9. Türchen: Frankissstein – Jeanette Winterson

Im Brexit-Britannien verliebt sich die junge Transgender-Ärztin Ry wider besseres Wissen in Victor Stein, einen gefeierten Professor, der die öffentliche Debatte über KI anführt.

In der Zwischenzeit will Ron Lord, der gerade geschieden ist und wieder bei seiner Mutter lebt, sein Vermögen mit der Einführung einer neuen Generation von Sexpuppen für einsame Männer machen.

Auf der anderen Seite des Atlantiks, in Phoenix, Arizona, beherbergt eine Kryogenik-Anlage Dutzende von Männern und Frauen, die medizinisch und rechtlich tot sind… aber darauf warten, ins Leben zurückzukehren.

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Alles beginnt im Jahr 1816, als die neunzehnjährige Mary Shelley eine Geschichte über die Erschaffung einer nicht-biologischen Lebensform schreibt: „Hüte dich, denn ich bin furchtlos und daher mächtig“

Was wird passieren, wenn Homo sapiens nicht mehr das intelligenteste Wesen auf dem Planeten ist? Jeanette Winterson zeigt uns, dass die Zukunft schon viel näher ist als wir ahnen. Witzig und wütend, kühn und klarsichtig, präsentiert uns Winterson mit Frankissstein eine Neuauflage des Klassikers der mich über die Maßen beschäftigt hat. Ich fand es unheimlich spannend mich von Sex-Roboter Ethik über Transgender-Fragen mit unglaublich vielen spannenden Fragen konfrontiert zu sehen.

“I was never bored except in the company of others.”

Eine Lektüre die ich euch unbedingt ans Herz legen möchte, insbesondere wenn ihr ein Fan des Originals seid und Spaß daran habt euch vorzustellen, wie Mary Shelley über Fragen von KI/Robotik etc heute geschrieben hätte.

“All I am saying is that love is not exclusively human.”

Kennt und mögt ihr das Original? Wer Lust darauf bekommen hat, der kann hier mehr darüber erfahren. Im Booklclub haben auf jeden Fall sowohl das Original als auch diese Neuinterpretation für anregende Diskussionen gesorgt.

Auf deutsch ist das Buch unter dem gleichnamigen Titel im Kein und Aber Verlag erschienen.

2. Türchen: Kindred von Octavia Butler

Hinter dem 2. Türchen verbirgt sich eine der Grand Dames der Science Fiction Literatur: Octavia Butler!

Als erster Science-Fiction-Roman, der von einer schwarzen Frau geschrieben wurde, ist Kindred zu einem Eckpfeiler der schwarzen amerikanischen Literatur geworden. Diese Kombination aus Sklavenmemoiren, Fantasy und historischer Fiktion ist ein Roman von großer literarischer Komplexität. Dana, eine Afroamerikanerin, die gerade ihren 26. Geburtstag im Kalifornien des Jahres 1976 gefeiert hat, wird plötzlich und auf unerklärliche Weise durch die Zeit in das Maryland der Vorkriegszeit gerissen. Nachdem sie dort einen ertrinkenden weißen Jungen gerettet hat, starrt sie in den Lauf einer Schrotflinte und wird gerade noch rechtzeitig in die Gegenwart zurückgebracht, um ihr Leben zu retten. Durch die immer wiederkehrenden Zeitsprünge bei denen sie immer wieder auf denselben jungen Mann trifft erkennt sie die Herausforderung, die ihr das Schicksal und die Zeit versucht zu stellen.

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“Repressive societies always seemed to understand the danger of „wrong“ ideas.”

Mein Bookclub ist bei Science Fiction Literatur teilweise etwas mbivalent und da wir gemeinsam für die kommenden 12 Bücher des Jahres abstimmen, habe ich das Wörtchen Sci-Fi und Zeitreise bei der Beschreibung von Octavia Butlers Roman frech weggelassen und es wurde tatsächlich gewählt. Ich war ganz schön nervös, ob meine lieben Bookclub-Ladies mir also den Roman um die Ohren hauen würden, nachdem der Zeitreise-Aspekt doch schon nach den ersten paar Seiten kaum noch zu verbergen war, aber ich wurde wahnsinnig positiv überrascht. Der Roman hat alle fast durch die Bank begeistert – Ms Butler hat viele neue Fans gewinnen können und auch das Genre SciFi im Allgemeinen hat einiges an Boden wettmachen können.

Wer jetzt gerade warmgelaufen ist und Lust auf mehr SciFi hat den locke ich sehr gerne zu meiner Reihe „Women in SciFi“ und empfehle hier ganz speziell die Besprechung ihrer Romane Bloodchild / Parable of the Sower die seinerzeit vom guten Mister Aufziehvogel besprochen wurden.

Kindred macht auf jeden Fall was her unter dem Weihnachtsbaum – der perfekte Roman für alle Zeitreisen und SciFi Fans und alle die es werden wollen oder sollen 😉

Auf deutsch erschien der Roman unter dem Titel „Verbunden“ im W_orten & Meer Verlag

Was ist euer Lieblingsroman von Octavia Butler?

Dystopische D(r)amen

Wer glaubt eine Pandemie würde mich von meiner dystopischen Leidenschaft heilen, irrt gewaltig. Diese drei Bücher waren die perfekte Begleitlektüre durch die Covid-19 bedingten Ausgangsbeschränkungen.

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Die Wand ist eine Chronik des Lebens des letzten überlebenden Menschen auf der Erde, einer gewöhnlichen Frau mittleren Alters, die eines Morgens aufwacht und feststellt, dass alle anderen verschwunden sind. In der Annahme, ihre Isolation sei das Ergebnis eines schiefgelaufenen militärischen Experiments, beginnt sie die mit der Arbeit des Überlebens und ihrer eigenen Selbsterneuerung. Dieser Roman ist gleichzeitig eine einfache und bewegende Geschichte und eine verstörende Meditation über die Menschheit.

Wenn ich heute an meine Kinder denke, sehe ich sie immer als Fünfjährige, und es ist mir, als wären sie schon damals aus meinem Leben gegangen. Wahrscheinlich fangen alle Kinder in diesem Alter an, aus dem Leben ihrer Eltern zu gehen; sie verwandeln sich ganz langsam in fremde Kostgänger. All dies vollzieht sich aber so unmerklich, daß man es fast nicht spürt. Es gab zwar Momente, in denen mir diese ungeheuerliche Möglichkeit dämmerte, aber wie jede andere Mutter verdrängte ich diesen Eindruck sehr rasch. Ich mußte ja leben, und welche Mutter könnte leben, wenn sie diesen Vorgang zur Kenntnis nähme?“

Das Buch ist der Bericht, den die Heldin einige Jahre später auf der Grundlage des skizzenhaften Tagebuchs schreibt, das sie geführt hat. Es vermischt Erinnerungen, Rekonstruktion vergangener Episoden, die verblasst sind, und Reflexionen aus der Gegenwart. Doch meistens handelt er von den Einzelheiten des täglichen Überlebenskampfes: wie sie mit ihrem kargen Kartoffelvorrat ein Kartoffelacker anlegt (hat mich sehr an den Martian von Andrew Weir erinnert), wie sie Heu mäht, um ihre Kuh zu füttern, wie sie Holz hackt, um sich in den bitteren Wintern warm zu halten und wie sie manchmal einen Hirsch schießt, um Fleisch zu bekommen.

Sie ist völlig kompromisslos: Die Erzählerin schreibt nur für sich selbst, es gibt sonst niemanden auf der Welt, und sie vermisst auch niemanden so richtig. Sie will die Dinge einfach nur erzählen wie sie sich zugetragen haben. Es ist erstaunlich, wie real ihre Welt wird und wie selten man einen dystopischen Roman ließt, in dem soviel Fürsorge zutage tritt.

Das Buch widersetzt sich einer einfachen Interpretation. Vielleicht ist das nicht einmal die eigentlich spannende Frage. Es ist ein grandioses Bild, das einem im Gedächtnis bleibt, die einsame Frau, die in ihrer unsichtbaren Blase gefangen ist, die fast alles verloren hat, sich aber immer weigert aufzugeben. Eine Frau, die all ihre Entschlossenheit, ihren Einfallsreichtum und ihr Können einsetzt, um noch ein weiteres Jahr zu überstehen, weil ihre kleine Tierfamilie sie braucht. Manchmal denkt sie an die Menschen, die diese unbegreifliche Waffe geschaffen haben, die alle außerhalb der Wand in Stein verwandelt hat, und sie fragt sich, wie sie das geschafft haben konnten. Diese Menschen müssen sich in einer Weise von ihr unterscheiden, die sie nicht in keinem Fall verstehen kann.

Wer weiß, was die Gefangenschaft aus diesem unauffälligen Mann gemacht hätte. Auf jeden Fall war er körperlich stärker als ich, und ich wäre von ihm abhängig gewesen. Vielleicht würde er heute faul in der Hütte umherliegen und mich arbeiten schicken. Die Möglichkeit, Arbeit von sich abzuwälzen, muß für jeden Mann eine große Versuchung sein. Und warum sollte ein Mann, der keine Kritik zu befürchten hat, überhaupt noch arbeiten.“

„Die Wand“ ist der berühmteste Roman der 1920 im österreichischen Frauenstein geborenen Marlen Haushofer. Er wurde 2012 mit Martina Gedeck in der Hauptrolle verfilmt. „Die Wand“ wurde in den achtziger Jahren von der Frauen- und der Friedensbewegung wiederentdeckt, und die Geschichte lässt sich vielfältig interpretieren.

Als perfekten Soundtrack empfehle ich Chelsea Wolfes „Pain is Beauty

Empfehlen kann ich auch die Verfilmung mit Martina Gedeck in der Hauptrolle:

Warum hört man eigentlich so gar nichts vom Haushofer Jahr, wo uns doch an jeder Ecke Hölderlin, Beethoven und Paul Celan Gedenktage und Veröffentlichungen begegnen? Sehr schade.

Daher feiere ich dieses Jahr Marlen Haushofer, Annette Kolb und Clarice Lispector 🙂

Und ihr so?

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Winters Garten ist der Name der idyllischen Siedlung, in der alles üppig wächst und gedeiht und der Sehnsuchtsort von Anton der in der Stadt lebt und Vögel züchtet und der dort eine sehr glückliche Kindheit erlebte. Er wuchs mit anderen Kindern und den alten Menschen in einem riesigen Haus mit Winters Garten auf. Er erlebte die Welt und den Tod aus nächster Nähe, streifte durch Wiesen und Wälder, spielt verstecken genießt die Wärme und Liebe seiner geliebten Großmutter.

Als Erwachsener lebt er als Vogelzüchter in der Stadt. Schlaflos steht er nachts am Fenster und blickt auf die verwahrlosten Straßen. Alles ändert sich, nichts ist mehr wie es war. Häuser und Straßenzüge verfallen, die wilden Tiere dringen in die Vorgärten und Hinterhöfe ein, der Schlaf der Menschen ist schwer von Träumen und viele gehen hinunter ans Meer, um ihrem Leben ein Ende zu bereiten.

Inmitten dieser Hoffnungslosigkeit trifft Anton eine Frau, in die er sich auf den ersten Blick verliebt. Wortlos nimmt sie ihn bei der Hand, folgt ihm nach Hause und bleibt. Sie starren sich an oder lieben sich.

 

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Anton hilft ihr in der Klinik, in der sie arbeitet, die in eine Entbindungsstation umgewandelt wurde. Friederike freundet sich mit der hochschwangeren Marta an. Nach der Geburt des Kindes, stellt sich heraus, dass der Vater Antons Bruder ist. Nach vielen Jahren kehrt Anton mit Friederike, seinem Bruder, dessen Frau und dem Baby in die Gartenkolonie zurück, um vor dem nahenden Ende der Welt zu fliehen. Sie verbringen die Tage damit, sich zu erinnern und auf das zu warten, was kommen mag.

Ich habe so vieles vergessen, aber nicht, wie man von der Zukunft spricht. Es ist niemand da, der fragt, ob man leben will, und niemand, der fragt, ob man sterben will. Genauso wenig, wie man sich aussuchen kann, von wem man geliebt wird. Und selbst wenn man seine Tritte sorgfältig rückwärts in die eigenen Fußspuren setzt, heißt das nicht, dass man dort ankommt, wo man aufgebrochen ist. Wenn mich die Menschen fragen, ob ich die Welt gesehen habe, sage ich ihnen, dass sie nie still genug hält, um gesehen zu werden

Was genau in der Welt passiert, wird nicht näher erläutert, aber das nahende Ende ist in deutlich spürbar. Es ist die Sprache, die eine dunkle Anziehungskraft entwickelt und die einen vom ersten Satz an in die wohlig-dunkle Atmosphäre des Romans hineinzieht.

Das ist kein Roman für Menschen, die einen rasanten Plot lieben mit vielen Wendungen. Denn es passiert nicht viel. Am Anfang und am Ende steht die Gartenkolonie, die voller Erinnerungen ist und den Menschen Heimat bietet in einer Welt die keine Zukunft mehr hat.

Zu lieben ist die einzig angemessene Art zu existieren. Wenn man beginnt, einander zu lieben, weiß man nichts darüber, nichts über die Angst, den Mut, die Trauer, die Bedingungslosigkeit, oder man weiß alles und versteht die Liebe doch nicht, weil sie noch unbelastet ist von den Erfahrungen, die ihr folgen.“

Wortgewaltig, sinnlich, düster, tolle Atmosphäre.

Als passenden Soundtrack zum Buch habe ich Soap & Skin „Lovetune for Vacuum“ gehört.

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The Memory Police von Yoko Ogawa ist ein hypnotischer, ruhiger Roman, der als Dystopie eines Überwachungsstaates beginnt und als etwas Existenzielleres endet: eine surreale und eindringliche Meditation über unser Selbstverständnis.

Dieser Roman, der vor 25 Jahren erstmals in Japan veröffentlicht wurde und jetzt in englischer Übersetzung vorliegt, ist gänzlich zeitlos. Die Bewohner einer namenlosen Insel, die unter einem repressiven Regime leben, erleben eine Form von kollektiver, allmählicher Amnesie. Beim Erwachen beginnt ein scheinbar zufälliger Gegenstand – Rosen, Vögel, Boote – aus ihren Köpfen zu verschwinden. Sie müssen die vollständige Auslöschung des Gegenstandes sicherstellen, indem sie alle Beweise für seine Existenz aus der Welt tilgen. Die Gedächtnispolizei ist dazu da, selbst den schwächsten Widerstand zu brechen, aber die meisten Menschen treiben in passiver Selbstgefälligkeit durch den Tag und Widerstand ist kaum spürbar. Welchen Sinn hat es, sich an etwas zu klammern, an das man sich nicht erinnern kann?

“It’s a shame that the people who live here haven’t been able to hold such marvelous things in their hearts and minds, but that’s just the way it is on this island. Things go on disappearing, one by one. It won’t be long now,” she added. “You’ll see for yourself. Something will disappear from your life.”

Eine kleine Zahl von Menschen ist gegen dieses Phänomen immun. Sie sind verflucht durch ihre vollständige Erinnerung an alles, was verloren gegangen ist, und stellen eine Bedrohung für das Regime dar. Daher müssen sie ihre Andersartigkeit um jeden Preis verbergen.

Memories are a lot tougher than you might think. Just like the hearts that hold them.”

Im Roman geht es um eine junge Frau, die um ihre Karriere als Schriftstellerin kämpft, und die entdeckt, dass ihr Verleger durch die Gedächtnispolizei in Gefahr ist, schmiedet sie einen Plan, ihn in einem eigens dafür errichteten Anbau unter ihren Dielen zu verstecken, in einer Weise, die mich immens an  „Das Tagebuch der Anne Frank“ erinnerte. Es handelt sich um eine geheime Kammer, die nur über eine Falltür in der Decke zugänglich ist. Unterdessen beschleunigt sich das „Vergessen“ und wird immer extremer.

Dies ist eine stille, melancholische Apokalypse, bei der die Widerstandsversuche gering sind und die in der völligen Zerstörung des Selbst gipfelt.

“I don’t know. Maybe there’s a place out there where people whose hearts aren’t empty can go on living.”

Der perfekte Soundtrack für diesen Roman ist „Nowhere Now Here“ von Mono.

Wie ist das bei euch? War euch in der letzten Zeit eher nach Kontrastprogramm oder habt ihr auch ganz bewusst nach eher dunklen, dystopischen Stoffen gegriffen?

#Women in SciFi (54) Die Sternenkrone – James Tiptree Jr.

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Diese Kurzgeschichtensammlung enthält die letzten Werke von Alice Sheldon alias James Tiptree Jr, kurz bevor sie 1987 ihrem eigenen und dem Leben ihres Ehemannes ein Ende setzte. Die Schwierigkeiten, die sie durch die Erkrankung ihres Mannes sowie ihrer eigenen Depression hatte, haben in diesem Band die wohl düstersten ihrer Geschichten hervorgebracht.

Aber trotz aller Düsternis und Depression, Sheldon/Tiptree war stets in der Lage, ihre spekulativen Ideen mit den größtmöglichen Hypothesen zu verbinden. So treffen wir auf den Teufe, auf blaue Oktopus-Aliens, konzernbetriebenen Kannibalismus sowie Zeitreisende und tödliche Langeweile.

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Sheldon wagt sich mit ihren Ideen weit vor und kommt zu bewegenden und schockierenden Ergebnissen, wohin es die Menschheit so treiben könnte. Sheldon ist eine Autorin, die dem Leser viel zumutet, die ihn zwingt, alles aus komplett anderer Perspektive zu betrachten.

Die Sternenkrone, die selbst nie im Text vorkommt, gebührt ganz eindeutig Alice Sheldon, der Königin unter den Science Fiction Kurgeschichten-Autoren.

Besonders gefielen mir die Geschichten „Non Angli Sed Angli“ eine melancholische Geschichte, in der die Menschheit Kontakt zu blauen Oktopus-Aliens aufnimmt, die sich als Ersatz für die alten, leeren Götter der Erde sehen sowie die Geschichte „Fleisch“, die in einer nahen dystopischen Zukunft angesiedelt ist, in der ähnlich wie in Atwoods „The Handmaid’s Tale“ konservative Gruppen die Abtreibungsrechte abschaffen, der Großteil der Menschheit in bitterer Armut lebt und die vom Staat betriebenen Babyklappen wie Tierheime aufgezogen sind.

Der Band enthält folgende Kurzgeschichten:

01. „Non Angli Sed Angeli“ („Second Going“) 9/10
02. „Der residierende Teufel“ („Our Resident Djinn“) 7/10
03. „Fleisch“ („Morality Meat“) 10/10
04. „All dies und den Himmel dazu“ („All This and Heaven Too“) 7/10
05. „Yanqui Doodle“ („Yanqui Doodle“) 8/10
06. „Komm, leb mit mir“ („Come Live with Me“) 6/10
07. „Diese Nacht und alle Nächte“ („Last Night and Every Night“) 5/10
08. „Zurück! Dreh’s Zurück!“ („Backward, Turn Backward“) 10/10
09. „Schlangengleich erneuert die Erde sich“ („The Earth Doth Like a Snake Renew“) 7/10
10. „Mitten im Leben“ („In Midst of Life“) 6/10

Ich bin übrigens jetzt so angefixt von Sheldon/Tiptree, daß ich andere von ihr lesen möchte und auf jeden Fall auch die Biografie dieser sehr faszinierenden Frau. Die nächsten Bände werde ich mir im Septime Verlag kaufen, die eine wunderschöne Gesamtausgabe herausgegeben haben.

Constanze, vom Blog Zeichen & Zeiten hat für die Reihe „Women in SciFi“ ein spannendes Interview mit dem Verleger Jürgen Schütz geführt, das man hier nachlesen kann.

Habt ihr schon etwas von Alice Sheldon/James Tiptree Jr gelesen bzw. welches ist eure Lieblingsgeschichte von ihr?

#WomeninSciFi (52) Kallocain – Karin Boye

Ich freue mich mich, dass es bei #Women in SciFi heute um einen sehr interessanten dystopischen Klassiker aus Skandinavien geht. Karin Boyes Roman ist immer wieder auf meinem Radar aufgetaucht – und wieder verschwunden. Um so glücklicher bin ich, dass ihn Jana vom Blog „Wissenstagebuch“ aufgestöbert und im Rahmen einer Twitter-Leserunde besprochen hat. Dem „Wissenstagebuch“ müßt ihr im Übrigen unbedingt einen Besuch abstatten – so viele spannende Reihen die Jana da präsentiert: über die Philosophische Hintertreppe und Klassiker zu #WirlesenFrauen und vielem mehr. Aber jetzt lasst uns nach Skandinavien reisen, gemütlich wird es allerdings nicht:

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Karin Boyes 1940 erschienener Roman „Kallocain“ gilt als Klassiker der dystopischen Literatur und wird mit Werken wie Aldous Huxleys „Brave New World“ und George Orwells „1984“ in eine Reihe gestellt. Im Rahmen der Twitter-Leserunde von 54books (#54readsKB) habe ich mir die schwedische Dystopie näher angeschaut.

Der Chemiker Leo Kall entwickelt ein Wahrheitsserum, das wirklich jeden zum Reden bringt. Nicht uneitel benennt er das Mittel nach sich selbst „Kallocain“. Als treuer Staatsbürger stellt er es sogleich dem herrschenden Regime zur Verfügung – mit fatalen Folgen für alle, deren Gedanken nicht im Gleichschritt marschieren.

Karin Boyes „Kallocain“ wurde zwar schon 1947 einmal ins Deutsche übersetzt, aber erst die Neuübersetzung 2018 durch Paul Barf – verbunden mit dem allgemeinen Interesse an dystopischer Literatur – hat den Roman zumindest in der Bloggosphäre stärker ins Bewusstsein gerückt. Die Geschichte nimmt viele Elemente von Orwells unermüdlich zitiertem Roman „1984“ vorweg (hier 10 Gründe, warum 1984 immer noch aktuell ist), reicht in seiner Bekanntheit aber bei Weitem nicht an den später erschienenen Roman heran. Warum?

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Vielleicht liegt es daran, dass Boye ihren Schwerpunkt nicht auf die Beschreibung und Ausgestaltung der von ihr erfundenen Welt, auf das Worldbuilding, legt. Bis weit in die Geschichte hinein hat der Leser nur eine vage Vorstellung davon, wie der Heimatstaat Leo Kalls organisiert ist, welche Machtstrukturen und politischen Seilschaften es gibt und was eigentlich das erklärte Staatsziel sein soll. Anachronistisch wirkt, dass die Institution der Familie sich bis zum Zeitpunkt der Geschichte bewährt hat und dass das Staatsleben trotz völliger Informationsabschottung seiner Bewohner (sogar geografische Informationen sind verboten) funktioniert.

Was Boye nicht in den Entwurf der von ihr geschaffenen Welt steckt, investiert sie in das Innenleben ihres Protagonisten Kall. Als Leser sieht man die Geschehnisse nach Erfindung des Kallocains durch seine Augen. Anfangs fühlt man sich so gar nicht wohl im Kopf des perfekten „Mitsoldaten“, der keinen Dienst verpasst und seine Frau Linda dafür hasst, dass kein offenes Gespräch mit ihr möglich ist, während er selbst jederzeit zum Denunzieren bereit ist. Langsam setzt dann ein Wandel in Kalls Denken ein; leise Zweifel melden sich an, bis er schließlich zum ersten Mal eigenen, frischen Gedanken Einlass in sein Bewusstsein gestattet.

Der Kopf des Einzelnen ist zweifellos der spannendste Ort im totalitären System. Boye gelingt es, ein Abbild des möglichen Denkens und Fühlens im nationalsozialistischen Deutschland und im Stalinismus zu schaffen. Beide Systeme kannte sie aus eigener Anschauung. Und doch fehlte es für meinen Geschmack an einer pointierten Darstellung. Einige der Figuren wagen es, über die Fehler des Systems zu sprechen, doch bleibt dies immer seltsam nebulös, geschieht nie in griffigen Worten. Insbesondere beim Scharfprozess gegen Kalls Kollegen Rissen hat Boye aus meiner Sicht die Gelegenheit verpasst „einen Punkt zu machen“. Vielleicht war dieses Verweilen im Unscharfen auch nötig, um das Manuskript durch die selbstauferlegte Zensur des nicht besetzten Schwedens der 40er Jahre zu schleusen. Etwas besser gelingt Boye der Drahtseilakt bei Lindas Reflexion über ihre Rolle als Frau, Mutter und Mitsoldatin – für mich die stärksten Worte im Roman.

Kallocain verdient sicher seinen Platz in der Reihe klassischer Dystopien/Romane mit dystopischen Elementen. In seiner Mahnwirkung reicht es für mich an „Brave New World“ und „1984“ aber nicht heran.

Karin Boye, Kallocain, 1940 (2018).

#WomeninSciFi (51) Die Stadt, nicht lange danach – Pat Murphy

Ich freue mich sehr, über diese Rezension, denn auch wenn die Reihe „offiziell“ zu Ende gegangen ist, werde ich immer mal wieder einen Artikel dazu schalten, denn SciFi Autorinnen können auch weiterhin jeden Scheinwerfer brauchen.

Ganz großes Danke an Eszter vom wunderbaren Blog „Esthers Bücher“  die uns eine sehr spannende Dystopie aus den 1970er Jahren vorstellt. Alle anschnallen, wir reisen in nach San Francisco und da geht es nicht gerade gemütlich zu:

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Eine Seuche hat fast alle Einwohner von San Francisco getötet, nur wenige sind übrig geblieben. Auch sonst scheint das Land wie ausgestorben, wenn hundert Leute irgendwo zusammenkommen, ist das schon eine bedrückende Menge. Die Stadt wird jetzt von Künstlern bewohnt, die überall in den Straßen ihre Werke platzieren. Konflikte gibt es hier allerhöchtens dann, wenn zwei Künstler sich die gleiche Fläche ausgesucht haben, aber auch diese Auseinandersetzungen werden schnell beigelegt. Kunst spielt hier für alle eine große Rolle, die Überlebenden haben nämlich erkannt, dass sie ihnen und der Stadt Gutes tut.

„Wenn man etwas Schönes erschafft, dann verändert das einen. Du gibst etwas von dir her, und lässt es in diesem Werk. Man ist einfach nicht mehr dieselbe Person, wenn man fertig ist.”

Die Seuche ist erst vor sechzehn Jahren ausgebrochen, aber die nächste Generation, die in dieser neuen Welt heranwächst, weiß kaum noch etwas über das Leben vorher. Leere Wohnungen und Häuser dienen als Fundorte kurioser Gegenstände, Totenschädel finden in den Kunstwerken eine neue Bestimmung.

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Es haben alle nicht alle die alte Welt vergessen und sie losgelassen. General Miles, der von den Künstlern nur „Vierstern” genannte Soldat hegt große Pläne. Er möchte den organisierten Staat, sein Amerika wiederherstellen, wenn es sein muss, dann mit Gewalt. Er sammelt seine Truppen in Sacramento und erobert mit ihnen immer mehr Städte. Sein nächstes Ziel ist San Francisco.

Das namenlose Mädchen ist auf einer Farm, weit weg von anderen aufgewachsen. Außer ihrer Mutter kennt sie nicht viele Menschen. Als ihre Mutter stirbt, zieht sie auf ihrem Pferd los in die große Stadt, um die Einwohner vor Vierstern zu warnen. Die Künstler müssen für den Krieg rüsten oder sich dem General und seinem Ordnungswahn unterordnen.

Par Murphy schrieb diesen Roman 1989 – eine Jahreszahl, die das Ende einer Ära einleutete. Der Kalte Krieg hat seine Spuren an diesem Roman eindeutig hinterlassen. Die USA und der Ostblock standen sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahrzehnten argwöhnisch gegenüber, immer wieder stand die Menschheit kurz vor dem Ausbruch eines neuen, womöglich alles Leben vernichtenden Krieges. So verwundert es nicht, dass sich die Autorin in ihrem Buch auf die Suche nach einer Lösung, nach einer friedlichen Lösung dieses Konflikts begab.

Und dieser Wunsch nach Frieden erklärt, warum eine postapokalyptische Geschichte wie diese nicht niederdrückend, sondern ausgesprochen positiv wirkt. Die leeren Straßen, die Millionen von Toten, die verlassenen Bürogebäude, die verwaisten Kinder erzählen zwar eine traurige Geschichte, wie die Künstler der Stadt jedoch damit umgehen, bringt den Leser aber immer wieder zum Schmunzeln. In eine Welt, die äußerlich doch so sehr an The Walking Dead erinnert, nehmen Kunst, Farben und ein wenig Magie die Überhand. In unserer heutigen, von Konflikten zerrüttelten Welt sollten mehr Leute dieses Buch lesen.

#WomeninSciFi (49) Everything belongs to the future – Laurie Penny

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Vor kurzem entdeckte ich Sabines Blog „Ant1heldin“ – ein großartiger Blog über Frauenfiguren und außergewöhnliche Protagonistinnen in der Literatur und auf der Leinwand. Das liegt ganz auf meiner Wellenlänge und daher war mir schnell klar, hier werde ich sicherlich nicht vergeblich anklopfen, wenn ich frage, ob Sabine Lust hat bei meiner #WomeninSciFi Reihe mitzumachen. Es war in der Tat nicht schwer, sie zu überreden und ich freue mich sehr über den heutigen Beitrag. Bitte hier entlang in eine dystopische Zukunft, die sich um den Traum der immerwährenden Jugend dreht:

Als mich Sabine von Binge Reader fragte, ob ich bei ihrer Blog-Aktion #WomeninSciFi mitmachen wollte, habe ich natürlich zugestimmt. Bei der Aktion stehen weibliche Sci-Fi-Autoren und ihre Werke im Mittelpunkt. Denn ihr Beitrag zu dieser Genreliteratur wird leider oft unterschätzt und zudem unterstellt, Frauen würden, wenn überhaupt, dann nur „soft Sci Fi“ mit dem Fokus auf Liebesplots schreiben. Dass das Unsinn ist, beweist schon die berühmte Margaret Atwood, daher finde ich es sehr wichtig, die Beteiligung von Frauen hier hervorzuheben.

Everything belongs to the future – darum geht‘s

Meine eigene Science-Fiction-Erfahrung beschränkt sich vor allem auf dystopische Romane und Filme, siehe Blade RunnerGattacaHunger Games und The Handmaid’s Tale. Daher hat mich Laurie Pennys Plotidee bei Everything belongs to the future gleich angemacht. Es geht in diesem Kurzroman um eine Gesellschaftsdystopie gegen Ende des 21. Jahrhunderts, in der nur die Reichen Zugang zu einer lebensverlängernden Droge haben. 100 Jahre Jugend sind keine Seltenheit mehr. Dabei zeichnen die verschiedenen Erzählstimmen das typische Bild einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. Die Reichen leben in Saus und Braus, während die Armen in den Slums von Oxford, dem Schauplatz des Romans, mehr schlecht als recht überleben. Dystopisch wird’s zusätzlich mit der Erwähnung von Überschwemmungen, die den armen Teil von Oxford regelmäßig unter Wasser setzen. Die Erderwärmung hat in diesem Szenario längst dramatische Folgen nach sich gezogen. Der Plot dreht sich, einfach ausgedrückt, um eine Gruppe punkiger Aktivisten, die gegen das Vorrecht der Reichen auf lebensverlängernde Mittel kämpfen und die kleinen blauen Wunderpillen stehlen, um sie Robin-Hood-mäßig umsonst an die Armen zu verteilen. Die Erfinderin der Droge, Daisy, schlägt sich heimlich auf die Seite der Aktivisten. Gemeinsam planen sie eine Unterwanderung des Establishments.

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Der Reiz an dieser Dystopie – und ihr Versagen

Das Motiv des „Jungbrunnens“ ist in der Sci-Fi natürlich nichts Neues. Einige Kinofilme haben das Thema schon behandelt, z.B. Elysium, wo die reiche Oberschicht auf einer Raumstation lebt und alle Mittel hat, Krankheit und Alterung am menschlichen Körper zu verhindern. Das macht aber nichts, denn der Reiz an Dystopien liegt ja darin, Szenarien zu entwerfen, die gar nicht so unwahrscheinlich und daher umso beunruhigender sind. Von diesen Szenarien gibt es natürlich nicht unendlich viele, wenn man als Autor*in auf aktuelle Diskurse und deren zukünftige Implikationen verweisen möchte. Das wäre bei Everything belongs to the future das Gedankenspiel eines ins Extreme gesteigerten Jugendwahns. Diese spannende Grundprämisse hätte Laurie Penny daher mit ein bisschen mehr Geduld in eine überzeugende Story gießen können. Das hat sie leider versäumt.

Der kurze Text (114 Seiten) ist überfrachtet mit schwergewichtigen Ideen, die dann nicht ausgeführt werden. Wirklich an allen Ecken und Enden fehlt es an Erklärungen. Entwicklungen werden nur angerissen, Figuren bleiben flach, ihre Handlungen wirken unmotiviert. Warum Laurie Penny nicht einfach einen Roman in vollständiger Länge geschrieben hat, ist mir unverständlich. In ihrem Text gibt es so viele spannende Ansätze, die einen langen Text mühelos gefüllt hätten, z.B. die ganze Geschichte rund um die Entwicklung der Droge und ihre Auswirkung auf die dargestellte Gesellschaft. Bei der Kürze des Textes bleibt ein überzeugendes Worldbuilding jedoch auf der Strecke.

Fehlendes Worldbuilding

Wo ist die Science in dieser Fiction?

Das fängt schon mit der Idee an, die dieser Dystopie zu Grunde liegt, der lebensverlängernden Droge („the fix“ genannt): Ihre genaue Wirkung wird zum Beispiel nicht erklärt. Sie verzögert das Altern ab dem Tag der Einnahme extrem. Darüber hinaus: Wenig. Verhindert sie auch alle Krankheiten? Vermutlich, es wird aber nicht erläutert. An einer Stelle erklärt Protagonistin Daisy, die Droge bestehe aus einem Pilz, der irgendwie in den Körper eingreift. Ein bisschen mehr Details und Recherche wären hier angemessen gewesen. Ohne weitere Informationen, die dieses plot device glaubwürdiger machen, wirkt die grundlegende Prämisse der ganzen Erzählung ein bisschen wie ein billiger Jahrmarkttrick. Von den vampirhaften (entschuldigt!) Beschreibungen der „fixer“ ganz zu schweigen: „there was an uncanny smoothness to the skin, a ghastly glisten that made them doll-like.“ (S. 19) Wer wird hier auch an Twilight erinnert? *hust*

Ebenso bleibt es unklar, ob es einen Schwarzmarkt mit der Droge gibt und warum die Aktivistengruppe im Roman die Droge so völlig ungestört kostenlos verteilen kann.

Für die Glaubwürdigkeit dieses Sci-Fi-Romans sprechen einige Details zum technologischen Fortschritt (zum Beispiel Minichips, die Spion Alex unter dem Fingernagel verstecken kann). Erstaunlich altmodisch wird hingegen der Zustand der Gesellschaft dargestellt. Transfeindlichkeit, Sexismus und Rassismus bzw. Islamfeindlichkeit sind immer noch genauso große Themen wie heute in der Realität. Das könnte glaubwürdig sein, wenn man diese fehlende Entwicklung denn erklären würde. Stattdessen sind die 80 Jahre, die zwischen unserer Zeit und dem Handlungszeitpunkt des Romans bestehen, nur eine einzige große Leerstelle.

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Toll angelegte (Frauen-) Figuren, leider ohne Tiefgang

Wirklich schade ist allerdings, dass Everything belongs to the future uns keine Chance lässt, eine Verbindung zu den Figuren aufzubauen. Penny bemüht sich, Figuren sprechen zu lassen, über die sie vermutlich selbst gerne lesen würde: Es sind fast nur Figuren abseits von heteronormativen Geschlechts- und Sexualitätszuschreibungen wie die bisexuelle Daisy oder der trans Mann Fidget. Darüber hinaus gibt es mehrere unabhängige Frauenfiguren, wie eben Daisy oder auch die Aktivistin Nina.

Der gute Wille, interessante Figuren zu schaffen, reicht aber leider nicht aus, wenn es bei oberflächlichen Charakterisierungen bleibt. Alle Beschreibungen vom Innenleben der Figuren wirken gehetzt, wie hastig zusammengeflickt. Daisy, die ewig wütende greise Frau im Körper eines Teenagers, muss noch schnell eine rührselige Liebesgeschichte aus der Vergangenheit verpasst bekommen. Diese Erinnerungssequenz ist aber völlig unmotiviert in den Plot gepresst und verfehlt so ihre Wirkung. Ich hätte stattdessen so gern mehr über Daisys Werdegang erfahren. Oder warum sie sich dazu entschieden hat, die Droge schon im Alter von 14 Jahren einzunehmen, was dazu führt, dass sie für immer im unfertigen Körper einer Pubertierenden feststeckt. Die Erzählstimme erklärt etwas nebulös: „Daisy had not had fun of any kind since she could remember, but particularly not horizontal fun involving other humans. Keeping her appearence static at awkward mid-puberty helped with that.“ (S. 24). Was diese Andeutung genau bedeutet, bleibt unklar (ist Daisy asexuell und legt gar keinen Wert auf körperliche Intimität? Und ist deshalb froh über einen unterentwickelten Körper? Wer weiß.). Das ist nur ein Beispiel für vergeudetes Erzählpotential in Everything belongs to the future.

Wie viel Laurie Penny bekommt man bei Everything belongs to the future?

Laurie Pennys erster Roman ist alles andere als leichte Unterhaltung, wie schon angedeutet. Neben zwei komplexen Erzählsträngen gibt es noch einen theoretischen Überbau in diesem Text. Zwischen den Erzählteilen aus Daisys oder Alex‘ Sicht erscheinen fiktive Briefe, die eine anonyme Schreiberin aus dem Gefängnis an die Protagonistin Daisy richtet. Darin stellt sie philosophische Überlegungen in Bezug auf das Recht der Reichen auf ewige Jugend an. Dabei rutscht sie gerne mal ins Schwadronieren ab: „The truth is that life extension itself is not sinful. The only sin is to treat time as privilege. … We discovered the fountain of youth, and then we put it behind high walls and poisoned its promise.“ (S. 36). Als Leserin fühle ich mich da doch ein bisschen für dumm verkauft. Ach nee, den Reichen noch mehr Macht zu geben hat nicht zum Zusammenhalt in der Gesellschaft beigetragen? Wer hätte das gedacht? Die Regel „show, don’t tell“ gibt’s wahrlich nicht umsonst. Zeig‘ die Auswirkungen der Droge doch in der Erzählung und an den Figuren, liebe Laurie, und nicht in einem erklärenden Text.

Aber, das muss ich anmerken: Die anonymen Briefe im Roman enthalten auch einige sehr gute gendertheoretische Überlegungen, wie man sie aus Laurie Pennys Sachbüchern kennt. Die beste Stelle ist diese: „The aging woman is a special object of horror in this gerontocracy.“ (S. 86). In der Dystopie von Everything belongs to the future ist die Droge im allgemeinen Verständnis für Frauen ein größerer Segen als für Männer. Frauen haben mehr zu verlieren, weil sie, mehr als Männer, auf ihr Aussehen reduziert werden. Daher stellt die anonyme Schreiberin, die es einfach nur „wagt“, zu altern, eine Rebellin dar. Allein ihre „Hässlichkeit“ ist ein Akt des Widerstands. Lasst uns beten, dass das Altern in unserer Gesellschaft niemals zu einem rebellischen Akt wird.

Diese Ausgabe habe ich gelesen: Laurie Penny, Everything belongs to the future, Tor Books: New York 2016.

#WomeninSciFi (48) Clover – CLAMP

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Meine Lieben, heute gibt es eine ganz wunderbare Premiere bei Women in SciFi. Ich freue mich, mit Stefanie von miss-booleana.de  nicht nur eine weitere Wiederholungstäterin für die Reihe begrüßen zu dürfen, sondern auch noch die erste extra für die Reihe angefertigte Fanart feiern zu dürfen. Auf ihrem Artblog verfolge ich schon seit Längerem ihre großartigen Illustrationen und Webcomics und freue mich, dass sie die Arbeit auf sich genommen hat und für diesen Beitrag eine wirklich gelungene Illustration anzufertigen. Als seien das nicht schon genug Premieren, Women in SciFi bringt hier heute auch die erste Manga-Besprechung in der Reihe.

CLAMP ist eine seit vielen Jahren vierköpfige Gruppe aus Mangazeichnerinnen, die sich im Laufe ihrer inzwischen langen Karriere an allen möglichen Genres versucht haben. Sie vereinen meist eine bittersüße Geschichte mit fantastischen Elementen und einem dichten World Building. Worin sie wirklich meisterhaft sind: moralische Zwickmühlen, unausgesprochene Worte und sie brillieren darin selbst den Nebencharakteren ihrer Manga (Manga = Comics im japanischen Stil) eine komplexe Handlung zu geben. Vielleicht beherrschen sie das so gut, weil sie komplexe Emotionen verstehen und v.A. treffend und nahezu minimalistisch abbilden können. Da braucht es manchmal wenig, um viel zu erzählen. Clover stellt CLAMPs Ausflug in das Fantasy und Science-Fiction-Genre mit einem Touch Steampunk dar.

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Der Manga handelt von dem Ex-Soldaten Kazuhiko, der als Söldner angeheuert wird um etwas zu transportieren. Dieses Etwas entpuppt sich als das Mädchen Suu, das durch ihre zarte und ätherische Erscheinung den schroffen Kazuhiko etwas vor den Kopf stößt. Die Kleine und der Auftrag sind rätselhaft. Scheinbar lebte sie seit jeher alleine in einem wortwörtlichen goldenen Käfig wie ein seltener Vogel – in einem verglasten Gebäudekomplex. Wohin er Suu „transportieren“, also begleiten soll, weiß nur Suu. Beide werden mehrmals angegriffen, mal von Leuten, die hinter Suu her sind, mal von Leuten, die mit Kazuhiko noch eine Rechnung offen haben. Bei diesen Übergriffen und Suu’s Gegenwehr wird dem Söldner schnell klar, dass sie kein normales Mädchen ist, sondern ein Kleeblatt. So werden Menschen bezeichnet, die übermenschliche Fähigkeiten besitzen, die typischerweise von Teleportation (offensichtlich nicht Suu’s Ding) bis hin zu Telepathie oder Telekinese reichen (sehr wohl Suu’s Ding). Anhand des Grades ihrer Fähigkeiten, werden sie in drei Kategorien eingeteilt – ein „einblättriges Kleeblatt“ hat beispielsweise sehr begrenzte Fähigkeiten. Ein „dreiblättriges“ gilt als gefährlich und wird vom Staat unter ständige Überwachung gestellt und darf sich nicht in der Öffentlichkeit frei bewegen. Suu aber ist etwas, das es eigentlich nicht geben dürfte: sie ist ein Vierblättriges.

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Dass Suu eine Laune der Natur ist, macht die Reise der Beiden umso gefährlicher und führt sie und den Leser durch eine Welt, die schön, klinisch, technologisiert und ein bisschen tot wirkt. Meterhohe Hologramme einer schönen singenden Frau, die wie sich später herausstellen wird sowohl Kazuhiko als auch Suu kennen, prägen das Stadtbild ebenso wie Sendemasten, tote Industrieanlagen, Retro-Telefone und andererseits Laser-Waffen. Zeppeline bewegen sich stumm durch die Luft, Steampunk wo das Auge hinschaut. Den zarten Unterton der ungewöhnlichen Reise zweier ungleicher Menschen, die doch etwas in dem anderen berühren, wird von CLAMP mit stark stilisierten und reduzierten Schwarz-Weiß-Panels unterstrichen. Wer viel Manga liest, ist gefüllte Seiten gewöhnt. Clover aber bricht mit diesen Mustern und präsentiert nicht selten nur ein Panel oder einen Charaktermoment auf einer ganzen Seite. Der Manga vereint Zartheit und Steampunk auf außergewöhnliche Weise und wirkt stellenweise mehr wie ein Kunstbuch als ein Manga, nicht zuletzt auch dank der poetisch anmutenden Lieder und Dialoge, die die Seiten zieren.

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Fanart by missboleana

Man kann sich darüber streiten, ob Clover Fantasy oder Science-Fiction ist, denn viel Science gibt es in dieser Fiction nicht. Der Leser wird mit einer Welt konfrontiert, die einen großen technischen Fortschritt zu verzeichnen, aber ihren Zenit auch überschritten hat. Hologramme und Laser existieren, aber die Welt steht trotz der schönen Bilder am Ende. Es gab Kriege. Die Städte wirken leer, anonym, noir. Es gibt keine Tiere mehr. Die meisten haben entweder mechanische Prothesen oder sind gar künstlich. Nicht selten sieht man Vögel auf mechanischen Schwingen in den Himmel steigen. Gerade vor dieser Kulisse wirken Suu und die Nebencharaktere des Manga besonders verletzlich. Natürlich lernen wir nicht nur Suu als eines der Kleeblätter kennen, der Kinder, die der Staat gezielt sucht und beobachtet oder sogar  wegsperrt. Anhand der zarten Gefüge und Beziehungen zwischen den Kleeblättern und den normalen Menschen erkennt man schnell CLAMPs wahre Stärke. Zarte Schattierungen in Emotionen und Liebe ohne Labels oder Schubladen. Eine meiner Lieblingsgeschichten ist die des Soldaten Gingetsu, ein Freund von Kazuhiko, und seines „Schützlings“ Lan. Oder auch die Verbindung zwischen Suu und der Frau, die das Hologramm wiedergibt. Deren Geschichten entfaltet sich erst später vor den Augen des Lesers, denn Clover wird nicht synchron erzählt in den bisher vier erschienen Bänden. Aber bevor ich zuviel verrate, würde ich gern sagen: lest selbst 🙂 Überzeugt euch von dem wunderbaren Steampunk-Manga und von der melancholischen Atmosphäre von Suus Reise. Aber das ist gar nicht einfach. Clover erschien in Deutschland Anfang der 2000er und ist aktuell vergriffen. Was es noch bittersüßer macht.

If you find a four-leaf clover,
It will bring happiness;

But don’t tell Anyone
Where its white flower blooms

Or how many leaflets from its stem extend.
The four-leaved clover.

I only want your happiness, knowing
I can never be yours to share it.

Das folgende Video ist eine kurze Animation, die als Extra auf den DVDs zu anderen Werken von CLAMP erschien und gibt die Stimmung des Manga wunderbar wieder.

#WomeninSciFi (46) Amanda – Carol Hill

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Woohoo, endlich ist auch Petra vom wunderbaren Sachbuch Blog „Elementares Lesen“ dabei, die Gewinnerin des Buchblogger Awards 2018. Da mein Herz immer auch sehr für diverse  Sachbuch-Themen schlägt, ist Petras Blog brandgefährlich für mich. Mit fast 100%iger Trefferquote landen die von ihr vorgestellten Bücher auf meinem Wunschzettel oder auch direkt im Regal. Sie nimmt uns mit Amanda auf eine spannende Mars Mission mit, bei der erstaunlich viel getanzt wird.

Amanda Jaworski ist blond, blauäugig und attraktiv. Sie ist Feministin, leidenschaftliche Physikerin und die beste Astronautin der Erde. Ihre Mission: der erste Flug zum Mars, im Wettlauf gegen die Russen. Ihr größtes Vergnügen: auf den Korridoren des NASA-Geländes Rollschuh laufen, in einem sexy Outfit, das ihren Ausbilder zur Weißglut treibt. Amanda ist immun gegen Kritik und macht stur ihr Ding. Das ist das Setting des 1984 in den USA erschienenen Romans „The Eleven Million Mile High Dancer“ von Carol Hill. Die deutsche Ausgabe erschien 1987 im Diogenes Verlag mit dem Titel „Amanda“.

Die Vorbereitungen für Amandas Flug zum Mars laufen auf Hochtouren. Da häufen sich seltsame Vorfälle: In der texanischen Wüste verschwindet ein Indianerstamm. Astronauten kehren verändert von ihren Missionen zurück. Kernreaktoren explodieren. Das Wetter spielt verrückt. Fische sterben, und eine Rote Flut bedroht das Land. Natürlich versucht die Regierung alles zu vertuschen.

Währenddessen kämpft die Astronautin Amanda mit übersinnlichen Wahrnehmungen und unheimlichen Begegnungen. Ihren Vorgesetzten verschweigt sie alles, um ihren Start nicht zu gefährden. Sie ist eine selbstbewusste Heldin, die viele Widersprüche in sich vereint. Neben ihrem analytischen Verstand hat Amanda eine ausgeprägte spirituelle Seite. Sie vertraut ihrer Intuition, und die Liebe geht ihr über alles. Sie schwankt zwischen Donald Hotchkiss, dem zuverlässigen, viel zu besitzergreifenden Freund und ihrem Liebhaber Bronco McCloud, bei dem sie dahinschmelzen kann. Ihre tiefsten Gefühle gelten dem Kater Schrodinger, der ständig in einen komatösen Schlaf fällt, so tief, dass alle außer Amanda ihn für tot halten. (Die Anlehnung an Erwin Schrödingers Gedankenexperiment mit einer Katze ist beabsichtigt, wie die Autorin in ihrem Nachwort erklärt.)

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Erzählt wird dieser originelle Roman aus den Perspektiven verschiedener Charaktere, die mit eigenwilligen Stimmen in ihre Gedankenwelten hineinziehen. Auch die Physik spielt eine wichtige Rolle. Carol Hill wartet mit vielen Phänomenen auf, von der Relativitätstheorie bis zur Quantenmechanik. Wenn ihre Heldin Amanda Schulkindern die Faszination des Universums nahe bringt, dann verwendet sie gern das Bild einer wunderschönen, elf Millionen Meilen großen Tänzerin, um die Relativität von Raum und Zeit zu verdeutlichen. Dieser Tänzerin wird Amanda in einer fernen Galaxis leibhaftig begegnen!

Eines Tages trifft Amanda einen Außerirdischen in ihrer Küche, den sie wegen seines Aussehens den Klecks nennt. Er informiert sie über die wahre Geschichte der Erde, das Große Kosmische Gehirn und Künstliche Wesen, die alle biologischen Existenzen vernichten wollen. Auf der anderen Seite des Universums sind sie nämlich verdammt sauer, dass die Menschheit, in die so viel Arbeit investiert wurde, andere Arten in großem Stil ausrottet und den Planeten ruiniert!

Als ihr Kater Schrodinger in die vierte Dimension entführt wird, ist Amanda drauf und dran, die Mars-Mission, deren Start für den nächsten Tag geplant ist, sausen zu lassen. Sie will lieber Schrodinger befreien. Doch zum Glück lässt sich beides miteinander verbinden. Die abenteuerliche Reise nach Epsilon Eridani beginnt. Wird es ihr gelingen, ihren Kater – und die Menschheit – zu retten?

Dieser Roman ist vor mehr als 30 Jahren erschienen, doch vieles klingt vertraut: starke Frauen, die Männern suspekt sind; das Misstrauen des Westens gegen die Russen, die scheinbar alles manipulieren; ein US-Präsident, der Lügen für das beste Mittel zum Regieren hält; die zögerliche Reaktion von Politikern auf Umweltzerstörung und den Klimawandel. Hier treffen Quantenphysik, Feminismus, Politik und ein Hauch Esoterik aufeinander, intelligent erzählt und unglaublich komisch! Wer einen Sinn für abgedrehte Geschichten hat, wird diesen Roman lieben!

#WomeninSciFi (43) Wandernde Himmel – Hao Jingfang

Ich freue mich schon jetzt auf unseren nächsten Besuch im hohen Norden, so dass ich endlich einen Abstecher in die Buchhandlung „Almut Schmidt – Der Leuchturm im Büchermeer“ von „Leseschatz„-Blogger Hauke Harder machen kann.

Vielen lieben Dank an Hauke, dass er uns mit der Hugo-Award Gewinnerin Hao Jingfang  auf den nächsten Trip in die Zukunft mitnimmt.

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„Wandernde Himmel“ erzählt von zwei Welten und ist durch die Fremdartigkeit eine überspitzte Gegenwart. Ein ruhiger Science-Fiction-Roman, der sich des Genres und der Zukunft bedient, um die jetzige Zeit mit den technologischen Entwicklungen, den politischen Ränkespielen und dem Kapitalismus aus chinesischer Sicht zu kritisieren.

Der Roman zeigt eine Gesellschaft, die durch den abgenutzten Slogan „Die da Oben und die da Unten“ nicht nur als bildliches Konzept vorgestellt wird. 2096 haben die Menschen eine Kolonie auf dem Mars gegründet, um weiteren Lebensraum zu erschließen. Anfänglich gab es zwischen der Erde und dem Mars eine Handelsbeziehung. Doch dann tauchten auf der Strecke zwischen Mars und Erde Kriegsschiffe auf. Es begann der marsianische Unabhängigkeitskrieg. Die Marsianer wollten unabhängig sein und verdammten den Raubtierkapitalismus der Erde. Die Erden-Bewohner hielten dahingegen den Staat des roten Planeten für eine Diktatur.

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Hundert Jahre hat diese Fehde gedauert und es beginnt nun zaghaft eine Verständigung zwischen den Menschen auf den beiden Planeten. Die Handlung fängt mit dem Flug des althergebrachten Raumschiffs Maerde an. Ein Schiff, das mit seiner kleinen Besatzung die Route Mars und Erde aufrechterhält und dessen Name sich aus den Namen der beiden Planten zusammensetzt. Die Maerde ist auf dem Heimflug zum Mars und hat Besucher einer Marsmesse, Erdenmenschen, die den Mars erstmalig aufsuchen, und eine Schülergruppe als Passagiere. Diese Gruppe von Jugendlichen, die sich Merkur nennt, wurde zur Verständigung zwischen den Völkern auf die Erde als eine Art Schüleraustausch gesendet. Unter ihnen ist Luoying, die nun als fast Erwachsene auf ihren Heimatplaneten zurückkehrt. Sie ist eine begabte Tänzerin und die Zeit auf der Erde setzte ihr durch die dortige Schwerkraft sehr zu. Sie beginnt, ihre Rolle in diesem Austausch rückblickend in Frage zu stellen. Während des Heimflugs unterhalten sich die Teilnehmer über die damaligen Testaufgaben. Luoying erinnert sich an ihre sehr mauen Testergebnisse und wundert sich, dass sie dennoch für diesen Austausch ausgewählt wurde. Hat ihr Großvater, der oberste politische Machtinhaber des Planeten, etwas mit ihrer Auswahl zu tun? Nun nach fünf Jahren kehrt sie heim und fährt zu ihrem Bruder Rudy. Sie beginnt, die Rolle ihres Großvaters immer mehr in Frage zu stellen. Durch eine Verletzung ist ihre Karriere als Tänzerin beendet. Was soll sie nun machen? Welchen Beruf kann und will sie ausüben? Sie beginnt durch diesen neuen Lebensabschnitt, immer mehr die Systeme miteinander zu vergleichen. Auf der Erde erlebte sie den täglichen Kampf ums Überleben und hier auf dem Mars wird alles reglementiert. Kunst wird gefördert, steht dann zum Wohle aller zur Verfügung. Auch ist die Architektur auf dem Mars sehr gläsern. Aber ist alles wirklich so durchsichtig? Ihre Eltern sind vor langer Zeit verstorben, d.h. umgekommen. War die Mutter von Luoying auch dem System gegenüber kritisch eingestellt? Sie möchte endlich Klarheiten haben, über ihren Lebensweg, die Macht, die ihr Großvater ausübt und den Tod ihrer Eltern. Sie muss sich entscheiden, ob sie das Leben auf dem Mars weiterhin gut heißen kann. Sie als Weltenwanderin hat eine andere Art des Lebens kennenlernen können, das nicht ganz so starr ist. Hat aber die Sehnsucht nach Freiheit tödliche Konsequenzen?

Eine alternde Welt, die sich eine neue aufgebaut hat, welche nun von alternden Machtinhabern kontrolliert wird. Auf dem Mars wird soziale und wirtschaftliche Sicherheit versprochen. Auf der Erde herrscht der Kapitalismus. Doch beide Systeme haben ihre Kehrseiten. Das Leben sucht meist den unvorhersehbaren Weg und wünscht sich individuelle Freiheit. Dies ist nach den Werken von Cixin Liu der nächste chinesische Science-Fiction-Clou. Die Autorin, Hao Jingfang, gewann als erste Chinesin 2016 den Hugo Award.