Read around the world: Belgien

Der nächste Halt meiner literarischen Weltreise führt uns wieder in ein Nachbarland – eines, das meine allererste Auslandsreise überhaupt war, meine Schul-Abschlussfahrt vor mehreren Äonen. Dort habe ich zum ersten Mal das Meer gesehen, stand staunend vor dieser unendlichen Weite, die ich bis dahin nur aus Filmen und Büchern kannte. Brügge und Gent haben mich damals richtig verzaubert, mit seinen Kanälen, dem Kopfsteinpflaster, den Häusern, die aussehen, als würde jeden Moment Ms Marple um die Ecke kommen. Und Brüssel habe ich gleich zweimal besucht – eine Stadt, die ich sehr gerne mag und ich erinnere mich an ein wahnsinnig gutes Abendessen in einem Restaurant in einer alten Bank – Belga Queen – kann ich sehr empfehlen und wenn ich mich recht erinnere, kam das Restaurant sogar in einem Roman vor, den ich vor einer Weile gelesen habe, in Robert Manesses „Die Hauptstadt“. Belgien ist also ein Nachbarland, das ich zumindest ein bißchen kenne, und dennoch eines, das in seiner Tiefe, Vielfalt und Komplexität immer noch weiter entdeckt werden kann.

Belgien wirkt auf den ersten Blick überschaubar: klein, dicht besiedelt, eines dieser Länder, das man leicht auf der Europakarte übersehen könnte, wenn man nicht gerade Pommes liebt. Es entfaltet dann aber bei näherem Hinsehen eine erstaunliche kulturelle und politische Vielschichtigkeit. Die drei offiziellen Sprachen: Niederländisch, Französisch und Deutsch sind keine bloßen Verwaltungsakte, sondern Ausdruck historischer Prägungen, Identitäten und rivalisierender kultureller Räume. Wer Belgien bereist, bewegt sich ständig zwischen ihnen: Flandern mit seinen flämischen Städten wie Gent oder Antwerpen, die französischsprachige Wallonie mit Lüttich oder Namur, dazwischen das politisch pulsierende Herz Brüssel sowie im Osten jene kleine deutschsprachige Gemeinschaft, die oft vergessen wird, die aber ihr ganz eigenes literarisches und kulturelles Erbe trägt.

Das Spannende an Belgien ist dieses Gefühl, dass die Vielfalt nicht wie in fernen, weiten Ländern als bunter Flickenteppich erscheint, sondern in dichter Nachbarschaft lebt. Man fährt nur wenige Kilometer und landet sprachlich in einer anderen Welt, mit anderen Traditionen, anderer Mentalität, anderem Humor. Schön ist, dass sich das in der Literatur widerspiegelt: Geschichten, die zwischen Sprachen wandern, zwischen Erinnerungen, Identitäten und Brüchen, zwischen regionalen Eigenheiten und europäischer Weite.

Politisch zeigt sich Belgien als föderale konstitutionelle Monarchie, in der sich die regionalen und sprachlichen Besonderheiten tief in die politischen Strukturen eingeschrieben haben. Regierung und Koalitionsbildung sind oft ein Geduldsspiel nicht, weil Belgier*innen besonders streitlustig wären, sondern weil die Macht zwischen Regionen und Gemeinschaften so fein austariert ist, dass jede Entscheidung mehrere Ebenen durchlaufen muss. Das Land besteht aus Regionen (Flandern, Wallonien, Brüssel) und Sprachgemeinschaften (niederländisch-, französisch- und deutschsprachig), die jeweils eigene Zuständigkeiten haben. Politik ist hier ein Balanceakt, eine ständige Suche nach Kompromissen und Koalitionen, die manchmal fragil wirken, aber doch seit Jahrzehnten dafür sorgen, dass das Land trotz Krisen und Spannungen funktioniert.

In gewisser Weise ist Belgien vielleicht eines der prototypisch europäischen Länder: klein, föderal, vielfältig, kompliziert – und gerade deshalb so interessant. Es steht für ein Miteinander, das nicht immer friktionsfrei ist, aber in seiner Reibung Ideen, Geschichten und Perspektiven hervorbringt, die untrennbar mit seiner kulturellen Identität verbunden sind.

Hier wie immer die vergleichenden Daten:

  • Bevölkerung: ca. 11,8 Mio. Menschen (Stand 2025)
  • Fläche: rund 30.700 km² (etwa so groß wie Baden-Württemberg)
  • Bevölkerungsdichte: sehr hoch, vor allem in Flandern und rund um Brüssel
  • Sprachen: Niederländisch, Französisch, Deutsch
  • Politisches System: föderale konstitutionelle Monarchie mit stark regionalisierten Zuständigkeiten

Auch wenn Belgien heute häufig überwiegend mit „Brügge sehen und sterben“ oder Pommes assoziiert wird man darf nicht vergessen, wie stark das Land die Pop- und Comic-Kultur geprägt hat. Tim und Struppi ist wohl das berühmteste Beispiel dafür: Der belgische Zeichner Hergé (bürgerlich Georges Remi) schuf mit dem Reporter Tim und seinem treuen Foxterrier Struppi eine der erfolgreichsten und einflussreichsten Comicserien Europas. Der erste Band erschien 1929, die Reihe lief bis zum Tod Hergés 1983 und zwischenzeitlich wurden über 230 Millionen Alben verkauft, in unzählige Sprachen übersetzt. Tim und Struppi sind nicht nur ein Stück Abenteuer- und Kindheitsnostalgie, sondern auch ein Symbol für Belgien als Land, das mit einem Fuß in der Belletristik, dem anderen in der Pop- und Drachen-Kultur steht ein Beleg, wie sehr Geschichten, Erzählungen und Bildwelten belgisch sind.

Musikalisch steht Belgien für mich ganz klar unter dem Stern des DUNK! Festivals. Ich habe es bisher noch nicht geschafft diese Kultstätte des Postrocks zu besuchen, aber irgendwann klappt das sicherlich noch mal. Mein lieber Blognachbar Gerhard vom Blog Kulturforum hat schon des Öfteren davon berichtet.

Vorstellen möchte ich euch heute die Band „We stood like Kings“ die ich vor ein paar Jahrenlive bei einem ganz besonderen Event erleben durfte. Auch hier gibts im Kulturforum entsprechendes nachzulesen – und das lohnt sich 🙂

Auch filmisch liefert Belgien ordentlich ab. Chantal Akerman gilt als eine der bedeutendsten belgischen Regisseurinnen und als zentrale Stimme des feministischen und experimentellen Kinos. Ihr Film „Jeanne Dielman, 23, quai du Commerce, 1080 Bruxelles“ (1975) ist ein radikal ruhiges, minutiös beobachtetes Porträt weiblicher Alltagsroutine und innerer Zermürbung ist wirklich ein Meilenstein der Filmgeschichte, der zeigt, wie politisch und effektiv scheinbar unspektakuläre Gesten sein können. Kann den Film wirklich nur empfehlen.

Nach all den Musik- und Filmtipps möchte ich Belgien nun auch literarisch vorstellen und habe dafür „Dius“ von Stefan Hertmans gelesen:

Dius – Stefan Hertmans erschienen im Diogenes Verlag, übersetzt von Ira Wilhelm

Es gibt Zufälle, die so schräg sind als wäre kurz ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum entstanden und man zweifelt, ob das Buch sich vielleicht ins echte Leben ausgedehnt hat. Während ich Stefan Hertmans’ „Dius“ las – ein Buch, in dem Vittore Carpaccios Bilder eine recht zentrale Rolle spielen – fand ich auf meinem täglichen Spaziergang mit der kleinen Gasthündin im offenen Bücherschrank ausgerechnet einen Bildband dieses Malers. Carpaccio, nicht da Vanci oder Michaelangeo, ein Maler, den man nun wirklich nicht an jeder Ecke erwartet. Plötzlich wurde aus einer ohnehin schon intensiven Lektüre ein kleines multimediales Erlebnis: Musik über die Playlist, die beim Diogenes-Zoom-Abend mit dem Autor empfohlen wurde, Hertmans’ Worte im Buch –und dann diese Bilder, die direkt daneben aufschlugen und die mich wirklich sehr fasziniert haben.

Im Zentrum des Romans steht Anton, ein Kunsttheoretiker voller Sehnsucht, der oft eher beobachtet als handelt. Schon früh gibt es eine Szene, die sich ins Gedächtnis brennt: ein Autounfall, ein Hirsch, eine beinahe tödliche Bewegung. Hertmans schreibt das mit einer Intensität, die einen sofort in Antons Kopf zieht. An seiner Seite steht Dius, zunächst sein Student, dann sein Freund impulsiver, unmittelbarer, ein Künstler, der die Welt mit den Händen begreift. Zwischen den beiden entsteht eine enge, zugleich fragile Verbindung, getragen von Gesprächen über Kunst und Natur, aber auch von all dem, was unausgesprochen bleibt. Am Ende geht Dius nach Italien, Anton bleibt zurück und die Lücke zwischen ihnen erzählt ebenso viel wie ihre gemeinsamen Jahre.

In solchen Momenten weiß ich warum Dius in mein Leben treten musste: weil wir beiden den Durst nach längst vergangenen Zeiten teilen, die uns durch die frühen Erinnerungen irgendwie in den Körper eingeschrieben sind und uns unbehaust werden lassen im Lärm unserer Gegenwart. Kultur ist etwas Unbegreifliches; das Höchste ist mit dem Abgründigsten verwandt, und voll all den Jahrhunderten voller Schmerz, Verzückung und Verwirrung bleibt uns am Ende nur diese himmlische Musik, bei der sich mein Herz vor Verlangen zusammenkrampft, während ich unter der leichten Daunendecke liege….


Hertmans verankert diese Freundschaft in einem alten Bauernhaus in den weiten Westflämischen Poldern, einer Landschaft, die wie ein Resonanzraum wirkt, Seine Naturbeschreibungen sind präzise und voller Zärtlichkeit, und immer wieder stellt der Text die Frage, wie man Schönheit überhaupt fassen kann – ob Sprache reicht, um zu vermitteln, was Kunst, Landschaft oder ein Mensch in uns auslösen können.


Anton, ist Kunsttheoretiker, der oft an den Rändern des Lebens entlanggleitet. Einer, der eher denkt als handelt, der seine Sehnsüchte und seine Melancholie mit sich herumträgt und im Gegensatz Ein Gegenpol, lebendig, impulsiv, handfest im besten Sinn. Er denkt nicht nur über Kunst nach, er greift nach ihr, verschmilzt mit Material und Werkzeug, ein Mensch, der mit seiner Umgebung in eine Art physischer Resonanz tritt. Zwischen den beiden entsteht eine Freundschaft, die nicht idyllisch ist, sondern vibrierend; eine Beziehung, in der Nähe und Verrat, Inspiration und Verletzlichkeit von Anfang an mitschwingen.

Gerade weil Dius kein klassisch plotgetriebenes Buch ist, wirkt das, was geschieht, umso intensiver. Hertmans schildert ein Leben, das von Verlust, Erinnerung und dem Bedürfnis nach Nähe geprägt ist – aber auch von dem Versuch, sich über Kunst und die Betrachtung der Welt neu zu verorten. Durch die kunsthistorischen Exkurse, die Musik und die Naturbeobachtungen entsteht ein Geflecht, das gleichzeitig poetisch, scharf und berührend ist. Es ist ein Buch über das Sehen – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Dius hat mich sehr berührt, und als Nächstes wartet nun Hertmans’ Krieg und Terpentin auf mich. Danke an Susanne vom Diogenes Verlag für ihre treffsichere Empfehlung – und natürlich an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.

Wer noch mal zu den vorherigen Stationen (Sri Lanka, Italien, Trinidad & Tobago, Nigeria, Südkorea, China, Israel, Belarus, Japan, DR & Republik Kongo, USA, Polen, Chile, Afghanistan, Vietnam, Ukraine, Mauretanien, Mexiko, Niederlande, Malaysia) zurückreisen möchte wird in meiner Kategorie „Read around the World“ fündig.

Weitere Romane belgischer Autor*innen die ich gelesen und empfehlen kann:

  • I who have never known men – Jacqueline Harpman
  • Trophäe – Gesa Schoeters
  • Auf der Suche nach Marie – Madeleine Bourdouxhe
  • Der Buchhändler von Archangelsk – George Simenon
  • Mit Staunen und Zittern – Amélie Nothomb

Was sind eure Tipps für Belgien? Würde gerne mal wieder hin und welche Buch-Musik-Film Tipps habt ihr? Freue mich von euch zu hören und bin sehr gespannt!

Read around the world: Malaysia

Der nächste Stopp auf der literarischen Weltreise: Malaysia – einem Land, dem ich bei unseren Reisen durch Südostasien schon recht nahe gekommen bin, das wir aber leider noch nie besucht haben. Vielleicht habe ich mich deshalb auch so sehr auf diesen Stopp gefreut, weil ich doch immer wieder mal Sehnsucht habe in diese Ecke der Welt zurückzukehren. Malysia steht für diese Erinnerung an Farben, Gerüchen, Geräuschen, einer Vielfalt, die sich gar nicht in ein einziges Bild fassen lässt. Ich erinnere mich an Begegnungen mit Menschen aus der Region – in Thailand, Singapur oder Laos – und daran, wie oft Malaysia auch irgendwie dabei mitschwang, als eine Art kulturelle Kreuzung zwischen Welten. Britisches Erbe trifft auf chinesische, indische und malaiische Traditionen; Islam, Hinduismus, Buddhismus und Christentum existieren nebeneinander, und überall scheint die Frage spürbar, was „Heimat“ in einem Land bedeutet, das von so vielen Einflüssen geprägt ist.

Malaysia liegt im Herzen Südostasiens, teilt sich in die malaiische Halbinsel mit der Hauptstadt Kuala Lumpur und den Bundesstaaten des Festlandes sowie die Insel Borneo mit den Regionen Sabah und Sarawak. Rund 34 Millionen Menschen leben hier (Stand 2025) auf einer Fläche von etwa 330.000 km² – also fast so groß wie Deutschland, aber mit einer deutlich geringeren Bevölkerungsdichte. Kuala Lumpur ist das pulsierende Zentrum des Landes, modern, dicht, kontrastreich, während Orte wie Penang oder Melaka ihre koloniale Vergangenheit wie in Schichten tragen – britisch, niederländisch, portugiesisch, malaiisch, chinesisch. Diese Mischung macht den Reiz Malaysias aus: Das Land ist ein Mosaik aus Sprachen, Küchen, Religionen und Geschichten. Offizielle Sprache ist Bahasa Malaysia, aber Englisch ist weit verbreitet, ebenso Mandarin, Kantonesisch oder Tamil – ein Echo der Handelsrouten, die das Land seit Jahrhunderten prägen.

Hier wie immer die vergleichenden Daten:

  • Bevölkerung: Rund 34 Millionen Menschen leben in Malaysia (Stand 2025), also etwas weniger als die Hälfte der deutschen Bevölkerung.
  • Fläche: Mit etwa 330.000 km² ist Malaysia fast so groß wie Deutschland (≈ 357.000 km²).
  • Bevölkerungsdichte: Im Durchschnitt leben rund 100 Einwohner pro km² hier – deutlich weniger als in Deutschland. Besonders dicht besiedelt sind die Regionen um Kuala Lumpur, Penang und die Küstenstädte der malaiischen Halbinsel.
  • Wirtschaft: Malaysia gehört zu den sogenannten „Tigerstaaten“ Südostasiens. Wichtige Wirtschaftszweige sind Elektronik, Palmöl, Tourismus, Erdöl, Kautschuk und zunehmend erneuerbare Energien. Der Lebensstandard ist im regionalen Vergleich hoch, die Mittelschicht wächst, gleichzeitig bestehen jedoch deutliche Unterschiede zwischen Stadt und Land.

Die Geschichte Malaysias ist eine Geschichte von Begegnungen, aber auch von Besetzungen. Lange war die Region Teil globaler Handelsnetzwerke, berühmt für Gewürze, Zinn und Kautschuk. Im 19. Jahrhundert wurde sie zur britischen Kolonie und wie viele postkoloniale Staaten ringt Malaysia bis heute mit diesem Erbe. Der Unabhängigkeitstag 1957 markierte einen Neuanfang, doch die kolonialen Strukturen – wirtschaftlich, sozial und kulturell – wirken fort. Tan Twan Eng greift diese Themen in seinen Romanen meisterhaft auf: Wie sich Identität, Zugehörigkeit und Erinnerung in einem Land verschränken, das selbst ein vielschichtiges Hybridwesen ist. Doch dazu später mehr.

Wirtschaftlich ist Malaysia längst mehr als ein Rohstofflieferant: Elektronik, Palmöl, Tourismus und zunehmend nachhaltige Technologien prägen das Land. Trotz seiner Fortschritte bleibt der Spagat zwischen Entwicklung und Umweltbewusstsein eine der großen Herausforderungen. Der Regenwald Borneos zählt zu den ältesten der Erde, doch Abholzung, Rohstoffabbau und Klimawandel bedrohen ihn massiv. Gleichzeitig bemüht sich das Land um Naturschutzprojekte und Ökotourismus, um diesen einzigartigen Lebensraum zu bewahren.

Gesellschaftlich ist Malaysia ein Spiegel seiner ethnischen Vielfalt. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung sind Malaien, dazu kommen große chinesische und indische Gemeinschaften sowie indigene Gruppen auf Borneo. Diese Vielfalt ist Reichtum und Herausforderung zugleich: Sprache, Religion, Bildung und Politik sind eng mit ethnischer Zugehörigkeit verflochten. Seit der Unabhängigkeit versucht Malaysia, ein Gleichgewicht zwischen den Gruppen zu wahren – ein Prozess, der immer wieder Spannungen, aber auch bemerkenswerte Formen des Zusammenlebens hervorbringt. In den letzten Jahren haben sich jüngere Generationen zunehmend von den starren Grenzen früherer Jahrzehnte gelöst, soziale Medien und Kultur treiben eine vorsichtige Liberalisierung voran, besonders in den urbanen Zentren.

Malaysia ist ein Fest für die Sinne: von Streetfood in Penang, das zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt, über Musik und Tanzformen mit indischen, arabischen und chinesischen Einflüssen bis hin zur Architektur, die Moscheen, Kolonialhäuser und futuristische Hochhäuser in einem Stadtbild vereint. Politisch ist Malaysia eine konstitutionelle Monarchie mit einem komplexen föderalen System. In den letzten Jahren hat das Land turbulente Zeiten erlebt – Korruptionsskandale, Machtwechsel, Koalitionen, die sich auflösen und neu formieren. Doch die Demokratie lebt: zäh, lebendig, manchmal laut, oft pragmatisch. Auch hier steht Malaysia an einem Wendepunkt zwischen Tradition und Moderne, Religion und Liberalität, Wachstum und Nachhaltigkeit.

So offen und vielfältig Malaysia in kultureller Hinsicht ist, so restriktiv ist das Land leider gegenüber der LGBTQ+ Community. Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind nach Artikel 377A des Strafgesetzbuchs, einem Überbleibsel der britischen Kolonialzeit, strafbar und können mit mehrjährigen Haftstrafen geahndet werden. Zusätzlich verbieten viele Bundesstaaten in Malaysia auf Grundlage der Scharia-Gesetze für Muslime homosexuelle Handlungen, geschlechtsangleichende Maßnahmen oder „unislamisches Verhalten“.

In der Praxis werden diese Gesetze nicht immer konsequent, aber doch regelmäßig angewendet. Es kommt zu Razzien, öffentlichen Bloßstellungen und Verhaftungen, vor allem wenn Aktivist*innen versuchen, sich öffentlich zu organisieren. Pride-Veranstaltungen sind nicht erlaubt, und queere Sichtbarkeit bleibt ein Risiko. Auch in den Medien gilt Zensur: Inhalte, die als „fördernd für Homosexualität“ gelten, werden oft geschnitten oder verboten.

Trotz dieser schwierigen Lage gibt es eine kleine, engagierte LGBTQ+-Szene – vor allem in Kuala Lumpur. Aktivistinnen, Künstlerinnen und NGOs wie Justice for Sisters oder Pelangi Campaign versuchen, Aufklärungsarbeit zu leisten und sichere Räume zu schaffen. In den letzten Jahren haben soziale Medien dazu beigetragen, dass queere Malaysier*innen sichtbarer und vernetzter werden, auch wenn sie dabei Anfeindungen riskieren.

Die rechtliche und gesellschaftliche Situation erinnert daran, dass Malaysia sich noch in einem tiefen Spannungsfeld zwischen konservativer Religionspolitik und einer jungen, urbanen Generation befindet, die zunehmend liberaler denkt. Gerade in Städten wie Kuala Lumpur, Penang oder Johor Bahru wächst das Bewusstsein, dass Diversität nicht nur ethnisch, sondern auch geschlechtlich und sexuell verstanden werden kann – auch wenn der Weg zu echter Gleichberechtigung noch weit ist.

Jetzt aber der Blick auf die Kultur: eine Band aus Malaysia die ich sehr mag ist die Postrock Band MIM – live habe ich sie noch nicht gesehen, würde ich aber sehr gerne. Hier mit ihrem Song „Bah“ aus ihrem Album „Arakian“:

Filme aus Malaysia habe ich tatsächlich noch keine gesehen, aber dieser Horror Film steht auf meiner Liste. Eine kleine unabhängige Produktion und das Regie-Debüt von Emir Ezwan. Die NYT zeigt sich ganz beeindruckt von diesem Folk Horror Film der in nur zwei Wochen im Wald südlich von Kuala Lumpur gedreht wurde.

und einer der Romane von Tan Twan Eng ist von Tom Lin Shu-yu verfilmt worden, den möchte ich mir auf jeden Fall auch ansehen, er handelt von der japanischen Besetzung Malaysias:

Jetzt kommen wir aber endlich zum Buch das ich für diesen Stopp gelesen habe. Ebenfalls ein Roman des malayischen Autors Tan Twan Eng der einer der berühmtesten seiner Heimat ist und der 1972 in Penang geboren wurde: „The House of Doors“ ein Roman der 2023 auf der Longlist des Booker Prizes stand:

The House of Doors – Tan Twan Eng auf deutsch unter dem Titel „Das Haus der Türen“ im Dumont Verlag erschienen übersetzt von Michaela Grabinger

Auf Tan Twan Engs „The House of Doors“ hab ich mich schon lange gefreut und es hat mich umgehend gepackt mit einer leisen, fast hypnotischen Intensität, die einen unmerklich in eine andere Zeit und Welt zieht. Schon nach wenigen Seiten war ich mitten in der flirrenden Hitze Malaysias, konnte das Rascheln der Palmen hören und den Geruch von Regen und Meer beinahe spüren.

Ich habe eine besondere Schwäche für Romane, in denen Schriftsteller selbst zu Figuren werden – Geschichten über das Erzählen, über die Macht und die Verantwortung, die mit dem Schreiben einhergehen – und genau das bietet The House of Doors auf meisterhafte Weise. Im Zentrum steht Lesley Hamlyn, die in den 1940ern auf einer Farm in Südafrika lebt und auf ihr früheres Leben im kolonialen Penang zurückblickt. Dort begegnet sie 1921 William Somerset Maugham – „Willie“ –, der mit seinem Sekretär und Lebensgefährten Gerald Haxton reist. Maugham, 1874 in Paris geboren und einer der meistgelesenen britischen Autoren seiner Zeit, ist auf der Suche nach Geschichten, nach den feinen Rissen hinter den Fassaden menschlicher Beziehungen. Haxton begleitet ihn seit Jahren auf all seinen Reisen, ihre Beziehung bewegt sich zwischen tiefer Zuneigung, Abhängigkeit und dem permanenten Druck, ihre Liebe in einer Zeit der gesellschaftlichen Enge verbergen zu müssen.

Tan Twan Eng beschreibt diese beiden mit einer Zartheit und Genauigkeit, die weit über bloße Hommage hinausgeht. Seine Beobachtungsgabe erinnert an Maugham selbst – doch Eng nutzt die Perspektive der Kolonisierten, um die moralischen und kulturellen Bruchstellen dieser Welt offenzulegen. Lesley, gefangen zwischen Loyalität, Schuld und dem Wunsch nach Wahrheit, steht am Schnittpunkt dieser Spannungen. Das titelgebende „Haus der Türen“ ist dabei weit mehr als ein Schauplatz: Es ist ein Sinnbild für Erinnerung und Erzählung, für die unzähligen Türen, die wir im Leben öffnen oder verschlossen halten. Eng gelingt es, historische Begebenheiten – die Begegnung mit dem Revolutionär Sun Yat-sen, den realen Mordfall Ethel Proudlock – mit fiktionaler Raffinesse zu verweben, ohne den emotionalen Kern aus den Augen zu verlieren.

Der Roman liest sich wie ein fein komponiertes Musikstück, getragen von Melancholie, von der Schönheit des Vergehens und der Frage, wie aus Leben Literatur wird. Tan Twan Eng, selbst in Penang geboren, beweist einmal mehr sein Gespür für Atmosphäre, für leise Zwischentöne und das Unsagbare zwischen den Zeilen. Am Ende hat mich The House of Doors nicht nur berührt, sondern auch ganz schön neugierig gemacht – auf Maugham selbst, auf seine Romane, seine Kurzgeschichten und vor allem auf das faszinierende, widersprüchliche Leben eines Mannes, der wie kaum ein anderer wusste, dass jede Geschichte zwei Seiten hat: die erzählte – und die verschwiegene.

Wer noch mal zu den vorherigen Stationen (Sri Lanka, Italien, Trinidad & Tobago, Nigeria, Südkorea, China, Israel, Belarus, Japan, DR & Republik Kongo, USA, Polen, Chile, Afghanistan, Vietnam, Ukraine, Mauretanien, Mexiko, Niederlande) zurückreisen möchte wird in meiner Kategorie „Read around the World“ fündig.

Meine einzige andere Lektüre aus Malaysia war:

  • Nothing but blackened teeth – Cassandra Khaw

Habt ihr Malaysia schon besucht? Habt ihr Buch-Film-Musik-Tipps? Freue mich auf eure Rückmeldungen.

Read around the World: Niederlande

Auf meiner literarischen Weltreise bin ich jetzt in den Niederlanden angekommen. Ein Nachbarland, das ich seltsamerweise erst einmal besucht habe, das aber ganz oben auf meiner Wunschliste der zu bereisenden Länder steht. Amsterdam vor ein paar Jahren war ein kurzes, intensives Abenteuer – eine fast überfordernde Lebendigkeit ist mir in Erinnerung geblieben und die Mengen an Radler*innen die um mich rum gesaust sind. Doch in den Niederlanden gibt es noch so viel mehr zu entdecken. Utrecht wurde mir immer wieder ans Herz gelegt, und ich bin mir sicher, bei diesem Weltreise-Stopp gibt es einige, die Tipps für Besuche, Bücher, Musik oder Filme haben.

Aber auch wenn dieser Stopp nicht ganz so exotisch ist wie Mauretanien, Afghanistan oder Sri Lanka, war ich dennoch überrascht, wie viel mir Unbekanntes sich bei der Recherche zu diesem Artikel aufgetan hat. Denn die Niederlande sind eines dieser Länder, die einem vertraut vorkommen, obwohl man sie kaum kennt. Windmühlen, Tulpenfelder, Käse, Fahrräder, Coffee Shops – das Bild scheint klar, fast zu klar. Doch dahinter liegt ein Land, das sich immer wieder neu erfindet: pragmatisch, progressiv, eigensinnig und von einer Geschichte geprägt, in der Landgewinn, Welthandel, Kunst und Protest eine erstaunliche Allianz eingehen.

Ich beginne mal direkt mit den vergleichenden Daten:

  •  Bevölkerung: Rund 17,8 Millionen Menschen leben in den Niederlanden (Stand 2025), also etwa ein Fünftel der deutschen Bevölkerung.
  • Fläche: Mit etwa 41.500 km² sind die Niederlande rund ein Neuntel so groß wie Deutschland
    (≈ 357.000 km²).
  •  Bevölkerungsdichte: Mit über 500 Einwohnern pro km² gehören die Niederlande zu den am dichtesten besiedelten Ländern Europas – besonders im sogenannten „Randstad“-Gebiet (Amsterdam, Rotterdam, Den Haag, Utrecht).
  • Wirtschaft: Die Niederlande sind eine exportstarke Handelsnation – von Hightech bis Agrarprodukten. Sie sind der zweitgrößte Agrar-Exporteur der Welt, trotz ihrer geringen Fläche. Große Sektoren sind Logistik, Chemie, Maschinenbau, Finanzdienstleistungen und ein stark wachsender nachhaltiger Technologiesektor.

Die Geschichte der Niederlande ist eng mit Wasser, Unabhängigkeit und Handel verbunden. Ein großer Teil des Landes wurde dem Meer abgerungen – durch Deiche, Schleusen und geniale Ingenieurskunst. Der ewige Kampf gegen die Flut ist nicht nur geografisch, sondern auch symbolisch: Er steht für Selbstbehauptung und Organisation, für Pragmatismus und Planung.

Im 16. und 17. Jahrhundert stiegen die Niederlande zur globalen Seemacht auf. Die „Goldene Zeit“ brachte Reichtum, Wissenschaft und Kunst hervor – Rembrandt, Vermeer, Spinoza –, aber auch Kolonialismus, Sklavenhandel und Ausbeutung. Wie viele europäische Länder ringt die niederländische Gesellschaft heute mit diesem Erbe: In Museen, in der Bildung, in der Sprache tauchen diese Fragen immer häufiger auf. Der Kolonialismus in Indonesien, Surinam und der Karibik wird nicht mehr verdrängt, sondern zunehmend kritisch aufgearbeitet.

Im 20. Jahrhundert erlebten die Niederlande sowohl die Schrecken der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg als auch den Aufstieg zu einem modernen Wohlfahrtsstaat. In den 1960er- und 70er-Jahren wurden sie zu einem Labor sozialer Reformen: Liberale Drogenpolitik, Abtreibungsrecht, Euthanasiegesetzgebung, gleichgeschlechtliche Ehe – vieles, was anderswo lange tabu war, wurde hier früh gesellschaftlich verhandelt und gesetzlich geregelt. Dieses Bild eines progressiven, offenen Landes prägt den internationalen Blick bis heute, auch wenn sich innenpolitisch zunehmend konservative und rechtspopulistische Kräfte formieren.

Die Niederlande sind ein Land der Vielfalt – nicht nur ethnisch, sondern auch kulturell und sprachlich. Etwa ein Viertel der Bevölkerung hat Migrationshintergrund, viele Menschen stammen aus Indonesien, Surinam, der Türkei, Marokko oder den Antillen. Diese Vielfalt ist Teil des Alltags, aber sie wird nicht selten zum Schauplatz politischer Debatten über Integration, Religion und Identität. Besonders in den letzten Jahren haben Themen wie Islamfeindlichkeit, Rassismus und Wohnungsnot neue gesellschaftliche Spannungen erzeugt.

Auch in Fragen von Klima und Nachhaltigkeit steht das Land vor großen Herausforderungen. Der Meeresspiegel steigt, die Böden sinken, und ein großer Teil des Landes liegt unter dem Meeresspiegel. Trotzdem sind die Niederlande globaler Vorreiter im Bereich Wasserwirtschaft und nachhaltiger Stadtplanung – mit Projekten wie „Room for the River“ oder schwimmenden Stadtvierteln, die zeigen, wie sich Leben und Umwelt in Balance bringen lassen.

Die rechtliche Situation der LGBTQ+ Community ist seit Jahrzehnten vorbildlich: 2001 waren die Niederlande das erste Land der Welt, das die gleichgeschlechtliche Ehe legalisierte. Auch Transrechte wurden in den letzten Jahren weiter gestärkt. Dennoch bleibt Diskriminierung im Alltag ein Thema, vor allem in konservativeren Regionen oder im konservativen religiösen Umfeld – die gesellschaftliche Akzeptanz ist also auch hier kein Selbstläufer.

In der Politik stehen die Niederlande derzeit an einem Wendepunkt. Nach den Parlamentswahlen 2023–24 kam es zu einer Neuordnung, die traditionelle Parteienlandschaften aufbrach. Populistische Bewegungen gewannen an Einfluss, während andere Kräfte versuchen, das Land auf einem Kurs zwischen Liberalismus, ökologischer Verantwortung und sozialem Ausgleich zu halten. Gleichzeitig bleibt die niederländische Demokratie robust – kritisch, debattenfreudig und mit einer aktiven Zivilgesellschaft, die regelmäßig laut wird, wenn es um Gleichberechtigung, Klimaschutz oder Pressefreiheit geht.

Fotos: Unsplash

Oft werden die Begriffe „Holland“ und „Niederlande“ synonym verwendet, was geografisch allerdings nicht ganz korrekt ist. Die Niederlande bestehen aus zwölf Provinzen, von denen Nordholland und Südholland nur zwei sind – wenn auch die bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich bedeutendsten, mit Städten wie Amsterdam, Rotterdam und Den Haag. „Holland“ steht also streng genommen nur für diesen westlichen Teil des Landes, hat sich aber im alltäglichen Sprachgebrauch international eingebürgert. Neben dem Niederländischen, das eng mit dem Flämischen in Belgien verwandt ist wird in der Provinz Friesland das Friesische offiziellen Status – eine eigenständige Sprache mit germanischen Wurzeln, die eher dem Englischen als dem Deutschen ähnelt.

Was mich besonders fasziniert an dem Land ist die Verbindung von Bodenständigkeit und Weitblick. Die Niederländer*innen schaffen es, ihr winziges Land zu einem globalen Player zu machen – mit Fahrrädern, Windrädern, Weltoffenheit und einer beeindruckenden Fähigkeit, das Praktische mit dem Visionären zu verbinden.

Jetzt stelle ich euch aber mal das Buch vor, das ich für die Niederlande gelesen habe:

The Safekeep – Yael van der Wouden auf deutsch unter dem Titel „In ihrem Haus“ erschienen im Gutkind Verlag, übersetzt von Stefanie Ochel

Es gibt Bücher, die irgendwie leise daher kommen, sich ganz langsam entfalten – und einen dann völlig überraschen. The Safekeep von Yael van der Wouden war für mich genau so ein Buch: leise, konzentriert, präzise, und plötzlich von einer Wucht, die man nicht kommen sieht. Schon nach wenigen Seiten war klar, dass hier keine gewöhnliche Familiengeschichte erzählt wird, sondern ein vielschichtiges Spiel aus Erinnerung, Schuld und Begehren. In mehrfacher Hinsicht ist dieses Buch etwas Besonderes: Es ist das Debüt der niederländischen Autorin Yael van der Wouden, es wurde ursprünglich auf Englisch verfasst, und sie ist damit die erste niederländische Autorin, die es auf die Shortlist des Booker Prize geschafft hat. Yael van der Wouden wurde 1987 geboren und wuchs in den Niederlanden auf. Sie hat einen israelisch-niederländischen Hintergrund, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Utrecht und an der Binghamton University in den USA.

Die Handlung führt in die niederländische Provinz Overijssel, in den Sommer 1961. Isabel lebt dort allein in dem Haus ihrer verstorbenen Mutter, umgeben von Dingen, die in penibler Ordnung verharren. Alles ist still, geregelt, kontrolliert – ein Leben, das sich in Ritualen und Routinen festhält. Als ihr Bruder Louis mit seiner neuen Freundin Eva auftaucht und für den Sommer bleibt, gerät dieses fragile Gleichgewicht ins Wanken. Eva ist das genaue Gegenteil von Isabel: lebendig, neugierig, körperlich. Sie bewegt sich durch das Haus, öffnet Türen, betritt Räume, die Isabel lieber verschlossen gehalten hätte. Zwischen den beiden Frauen entsteht eine Spannung, die sich kaum benennen lässt – eine Mischung aus Abwehr, Begehren und schleichender Bedrohung. Was anfangs wie eine stille Familiengeschichte beginnt, entwickelt sich zu einem psychologisch dichten Drama, in dem Schuld, Erinnerung und Verdrängung untrennbar miteinander verwoben sind. Und dann kommt eine Wendung, so unerwartet und doch so konsequent, dass man das Buch für einen Moment zuschlagen möchte, um durchzuatmen.

Was mich an The Safekeep besonders beeindruckt hat, ist die Art, wie Yael van der Wouden Atmosphäre erzeugt. Sie braucht keine spektakulären Szenen oder großen Gesten. Das Unheimliche wächst in der Stille, im Zögern, in einem Blick, der zu lange dauert. Das Haus wird zur Bühne der inneren Zersetzung, ein Ort, an dem Vergangenheit und Gegenwart unmerklich ineinanderfließen. Man spürt in jedem Satz die Spannung zwischen Kontrolle und Kontrollverlust. Van der Wouden schreibt in einer klaren, präzisen Sprache, die an niederländische Stillleben erinnert – jede Bewegung, jedes Detail scheint festgehalten, bis man merkt, dass etwas im Bild verrutscht.

Auch thematisch bewegt sich der Roman auf mehreren Ebenen zugleich. Die familiäre Enge und das unausgesprochene Trauma verweisen auf eine größere historische Dimension: die Nachkriegszeit, die Schatten der Kollaboration, das Schweigen über Schuld. Diese Themen sind nie plakativer Hintergrund, sondern fließen in die private Geschichte ein – in die Art, wie Isabel Dinge ordnet, wie sie mit Erinnerungen ringt, wie sie versucht, das Unheimliche zu bannen. In dieser Verbindung von psychologischer Genauigkeit und geschichtlicher Tiefe liegt für mich die große Stärke des Romans.

Besonders die überraschende Wendung am Ende verleiht der Geschichte eine neue Perspektive, ohne den Zauber oder die Ambivalenz der Figuren aufzulösen. Sie zwingt einen, das Gelesene noch einmal neu zu betrachten, mit anderen Augen.

The Safekeep ist ein außergewöhnliches Debüt – eines, das sowohl literarisch anspruchsvoll als auch emotional tief berührend ist. Es ist ein Roman über Ordnung und das Chaos darunter, über Begehren, das sich nicht benennen lässt, über das, was ein Haus bewahrt, und das, was darin verloren geht. Wer sich auf diese stille, intensive Geschichte einlässt, wird reich belohnt. Für mich zählt sie jetzt schon zu meinen Lieblingsbüchern dieses Jahres.

OK das war eine Menge Text bisher, bei Musik- und Filmtipp halte ich mich daher kurz. Ein Film den ich vor vielen Jahren im Kino sah und an den ich tatsächlich immer wieder mal denke ist „Antonia“ von Marleen Gorris. Muss ich unbedingt mal wieder anschauen!

Überraschenderweise sind mir gar nicht so viele niederländische Bands eingefallen, die ich hier hätte vorstellen können. Eine Gruppe aber, die mich über viele Jahre begleitet hat – und bei der ich sogar einmal live war – ist Within Temptation. Ich habe sie ewig nicht mehr gehört, aber sie waren damals eine meiner ersten Begegnungen mit niederländischer Musik jenseits des Mainstreams. Here you go:

Jetzt seid ihr wieder dran – was verbindet ihr mit den Niederlanden ? Habt ihr Lieblingsorte? Welche Bücher / Filme / musikalischen Tipps habt ihr für mich?

Weitere Romane aus den Niederlanden die ich gelesen habe und empfehlen kann sind:

  • Das Tagebuch der Anne Frank – Anne Frank
  • Der Virtuose – Margriet de Moor
  • Intimacies – Katie Kitamura
  • Das Wüten der ganzen Welt – Maarten ‚t Hart
  • Die Entdeckung des Himmels – Harry Mulisch
  • Das Meisterstück – Anna Enquist
  • Frederick – Leo Lionni

Wer noch mal zu den vorherigen Stationen (Sri Lanka, Italien, Trinidad & Tobago, Nigeria, Südkorea, China, Israel, Belarus, Japan, DR & Republik Kongo, USA, Polen, Chile, Afghanistan, Vietnam, Ukraine, Mauretanien, Mexiko) zurückreisen möchte wird in meiner Kategorie „Read around the World“ fündig.

Read around the world: Mexiko

Mexiko ist ein Land voller Gegensätze – faszinierend, widersprüchlich, oft von außen auf Klischees reduziert. Die Bilder reichen von Traumstränden und farbenfrohen Festen bis hin zu Schlagzeilen über Gewalt und Migration. Doch dazwischen liegt ein Land mit einer tief verwurzelten Geschichte, einer vielfältigen Kultur und einer Gegenwart, die nicht in einfachen Erzählungen aufgeht.

Für mich war Mexiko lange ein Ort, den ich vor allem aus Filmen, Musik und Schlagzeilen kannte. Erst mit der Lektüre wurde mir zumindest etwas klarer, wie viele Schichten dieses Land prägen: die Spuren präkolumbischer Hochkulturen, die Brüche der Kolonialisierung, die Hoffnungen und Enttäuschungen der Revolution, die Kämpfe um Gerechtigkeit heute. Ich war noch nie dort und könnte ich mich beamen, würde ich vielleicht mal eine Reise dorthin machen, aber ich fliege immer weniger gern, von daher wird es wohl bei diesem Stopp hier bleiben.

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Ich beginne mal direkt mit den vergleichenden Daten:

  • Fläche: Mit etwa 1,964 Millionen km² ist Mexiko rund fünfmal so groß wie Deutschland (≈ 357.000 km²).
  • Bevölkerung: Rund 130 Millionen Menschen leben in Mexiko (Stand 2025), etwa eineinhalb Mal so viele wie in Deutschland (ca. 84 Millionen).
  • Bevölkerungsdichte: Mexiko ist (abhängig von Region) gemischt besiedelt — in Ballungszentren wie Mexiko-Stadt oder Monterrey sehr dicht, in dünn besiedelten Gebieten im Norden oder im Hochland weit weniger.
  • Wirtschaft: Mexiko ist eine der größten Volkswirtschaften Lateinamerikas, mit bedeutendem industriellem Sektor (Automobilproduktion, Elektronik, Öl), starkem Dienstleistungssektor und zugleich großen Disparitäten zwischen armen und reichen Regionen und ausgeprägter Abhängigkeit vom Export, z. B. in die USA.

Die Geschichte Mexikos ist eine Geschichte von Eroberung, Widerstand und Erneuerung. Lange vor der Ankunft der Spanier existierten Hochkulturen wie die Olmeken, Maya, Zapoteken und Azteken — Gesellschaften mit beeindruckender Architektur, Astronomie, Schrift und Religion. Mit der Ankunft der Konquistadoren im 16. Jahrhundert begann eine gewaltsame Kolonialisierung, unter der indigene Bevölkerungen epidemisch dezimiert, Land enteignet und Kulturen unterdrückt wurden.

Im 19. Jahrhundert erkämpfte sich Mexiko die Unabhängigkeit (1821), doch politische Instabilität, Interventionen aus dem Ausland (z. B. der Amerikanisch-Mexikanische Krieg 1846–48) und interne Konflikte prägten das 19. Jahrhundert. Die Revolution von 1910–1920 brachte tiefgreifende soziale Umwälzungen, Landreformen, neue politische Bewegungen – aber auch Gewalt, Machtkämpfe und enttäuschte Hoffnungen.

Im 20. und 21. Jahrhundert ist Mexiko mit Herausforderungen wie Drogenkartellen, Korruption, sozioökonomischen Ungleichheiten, Umweltproblemen und Migration konfrontiert. Gleichzeitig erleben wir eine reiche kulturelle Vitalität. In Gesellschaft und Politik wachsen Spannungen: Indigene Rechte, Landansprüche, Fragen der Identität, Geschlechtergerechtigkeit und Gewalt gegen Frauen sind drängende Themen. Zugleich gibt es Hoffnungsträger*innen – Aktivist*innen, Künstler*innen, Intellektuelle, die mit Mut und Kreativität intervenieren.

Die rechtliche Situation der LGBTQ+ Community hat in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht: 2022 wurde die gleichgeschlechtliche Ehe in allen Bundesstaaten Mexikos legal, nachdem der letzte Staat (Tamaulipas) ein entsprechendes Gesetz verabschiedete.

Ein weiterer Schritt: Der mexikanische Senat hat ein Gesetz verabschiedet, das sogenannte “Conversion Therapy” untersagen will. Trotz dieser Fortschritte ist die Situation im Alltag für viele LGBTQ+ Menschen weiterhin schwierig. Gewalt, Diskriminierung und Hassverbrechen bleiben ein großes Problem. Besonders Trans-Personen sind überproportional von Morden betroffen: Zwischen Oktober 2023 und September 2024 wurden mindestens 71 Trans- oder gender-diverse Personen getötet.

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Ein Beispiel für ein positives Signal: In Mexiko-Stadt wurde ein Gesetz erlassen, das “Transfemizid” als Verbrechen anerkennt – also gezielte Tötungen von trans Frauen. Das ist ein wichtiger Schritt, um die oft bestehende Straflosigkeit solcher Gewalt besser zu bekämpfen.

Seit dem 1. Oktober 2024 ist Claudia Sheinbaum die Präsidentin Mexikos – die erste Frau, die dieses Amt innehat. Sie bringt eine ungewöhnliche Kombination aus wissenschaftlichem Hintergrund, politischer Erfahrung und sozialem Anspruch mit: Sie hat Energie- und Umweltwissenschaften studiert und war vorher u.a. bereits Regierungschefin von Mexico City.

Ein Bereich, in dem sie besonders aktiv ist, ist ihre Fokussierung auf soziale Programme und Armutsbekämpfung – sie setzt viele der Initiativen ihres Vorgängers fort, mit dem Ziel, Ungleichheiten zu verringern. Gleichzeitig versucht sie, politische Stabilität mit einer gewissen Rationalität und wissenschaftlicher Herangehensweise zu verbinden: Bei Themen wie Klimaschutz, nachhaltiger Entwicklung und öffentlicher Gesundheit sieht man bereits, dass sie nicht nur symbolische Politik macht, sondern versucht, konkrete Strukturen zu etablieren.

Auch in außen- und handelspolitischen Fragen zeigt sie sich selbstbewusst: Sie will Mexiko gegenüber den USA und anderen Partnern stärker vertreten sehen und technologische Innovation fördern. Natürlich gibt es auch Kritik und große Herausforderungen: Gewalt (insbesondere durch Kartelle), Ungleichheiten, Korruption, regionale Unterschiede in der Umsetzung von politischen Maßnahmen. Aber selbst Menschen, die ihre Politik skeptisch sehen, erkennen an, dass sie versucht, das Amt anders zu führen – mit Pragmatismus, mit Blick auf soziale Gerechtigkeit und mit dem Anspruch, Mexiko in seiner Komplexität gerecht zu werden.

Gelesen habe ich für diesen Stopp zwei Bücher, die ich euch vorstellen und beide auch ans Herz legen möchte:

The Illiac Crest – Cristina Rivera Garza erschienen im Verlag And Other stories, übersetzt von Sarah Booker (eine deutsche Übersetzung gibt es bislang nicht)

Cristina Rivera Garza, geboren 1964 in Matamoros im mexikanischen Bundesstaat Tamaulipas, ist eine der bedeutendsten Stimmen der zeitgenössischen lateinamerikanischen Literatur. Sie studierte Soziologie in Mexiko, promovierte in Geschichte in den USA und lehrt heute Creative Writing in Houston. Rivera Garza ist bekannt für ihre literarischen Experimente, in denen sie Genregrenzen überschreitet und Fragen nach Identität, Sprache und Macht in eindringliche Bilder übersetzt.

Ihr Roman The Iliac Crest ist dafür ein besonders gutes Beispiel. Die Geschichte beginnt mit einem klassischen, „gothic trope“: In einer stürmischen Nacht taucht eine geheimnisvolle Frau beim Erzähler auf, einem Arzt, der in einem Sanatorium arbeitet. Sie behauptet, die mexikanische Schriftstellerin Amparo Dávila zu sein, eine Autorin, die für ihre unheimlichen und fantastischen Erzählungen bekannt ist. Von diesem Moment an gerät die Realität ins Wanken: Die Besucherin stellt das Leben, die Identität und schließlich das Geschlecht des Erzählers infrage. Je tiefer er in ihr Spiel hineingezogen wird, desto mehr verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Einbildung, zwischen Normalität und Wahnsinn.

Das Buch entfaltet eine düstere, rätselhafte Atmosphäre, die sich weniger durch spektakuläre Handlung als durch die subtile Verunsicherung trägt, die Rivera Garza meisterhaft erzeugt. Wiederholungen, Andeutungen, fragmentierte Bilder – alles scheint zu bedeuten und doch entzieht sich die Bedeutung. Der titelgebende Hüftknochen wird zum Symbol für Körperlichkeit, Identität und Verletzlichkeit, während das Schweigen und die Leerstellen ebenso viel Gewicht haben wie die Worte. In dieser Zwischenwelt aus Sturm, Nacht und verschobener Wahrnehmung entsteht ein Sog, der mich nicht losgelassen hat.

Besonders eindrucksvoll fand ich, wie Rivera Garza die Frage nach Geschlecht und Identität behandelt: nicht als These oder Statement, sondern als unheimliches, poetisches Gleiten, das den Leser zwingt, vertraute Kategorien infrage zu stellen. Gleichzeitig ist „The Iliac Crest“ eine Hommage an vergessene Schriftstellerinnen, an Stimmen, die aus Archiven und Randbereichen wieder ans Licht geholt werden.

Wer sich auf diese verschattete, vieldeutige Welt einlässt, findet in „The Iliac Crest“ ein Werk von fast schon hypnotischer Intensität – ein Buch, das weniger Antworten gibt als Fragen stellt und gerade darin seine Kraft entfaltet.

Die Schwerelosen – Valeria Luiselli erschienen im Kunstmann Verlag, übersetzt von Dagmar Ploetz

Valeria Luiselli, geboren 1983 in Mexiko-Stadt, gehört ebenfalls zu den spannenden literarischen Stimmen Mexikos. Sie wuchs in Südafrika, Indien und den USA auf, lebt heute in Mexiko und New York und schreibt auf Spanisch sowie auf Englisch. Ihre Werke bewegen sich an der Grenze zwischen Fiktion, Essay und Autofiktion, oft mit einer spielerischen Leichtigkeit im Ton, die sich mit einer präzisen, manchmal fast schon schmerzhaften Beobachtungskraft verbindet.

Die Schwerelosen ist ihr Debütroman – und schon darin zeigt sich, wie souverän Luiselli Sprache und Erzählform handhabt. Erzählt wird aus der Perspektive einer jungen Mutter und Schriftstellerin, die in New York lebt und versucht, über ihre Erfahrungen zu schreiben. Doch ihr Text öffnet sich in verschiedene Richtungen: hinein in ihre Erinnerungen an ihre Zeit als Lektorin, hinein in das Leben des mexikanischen Dichters Gilberto Owen, der in den 1920er Jahren ebenfalls in New York lebte, und hinaus in eine Art Zwischenraum, in dem Stimmen, Zeiten und Identitäten miteinander verschwimmen.

Der Roman spielt virtuos mit Spiegelungen und Überlagerungen. Die Erzählerin glaubt, Owen im U-Bahn-Fenster gesehen zu haben, während Owen wiederum eine Frau zu erkennen meint, die wie eine Erscheinung durch sein Leben streift. Es entstehen Dopplungen, Durchlässigkeiten, Verschiebungen – als würden Figuren und Erzählerinnen in der Schwebe gehalten, schwerelos, wie der Titel sagt.

Besonders gefallen hat mir auch hier die Atmosphäre des Romans: Sie ist zugleich leicht und melancholisch, schwebend aber auch verwirrend. Luiselli schafft es, in wenigen, fast skizzenhaften Szenen große Stimmungen aufzubauen. Ihr Schreiben ist voller literarischer Anspielungen, aber nie prätentiös, eher verspielt, neugierig, durchlässig.

„Die Schwerelosen“ ist ein Roman über Literatur, Erinnerung und Identität, aber auch über die fragile Balance zwischen Alltag und künstlerischem Schaffen, zwischen Familienleben und imaginativen Räumen. Wer sich auf die fragmentarische, poetische Struktur einlässt, bekommt ein Buch, das nicht linear erzählt, sondern wie in einem Schwebezustand Gedanken und Figuren miteinander verknüpft. Ein vielstimmiges, experimentierfreudiges Debüt, das eine ganz eigene Welt erschafft.

Natürlich dürfen auch musikalische und filmische Tipps nicht fehlen. Eine Band aus Mexiko die ich sehr gerne mag ist Hello Seahorse!

Eine Post-Rock Band darf natürlich auch nicht fehlen. Hier mag ich besonders die Band Austin TV:

Wenn ich jetzt noch meinen Film Tipp loswerde, habe ich es tatsächlich geschafft einen ganzen Artikel über Mexiko zu schreiben, ohne Frida Kahlo zu erwähnen…

La región salvaje“ / The Untamed (2016) von Amat Escalante hab ich vor ein paar Jahren auf dem Fantasy Filmfest gesehen und sehr gemocht – Tantacle Lovers kommen hier besonders auf ihre Kosten 😉

Ansonsten habe ich tatsächlich bisher erst einen weiteren Roman mexikanischer Autor*innen gelesen und zwar:

  • Bittersüße Schokolade – Laura Esquivel

Ein Roman der zumindest in Mexiko spielt und sich mit Anna Seghers und ihrer Zeit in Mexiko beschäftigt ist der Roman „Brennendes Licht“ von Volker Weidermann den ich ebenfalls sehr empfehlen kann.

Jetzt seid ihr dran – was verbindet ihr mit Mexiko? Seid ihr schon mal dagewesen, oder plant ihr eine Reise? Welche Bücher / Filme / musikalischen Tipps habt ihr für mich?

Wer noch mal zu den vorherigen Stationen (Sri Lanka, Italien, Trinidad & Tobago, Nigeria, Südkorea, China, Israel, Belarus, Japan, DR & Republik Kongo, USA, Polen, Chile, Afghanistan, Vietnam, Ukraine, Mauretanien) zurückreisen möchte wird in meiner Kategorie „Read around the World“ fündig.

Read around the world: Mauretanien

Mauretanien. Wenn ihr euch auch kurz fragt, auf welchem Kontinent dieses Land eigentlich zu verorten ist – und dann, sobald das geklärt ist, in welcher Ecke – dann seid ihr nicht allein. Mir war es auch völlig fremd. Als Kind habe ich Briefmarken gesammelt, und bei anderen mir unbekannten Ländern habe ich dadurch wenigstens ein Gesicht oder Gebäude im Gedächtnis; bei Mauretanien war selbst das nicht der Fall: Keine Marke, kein Buch, keine Erinnerung. Das sollte sich ändern, als mir der Zufalls Generator bei meiner „Read around the world“-Challenge gleich ziemlich am Anfang Mauretanien zuloste. Auf Sandras Blog „Literarische Abenteuer“ war ich schon kurz davor auf ein passendes Buch gestoßen, ich begab mich also direkt zur Bayrischen Staatsbibiothek, bestellte mein Buch und dann warte ich und wartete und wartete – stolze zwölf Monate vergingen, bis ich es endlich abholen konnte – mein persönlicher Rekord.

Fotos: Wikipedia

Mauretanien ist gewaltig: über eine Million Quadratkilometer – fast dreimal so groß wie Deutschland und dennoch leben dort nur rund fünf Millionen Menschen, was es zu einem der am dünnsten besiedelten Staaten weltweit macht. Die Hauptstadt Nouakchott allein beherbergt etwa ein Fünftel aller Menschen des Landes.

Historisch ist Mauretanien von Berbervölkern und arabischen Einflüssen ab dem 8. Jahrhundert geprägt, später dann jahrzehntelang von Frankreich kolonisiert bis zur Unabhängigkeit 1960. Bis heute ist die politische Landschaft geprägt von autoritären Strukturen, Putschen, systemisch eingeschränkter Demokratie, begrenzter Presse- und Oppositionstoleranz sowie einer Justiz ohne echte Unabhängigkeit.

Religiös ist Mauretanien durch und durch islamisch. Fast die gesamte Bevölkerung bekennt sich zum sunnitischen Islam der malikitischen Rechtsschule, der öffentliche und private Bereiche tief prägt. Der Islam ist Staatsreligion und Religionsfreiheit im westlichen Sinne gibt es nicht – Abfall vom Glauben wird als Apostasie geahndet und kann gefährliche Konsequenzen nach sich ziehen. Kleinstgemeinschaften, insbesondere christliche Ausländer, praktizieren ihren Glauben meist nur im Verborgenen. Religiöse Rituale, Feste wie Ramadan oder das Opferfest Tabaski strukturieren das gesellschaftliche Leben.

Die kulturelle Vielfalt ist beeindruckend: Nomadische Traditionen, Poesie, Musik und Handwerk verflechten sich zu einem lebendigen Geflecht. Lieder mit Oud, Trommeln, Tende, Gesänge der Griots und arabisch-afrikanische Dichtung vermitteln soziale Bindungen und Geschichte. Schriftsteller*innen setzen sich zunehmend mit Identität, Religion und postkolonialer Erfahrung auseinander. Kunsthandwerk – Lederarbeiten, Teppiche, Schmuck, Webkunst – wird auf Märkten in Nouakchott und Oasen präsentiert. Festivals in der Wüste, in denen Musik und Tanz zentral sind, bieten seltenen Einblick in den kulturellen Reichtum.

Hier ein Lied von Malouma Mint El Meida einer Sängerin und eine der wenigen Politikerinnen des Landes. Ihr erster Titel Habibi Habeytou kritisierte die Art und Weise, in der Frauen in der Ehe behandelt werden.

Und noch ein Stück der Musikerin Noura Mint Seymali, eine bekannte Ardin-Spielerin und Sängerin, die in der Tradition der Griots aufgewachsen ist und mit ihrer Winkelharfe moderne Klanglandschaften mit tiefer Tradition verbindet.

Einer der bekanntesten Autoren des Landes ist Mbarek Ould Beyrouk. Sein Roman „The Desert and the Drum“ wurde 2017 mit dem English PEN Translate-Preis ausgezeichnet und war der erste mauretanische Roman, der international veröffentlicht wurde.

Die Gesellschaft ist multiethnisch etwa 40 % der Menschen gehören zu den Haratin (schwarze Moors), etwa 30 % zu den weißer Hautfarbe zugeordneten Beydane (arabisch-berberische Moors), und die restlichen circa 30 % gehören zu sub-saharischen Volksgruppen wie Halpulaar, Fulani, Soninke, Wolof oder Bambara. Historisch wurden Haratin als ehemalige Sklaven charakterisiert und sind trotz zahlenmäßiger Bedeutung noch immer marginalisiert – politische Macht und Ressourcen bleiben den Beydane vorbehalten. Diese soziale Hierarchie fußt auf dem Erbe der Sklaverei, die formal erst 1981 abgeschafft, 2007 kriminalisiert und 2015 mit Anpassungen versehen wurde – doch viele Formen bestehen fort.

Mauretanien ist ein ausgesprochen junges Land. Etwa 41 % sind unter 15 Jahre alt. Die Bevölkerungsentwicklung liegt bei fast 2 % pro Jahr, die Lebenserwartung beträgt etwa 65 Jahre.

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Wirtschaftlich dominieren Rohstoffe: Bergbau mit Eisen, Gold, Kupfer – sowie Fischverarbeitung – tragen entscheidend zum Export bei. Ein Großteil der Einnahmen stammt aus der Rohstoffförderung. Mit einem kürzlich begonnenen Gasfeldprojekt setzt das Land seine Hoffnungen auf eine neue Energiesparte, die das Land langfristig verändern könnte. Weitere geplante Offshore-Felder und Investitionen in Gas- und Strominfrastruktur sollen die Wirtschaft diversifizieren. Zugleich gibt es Initiativen zur Nutzung erneuerbarer Energien wie Biomasse, sowie für Infrastruktur wie die Modernisierung des Hafens von Nouakchott zur Stärkung der Fisch-Exporte.

Die Situation der Frauen ist prekär. Frauen sind politisch und rechtlich massiv benachteiligt: In Parlamentssitzen sind sie unterrepräsentiert, Bildung und Zugang zu Arbeitsmarkt oder Gesundheit limitiert. Kinderehen, Verstümmelung, Polygamie, Leblouh (Zwangsfütterung junger Mädchen zur Vorbereitung auf die Ehe) sind weit verbreitet. Gewalt gegen Frauen – inklusive sexuellem Missbrauch – wird durch eine justizielle Infrastruktur gehemmt: Der Gesetzgeber hinkt hinterher, viele Fälle werden familiär geregelt. Eine Änderung der Gesetzgebung zur Gleichstellung oder zum Schutz bei geschlechtsspezifischer Gewalt wurde mehrmals zurückgewiesen, mit Verweis auf islamische Normen.

Das Engagement von Frauenrechtlerinnen wie Zeinebou Mint Taleb Moussa ist darum umso bedeutender: Als Hebamme gründete sie Hilfsprogramme wie ein Zentrum für Überlebende sexueller Gewalt in Nouakchott – kämpft gegen den Stillstand, wo staatliches Handeln fehlt.

Fotos: Wikipedia

Die politische Stabilität wirkt im Vergleich zu Nachbarstaaten relativ hoch, doch dieses Bild ist trügerisch. Wirtschafts-Partner loben Kooperationsbereitschaft, während Menschenrechts-organisationen Repressionen gegenüber Migrant*innen, Minderheiten und Opposition kritisieren. Insbesondere die Rechte von LGBTQ+-Personen sind extrem gefährdet: Homosexualität ist gesetzlich streng verboten, in bestimmten Fällen drohen Todesstrafe und hohe Gefängnisstrafen. In der gesellschaftlichen Realität herrschen tief verwurzelte Tabus, und ein offenes Leben als queere Person ist praktisch unmöglich.

Mein Filmtipp für Mauretanien ist ein Werk des mauretanisch-französischen Regisseurs Abderrahmane Sissako. Er gilt als einer der bekanntesten Filmschaffenden aus dem subsaharischen Afrika. Wichtige Themen seiner Filme sind Globalisierung und Exil. „Heremakono“ erzählt in ruhigen, poetischen Bildern vom Leben in der mauretanischen Küstenstadt Nouadhibou. Der Film begleitet den jungen Abdallah, der vor seiner Weiterreise nach Europa in die Heimat seiner Mutter zurückkehrt und dort – fremd in seiner eigenen Kultur – alltägliche Szenen von Migration, Abschied und leiser Hoffnung beobachtet.

Und jetzt kommen wir auch endlich zum Buch das ich für diese Challenge gelesen habe:

Yahya Ekhou – Freie Menschen kann man nicht zähmen erschienen im Alibri Verlag

Yahya Ekhou, geboren 1991 in Mauretanien, wuchs in einer Gesellschaft auf, die stark von einem rigiden Kastensystem, patriarchalen Strukturen und religiösem Konservatismus geprägt ist. Als Angehöriger einer benachteiligten sozialen Gruppe und Atheist war sein Alltag von Diskriminierung, sozialer Kontrolle und der ständigen Erfahrung von Ausgrenzung geprägt. Früh begann er, sich für Menschenrechte, Säkularismus und die Aufhebung gesellschaftlicher Schranken einzusetzen – ein Engagement, das ihn in seiner Heimat in Lebensgefahr brachte und schließlich zur Flucht nach Deutschland führte.

Unterdrückung, Verfolgung und Diktatur entstehen, wenn der Peitschenträger freigesprochen und der Wortträger angeklagt wird.

Sein Buch ist eine Mischung aus autobiographischem Bericht, essayistischer Reflexion und politischem Manifest. Ekhou beschreibt eindringlich die Verflechtung von Religion, Tradition und Politik in Mauretanien, die individuelle Freiheit massiv einschränkt. Er schildert seine Kindheit in einem Umfeld, in dem Herkunft über Lebenschancen entscheidet, und erzählt von seinem Ringen um Selbstbestimmung, das ihn in Opposition zu einer Gesellschaft stellte, die Abweichung nicht duldet. Besonders nahe gehen die Passagen, in denen er von der Enge des Alltags berichtet und gleichzeitig den unbeugsamen Drang nach Freiheit spürbar macht – nach einem Leben, das nicht durch Herkunft, Geschlecht oder Glaube definiert ist, sondern durch eigene Entscheidungen.

Erschütternd fand ich auch, dass Ekhou selbst nach der Flucht nach Deutschland nicht völlig von Verfolgung befreit war. In Flüchtlingsunterkünften wurde er wiederholt von muslimischen Mitbewohnern angegriffen, die ihn wegen seines Atheismus bedrängten und bedrohten. Diese Erfahrungen zeigen, dass seine Suche nach Freiheit und Sicherheit ein globales, nicht nur lokales Ringen war.

Bei vielen in Deutschland lebenden Arabern und Muslimen, mit denen ich zu tun habe, fällt mir folgender Widerspruch auf: Auf der einen Seite fordern sie das Recht ein, vor den diktatorischen Richtlinien und Gesetzen, vor denen sie geflohen sind, geschützt zu werden. Gleichzeitig wollen sie, dass ihr Glaube respektiert wird. Und alle europäischen Verfassungen garantieren das. Doch dieselben Menschen unterdrücken und schließen Araber und Muslime aus, wenn diese andere religiöse Übezeugungen haben oder ihren Glauben sogar abgelegt haben. Dieselben, die Respekt für ihren Glauben fordern und auf ihre Entscheidungsfreiheit pochen, beleidigen, unterdrücken und schlagen Personen, die eigentlich Asyl und Schutz erhalten sollen. Sie hetzen auf schlimmste Weise gegen Atheisten und Homosexuelle und fordern deren Verfolgung.

Das Buch ist zugleich Anklage und Hoffnungsschrift. Es wirft einen ungeschönten Blick auf Menschenrechtsverletzungen, auf die Lage von Frauen, Minderheiten und Freidenker*innen in Mauretanien. Aber es ist auch ein Zeugnis von Widerstand und Überlebenswillen. Freie Menschen kann man nicht zähmen ist daher nicht nur ein wichtiges Zeitdokument, sondern auch ein bewegender Aufruf, sich gegen jede Form von Unterdrückung zu stellen.

Die Heimat, auch wenn es nur ein Zelt in einer kargen Wüste ist, bleibt ein Ort, der mit positiven Werten und Erinnerungen verbunden ist. Jeder von uns hat einen Ort, an dem er sich zu Hause fühlt. Und trotz all der negativen Eigenschaften und Probleme bleibt es unsere Heimat.

Das war er unser Stop in Mauretanien, einem Land, das vermutlich fast niemand von uns bisher besucht hat. Habt ihr irgendwelche Assoziationen? Kennt ihr Musiker*innen, Filme etc?

Ich freue mich auf eure Rückmeldungen und wohin es als nächstes geht, verrate ich nicht, denn ab und an muss ich doch schieben wie man sieht, weil Bücher länger auf sich warten lassen. Wer noch mal zu den vorherigen Stationen (Sri Lanka, Italien, Trinidad & Tobago, Nigeria, Südkorea, China, Israel, Belarus, Japan, DR & Republik Kongo, USA, Polen, Chile, Afghanistan, Vietnam, Ukraine) zurückreisen möchte wird in meiner Kategorie „Read around the World“ fündig.

Read around the World: Ukraine

Wie fasst man ein Land wie die Ukraine in Worte, ohne ihm unrecht zu tun? Ein Land, das seit Jahrhunderten zwischen Imperien zerrieben wird, das unermesslich viel Leid erfahren musste – und sich dennoch seine Kultur, Sprache, Selbstachtung und seinen Freiheitswillen bewahrt hat. Ein Land, das heute weltweit im Fokus steht – als Opfer eines brutalen Angriffskrieges, aber auch als Hoffnungsträger für Demokratie, Widerstandskraft und kulturelle Selbstbestimmung.

Immer wieder wird der Vorwurf laut, dass der Krieg in der Ukraine die Menschen in Europa weit mehr bewegt als andere Konflikte – etwa in Syrien, im Sudan oder anderswo. Und für mich persönlich kann ich das leider bestätigen, auch wenn ich weiß, dass das nicht gerecht ist. Dennoch habe ich gemerkt, wie stark mich dieser Krieg emotional berührt hat – vor allem durch den direkten, täglichen Austausch mit unseren zahlreichen Kolleg*innen in der Ukraine.

Plötzlich kannte man Menschen persönlich, deren Urlaubs- und Familienbilder man auf Instagram gesehen hatte. Menschen, mit denen man zusammengearbeitet, gesprochen und gelacht hat – und deren Alltag nun von Sirenen, Bombenalarm und Angst geprägt ist. Das hat den Krieg auf eine völlig neue, unmittelbare Weise spürbar gemacht.

Ich erinnere mich an Videokonferenzen, bei denen unsere Kolleg*innen aus Kiew, Charkiw oder Lwiw aus Bunkern oder Kellern zugeschaltet waren, während draußen Bomben einschlugen. Das war erschütternd. Niemand wurde zur Arbeit gedrängt – im Gegenteil, viele sagten, dass ihnen die Arbeit ein Gefühl von Struktur, Halt und ein Stück Normalität inmitten des Chaos gab.

Ich hatte telefonischen Kontakt zu Kolleg*innen, die mit ihren Kindern auf der Flucht waren – auf der Suche nach sicheren Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Weg nach Deutschland, Polen oder in die Niederlande. Diese ganz persönlichen Erfahrungen haben den Krieg in einer Weise präsent gemacht, wie es bei anderen Konflikten für mich nie der Fall war.

Trotzdem gilt: Krieg, Leid und Zerstörung dürfen nicht gegeneinander aufgerechnet werden. Jedes menschliche Schicksal zählt. So sehr ich mir weltweiten Frieden wünsche, bin ich überzeugt: Demokratie und Freiheit müssen geschützt und – wenn nötig – auch verteidigt werden.

Ich starte heute mal mit dem Vergleich zwischen Deutschland und der Ukraine:

  • Fläche: Die Ukraine (603.700 km²) ist fast doppelt so groß wie Deutschland (357.000 km²) und das flächenmäßig größte Land Europas – wenn man Russland außen vor lässt.
  • Bevölkerung: Mit etwa 36 Millionen Einwohner:innen (2024, stark gesunken durch Flucht und Krieg) liegt die Ukraine deutlich unter Deutschland (ca. 84 Millionen), war aber vor dem Krieg bei knapp über 40 Millionen.
  • Bevölkerungsdichte: Rund 60 Personen/km² – deutlich dünner besiedelt als Deutschland (ca. 240 Personen/km²).
  • Wirtschaft: Vor dem Krieg war die Ukraine stark von Landwirtschaft, Industrie (v.a. Stahl, Maschinenbau) und IT-Dienstleistungen geprägt. Sie gilt als Kornkammer Europas – das Land ist einer der größten Exporteure von Weizen und Sonnenblumenöl weltweit. Der Krieg hat die Wirtschaft massiv geschwächt, doch gerade der Tech-Sektor zeigt sich erstaunlich resilient.

Die Geschichte der Ukraine ist eine Geschichte der Fremdbestimmung. Jahrhunderte lang war das heutige Staatsgebiet Spielball konkurrierender Großmächte: Polen-Litauen, Habsburgerreich, Osmanisches Reich, Russland, Sowjetunion. Für die Bevölkerung bedeutete das wechselnde Herrschaftsverhältnisse, Unterdrückung der Sprache, Enteignung, Deportation – und immer wieder blutige Gewalt.

Besonders grausam waren die 1930er Jahre unter Stalin: Der Holodomor, eine durch den sowjetischen Staat verursachte Hungersnot, forderte Millionen Menschenleben. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Ukraine zum Schauplatz schwerster Kämpfe, zur Hölle für ihre jüdische Bevölkerung, die in Pogromen und durch die Shoah fast vollständig ausgelöscht wurde. Orte wie Babyn Jar stehen heute stellvertretend für diesen Zivilisationsbruch.


Und dennoch – oder gerade deshalb – entwickelte sich in der Ukraine über die Jahrhunderte eine beeindruckende kulturelle Identität. Literatur, Musik, bildende Kunst und Film florierten, oft im Schatten, oft im Widerstand gegen Zensur und Gewalt

1991 wurde die Ukraine unabhängig – nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, den viele Ukrainer:innen nicht nur als geopolitisches, sondern auch als persönliches Befreiungserlebnis empfanden. Doch die ersten Jahrzehnte waren geprägt von wirtschaftlicher Instabilität, Korruption und einem zähen Ringen zwischen Westorientierung und russischem Einfluss.

2004 die Orangene Revolution. 2014 die Maidan-Proteste – ein demokratischer Aufstand gegen ein korruptes, russlandfreundliches Regime. Der Preis war hoch: Dutzende Tote, die Annexion der Krim durch Russland, der bis heute andauernde Konflikt im Donbass. Und dann, am 24. Februar 2022, der Albtraum: ein großangelegter russischer Angriffskrieg, der ganze Städte in Trümmer legte und Millionen zur Flucht zwang.

Und doch – oder gerade deshalb – wächst auch der Zusammenhalt. Die Ukraine hat sich als widerstandsfähige Demokratie erwiesen, mit einer engagierten Zivilgesellschaft, einer lebendigen Medienlandschaft und einem klaren Blick auf Europa. Präsident Selenskyj, selbst jüdischer Herkunft und einst Schauspieler, wurde zum Symbol für diesen neuen, selbstbewussten ukrainischen Patriotismus.

Und auch gesellschaftlich bewegt sich einiges. Die Situation für LGBTQ+-Personen ist in der Ukraine zwar nach wie vor herausfordernd – Homosexualität ist legal, doch Diskriminierung, Gewalt und gesellschaftliche Ablehnung sind weit verbreitet. Der Krieg hat die Community zusätzlich unter Druck gesetzt, aber auch sichtbar gemacht: queere Soldat:innen kämpfen offen für ihr Land, Aktivist:innen setzen sich weiterhin für Gleichstellung ein, auch in Zeiten größter Not.

Der erste Pride in Kiew fand 2013 unter massivem Polizeischutz statt, mittlerweile gibt es – trotz Krieg – immer wieder kleinere Aktionen und große internationale Solidarität. Es ist noch ein weiter Weg, aber die Ukraine ist auf diesem Weg – und das ist mehr, als man von vielen anderen postsowjetischen Staaten sagen kann.

Was mich bei meiner Lektüre dieses Mal beeindruckt hat: die Vielstimmigkeit der ukrainischen Literatur. In ihr begegnen wir nicht nur der russisch-ukrainischen Spannung, sondern auch der jüdischen, tatarischen, polnischen, sowjetischen und europäischen Geschichte dieses Landes. Stimmen, die überleben wollten – und überlebt haben. Stimmen, die sich Gehör verschaffen – manchmal laut, manchmal leise, aber immer eindringlich.

Für diesen literarischen Stopp habe ich vier Bücher gelesen:

Vielleicht Esther – Katja Petrowskaja erschienen im Suhrkamp Verlag

Schon lange wollte ich dieses Buch lesen, und schlug es daher für unseren Bookclub vor. Petrowskaja hat mit „Vielleicht Esther“ ein ganz besonderes iterarisches Werk geschaffen – zart, klug, poetisch und fragmentarisch. Der Titel selbst ist bereits ein Programm: Was tun, wenn man nicht einmal weiß, wie genau die eigene Urgroßmutter hieß, die in Babyn Jar von den Nazis ermordet wurde? „Vielleicht Esther“ – diese zwei Worte tragen die ganze Unsicherheit, das Ringen mit dem Vergessen, das fragmentarische Erinnern, das Suchen zwischen Überlieferung, Vermutung und Verstummen.

Petrowskaja schreibt keine geradlinige Familienchronik, sondern einen assoziativen Text voller Leerstellen, Anspielungen und Sprachwitz. Es ist ein Buch über jüdische Geschichte, über Stalins Terror, über deutsche Schuld – und immer auch über Sprache als Speicher, als Stolperfalle, als Rettungsanker. Selten halt ein Buch in unserer Runde so einstimmig großartiges Feedback bekommen wie dieses. Unbedingte Leseempfehlung, kann sehr gut verstehen, dass der Text (ich meine Kapitel 5) den Bachmannpreis 2013 bekommen hat.

Katja Petrowskaja, 1970 in Kiew geboren, lebt seit 1999 in Berlin. Sie studierte in Tartu Literaturwissenschaft und Slawistik und promovierte in Moskau. Von 2000 bis 2010 schrieb sie für verschiedene russisch- und deutschsprachige Medien (Neue Zürcher Zeitung, taz, Deutsche Welle, Radio Liberty). Seit 2011 ist sie Kolumnistin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagzeitung. Ihr literarisches Debüt Vielleicht Esther (2014) wurde in mehr als 30 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. 2022 erschien der Essayband Das Foto schaute mich an, 2025 der Essayband Als wäre es vorbei. Texte aus dem Krieg. Sie lebt in Berlin. Bin sehr beeindruckt wie poetisch sie in einer Sprache schreibt, die nicht einmal ihre Muttersprache ist. Habe zig Stellen angekreuzt, gar nicht einfach sich für ein Zitat hier zu entscheiden:

„Hitler hat die Leser getötet und Stalin die Schriftsteller, so fasste mein Vater das Verschwinden der Sprache zusammen. Diejenigen, die den Krieg überlebt hatten, waren wieder in Gefahr. Juden, Halbjuden, Vierteljuden – man lernte wieder, die Prozente zu schmecken, so dass die Zunge am kalten Eisen anfror. Sie wurden als heimatlose Kosmopoliten stigmatisiert, vielleicht weil man sie ungeachtet aller Grenzen tötete, sie, die verbotene Beziehungen mit dem Ausland unterhielten und deswegen nict zur großen Familie der sowjetischen Brudervölker gehören durften.“

Das Buch wurde 2013 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet – völlig zurecht. Für mich persönlich eines der besten Bücher dieser Reise, fünf Sterne ohne Zögern.

Sie kam aus Mariupol – Natascha Wodin erschienen im Rowohlt Verlag

Dieses Buch liest sich wie ein Echo auf *Vielleicht Esther*, obwohl es einen ganz eigenen Weg geht. Wodin begibt sich auf die Spur ihrer Mutter, die in den 1940er Jahren als Zwangsarbeiterin aus der Ukraine nach Deutschland verschleppt wurde. Lange wusste die Autorin fast nichts über sie – nur, dass sie sich das Leben nahm, als Wodin noch ein Kind war. Die Spurensuche beginnt mit einer einfachen Google-Anfrage, entwickelt sich dann aber zu einer minutiösen Recherche, die von einem alten Friedhof bis ins digitale Unterholz führt.

Wodin teilt ihr Buch in zwei Hälften: Der erste Teil dokumentiert ihre Recherche, kühl, nüchtern, fast reportagehaft – der zweite Teil ist eine fiktionalisierte Nacherzählung des Lebenswegs der Mutter. Diese Zweiteilung funktionierte für mich erstaunlich gut und erlaubt einen doppelten Blick auf Erinnerung: erst als historische Spurensuche, dann als imaginierte Rekonstruktion.

„Über Mariupol wusste ich zu dieser Zeit so gut wie nichts. Auf der Suche nach meiner Mutter war es mir nie in den Sinn gekommen, mich über die Stadt kundig zu machen, aus der sie stammte. Mariupol, das vierzig Jahre lang Shdanow hieß und erst nach dem Zerfall der Sowjetunion wieder seinen alten Namen erhielt, blieb ein innerer Ort für mich, den ich niemals dem Licht der Wirklichkeit aussetzte. Seit jeher war ich im Ungefähren zu Hause, in meinen eigenen Bildern und Vorstellungen von der Welt. Die äußere Wirklichkeit bedrohte dieses innere Zuhause, und deshalb wich ich ihr nach Möglichkeit aus.“

Besonders spannend fand ich den Vergleich zu Petrowskaja: Wo diese die Lücken umarmt, will Wodin sie schließen. Wo Petrowskaja poetisch fragmentiert, strukturiert Wodin chronologisch. Beide Bücher ergänzen sich für mich wunderbar – und erzählen auf ihre je eigene Weise von Verlust, Herkunft, Zugehörigkeit und Trauma.

Natascha Wodin, 1945 als Kind sowjetischer Zwangsarbeiter in Fürth/Bayern geboren, wuchs erst in deutschen DP-Lagern, dann, nach dem frühen Tod der Mutter, in einem katholischen Mädchenheim auf. Für Sie kam aus Mariupol“ wurden ihr der Alfred-Döblin-Preis, der Preis der Leipziger Buchmesse und der Hilde-Domin-Preis für Literatur im Exil 2019 verliehen.

Baba Dunjas letzte Liebe – Alina Bronsky erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag

Ein Buch, das ich – eine eher leichte Sommergeschichte trotz Tschernobyl Thematik erwartend sozusagen mit einem Lächeln begonnen und mit einem dicken Kloß im Hals beendet habe. Bronsky erzählt die Geschichte von Baba Dunja, einer alten Frau, die nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl in ihr verlassenes Dorf zurückkehrt – und dort eine Art anarchisch-melancholische Gemeinschaft mit anderen alten Zurückgekehrten bildet. Es ist eine Geschichte über Altern, Selbstbestimmung, Widerstand und das kleine Glück inmitten des großen Abbruchs.

Was mich besonders berührt hat: die ruhige Würde dieser Frauen, ihre Härte, ihr Humor – und wie Bronsky es schafft, ihre Figuren nicht zu verklären und doch ganz ernst zu nehmen. Der Ton ist leichter als bei Petrowskaja oder Wodin, aber das macht den Roman nicht weniger eindrucksvoll.

„Nichts auf der Welt ist so furchtbar, wie jung zu sein. Als Kind geht es noch. Da gibt es, wenn du Glück hast, Menschen, die sich um dich kümmern. Aber ab sechzehn wird es herb. Du bist eigentlich immer noch ein Kind, doch alle sehen nur einen Erwachsenen in dir, den man leichter treten kann als einen, der älter und erfahrener ist. Niemand will dich mehr beschützen. Du bekommst ständig neue Aufgaben aufgehalst. Niemand fragt dich, ob du irgendwas verstanden hast von dem, was du neuerdings zu tun hast.“

Für mich war das auch eine Reise in meine eigene Kindheit: Ich bin selbst zwischen alten Frauen aufgewachsen, in einer Hausgemeinschaft, wo viel miteinander gestrickt, Obst und Gemüse geteilt und verarbeitet, manchmal im Treppenhaus gestritten und bei Gewitter auch mal gemeinsam auf Betten gesessen wurde. Vielleicht hat das meine Lesart dieses Romans besonders gefärbt. Aber ich glaube, viele werden sich ein kleines bißchen in Baba Dunja verlieben, spätestens auf Seite 12.

Eine Formalie in Kiew – Dmitrij Kapitelman erschienen im Hanser Verlag

Zum Schluss ein Buch, bei dem man sich vielleicht ein bisschen lernen muss sich auf den Tonfall einzulassen. Kapitelman nimmt uns mit auf eine kafkaesk-komische Reise nach Kiew, wo er ein bestimmtes Dokument braucht, um in Deutschland eingebürgert zu werden. Klingt banal – ist es nicht. Denn daraus entspinnt sich eine aberwitzige, traurige und politisch hochinteressante Geschichte über Identität, Staatsbürgerschaft, Erinnerung und Familie.

Der Begriff des „Ent-Dankens“ hat sich mir eingebrannt – Kapitelmans Beschreibung wie man richtig besticht.

„Wie zwei slawische Bauernpatrioten angezogen, landen Vater und ich also in Leipzig. Und stehen für unsere Rückkehr ins richtige Staatsleben an. Hier spotten die Landsleute auch über ihren Staat, würden ihm aber sofort ihr Leben anvertrauen, wenn es mal nichts mehr zu Lachen gäbe. Die Kanalisationsdeckel sind fest, die Feuerwehr kommt präventiv, Postboten besuchen Chirurgie-Grundkurse, Straßenhunde gibt es nicht und frei darf man sein. Sogar mit einem Galgen für den Hals der Kanzlerin demonstrieren. Dass die Faschisten trotzdem von der Macht in Deutschland tagträumen können, dass meine Landsleute wieder bereit sein könnten, ihnen alles zu opfern, ich werde es nie verstehen. Und immer weiter bekämpfen.“

Zwischen trockener Bürokratie, Alltagsrassismus, post-sowjetischem Humor und echtem Familienkrach zeigt das Buch ein modernes, zerrissenes, korruptes und zugleich menschlich berührendes Bild der Ukraine. Ein Roman, der nicht erklärt, sondern zeigt – und einen ganz eigenen Sound hat. Ich mochte ihn sehr.

Dmitrij Kapitelman, 1986 in Kyjiw geboren, kam im Alter von acht Jahren als »Kontingentflüchtling« mit seiner Familie nach Deutschland. Er studierte Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Leipzig und absolvierte die Deutsche Journalistenschule in München. Heute arbeitet er als freier Journalist.

Natürlich darf der kulturelle Rundumblick nicht fehlen: Was das ukrainische Kino angeht, bin ich leider noch ganz am Anfang – bisher habe ich leider noch keinen Film aus der Ukraine gesehen. Ganz oben auf meiner Wunschliste steht aktuell „My Thoughts Are Silent“ (2019) von Antonio Lukich. Der Film soll mit viel lakonischem Humor von einem jungen Toningenieur erzählen, der mit seiner Mutter durch die Westukraine reist, um Tiergeräusche aufzunehmen – eine scheinbar absurde, dabei aber tiefsinnige Geschichte über Familie, Identität und Freiheit.

Leider konnte ich den Film bislang in keinem meiner verfügbaren Programme oder Dienste finden – aber die Suche geht weiter. Habt ihr sonst noch Tipps für Filme aus der Ukraine?

Musikalisch war ich mit der Ukraine schon länger in losem Kontakt – insbesondere über die Post-Rock-Szene, die erstaunlich lebendig ist. Besonders die Band „Sleeping Bear“ hat es mir angetan: große, melancholische Klanglandschaften, ideal für regnerische Tage oder lange Bahnfahrten. Wer Post-Rock mag, wird sie lieben.


Auch bei der ESC-Gewinnerin „Jamala“ lohnt sich ein genauerer Blick (und vor allem ein genaueres Hinhören): Ihr Song „1944“ war nicht nur musikalisch stark, sondern auch eine politische Botschaft – über die Vertreibung der Krimtataren unter Stalin. Auch ihre späteren Alben zeigen, wie man Tradition, Pop und Haltung vereinen kann.

Für die Bookclub Diskussion zu Petrowskajas „Vielleicht Esther“ hatte ich auch fleißig ukrainisch gekocht – und dann komplett vergessen Fotos zu machen *grrr*. Geschmeckt hat es auf jeden Fall – es gab einen Spinat-Reis-Hackfleisch-gekochtes Ei-Eintopf mit Schmand (Rezept aus der Kindheit noch von einer ukrainischen Nachbarin – einen bestimmten Namen hatte es nicht das Gericht, außerdem gab es einen Rote-Beete-Salat sowie einen rote Zwiebel Dipp und zu allem natürlich jede Menge Dill.

Hier noch ein paar Empfehlungen für weitere Bücher aus der Ukraine:

Svetlana Alexievich – Tschernobyl eine Chronik der Zukunft
Andrey Kurkow – Graue Bienen
Sofi Oksanen – Putins Krieg gegen die Frauen

Wer noch mal zu den vorherigen Stationen (Sri Lanka, Italien, Trinidad & Tobago, Nigeria, Südkorea, China, Israel, Belarus, Japan, DR & Republik Kongo, USA, Polen, Chile, Afghanistan, Vietnam) zurückreisen möchte wird in meiner Kategorie „Read around the World“ fündig.

Und wie immer: Wenn ihr eigene Lese-, Film- oder Musiktipps zur Ukraine habt – her damit! Ich hoffe, auch dieser Stopp auf meiner literarischen Weltreise hat euch gefallen. Im nächsten Beitrag geht es weiter nach Mexiko.

Read around the World: Sri Lanka

Je verrückter die Welt wird – mit Kriegen, schwelenden Konflikten, Autokratien und einem brennenden Klima –, desto mehr meide ich Flugreisen. Das bedeutet leider, dass viele Orte für mich physisch unerreichbar bleiben. Glücklicherweise eröffnet mir die Literatur und das Kino Wege, diese fernen Länder zumindest geistig zu bereisen. Heute reisen wir gemeinsam nach Sri Lanka.

Bis vor Kurzem wußte ich kaum etwas über das Land: Ceylon, die Tamil Tigers, ein Inselstaat im Indischen Ozean – das war’s. Doch kaum beginnt man zu lesen und zu sehen, tauchen faszinierende Facetten auf.

Sri Lanka, die „Träne Indiens“ oder auch „Perle des Indischen Ozeans“, ist ein Inselstaat südlich des indischen Subkontinents. Seit 1948 unabhängig von Großbritannien, nennt sich das Land seit 1972 offiziell Demokratische Sozialistische Republik Sri Lanka.

Mit rund 65 600 km² ist Sri Lanka nur etwa ein Fünftel so groß wie Deutschland, etwas größer vielleicht als Rheinland-Pfalz, aber mit über 23 Millionen Menschen deutlich dichter besiedelt. Die Bevölkerung setzt sich mehrheitlich aus Singhales*innen (etwa 75 %) und Tamil*innen (etwa 15 %) zusammen – eine demografische Realität, die über Jahrzehnte hinweg zu tiefen Spannungen führte.

Ein zentrales Kapitel der jüngeren Geschichte – und auch ein wichtiges Thema in der Literatur über Sri Lanka – ist der blutige Bürgerkrieg zwischen der sri-lankischen Regierung und den sogenannten Tamil Tigers (LTTE, Liberation Tigers of Tamil Eelam). Diese militante Organisation kämpfte ab 1983 für einen unabhängigen Tamilenstaat im Norden und Osten der Insel, nachdem Tamil*innen über Jahre hinweg Diskriminierung durch die singhalesisch dominierte Regierung erfahren hatten.

Der Krieg dauerte fast drei Jahrzehnte und forderte über 100 000 Menschenleben, darunter viele Zivilisten. Besonders grausam war der „Schwarze Juli“ 1983 – ein Pogrom gegen Tamil:innen, der als Auslöser für den bewaffneten Konflikt gilt. Die LTTE verübte Selbstmordanschläge, rekrutierte Kindersoldaten und kontrollierte teilweise große Landesteile – bis sie 2009 militärisch besiegt wurden. Seitdem herrscht zwar offiziell Frieden, doch viele Wunden sind geblieben, und Aufarbeitung findet nur zögerlich statt.

Neben dieser bewegten Geschichte hat Sri Lanka eine jahrtausendealte Kultur vorzuweisen: buddhistische Königreiche mit beeindruckenden Ruinen in Anuradhapura, Polonnaruwa und Kandy; der sagenumwobene Felsen Sigiriya mit seinen Fresken; oder die Höhlentempel von Dambulla – allesamt UNESCO-Welterbe. Auch die Natur begeistert: wilde Elefanten in Minneriya, Leoparden im Yala-Nationalpark, Blauwale vor der Südküste. Die Artenvielfalt pro Quadratkilometer gehört zu den höchsten in ganz Asien.

Kulturell prägt der Buddhismus (etwa 70 % der Bevölkerung) das öffentliche Leben. Daneben gibt es starke hinduistische, muslimische und christliche Minderheiten. In Adam’s Peak, einem heiligen Berg im zentralen Hochland, überlagern sich diese Religionen: Der Fußabdruck auf dem Gipfel wird je nach Glaube Buddha, Shiva, Adam oder dem Apostel Thomas zugeschrieben – ein faszinierendes Bild religiöser Vielschichtigkeit.

Sri Lanka ist außerdem Heimat einer stolzen Teekultur – Ceylon-Tee zählt zu den besten der Welt. Auch kulinarisch bietet das Land Vielfalt: von Kiribath (Kokosmilchreis) über würzige Currys und Dhal bis hin zu Hoppers (knusprige Reismehlpfannkuchen). Colombo, die Hauptstadt, hat sich zu einem spannenden urbanen Zentrum entwickelt – mit Rooftop-Bars, kolonialer Architektur und kreativen Kulturorten.

Bislang habe ich noch keinen Film aus Sri Lanka gesehen und konnte auch keinen finden, den ich für diesen Stopp hätte sehen können. Vielleicht habt ihr da eine Empfehlung?

Aber musikalisch bin ich fündig geworden. Besonders gefällt mir Nevi’im aus Colombo. Das könnte allen gefallen, die Explosions in the sky, Mogwai oder God is an Astronaut etc mögen:

Literarisch bin ich natürlich auch fündig geworden. Die Literatur Sri Lankas ist reich und vielfältig, geprägt von den kulturellen Einflüssen der singhalesischen, tamilischen und kolonialen Geschichte. Traditionell spielte die singhalesische Literatur, insbesondere Poesie und religiöse Texte in Pali, eine zentrale Rolle. Auch tamilische Literatur, oft mit starken spirituellen und politischen Themen, hat tiefe Wurzeln.

Zu den bekanntesten Autor*innen Sri Lankas gehört Michael Ondaatje, der international für Werke wie Der englische Patient bekannt wurde. Obwohl er lange in Kanada lebt, reflektiert seine Literatur oft seine sri-lankischen Wurzeln.

In der tamilischen Literatur ist Shobasakthi (Pseudonym des ehemaligen Tamil-Tiger-Kämpfers Antonythasan Jesuthasan) ein wichtiger zeitgenössischer Autor, der in seinen Werken Krieg, Migration und Identität thematisiert.

Sri Lankas Literaturszene ist lebendig und international vernetzt, wobei auch jüngere Stimmen wie Shehan Karunatilaka (Booker-Preis 2022 für The Seven Moons of Maali Almeida) weltweite Beachtung finden. Habe lange zwischen Karunatilakas und Ganeshananthans Buch hin und her überlegt, mich letztendlich dann aber für „Brotherless Night“ entschieden.

Brotherless Night – V. V. Ganeshananthan auf deutsch unter dem Titel „Der brennende Garten“ im Tropen Verlag erschienen, übersetzt von Sophie Zeitz

„Brotherless Night“ ist absolut keine Wohlfühllektüre – und gerade das macht es zu einem so wichtigen Buch. Mit großer erzählerischer Kraft und eindringlicher Sprache folgt der Roman der jungen Sashi, die in den 1980er Jahren in Sri Lanka aufwächst und miterlebt, wie ihre Welt zunehmend von Gewalt, Angst und politischem Fanatismus zersetzt wird. Als angehende Ärztin und Schwester verliert sie nicht nur ihre Brüder, sondern auch zunehmend den Glauben an eine glückliche Zukunft. Der Bürgerkrieg zwischen der sri-lankischen Regierung und den Tamil Tigers zerreißt Familien und ganze Gemeinschaften – das Buch zeigt dies schmerzhaft klar und erschütternd eindringlich.

Im Rahmen meiner literarischen Weltreise ist dieses Buch ein weiteres Beispiel für eine traurige Konstante: Immer wieder stoße ich auf Geschichten von Ländern, in denen sich Bevölkerungsgruppen gegenseitig zu vernichten versuchten. Es ist deprimierend, beinahe zermürbend, wie oft sich dieses Muster zeigt – als sei der Mensch einfach nicht fähig, dauerhaft friedlich zusammenzuleben. Stattdessen wiederholen sich Hass, Misstrauen und Gewalt in immer neuen Formen. Auch in Sri Lanka war es nicht anders – und „Brotherless Night“ verdeutlicht, wie aus Nachbarn Feinde wurden, wie Hoffnung in Ideologie und Ideologie in Terror umschlägt. Und doch – trotz der Schwere – ist das Buch wirklich lesenswert, gerade weil es ein tieferes Verständnis für die komplexe Geschichte Sri Lankas und besonders der tamilischen Bevölkerung ermöglicht. Es stellt keine einfachen Schuldzuweisungen auf, sondern zeichnet ein nuanciertes Bild von Menschen, die im Strudel des Krieges ihre Überzeugungen, ihre Angehörigen und oft auch sich selbst verlieren.

Die aktuelle Lage in Sri Lanka macht klar, dass der Konflikt auch nach dem offiziellen Ende des Bürgerkriegs im Jahr 2009 keineswegs wirklich überwunden ist. Noch immer werden Tamilen diskriminiert, enteignet oder in ihrer kulturellen und religiösen Identität unterdrückt. Zwar gab es jüngst ein wichtiges Urteil des Obersten Gerichtshofs, das die Enteignung tamilischen Landes stoppte, und es bestehen zaghafte Hoffnungen auf Rückgabe und Aufarbeitung – aber die tiefer liegenden Ungleichheiten bleiben bestehen. Viele warten weiter auf Gerechtigkeit, auf eine echte gesellschaftliche Versöhnung, auf Anerkennung des erlittenen Unrechts. Auch internationale Ermittlungen zu Kriegsverbrechen kommen kaum voran.

„Brotherless Night“ ist deshalb nicht nur ein Roman über die Vergangenheit, sondern auch ein Kommentar zur Gegenwart – er zwingt uns, hinzusehen, wo wir vielleicht lieber weggeschaut hätten. Für mich war es ein bedrückendes, aber notwendiges Kapitel meiner Weltreise durch die Literatur. Und auch wenn ich weiter hoffe, irgendwann ein Land zu lesen, in dem das friedliche Zusammenleben nicht durch Massaker, Vertreibung oder systematische Gewalt erschüttert wurde, so war dieses Buch ein würdiger und wertvoller Beitrag zum Verständnis jener Orte, an denen der Friede nach wie vor fragil ist.

V.V. Ganeshananthan, oft auch als Sugi Ganeshananthan bekannt, ist eine US-amerikanische Schriftstellerin mit srilankisch-tamilischen Wurzeln. Sie wurde in den USA geboren, ihre Familie stammt jedoch aus Sri Lanka – diese kulturelle und politische Spannung durchzieht ihr Schreiben auf kraftvolle Weise. Ganeshananthan ist nicht nur Romanautorin, sondern auch Journalistin, Hochschullehrerin und Mitgestalterin des renommierten Literatur-Podcasts Fiction/Non/Fiction.

Mit Brotherless Night gelang ihr 2023 der literarische Durchbruch: Das Buch wurde u. a. für den Women’s Prize for Fiction nominiert. Ganeshananthan verbindet präzise Recherche mit erzählerischer Tiefe – ihr Stil ist ebenso politisch wie poetisch, und sie schafft es, komplexe Konflikte durch individuelle Schicksale erfahrbar zu machen.

Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit ist sie Professorin für kreatives Schreiben an der University of Minnesota und engagiert sich regelmäßig zu Fragen politischer Gewalt, Erinnerungskultur und der Rolle der Diaspora in der Literatur.
Wer noch mal zu den vorigen Stationen reisen möchte, bitte hier entlang:

China
Vietnam
Afghanistan
Chile
Polen
USA
Kongo
Japan
Belarus
Israel
Südkorea
Nigeria
Trinidad & Tobago
Italien

Kennt ihr Sri Lanka? Habt ihr Tipps für entsprechende Autor*innen / Filme / Bands?

Read around the world meets Italy be the Book II

Procida. Schon beim Aussteigen aus dem Boot hatte ich das Gefühl, dass man hier nicht nur ankommt, sondern irgendwie… ein bisschen verschwindet. Die Insel ist winzig, eng, lautlos und lebendig zugleich. Es gibt diese verwitterten Hausfassaden in Rosa, Gelb, Blau, in allen denkbaren Pastelltönen, und dazwischen Gassen, durch die man sich wie in einer Choreografie mit Menschen, Mopeds, E-Bikes und den wunderbaren Apes bewegt. Niemand hat es eilig, aber alles ist in Bewegung und irgendwann werde ich Postbotin auf Procida und liefere mit meiner Ape Briefe und Pakete aus – so!

Wir wohnten in einem kleinen Gartenhäuschen unter Zitronenbäumen. Unsere Gastgeberin vermietet auf ihrem Grundstück vier kleine Häuschen, jedes mit Hängematte, Terrasse und eigenen Eidechsen. Ich lag stundenlang zwischen duftenden Zweigen, las Elsa Morantes „Arturos Insel“, pflückte Zitronen direkt vom Baum, und hatte dabei immer wieder das Gefühl, dass das, was ich las, und das, was ich sah, irgendwie ineinanderfloss.

Die Insel hat etwas Zeitloses. Sie ist nicht besonders stylisch oder herausgeputzt, eher das Gegenteil. Aber genau das macht ihren Reiz aus. Nichts hier ist für Tourist*innen inszeniert. Man findet Cafés, die nur geöffnet sind, wenn die Besitzer*innen Lust haben, Läden, in denen man auf Zetteln anschreiben kann, und Strände, an denen man abends wirklich allein ist. Am liebsten waren wir am Il-Postino-Strand, der nach dem gleichnamigen Film benannt ist, da auf der Insel einige Szenen des Films gedreht wurden. Tagsüber verirren sich ein paar Familien her, aber ab dem späten Nachmittag gehört er nur noch den Möwen – und uns. Kein Lärm, kein geöffneter Kiosk, einfach ein leerer, weicher, schwarzer Sandstrand, an dem wir picknickten, lasen, herumschauten. Es gibt kaum etwas Wohltuenderes als ein selbstgemachtes Panini mit Blick auf ein leeres Meer.

Wenn man Lust auf mehr Trubel hat, geht man einfach rüber zum Corricella-Hafen – ein Ort, der aussieht, als hätte jemand ein Kinderbuch illustriert und dann vergessen, dass echte Menschen da wohnen. Hier sitzt man mit Teller Spaghetti alle vongole oder Spaghetti limone, trinkt einen kühlen Weißwein und schaut den Fischern beim Putzen ihrer Boote zu. Und spätestens wenn die Sonne untergeht und das Licht alles in Gold taucht, versteht man, warum hier Filme wie „Il Postino“ und „Der talentierte Mr. Ripley“ gedreht wurden. Diese Farben kann man sich nicht ausdenken.

Apropos Filmkulisse: Wer bereit ist, ein bisschen (?!) zu schwitzen, sollte den Weg hinauf zur Terra Murata nicht scheuen. Oben angekommen erwartet einen eine Mischung aus mittelalterlicher Festung, leergefegten Gassen, windigen Aussichtspunkten und dem ehemaligen Gefängnis, das heute ganz harmlos daliegt, als wäre es nie etwas anderes gewesen. Der Palazzo d’Avalos war einst Heimat für Schwerverbrecher und Mafiosi – heute blühen dort Kräuter zwischen den Steinen, und man sieht den ganzen Golf von Neapel, den Vesuv inklusive.

Ein kleines Highlight war definitiv unser Bootsausflug mit Julio – einem Freund unserer Vermieterin, der das Boot gelegentlich sogar mit den Füßen steuerte (!), zwischendurch Seeigel vom Meeresgrund holte, die wir direkt an Bord löffelten, und mit uns die Insel umrundete. An mehreren Stellen sprangen wir ins Wasser – kein Strand, keine Menschen, nur Meer, Sonne, Boot. Für mich ist das das schönste Schwimmen: direkt vom Boot ins tiefe, klare Blau.

Und natürlich: Marina Grande. Der Hauptanleger, der erste Eindruck, das geschäftigste Eckchen der Insel. Hier kommen die Fähren an, hier sitzt man mit einem Limoncello Sprizz und beobachtet das Kommen und Gehen. Zwischen all dem Gewusel versteckt sich mit dem Istituto Nautico auch die älteste Seefahrtschule Europas – ein stilles Monument an eine Zeit, in der fast jede Familie auf Procida jemanden zur See geschickt hat.

Was ich besonders mochte: Procida ist ganz und gar nicht aufgebrezelt, sondern einfach da. Die meisten anderen Tourist*innen, die wir getroffen haben, waren Italiener*innen vom Festland, die das Feiertagswochenende für einen Ausflug nutzten. In Chiaiolella badet man mit Blick auf Segelboote und das offene Meer, Kinder spielen im flachen Wasser, der Sand ist schwarz und weich und wärmt noch abends die Fußsohlen. Und wenn man keine Lust mehr auf Sand hat, geht man eben auf ein Boot.

Ein weiteres Highlight war unser geführter Ausflug auf die kleine Halbinsel Vivara, ein Naturschutzgebiet, das man nur mit Anmeldung und Begleitung betreten darf. Über einen schmalen Steg gelangt man auf die Insel, wo ein ruhiger Pfad durch alte Bäume, blühende Wiesen, verfallene Mauern und immer wieder beeindruckende Ausblicke aufs Tyrrhenische Meer führt. Überall zwitschert und flattert es, manchmal sieht man Reiher, manchmal einfach nur Licht zwischen den Zweigen. Es war einer dieser Spaziergänge, nach denen man ein bisschen das Gefühl hat, wirklich weg gewesen zu sein – im besten Sinne.

Und wie überall in Italien gibt es natürlich auch hier eine lokale Spezialität: die „Lingua di Procida“ – ein zungenförmiges Gebäck aus Blätterteig, gefüllt mit Zitronencreme. Wir haben es bewundert, aber nicht probiert, aber den lokalen Zitronensalat dafür um so häufiger gegessen. Selbstgemacht mittags auf der Terrasse mit den Zitronen die gerade runtergepurzelt waren. Zitrone filettieren, Olivenöl drüber, ein paar Minzblätter zupfen und direkt essen – auf keinen Fall stehen lassen, sonst oxidieren die Zitronen. So So lekcer. Ein Gericht das zu Procida gehört wie die Hängematte unter den Zitronenbäumen, die salzigen Haare nach dem Schwimmen, das Glitzern auf dem Wasser, das niemand fotografieren kann, ohne dass es kitschig wirkt.

Lektüre durfte natürlich auch nicht fehlen und es gibt wirklich Bücher, die man zur richtigen Zeit am richtigen Ort lesen sollte. Arturos Insel gehört definitiv dazu. Ich hatte den Roman ohne große Erwartungen im Gepäck, lediglich mit dem Wissen, dass er auf Procida spielt. Und kaum jemand hätte besser zu meinem Aufenthalt dort gepasst. Man kann man sich übrigens ganz direkt auf Arturos Spuren begeben: Im Rahmen der Kulturhauptstadt-Initiative wurde ein Percorso Elsa Morante angelegt – ein literarischer Spazierweg mit mehreren Stationen, an denen Schautafeln Auszüge aus dem Roman zeigen und Bezüge zu den jeweiligen Orten herstellen. Mein Buch war eine sehr alte Ausgabe aus der Bibliothek, aber man kann es aktuell auch in einer deutlich schöneren Ausgabe bekommen:

Arturos Insel – Elsa Morante erschienen im Verlag Klaus Wagenbach, übersetzt von Susanne Hurni-Maehler

Elsa Morante, 1912 in Rom geboren, zählt zu den bedeutendsten italienischen Autorinnen des 20. Jahrhunderts. Sie war eine unabhängige, oft eigensinnige Stimme in einer Männerwelt, bekannt für ihre politischen Überzeugungen und ihr Engagement. Ihr Werk ist geprägt von einer tiefen Beschäftigung mit menschlichen Abgründen und sozialen Konflikten. Morante war mit dem Schriftsteller Alberto Moravia verheiratet und bewegte sich in linken intellektuellen Kreisen Roms – dennoch blieb sie stets eine Eigenständige, die sich nicht vereinnahmen ließ.

Arturos Insel erschien 1957 und brachte Morante als erste Frau den prestigeträchtigen Premio Strega ein – ein Zeichen für die literarische Kraft dieses Werks. Die Geschichte folgt dem Jungen Arturo, der auf Procida, eben jener Insel, aufwächst. Allein mit seinem stillen Vater lebt er in einem alten Haus, seine Mutter ist verstorben. Das Leben auf der Insel ist zugleich Freiheit und Gefängnis: eine Mischung aus Einsamkeit, kindlicher Sehnsucht und dem schweren Versuch, die Erwachsenenwelt zu verstehen.

Morantes Darstellung ist dabei alles andere als romantisch verklärt. Die Insel wird zur Metapher für das Leben selbst – schön, rau, widersprüchlich und manchmal erdrückend. Arturo ist kein Held in konventionellem Sinne, sondern ein verletzlicher Beobachter, dessen inneres Chaos sich durch die Sprache zieht wie ein roter Faden. Die Ankunft der neuen Frau im Haus, die das fragile Gefüge aus Routine und Stille zerstört, führt ihn an die Grenzen seiner Kindheit und bringt auch die dunklen Seiten von Liebe und Loyalität zum Vorschein.

Das Buch verzichtet auf einfache Antworten oder Wohlfühlmomente. Stattdessen konfrontiert Morante den Leser mit der Wucht von Gefühlen, die oft widersprüchlich sind – Liebe und Schmerz, Bewunderung und Enttäuschung, Nähe und Isolation. Ihre Sprache ist präzise und zugleich poetisch, mal knapp, mal fast lyrisch, und schafft es, das Lebensgefühl einer ganzen Generation einzufangen. Für mich war Arturos Insel ein intensives Leseerlebnis, das mich nicht nur durch die Geschichte, sondern auch sprachlich gefesselt hat.

Besonders spannend fand ich, wie Morante die Insel nicht nur als geografischen Raum nutzt, sondern als Charakter, der das Geschehen mitprägt und reflektiert. Procida wird zur Bühne für menschliche Dramen, aber auch für die einfachen, kleinen Momente, die das Leben ausmachen. Man spürt in jeder Zeile die Liebe der Autorin für diesen Ort – und gleichzeitig die Härte, mit der das Leben hier gelebt wird.

Wer Arturos Insel liest, sollte keine leichte Urlaubslektüre erwarten. Es ist ein Buch, das nachhallt, das Fragen stellt und in seiner Intensität auch unbequem sein kann. Aber gerade das macht es so wertvoll. Für alle, die sich auf Procida oder eine ähnliche Insel einlassen wollen, bietet der Roman eine unerwartete Tiefe und Perspektive – ein literarisches Gegenstück zu der Realität, die man dort erlebt.

Ich weiß nicht, was es mit Inseln auf sich hat – aber meine liebsten Orte auf der Welt sind fast immer Inseln. Skye, Kreta, Procida – so verschieden sie auch sind, verbindet sie etwas, das ich nicht ganz greifen kann. Vielleicht ist es die Abgeschiedenheit, vielleicht das Licht, vielleicht einfach die Ruhe. Für mich sind sie jedenfalls einzigartig – und wunderbar.

Wer jetzt Lust bekommen hat auf mehr Lektüre aus Italien, ich verlinke mal vorher besprochene Bücher hier: Elizabeth von Arnim – Verzauberter April, Bernard Berenson – One year of reading for fun, Paolo Cognetti – Acht Berge, Rachel Cusk – The Last Supper, Umberto Eco – Der Name der Rose, Elena Ferrante – Lästige Liebe, EM Forster – A room with a view, Christine Frohmann – Vier Wochen, Jumpha Lahiri – Roman stories, Mercedes Lauenstein – Blanca, Thomas Mann – Der Tod in Venedig, Hisham Matar – A month in Siena, Maugham W. Somerset – Up at the villa, Ian McEwan – The comfort of strangers, Ali Smith – How to be both, Muriel Spark – The Driver Seat und meine einzige Sachbuch-Empfehlung dich hier einschmuggel: Gabriel Zuchtriegel – Vom Zauber des Untergangs

Ich hoffe ich konnte euch ein bißchen Lust auf Procida, Il Postino und Elsa Morante machen. Habt ihr schon mal etwas von der Autorin gelesen?

Read around the World meets Italy by the Book I

Zugfahren in Italien ist für mich jedes Mal ein großes Vergnügen – und unsere Anreise von München an die Amalfiküste bildete da keine Ausnahme. Mit einem entspannten Umstieg in Bozen, der gerade noch für einen Spritz reichte, ging es weiter Richtung Salerno. Die italienischen Züge, diese roten Raketen, liebe ich sehr. Kein Gedränge, keine vollgestopften Gänge, da es nur Sitzplatzkarten gibt. Und mit gerade mal fünf Minuten Verspätung erreichten wir Salerno, das kleine Städtchen am Tyrrhenischen Meer, das für die erste Woche unser Ausgangspunkt wurde. Zwei Wochen später ging es übrigens genauso reibungslos zurück: von Neapel über Bologna zurück nach München, sogar zwei Minuten zu früh angekommen. Ein Wunder in Zeiten des allgegenwärtigen Bahnchaos in Deutschland.

Salerno selbst überraschte mich. Kleiner und ruhiger als Neapel, aber voller Charme. Es gibt dort überraschend viele große Buchläden mit einer grandiosen Auswahl, man fühlt sich fast wie in Paris bei den Bouquinisten, nur dass hier statt am Seine-Ufer bunte Stände auf den Straßen der Altstadt Schallplatten und Taschenbücher anbieten. Die Stadt war die perfekte Basis für unsere Ausflüge, denn gleich am ersten Tag starteten wir mit einer Bootstour Richtung Amalfi und Positano. Zwei Städtchen, so berühmt wie überlaufen. Kaum hatten wir uns durch die schönen, aber mit Touristen überfüllten Gässchen gekämpft, reichte ein kleiner Abstecher um die Ecke – und schon war man im nächsten, menschenleeren Ort, ebenso malerisch, nur ohne Instagram-People und Souvenirshops. Ein kleiner Trick, der uns durch die ganze Woche begleiten sollte: Immer ein paar Schritte weiter gehen.

Ein Highlight der Woche war die Wanderung auf dem Sentiero dei Limoni, dem Zitronenweg, von Maiori nach Minori. Mit Blick über das Meer und vorbei an Zitronenhainen ging es gemächlich dahin, bis wir in Minori eine wohlverdiente Pause mit Limoncello-Spritz einlegten. Danach wartete der Aufstieg über den 1000-Stufen-Weg nach Ravello auf uns. Eine schweißtreibende, aber lohnenswerte Etappe. Ravello empfing uns mit seinem stillen Charme, abseits des Trubels, hoch oben auf dem Bergkamm. Hier lebten und arbeiteten schon literarische Größen wie D.H. Lawrence und Virginia Woolf, die sich in den verwunschenen Gärten und der inspirierenden Ruhe des Ortes wiederfanden.

Ein Tagesausflug führte uns nach Herculaneum. Die kleine Schwester von Pompeji, ebenfalls verschüttet beim Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 n. Chr., aber inmitten der modernen Stadt Ercolano gelegen. Nur ein Bruchteil ist bisher freigelegt, etwa 10 bis 15 Prozent, da der Rest unter der heutigen Stadt liegt. Pompeji, das ich im Vorjahr besucht hatte, war in dieser Hinsicht spektakulärer, auch landschaftlich eindrucksvoller mit seiner Einbettung in den Nationalpark. Herculaneum aber war intimer, da deutlich weniger Besucher und man sah noch verkohlte Holzbalken, Fresken in erstaunlichem Zustand, und man bekam eine durchaus gute Vorstellung vom Leben in einer römischen Hafenstadt die dann vom Schlamm des Vulkans förmlich konserviert wurde.

Meinen Geburtstag verbrachten wir in Paestum, einst Poseidonia genannt, gegründet um 500 v. Chr. von griechischen Kolonisten. Heute stehen dort drei der besterhaltenen griechischen Tempel außerhalb Griechenlands. Der Tempel der Hera, der Tempel der Athene und ein dritter, lange fälschlich Poseidon zugeschrieben, beeindrucken durch ihre Monumentalität. Es ist still dort, weitaus leerer als in Pompeji oder gar dem Kolosseum in Rom. Nach dem Tempelbesuch wurden wir von einem älteren Herrn am Bahnhof abgeholt und 45 Minuten in die Berge nach Trentinara gefahren. Oben angekommen, erwartete uns der Bruder eines der Betreiber des Weinguts Tredaniele mit seiner Kollegin. Wir machten eine kleine Radtour durch die Weinberge, rasten die Serpentinen hinunter und ließen uns anschließend bei einer Weinverkostung verwöhnen. Der Wein war großartig, fein, komplex, nicht ganz günstig, aber jeden Euro wert.

Den Abschluss bildete ein Kochkurs bei Giannis Zia. Wir machten Pasta von Hand und frittierten Pizza, lachten viel, tranken mehr, und erlebten einen richtig magischen Abend, der wirklich in Erinnerung bleibt. Zia Caroline war sehr herzlich, ihr Mann sprach ein paar Brocken Deutsch mit Aschaffenburger Dialekt, Erinnerungen an seine Zeit als Gastarbeiter in den Sechzigern. Als wir den Zug zurück nach Salerno verpassten, mussten wir anderthalb Stunden warten – ein Ärgernis, das sich dann tatsächlich als Geschenk entpuppte. Wir spazierten zurück zu den Tempeln und sahen sie diesmal im warmen Licht des Sonnenuntergangs. Ich würde sagen: perfekter hätte man den Tag nicht inszenieren können.

Ein anderer Ausflug führte uns mit dem Zug nach Vietri sul Mare, das für seine Keramiken berühmt ist. Bunte Kacheln, handbemalte Teller, kleine Werkstätten und Galerien reihen sich aneinander. Wir aßen hervorragenden Fisch in einem kleinen Restaurant und spazierten stundenlang durch die engen Gässchen.

Auch Neapel ließen wir uns natürlich nicht entgehen. Diese verrückte, laute, chaotische, dreckige aber wunderbare Stadt. Wir sahen Caravaggios letztes Werk, die „Sieben Werke der Barmherzigkeit“, in der Kirche Pio Monte della Misericordia, ein Künstler auf den ich durch die Serie „Ripley“ aufmerksam wurde und der mich seitdem echt bewegt. Danach streiften wir durch die Altstadt, saßen ein Gewitter im Literaturcafe am Piazza Bellini aus, einem meiner liebsten Orte, lasen und beobachteten Menschen und eine Hochzeit mitten in der Altstadt. Am Abend besuchten wir spontan ein Konzert der Abschlussklasse einer Musikschule, direkt neben der Caravaggio-Kirche. Zwischen stolzen Eltern saßen wir in der Aula und ließen uns von nervösen aber unfassbar begabten Jugendlichen verzaubern. Ein wirklich besonderer Abend.

Nach einer Woche hieß es Abschied nehmen vom bezaubernden Salerno in dem wir uns überaus wohl gefühlt hatten. Man kann an der Amalfi Küste im Übrigen wirklich überall wirklich gut essen und mir hatte es dort insbesondere eine kleine Salumieria angetan bei der man sehr gut essen konnte, mitten in der Nachbarschaft saß und feine Lebensmittel einkaufen konnte, die hätte ich am liebsten eingepackt.

Eingepackt hätte ich auch gerne die kleine Insel Procida auf der wir die zweite Woche verbrachten, von der erzähle ich euch aber im zweiten Teil der Reise.

Aber bevor ich es vergesse: Natürlich war auch Literatur mit im Gepäck. Alles, was die heimische Bibliothek momentan an bislang ungelesenen Italien-Romanen und Krimis hergab: „Hotel Portofino“ von J.P. O’Connell zB, ein solider Krimi rund um ein britisches Hotel an der ligurischen Küste in den 1920ern, mit Familiendramen und politischen Spannungen, nett, aber nichts besonderes. Luca Venturas „Mitten im August“ und „Bittersüße Zitronen“ führen auf die Insel Capri und bieten Krimikost mit viel Lokalkolorit, sympathisch, aber eher leichte Lektüre, hat mich sehr an Brunetti erinnert, nur eben auf Capri statt in Venedig. „Margaritha“ von Jana Revedin erzählt die Geschichte einer Frau in der Zeit des italienischen Faschismus die aus einfachsten Verhältnissen kommt, sich aber von jeher für Kultur begeisterte und die Gründerin der Biennalen wurde. Ein Roman der mich durchaus stellenweise berührt hat, aber nicht ganz mitreißt. Mein absolutes Highlight aber war „Still Life“ von Sarah Winman. Eine Geschichte voller Farben, Leben, Kunst, Diversität und Florenz, die sich über Jahrzehnte spannt. Auf Instagram habe ich das Buch etwas ausführlicher besprochen.

Wir sind noch ganz und im Italien-Fieber und haben den Kopf voll mit Zitronendüften und Meeresrauschen, leider auch mit einer mitgebrachten Erkältung, aber wir haben ja ne Menge Zitronen mitgenommen und langsam wirds auch schon wieder. Uns ging es wie Frau Frohmann in ihrer Novelle „Vier Wochen“ wir liebten alles an Italien und alles ist dort schön und wahr und gut, außer ihrer Neigung zum Faschismus, aber die haben wir hier ja leider auch.

Dieser Doppelschlag Italien gilt dann auch direkt als Stopp für die literarische Weltreise. Ich glaube allzu viel muß man über Italien auch nicht schreiben, das Sehnsuchtsland der Deutschen dürfte den meisten bekannt sein. Aber ein paar Vergleichszahlen reiche ich doch mal an:

Deutschland ist flächenmäßig etwas größer als Italien – mit rund 349.000 km² ist es etwa 1,2-mal so groß und in Deutschland leben deutlich mehr Menschen: etwa 84 Millionen gegenüber rund 59 Millionen in Italien.

Das führt auch zu einer höheren Bevölkerungsdichte: In Deutschland leben im Schnitt rund 241 Menschen pro Quadratkilometer, während es in Italien etwa 201 sind. Beide Länder gehören damit zu den dichter besiedelten Staaten Europas, wobei Deutschland nochmals kompakter bewohnt ist.

Wirtschaftlich ist Deutschland deutlich stärker aufgestellt. Das Bruttoinlandsprodukt liegt bei rund 4,14 Billionen Euro (2024), während Italien etwa 1,89 Billionen Euro erwirtschaftet. Auch beim Pro-Kopf-BIP zeigt sich der Unterschied: In Deutschland liegt es bei rund 49.700 Euro pro Person, in Italien bei etwa 31.900 Euro.

Die Wirtschaftsstruktur unterscheidet sich ebenfalls: Deutschlands Wirtschaft ist stark industriell geprägt – mit Schwerpunkt auf Automobilbau, Maschinenbau, Chemie und Elektrotechnik. Italien hingegen setzt stärker auf Mode, Maschinenbau, Nahrungsmittelproduktion, Tourismus und Design – Sektoren, die nicht zuletzt durch den kulturellen Reichtum und das mediterrane Lebensgefühl des Landes getragen werden.

Read around the world: Trinidad und Tobago

Nach meinem letzten literarischen Abstecher nach Nigeria geht es heute in die Karibik – genauer gesagt nach Trinidad & Tobago, den südlichsten Inselstaat der Region. Zwei Inseln, zwei Persönlichkeiten, und ein faszinierender kultureller Mix, der mich nicht nur literarisch, sondern auch musikalisch und historisch ganz schön fasziniert hat. Ich war bisher noch nicht in der Karibik und ich bin auch nicht sicher, ob es mich jemals dorthin verschlagen sollte, es wäre aber auf jeden Fall interessant.

Trinidad & Tobago liegt direkt vor der Küste Venezuelas und besteht aus der größeren, quirligeren Insel Trinidad und der kleineren, entspannteren Schwesterinsel Tobago. Während Trinidad als wirtschaftliches und kulturelles Zentrum gilt – inklusive Hauptstadt Port of Spain – punktet Tobago mit weißen Sandstränden, üppigem Regenwald und einem gemächlichen Lebensrhythmus.

Trinidad & Tobago ist seit seiner Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1962 eine parlamentarische Demokratie nach dem Westminster-Modell. Staatsoberhaupt ist ein*e Präsident*in – derzeit Christine Kangaloo – während die Regierungsgewalt beim Premierminister*in liegt – derzeit Keith Rowley. Das politische System ist relativ stabil, mit einer aktiven demokratischen Kultur. Die ethnische Vielfalt des Landes schlägt sich auch in der Politik nieder, was immer wieder zu Spannungen, aber auch zu einem bemerkenswert hohen Maß an politischer Teilhabe führt.

Trinidad & Tobago gehört zu den wohlhabenderen Ländern der Karibik, was vor allem auf große Erdöl- und Erdgasvorkommen zurückzuführen ist. Der Energiesektor ist der Motor der Wirtschaft und macht einen großen Teil des Exports und BIP aus. Das Land ist einer der größten Exportnationen für Flüssigerdgas (LNG) in der westlichen Hemisphäre. Es gibt aber auch einige Herausforderungen wie hohe Jugendarbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit, Korruption und Klimawandel der den Inselstaaten insgesamt starke Probleme bereitet. Das Land hat sich jedoch auch bemüht, in Bildung und Digitalisierung zu investieren, um langfristig wirtschaftlich breiter aufgestellt zu sein.

In den letzten Jahren war das Wirtschaftswachstum eher verhalten, auch durch die Pandemie und sinkende Energiepreise. Gleichzeitig wird versucht, neue Branchen wie die kreative Industrie, Tourismus und erneuerbare Energien zu stärken.

Fläche:
Trinidad & Tobago (ca. 5.130 km²) ist deutlich kleiner als Deutschland (über 70-mal kleiner) und zählt zu den kleineren Staaten der Karibik.

Bevölkerung:
Mit etwa 1,5 Millionen Menschen (Stand 2024) hat Trinidad & Tobago weniger Einwohner als beispielsweise Hamburg oder München.

Bevölkerungsdichte:
Rund 292 Personen/km² – damit dichter besiedelt als Deutschland (ca. 237 Personen/km²).

Das Land ist ein wahrer Schmelztiegel: Die Bevölkerung setzt sich aus Nachfahren afrikanischer Sklavinnen, indischer Vertragsarbeiter*innen, Europäer*innen, Chines*innen und indigenen Gruppen zusammen. Diese Vielfalt spiegelt sich überall wider – in der Küche, der Musik, den Feierlichkeiten und natürlich in der Literatur.

Trinidad & Tobago ist ohne Zweifel die Heimat des Calypso und des Soca – Musikrichtungen, die sich mit Witz, Sozialkritik und Rhythmus tief in die nationale Identität eingeschrieben haben. Ebenso legendär ist der Karneval in Port of Spain: ein farbenfrohes, ekstatisches Fest, das zu den größten und beeindruckendsten der Welt zählt. Dazu kommt die Erfindung des Steelpans (aus Ölfässern geformte Blech-Trommeln), ein musikalisches Symbol der Inseln, das weltweit Beachtung findet.

Wer mehr über diesen Aspekt der Kultur erfahren will, dem emfehle ich Dokumentationen oder Musik von Künstler*innen wie Machel Montano, Calypso Rose oder dem verstorbenen Lord Kitchener anhören – wahre Ikonen der trinidadischen Musikszene.

Die Filmindustrie des Landes ist zwar klein, aber lebendig. Produktionen wie Green Days by the River oder The Cutlass greifen lokale Geschichten auf, oft mit einem Fokus auf Jugend, koloniale Geschichte und aktuelle soziale Themen.

Die Literatur des Landes ist so vielschichtig wie seine Bevölkerung. Einer der bekanntesten Namen ist sicherlich V.S. Naipaul, der 2001 den Nobelpreis für Literatur erhielt. Sein Blick auf das koloniale und postkoloniale Leben auf Trinidad hat die Weltliteratur stark geprägt – auch wenn er im Land selbst durchaus kontrovers diskutiert wird. Ich habe bislang noch nichts von ihm gelesen – könnt ihr was zu seinen Büchern sagen, mir etwas empfehlen oder ratet ihr eher ab?

Neben Naipaul gibt es noch eine ganze Reihe großartiger Autor*innen wie Earl Lovelace, Shani Mootoo, Kevin Jared Hosein (der gerade mit Hungry Ghosts international Furore macht) oder auch Monique Roffey, deren Roman „The Mermaid of Black Conch“ mein Buch für diesen Länder-Stop war.

Die Meerjungfrau von Black Conch – Monique Roffey erschienen im Tropen Verlag, übersetzt von Gesine Schröder

In Monique Roffeys Roman Die Meerjungfrau von Black Conch begegnen wir einer Meerjungfrau – aber ganz und gar nicht im Sinne von Disney und Glitzerflosse. Stattdessen entfaltet sich eine dichte, atmosphärische Erzählung, die tief in der Mythologie und Kolonialgeschichte der Karibik verwurzelt ist.

Die Geschichte spielt auf der fiktiven Insel Black Conch und beginnt, als zwei amerikanische Sportangler eine Meerjungfrau aus dem Wasser ziehen. Doch Aycayia, so ihr Name, ist keine romantisierte Meeresgöttin, sondern eine von Frauen verfluchte Gestalt aus einer anderen Zeit. Als sie sich langsam in eine menschliche Form zurückverwandelt, nimmt die Geschichte eine überraschend intime, feministische und zugleich politische Wendung.

Ich mochte den poetischen, fast hypnotischen Schreibstil Roffeys sehr – sie wechselt gekonnt zwischen karibischem Englisch, Tagebucheinträgen und mythischer Erzählweise. Die Sprache allein war für mich schon ein Highlight des Romans. Auch das Setting wirkt lebendig und spanennd: tropisch, rau, melancholisch. Der Übersetzerin Gesine Schröder möchte ich an dieser Stelle noch mal ein ganz besonderes Kompliment machen. Das war sicherlich keine einfache Aufgabe und ich fand den Roman fabelhaft übersetzt.

Mit der Meerjungfrauen-Thematik bin ich persönlich nicht ganz warm geworden – teils, weil sie sich mir als Figur etwas entrückt blieb, teils, weil ich beim Lesen manchmal zwischen Faszination und Distanz schwankte. Aber genau das ist vielleicht auch Teil der Intention: Aycayia ist keine Heldin, sondern ein Produkt von Trauma, Verwandlung und Ausgrenzung – und steht damit auch symbolisch für die Geschichte der Insel(n).

Ein ungewöhnlicher, literarisch starker Roman, der Mythen neu erzählt und dabei postkoloniale, feministische und emotionale Tiefen auslotet – nicht immer leicht zugänglich, aber definitiv interessant und kraftvoll.

Das war sowohl filmisch, musikalisch als auch literarisch mein bisher erster Ausflug nach Trinidad und Tobago. Habt ihr schon etwas gelesen und/oder seid ihr schon einmal dort gewesen?

Wer noch mal die zurückliegenden Stationen besuchen will, der geht bitte hier entlang.

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Für unseren nächsten Stopp müssen wir nicht so weit reisen. Es geht nach Bella Italia 🙂 Habt ihr Lust?