“The search for something permanent is one of the deepest of the instincts leading men to philosophy.”
Bei allem, was mit Wissen und Lernen zu tun hat, bin ich ein echter Serientäter. Immer wieder packt mich ein Thema und dann beschäftige ich mich ein paar Wochen lang damit von allen Seiten. Ich lese darüber, höre mir Vorträge im Internet oder im Radio an und fülle seitenweise Notizbücher mit meinen Erkenntnissen. Philosophie war etwas, das mich als Kind schon interessierte und ich weiß nicht, wie oft ich mich mit Lehrern angelegt habe, die mir nicht erklären konnten, warum ich Religion aber keine Philosophie in der Schule lernen sollte.
Als ich in Kobe in dem einzigen kleinen Secondhand-Buchladen mit englischen Büchern Bertrand Russells „History of Western Philosophy“ entdeckte, hat mich das erwartungsgemäß auf direkten intensiven Philosophie-Kurs gebracht. Nach ein paar Wochen wurde das Fieber jetzt durch „Genetik“ abgelöst, aber dazu in einem späteren separaten Post mehr. Jetzt erst einmal zu Russells Buch.
Er beschäftigt sich in “History of Western Philosophy” nicht nur mit Philosophie-Geschichte, sondern auch wie die Hauptströmungen der Philosophie in ihrer jeweiligen Zeit und Kultur verankert waren. Das hilft sehr bei der Einordnung und beim Verständnis. Die für mich größte Erkenntnis war, das keine der Philosophie-Schulen in sich komplett logisch konsistent ist. Das Buch teilt sich in drei Teile: Antike Philosophie, Katholische Philosophie und Moderne Philosophie. Geschrieben hat er das Buch während des zweiten Weltkrieges und ab und an merkt man das auch, besonders in den Teilen, wo er sich mit Nietzsche beschäftigt. Der mittlere Teil zu „katholischer Philosophie“ hat mich erwartungsgemäß am wenigsten berührt, darüber gelesen zu haben ist aber sicherlich nicht das Schlechteste.
“Two things are to be remembered: that a man whose opinions and theories are worth studying may be presumed to have had some intelligence, but that no man is likely to have arrived at complete and final truth on any subject whatever. When an intelligent man expresses a view which seems to us obviously absurd, we should not attempt to prove that it is somehow true, but we should try to understand how it ever came to seem true. This exercise of historical and psychological imagination at once enlarges the scope of our thinking, and helps us to realize how foolish many of our own cherished prejudices will seem to an age which has a different temper of mind.”
Das Schöne ist, dass man für das Buch weder ein großes Grundwissen an Philosophie noch an Geschichte mitbringen mus, um es zu verstehen und sich wunderbar darin zu verlieren. Russell ist ein unglaublich klarer, exzellenter Schriftsteller, was man bei Philosophen ja nun nicht immer unbedingt voraussetzen kann. Grandios wie er abstrakte Ideen eindringlich und klar rüberbringt, man merkt, dass er verstanden werden möchte. Es gibt so viele Autoren, bei denen man immer den Eindruck hat, sie wollen partout Eindruck schinden, bei den Lesern die Spreu vom Weizen trennen, was in meinen Augen häufig etwas mit mangelndem Selbstbewußtsein zu tun hat. Russell hat das nicht nötig und ich liebe seinen trockenen Humor. Mir ist schon klar, dass Anhänger von Marx, Nietzsche oder Hegel höchstwahrscheinlich anders sehen. Denen verpasst er schon immer wieder mal eine im Vorbeigehen. Er geht auch Plato ziemlich an und ihn als „any contempary advocate of totalitarianism“ zu sehen, fand ich schon etwas hart, hat Plato doch meiner Ansicht nach im Grunde komplett allein die Grundlagen der politischen Philosophie geschaffen.
Ich glaube, ob man Russells Philosophie-Geschichte mag, hängt auch ein wenig davon ab, wie sehr einem Russells Theorien selbst gefallen, denn seine Ideen, seine Ansichten und Meinungen scheinen immer wieder durch an einigen Stellen. Ich mag Russell und daher hat mich das weniger gestört, es gibt aber sicherlich Leute, die ihn dafür kritisieren. Wobei ich finde, er schiebt seine Meinung nicht still und heimlich ein, sondern es ist eigentlich immer kristallklar wann und wo er das tut.
Wo ich mich Russell wieder sehr verbunden gefühlt habe, war in seiner Ansicht, das die Aufklärung und Bildung der Menschen in Naturwissenschaft, Geistesweissenschaft, rationalem und kritischem Denken ein wichtiger Schritt ist, um künftige Kriege und Gräueltaten zu vermeiden. Auch wenn wir über 70 Jahre nach der Veröffentlichung seines Buches noch immer umringt sind von Kriegen, Terror und Schrecken, bleibe ich bei dieser Überzeugung.
“Almost everything that distinguishes the modern world from earlier centuries is attibutable to science, which achieved its most spectacular triumphs in the seventeenth century.”
“Mathematics, rightly viewed, possesses not only truth, but supreme beauty—a beauty cold and austere, like that of sculpture, without appeal to any part of our weaker nature, without the gorgeous trappings of painting or music, yet sublimely pure, and capable of a stern perfection such as only the greatest art can show.”
Ich wünschte, es gäbe noch viel mehr Bertrand Russells in der Welt. Das Buch zu lesen fühlt sich teilweise an, als würde man mit ihm eine wahnsinnig intelligente, spannende Unterhaltung führen. Russell war ganz bestimmt einer dieser Menschen, in deren Gegenwart man sich etwas intelligenter und größer fühlte. Eine Eigenschaft, die ich wie keine andere bewundere.
“A stupid man’s report of what a clever man says can never be accurate, because he unconsciously translates what he hears into something he can understand.”
Ein sehr interessantes Interview mit Bertrand Russell findet ihr hier:
Passend zum Thema Philosophie habe ich mir das Buch „Aufklärung – Das europäische Projekt“ geschnappt das schon lange ungelesen und daher vorwurfsvoll aus dem Regal geschaut hat.
Vor 300 Jahren begann der Versuch, den Geist von religiösen Denk-Dogmen zu befreien und jeglichem Fundamentalismus die Freiheit des Verstandes entgegenzusetzen. Das Streben nach Wissen, nach Bildung und Erkenntis ist leider (noch?) keine Geschichte mit Happy End. Der Terror ist ein Kampf gegen aufklärerische Freiheitsgedanken und selten habe ich mich um die Freiheit so sehr gesorgt, wie im Moment. Der Ruf nach mehr Kontrolle, mehr Härte und weniger Liberalität wird immer lauter. Gerade in solchen Zeiten ist es wichtig, für Freiheit und Aufklärung zu kämpfen.
Manfred Geier bringt dem Leser klar und gut lesbar eine Einführung in die Epoche der Aufklärung nahe. In sieben Kapiteln zeigt er die Entwicklungen in Form von Lebensbildern bedeutender europäischer Denker und einer Denkerin auf. Von den Engländern John Locke und Earl Shaftesbury geht es über die Franzosen Voltaire, Dideor und Rousseau zu Geier Moses Mendelsohn und Kant. Mit Olympe de Gouge stellt er eine – mir bis dahin unbekannte Persönlichkeit vor – die für ihren Freiheitskampf unter der Guilletoine endete. Den Abschluss bildet der Humanist und Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt.
Mir hat besonders der Teil zu Immanuel Kant gefallen, hat er mich doch Karl Popper entdecken lassen und auch Hannah Arendts Ansichten werden zu aktuellen weltgeschichtlichen Ereignissen in Kontext gesetzt.
Ein gelungener Einsteig in die europäische Aufklärung, die definitiv Lust auf mehr macht. Ein wunderbares Buch, das heute aktueller ist denn je.
„1961 hielt Popper im Bayrischen Rundfunk eine Rede zum Thema „Der Sinn der Geschichte“. Wieder erinnerte er einleitend an Kant, der die „Selbstbefreiung durch das Wissen“ zur Leitidee der Aufklärung erklärt hatte. Auch mit diesem „sapere aude!“ war keine geschichtliche Notwendigkeit verbunden. Kants Appel an den Mut, selbst zu denken, beschrieb keine Tatsache. Er war ein Hinweis auf das Denken mündiger Menschen, die sich selbst ein Ziel setzen und ihrem Leben einen vernünftigen Sinn geben können.“
„Vor allem Kants erweiterte Denkungsart wurde als Prototyp des kritischen Denkens reflektiert, jene Fähigkeit des Menschen nämlich, sich in den Standpunkt anderer Menschen versetzen und die Welt auch aus deren Perspektive betrachten zu können.“
„Die reflektierende Urteilskraft. Die Urteilskraft ist das Vermögen, das Besondere im Verhältnis zum Allgemeinen denken zu können. Dann gilt es, selbst ein Gesetz oder eine Regel zu finden, um sich so das Besondere verständlich zu machen. Die Urteilskraft wird nicht zum Bestimmten, sondern zum Reflektieren angeregt. Es ist die Fähigkeit Besonderheiten zu beurteilen, ohne sie unter jene allgemeinen Regeln zu subsumieren, die gerlehrt und gelernt werden können, bis sie sich zu Gewohnheiten entwickeln, welche von anderen Gewohnheiten und Regeln ersetzt werden können.“
Falls ich Euch jetzt auch Lust auf mehr gemacht habe, hier zwei Philosophie-Kurse im Netz, die ein erster Aperitiv sind und einen guten Einstieg bilden, mehr geht immer. Das Internet ist voll von kostenlosen Kursen von Universitäten wie Harvard, Yale, Stanford etc und ich wünschte mir, jeder Tag hätte 72 Stunden, damit ich das alles absaugen kann 😉
Tamar Gendler: Philosophy and the Science of Human Nature
http://oyc.yale.edu/philosophy/phil-181#overview
Und wer sich bei diesem Gespräch nicht ein wenig in Karl Poppers Hirn verliebt dem ist nicht zu helfen:
Philosophie ist cool und macht wirklich Spaß, ich finde es immer wieder schade, wie viele Leute keine Lust darauf haben, es unzugänglich und verstaubt finden. Das muss echt nicht sein. Die Philosphie guckt dem Leben unter den Rock, habe ich mal irgendwo gelesen und das brauchen wir.
Wer Lust auf mehr Hirngymnastik hat, dem kann hier demnächst geholfen werden, wenn ich Euch von meinen Genetik-Abenteuern berichte 🙂
- Bertrand Russell „History of Western Philosophy“ ist auf deutsch unter dem Titel „Philosophie des Abendlandes“ im Europa Verlag erschienen
- Manfred Geier „Aufklärung das europäische Projekt“ ist im Rowohlt Verlag erschienen
- Wolfgang Röd – „Der Weg der Philosophie“ ist im Beck Verlag erschienen
Danke für diesen Artikel!
Habe soeben Zen and the Art of motorcycle maintenance gelesen. Hier geht es vor allem um quality und den Gegensatz von der classical (aufklarerisches) und der romantisch Denkweise. Wir haben es der Aufklärung zu verdanken, dass Lebensformen nur als bio-automaten ohne Emotionen wahrgenommen werden. Weiterhin viel Freude mit der Philosophie und berichte mal von deinen Erkenntnissen on the road.
Das werde ich 🙂 Zen and the Art of motorcycle maintenance habe ich vor einigen Jahren auch gelesen und es hat mir durchaus gefallen. Habe noch „Lila“ von Pirsig hier liegen, dem will ich mich auch demnächst mal widmen. Liebe Grüße 🙂
ja, philosophie ist coooool 🙂 ich kann mich aber auch noch erinnern, dass so manche gedankenkonstrukte knoten in den synapsen verursachten. habe mein psychologiestudium bei alt68er professoren absolviert, die in der philosophie wichtige grundlagen für die psychologie sahen. sehr sehr spannend!
genieße einen entspannten sonntagabend!
herzlichste grüße & wünsche an euch 🙂
amy
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Okay, wir wieder 🙂 Ich lese zufällig gerade zwei Vorlesungen Noam Chomskys, die auf Russel aufbauen :-)Toller Artikel, die Western Philosophy muss ich mir auch noch irgendwann zulegen!
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