicht, aber mei nen kleinen Schaden hat jeder. Deswegen fahre ich auch lieber Zug als zu fliegen, wann immer möglich. Das ständige überall dumm rumstehen macht mich kirre.

Wer aber gelegentlich nicht abgeneigt ist, in einer Schlange zu stehen, dieses Büchlein hat die perfekte Anstehlänge und ist sicherlich das beste und anspruchsvollste, womit man sich die Zeit vertreiben kann.

Hat Barthes vielleicht auch einen Essay über das Warten geschrieben ? Falls ja, dann bräuchte ich den wohl.

Eine sehr schöne Besprechung, die mich überhaupt erst  zum Kauf des Buches animierte findet ihr hier:
https://phileablog.wordpress.com/2016/02/21/roland-barthes-theorie-praxis/

Mit Djuna Barnes Biografie bin ich dann ins Paris der 20er Jahre durchgebrannt. Das ist die Zeit, die ich wohl wählen würde, sollte mich eine Zeitreisemaschine mal per Anhalter mitnehmen.

Djuna Barnes (1892 – 1992) war eine bekannte Persönlichkeit der Pariser Left Bank und in lesbischen Kreisen der Zwanziger und Dreißiger Jahre. Fields Autobiografie beschäftigt sich ausführlich mit Barnes Familienleben, ihrer Herkunft und es ist vielleicht auch notwendig, soviel über ihre Wurzeln zu erfahren, um die Schriftstellerin, Journalistin, Dichterin besser verstehen zu können.

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Foto: Rhys Tranter

Heute ist sie hauptsächlich für ihren Roman „Nightwood“ bekannt, den ich ehrlich gesagt nie fertig gelesen habe, da ich damals zumindest partout keinen Zugang zu dem Werk gefunden habe. Bei einem der vielen Umzüge ist mir „Nightwood“ leider abhanden gekommen, es wäre die passende Begleitlektüre gewesen. Trotz meiner Schwierigkeiten mit ihrem Werk (bei ihren Gedichten tue ich mich sichtlich leichter) übt Barnes auch heute noch eine ziemliche Faszination auf mich aus.

Die Biografie ist die faszinierende Dokumentation einer inspirierenden Persönlichkeit, die eine Vorreiterin des modernen Feminismus war in vielerlei Hinsicht. Die Frauen der Left Bank, zu denen auch Djuna Barnes gehörte, glaubten an ihr Recht auf kreative Selbstbestimmung und auf ihr Recht so zu leben, wie sie es für richtig hielten.

Besonders überrascht hat mich, dass Djuna Barnes nie irgendeine Form von formaler Schulbildung genossen hat, sondern komplett autodidaktisch unterwegs war. Ich sags ja, lieber literarische und oder Science-Salons statt universitäre Massenabfertigung 😉

Wer speziell an Djuna Barnes interessiert ist, dem kann ich Andrew Fields‘ Biografie empfehlen, wobei ich ihn stellenweise dröge fand. Zugänglicher und spannender geschrieben fand ich Andrea Weiss‘ Buch „Paris was a Woman„, das ich vor einigen Jahren gelesen habe.

Meine dritte und letzte Paris Lektüre war „Never any End to Paris“ von Enrique Vila-Matas, das Buch mit einem der schönsten Cover überhaupt. Wer in Paris den Buchladen „Shakespeare & Co.“ besucht, kann innerhalb von Minuten sein erstes Kreuzchen auf seiner Bookshop-Bingo-Karte machen, denn länger als vielleicht 5-7 Minuten dauert es nicht, bis der erste nach einer Ausgabe von Hemingways „A moveable Feast“ fragt. Da ich mich nicht auf andere verlassen wollte und das Kärtchen ja unbedingt voll werden muss, habe ich das gleich selbst in die Hand genommen und mir ebenfalls Lemming-mässig mein Exemplar gekauft 😉

Der Protagonist das Alter Ego des Autors gibt sich mit solchen Devotionalien allerdings nicht zufrieden, er steigert sich ziemlich hinein in seinen Glauben, ein absoluter Doppelgänger Hemingways zu sein und reflektiert über die Parallelen seiner und Hemingsways Zeit in Paris als jeweils junger Schriftsteller.

Was für Hemingway Gertrud Stein war, war für Vila-Matas Margarete Dumas. „Never any End to Paris“ ist weniger durchgehender Roman, eher eine Aneinanderreihung von Erinnerungen auf verschiedenen Ebenen. Das Buch hat fast durchgehend gute Kritiken bekommen, mich hat es zwischendrin immer mal wieder verloren und ein Vila-Matas Fan bin ich nicht geworden. Ich bleibe beim Original und freue mich auf das Wiederlesen von „A moveable Feast“.

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Ich könnte direkt schon wieder losfahren, gibt noch soviel zu entdecken in Paris und der Koffer war ja auch noch nicht fertiggelesen 😉

Roland Barthes „Der Eiffelturm“ erschienen im Suhrkamp Verlag
Andrew Field „Djuna Barnes“ erschienen in der Frankfurter Verlagsanstalt
Enrique Vila-Matas „Paris hat kein Ende“ erschienen im Nagel + Kimche Verlag

The Red Notebook -Antoine Laurain

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Ich glaube, es war während unserer Bookclub Diskussion des Buches, das jemand meinte, das Büchlein erinnert ein wenig an diese niedlichen französischen Macarons. Klein, bunt, zuckersüß und schon kurz nach dem man sie verputzt hat, kann man sich schon kaum noch an sie erinnern. So ging es uns mehrheitlich mit diesem französischen Handtaschen-Macaron auch. Ich rezensiere hier alle Bücher die ich lese, daher keine Ausnahmen.

Der gutaussehende Pariser Buchhändler Laurent stolpert auf dem Weg zur Arbeit eines Morgens über eine Handtasche, die einsam am Straßenrand sitzt. Er ist sich sicher, es handelt sich um eine gestohlene Tasche, nimmt sie mit und durchlebt peinlichste Höllenqualen beim Tragen einer Damenhandtasche. Er ist fest entschlossen, Tasche und Besitzerin miteinander zu vereinen und räumt zu diesem Zweck die Tasche aus, untersucht jeden Gegenstand, findet aber keinerlei Hinweis auf einen Namen oder eine Adresse. Doch allein die Vielzahl (!) an Gegenständen macht ihm schnell klar, es scheint sich um seine Seelenverwandte zu handeln und die Suche nach dieser wird zu seinem Lebensmittelpunkt.

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Wird er die Unbekannte finden und sie gar in echt so hinreißend finden, wie in seiner Phantasie? Das Buch liest sich wie ein Script zu einer französischen Rom-Com und wir sind in Gedanken schon mögliche Besetzungen durchgegangen. Die Dame aus Amélie wäre natürlich überaus passend als Laure, Hugh Grant wurde in den Raum geworfen als Laurent, oder auch Mr. Darcy aus Bridget Jones, ein gallischer Kandidat wollte uns partout nicht einfallen.

Von der Geschichte inspiriert haben wir dann alle mal geschaut, was wir so in den Taschen haben und ob es ähnlich aufregend ist, wie Laures Tascheninhalt und dazu führt, dass irgendjemand uns UNBEDINGT wiederfinden will, aber es sah nicht soooo gut aus. USB-Sticks mit Flaschenöffner und ein Zeckenkamm waren die spannensten Dinge. Ich sehe ja schwarz, dass für uns jemand die Klamotten aus der Reinigung holt und die halbe Stadt unsicher macht. Wir überlegen aber momentan, ob wir nicht ggf. einfach eine sehr spannende Sache in unsere Tasche legen, so für alle Fälle.

Bei seiner Suche trifft Laurent auch auf Patrick Modiano, das hat uns immerhin einen tollen Schriftsteller in Erinnerung gerufen, den wir bisher noch nicht gelesen haben.

Ich bin jetzt nicht so der Rom-Com Typ, daher hat es nicht ganz meinen Geschmack getroffen, aber sicher gibt es da draußen den einen oder anderen, der damit sehr glücklich werden würde. Daher verlose ich das Buch unter allen, die mir hier oder auf Facebook in den Kommentaren für meine Paris-Reise im März einen Tipp geben, was ich keinesfalls verpassen sollte. Ich reise im Übrigen ohne Handtasche, aber immer mit Notizbuch 😉

Ausgelost wird am nächsten Donnerstag, 03.03. Bonne chance …

Das Buch ist auf deutsch unter dem Titel „Liebe mit zwei Unbekannten“ im Knaur Verlag erschienen.

Thérèse Raquin – Emile Zola

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Ja mei so kanns gehen, wenn man als arme abgeschobene Verwandte mit dem schwächlichen, ewig kränkelnden, reichlich asexuellen Cousin verheirat wird. Der erste dahergelaufene glück- und ambitionslose Typ wird zum Inbegriff der Männlichkeit und Thérèse beginnt eine animalistisch-heiße Affäre mit ihm. Nur durch diese Affäre scheint sie die immer gleichen trüben Tage im düsteren Kurzwarenladen in Gesellschaft ihrer langweiligen Tante und die Nächte mit dem dauerhustenden Camille zu überstehen.

Nur kann so eine Affäre natürlich nicht ewig andauern, ohne dass irgendwann der Wunsch entsteht, der unerträglichen Langeweile zu entkommen und die sexuellen Erfüllungen zum Dauerzustand werden zu lassen. Die beiden Lover Thérèse und  Laurent fangen dann irgendwann an mit den Gedankenspielen, was wäre wenn? Wäre es nicht wundervoll, Camille hätte einen Unfall ? Und wenn das Schicksal da so unwillig ist zu helfen, könnte man ja vielleicht selbst diesem Unfall etwas nachhelfen ….

Und dann ist es tatsächlich geschehen. Ein Ausflug zu dritt am Wochenende, eine kleine Bootspartie und schwups ist er weg, der Camille. Wer jetzt glaubt, Zola hätte seinen Protagonisten auch nur einen Hauch an Hoffnung und Happy End zugestanden, kann gleich wieder heimgehen. Nope. In seinem, wie er selbst im Vorwort sagt, psychologischen Experiment mit zwei animalischen Charakteren steht jahrelange psychische Qual, Depressionen und Unglück auf dem Programm. Keine einzige glückliche Minute ist den beiden schuldigen Liebhabern jemals wieder vergönnt, bis sie am Ende der inzwischen gelähmten Mutter alles gestehen und sich gemeinsam vor deren Augen mit einem Giftbecher aus dem Leben verabschieden.

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Wer glaubt Dostojewski geht mit seinen Protagonisten brutal um, dem zeigt Zola hier, das auch er alles andere als ein Weichei ist. Unsere Diskussion im Bookclub war entsprechend anregend.

Ein drittel des Buches beschäftigt sich mit dem psychischen und moralischen Verfall der beiden Protagonisten. Es sind nicht wirkliche Schuldgefühle, die Camille und Thérèse zeigen. Sie leiden heftigst an ihren vom Unterbewusstsein verursachten Ängsten und Wahnbildern. Zola selbst war Atheist und hat sicherlich bewusst der Religiösität in diesem Roman keinen Raum gegeben. Moral benötigt keine Religion.

Zola hat seiner Zeit entsprechend einen sehr mechanischen Blick auf die Welt. Die Welt als Labor. Man nehme zwei animalische Charaktere, packe sie in folgende Situation und heraus kommt unweigerlich x. Thérèse und Camille nehmen eine sehr statische Entwicklung. Die menschliche Natur wird rein wissenschaftlich betrachtet. Der Autor als Wissenschaftlicher, getrennt durch Laborwände von seinen Protagonisten. Da gönnt Zola Thérèse und Laurent keinerlei Tage der Euphorie, in dem sie ihr gemeinsames Glück kurz geniessen, dann gefolgt von Tagen voller Angst und Düsternis. Nein, einfach kontiniuerlich mechanisch. Mord, daraufhin Angst und Depression, daraufhin Geständnis und Selbstmord. Fertig. Experiment abgeschlossen.

Zolas Roman zeigt deutlich, wessen Zeites Kind er war 😉 Dieser unerschütterliche Glaube an die Wissenschaft, die Empirie, die gerade aufkommende Psychologie faszinieren mich immer wieder. Auch wenn gerade psychologische Interpretationen schneller altern als der Zeitgeist es erlaubt, die Diskussion war spannend, ein Roman den ich jedem Bookclub und natürlich auch jeder Einzelperson nur ans Herz legen kann.

Durch die traditionelle Erzählweise sehr zugänglich mit einer Handlung, die sich chronologisch und stringent entwickelt. Keine schwierige literarische Kost, aber wer Hoffnung sucht, der wird sie finden, nur eben nicht in diesem Roman. Ich hätte mir mehr Facetten bei der psychologischen Betrachtung der Charaktere gewünscht und etwas mehr Ambivalenz, aber so war sie eben nicht die Zeit des Herrn Zola.

Emile Zola gilt als Begründer des Naturalismus. Daneben war er Publizist und Journalist. In der „Dreyfus-Affäre“ schrieb er den berühmten offenen Brief an den französischen Staatspräsidenten „J’accuse„, in dem er den zu Unrecht des Staatsverrates angeklagten jüdischen Hauptmann Alfred Dreyfus verteidigt. Zola musste für ein Jahr nach London ins Exil und sein Name ist ab dann unauflöslich mit der Dreyfus-Affäre verbunden.

Thérèse Raquin ist 2013 unter dem Namen „In Secret“ unter der Regie von Charlie Stratton verfilmt worden. Er hat gemischte Rezensionen bekommen, ich fand ihn recht dicht am Buch und er hat mir ganz gut gefallen. Damit ihr Euch nicht auch wie ich die erste halbe Stunde des Films kontinuierlich den Kopf zerbrecht, woher zur Hölle ihr Camille kennt, verrate ich es euch vorab 😉 Tom Felton ist Draco Malfoy in den Harry Potter Verfilmungen.

Hier der Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=L58WBZDHP1s

The Paris Wife – Paula McLain

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Unsere Juni Bookclub Lektüre beamt uns ins Paris der frühen 20 Jahre und beleuchtet die Zeit, die Hemingway in „A moveable Feast“ beschrieben hat, hier aus der weiblichen Perspektive seiner ersten Frau Hedley. Der blutjunge, gerade von seinen Verletzungen aus dem 1. Weltkrieg genesene Hemingway trifft in St. Louis die ein paar Jahre ältere, schüchterne Hadley Richardson.

Nach einer kurzen aber intensiven Werbe- und Balzphase heiraten die beiden und segeln schon kurze Zeit später nach Paris, wo sie nach anfänglichen Schwierigkeiten mitten ins dekadent lebendige Jazz Paris der explosiv sprunghaften trinkfesten „Lost Generation“ rund um Gertrude Stein, Alice Toklas, Ezra Pound, Scott und Zelda Fitzgerald und anderen geraten.

Die Hemingways scheinen lange die sesshaftesten und „normalsten“ zwischen all den wunderschönen Menschen, konkurrierenden Egos und leidenschaftlich Liebenden in ihrem Künstler-Freundeskreis zu sein.

McLain erzählt die bekannte Geschichte des sich quälenden unbekannten Künstlers, der eine ihn umsorgende, sich aufopfernde, ebenfalls unbekannte Frau heiratet und diese verlässt, als irgendwann aus dem unbekannten Künstler ein bekannter wird und sie nicht mehr interessant genug ist.

Auch wenn das nach Herzschmerz und Liebesschmonzette klingt und das Cover des Buches auch gefährlich danach aussieht, McLain schafft es mit ihrer ausgesprochen schönen Sprache, ein sich verfestigendes Bild zu zeichnen einer Beziehung, die nicht andauern konnte und gerade diesen Untergang der Beziehung beschreibt sie schneidend aber doch zärtlich, mit all seinen unschönen und schwierigen Phasen stets auf der Suche nach der absoluten Wahrheit.

Mir hat besonders gefallen, dass das hier eben keine Hemingway Biografie ist, sondern es sich um Hadley’s Geschichte handelt. Man spürt die tiefe Traurigkeit und auch ihre Hilflosigkeit.

“It gave me a sharp kind of sadness to think that no matter how much I loved him and tried to put him back together again, he might stay broken forever.”

Hemingway war schon bei seiner ersten Frau, wie auch bei allen anderen, stets auf der Suche nach einer vertrauensvollen Stütze, einem Menschen, der ihm die Kraft gibt, sich voll und ganz auf die Literatur zu stürzen. Als Hadley sein bis dahin komplettes literarisches Werk auf einer Zugfahrt verliert, beginnen sich für ihn erste Risse in seinem Vertrauen ihr gegenüber zu zeigen. Er brauchte uneingeschränkte Aufmerksamkeit und vollstes Vertrauen, beim geringsten Zweifel begann er sich nach der nächsten Frau umzuschauen, die ihm das bieten konnte und wollte.

“Sometimes I wish we could rub out all of our mistakes and start fresh, from the beginning,‘ I said. ‚And sometimes I think there isn’t anything to us but our mistakes.”

Hier ein Audio Clip in dem Hadley selbst über die verlorenen Manuskripte spricht:

Ich glaube, dass das einfach der Preis war, den Hemingway bereit war für seinen schriftstellerischen Erfolg zu zahlen und hat dafür die Frauen geopfert, wenn sie ihn nicht mehr unterstützen konnten oder wollten. Ich glaube nicht, dass er das böswillig getan hat, er war großzügig, insbesondere auch Hadley gegenüber, die sich nach der Scheidung nie mehr wiedergesehen haben, aber zumindest telefonisch in Kontakt blieben.

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Hemingway hat letzendlich einen hohen Preis gezahlt für seinen Erfolg, unglückliche Beziehungen, Süchte, Selbstmorde findet man ohne Ende in seiner Familie. Wer Hemingway und das Paris der 20er Jahre etwas besser verstehen will, dem kann ich „The Paris Wife“ nur empfehlen.

“He was such an enigma, really – fierce and strong and weak and cruel. An incomparable friend and a son of a bitch. In the end, there wasn’t one thing about him that was truer than the rest. It was all true.”

“Not everyone out in a storm wants to be saved”

Habe das Buch vor ein paar Jahren bereits als Hörbuch auf unserem Rucksack-Trip durch Laos gehört, Carrington MacDuffie war großartig und es war ein seltsames, aber spanenndes Gefühl gleichzeitig in Paris und in Luang Prabang zu sein.

Noch mehr 20er Jahre Feeling beschert im Übrigen Woody Allen’s „Midnight in Paris“, den man sich begleitend zum Buch unbedingt anschauen sollte.

Das Buch erschien auf deutsch unter dem Titel „Madame Hemingway“ im Aufbau Verlag.

Fiesta – Ernest Hemingway

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„Fiesta“ war mein Zusatz-Leseprojekt für den Bookclub, in dem wir im Juni „The Paris Wife“ diskutiert haben. „Reading another Hemingway for some extra points“ – da kann man doch nicht nein sagen. Es ist immer spannend, ein Buch nach vielen Jahren wiederzulesen. Ich konnte mich an wenig erinnern, außer das die Handlung zwischen Paris und Pamplona wechselt, viel getrunken wird und es unter anderem um Stierkämpfe geht. Und ich mochte es damals, trotz der Stierkämpfe. Ich war gespannt, wie gut „Fiesta“ ein Wiederlesen bekommen würde.

“I can’t stand it to think my life is going so fast and I’m not really living it.”

“Don’t you ever get the feeling that all your life is going by and you’re not taking advantage of it? Do you realize you’ve lived nearly half the time you have to live already?”

“Nobody ever lives their life all the way up except bullfighters.”

Die Schriftsteller der sogenannten „Lost Generation“ wurden vom ersten Weltkrieg vollkommen überrascht und in jeder Hinsicht durch ihn geprägt. Die Industrialisierung hat den Krieg in eine Menschen-Vernichtungsmaschine bis dahin unbekannten Ausmasses verwandelt, die die Menschheit für immer verändern sollte. In „Fiesta“ treffen wir Mitglieder dieser Lost Generation, die allesamt psychisch und/oder physisch vom Krieg gezeichnet sind.

“It is awfully easy to be hard-boiled about everything in the daytime, but at night it is another thing.”

Im Zentrum der Handlung steht Lady Brett Ashley, eine Bitch vor dem Herrn. Sie ist extravagant, extrovertiert, hat eine Affäre nach der nächsten und liebt doch eigentlich nur Jack, der im Krieg verletzt wurde und daraufhin – was ich erst reichlich spät begriffen habe – impotent ist. Ich glaube nicht, dass Lady Brett absichtlich die Menschen in ihrem Umfeld verletzt, sie ist destruktiv, hat ihre wahre große Liebe im Krieg verloren und unglücklich in den armen Jake Barnes verliebt. Tragik wohin man blickt. Die Leere in ihrem Leben versucht sie mit Alkohol und Sex zu füllen und zerstört sich dabei nicht nur selbst.

“You ought to dream. All our biggest businessmen have been dreamers.”

In den ersten Kapiteln in Paris erscheinen und verschwinden die Charaktere mit einer derartigen Geschwindigkeit, das es mir teilweise etwas schwindelig wurde und ich nie sicher war, ob die jeweilige Person nochmal auftaucht, für den Fortlauf der Geschichte noch bedeutsam wird oder nicht, aber im sonnigen, heißen Pamplona legte sich die Hektik. Dort wird ausgiebig gegessen, getrunken, die Stierkämpfe besucht, gestritten und geliebt.

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In Pamplona beginnt Lady Brett nach einer kurzen Affäre mit Robert Cohn, einem amerikanischen Juden,  eine Liason mit Petro Romero, einem jungen Stierkämpfer, und dem Star der Fiesta. Lady Brett hat alle Hände voll zu tun, sowohl ihren Verlobten, als auch ihre große Liebe Jack und den noch immer um sie kämpfenden Robert Cohn im Zaum zu halten. Sie bricht Herzen  im Sekundentakt und ist doch eigentlich nur auf der Suche nach sich selbst.

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Wer aber tatsächlich richtig leidet unter allem ist Jake. Er schmachtet Brett an und kann sie doch nicht besitzen, ist todeseifersüchtig auf Cohn, dafür das er das haben konnte, was ihm versagt bleibt und beginnt doch zu realisieren, dass er selbst ohne Impotenz-Problem auch nur ein weiterer x-beliebiger Liebhaber Bretts sein würde. Der längerfristige Erfolg seiner Beziehung zu Brett ist gerade seine Impotenz, denn alle Männer, die sie in ihr Bett lockt, verlieren daraufhin ihre Männlichkeit, eine der wenigen Sachen, die er nicht mehr verlieren kann.

Ich glaube nicht, dass Hemingway wirklich an die Liebe geglaubt hat und vielleicht wären seine Bücher dann auch weitaus weniger interessant. Ich mag seine Sprache, die Bilder die beim Lesen in meinem Kopf entstehen. Ich glaube ich habe aber auch einfach eine Schwäche für Autoren, die wunderschön über den Regen schreiben können. Und das kann er.

“And you’ll always love me won’t you?
Yes
And the rain won’t make any difference?
No”

N_gh

Das Buch ist auf deutsch unter dem gleichen Titel im Rowohlt Verlag erschienen.