Februar by the Book

Der Februar war wieder ein ausgesprochen guter Lesemonat. Ohnehin scheint 2024 ein herausragendes Literaturjahr für mich zu sein, ich habe schon so viele 5-Sterne Bücher gelesen in diesem Jahr, wie gefühlt im ganzen letzten Jahr zusammen. Auch diesen Monat war kein richtiger Fehlgriff dabei, ich stelle sie euch wieder kurz alphabetisch vor.

Radicals chasing utopio – Jamie Bartlett auf deutsch unter dem Titel „Radicals: Wie Außenseiter die Welt verändern wollen und weshalb wir ihnen zuhören sollten“ im Plassen Verlag erschienen.

In „Radicals“ nimmt Jamie Bartlett, einer der weltweit führenden Denker zu radikaler Politik und Technologie, die Leser mit in die fremdartigen und aufregenden Welten der Innovatoren, Disruptoren, Idealisten und Extremisten, die der Auffassung sind, dass im Kern der modernen Gesellschaft etwas falsch ist – und glauben, dass wir es besser können. Bartlett stellt einige der wichtigsten Bewegungen unserer Zeit vor: Techno-Futuristen, die Unsterblichkeit anstreben; extrem rechte Gruppen, die Grenzen schließen wollen; militante Umweltaktivisten, die den Planeten mit allen notwendigen Mitteln retten wollen; psychedelische Pioniere, die die Gesellschaft mithilfe starker Halluzinogene heilen wollen. Der Erfolg demokratischer Gesellschaften hängt von unserer Fähigkeit ab, den radikalen Bewegungen in unserer Mitte zuzuhören – und in manchen Fällen von ihnen zu lernen. Ihre Ansichten mögen extrem sein, aber in der Verfolgung ihrer Utopien stellen diese Gruppen infrage, was möglich ist, und nehmen die künftige Welt vorweg.

Auch wenn mir der Einblick in verschiedene radikale Gruppen gefiel, hatte ich das Gefühl, dass Bartlett die Erzählung oft zu sehr lenkte, anstatt die Leute und die Gruppen für sich selbst sprechen zu lassen. Habe es dennoch gerne gelesen, allerdings habe ich irgendwie vergessen ein Foto vom Buch zu machen, bevor ich es in den offenen Bücherschrank zurückgestellt habe, woher ich es auch hatte.

Alte Baukunst und neue Architektur – Günther Fischer erschienen im Birkhäuser Verlag

Seit ich vor einigen Jahren eine Architektur Stadtführung durch Chicago gemacht habe, gehe ich mit ganz anderen Augen durch die Städte und bin sehr fasziniert von Architektur, Stadtplanung, Design und Baukunst.

In diesem hochwertigen mit großartigen Bildern ausgestatteten Band schafft der Autor es auf nur 280 Seiten eine knappe, präzise Entwicklungsgeschichte der Architektur hinzulegen, die mich wirklich beeindruckt hat. Eine bestechende Gesamtschau, die auf das Wesentliche konzentriert und von der Baukunst der Antike bis zur erste Phase des Neubeginns in der Renaissance, von der Entfaltung der modernen Architektur bis hin zur Gegenwart und ihrer zukünftigen Entwicklung erzählt. Fischer zeigt auch die Schwierigkeiten und Irrwege großer Architekten auf, beleuchtet den einstigen Zeitgeist und die damit verbundenen Konflikte.

Das System der alten Baukunst konnte nicht weiterbestehen, weil im 19. Jahrhundert nicht nur ein begrenzter historischer Abschnitt zu Ende ging, sondern eine ganze weltgeschichtliche Epoche. Man lässt die Neuzeit ja immer mit der Renaissance beginnen, und es gibt viele gute Gründe dafür – Gutenberg, Kolumbus, Galilei etc -, aber Kaisertum und Feudalismus stürzten erst mit der Französischen Revolution und mussten ihre Macht erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts endgültig an das Bürgertum abgeben.

Ein sehr schönes Werk für alle die Spaß an Architektur und die Geschichte der Baukunst haben.
Wahrscheinlich nix für Experten, aber ein sehr schönes, hochwertiges Buch, das man – wahrscheinlich immer wieder – gerne in die Hand nimmt.
Einziger Kritikpunkt – Frauen kommen so gut wie überhaupt nicht vor. Hätte ja immerhin ein paar gegeben.

Fremd – Michel Friedmann erschienen im Berlin Verlag

Michel Friedmann war bisher ein Mensch für mich, der nicht übermäßig symphatisch auf mich wirkte, weil er auf mich wie ein geschleckter FDP Politiker wirkte. Vor einiger Zeit las ich ein Interview mit ihm und fand ihn da so ungemein klug, besonnen und interessant, dass mir meine dämlichen Vorurteile echt peinlich waren.

Vor Kurzem hatte ich im Literaturhaus in München die Gelegenheit ihn am Holocaust-Gedanktag im Gespräch mit Lena Gorelik und Dana Vowinckel zu erleben, wo er unter anderem auch aus seinem Buch „Fremd“ vorlas.

Mich hat der Text sehr berührt, ich habe mir das Buch gekauft und signieren lassen und habe es in einem Rutsch durchgelesen. Ein Buch das mir sehr nahe gegangen ist.

Ein Kind, voller Furcht, kommt nach Deutschland – ins Land der Mörder, die die Familien seiner Eltern ausgelöscht haben. Hier soll es Wurzeln schlagen, ein Leben aufbauen.

Das Kind staatenloser Eltern tut, was es kann. Es will Kind sein. Es will träumen. Es will leben. Doch was es auch erlebt, sind Judenhass, Rassismus und Ausgrenzung – und eine traumatisierte Kleinfamilie, die es mit Angst und Fürsorge zu ersticken droht.

Mit zehn Jahren
im verdunkelten Wohnzimmer in Paris:
Bücher,
Bücher, meine Wunderwelt.
Meine Traumwelt.
Meine Fluchtwelt.
Lesen: mein Schutzraum
vor einer feindlichen Welt.
Bis heute.

Mit großem Gespür für Zwischentöne und einer kunstvoll verdichteten Sprache zeichnet Friedman das verstörende Bild der Adoleszenz in einer als fremd und gefährlich empfundenen Welt. Das berührende Kaleidoskop eines existenziellen Gefühls, das seziert werden muss, damit es die Seele nicht auffrisst.

Wifedom: Mrs Orwell’s Invisible Life – Anna Funder bislang nicht auf deutsch erschienen

Meine Hörbuch-„Lektüre“ diesen Monat war „Wifedom“ von Anna Funder. Und dieses Buch ist mehr als nur eine Biografie über die erste Frau von George Orwell, Eileen O’Shaughnessy. Die australische Autorin und ehemalige Menschenrechtsanwältin bringt in diesem genreübergreifenden Werk ihre eigenen Erfahrungen und Herausforderungen als Frau und Ehepartnerin ein, während sie gleichzeitig das Leben und die Rolle von Eileen O’Shaughnessy im Kontext von George Orwells Schaffen beleuchtet.

Das Buch entstand aus Funders Verägerung darüber wie wenig über die Orwells Frauen in seinem Leben geschrieben wurde in seinen Biografien, insbesondere über das nahezu komplette Fehlen von Eileen O’Shaughnessy, seiner ersten Frau, die ihn zB in den spanischen Bürgerkrieg begleitete und im Alter von 39 Jahren während einer Operation verstarb.

Die Autorin wirft einen Blick auf das „Wifedom“, das durch ihre eigene Lebenserfahrung gefärbt ist. Das Buch, das für den Gordon Burn Prize nominiert wurde, ist nicht nur eine Biografie, sondern auch eine tief empfundene Erinnerung an Funders eigene Auseinandersetzung mit den Herausforderungen und Erwartungen, die mit dem Status der Ehefrau einhergehen.

Funders Frustration wächst, je mehr sie über Orwell erfährt, der eigentlich einer ihrer Lieblingsautoren ist. Doch es schmerzt sie zu lesen, wie sehr zB die Mitarbeit n O’Shaughnessy an Orwells Roman 1948 ignoriert wurde oder auch ihre wichtige Arbeit im spanischen Bürgerkrieg. Wie so viele von uns muss sie für sich einen Weg finden mit den dunkleren Seiten geliebter Künstler*innen umzugehen. Dabei taucht Funder tief in die Briefe ein, die O’Shaughnessy an ihre Freundin Norah Symes schrieb. Die Autorin geht dabei mutig – und mit Kontroversen behaftet – vor, indem sie die Briefe erweitert, um ein detaillierteres Bild vom gemeinsamen Leben des Paares zu zeichnen.

Die Lesung von Jane Slavin, die die Briefe von O’Shaughnessy liest, vermittelt das Bild einer charismatischen Frau, die sich in schwierigen Umständen nicht so sehr unterdrückt zeigt, sondern vielmehr mutig das Beste aus ihrer Situation macht. In einem ihrer Briefe, der zu Beginn ihrer Ehe geschrieben wurde, offenbart O’Shaughnessy, wie sie und Orwell so viel stritten, dass sie dachte: „Ich würde Zeit sparen und einfach einen Brief an alle schreiben, wenn der Mord oder die Trennung vollzogen ist.“

Anna Funder verwebt gekonnt ihre eigene Stimme mit der von Eileen O’Shaughnessy, um eine einzigartige Perspektive auf das Leben von George Orwell zu bieten. Der Leser bekommt nicht nur Einblicke in die oft übersehene Rolle von Frauen hinter berühmten Männern, sondern auch in die tiefen Herausforderungen und Triumphe, die mit der Partnerschaft und „Wifedom“ verbunden sind. Funder zeigt, dass Eileen O’Shaughnessy nicht nur die Frau an Orwells Seite war, sondern eine eigenständige Persönlichkeit mit eigenen Träumen und Kämpfen.

Patriarchy is a fiction in which all the main characters are male and the world is seen from their point of view. Women are supporting cast – or caste. It is a story we all live in, so powerful that it has replaced reality with itself. We can see no other narrative for our lives, no roles outside of it, because there is no outside of it. In this fiction, the vanishing trick has two main purposes. The first is to make what she does disappear (so he can appear to have done it all, alone). The second is to make what he does to a woman disappear (so he can be innocent). This trick is the dark, doublethinking heart of patriarchy.

Das Buch regt dazu an, über die unsichtbare Arbeit von Frauen nachzudenken, die nicht nur als Unterstützung, sondern als aktive Gestalterinnen des Lebens und Schaffens ihrer Partner fungierten. In „Wifedom“ schafft Anna Funder eine beeindruckende Synthese aus Biografie, Memoiren und Reflexion über das Wesen der Ehe und Partnerschaft.

Ich habe es sehr gerne gehört und kann es nur empfehlen!

Sturm und Stille – Jochen Missfeld erschienen im Rowohlt Verlag

Das Buch habe ich euch schon in meinem Beitrag „Husum by the Book“ vorgestellt. Schaut da gerne noch mal vorbei.

Stoner – John Williams unter dem gleichnamigen Titel auf deutsch erschienen im dtv Verlag, übersetzt von Bernhard Robben

John Williams‘ „Stoner“ ist ein literarisches Meisterwerk, das die stille, berührende Lebensreise eines Mannes namens William Stoner verfolgt. Veröffentlicht im Jahr 1965, erfuhr das Buch erst Jahre später eine Renaissance und wird nun als eines der übersehenen Juwelen der amerikanischen Literatur betrachtet. Der Roman ist ein intimes Porträt eines einfachen Mannes, der durch sein Leben navigiert und dabei die Höhen und Tiefen der Liebe, der Bildung und der beruflichen Ambitionen erlebt.

Die Handlung beginnt im späten 19. Jahrhundert und begleitet Stoner durch sein gesamtes Leben. Der Roman beginnt mit Stoners Entscheidung, Landwirtschaft zu studieren, obwohl sein Vater sich das anders vorgestellt hatte. Schnell wird klar, dass Stoners Begeisterung für die Literatur seine wahre Leidenschaft ist. Dieser innere Konflikt zwischen den Erwartungen der Familie und seinen eigenen Leidenschaften ist ein wiederkehrendes Thema im Roman.

Der Leser wird Zeuge von Stoners Erfahrungen an der University of Missouri, wo er Literatur studiert und schließlich auch lehrt. Williams schafft es meisterhaft, Stoners innere Welt darzustellen und wie er mit den Herausforderungen des akademischen Lebens, der Liebe und der Familiengründung umgeht. Die Charakterentwicklung ist subtil, aber jeder Schritt, den Stoner macht, trägt zur Verfeinerung seiner Persönlichkeit bei.

Ein faszinierender Aspekt des Romans ist die Weise, wie Williams die Details des Alltagslebens in den Text einwebt. Ob es sich um Stoners Beziehung zu seiner Frau Edith handelt, die von Anfang an von Spannungen geprägt ist, oder um die Herausforderungen, die mit der Arbeit an einer Universität einhergehen – der Autor schafft es, alltägliche Momente in bewegende Erzählungen zu verwandeln.

Die Charaktere in „Stoner“ sind komplex und tiefgründig. Edith, Stoners Frau, ist eine besonders faszinierende Figur, die mit ihren eigenen inneren Dämonen zu kämpfen hat. Die Darstellung von Ehe und Familie in „Stoner“ ist realistisch und zeigt, dass das Leben oft von Kompromissen und Opfern geprägt ist.

„Stoner“ von John Williams ist ein zeitloser Roman, der die Essenz der menschlichen Existenz einfängt. Es ist ein Buch über das Leben, die Liebe, die Arbeit und die Suche nach Bedeutung. Die Einfachheit der Handlung und die Tiefe der Charaktere machen es zu einem Werk, das den Leser dazu bringt, über die eigenen Lebensentscheidungen nachzudenken. Es ist eine Ode an die Stille, die im Alltäglichen lauert, und ein Denkmal für das gewöhnliche Leben, das außergewöhnlich wird, wenn man genauer hinschaut.

Sometimes, immersed in his books, there would come to him the awareness of all that he did not know, of all that he had not read; and the serenity for which he labored was shattered as he realized the little time he had in life to read so much, to learn what he had to know.”

Ich denke ihr merkt, wie gut er mir gefallen hat. Dennoch habe ich nur 4 Sterne vergeben, denn ein bißchen mehr Aufbegehren oder Gestaltungswille hätte ich mir dann doch vielleicht gewünscht. Außerdem fände ich es super interessant ein Buch zu lesen das aus Edith’s Sicht geschrieben ist.

Zurecht ein Klassiker! Kennt ihr den Roman? Mochtet ihr ihn? Habe ansonsten noch Augustus von John Williams gelesen, das war in meinen Augen vielleicht sogar noch besser als Stoner. Ein großartiger Autor und ich freue mich, dass mir noch zwei weitere Romane von ihm bleiben, die ich entdecken kann.

In Memoriam – Alice Winn auf deutsch unter dem Titel „Durch das große Feuer“ im Eisele Verlag erschienen, übersetzt von Ursula Wulfekamp und Benjamin Mildner

Alice Winns Debütroman „In Memoriam“ hat mich tief berührt und beeindruckt – es ist eine wunderschöne, wenn auch zutiefst traurigen Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Männern im Schatten des Ersten Weltkriegs.

Die Handlung entfaltet sich im idyllischen Preshute, einer Schule, die zwar fiktiv ist, aber angelehnt an das berühmte Marlborough College, dass man ihre Atmosphäre förmlich riechen kann. Inmitten der Unschuld des Jahres 1914 spielen die Jungen Krieg im Wald, beflügelt von epischer Poesie und griechischen Sagen. Henry Gaunt ist ein junger Mann, der nicht nur mit seiner physischen Größe, sondern auch mit unterdrückten Gefühlen für seinen besten Freund Sidney Ellwood zu kämpfen hat.

Sidney, charmant und mit einem Hang zur Poesie und lyrischen Zitaten, erwidert zwar Gaunts Gefühle, doch die Unfähigkeit der beiden, ihre „Abnormalitäten“ einander zu gestehen, setzt eine emotionale Reise in Gang, die aus unbeschwerten Schultagen in die Grausamkeiten des 1. Weltkrieges führt. Das Schicksal zwingt Gaunt und Ellwood dazu, sich nicht nur mit ihrer Liebe, sondern auch mit den brutalen Realitäten des Krieges auseinanderzusetzen.

Was diesen Roman so herausragend macht, ist nicht nur die tiefgehende Charakterentwicklung, sondern auch Winns beeindruckende Fähigkeit, die Grausamkeiten des Krieges schonungslos darzustellen und dabei dennoch so wunderbar zu schreiben. Von den Debatten im Preshutian bis zu den blutigen Schlachten von Loos und der Somme, der Leser wird mitgerissen in Welt die urplötzlich nur noch aus unendlichem Horror besteht. Egal wie viele Kriegsromane oder -filme ich in meinem Leben schon gelesen oder gesehen habe, dieses Buch hat mich zutiefst schockiert.
Die Listen und Listen voller Namen junger Männer zwischen 17 und 25 – an einem Tag sind allein 60.000 englische Soldaten gefallen! Was für eine Grausamkeit und der Hohn wenn man bedenkt, dass das der Krieg sein wollte, der den Krieg für immer besiegen sollte.

“I’m sorry. This is not what I intended to say. What I meant to say is this: You’ll write more poems. They are not lost. You are the poetry.”

Der Titel ist angelehnt an an ein Gedicht von Tennysons Gedicht und verweist auch auf die Todesanzeigen-Spalte der Preshutian Schulzeitung. Hier, am Ende des Romans, wird der Tribut an die Toten zu einem eindringlichen Moment, der die Sinnlosigkeit des Krieges zeigt und die vielen vielen Leben, die durch ihn zerstört wurden.

„In Memoriam“ ist eine Hommage an die Liebe in Zeiten des Krieges, eine Geschichte, die sowohl fasziniert als auch zutiefst bewegt. Ein absolutes Meisterwerk, das noch lange nachklingt und einen tiefen Eindruck hinterlässt. Was für ein Debüt! Freue mich jetzt schon auf Alice Winns nächstes Buch.

Morgen, Morgen und wieder Morgen – Gabrielle Zevin erschienen im Eichborn Verlag, übersetzt von Sonia Bonné

Das ist eines der Bücher, bei denen man, wenn man gefragt wird, worum es in dem Buch eigentlich geht, etwas ratlos ist. Denn wie der Klappentext schon sagt, im Wesentlichen geht es um zwei gute Freunde, die zusammen ein Videospiel machen. Aber das Buch ist tatsächlich so viel mehr. Aber bevor ich darauf eingehe, worum es nun wirklich sonst noch in diesem wirklich großartigen Buch geht, möchte ich nochmal vorausschicken, wie sehr ich das Buch anfangs gar nicht lesen wollte.

Ich war nie ein Gamer und dachte ich würde mit dem Buch daher nix anfangen können. Hier ging es aber um so viel mehr als nur um Videospiele und um so viel mehr als eine normale Freundschaft. Warum das so ist finde ich gar nicht so einfach in Worte zu fassen. Es hat für mich einfach so viel auf den Punkt gebracht, so viel kluge nuancierte Einblicke gewährt in das, was Freundschaft ausmacht, auf das Leben und die Erfahrungen die Menschen im Laufe ihres Lebens machen – das hat mich wirklich schwer beeindruckt. Gabrielle Zevin verinnerlicht für mich das berühmte „show don’t tell“

Erzählt wird hauptsächlich die Geschichte von Sam und Sadie, doch auch Marx spielt eine große Rolle. Die beiden lernen sich als Kinder im Krankenhaus kennen, wo Sam als Patient und Sadie als Besucherin ihrer schwer kranken Schwester regelmäßig miteinander am Computer spielen. Nach Jahren treffen sie sich zufällig wieder, teilen noch immer die Liebe zum Computer spielen und entwickeln gemeinsam mit großer Unterstützung von Marx einige sehr erfolgreiche Computerspiele.

“What is a game?“ Marx said. „It’s tomorrow, and tomorrow, and tomorrow. It’s the possibility of infinite rebirth, infinite redemption. The idea that if you keep playing, you could win. No loss is permanent, because nothing is permanent, ever.”

Wir verfolgen die Entwicklung, Freundschaft, Entfremdung von Sam und Sadie durch Rückblicke in ihre Kindheit und über die nächsten 30 Jahre ihrer Beziehungen untereinander. Diese sind auch immer wieder durch Missverständnisse und Streiterei unterbrochen, die einem das Gefühl vermitteln diese Probleme sind Hindernisse wie sie in Computerspielen vorkommen.

Man muss definitiv kein Gamer sein, um dieses Buch zu lieben, aber ich kann mir fast nicht vorstellen, dass man dieses Buch lesen kann ohne Marx zu lieben!

So und jetzt ihr! Welches dieser Bücher habt ihr auch gelesen, wollt ihr lesen? Welche mochtet ihr? Welche nicht? Freue mich sehr von euch zu hören.

Alles was ich bin – Anna Funder

 

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Eine Ungarin, eine Deutsche und eine Tasmanierin sitzen in einer Bar in Luang Prabang morgens um 1, trinken Liquid Cocaine und unterhalten sich über …. ja genau, Ernst Toller ! Und die Deutsche muss hier gesagt werden, hatte leider die wenigste Ahnung von allen, da sie noch nie etwas von ihm gelesen, zumindest aber schon von ihm gehört hatte.

Das Buch handelt von einer Gruppe deutscher Dissidenten rund um Ernst Toller und ihren Aktivitäten in den Anfangsjahren von Hitlers Machtübernahme. Ihre Aktivitäten führen dazu, dass sie schließlich aus Deutschland flüchten müssen und sich größtenteils in London niederlassen, wo sie ihre Widerstandsaktivitäten im Untergrund weiterführen. Funder hat über diese Gruppe Freunde und deren Aktivitäten hauptsächlich durch Ruth Blatt erfahren, der einzigen Überlebenden aus der Gruppe, die nach Australien ausgewandert war und sich in Sydney mit Anna Funder anfreundete.

Schon Toller ist jemand, mit dem ich vage einen Namen und seine Rolle im Widerstand in Verbindung brachte, die anderen Protagonisten, wie zum Beispiel die Politikerin Mathilde Wurm, Anna Blatts Ehemann, der Journalist Hans Wesemann oder die charismatische Journalisten Dora Fabian, sie noch viel tiefer ins Dunkel der Geschichte abrutscht und ich bin froh, dass dieses Buch sie zumindest ein Stückchen weit einer breiteren Öffentlichkeit bekannt macht.

„Als Hitler an die Macht kam, lag ich in der Badewanne“. (was für ein erster Satz …)

Mir hat diese persönliche Verbindung eher gefallen, auch die Vermischung von Biografie und Roman, könnte mir aber vorstellen, dass es einige Menschen gibt, denen der Sinn nach mehr Sortenreinheit steht. Ich hatte das Gefühl, dass das Persönliche schnell in den Hintergrund geraten ist und die fiktive Dramatisierung von Ruths Leben und ihren Freunden im Mittelpunkt steht.

Ruth Blatt und ihre Freundin Dora Fabian, die sie von Kindesbeinen an kennt, sind unglaublich mutig in ihren Bemühungen, sich den überall schnell aufsteigenden Nazis zu widersetzen. Ihre Gruppe besteht überwiegend aus Intellektuellen, deren berühmtestes Mitglied der Dramatiker Ernst Toller ist. Sie bekämpfen die Nazis durch Zeitungsartikel und lassen sich durch physische und psychische Gewalt nicht von ihrer Arbeit abhalten. Auch nach ihrer Flucht nach London stellen sie ihre Bemühungen nicht ein, obwohl ihnen die Abschiebung nach Deutschland droht, machen sie unermüdlich weiter. Sie leben in einer unerträglichen Atmosphäre aus Angst, Verrat, Einsamkeit und Unsicherheit, die langsam aber sicher die Feundschaften und Liebschaften der Freundesgruppe untergräbt.

Diese Sorgen und Ängste sind keineswegs unbegründet. Einige werden aufgrund ihrer Aktivitäten zurück nach Deutschland geschickt, es gibt Verräter innerhalb der Gruppe und die Katastrophe nimmt ihren Lauf. Das Ruth diese Torturen und Gefahren tatsächlich überlebt hat, grenzt für mich an ein Wunder.

Dora und ihre Freundin Mathilde Wurm fand man 1935 tot in ihrer Londoner Wohnung. Ein höchstwahrscheinlich von der Gestapo inszenierter „Selbstmord“. Die britischen Untersuchungsbehörden beschäftigten sich eher oberflächlich mit den Ermittlungen und bestätigen am Ende den vermeintlichen Selbstmord.

Die Geschichte bildet sich aus zwei Erzählsträngen. Da ist einmal Ruth und die Geschichte ihrer Freundschaft mit Dora, erzählt aus heutiger Sicht und Tollers Geschichte seiner Beziehung zu Dora erzählt in New York im Jahr 1939 kurz vor seinem Selbstmord.

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Aus heutiger Sicht und mit dem Wissen was geschehen würde, kann man nur schwer nachvollziehen, dass die mutigen Menschen, die schon so früh vor Hitler warnten und die das Nazi-Regime von Anbeginn an bekämpften, international so wenig Gehör erhielten.

Ein wirklich schön geschriebener Roman, die Sprache einfach und von leiser Melancholie durchzogen. Spannend wie ein Thriller, eine Geschichte über Mut, Selbstlosigkeit, Beharrlichkeit, Verrat, Einsamkeit und Exil, die ich so schnell nicht werde vergessen können. In extremen Situationen sind manche Menschen zu Erstaunlichem fähig, bringen Mut auf, den sie sich wohl selbst so nicht zugetraut hätten. Anna Funder hat diesen heute nahezu vergessenen Menschen ein verdientes Denkmal gesetzt.

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Jetzt gibt wirklich keine Entschuldigung mehr. Ernst Tollers „Eine Jugend in Deutschland“ wird jetzt bestellt und gelesen, mit tasmanischen Teufeln ist nicht zu spaßen und ich bin auch noch neugieriger auf diesen mutigen Toller geworden, als ich es in Laos schon war.

„Am Ende unseres Lebens erinnern wir uns am lebhaftesten an jene, die wir geliebt haben, weil sie es sind, die uns geformt haben. Mit ihrer Hilfe sind wir zu dem geworden, was wir sind, wie eine Pflanze mit der Hilfe eines stützenden Pfahls wächst.“

„Toller beherrschte keinen Smalltalk, keine Kommunikationsebene für Bekannte. Er fixierte dich ein wenig zu lang mit diesen dunklen Augen. Seine einzige Umgangsart, mit jedem, war die vertrauliche. Die Frauen liebten ihn dafür. Er übersprang das ganze quälende Geplänkel, das vage Flirten, und redete, als kenne er sie und sei schon intim mit ihnen gewesen. Wer möchte sich nicht voll und ganz einem Mann hingeben, der sich jederzeit aufopfern würde, um die Welt zu retten?“

„Schmerz ist ebenso egoistisch wie Liebe. Er überwältigt Körper und Geist und nimmt Besitz von ihnen: du bist der Fleisch gewordene Schmerz – es bleibt nichts von dir übrig, das an einen anderen denken kann.“

„Behalte den Kopf oben. Lass die Schweine nicht sehen, wie fertig du bist.“

„Alles was ich bin“ ist im Fischer Verlag erschienen.