Lektüre Dezember 2022

Frohes neues Jahr meine Lieben! Ich hoffe, ihr seid gut ins neue Jahr gerutscht und eure guten Vorsätze drehen sich hauptsächlich um das Lesen. Ich hatte im Dezember einen durchwachsenen Lesemonat. Ich hatte mich sehr lange auf meinen „Drood“ Marathon gefreut, der war dann aber ein bisschen weniger spannend und überwältigend als ich es erhofft hatte. Aber dazu gleich mehr.

Ich hoffe, ihr schaut auch 2023 wieder regelmässig vorbei hier, bei meinen monatlichen Lektüre-Übersichten oder meiner Woche, ich hoffe auch die Hirngymnastik und die Reihe Women in Science und Women in SciFi wieder zu beleben.

Jetzt aber der Rückblick auf den Dezember:

Über Emily Brontë – Mithu Sanyal erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag

Wie ein Sturm ist das Werk Emily Brontës in das Leben von Mithu Sanyal hineingefegt. Die erste Lektüre des Romans »Sturmhöhe: Wuthering Heights« hatte für die Autorin von »Identitti« lebensprägende, lebensverändernde Kraft.

Mithu Sanyal hat ein mitreißendes Buch über das Leben und Schreiben der weltberühmten englischen Autorin geschrieben, der man zu Lebzeiten mangelnde Weiblichkeit vorwarf und deren Buch als gefährlich galt. Für Sanyal, Tochter einer polnischen Mutter und eines indischen Vaters, war und ist »Sturmhöhe« ein Buch, in dem sie die eigene Fremdheitserfahrung wiederfand, ein Buch, das ihr in ungefähr allen wichtigen Lebensmomenten irgendwie weiterhalf und sie immer begleitet. Beim Sex, beim langweiligsten Urlaub der Welt, bei angeheirateten englischen Verwandten, die sich nach dem Empire zurücksehnen, und beim Planen der Revolution. Denn darum geht es vor allem in diesem Buch: um das Wunder, wie ein mehr als 170 Jahre alter Roman auf alle wesentlichen Fragen von heute zu Gender, Race, Class und Geistern klare, aktuelle, zukunftsweisende Antworten hat.

Dieses kleine Büchlein war mein Lesehighlight im Dezember. Auf einer Zugreise von Köln nach München, nach meinem Besuch des Kiepenheuer & Witsch Verlages in einem Rutsch durchgelesen und zu Hause direkt alle meiner Brontë Bücher vorgekramt und weitergelesen. Sanyal hat ein sehr kluges, elegantes Buch über die viel zu früh verstorbene Autorin des wahrscheinlich am häufigsten verfilmte Buch aller Zeiten geschrieben.

Allein schon wegen der wunderbaren Zitate über den Roman am Beginn jeden Kapitels lohnt sich das Buch:

Bei dem Buch hagt man das Gefühl, man würde sich in Gefahr begeben, wenn man es nur aufschlägt“ // Helen Oyeyemi

Heathcliff ist ein Findelkind. Als adoptiertes Kind verstand ich seine Demütigung, seine Inbrunst und seine Kapazität, andere zu verletzen. Außerdem lernte ich die Lektion des Romans, dass Grundbesitz Macht ist. Anscheinend braucht man, wenn man sich verlieben will, Immobilien. // Jeanette Winterson

Sie hat mir nicht nur Lust auf eine erneute Lektüre von „Wuthering Heights“ gemacht, sondern auch auf ihren Roman „Identitti“ der schon länger auf meiner Wunschliste steht.

Kauft dieses Buch, verschenkt dieses Buch und wer mag kann hier parallel noch mittels dieser Doku hier über die „Sturmhöhe“ wandeln:

Radikaler Universalismus – Omri Boehm erschienen im Ullstein Verlag

Mit „Radikaler Universalismus“ liefert Omri Boehm mehr als eine Neuinterpretation, er revolutioniert unser grundlegendes Verständnis von dem, was Universalismus eigentlich ist. Dabei beruft er sich auf Kant und seine oft missverstandene Wiederbelebung des ethischen Monotheismus der jüdischen Propheten. Ein kühner Entwurf, der in seiner Furchtlosigkeit einen Ausweg aus der festgefahrenen Identitätsdebatte eröffnet.

Boehm geht hier dem Ansatz nach dass wir uns auf die universellen Werte des Humanismus zurück besinnen und die Appelle der biblischen Propheten und Immanuel Kants wirklich verstehen müssen um Ungerechtigkeit kompromisslos bekämpfen zu können. Er sieht das nur möglich im Namen des radikalen Universalismus, nicht in dem der Identität.

Merkwürdig aufwendige Systeme wie Glauben, Religion oder der Rechtsstaat hat man sich gerade deshalb ausgedacht, um Gerechtigkeit ethisch plausibler und faktisch zwingender erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich sind.

Ich stimme nicht in allen Punkten mit Boehm überein, aber es war eine interessante, zum Nachdenken anregende Lektüre, die ich durchaus empfehlen kann.

The Mystery of Edwin Drood – Charles Dickens auf deutsch erschienen unter dem Titel „Das Geheimnis des Edwin Drood“ übersetzt von Burkhart Kroeber erschienen im Manesse Verlag

Dieser Schauerroman erster Güte entführt uns in Opiumhöhlen, Hinterzimmer und Grüfte. Er entlarvt Propheten als Betrüger, Gottesmänner als arme Sünder und Würdenträger als Halbweltexistenzen. Obendrein ist «Edwin Drood» einer der ersten Kriminalromane der Weltliteratur. Da Dickens über der Arbeit an den Schlusskapiteln verstorben ist, gibt sein reifstes Werk seit beinahe hundertfünfzig Jahren Rätsel auf und hat Generationen von begeisterten Lesern zum Weiterspinnen des Plots angeregt. Die Spur zur Auflösung legte aller dings Dickens selbst, indem er wenige Wochen vor seinem Tod noch Originalillustrationen in Auftrag gab.

How beautiful you are! You are more beautiful in anger than in repose. I don’t ask you for your love; give me yourself and your hatred; give me yourself and that pretty rage; give me yourself and that enchanting scorn; it will be enough for me

Der Roman stand schon schon eine ganze Weile im Regal und als ich kürzlich im Bücherschrank zwei Bücher fand, bei denen es um die Auflösung rund um „Drood“ ging – plante ich für die Adventszeit einen Drood-Marathon, angefangen bei Dickens Original. Ich weiß nicht, ob ich ein bisschen aus Dickens rausgewachsen bin, ich kam nicht wirklich 100% im Roman an. Ich mochte die Szenen in den Opiumhöhlen und das düstere London, allerdings sind mir die Charaktere einfach nicht wirklich näher gekommen. Ein solider Dickens, aber „Great Expectations“, „Oliver Twist“ oder „David Copperfield“ haben mir deutlich besser gefallen, allerdings habe ich diese vor Ewigkeiten gelesen als Teenager und war damals schwer begeistert.

Drood – Dan Simmons übersetzt von Friedrich Mader erschienen im Heyne Verlag.

London im Jahr 1865: Bei einem dramatischen Eisenbahnunglück finden etliche Menschen den Tod. Unter den Überlebenden ist der bedeutendste Schriftsteller seiner Zeit: Charles Dickens. Doch nach diesem Ereignis ist Dickens nicht mehr derselbe. Wie besessen macht er sich auf die Suche nach einem mysteriösen Mann namens Drood. Aber wer oder was ist Drood wirklich? Und kann es sein, dass Charles Dickens in seinen letzten Lebensjahren zum kaltblütigen Mörder wird?

Die ersten 450 Seiten oder so habe ich wirklich ganz gerne gelesen. Ich habe unfassbar viel über Dickens und Wilkie Collins gelernt und fand die Geschichte ganz interessant, wenn auch sehr weitschweifig erzählt und nicht wirklich gruselig. Aber nach 450 Seiten etwa war die Luft raus für mich. Die Geschichte drehte sich im Kreis, es ging einfach nicht voran und ich die Vorstellung noch mal soviele Seiten in dieser Geschichte lesen zu müssen ließ mich verzweifelt nach einer Opiumpfeife oder ähnlichen Halluzinogenen hoffen.

When the last autumn of Dickens’s life was over, he continued to work through his final winter and into spring. This is how all of us writers give away the days and years and decades of our lives in exchange for stacks of paper with scratches and squiggles on them. And when Death calls, how many of us would trade all those pages, all that squandered lifetime-worth of painfully achieved scratches and squiggles, for just one more day, one more fully lived and experienced day? And what price would we writers pay for that one extra day spent with those we ignored while we were locked away scratching and squiggling in our arrogant years of solipsistic isolation?

Would we trade all those pages for a single hour? Or all of our books for one real minute?”

Reader – I ended it. Abgebrochen, in die Ecke geworfen. Noch auf halber Strecke dachte ich das wird, aber irgendwann hat es sich echt einfach totgelaufen. Hätte er doch einfach bei etwa 450 Seiten aufgehört und fertig.

Ich habe hier noch „Erebus“ von Dan Simmons liegen, das ist auch so ein dicker Klopper. Hat das schon eine*r von euch gelesen? Könnt ihr das empfehlen? Soll ich Mr. Simmons noch mal eine Chance geben?

Das letzte Kapitel (The Last Dickens) – Matthew Pearl übersetzt von Linda Budinger und Alexander Lohmann erschienen im Bastei Lübbe Verlag

Boston, 1870. Sylvanus Bendall eilt durch die engen Gassen des heruntergekommenen Stadtviertels New Land. Im fahlen Licht der Dämmerung wirkt der Nebel wie ein Leichentuch. Immer wieder dreht der Anwalt sich um und lauscht. Der Verfolger kommt näher. Bendall beschleunigt seine Schritte – vergeblich. Sein Blick fällt auf den Knauf eines Gehstocks, der wie ein Bestienkopf aussieht. Reißzähne blitzen auf. Bendall ahnt, was der Unbekannte mit den schwarzen Augen von ihm will: das Papierbündel in seiner Westentasche – die letzten unveröffentlichten Seiten aus der Feder des kürzlich verstorbenen Charles Dickens. Sie bergen ein dunkles Geheimnis – und jeder, der es kennt, muss sterben.

The books do pretend, Mr. Branagan. Surely. But that is not all. Novels are filled with lies, but squeezed in between is even more that is true—without what you may call the lies, the pages would be too light for the truth, you see?

Ich habe das Buch ganz gerne gelesen, aber mitgerissen oder begeistert hat es mich nicht. Vor ein paar Jahren haben wir im Bookclub „The Dante Club“ gelesen, da ging es mir ähnlich. Eigentlich müsste Pearl, der seine Romane gerne in Schriftstellerkreisen im 19. Jahrhundert spielen läßt genau mein Ding sein, aber irgendwie werden wir beide nicht richtig warm miteinander.

My Broken Mariko – Waka Hirako übersetzt von Cordelia Suzuki erschienen im Egmont Verlag

Dieser Manga war ein überraschendes Weihnachtsgeschenk der lieben Miss Booleana, die sehr zur Recht der Ansicht war, meine klaffende Manga-Bildungslücke bräuchte dringlichst Füllung. Der Manga hatte kein einfaches Thema, es geht um den Selbstmord eines jungen Mädchens, die Geschichte ist eindringlich und intensiv erzählt und hat mich ganz schön gefesselt.

Der Einzelband My broken Mariko widmet sich dem Thema Suizid auf eine ebenso aufwühlende wie authentische Art und Weise. Mariko ist gestorben. Sie hat sich das Leben genommen. Als ihre beste Freundin Shino davon zufällig in der Mittagspause erfährt, kann sie es kaum glauben. Wie kann das sein? Erst letzte Woche haben sie sich doch noch getroffen…? Fragen und Gedanken rasen ihr durch den Kopf und Shino fasst einen Entschluss: Wenn sie Mariko schon im Leben nicht helfen konnte, will sie wenigstens ihre Asche an einen besseren Ort bringen!

Es dauerte etwas bis ich mich an das Lesen von rechts nach links gewohnt hatte, verirrte mich beim Lesen immer mal wieder, aber ich denke das ist reine Übungssache. Es wäre gelogen zu sagen, ich bin sofort zum großen Manga-Fan geworden, aber ein bisschen angefixt bin ich schon und habe Lust mich mehr mit dem Thema zu beschäftigen. Wird also definitiv nicht mein letzter Manga gewesen sein.

Harry Potter and the Goblet of Fire – J. K. Rowling auf deutsch erschienen unter dem Titel Harry Potter und der Feuerkelch erschienen im Carlsen Verlag übersetzt von Klaus Fritz

Weiter ging es im Dezember auch mit dem Wiederlesen der Harry Potter Reihe, mittlerweile bin ich bei Band 4 angelangt:

Harrys viertes Schuljahr in Hogwarts beginnt und ein Wettkampf hält die Schüler in Atem: das Trimagische Turnier, in dem Harry eine Rolle übernimmt, die er sich im Traum nicht vorgestellt hätte. Natürlich steckt dahinter das Böse, das zurück an die Macht drängt: Lord Voldemort. Es wird eng für Harry. Doch auf seine Freunde und ihre Unterstützung kann er sich auch in verzweifelten Situationen verlassen

It matters not what someone is born, but what they grow to be.

Macht mir riesigen Spaß wieder in Hogwart einzutauchen und mit Hermione, Harry und Ron das zaubern zu lernen. Hätte nicht gedacht, dass es mir fast noch mehr gefällt als beim ersten Mal. Groß war auch meine Freude als ich im Hamburger Hauptbahnhof dann plötzlich vor Harrys Wizzard World stand und natürlich gleich einen Abstecher hinein machen musste:

12 Bytes – Jeanette Winterson erschienen im Vintage Verlag bislang noch nicht auf deutsch übersetzt

In 12 Bytes teilt die Autorin Jeanette Winterson ihre Überlegungen zu künstlicher Intelligenz in all ihren verwirrenden Erscheinungsformen. In ihrem brillanten, pointierten und witzigen Erzählstil blickt Winterson auf Geschichte, Religion, Mythos, Literatur, Rassen- und Geschlechterpolitik sowie Computerwissenschaft, um uns zu helfen, die radikalen Veränderungen zu verstehen, die sich derzeit um uns herum vollziehen.

Wenn wir nicht-biologische Lebensformen erschaffen, werden wir sie dann nach unserem Ebenbild erschaffen? Oder werden wir die Gelegenheit wahrnehmen, uns nach ihrem Bild umzugestalten? Wie sehen Liebe, Fürsorge, Sex und Bindung aus, wenn Menschen Verbindungen mit nichtmenschlichen Helfern, Lehrern, Sexarbeitern und Gefährt*innen eingehen? Und was wird mit unseren tief verwurzelten Annahmen über das Geschlecht geschehen? Wird der physische Körper, der unser Zuhause ist, bald durch biologische und neuronale Implantate verbessert werden, die uns fitter, jünger und verbundener machen? Ist es an der Zeit, Elon Musk zu folgen und den Planeten Erde zu verlassen?

The arts aren’t a leisure industry – the arts have always been an imaginative and emotional wrestle with reality -a series of inventions and creations. A capacity to think differently, a willingness to change our understanding of ourselves. To help us be wiser, more reflective, less frightened people.

Ich schließe den Dezember mit meinem zweiten großen Highlight des Monats ab. Dieses Buch war großartig, hat mich gepackt, zum Nachdenken gebracht und in diverse Internet-Rabbitholes versenkt. Am Ende des Buches findet sich eine lange Bibliography die meine Leseliste wieder kräftig hat anwachsen lassen. Dieses Buch möchte nachts bei mehreren Flaschen Wein diskutiert werden. Besorgt es euch, lest es, ladet eure Freund*innen ein und diskutiert euch die Köpfe heiß. Jeanette Winterson ist ein tolle Erklärbärin.

So meine Lieben – jetzt möchte ich von euch hören. Worauf konnte ich euch besonders Lust machen? Was habt ihr auch schon gelesen und ihr teilt meine Einschätzung oder auch nicht? Danke fürs dabei sein, kommentieren, mit mir lesen und diskutieren 🙂

Gothic! – Part 2

IMG_3662

Weiter geht es im zweiten Teil der Gothic Parade mit Elizabeth Gaskell, die man sonst eher als Vertreterin des Realismus kennt, wie z.B. in ihren bekannten Romanen „North and South“ oder „Wives and Daughters“. Erfreulicherweise hatte sie aber auch eine ausgeprägt düstere Seite, der sie in den hier vorliegenden „Gothic Tales“ freien Lauf gelassen hat.

Diese neun schaurigen Geschichten vermischen Realistisches mit Übernatürlichem zu einer wohlig gruseligen Mischung. In „Disappearances“ ließ sich Gaskell von lokalen Geschichten und Zeitungsberichten über geheimnisvolle Fälle von verschwundenen Menschen inspirieren, in denen sie auf ihre ganz eigene Weise Tratsch und Fakten miteinander vermischt.

„The Old Nurse’s Story“ ist eine Geistergeschichte um ein mysteriöses kleines Mädchen, das durch die eisigen Moore Northumberlands streift und in „The Poor Clare“ haben wir es mit einer durch und durch bösen Doppelgängerin zu tun.

„Leave me!“ said she, suddenly, and again taking up the cross. „I defy the demon I have called up. Leave me to wrestle with it!“

Ich habe das Buch gar nicht weglegen können, diese wunderbar atmosphärischen Geschichten sind ein großer Lesespaß für alle Gothic Freunde und stehen in krassem Gegensatz zu ihrer sonst sehr realistisch bodenständigen Literatur.

Ich mag die Einführungen in den Penguin Classics Ausgaben grundsätzlich sehr gerne, diese hier, von Laura Kranzler, war ganz besonders interessant und informativ. Sie zeigt die dunkle Unterseite weiblicher Identität, in häuslicher Umgebung und im Gegensatz zu männlicher Autorität. Ich würde mir wünschen, solche Einführungen wären auch in deutschen Ausgaben häufiger zu finden, für mich sind sie definitiv eine wichtige Kaufentscheidung.

 „The sins of the fathers shall be visited upon the children.“

Auf Deutsch sind Erzählungen von Elizabeth Gaskell im Manesse Verlag erschienen, die zumindest einige der „Gothic Tales“ enthalten. Sie sind aber leider nur antiquarisch zu bekommen.

„Lois the Witch“ schließlich ist eine Novelle, die auf den Hexenprozessen in Salem basiert, was perfekt zu meinem nächsten Buch passte.

IMG_3665

Der amerikanische Klassiker schlechthin. Nathaniel Hawthorne rechnet hier scharf mit den Puritanern ab, er selbst ändert schuldbewußt seinen Nachnamen von Hathorne in Hawthorne, um sich damit von seinem Vorfahr John Hathorne zu distanzieren, einem der Richter in den Salem-Prozessen und der einzige, der sich nie öffentlich entschuldigte, Reue zeigte oder sich in irgendeiner Form von seinem Tun im Rahmen der „Hexen“-Prozesse und Verbrennungen distanzierte.

Es braucht ein bisschen, bis man in den Roman hineinfindet, die Sprache und der Stil sind etwas schwierig. Wenn man aber drin ist, dann ist das eine wirklich spannende Geschichte, auch wenn der Plot sich fast ein wenig nach Soap Opera anhört.

Der Roman ist eines der einflussreichsten Werke über die Puritaner und eines der ersten, der eine Frau wirklich in den Mittelpunkt der Handlung stellt. Die Geschichte beginnt etwas langatmig in halb-biografischer Manier damit, wie der Autor als Inspektor im Zollhaus in Salem/Massachusetts an die wahre Geschichte der Hester Prynne gekommen ist.

Der eigentliche Roman beginnt damit, dass Hester Prynne durch die Gefängnistür tritt, auf dem Weg zum Pranger, wo sie öffentlich vorgeführt werden soll. Sie trägt das titelgebende „A“ auf der Brust, mit dem man sie als „Adulteress“, also als Ehebrecherin markiert. Im Arm hält sie die kleine Pearl, ihre in Sünde geborene Tochter. Hester weigert sich, den Namen ihres Partners preis zu geben, selbst als ihr wesentlich älterer Ehemann nach Jahren der Abwesenheit in Salem ankommt. Er nennt sich jetzt Roger Chillingworth (grandioser Name), der als Arzt unfreiwillig ein paar Jahre bei den Indianern verbrachte. Er setzt es sich zum Ziel, den Namen seines Rivalen herauszubekommen, um sich an ihm gebührend zu rächen.

Die dritte Figur ist Arthur Dimmesdale, ein  bekannter und beliebter Prediger der Gemeinde, der keine Gelegenheit verpasst, Hester zu verteidigen und der an einer mysteriösen Krankheit zu leiden scheint, die ihn langsam aber sicher dahinsiechen lässt.

„The Scarlet Letter“ spielt im Jahr 1642 und enthält eine Reihe historischer Persönlichkeiten und Bezüge zu realen Ereignissen, mit denen Hawthorne versuchte, die Geschichte realistischer erscheinen zu lassen. Obwohl der Roman nur etwas über zweihundert Seiten lang ist, beschreibt er eine Zeitspanne von etwa sieben Jahren, in der die stoische und ziemlich isolierte Hester stolz ihre Scham erträgt und sich nach und nach wieder in die Gemeinde zurückarbeitet. Da wir es hier mit einer puritanischen Gemeinde zu tun haben, drückt sich das darin aus, dass die Gemeindemitglieder Hester nun etwas weniger böse angucken als vorher. Wirklich integriert wird sie nie wieder.

Hawthorne schafft es sehr gut, ein lebendiges Bild des alten puritanischen Salem auferstehen zu lassen. Mit Hester schuf er eine großartige stolze proto-feministische Protagonistin, die sich wenig darum schert, was andere von ihr halten.

Mein größtes Problem mit der Geschichte ist, wie Hawthorne darin insistiert, dass Dimmesdale gleichermaßen leidet wie Hester. Zum einen an seiner immer stärker auf ihm lastenden Schuld und zum anderen unter Chillingworths Racheplänen. Das halte ich für Unsinn. Als würde er genau so viel leiden, wie eine Frau, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird, die ein Kind alleine großziehen muss und die stets und ständig die strafenden, überheblichen Blicke in der Gemeinde ertragen muss.

Es scheint, das einzig Pearl, die so oft als „demon offspring“ bezeichnet wird, in der Lage ist, die Scheinheiligkeit ihres Vaters zu durchschauen:

„What a strange, sad man is he!“ said the child, as if speaking partly to herself. „In the dark nighttime he calls us to him, and holds thy hand and mine, as when we stood with him on the scaffold yonder! And in the deep forest, where only the old trees can hear, and the strip of sky see it, he talks with thee, sitting on a heap of moss! And he kisses my forehead, too, so that the little brook would hardly wash it off! But, here, in the sunny day, and among all the people, he knows us not; nor must we know him! A strange, sad man is he, with his hand always over his heart!“

Hawthorne hat zeitlose Themen wie Schuld, Scheinheiligkeit und fundamentalistisches Denken in eine spannende Geschichte verpackt, mit einer Protagonistin, die man nicht so schnell vergisst. Ganz zurecht ein großer Klassiker.

Auf Deutsch erschien das Buch unter dem Titel „Der scharlachrote Buchstabe“ im DTV Verlag.

Ich möchte mir auch unbedingt die Verfilmung aus dem Jahr 1995 mit Demi Moore anschauen:

Mein letztes Buch aus dieser kleinen Gothic-Reihe stammt ebenfalls von einem großen Vertreter der deutschen romantischen Klassik:

IMG_3667

Friedrich von Schillers einziger Roman (oder doch eher Novelle?) „Der Geisterseher“ ist ein experimentelles, unvollständiges Werk. Die titelgebende als auch die anderen Erzählungen in diesem Band haben alle einen recht dramatischen Plot und häufig opernhafte Settings.

Der Geisterseher handelt von einem reichen, jungen Prinzen und seinem loyalen Gefährten, die sich in Venedig aufhalten. Dort treffen sie auf einen mysteriösen maskierten Armenier, der ihnen eine seltsame Prophezeiung macht. Als diese tatsächlich eintrifft, entwickelt die rätselhafte Figur einen starken finsteren Einfluss auf den jungen Prinz. Der Armenier bringt diesen mit immer dunkler werdenden Formen der Magie in Berührung und es wird zunehmend unklarer, was wirklich passiert und was sich nur in der Vorstellung des Prinzen abspielt. Oder ist alles am Ende nur ein großer Betrug?

Es gibt viele Gründe, warum Freunde der düsteren Lektüre zu diesem kleinen Juwel greifen sollten, nicht zuletzt, weil dieser Roman der Ursprung für das Genre der Schauerliteratur in Deutschland war. Für einen unvollendeten Roman war dieser sehr einflussreich. Es gab nicht nur unzählige Schriftsteller, die die Geschichte beendeten, er ist auch einer der ersten Romane, die in Venedig spielten und der im Genre des Schauerromans eine eigene Unterkategorie gründete – und zwar die des Geheimbundromans. Seien es die Geheimbünde auf der einen oder Venedig als geheimnisvolle Location auf der anderen Seite, „Der Geisterseher“ hatte großen Einfluß auf Autoren wie E. T. A. Hoffmann, Daphne du Maurier oder auch Thomas Mann.

Damit beende ich jetzt erst einmal diese Gothic Reihe, es wird aber sicherlich nicht lange dauern, bis ich wieder Lust auf dunkel-düsteres Schauern bekomme.

Hier geht es zum Teil 1 der Reihe.

Habt ihr noch Empfehlungen für mich?

Hirngymnastik: Alexander von Humboldt Marathon

DSC_0200

Es gibt wohl kaum einen Wissenschaftler, der unser Verständnis der Natur als universales zusammenhängendes Netz mehr geprägt hat, als der große preußische Naturforscher, Forschungsreisender und Universalgelehrte Alexander von Humboldt, der mit diesem Verständnis auch als Urvater der Naturschutzbewegung und Ökologie gelten kann.

In ihrer preisgekrönten großartigen Biografie stellt uns die Historikerin Andrea Wulf den Menschen Alexander von Humboldt als überraschend modernen Forscher vor, dessen Ideen bis heute wirken, insbesondere wenn es um Klimawandel oder Nachhaltigkeit, Konzepte und Ideen geht, mit denen er gut ein Jahrhundert seiner Zeit voraus war.

Sein Vermächtnis ist nicht so sehr eine einzelne Entdeckung, obwohl er als Entdecker des magnetischen Äquators, der Klimazonen und der Isothermen gilt – es ist tatsächlich mehr seine Haltung, seine Sicht auf die Welt und die Fähigkeit, Muster und Verbindungen zu sehen und diese zusammenzufügen – „Alles ist Wechselwirkung“.

Zu Humboldts Freundes- und Bekanntenkreis zählten schon früh die führenden Intellektuelle seiner Zeit wie Goethe, Schiller, Johann David Schlegel und andere. Seine Entdeckungsreisen begannen 1790 mit seiner Reise in Begleitung Georg Forsters an den Niedrhein, nach England und in das revolutionsbewegte Frankreich.

DSC_0203

Humboldt war neben all seinen wissenschaftlichen Entdeckungen auch sowas wie der Urvater des Networking. Er hatte die wunderbare Eigenschaft, mit jedem reden zu können und pflegte intensive Freundschaften. Er finanzierte und unterstützte junge Forscher durch Empfehlungsschreiben an Menschen aus seinem reichhaltigen Netzwerk und sein Einfluß auf die Literatur und Wissenschaft seiner Zeit war immens.

So weckten die Werke Alexander von Humboldts in Darwin die Reiselust nach Südamerika und Humboldts „Reise nach den Tropenländern“ war seine stetige Lektüre auf der Beagle.

Thoreau, Emerson, der amerikanische Präsident Thomas Jefferson oder auch der südamerikanische Revolutionär Simon Bolivar waren große Verehrer von Humboldt und auch die Astronomin Maria Mitchell, die ihn kurz vor seinem Tod traf, zeigte sich beeindruckt von seinem wissenschaftlichen Enthusiasmus und seiner Präsenz.

Humboldt beeinflusste nicht nur die hellsten Köpfe seiner Zeit, er war einer der ersten, der sich für ein fruchtbares Miteinander von Geistes- und Naturwissenschaften einsetzte. Sein integratives Herangehen an die Wissenschaft bedeutete für ihn immer auch Elemente aus der Philosophie, der Geschichte, der Literatur und Kunst mit aufzunehmen.

Er versuchte, das Silodenken in der Wissenschaft zu überbrücken, regte zum interdisziplinären Denken an und  veranstalte einen der ersten Kongresse, auf denen Wissenschaftler und Künstler nicht nur Vorträge hielten, sondern explizit aufgefordert waren, miteinander zu sprechen.

DSC_0201.JPG

Nach seiner fünfjährigen Forschungsreise durch Südamerika lebte der nur selten lange an einem Ort verweilende Herr überwiegend in der damaligen geistigen Hochburg Paris, sehr zum Missfallen des preußischen Königs, der ihn lange Zeit dennoch finanziell unterstützte. Humboldts Schaffensdrang war immens. Er veröffentlichte Hunderte von Büchern, wissenschaftlichen Texten, führte eine immense Korrespondenz und allein seine Tagebücher umfassten über 4500 Seiten. Seine Reisen und die hohen Druckkosten verschlangen einen Großteil seines Vermögens und etwa 20 Jahre nach seiner Rückkehr aus Südamerika riss dem preußischen König der Geduldsfaden und er orderte ihn 1829 als „Wirklich Geheimer Rat“ nach Berlin zurück. Immerhin handelte er einen jährlichen viermonatigen Paris-Aufenthalt heraus, denn Berlin war für Humboldt nie Heimat und sollte es auch nicht mehr wirklich werden.

„Das Land, in das Humboldt zurückkehrte, war entschieden anti-liberal. Die politischen Rechte waren sehr eingeschränkt, und liberale Ideen wurden generell unterdrückt. Preußens Mittelschicht hatte sich deshalb aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen und widmete sich ihren Privatinteressen. Musik, Literatur und Kunst drückten Gefühle aus anstelle revolutionärer Ansichten. Den Geist von 1789, wie Humboldt ihn nannte, gab es nicht mehr.“

1830 unternahm Humboldt seine letzte Forschungsreise nach Russland, wo er gemeinsam mit seinen Begleitern innerhalb eines knappen halben Jahres 15.000 km zurücklegte, gezogen von sage und schreibe 12.000 Pferden.

Die immense Popularität zu seinen Lebzeiten erlangte Humboldt insbesondere durch seine Gesamtschau der wissenschaftlichen Welterforschung, dem KOSMOS, dem er sich in seinen letzten zweieinhalb Jahrzehnten widmete und das zwischen 1845 – 1862 in fünf Titeln veröffentlicht wurde.

IMG_3103

Im Winter 1827/28 hielt er in der Berliner Singakademie 16 öffentliche Vorlesungen, die keinen Eintritt kosteten, die zu den Sternstunden der populären Wissenschaftsvermittlung gelten können. Er begründete damit das Genre der Populärwissenschaft und das soziale Spektrum seiner Hörer reichte vom Maurermeister, Krankenschwestern über wissenschaftliche Kollegen bis hin zu König Friedrich Wilhelm III – eine soziale Mischung, die in dieser Breite zuvor kein anderer deutscher Gelehrter erreicht hatte und die sehr dem Wesen Humboldts entsprachen.

Auch wenn es unzählige Orte, Pflanzenarten etc. gibt, die nach ihm benannt sind, ist Humboldt heute zu Unrecht deutlich weniger präsent als beispielsweise Darwin. Andrea Wulf rückt Humboldt in ihrem weltweit sehr erfolgreichen Buch wieder mehr ins verdiente Rampenlicht.

„Die Erfindung der Natur“ ist absolut fesselnde Lektüre und bringt uns einen Menschen näher, der nicht nur zum Begründer des Naturschutzes wurde, sondern der sich für alle Menschen unabhängig ihrer Herkunft einsetzte.

DSC_0202

Ein ganz besonderes Schmankerl ist die wunderschöne Ausgabe „Das Buch der Begegnungen – Menschen / Kulturen / Geschichten aus den amerikanischen Reisetagebüchern“ von Alexander von Humboldt aus dem Manesse Verlag, dem ich an dieser Stelle sehr für dieses umwerfende Rezensionsexemplar danke.

„Man glaubt einen alten Freund zu sehen beim Anblick des Meeres: Das Herz öffnet sich, die Einbildungskraft füllt sich mit tausenderlei Gedanken an Verbindungen, an Möglichkeiten, an Hoffnungen, Freunde ankommen zu sehen, zu den Seinen zurückzukehren …“

Es macht riesigen Spaß in diesem wunderschön aufgemachten Buch mit edlem Leineneinband, Lesebändchen und feiner Typografie zu blättern. Ein Buch, in dem man versinken kann und das gewollt nicht unbedingt chronologisch gelesen werden muss, sondern man blättert, liest, bleibt hängen.

Es gibt ein chronologisches Inhaltsverzeichnis aber auch einen sogenannten „Leseparcours“ der eine Sortierung nach individuellen Themen bietet, der dem vernetzten Denken Humboldts huldigt und uns an seiner Themenfülle, dem breiten Spektrum seines Denkens teilhaben läßt.

Man kann wunderbar seine immer stärkere, kritische Haltung zum Kolonialismus und insbesondere zur Sklavenhaltung verfolgen. Wissen war für ihn nicht einfach intellektuelles Können – es war die Fähigkeit eines integrativen, holistischen Erfassens des Lebens in all seinen Dimensionen.

„Die Sklaverei ist auf Unmoral gegründet; die Regierung soll Menschen ihrer heiligsten Rechte berauben, deren Haut von einer anderen Farbe ist, mit der Erlaubnis, das, was man in Havanna, auf Jamaica, in Sainte-Croix (und vor 1789 auf Saint-Domingue) tat, zu verüben: einer Mutter ihr Kind zu rauben und in 400 Meilen Entfernung zu verschleppen. Eine Regierung besitzt keinerlei Recht, die Unmoral zu sanktionieren.“

Humboldt war bis ins hohe Alter begeisterter Bergsteiger, Vulkanologe und Wanderer und hat wieder und wieder seine wissenschaftlichen Thesen an seinem eigenen Körper getestet. Für ihn waren Körper, Geist und Seele Instrumente, mit denen er die Welt vermessen und ergründet hat. Er war ein Fürsprecher von Rationalität und Emotionalität in einer Welt, die beides gerne sauber von einander getrennt halten wollte.

Durch seine Sensibilität für die Tatsache, dass alles miteinander verbunden ist, war er auch einer der ersten der erkannte, welche katastrophalen Folgen der durch die Menschen verursachte Klimawandel mit sich bringt. Das war ihm gerade deshalb möglich, weil er es vermied, klare Trennlinien zu ziehen zwischen Wissenschaft, Kunst und Literatur.

„Betrachtet man Natur nun als Netz, wird offensichtlich, welchen Gefahren sie ausgesetzt ist. Alles hängt mit allem zusammen. Wenn ein Faden gezogen wird, kann sich das ganze Gewebe auflösen.“

Mein Humboldt Marathon hat riesigen Spaß gemacht und ich kann folgende Bücher aus ganzen Herzen empfehlen:

  • Alexander von Humboldt: Das Buch der Begegnungen erschienen im Manesse Verlag
  • Andrea Wulf: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur erschienen in der Büchergilde Gutenberg
  • Alexander von Humboldt: Die Kosmos-Vorträge erschienen im Insel Verlag.

 

#WomeninSciFi (11) Frankenstein – Mary Shelley

Wie eine Frau das Science Fiction Genre erfand

Der Beitrag dieses dunklel-düsteren Artikels kommt dieses Mal aus dem sonnig heißen Dubai. Ich freue mich sehr, dass Peggy vom Block „Neuland“ trotz Umzugs- und Kistenauspackstress Zeit gefunden hat uns mit ihrem „Frankenstein“ Beitrag gar die Erfinderin des SciFi Genres näher zu bringen.

Als ich ihren Blog entdeckte, der damals noch unter „Entdecke England“ firmierte, hatte ich den innerhalb kürzester Zeit „leer gelesen“. Da ich selbst einige Jahre in London lebte, waren ihre Artikel die perfekte Mischung aus Erinnerungen auffrischen, Lust auf Wieder- und Neuentdeckungen in London und Fernwehpille, ich hatte mich schon mental auf ein Bier mit ihr bei einem meiner London-Besuche eingestellt – peng da zieht sie weg und zwar ins ferne Dubai.

Das macht zwar die Möglichkeit auf ein Bier in einem englischen Pub etwas unwahrscheinlicher, aber es gibt weiterhin soviel zu entdecken auf ihrem Blog, wenn sie gemeinsam mit dem kleinen Entdecker die Museen dieser Welt in Angriff nimmt oder von den Abenteuern in ihrer neuen Heimat berichtet, von der ich bislang herzlich wenig wusste. Jetzt lassen wir uns aber von ihr zurück ins schaurig-verregnete Großbritannien entführen. Here we go:

logo-scifi3


„It was on a dreary night of November, that I beheld the accomplishment of my toils. With an anxiety that almost amounted to agony, I collected the instruments of life around me, that I might infuse a spark of being into the lifeless thing that lay at my feet. It was already one in the morning; the rain pattered dismally against the panes, and my candle was nearly burnt out, when, by the glimmer of the half-extinguished light, I saw the dull yellow eye of the creature open; it breathed hard, and a convulsive motion agitated its limbs.”

 

Im Juni 1816 saß Mary Wollstonecraft Godwin mit ihrem Geliebten Percy Bysshe Shelley und ihrer Stiefschwester Jane in Lord Byrons Villa am Genfersee. Die Reisegruppe war einen Monat zuvor eingetroffen und hatte die sommerlichen ersten Wochen für Bootsfahrten und Ausflüge in die umliegenden Berge genutzt. Aber nun war das Wetter umgeschlagen und Regen fesselte Byron und seine Gäste ans Haus. Um sich die Zeit zu vertreiben, lasen sie Geistergeschichten und Byron schlug einen Schreibwettbewerb vor. Jeder der Gäste sollte eine eigene Gruselgeschichte erfinden. Byron, Shelley und ein weiterer Freund, Polidori, verloren keine Zeit. Aber Mary fiel partout nichts ein. Eines Abends schließlich, als sie wieder einmal beisammen saßen und über Gott und die Welt philosophierten, kam das Gespräch auf wissenschaftliche Experimente, die ein gewisser Erasmus Darwin (Großvater von Charles Darwin) durchgeführt hatte. Mithilfe eines elektrischen Stromschlags war es ihm offenbar gelungen, totes Muskelgewebe für einige Augenblicke „zum Leben“ zu erwecken. Als Mary ins Bett ging, konnte sie lange nicht einschlafen. Die Gespräche und Geschichten wirbelten in ihrem Kopf und plötzlich entstand vor ihrem inneren Auge eine Szene:

Die namenlose Kreatur, die der Forscher Victor Frankenstein erschafft, wird gute hundert Jahre später zum Protagonist zahlreicher Horrorfilme. Mary Shelleys „Frankenstein“ ist jedoch mehr als eine Gruselgeschichte. Dass der Roman schon damals wie eine Bombe einschlug, lag an seiner Neuartigkeit. Durch die Verarbeitung eines wissenschaftlichen Themas kreierte Mary Shelley (sie und Percy heirateten im Dezember 1816 nach dem Tod seiner ersten Frau) eine Utopie, die eine wichtige Frage aufwarf, die auch heute noch aktuell ist: Wo liegen die ethischen Grenzen wissenschaftlicher Forschungen?

Frankenstein

Der Plot ist schnell erzählt: Der Student Victor Frankenstein hat es sich in den Kopf gesetzt, tote Materie zum Leben zu erwecken. Zwei Jahre studiert er die verschiedensten Wissenschaften, tüftelt an seinem Apparat und schleicht nachts über Friedhöfe, um „Material“ für seine Schöpfung zu suchen. In seinem maßlosen (männlichen) Ehrgeiz sieht er sich bereits als einen gefeierten Wissenschaftler, als der Mann, der Gott endgültig von seinem Thron stößt. Als das Experiment schließlich gelingt, als die Kreatur die Augen öffnet, schaudert es ihn jedoch und er flieht. An dieser Stelle entfaltet sich das eigentliche Drama, denn seine Schöpfung entwickelt sich zu einem bewussten, empfindsamen Wesen.

„Like Adam, I was apparently united by no link to any other being in existence; but his state was far different from mine in every other respect. He had come forth from the hands of God a perfect creature, happy and prosperous, guarded by the especial care of his Creator; he was allowed to converse with and acquire knowledge from beings of a superior nature: but I was wretched, helpless, and alone.”

Frankensteins Kreatur lebt zunächst im Wald, aber seine Wissbegier lässt ihn aufbrechen und die Nähe zu Menschen suchen. Er versteckt sich in einer Hütte und beobachtet die Familie De Lacey, lernt Sprache und Literatur kennen und hilft den Menschen, die ihm ans Herz wachsen heimlich, indem er jede Nacht den Vorrat an Feuerholz auffüllt. Eines Tages entschließt er sich, sich zu offenbaren – in der Hoffnung, dass ihn die Menschen in ihrer Mitte aufnehmen. Das scheitert jedoch an seinem angsteinflößenden Äußeren.

„There was none among the myriads of men that existed who would pity or assist me; and should I feel kindness towards my enemies? No: from that moment I declared ever-lasting war against the species, and more than all, against him who had formed me, and sent me forth to this insupportable misery.”

Die Enttäuschungen und das Leben eines Ausgestoßenen machen ihn schließlich zum Mörder. In einer Aussprache mit Frankenstein bittet er diesen um eine Partnerin, eine Eva, und verspricht, sich mit dieser aus der menschlichen Gesellschaft zurückzuziehen. Frankenstein willigt zunächst ein, bringt es aber nicht über sich, den Schöpfungsakt noch einmal zu vollziehen. Nun beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel, zwischen Schöpfer und Kreatur, das nur mit dem Tod enden kann.

„Yet you my creator, detest and spurn me, thy creature, to whom though art bound by ties only dissoluble by the annihilation of one of us. You purpose to kill me. How dare you sport thus with life?”

Durch den Sprung zwischen den verschiedenen Erzählperspektiven verschwimmen die Konturen. Wer ist hier eigentlich Opfer und wer Täter? Wäre die Geschichte möglicherweise anders verlaufen, wenn sich Frankenstein um seine Schöpfung gekümmert hätte oder war das gottlose Wesen von Beginn an dazu verdammt, böse zu werden? Die illustre Runde in Byrons Villa war vom ersten Entwurf der Geschichte begeistert. Percy ermutigte Mary, sie weiterzuentwickeln. Obwohl das Paar oft unterwegs war, Mary sich um ihren Sohn William kümmern und den Haushalt führen musste, während Percy, der ruhelose Geist, regelmäßig allein auf Exkursionen ging, stellte sie den Roman innerhalb eines Jahres fertig.

frankenstein-394281_1280

Veröffentlicht wurde er zunächst anonym. Erst die zweite Auflage von 1823 trug Marys Namen. Trotz (oder gerade wegen?) des Erfolgs erhielt sie jedoch nicht nur Anerkennung. Viele bezweifelten, dass ein Frau in der Lage sei, einen solchen Roman zu schreiben und hielten ihn für eine Arbeit Percys. Und auch heute noch sind viele überrascht, wenn sie erfahren, dass eines der berühmtesten Monster der Literatur aus der Feder einer Frau stammt. Und das, obwohl sich „Frankenstein“ ganz offensichtlich kritisch mit der Idee vom Mann als kreativem Schöpfer auseinandersetzt. Sie zeigt, wohin (männlicher) Ehrgeiz ohne (weibliche) Empathie führen kann. Heutzutage wissen wir zwar, dass weder Ehrgeiz noch Empathie geschlechtsspezifisch sind. Zu Marys Zeiten waren die Rollen jedoch ganz klar verteilt und das spiegelt sich auch in ihrem Roman wider: Victor ist das intellektuelle Genie, während seine Elizabeth geduldig zu Hause auf ihn wartet – eine Situation, mit der sich Mary, die ihrem Gatten keineswegs intellektuell unterlegen war, nur allzu gut auskannte.

Das Buch ist spannend geschrieben, jedoch weit entfernt von dem Gruselschocker, den die zahlreichen Filmadaptionen erwarten lassen. Es ist vielmehr ein wunderbares Zeitdokument aus einer Epoche, in der nichts unmöglich schien, solange man als Mann geboren wurde. Sowohl der Aufbau der Geschichte als auch die philosophischen Fragen, die sie aufgreift, sind von der klassischen Literatur geprägt, wie ihr Untertitel „The modern Prometheus“ bereits andeutet. Gleichzeitig wurde das Buch als Unterhaltungsroman konzipiert, geschrieben für die Masse und auf der Erfolgswelle der Gothic Novel schwimmend. Eine geniale Idee einer genialen Frau und heute noch genauso lesenswert wie damals.

800px-RothwellMaryShelley

 Und wer jetzt Lust bekommen hat sich an einem verregneten Abend ein wenig zu gruseln, dem lege ich die Verfilmung mit Boris Karloff ans Herz:

Eine weitere unbedingte Leseempfehlung in dem Zusammenhang, ist Olaf Trunschkes „Die Kinetik der Lügen“ die ich kürzlich las und die eine interessante Mischung aus Fakt und Fiktion zur Entstehung des Romans liefert. Hier findet ihr meine Besprechung dazu.

Auf deutsch erschien „Frankenstein“ im Manesse Verlag

Himbeeren mit Sahne im Ritz – Zelda Fitzgerald

Zelda Fitzgerald wird oftmals erwähnt als „Ehefrau von F. Scott Fitzgerald“, dabei war  diese intelligente, unkonventionelle und lebenshungrige Frau so viel als nur Ehefrau. Denn sie konnte auch mehr, als nur Ehefrau sein. Das sie selbst Talent zum Schreiben hatte, zeigt sich spätestens in dem jetzt veröffentlichten Buch „Himbeeren mit Sahne im Ritz“, das Erzählungen enthält, die teilweise unter ihrem, aber auch unter dem Namen ihres Mannes erschienen sind, einfach, weil seine Berühmtheit mehr Geld einbrachte.

Die Erzählungen handeln ausschließlich von starken Frauen die ausziehen, die Welt zu erobern, entgegen der Konventionen der damaligen Zeit leben und sich als Frau behaupten. Sie portraitiert lebenshungrige, mutige und zeitweise etwas verrückte Frauen in den 20er und 30er Jahren auf dem Weg zur Selbstverwirklichung.

„Im Stillen erwartete sie Großes vom Leben, und zweifellos war das einer der Gründe, warum das Leben ihr Großes gewährte.“

Gleich in der ersten Erzählung wird der Protagonistin Gracie eine größere Rolle in einem Film versprochen, doch am Ende ist es mehr die Nebenbesetzung, als die Hauptrolle. Doch Gracie verzagt nicht und kommt am Ende noch zu ihrem – wenn gleich auch etwas anderen – Triumph. Es gibt zwischendurch auch sehr amüsante Stellen:

„Ich habe erlebt, wie die Butler und anderen Bediensteten um sie herumwirbelten wie Schneeflocken, sobald sie zum Weihnachtsball erschein, und ich habe mich gefragt, woher sie diese spontane Autorität nahm, denn selbst bei den feierlichsten Anlässen sah sie nie anders aus als eine sehr junge Frau mit sehr sauberen Ohren.“

Mir haben nicht alle Geschichten gleich gut gefallen, aber das ist ja auch normal. Die Männerwelt spielt in allen Erzählungen nur eine untergeordnete Rolle. Die Sprache der Erzählungen ist wahrscheinlich am besten als farbenfroh-blumig zu beschreiben.

„Für viele Menschen ist die Liebe so trügerisch wie die Marmelade in „Alice im Wunderland“ – gestern Marmelade, morgen Marmelade, nur heute gibt es keine. Jedenfalls nicht für Miss Ella, die immer noch von der Marmelade vergangener Tage zehrte und im Leben die Gefühle nur streifte, wie ein Vogel, der dicht über der Wasseroberfläche fliegt und dessen Flügel glitzernde Tropfen in die Luft wirbeln.“

Es macht Spaß, einen kurzen (zuweilen jedoch etwas zu kurzen) Einblick in die unterschiedlichen Leben und Charaktere zu bekommen. Das gelungene Cover verdient nochmals eine extra Erwähnung. Da musste natürlich das passende Badewasser her 😉

img_5601

Ich danke dem Manesse Verlag für das Rezensionsexemplar!