#WomeninSciFi (11) Frankenstein – Mary Shelley

Wie eine Frau das Science Fiction Genre erfand

Der Beitrag dieses dunklel-düsteren Artikels kommt dieses Mal aus dem sonnig heißen Dubai. Ich freue mich sehr, dass Peggy vom Block „Neuland“ trotz Umzugs- und Kistenauspackstress Zeit gefunden hat uns mit ihrem „Frankenstein“ Beitrag gar die Erfinderin des SciFi Genres näher zu bringen.

Als ich ihren Blog entdeckte, der damals noch unter „Entdecke England“ firmierte, hatte ich den innerhalb kürzester Zeit „leer gelesen“. Da ich selbst einige Jahre in London lebte, waren ihre Artikel die perfekte Mischung aus Erinnerungen auffrischen, Lust auf Wieder- und Neuentdeckungen in London und Fernwehpille, ich hatte mich schon mental auf ein Bier mit ihr bei einem meiner London-Besuche eingestellt – peng da zieht sie weg und zwar ins ferne Dubai.

Das macht zwar die Möglichkeit auf ein Bier in einem englischen Pub etwas unwahrscheinlicher, aber es gibt weiterhin soviel zu entdecken auf ihrem Blog, wenn sie gemeinsam mit dem kleinen Entdecker die Museen dieser Welt in Angriff nimmt oder von den Abenteuern in ihrer neuen Heimat berichtet, von der ich bislang herzlich wenig wusste. Jetzt lassen wir uns aber von ihr zurück ins schaurig-verregnete Großbritannien entführen. Here we go:

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„It was on a dreary night of November, that I beheld the accomplishment of my toils. With an anxiety that almost amounted to agony, I collected the instruments of life around me, that I might infuse a spark of being into the lifeless thing that lay at my feet. It was already one in the morning; the rain pattered dismally against the panes, and my candle was nearly burnt out, when, by the glimmer of the half-extinguished light, I saw the dull yellow eye of the creature open; it breathed hard, and a convulsive motion agitated its limbs.”

 

Im Juni 1816 saß Mary Wollstonecraft Godwin mit ihrem Geliebten Percy Bysshe Shelley und ihrer Stiefschwester Jane in Lord Byrons Villa am Genfersee. Die Reisegruppe war einen Monat zuvor eingetroffen und hatte die sommerlichen ersten Wochen für Bootsfahrten und Ausflüge in die umliegenden Berge genutzt. Aber nun war das Wetter umgeschlagen und Regen fesselte Byron und seine Gäste ans Haus. Um sich die Zeit zu vertreiben, lasen sie Geistergeschichten und Byron schlug einen Schreibwettbewerb vor. Jeder der Gäste sollte eine eigene Gruselgeschichte erfinden. Byron, Shelley und ein weiterer Freund, Polidori, verloren keine Zeit. Aber Mary fiel partout nichts ein. Eines Abends schließlich, als sie wieder einmal beisammen saßen und über Gott und die Welt philosophierten, kam das Gespräch auf wissenschaftliche Experimente, die ein gewisser Erasmus Darwin (Großvater von Charles Darwin) durchgeführt hatte. Mithilfe eines elektrischen Stromschlags war es ihm offenbar gelungen, totes Muskelgewebe für einige Augenblicke „zum Leben“ zu erwecken. Als Mary ins Bett ging, konnte sie lange nicht einschlafen. Die Gespräche und Geschichten wirbelten in ihrem Kopf und plötzlich entstand vor ihrem inneren Auge eine Szene:

Die namenlose Kreatur, die der Forscher Victor Frankenstein erschafft, wird gute hundert Jahre später zum Protagonist zahlreicher Horrorfilme. Mary Shelleys „Frankenstein“ ist jedoch mehr als eine Gruselgeschichte. Dass der Roman schon damals wie eine Bombe einschlug, lag an seiner Neuartigkeit. Durch die Verarbeitung eines wissenschaftlichen Themas kreierte Mary Shelley (sie und Percy heirateten im Dezember 1816 nach dem Tod seiner ersten Frau) eine Utopie, die eine wichtige Frage aufwarf, die auch heute noch aktuell ist: Wo liegen die ethischen Grenzen wissenschaftlicher Forschungen?

Frankenstein

Der Plot ist schnell erzählt: Der Student Victor Frankenstein hat es sich in den Kopf gesetzt, tote Materie zum Leben zu erwecken. Zwei Jahre studiert er die verschiedensten Wissenschaften, tüftelt an seinem Apparat und schleicht nachts über Friedhöfe, um „Material“ für seine Schöpfung zu suchen. In seinem maßlosen (männlichen) Ehrgeiz sieht er sich bereits als einen gefeierten Wissenschaftler, als der Mann, der Gott endgültig von seinem Thron stößt. Als das Experiment schließlich gelingt, als die Kreatur die Augen öffnet, schaudert es ihn jedoch und er flieht. An dieser Stelle entfaltet sich das eigentliche Drama, denn seine Schöpfung entwickelt sich zu einem bewussten, empfindsamen Wesen.

„Like Adam, I was apparently united by no link to any other being in existence; but his state was far different from mine in every other respect. He had come forth from the hands of God a perfect creature, happy and prosperous, guarded by the especial care of his Creator; he was allowed to converse with and acquire knowledge from beings of a superior nature: but I was wretched, helpless, and alone.”

Frankensteins Kreatur lebt zunächst im Wald, aber seine Wissbegier lässt ihn aufbrechen und die Nähe zu Menschen suchen. Er versteckt sich in einer Hütte und beobachtet die Familie De Lacey, lernt Sprache und Literatur kennen und hilft den Menschen, die ihm ans Herz wachsen heimlich, indem er jede Nacht den Vorrat an Feuerholz auffüllt. Eines Tages entschließt er sich, sich zu offenbaren – in der Hoffnung, dass ihn die Menschen in ihrer Mitte aufnehmen. Das scheitert jedoch an seinem angsteinflößenden Äußeren.

„There was none among the myriads of men that existed who would pity or assist me; and should I feel kindness towards my enemies? No: from that moment I declared ever-lasting war against the species, and more than all, against him who had formed me, and sent me forth to this insupportable misery.”

Die Enttäuschungen und das Leben eines Ausgestoßenen machen ihn schließlich zum Mörder. In einer Aussprache mit Frankenstein bittet er diesen um eine Partnerin, eine Eva, und verspricht, sich mit dieser aus der menschlichen Gesellschaft zurückzuziehen. Frankenstein willigt zunächst ein, bringt es aber nicht über sich, den Schöpfungsakt noch einmal zu vollziehen. Nun beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel, zwischen Schöpfer und Kreatur, das nur mit dem Tod enden kann.

„Yet you my creator, detest and spurn me, thy creature, to whom though art bound by ties only dissoluble by the annihilation of one of us. You purpose to kill me. How dare you sport thus with life?”

Durch den Sprung zwischen den verschiedenen Erzählperspektiven verschwimmen die Konturen. Wer ist hier eigentlich Opfer und wer Täter? Wäre die Geschichte möglicherweise anders verlaufen, wenn sich Frankenstein um seine Schöpfung gekümmert hätte oder war das gottlose Wesen von Beginn an dazu verdammt, böse zu werden? Die illustre Runde in Byrons Villa war vom ersten Entwurf der Geschichte begeistert. Percy ermutigte Mary, sie weiterzuentwickeln. Obwohl das Paar oft unterwegs war, Mary sich um ihren Sohn William kümmern und den Haushalt führen musste, während Percy, der ruhelose Geist, regelmäßig allein auf Exkursionen ging, stellte sie den Roman innerhalb eines Jahres fertig.

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Veröffentlicht wurde er zunächst anonym. Erst die zweite Auflage von 1823 trug Marys Namen. Trotz (oder gerade wegen?) des Erfolgs erhielt sie jedoch nicht nur Anerkennung. Viele bezweifelten, dass ein Frau in der Lage sei, einen solchen Roman zu schreiben und hielten ihn für eine Arbeit Percys. Und auch heute noch sind viele überrascht, wenn sie erfahren, dass eines der berühmtesten Monster der Literatur aus der Feder einer Frau stammt. Und das, obwohl sich „Frankenstein“ ganz offensichtlich kritisch mit der Idee vom Mann als kreativem Schöpfer auseinandersetzt. Sie zeigt, wohin (männlicher) Ehrgeiz ohne (weibliche) Empathie führen kann. Heutzutage wissen wir zwar, dass weder Ehrgeiz noch Empathie geschlechtsspezifisch sind. Zu Marys Zeiten waren die Rollen jedoch ganz klar verteilt und das spiegelt sich auch in ihrem Roman wider: Victor ist das intellektuelle Genie, während seine Elizabeth geduldig zu Hause auf ihn wartet – eine Situation, mit der sich Mary, die ihrem Gatten keineswegs intellektuell unterlegen war, nur allzu gut auskannte.

Das Buch ist spannend geschrieben, jedoch weit entfernt von dem Gruselschocker, den die zahlreichen Filmadaptionen erwarten lassen. Es ist vielmehr ein wunderbares Zeitdokument aus einer Epoche, in der nichts unmöglich schien, solange man als Mann geboren wurde. Sowohl der Aufbau der Geschichte als auch die philosophischen Fragen, die sie aufgreift, sind von der klassischen Literatur geprägt, wie ihr Untertitel „The modern Prometheus“ bereits andeutet. Gleichzeitig wurde das Buch als Unterhaltungsroman konzipiert, geschrieben für die Masse und auf der Erfolgswelle der Gothic Novel schwimmend. Eine geniale Idee einer genialen Frau und heute noch genauso lesenswert wie damals.

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 Und wer jetzt Lust bekommen hat sich an einem verregneten Abend ein wenig zu gruseln, dem lege ich die Verfilmung mit Boris Karloff ans Herz:

Eine weitere unbedingte Leseempfehlung in dem Zusammenhang, ist Olaf Trunschkes „Die Kinetik der Lügen“ die ich kürzlich las und die eine interessante Mischung aus Fakt und Fiktion zur Entstehung des Romans liefert. Hier findet ihr meine Besprechung dazu.

Auf deutsch erschien „Frankenstein“ im Manesse Verlag

20 Kommentare zu “#WomeninSciFi (11) Frankenstein – Mary Shelley

  1. Ich liebe diesen Roman und weiß noch genau, wie tief er mich emotional berührt hat. Mit der tiefen Traurigkeit des „Monsters“ bin ich während des Lesens regelrecht in eine gedrückte Stimmung verfallen. Die Lektüre war schwer und nie von guter Laune geprägt, aber und vielleicht gerade deswegen hat dieses Buch erreicht, was nicht viele schaffen. Ich werde es nie vergessen.

    Danke für diesen schönen Bericht.
    Liebe Grüße,
    Sandra

  2. Frankenstein ist wahrscheinlich einer der ersten Text überhaupt, die zentrale Konflikte der Moderne wirklich durchdringen und dann auch noch auf ein so überzeugendes Bild bringen. Eine Proto-Dialektik der Aufklärung sozusagen. Librivox hat übrigens eine ganz gute gemeinfreie dramatische Lesung des Textes im Programm.

  3. Klasse – wie immer bietet Peggy auch die passenden Hintergrundinformationen, erzählt rund ums Buch. Ich habe seinerzeit „Frankenstein“ auch mit gemischten Gefühlen gelesen, konnte und kann mich bis heute nicht entscheiden, ob die Kreatur Opfer oder Täter ist – vielleicht auch eine Metapher dafür, dass es eben immer schief geht, wenn der Mensch in das natürliche Werk hineinpfuscht. Was ich mal noch nachrecherchieren muss, ist, wieso Shelley den Roman unter anderem auch in Bayern (Ingolstadt, wenn ich mich recht erinnere) verortet hat – vielleicht weiß Peggy das ja?
    LG Birgit

    • Liebe Birgit, warum es gerade Ingolstadt ist, weiß ich leider auch nicht. Aber die Shelleys sind auch durch Deutschland gereist und hatten eine Affinität für deutsche Literatur. Möglicherweise kannte sie Ingolstadt. Ich fand übrigens auch, dass gerade diese Opfer-Täter-Frage einer der vielen Aspekte ist, die den Roman so zeitlos erscheinen lassen. Liebe Grüße, Peggy

      • Ich bin gespannt. Bei mir liegt noch eine Biografie, eines der vielen unangetasteten Projekte. Aber das läuft mir zum Glück nicht weg. Momentan fühle ich mich von den Wüstengeschichten mehr angezogen. 😀

  4. Ein Klassiker, den ich auch noch sehr sehr gerne lesen möchte! Ich habe es versucht als ich noch ein Kind war und bin an der Sprache gescheitert, aber das Thema lässt mich nicht los, verfolgt mich regelrecht ein bisschen. Neulich in einem Manga und jetzt gerade erst in der Serie „The Frankenstein Chronicles“ wo Mary Shelley einen Auftritt hat … es wird Zeit das nachzuholen!

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  6. Auf ingolstadt-erleben.de steht, dass in der Stadt 1472 die erste Bayerische Landesuniversität gegründet wurde.
    „Diese zählte, zumindest in den ersten Jahren ihres Bestehens, neben Prag und Wien zu den bedeutendsten im gesamten deutschsprachigen Raum.“ Möglicherweise war sie deshalb auch Mary Shelley bekannt.

    Laut Webseite entstand dort im 18. Jahrhundert ein eigenes „Experimentiergebäude“ der Naturwissenschaftler und Mediziner, die bis heute erhaltene „Alte Anatomie“ – heute Sitz des Deutschen Medizinhistorischen Museums, an dem ich vor kurzem übrigens vorbeispaziert bin, ohne zu wissen, dass dort Frankenstein spielt.

    Ein Klassiker, der schon zu lange ungelesen bei mir im Regal steht.

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