Literatur-Blog für alle, die keine Angst vor heftigen Mischungen haben. Paul Auster, Margaret Atwood, Haruki Murakami treffen auf Simone de Beauvoir, Batman und Orphan Black. Dosenbier auf Oper und St. Pauli auf Crispr, Philosophie, Science und Sci-Fi.
Ich habe mich den ganzen Juni mit Kreta, dem Meer und der Antike beschäftigt, auch wenn der eigentliche Urlaub nur zwei Wochen dauerte. Ich lese ja nach Möglichkeit immer gerne Bücher die zu meinem jeweiligen Aufenthaltsort passen, natürlich in Kombination mit innerer Wetterlage, aber diese Kombination ist auf jeden Fall eine meiner liebsten. Ich habe schon vor dem Urlaub mit der Lektüre begonnen, bzw den gesamten Monat diesem Themenkomplex gewidmet, da ich einige gewichtige Bücher zu diesem Thema angesammelt hatte, die ich unmöglich noch in den Koffer bekommen hätte, so dass ich mich bei den Büchern, die ich vor Ort lesen wollte und konnte, etwas beschränken konnte.
Meine beiden Lieblingsländer bzw -inseln sind Griechenland und Schottland bzw Kreta und Skye und ich habe das riesige Glück, dieses Jahr sogar beide besuchen zu können. Unser Urlaub war phänomenal schön und ich kann mich nur schwer wieder in diese meer-ferne bayrische Lebenswelt zurückfinden.
Landschaftlich sind sich die beiden Länder übrigens viel ähnlicher als man so denkt, ich werde auch in diesen Bericht hier ein Schottland-Bild einmogeln und ihr müsst versuchen, herauszufinden welches es ist 😉
Jetzt aber erst einmal zur Lektüre, wie immer ein kurzer Schnelldurchlauf in alphabetischer Reihenfolge:
Das lebende Meer – Jacques-Yves Cousteau übersetzt von Isolde Kolbenhoff, erschienen im Verlag Buch und Welt (nur noch antiquarisch erhältlich)
Jacques-Yves Cousteaus unentdeckter Kontinent ist der Meeresgrund und die Gräben der Tiefsee. Durch seine hartnäckigen Versuche seit den 1950er Jahren das Steigen und Fallen der rätselhaften Tiefenstreuschichten im Meer zu erforschen, und sein Drang, immer mehr über das Leben auf dem Meeresgrund zu erfahren, führten zur Erfindung der Tiefsee-Kameraschlitten, die tausend Meter unter der Meeresoberfläche über den Meeresboden gleiten und Phänomene fotografieren, die bis dahin nie ein Mensch zu Gesicht bekommen hatte.
Mit Hilfe seiner „tauchenden Untertasse“, einem Düsen-Uboot mit Bullaugen und mechanischen Greifern begegnen wir in diesem Buch lange unbekannten Lebewesen wie silberne Fische, die wie eine Triangel geformt sind, Fische deren Haut wie ein Schachbrett in Felder aufgeteilt ist, Tiefseehaie, Riesenkranken und vieles mehr. Wir lernen den Lastwagenfisch kennen und freunden uns mit „Ulysses“ an, einem Riesen-Zackenbarsch, der den Tauchern wie ein treuer Hund durchs Wasser folgt und ihr Lieblingstier wird.
Cousteau und seine Mannschaft (bis auf seine Ehefrau alles Männer) sind aber in mancher Hinsicht auch Kinder ihrer Zeit. Ich war ziemlich schockiert, über ihr vorsätzliches brutales Erschlagen von Haien, weil diese ein kleines verletztes Walbaby gefressen hatten oder ihr Reiten auf Riesenschildkröten. Das Buch ist eine Sammlung von National Geografic Artikeln die zwischen Januar 1954 und Juli 1961 erschienen waren und diese anfänglich überwiegend von Abenteuerlust getriebenen Expeditionen sind später nach und nach wissenschaftlicher geworden und der Tier- und Umweltschutzgedanke begann auch Cousteau und seine Leute stärker zu beeinflussen. Wir haben es zu einem großen Teil auf jeden Fall Cousteau zu verdanken, dass das Mittelmeer nicht zu einem Atommüll-Lager wurde, denn die Plände in den 1950/60er Jahren sahen exakt das vor und es war unter anderem dem unermüdlichen Protest von Cousteau und anderen zu verdanken, dass man von dieser Idee irgendwann absah.
Neben den Beobachtungen des Lebens auf dem Meeresgrund, standen auch Tauchexpeditionen zu gesunkenen Schiffen auf dem Programm und ein Experiment bei dem zwei Männer erstmalig eine Woche lang ununterbrochen unter Wasser leben.
„Noch immer degradieren manche Biologen das Mittelmeer zu einem „sterilen“ Meer. Ich wünschte, ich könnte bei derartigen Gelegenheiten diese Leute an Bord der Calypso haben. Zwischen der Cote d’Azur und Korsika sind wir oft dem begegnet, was wie ein Rudel hier ansässiger großer Blauwale aussah. Ein dutzendmal im Jahr fuhren wir hier durch und stellten immer mindestens zwei große Wale fest, die herumwanderten, als hätten sie Eigentumsrechte.“
Ein spannendes Zeitdokument, das mich beim Lesen wiederholt in meine Kindheit zurückbeamte, wo ich fieberhaft mit dem Opa vorm Fernseher saß, wenn Cousteau mit seinem knallgelben Uboot abtauchte und wir gemeinsam mit ihm die Tiefsee erforschten. Ein Buch das ich mit einigen Einschränkungen auch heute noch mit großem Interesse und Spaß gelesen habe.
Reisende Helden (Travelling Heroes) – Robin Lane Fox übersetzt von Susanne Held erschienen im Klett-Cotta Verlag
Im Zentrum des Buches stehen die reisenden Zeitgenossen Homers: euböische Griechen des 8. Jahrhunderts, die als Seefahrer und Piraten rund um das Mittelmeer unterwegs waren, Handel trieben und neue Welten entdeckten. Fundstück für Fundstück trägt der Autor zusammen, was sich über diese frühen Griechen herausfinden lässt.
Reisende Helden, das sind auch die Figuren des Mythos, die weit herumkamen: etwa Dädalus, der sogar fliegen konnte, Herkules, der kreuz und quer im Mittelmeerraum seine Arbeiten verrichtete, oder die unglückliche Io, die von Zeus erst verführt und dann in eine Kuh verwandelt wurde. Indem Robin Lane Fox den unendlichen Schatz der griechischen Mythen mit der Sachwelt der archäologischen Funde verknüpft, lässt er vor unseren Augen ein lebendiges Bild dieser Zeit entstehen.
Robin Lane Fox’ reisende Helden sind verwegene griechische Seefahrer aus dem 8. Jahrhundert v. Chr., die ferne Länder und Küsten entdeckten. Das Wissen und die Geschichten aus der Fremde integrierten sie in ihre Vorstellungswelt und legten so den Grundstein für die griechische Kultur.
„Im Norden Kretas, in Knossos, fanden Archäologen eine Bronzeschale aus dem 10. Jahrhundert, die von einem Zyprer hergestellt und von einem Phönizier mit einer Inschrift versehen wurde, diese wurde als Bezug auf eine frühere Weihung der Schale an den ägyptischen Gott Amon interpretiert. Das weit gereiste Stück gelangte schlussendlich in das Grab eines Griechen auf Kreta, zusammen mit griechischer Keramik aus dem 9. Jahrhundert v. Chr. Es berührt damit gleich drei Punkte aus der Geschichte des Odysseus: Kreta, Phönizien und (wenn auch nicht sicher) Ägypten.
Der Autor glaubt wahrscheinlich etwas ganz originelles und mitreissendes zu erzählen, indem er so viele archäologische Beweise wie möglich mit allen möglichen obskuren griechischen Mythologien und ihren Variationen, Einflüssen und Geschichten kombiniert aber es ist alles ziemlich zäh insgesamt. Er präsentiert dazu riesige Menge an Informationen in manchmal erschöpfender Ausführlichkeit, gemischt mit interessanten aber etwas fragwürdigen Schlussfolgerungen. Ich bin mit dem Buch nicht warm geworden und daher nicht sicher, ob ich noch ein weiteres Buch von ihm lesen würde.
Kurze Geschichte der antiken Welt – Siegfried Lauffer erschienen im dtv Verlag(nur noch antiquarisch erhältlich)
Siegfried Lauffer war Professor für Alte Geschichte an der Universität München. Das Buch bietet eine sehr gute Einführung in die griechische und römische Geschichte von der kretisch-mykenischen Kultur bis in das frühe Mittelalter. Dieser Prof kann wirklich gut schreiben und er betont hier die stark matriarchalische, mutterrechtliche Religion, Familien und Gesellschaftsverfassung altmediterraner Völker, in deren Mittelpunkt (endlich mal) die Frau, nicht der Mann stand, im Gegensatz zur patriarchalischen, vaterrechtlichen Ordnung der indogermanischen Völker.
„In dem sich Europa seiner Grundlagen bewußt wird, wird es sich auch seiner Einheit bewußt“
„Der starke Gegensatz von Stadt und Land war Schuld daran, daß die hellenistische Kultur, die von den Städten ausging, das Hinterland nicht voll erfaßte. Die Landbevölkerung führte weiterhin ihr eigenes Leben, bewahrte ihr altes Volkstum, ihre Sprache und Religion. Sie konnte daher auch zur Regierung des Landes kein rechtes Verhältnis gewinnen. Diese kulturelle und politische Kluft zwischen Stadt und Land, Staat und Untertanen mußte sich in der weiteren Entwicklung bemerkbar machen.“
Die Lagune oder wie Aristoteles die Naturwissenschaften erfand – Armand Marie Leroi übersetzt von Susanne Schmidt-Wussow und Manfred Roth erschienen im Theiss Verlag
Für sein Buch – einer gut geschriebene Mischung aus Reisebericht, Biografie, Biologiegeschichte und erkenntnisphilosophischer Erörterung, der man gebannt in hochfliegende Überlegungen zur Philosophie des Geistes folgt – begibt sich Armand Marie Leroi auf die Spuren des großen Griechen. Es ist die Biologie, die für Leroi bei Aristoteles alles grundiert: Das Erstaunen vor der unglaublichen Vielfalt der Lebensformen, die Bereitschaft, sich noch in die winzigste Schnecke, den schleimigsten Wurm zu vertiefen, um zu erfassen, welches Maß an Komplexität in ihrer Gestaltung steckt. Vor allem aber trieb Aristoteles die Suche nach dem Warum um: Welche Ursachen stecken hinter dem Rüssel des Elefanten, der Schwimmblase der Fische, dem Umstand, dass Kinder ihren Eltern ähnlich sehen? Während Platon mit dem Kopf in abstrakten Ideen steckte, grub Aristoteles, um die Welt zu begreifen, im Lagunenschlamm, zog Getier hervor und sezierte Gedärme.
Das große Papierboot, Argonauta argo, ähnelt einem Oktopus. Das Tier selbst ist wenige beeindruckend, aber sein Gehäuse ist wunderschön: so dünn und weiß wie eine Eierschale und von perfekter planispiraler Geometrie. Und obwohl das Große Papierboot palagisch weit draußen im Meer lebt, wird es häufig angespült. Nach STürmen findet man sie zu Hunderten sterbend am Strand“
Der kretische Gast – Klaus Modick erschinen im Kiepenheuer & Witsch Verlag
Kreta 1943: Der deutsche Archäologe Johann Martens soll im Auftrag der Wehrmacht die Kunstschätze der besetzten Insel katalogisieren. Der Einheimische Andreas wird zu seinem Fahrer und Führer, doch verbindet beide bald mehr. Die Lebensart der Kreter und noch mehr Andreas’ schöne Tochter Eleni schlagen Martens immer mehr in ihren Bann. Als die Deutschen eine Razzia planen, muss sich Johann entscheiden, wo er steht.
Das Buch gibt einen wirklich guten Einblick in die Geschichte der Insel Kreta zur Zeit der Besetzung. Es ist gut geschrieben und war das perfekte Buch um vor Ort gelesen zu werden. Erstaunlich wie freundlich einem die Menschen in Kreta begegnen, obwohl die Deutschen sich dort vor etwas mehr als 70 Jahren viel Schreckliches verursacht und viel Schuld auf ihre Schultern geladen haben.
Karsch habe daraufhin die Dorfbewohner zusammentreiben lassen und Auskunft über die Herkunft der Waffen verlangt. Geantwortet hatte niemand. Also habe Karsch drei Männer exekutieren lasen, eine kurze Frist gesetzt und mit weiteren Erschießungen gedroht. Als aber die nächsten drei an an die Wand gestellt worden seien und das Kommando bereits die Gewehre angelegt habe, sei von den umliegenden Hausdächern plötzlich heftiges Feuer auf die Soldaten eröffnet worden.
Women in the Ancient World – Jenifer Neils erschienen im Verlag British Museum Press
Von der treuen Ehefrau bis zur mächtigen Königin, von der unberührbaren Priesterin bis zur Prostituierten mit hohem Lebensstandard – das tägliche Leben und die Rollen der Frauen in der antiken Welt Griechenlands und Roms, Ägyptens und des Nahen Ostens waren faszinierend und vielfältig und gingen oft über die traditionelle Vorstellung von der Stellung der Frau hinaus. Anhand von Themen wie häusliches Leben, Religion, Arbeit, Mütter und Trauernde, Stereotypen, Kostüme und Körper erforscht dieses lebendige Buch die Traditionen und Trends verschiedener Kulturen und vergleicht und kontrastiert die Haltungen der einzelnen Gesellschaften anhand faszinierender Gegenüberstellungen von Bildern.
Die Autorin wirft einen frischen und zum Nachdenken anregenden Blick auf neue Betrachtungsweisen dieser Bilder und zeigt die Zeichen auf, die verraten, wie eine Frau zu sehen ist, ob als Beispiel für perfekte Weiblichkeit oder als Objekt der Verachtung. Dieses Buch ist wunderschön gestaltet und enthält eine Vielzahl von Illustrationen, von öffentlicher Kunst bis hin zu häuslichen Artefakten, von denen viele speziell fotografiert wurden. Es enthüllt fesselnde Details über das alltägliche Leben der Frauen in der antiken Welt, die alle Leser erfreuen, informieren und unterhalten werden, oft mit überraschenden Anklängen an unsere heutige Zeit.
In general, the more elaborate the costume the higher the rank of the person depicted… Those without clothes are often slaves or children, but older girls usually dressed like adults. Women with special religious rank often wore distinctive garments, such as the Vestal Virgins in Rome or wome in the Panathenaic processions in Athens… The prize for the most elaborate form of female dress in antiquity must surely go to the Minoans of Bronze Age Crete. Their tight bodices contrasted with their wide flounced skirts, and if the works of art are accurate renderings of women’s outfits, they regularly exposed their ample breasts.
Das Buch ist ein Begleitband zu einer empfehlenswerten aber mittlerweile beendeten Ausstellung die ich vor einer Weile im Britischen Museum gesehen habe.
Göttlich aber war Kreta – Hans Pars erschienen im dtv Verlag (nur noch antiquarisch erhältlich)
Seit der Archäologe Sir Arthur Evans an der Stätte des alten Knossos auf Kreta die Ruinen eines Königspalastes freigelegt hat, sind wir genauer über die Vergangenheit dieser Insel unterrichtet. Hier blühte schon ein hohes kulturelles Leben, ein Jahrtausend bevor der griechische Dichter Homer in seinen berühmten Epen die Eroberung Troias besang. Von Kreta holten die Griechen Künstler und Künste auf ihr Festland.
Mit Hans Pars blicken wir nun in die viertausendjährige Vergangenheit dieser Insel; der Autor erweckt die toten Zeugnisse aus längst vergangenen Tagen, die bei den Ausgrabungen entdeckt wurden, zu neuem, sprechendem Leben. Aus den Bruchstücken von Wandbildern prunkvoller Paläste, aus bemalten Gefäßen und Reliefs auf Goldbechern und steinernen Vasen erschafft er ein lebendiges Bild der einstmals großen Zeit Kretas. Er hat ein umfassendes, auch in den Einzelheiten immer lebendig gehaltenesWerk über Kunst, Kultur und Geschichte Kretas geschrieben.
„Die Bevorzugung der Frau ist das sozial auffälligste in der kretischen Bilderchronik. Das hat seinen Grund in der noch dem ältesten griechischen Historiker bekannten uralten mutterrechtlichen Struktur der kretischen Gesellschaft, die ihren Ausdruck in einem Überwiegen der weiblichen Gottheiten findet. Der erste Platz ist den Frauen eingeräumt, und sie zeigen sich vor aller Öffentlichkeit in ihrem hohen Rang.“
Wenn Haie leuchten – Julia Schnetzer erschienen bei hanserblau
Aktuellste Forschung und ein Gespür für das Kuriose: Die Meeresbiologin Julia Schnetzer über Meeresmücken, giftige Kugelfische, Delfinnasen und andere faszinierende Meeresbewohner
Das Meer ist unser erstaunlichstes und rätselhaftestes Ökosystem. Es waren mehr Menschen auf dem Mond als am Grund des Ozeans. Zu Unrecht, findet Meeresbiologin und Science-Slammerin Julia Schnetzer. Denn in der Unsterblichkeit von Quallen, der Sprache der Delfine und dem Lebensrhythmus von Unterwassermücken verbergen sich nicht nur neueste Erkenntnisse über unsere Umwelt, sondern auch über uns Menschen.
Der Kauf dieses Buchs unterstützt die Organisation MovingSushi, die Korallenriffe vor der Westküste des afrikanischen Kontinents erforscht und versucht, mithilfe der Fluoreszenz der Tiere Haibeifang in der Fischerei zu minimieren.
Wie ist das Ganze aber nun bei Fischen? Werden die auch von solchen Illusionen getäuscht? Diese Frage wirkt auf den ersten Blick etwas abwegig, vielleicht war sie deswegen nie wirklich in der Wissenschaft relevant. Zumindest bis jetzt. Zugegebenermaßen ist das auch nicht ganz einfach zu testen. Man kann die Fische ja schlecht fragen. Um dieses Kommunikationsproblem zu lösen, hat man die Fische mit einem klassischen Belohnungssystem trainiert: Immer, wenn sie bei einer Auswahl von zwei unterschiedlich großen Kreisen den größeren Kreis mit der Schnauze anstupsten, wurden sie mit Futter belohnt. Sobald sie gut trainiert waren, wurden ihnen die Delboeuf- und die Ebbinghaus-Illusionen gezeigt und geguckt, welche der beiden Kreise sie auswählen….
Oktopia – Matthias Wittmann & Michèle Ganser erschienen bei der Büchergilde Gutenberg
Was haben Ozean und Weltall gemeinsam? Wie sind Kraken und Menschen entstanden? Was genau sind Kopffüßer – und warum heißen die so komisch? Kraken sind die ältesten intelligenten Lebewesen unseres Planeten, wahre ≫Aliens≪, deren Fähigkeiten uns staunen lassen.
Michael Stavarič und Michèle Ganser haben ein Sachbuch voll überraschender Wendungen kreiert, das wesentlich mehr bietet als schlichte Wissensvermittlung. Gemeinsam mit ihren Leser*innen begeben sie sich ins Reich der Kraken und laden ein zum gemeinsamen Abenteuer.
Ein Buch, das so ungewöhnlich wie der Krake selbst ist: zum Mitdenken und Mitmachen, voll witziger Details und plastischer Beschreibungen. Dass man danach zwangsläufig alles Wichtige über Licht, Erde, Evolution, Genetik und so weiter weiß, bleibt fast schon ein Nebeneffekt.
Ich folge Michèle Ganser schon länger auf Instagram und mag ihre Zeichnungen sehr. Dieses kluge dünne Büchlein ist ein Juwel und jede einzelne Zeichnung im Buch wert als Druck an meiner Wand zu landen.
Die große Herausforderung bei der Durchführung von Experimenten mit Kraken besteht darin, diese daran zu hindern, zurückzublicken und das Verhalten der Wissenschaftler zu beobachten. Kraken können durchaus listig Verknüpfungen zwischen den Apparaturen und den Blicken der Krakenforscherinnen herstellen und deren Pläne immer wieder auch durchkreuzen. Sie spielen also gewissermaßen mit unseren Erwartungshaltungen, da sie uns – wir wir ihnen auch – Handlungsmotive unterstellen, auch wenn Begriffe wie „Motiv“, „Intention“ und „Interesse“ in der Krakenwelt nicht existieren.
Leider ist er hiermit vorbei der Lesemonat Juni und ihr müsst mit mir nun Kreta und das Meer verlassen. Ich hoffe die Reise hat euch gefallen und ich konnte euch nicht nur auf die Insel sondern auch auf das eine oder andere Buch hier Lust machen, auch wenn dieses Mal einige Bücher dabei waren, die leider nur noch antiquarisch erhätlich sind.
Welche kennt ihr, auf welche habt ihr Lust bekommen und was ist euer Lieblingsland bzw eure Lieblingsinsel und noch viel wichtiger – habt ihr mein dazwischen gemogeltes Bild aus Schottland entdecken können?
Eigentlich wollten wir ja brav zu Hause bleiben, an der Isar entlang radeln, in den heimischen Bergen wandern, im Biergarten mitgebrachtes Essen futtern, um auf unseren großen Kanada-Urlaub nächstes Jahr zu sparen. Ja eigentlich. Dann aber war die Wettervorhersage so unsicher und Vollzeitarbeitende und nebenbei studierende Bingereader Gattin schwer erholungsbedürftig und so beschlossen wir, kurzfristig und sehr last minute uns zwei günstige Wochen auf Kreta zu gönnen.
Gebucht und gepackt war schnell, die Bücherauswahl dauerte etwas länger, aber schließlich liessen sich doch zwei Griechenland-bezogene Romane in meiner heimischen Bibliothek auftreiben, das ganze wurde um etwas Strandlektüre erweitert und zack lagen wir schon kurze Zeit später lesend am Pool.
Auch der erschöpfteste Bingereader kann nicht ewig an Pool oder Strand rumliegen, daher haben wir natürlich auch ordentlich die Insel erkundet und eine liebe Freundin überrascht, die am anderen Ende der Insel wohnt.
Wir besuchten die hübschen Hafen-Städte Réthimno und Chania, stachen bei unserem Überraschungsbesuch in Milatos mit riesiger Badeinsel in See, wanderten und besuchten das Kloster Agia Triada.
Trotz allem blieb noch Zeit genug, sich durch einige Bücher zu graben, näher vorstellen möchte ich euch diese:
John Fowles – The Magus
Gleich vorne weg, das Buch hat mich ziemlich umgehauen, „mind-blowing“ passt wie die Faust aufs Auge. Nicholas Urfe ist ein junger gut aussehender Typ, der 1953 in London mehr oder weniger ziellos durchs Leben treibt. Er ist ein echter Casanova, lebt ein ziemliches Bohemian-Intellektuellen Leben und versucht sich an der Poesie. Er ist ein typischer Vertreter der Kriegsgeneration, deren Kriegserlebnisse sie mehr oder weniger unfähig machen, wirklich zu lieben. Nicholas gerät dann eher durch Zufall an einen Job als Lehrer auf der kleinen abgelegenen griechischen Insel Phraxos.
Bevor er nach Phraxos geht, lernt er eine junge Australierin kennen, Alison Kelly. Sie haben eine Affäre, trinken beide recht viel und sind alles in allem ziemlich destruktiv. Am Ende des Sommers geht er nach Phraxos und sie beginnt einen Job als Stewardess, ihre Beziehung lassen sie unausgesprochen offen, man will sich mal besuchen und dann mal schauen was passiert.
Auf der Insel gerät er in den Bann eines älteren reichen Typen namens Maurice Chovis, der ihn in ein Gewirr aus niemals endenenden Mind-Games verwickelt. Immer, wenn man glaubt, man hat den Grund des Rätsels erreicht, entpuppt sich dies wieder als doppelter Boden und ein weiteres Geheimnis tut sich auf. Freunde der Mystery-Serie „Lost“ kommen hier ganz auf ihre Kosten. Es passieren jede Menge ziemlich abgefahrene Sachen, es wirkt als habe David Lynn sich mit Aldous Huxley auf der Insel getroffen und sie hätten Unmengen Ouzo getrunken, einen Sonnenstich bekommen und dann gemeinsam ein Buch geschrieben.
“It came to me…that I didn’t want to be anywhere else in the world at that moment, that what I was feeling at that moment justified all I had been through, because all I had been through was my being there. I was experiencing…a new self-acceptance, a sense that I had to be this mind and this body, its vices and its virtues, and that I had no other chance or choice.”
Das Buch ist wunderbar geschrieben und obwohl mit über 700 Seiten ein ziemlich dickes Ding, eines, das man nicht aus der Hand legen kann. Ein Mix aus psychologischem Thriller, jungianischer Lehre, voller Metaphern, Symbolen und jeder Menge Erotik, die noch einmal mehr überrascht, wenn man bedenkt, dass das Buch in den 1950er Jahren begonnen und 1965 veröffentlicht wurde.
„You are right. He did not. But millions of Germans did betray their selves. That was the tragedy. Not that one man had the courage to be evil. But that millions had not the courage to be good.”
Ich fand das Buch absolut berauschend, konnte es gar nicht weglegen und muss unbedingt „The French Lieutnant’s Women“ noch mal rauskramen, ein weiteres Buch von ihm, das mir vor Jahren auch richtig gute gefallen hatte. Ich kann „The Magus“ wirklich empfehlen, Punktabzug gab es, weil ich es stellenweise recht chauvinistisch fand.
“Greece is like a mirror. It makes you suffer. Then you learn.‘ To live alone?‘ To live. With what you are.”
Kennt jemand „The Magus“ oder ein anderes Buch von John Fowles ? Ich habe den Eindruck, er ist in Deutschland nicht sehr bekannt.
Mein zweites Buch war dann „as Greek as it gets“:
Margaret Atwood – The Penelopiad
Es gibt wohl kein griechisches Buch, das bekannter ist als Homers Odyssee. Die Abenteuer von Odysseus, der nach dem Sieg von Troja versucht, endlich wieder nach Hause zu kommen. Nach jeder Menge Kämpfen mit Zyklopen, Dieben, Sirenen und anderem Ungemacht kommt er endlich nach 20 Jahren heim zu seiner loyalen brav wartenden Ehefrau Penelope, die von opportunistischen Verehrern umgeben ist, die seinen Weinkeller leeren und seine Vorräte auffuttern. Sein Sohn und er bringen die ganzen Verehrer und die verräterischen Mädge um, die mit den Verehrern unter einer Decke steckten und zieht die brave Penelope an seine Heldenbrust. Ende der Geschichte. Normalerweise.
Margaret Atwood gibt in diesem Büchlein Penelope eine Stimme und lässt sie die Geschichte aus ihrer Sicht erzählen. Penelope existierte durchaus schon, bevor sie die Ehefrau von Odysseus wurde und sie erzählt uns ihr Leben aus dem Grab heraus, von der Geburt bis hin zu ihrem Ende. Wir lernen sie kennen, erfahren ihre Hoffnungen, Wünsche, Ängste und Sehnsüchte. Ein einfaches Leben hatte sie auf jeden Fall nicht. Wir erfahren, wie wenig Frauen zu sagen hatten, selbst Adlige wie sie. Sie wird an Odysseus verheiratet und mit ihm ins öde Ithaca verschifft, wo sie mit jeder Menge anderer Schwierigkeiten am dortigen Hofe zu kämpfen hat.
“Cleverness is a quality a man likes to have in his wife as long as she is some distance away from him. Up close, he’ll take kindness any day of the week, if there’s nothing more alluring to be had.”
Macht hat sie keine und muss mehr oder weniger tun, was ihr gesagt wird. Als Odysseus in den Krieg zieht (ausgelöst durch die tückische Helena), übernimmt sie die Abläufe am Hof und macht das ziemlich gut. Ihr Ziel ist es, mehr zu erwirtschaften und den Hof zum blühen zu bringen, bis er zurückkommt. Dann tauchen irgendwann die ersten Verehrer auf und die Geschichte nimmt den uns bekannten Verlauf.
Zumindest behauptet sie, ein schlechtes Gewissen zu haben. Die Mägde, die mit Penelope im Jenseits leben, haben da eine etwas weniger großmütige Auslegung der Tatsachen. Soviel zu den unzuverlässigen Erzählern und Geschichten, die stets so erzählt werden, wie sie einem in der jeweiligen Situation am besten passen.
“Water does not resist. Water flows. When you plunge your hand into it, all you feel is a caress. Water is not a solid wall, it will not stop you. But water always goes where it wants to go, and nothing in the end can stand against it. Water is patient. Dripping water wears away a stone. Remember that, my child. Remember you are half water. If you can’t go through an obstacle, go around it. Water does.”
Das dünne Büchlein liest sich schnell, die Sprache ist knapp, flüssig und überaus intelligent und der Plot sehr effizient mit einem guten Schuss Humor. Mir hat diese feministische Interpretation sehr gut gefallen, es darf meiner Ansicht nach bei keinem Griechenland Besuch fehlen. Habe mich nur geärgert, dass ich meine „Sagen des klassischen Altertums“ nicht eingepackt hatte, das wäre die perfekte Begleitlektüre gewesen.
So und jetzt ihr – welche Urlaubslektüre hat Euch in eurem Sommerurlaub dieses Jahr begleitet ?
„The Magus“ erschien auf deutsch unter dem Titel „Der Sammler“ im List Verlag erschienen.
„The Penelopiad“ erschien auf deutsch unter dem Titel „Die Penelopiade“ im dtv Verlag erschienen.