Women in Science (14) Hannah Arendt

Heute möchte ich in den Women in Science eine Geisteswissenschaftlerin vorstellen, die keiner Vorstellung bedarf. Die von mir sehr verehrte Philosophin Hannah Arendt, die sich selber allerdings nie so bezeichnete, sondern eher als politische Theoretikerin und Publizistin.

Schon Kierkegaard war ja der Meinung, dass eines der lächerlichsten Dinge am modernen Leben die Tatsache sei, dass der Mensch keine Zeit mehr habe zu reflektieren – das schein im 19. Jahrhundert also nicht großartig anders gewesen zu sein als heute. Cocktail Bars sind aber auf jeden Fall ein Ort, an dem man sich die Zeit und den Raum nehmen kann und nehmen sollte, nachzudenken und über den Lauf des Lebens zu reflektieren.

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Philosophie und Cocktails haben eine lange und intime Geschichte, über die wir jetzt gerne noch deutlich mehr schreiben würde, das Problem ist, Hannah Arendt, über die wir heute Abend schreiben und der unser heutiger Cocktail gewidmet ist, partout keine Philosophin sein wollte.

Sie gilt als eine der einflussreichsten politischen Philosophinnen des 20. Jahrhunderts, auch wenn sie diesen Titel für sich selbst stets ablehnte. Ich habe mich ewig darüber gewundert, überlegt ob es in einer falschen Bescheidenheit begründet liegt, bis Thomas Meyer, Dozent für Philosophie an der LMU München, bei einer Veranstaltung im Literaturhaus München meinte, seiner Einschätzung nach habe sich Arendt mit dieser Äußerung einfach von der Philosophie distanzieren wollen, die sie bis zu einem gewissen Grad für die Gräueltaten des Holocaust und des Nationalsozialismus mit verantwortlich machte. Eine für mich neue, aber durchaus einleuchtende Theorie.

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Sie wirft der Philosophie vor, feindselig auf die Politik zu blicken und mit Blick auf die Gräueltaten des Holocaust und des Nationalsozialismus versagt zu haben. Sie kritisiert die künstliche Trennung zwischen praktischer und theoretischer Philosophie. Die politische Theorie stellte für sie eine mögliche Alternative zur Philosophie dar.

Der Text „Die Freiheit, frei zu sein“, der letztes Jahr wiederentdeckt wurde, ist erstaunliches Bestsellerlisten-Material. Er ist alles andere als zugänglich, es scheint, als wolle die Bevölkerung sagen „traut uns sowas Schwieriges zu“, „wir wollen nicht nur Leichtverdauliches“. Die Menschen wollen nicht mehr unterfordert werden und wehren sich gegen die sprachliche und intellektuelle Verwahrlosung unserer Zeit. Wollen einer konservativen Revolution etwas entgegensetzen, die allen voran ausgerufen wird von einem Typen, der das Wort „Freiheit“ nicht einmal buchstabieren kann.

Der Text ist das Transkript einer Rede, dass sie vor einem konservativen Think Tank in Chicago hielt, für die alles Denken und alle Philosophie nach Plato eigentlich nur noch eine Fußnote darstellte.

Gerade diesem steifen Publikum kommt Arendt – vermutlich charmant wie immer – gleich mit der Revolution ins Haus.

„Mein Thema heute ist, so fürchte ich, fast schon beschämend aktuell. Revolutionen sind inzwischen alltägliche Ereignisse, denn mit der Beendigung des Imperialismus haben sich viele Völker erhoben, um „unter den Mächtigen der Erde den selbständigen und gleichen Rang einzunehmen, zu dem die Gesetze der Natur und ihres Schöpfers es berechtigen.“

Revolutionen werden für die Freiheit gemacht. Aber Freiheit von was? In der Regel folgen auf Befreiungen erst einmal Terror und die wichtigste Frage ist nicht so sehr wie erlange ich Freiheit, sondern wie bewahre ich die Freiheit? Freiheit darf für Hannah Arendt nicht in der Passivität bleiben (noch einmal ein Wink mit dem Zaunpfahl nach Freiburg) Freiheit muss rückverankert in die Gesellschaft sein, es muss das Ziel jedes Einzelnen sein, Freiheitsräume zu schützen, denn Freiheit geht jeden an.

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Hannah Arendt hat mit diesem gut fünfzig Jahre alten Text ein Gegengift in die Welt gesetzt, dass uns hilft darüber nachzudenken, was in unserer Zeit und in unserer Gesellschaft erhaltenswert ist.

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Es lebe die Freiheit und Hannah Arendt 😉

Wer noch mehr möchte – hier der link zu ihrem unvergesslichen Interview mit Günter Gaus:

Hirngymnastik Stoizismus

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“The aim of life is self-development. To realize one’s nature perfectly—that is what each of us is here for.”
Oscar Wilde

Die Hirngymnastik beschäftigt sich dieses Mal mit dem Stoizismus, einer Schule der Philosophie, die von Zenon von Kition etwa 301 vuZ gegründet wurde. Der Name Stoa geht auf eine Säulenhalle (Stoa) auf dem Marktplatz in Athen zurück, auf der Zenon seine Lehrtätigkeit aufnahm. Die frühen Stoiker wurden durch frühere philosophische Schulen und Denker beeinflusst, insbesondere durch Socrates, die Kyniker aber auch die Anhänger Platons und die Sophisten.

Die Stoiker waren vielleicht die eigentlichen Erfinder der Selbsthilfe-Bewegung. Neben der theoretischen Wissensvertiefung ging es ganz stark immer wieder um die Frage: „Wie lebe ich ein ethisch-moralisches gutes Leben?“. Es ist eine Gedankenschule, die immer auch das Gemeinwohl im Sinn hat, aber deutlich stärker auf das Individuum und dessen Weiterentwicklung ausgerichtet ist.

Der Stoizismus erreichte in seiner zweiten Periode (auch unter dem Begriff mittlere Stoa bekannt) das römische Reich. Cicero war einer der ersten, der sich mit dieser Philosophierichtung beschäftigte, ohne selbst ein Stoiker zu sein. In der dritten und letzten Phase verbreitete sich der Stoizismus weit im Römischen Reich und einige der bekanntesten und wichtigsten Schriftstücke des Stoizismus stammen aus dieser Zeit. Wichtige Stoiker waren Marcus Aurelius, Seneca, Epictetus sowie Gaius Rufus.

Als das Christentum die offizielle Religion des römischen Reiches wurde, begann der Stoizismus an Bedeutung zu verlieren, gemeinsam mit einigen anderen Gedankenschulen. Ihre Grundideen überlebten aber und beeinflussten viele historische Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Boethius, Thomas von Aquin, Erasmus, Montaigne, Descartes oder Spinoza. Auch die modernen Existentialisten wurden durch den Stoizismus beeinflusst. Es ist eine Philosophie, die aktuell eine Art Wiedergeburt erlebt und von modernen Methoden in der Logotherapie, der kognitiven Verhaltenstherapie beeinflusst wird und Überschneidungen mit dem Zen Buddhismus und dem Humanismus aufweist.

Für die Stoiker war die praktische Ethik der wichtigste Teil ihrer Philosophie: wie kann man sein Leben auf die bestmögliche Art leben? Gleichzeitig waren sie sich bewusst darüber wie schwer es ist, realistische und praktikable ethische Grundsätze für sich zu entwickeln, ohne zu verstehen wie die Welt funktioniert und die eigenen Grenzen und die Grenzen des menschlichen Verstandes zu akzeptieren.

Der Stoizismus beschäftigte sich daher mit drei Studienfeldern. Der Ethik, der Physik und der Logik. Unter Physik verstanden die Stoiker aber eher das, was wir heutzutage Naturwissenschaft und Metaphysik nennen würden. Natürlich sind viele der ursprünglichen stoischen Lehren durch die moderne Naturwissenschaft überholt worden. Das hätten die Stoiker der Antike allerdings auch erwartet, denn sie waren sich stets der Grenzen ihres Wissens bewusst und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen gegenüber stets aufgeschlossen.

Eine der wichtigen Grundideen des Stoizismus leitet sich aus dem Studium der Metaphysik und Naturwissenschaften ab – das Verständnis, dass wir der Natur entsprechend leben sollten. Ein „gutes Leben“ (eudaimonia) beinhaltet das Kultivieren seiner eigenen moralischen Werte um ein guter Mensch zu werden. Die vier Kardinalstugenden der Stoiker sind: Weisheit (sophia), Mut (andreia), Gerechtigkeit (dikaiosyne) und Gelassenheit (sophroysne).

Einem bedeutenden Vertreter des Stoizismus widmet sich das folgende Buch:

James Romm: „Seneca und der Tyrann“ – Die Kunst des Mordens ans Neros Hof

Es ist jetzt nicht so, als habe ich noch nie etwas mit Römischer Geschichte am Hut gehabt und natürlich habe ich von den dekadenten und intriganten Römern gehört, wie heftig es dort allerdings zuging, war mir irgendwie doch nicht klar. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das jemals sagen würde, aber gelegentlich kam mir Trump schon fast wie ein Waisenknabe vor im Gegensatz zu Caligula, Nero und Co. Im alten Rom wurde nicht nur tagtäglich gelogen und betrogen, da wurde auch gemordet als gäbe es kein Morden. Vater, Mutter, Kind, jeder gegen jeden – da konnte auch der Stoizismus eines Seneca nicht mehr viel ausrichten und auch er war diesbezüglich kein Kind von Traurigkeit, wie uns James Romm Buch zeigt.

Man kann Seneca als Mann der Widersprüche bezeichnen, aber das wäre schon reichlich freundlich. Er wollte einfach immer alles gleichzeitig sein und leben: Die asketischen Werte der Stoiker, ohne aber auf das luxuriöse Leben eines römischen Multimillionärs zu verzichten. In seinen Essays schreibt er wieder und wieder über die heroische Freiheit, die der Selbstmord mit sich bringt, während er selbst als Politiker an Neros Hof und dessen persönlichem Philosoph Ermordungen dulden musste, die fast schon an der Tagesordnung waren, inklusive der Ermordung von Neros Mutter, einer einstigen Gönnerin Senecas.

„Von all den fesselnden, aber zugleich wenig schlüssigen Indizien für Senecas Seelenzustand ist dies sicherlich das fesselndste und zugleich auch das uneindeutigste. Wir entnehmen es einer Erzählung, die ein Mann mehrere Jahrzehnte nach dem Geschehen hörte und aufschrieb, ohne seiner Sache selbst sicher zu sein. Tacitus war freilich nicht bereit, diese Fußnote der Geschichte zu verwerfen, ebenso wenig, wie viele moderne Historiker dies tun wollen. Immerhin beschwört sie die fast unheimliche Vorstellung herauf, Seneca könnte sich trotz seines Zurückschreckens vor einer aktiven Teilnahme Hoffnungen gemacht haben, am Ende als neuer Princeps dazustehen – als erster gekrönter Philosoph der westlichen Welt.“

Ein antiker Historiker gibt Seneca gar die Schuld, aus Habgier heraus die Rebellion von Boudicca, der Krieger-Königin im antiken England, verschuldet zu haben, die mit 80.000 getöteten römischen Soldaten und mindestens ebenso vielen britischen Kriegern endete. Seneca watete quasi in Blut und konnte sich am Ende dann doch nicht zu Tode bluten. In seinem verzweifelten zweiten Selbstmordversuch versuchte er dann, den großen Socrates zu imitieren und einen Schierlingsbecher zu trinken, aber auch das brachte noch immer nicht das gewünschte Ergebnis, am Ende musste er sich zu Tode baden. Immer noch eine der abgefahrensten Todesursachen von denen ich bislang so hörte.

Frauen hatten nicht viel zu sagen. Weder in philosophischen Kreisen noch am römischen Hof. Sie waren dynastische Geburtsmaschinen, die nach man nach Belieben heiraten, betrügen, sich von ihnen scheiden lassen oder im schlimmsten Fall ermorden konnte. Nero machte nicht einmal vor seiner eigenen Mutter Agrippina halt, eine Frau die strategisch an Neros Machtübernahme mitwirkte und sicherlich auch kein Wässerchen trüben konnte.

Eine besondere Rolle spielte eine Konkubine und ehemalige Sklavin namens Epicharis:

„Das weit und breit einzige Exempel moralischer Festigkeit lieferte die Freigelassene Epicharis, die sich weigerte, Namen von Mitverschörern zu nennen. Die junge Frau, die Lukans Haushalt angehörte und das Komplott mit Feuereifer unterstützt hatte, befand sich noch in Haft, nachdem sie ihren Versuch, in Misenum Proculus für die Verschwörung zu gewinnen, abgestritten hatte. Nero befahl nun, die Frau zu foltern – mit rotglühenden Eisenplatten und auf der Streckbank. Er glaubte, den Widerstand einer Frau auf diese Weise brechen zu können. Epicharis ertrug indes die Qualen für viele Stunden stillschweigend. Ihr Körper war danach so übel zugerichet, dass sie am nächsten Tag auf einem Sessel in die Folterkammer getragen werden musste. Dennoch brachte sie es, in dem verriegelten Raum sich selbst überlassen, fertig, ihr Busenband zu lösen, es zu einer Schlinge zu knoten und sich an einer der Stützen, die den Baldachin des Sessels trugen, zu erhängen.“

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Romm schreibt wunderbar anschaulich und lebendig. Man taucht völlig ab in die römische Welt und leidet mit der armen Octavia, dem Britannicus oder den anderen unschuldigen Leuten, die sich häufig nichts weiter haben zu Schulden kommen lassen, als irgendwie doof – sprich gefährlich – in der Erblinie zu sitzen und daher aus dem Weg geräumt zu werden. Es ist üblich, im alten Rom die Leute zum Selbstmord aufzufordern. Das hat den Vorteil, dass es keinen Mörder gibt und der sich selbst Tötende die Hälfte seines Vermögens behalten kann und seine Familie in Sicherheit weiß.

„Unglaublich ist, was ich ertrug, als ich mich selbst nicht ertragen konnte“, schreibt er in für ihn typischer Zuspitzung. Dann ließ er seine Gedanken auf ihren gewohnten Wegen wandeln, hin zur Suche nach einem tugendhaften Leben, einem gewissenhaften Leben, Unpässlichkeiten verderben, so sinniert Seneca, den Leib auf dieselbe Weise, wie Laster und Dummheit die Seele verderben. Der Leidende weiß vielleicht nicht einmal, dass er leidet, so wie ein Mensch im Tiefschlaf nicht weiß, dass er schläft. Nur die Philosophie kann die Seele eines Menschen aus einem solchen Koma wecken. Die Philosophie, Lucilius, ist das, was du mit deinem ganzen Sein und Wesen betreiben musst. Lass alles sein außer der Philosophie, so wie du alle deine Angelegenheiten schleifen lassen würdest, wenn dich eine schwere Krankheit befiele“

Seneca selbst bleibt schwer zu fassen, Romm interpretiert dessen Gedanken und Emotionen aus Mangel an echten Quellen und vieles bleibt einfach unklar. Er ist eine interessante, vielschichtige Persönlichkeit der sich seiner Schwächen bewusst zu sein scheint. Es ist tragisch, wie Seneca am Ende dem apokalyptischen Leben am Hof nicht entkommen kann und er qualvoll auf sein tragisches Ende wartet. Ein großartiges Buch, das wich nur schwer aus der Hand legen konnte. Unbedingte Empfehlung.

Ich danke dem Beck-Verlag für das Rezensionsexemplar.

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Im Rahmen dieser Hirngymnastik habe ich mich noch mit folgenden Werken großer Stoiker beschäftigt:

Meditations“ von Marcus Aurelius

Dieses ursprünglich auf griechisch verfasste Werk war nie für eine Veröffentlichung geplant. Die Tagebucheinträge des einzigen römischen Kaisers, der gleichzeitig auch Philosoph war, Marcus Aurelis (121-180 vuZ), vereinen eine Reihe spannender mentaler Denkübungen, Einsichten und Reflektionen. Marcus Aurelius arbeitet an sich, reflektiert, meditiert, denkt und versucht, sich und das Universum um sich herum zu verstehen. Die Einträge zeugen von seinen Zweifeln, seinen Ängsten aber auch seinen leidenschaftlichen und glücklichen Momenten. Er beschäftigt sich mit Ethik und Werten, menschlicher Rationalität, göttlicher Vorsehung und seinen eigenen Emotionen.

“The happiness of your life depends upon the quality of your thoughts.” 

“Dwell on the beauty of life. Watch the stars, and see yourself running with them.” 

“Waste no more time arguing about what a good man should be. Be one.”

“When you arise in the morning think of what a privilege it is to be alive, to think, to enjoy, to love …” 

Marcus Aurelius Tagebucheinträge haben sich zu einem der größten Werke der Philosophie entwickelt, die bis heute von Lesern, Denkern, Politikern gelesen, hinterfragt, bewundert und konsultiert werden. Ein Buch, das man wunderbar neben dem Bett liegen haben kann, morgens einfach aufschlagen einen kurzen Abschnitt lesen und man hat den ganzen Tag etwas, worüber man nachdenken kann. Perfekt.

“Das Buch vom geglückten Leben“ – Epiktet

Dieses Büchlein des Epictetus ist quasi ein stoisches Handbuch für ein moralisch-ethisches Leben. Zusammengestellt von einem seiner Schüler ist es ein zeitloses kleines Juwel mit Aphorismen und Gedanken, die einen guten Einblick in die Gedankenwelt der Stoiker bieten.

„Man darf das Schiff nicht an einen einzigen Anker und das Leben nicht an eine einzige Hoffnung binden.“

„Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Meinungen von den Dingen.“

 

“Von der Gelassenheit” – Seneca

Hier kommt Seneca selber noch einmal mit bedeutenden wirkungsvollen Einsichten in die Lebenskunst. Er schreibt über die Wichtigkeit von Vernunft und Moral und bietet profundes Wissen, Lehrsätze und eloquente, klarsichtige und zeitlose Weisheit an.

„Vor allem meide man Depressive und solche, die über alles und jedes jammern, denen jeder Anlaß für Klagen recht kommt. Mag solch ein Mensch einem auch treu und wohlgesinnt sein, er ist trotzdem ein Feind unserer Ruhe und Gelassenheit, ein Begleiter ohne seelisches Gleichgewicht, der ständig über alles seufzt und jammert.“

„Alle Grausamkeit entspringt der Schwäche.“

„Ich habe angefangen, mir selbst ein Freund zu sein. – Damit ist schon viel gewonnen, denn man kann dann niemals mehr einsam sein. Wisse auch, daß ein solcher Mensch allen ein rechter Freund sein wird.“

Auch wenn er selbst vielleicht selbst nicht in der Lage war, seinen eigenen Richtlinien immer zu folgen, es zu versuchen und jeden Tag ein bisschen besser zu werden, ist auf jeden Fall ein Anfang auf dem Weg zu einem glücklichen Leben.

Books & Booze – Die Mandarins von Paris

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Wer in unserer illustren Runde der fröhlich pichelnden Schriftsteller natürlich nicht fehlen darf, ist Simone de Beauvoir, die berühmte Autorin, Philosophin und Frauenrechtlerin. Philosophie und Cocktails haben eine ganz intime Beziehung. Es war sogar ein Cocktail, der den französischen Existentialismus letztendlich inspiriert hat.

Eines abends im Jahr 1932 saß Simone mit Jean-Paul Sartre und ihrem gemeinsamen Freund Raymond Aron in einer chicen Pariser Bar, dem Bec de Gaz. Aron sinnierte so vor sich hin, dass Phenomenologisten sogar über Aprikosen-Cocktails philosophieren könnten. Sartre und Beauvoir wurden berühmt dafür, eine Philosophie der alltäglichen Dinge geschaffen zu haben, eben jenen französischen Existentialismus. Berüchtigt waren sie eher, wenn es um ihre Trinkgewohnheiten ging. Beauvoir flirtete stets recht hingebungsvoll mit Gin Fizzes und hat als Morgenroutine erstmal zwei Vodka getrunken und ein paar Whiskies über den Tag verteilt.

Einen besonderen Stellenwert hatte aber in der Tat der Aprikosen-Cocktail, den sie in ihrem Buch „In den besten Jahren“ erwähnt:

“I had a weakness for two specialities – mead cocktails at the Vikings’ Bar, and apricot cocktails at the Bec de Gaz on the Rue Montparnasse: what more could the Ritz Bar have offered us?”

Cocktailbars sind die perfekten Foren für philosophische Untersuchungen, weil sie einen ruhigen Hafen bieten im Trubel und Chaos der Welt, wo man Beziehungen anbahnen, erkunden und vertiefen kann und nie lässt sich die Welt erfolgreicher verändern als mit einem Cocktailglas in der Hand.

Wer Lust auf tiefe Gedanken und süßen Genuss hat, der sollte es mit der Variante der Münchner Küchenexperimente von Simone de Beauvoirs Lieblingscocktail versuchen. Die ist so gut, da kommen nicht nur Philosophen ins Schwärmen.

Man nehme

  • 1 TL Vodka
  • 4 EL Aprikosenpürree
  • mit Champagner aufgiessen

Santé!

Am besten genießt man den Cocktail im Übrigen mit meinem Lieblingsbuch von Simone de Beauvoir den „Mandarins von Paris“ oder dem wunderbaren „Das Café der Existentialisten“ von Sarah Bakewell.

 

Hirngymnastik Part I – Philosophie

“The search for something permanent is one of the deepest of the instincts leading men to philosophy.” 

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Bei allem, was mit Wissen und Lernen zu tun hat, bin ich ein echter Serientäter. Immer wieder packt mich ein Thema und dann beschäftige ich mich ein paar Wochen lang damit von allen Seiten. Ich lese darüber, höre mir Vorträge im Internet oder im Radio an und fülle seitenweise Notizbücher mit meinen Erkenntnissen. Philosophie war etwas, das mich als Kind schon interessierte und ich weiß nicht, wie oft ich mich mit Lehrern angelegt habe, die mir nicht erklären konnten, warum ich Religion aber keine Philosophie in der Schule lernen sollte.

Als ich in Kobe in dem einzigen kleinen Secondhand-Buchladen mit englischen Büchern Bertrand Russells „History of Western Philosophy“ entdeckte, hat mich das erwartungsgemäß auf direkten intensiven Philosophie-Kurs gebracht. Nach ein paar Wochen wurde das Fieber jetzt durch „Genetik“ abgelöst, aber dazu in einem späteren separaten Post mehr. Jetzt erst einmal zu Russells Buch.

Er beschäftigt sich in  “History of Western Philosophy” nicht nur mit Philosophie-Geschichte, sondern auch wie die Hauptströmungen der Philosophie in ihrer jeweiligen Zeit und Kultur verankert waren. Das hilft sehr bei der Einordnung  und beim Verständnis. Die für mich größte Erkenntnis war, das keine der Philosophie-Schulen in sich komplett logisch konsistent ist. Das Buch teilt sich in drei Teile: Antike Philosophie, Katholische Philosophie und Moderne Philosophie. Geschrieben hat er das Buch während des zweiten Weltkrieges und ab und an merkt man das auch, besonders in den Teilen, wo er sich mit Nietzsche beschäftigt. Der mittlere Teil zu „katholischer Philosophie“ hat mich erwartungsgemäß am wenigsten berührt, darüber gelesen zu haben ist aber sicherlich nicht das Schlechteste.

“Two things are to be remembered: that a man whose opinions and theories are worth studying may be presumed to have had some intelligence, but that no man is likely to have arrived at complete and final truth on any subject whatever. When an intelligent man expresses a view which seems to us obviously absurd, we should not attempt to prove that it is somehow true, but we should try to understand how it ever came to seem true. This exercise of historical and psychological imagination at once enlarges the scope of our thinking, and helps us to realize how foolish many of our own cherished prejudices will seem to an age which has a different temper of mind.” 

Das Schöne ist, dass man für das Buch weder ein großes Grundwissen an Philosophie noch an Geschichte mitbringen mus, um es zu verstehen und sich wunderbar darin zu verlieren. Russell ist ein unglaublich klarer, exzellenter Schriftsteller, was man bei Philosophen ja nun nicht immer unbedingt voraussetzen kann. Grandios wie er abstrakte Ideen eindringlich und klar rüberbringt, man merkt, dass er verstanden werden möchte. Es gibt so viele Autoren, bei denen man immer den Eindruck hat, sie wollen partout Eindruck schinden, bei den Lesern die Spreu vom Weizen trennen, was in meinen Augen häufig etwas mit mangelndem Selbstbewußtsein zu tun hat. Russell hat das nicht nötig und ich liebe seinen trockenen Humor.  Mir ist schon klar, dass Anhänger von Marx, Nietzsche oder Hegel höchstwahrscheinlich anders sehen. Denen verpasst er schon immer wieder mal eine im Vorbeigehen. Er geht auch Plato ziemlich an und ihn als „any contempary advocate of totalitarianism“ zu sehen, fand ich schon etwas hart, hat Plato doch meiner Ansicht nach im Grunde komplett allein die Grundlagen der politischen Philosophie geschaffen.

Ich glaube, ob man Russells Philosophie-Geschichte mag, hängt auch ein wenig davon ab, wie sehr einem Russells Theorien selbst gefallen, denn seine Ideen, seine Ansichten und Meinungen scheinen immer wieder durch an einigen Stellen. Ich mag Russell und daher hat mich das weniger gestört, es gibt aber sicherlich Leute, die ihn dafür kritisieren. Wobei ich finde, er schiebt seine Meinung nicht still und heimlich ein, sondern es ist eigentlich immer kristallklar wann und wo er das tut.

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Wo ich mich Russell wieder sehr verbunden gefühlt habe, war in seiner Ansicht, das die Aufklärung und Bildung der Menschen in Naturwissenschaft, Geistesweissenschaft, rationalem und kritischem Denken ein wichtiger Schritt ist, um künftige Kriege und Gräueltaten zu vermeiden. Auch wenn wir über 70 Jahre nach der Veröffentlichung seines Buches noch immer umringt sind von Kriegen, Terror und Schrecken, bleibe ich bei dieser Überzeugung.

“Almost everything that distinguishes the modern world from earlier centuries is attibutable to science, which achieved its most spectacular triumphs in the seventeenth century.” 

“Mathematics, rightly viewed, possesses not only truth, but supreme beauty—a beauty cold and austere, like that of sculpture, without appeal to any part of our weaker nature, without the gorgeous trappings of painting or music, yet sublimely pure, and capable of a stern perfection such as only the greatest art can show.” 

Ich wünschte, es gäbe noch viel mehr Bertrand Russells in der Welt. Das Buch zu lesen fühlt sich teilweise an, als würde man mit ihm eine wahnsinnig intelligente, spannende Unterhaltung führen. Russell war ganz bestimmt einer dieser Menschen, in deren Gegenwart man sich etwas intelligenter und größer fühlte. Eine Eigenschaft, die ich wie keine andere bewundere.

“A stupid man’s report of what a clever man says can never be accurate, because he unconsciously translates what he hears into something he can understand.” 

Ein sehr interessantes Interview mit Bertrand Russell findet ihr hier:

Passend zum Thema Philosophie habe ich mir das Buch „Aufklärung – Das europäische Projekt“ geschnappt das schon lange ungelesen und daher vorwurfsvoll aus dem Regal geschaut hat.

Vor 300 Jahren begann der Versuch, den Geist von religiösen Denk-Dogmen zu befreien und jeglichem Fundamentalismus die Freiheit des Verstandes entgegenzusetzen. Das Streben nach Wissen, nach Bildung und Erkenntis ist leider (noch?) keine Geschichte mit Happy End. Der Terror ist ein Kampf gegen aufklärerische Freiheitsgedanken und selten habe ich mich um die Freiheit so sehr gesorgt, wie im Moment. Der Ruf nach mehr Kontrolle, mehr Härte und weniger Liberalität wird immer lauter. Gerade in solchen Zeiten ist es wichtig, für Freiheit und Aufklärung zu kämpfen.

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Manfred Geier bringt dem Leser klar und gut lesbar eine Einführung in die Epoche der Aufklärung nahe. In sieben Kapiteln zeigt er die Entwicklungen in Form von Lebensbildern bedeutender europäischer Denker und einer Denkerin auf. Von den Engländern John Locke und Earl Shaftesbury geht es über die Franzosen Voltaire, Dideor und Rousseau zu Geier Moses Mendelsohn und Kant. Mit Olympe de Gouge stellt er eine – mir bis dahin unbekannte Persönlichkeit vor – die für ihren Freiheitskampf unter der Guilletoine endete. Den Abschluss bildet der Humanist und Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt.

Mir hat besonders der Teil zu Immanuel Kant gefallen, hat er mich doch Karl Popper entdecken lassen und auch Hannah Arendts Ansichten werden zu aktuellen weltgeschichtlichen Ereignissen in Kontext gesetzt.

Ein gelungener Einsteig in die europäische Aufklärung, die definitiv Lust auf mehr macht. Ein wunderbares Buch, das heute aktueller ist denn je.

„1961 hielt Popper im Bayrischen Rundfunk eine Rede zum Thema „Der Sinn der Geschichte“. Wieder erinnerte er einleitend an Kant, der die „Selbstbefreiung durch das Wissen“ zur Leitidee der Aufklärung erklärt hatte. Auch mit diesem „sapere aude!“ war keine geschichtliche Notwendigkeit verbunden. Kants Appel an den Mut, selbst zu denken, beschrieb keine Tatsache. Er war ein Hinweis auf das Denken mündiger Menschen, die sich selbst ein Ziel setzen und ihrem Leben einen vernünftigen Sinn geben können.“

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„Vor allem Kants erweiterte Denkungsart wurde als Prototyp des kritischen Denkens reflektiert, jene Fähigkeit des Menschen nämlich, sich in den Standpunkt anderer Menschen versetzen und die Welt auch aus deren Perspektive betrachten zu können.“

„Die reflektierende Urteilskraft. Die Urteilskraft ist das Vermögen, das Besondere im Verhältnis zum Allgemeinen denken zu können. Dann gilt es, selbst ein Gesetz oder eine Regel zu finden, um sich so das Besondere verständlich zu machen. Die Urteilskraft wird nicht zum Bestimmten, sondern zum Reflektieren angeregt. Es ist die Fähigkeit Besonderheiten zu beurteilen, ohne sie unter jene allgemeinen Regeln zu subsumieren, die gerlehrt und gelernt werden können, bis sie sich zu Gewohnheiten entwickeln, welche von anderen Gewohnheiten und Regeln ersetzt werden können.“

Falls ich Euch jetzt auch Lust auf mehr gemacht habe, hier zwei Philosophie-Kurse im Netz, die ein erster Aperitiv sind und einen guten Einstieg bilden, mehr geht immer. Das Internet ist voll von kostenlosen Kursen von Universitäten wie Harvard, Yale, Stanford etc und ich wünschte mir, jeder Tag hätte 72 Stunden, damit ich das alles absaugen kann 😉

Tamar Gendler: Philosophy and the Science of Human Nature

http://oyc.yale.edu/philosophy/phil-181#overview

Und wer sich bei diesem Gespräch nicht ein wenig in Karl Poppers Hirn verliebt dem ist nicht zu helfen:

Philosophie ist cool und macht wirklich Spaß, ich finde es immer wieder schade, wie viele Leute keine Lust darauf haben, es unzugänglich und verstaubt finden. Das muss echt nicht sein. Die Philosphie guckt dem Leben unter den Rock, habe ich mal irgendwo gelesen und das brauchen wir.

Wer Lust auf mehr Hirngymnastik hat, dem kann hier demnächst geholfen werden, wenn ich Euch von meinen Genetik-Abenteuern berichte 🙂

  • Bertrand Russell „History of Western Philosophy“ ist auf deutsch unter dem Titel „Philosophie des Abendlandes“ im Europa Verlag erschienen
  • Manfred Geier „Aufklärung das europäische Projekt“ ist im Rowohlt Verlag erschienen
  • Wolfgang Röd – „Der Weg der Philosophie“ ist im Beck Verlag erschienen

Gehen – Tomas Espedal

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Wild und poetisch trifft es. Ein Buch das einen neidisch macht, weil man vielleicht auch gerne den Mut hätte einfach hinter sich zuzumachen und die Straße lang zu gehen immer einen Schritt vor den nächsten und zu gehen. Zu Reisen bis man ankommt, abseits von klimatisierten Hotels oder Sterne-Restaurants, Reisen einfach des Weges willen und nicht um anzukommen.

Espedal geht und hört sich dabei beim Denken zu. Er geht meist alleine, gelegentlich mit einem ihm recht ähnlichen Lauf-Kumpan und philosophiert, analysiert die Werke anderer Dichter und Geher. Er geht um ein anderer zu werden. Anfangs dachte ich er geht auch um seinem Alkoholismus-Problem zu entgehen, aber eigentlich geht er hauptsächlich um dichten zu können, und dazu braucht er die Straße unter seinen Füßen und gelegentlich ein Bett in dem er liegen und lesen kann, ohne jegliche Verpflichtung. Es ist ein sprödes Buch, ein irgendwie sehr nordisches und so wirkt auch sein Autor auf mich. Ich sehe ihn vor mir. Groß und hager und schwierig wie er  im schwarzen Anzug die staubig karge Straße entlanggeht. Er läuft bis ihm die Füße bluten, durchstreift die halbe Welt zu Fuß mehr obdachloser Vagabund als in High Tech gewandteter Profi-Walker und fühlt sich anderen wandernden gehenden Dichtern verbunden.

Beim Lesen habe ich gelegentlich fast einen Kater bekommen, bei den Alkohol-Mengen er sich da so gegeben hat und ich wäre wohl überwiegend kopfwehkrank im Bett liegen geblieben, aber er scheint es ja zu vertragen. Er schreibt klar und kantig und seine Sätze sind im besten Sinne rein und geschliffen. Es macht Lust zu wandern und zu lesen und es gab einfach so viel zu entdecken in diesem Buch. Eines das ich nochmals lesen werde. Es macht Lust sich auch auf eine Wanderung des Geistes zu begeben und den Büchern der anderen wandernden Poeten zu folgen.

„Du wirst dein Leben lang mit dir selbst leben. Du kannst eine neue Geliebte finden, du kannst Freunde und Familie verlassen, verreisen, eine neue Stadt und neue Orte finden, du kannst verkaufen, was du besitzt, und dich von allem trennen, was dir nicht passt, aber solange du lebst, wirst du dich nie von dir selber trennen können.“

„Ein Beruf. Endlich. Mit Bruce Chatwin ist das Gehen zu einer Arbeit geworden, denke ich; es erfordert keine Bewerbung, keine Zeugnisse, man macht sich einfach auf den Weg, zur Tür hinaus, jederzeit, geradeaus, in irgendeine Richtung, die offene Straße hinab, auf zwei langsamen Füßen.“

Rousseau ist nicht anders, er macht sich anders, der Schriftsteller, der uns glauben machen möchte, dass er ein Kind der Natur ist, entpuppt sich als der künstliche Held schlechthin; ein Provokateur, ein Flaneur, ein echter und wahrer Proseur: „Einzig und allein ich. Ich fühle mein Herz – und ich kenne die Menschen. Ich bin nicht gemacht wie irgendeiner von denen, die ich bisher sah, und ich wage zu glauben, dass auch ich nicht gemacht bin wie irgendeiner von allen, die leben. Wenn ich nicht besser bin, so bin ich doch wenigstens anders. Ob die Natur gut oder übel daran getan hat, die Form zu zerbrechen, in der sie mich gestaltete, das wird man nur beurteilen können, nachdem man mich gelesen hat.“

Wir denken weniger, wenn wir weit gehen, wir gleiten in den Rhythmus des Gehens, und die Gedanken enden, werden zu einer konzentrierten Aufmerksamkeit, die darauf gerichtet ist, was wir sehen und hören, was wir riechen; diese Blume, der Wind, die Bäume, als würden die Gedanken umgeformt und zu einem Teil dessen werden, was ihnen begegnet; ein Fluss, ein Berg, ein Weg.“

Gehen“ ist im Matthes & Seitz Verlag erschienen.