Sonnige Juni Lektüre

Der Juni war literarisch gesehen ein ausgezeichneter Monat. Viele spannende, interessante und bereichernde Bücher haben mich begleitet. Anfang Juni waren wir noch in England unterwegs, und die Reiseberichte aus Cornwall, Devon sowie Bath und Oxford werden bald folgen.

Hier wieder im Schnelldurchlauf die gelesenen Bücher aus dem Juni in alphabetischer Reihenfolge. Bin wie immer gespannt. Welche kennt ihr? Wie fandet ihr sie? Auf welche konnte ich euch neugierig machen?

Über die Berechnung des Rauminhalts I/Om udregning af rumfang #1 – Solvej Balle aus dem dänischen übersetzt von Peter Urban-Halle, erschienen im Matthes & Seitz Verlag

In „Über die Berechnung des Rauminhalts I“ von Solvej Balle, meisterhaft aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle übersetzt, wird die Geschichte von Tara Selter erzählt, einer Buchhändlerin, die nach dem Besuch einer Antiquariatsmesse in Bordeaux in eine mysteriöse Zeitschleife gerät. Während der Rest der Welt, einschließlich ihres Mannes Thomas, den 18. November immer wieder neu erlebt, ist Tara gefangen in einer ständigen Wiederholung dieses Tages. Diese einzigartige Prämisse bietet Balle die Möglichkeit, tief in die Mechaniken und die Monotonie einer solchen Zeitschleife einzutauchen und gleichzeitig eine ungewöhnliche Liebesgeschichte zu erzählen.

Obwohl Geschichten, die auf dem „Groundhog Day“-Prinzip beruhen, mich durch ihre Wiederholungen oft in den Wahsinn treiben, hat mich Balles Werk erstaunlicherweise komplett gefesselt. Die Ruhe und Poesie ihrer Sprache verleihen der Erzählung eine meditative Qualität, die mich sofort gepackt hat und auch tief bewegend ist. Der Text strahlte eine leise, Melancholie aus, die sich sehr mit meiner aktuellen inneren Wetterlage deckt.

„Das plötzliche Gefühl etwas Unerklärliches zu teilen, die Verwunderung, dass es den anderen gibt – den Menschen, der alles so einfach macht -, das Gefühl, Ruhe gefunden zu haben und gleichzeitig in Turbulenz versetzt worden zu sein.“

Balle beschreibt nicht nur die äußere Wiederholung, sondern auch die innere Entwicklung von Tara. Während die ersten sechzig Tage des „Schwindels“ für Tara noch eine Art Freiheit darstellen, beginnt sie allmählich die Konsequenzen ihrer Situation zu erkennen. Die Zeit bleibt für Thomas stehen, während Tara altert und sich verändert. Diese Diskrepanz führt zu einer schmerzhaften Distanz zwischen den beiden, die zuvor so innig miteinander verbunden waren. Die Beziehung des Paares wird auf eine harte Probe gestellt, als Tara zunehmend versessen darauf wird, aus der Zeitschleife auszubrechen.

Ein weiteres bemerkenswertes Element ist die Art und Weise, wie Balle die Protagonistin und den Leser dazu zwingt, eine besondere Sensibilität für Details zu entwickeln. Die repetitive Natur der Erzählung lenkt den Fokus auf die Feinheiten des Alltags und den Umgang mit der Umwelt.

Es entsteht eine „existenzielle Parabel“, die nicht nur die stille Panik der Heldin einfängt, sondern auch eine tiefere Reflexion über das menschliche Dasein anstößt.

Die Übersetzung von Peter Urban-Halle fängt den rhythmischen und tastenden Balle-Sound nahezu verlustfrei ein, was wesentlich zur Wirkkraft des Romans beiträgt. Minimalistisch und doch mit einem großen literarischen Rhythmusgefühl schafft es Balle, die stille Panik und die innere Zerrissenheit ihrer Protagonistin darzustellen.

Besonders spannend finde ich, dass „Über die Berechnung des Rauminhalts I“ nur der erste Band eines groß angelegten siebenbändigen Romanprojekts ist. Ich freue mich schon sehr auf die weiteren Bände. Balle hat mit diesem Werk nicht nur die Fiktion von der Wirklichkeit befreit, sondern auch eine faszinierende Geschichte über Zeit, Veränderung und Liebe geschaffen.

Insgesamt hat mich „Über die Berechnung des Rauminhalts I“ tief beeindruckt und berührt. Es ist ein Buch, das trotz seiner repetitiven Struktur eine meditative Ruhe ausstrahlt und den Leser in eine poetische Welt voller leiser Melancholie entführt. Solvej Balle hat ein Meisterwerk geschaffen, das die Mechaniken der Zeit auf faszinierende Weise erkundet und dabei eine ungewöhnliche und berührende Liebesgeschichte erzählt.

Schlafen – Theresia Enzensberger erschienen im Hanser Verlag

Theresia Enzensbergers Buch ist ein philosophischer Streifzug durch die Nacht – und eine persönliche Erkundung der Schlaflosigkeit. Als langjährige, eigentlich lebenslange Schlaflosigkeitsveteranin weiß ich, wovon ich spreche, und man kann meiner Empfehlung hier vertrauen: Dieses Buch ist großartig und eine ganz große Empfehlung.

Enzensberger beginnt in der zähneknirschenden Leichtschlafphase mit einem Essay über die Moralisierung von Schlaf, Traum als politische Metapher und die Folgen allgemeinen Schlafmangels. Schlaf wird hier als gesellschaftlich und politisch aufgeladener Zustand dargestellt, der oft als persönliches Versagen gewertet wird, obwohl er viele komplexe Ursachen haben kann.

Fast unmerklich wird der Text in der Tiefschlafphase privater und innerlicher. Enzensberger eröffnet eine intensivere, persönlichere Sicht auf die Welt, die Kunst und die Literatur, indem sie ihre eigenen Erfahrungen mit Schlaflosigkeit reflektiert und mit den Gedanken anderer Künstler und Denker verknüpft. Diese Phase wirkt wie ein stilles Gespräch mit dem Leser, in dem Enzensberger ihre tiefsten Gedanken und Gefühle teilt.

Der Traum und die REM-Phase sind die Momente, in denen Enzensberger den Raum des Realen verlässt und etwas Neues wagt. Hier wird das Buch besonders spannend, da sie beginnt, die Essenz eines menschlichen Grundbedürfnisses zu begreifen, das sich unserer Macht entzieht. Sie nimmt den Leser mit auf eine Reise in die Welt der Träume und zeigt, wie diese unsere Wachwelt beeinflussen und widerspiegeln.

Enzensbergers Buch ist nicht nur eine persönliche Erzählung, sondern auch eine gesellschaftskritische Analyse. Sie zeigt, wie Schlaflosigkeit in unserer modernen Gesellschaft oft pathologisiert wird und welche wirtschaftlichen und politischen Interessen dahinterstehen. Der Leser erfährt, wie Schlafmangel genutzt wird, um gesellschaftliche Strukturen zu stützen, und wie dies unsere Wahrnehmung und Behandlung von Schlaflosigkeit beeinflusst. Enzensberger bietet aufschlussreiche Perspektiven zur Pathologisierung der Insomnie.

„Ich habe Phasen. Manchmal gleiche ich wochenlang einer Person, die von all diesen Problemen noch nie gehört hat – ich lege mich hin, mache die Augen zu und bin weg. Dann aber kommt verlässlich eine insomnische Phase. Es ist unmöglich, vorher zu wissen, wie lange sie dauern wird, aber immer ist sie gekennzeichnet durch nächtelanges Wachliegen und ein paar Stunden gnädigen Schlafs am Morgen. An Tag drei oder vier setzt die Verzweiflung ein, es wird immer schwieriger zu funktionieren. Meine Gedankenwelt wird obsessiv und panisch, und mich verfolgt die irrationale Frage: Was, wenn ich nie wieder schlafen kann?“

Schlaf wird nur dann gewürdigt wird, in unserer kapitalistischen Gesellschaft, wenn er die Arbeitskraft wiederherstellt; ansonsten wird er herabgewürdigt, auch sprachlich. Diese Gedanken sind nicht ganz neu, aber sie sind dennoch relevant und gut in den Kontext der modernen Gesellschaft eingebettet.

Zusammenfassend ist Theresia Enzensbergers Buch eine tiefgründige, fürsorgliche und bewegende Auseinandersetzung mit einem Thema, das viele Menschen betrifft, aber selten so ehrlich und umfassend behandelt wird. Ihre klugen Beobachtungen und persönlichen Einblicke machen das Buch zu einer wertvollen Lektüre für alle, die sich mit Schlaflosigkeit auseinandersetzen – sei es aus persönlicher Erfahrung oder aus Interesse an den gesellschaftlichen und philosophischen Implikationen.

Leben auf dem Land/A Country Year – Sue Hubbell übersetzt von Barbara Heller erschienen im Diogenes Verlag

„Leben auf dem Land“ von Sue Hubbell, aus dem Amerikanischen von Barbara Heller übersetzt und ergänzt durch ein Vorwort der Autorin sowie ein Nachwort von Literatur-Nobelpreisträger J.M.G. Le Clézio, ist ein charmantes und informatives Buch über das Landleben und die faszinierende Welt der Natur. Sue Hubbell, die einst als Bibliothekarin arbeitete und später zur Bienenzüchterin wurde, nimmt uns mit auf ihre Reise in die Ozark Mountains im südlichen Missouri, wo sie nach dem Ende ihrer dreißigjährigen Ehe ein neues Leben beginnt.

Das Buch ist mehr als eine einfache Erzählung über das Landleben; es ist eine Liebeserklärung an die Natur mit einem feinen Sinn für Humor und einer beeindruckenden naturwissenschaftlichen Kenntnis. Sie beschreibt das Zusammenspiel von Bienen, Insekten, Pflanzen und anderen Tieren. Ihre Begeisterung für diese kleinen Wunder der Natur ist wirklich ansteckend. Wer hätte gedacht, dass sechzigtausend Bienen, die gleichzeitig ihre Flügel schlagen, einen sanften Wind erzeugen, oder dass Fledermäuse mit Nachtfaltern kommunizieren – ihren potenziellen Mahlzeiten?

„Alles in allem aber hat die Welt meinen Versuchen, sie zu retten, listig und vergnügt widerstanden.“

Hubbell’s Mischung aus persönlichen Erlebnissen und wissenschaftlichen Beobachtungen macht das Buch besonders lesenswert. Sie erzählt ehrlich und mit einem trockenen Humor von den Herausforderungen und Freuden des Lebens auf einer einsamen Farm. Ihre Beschreibungen sind authentisch und erfrischend ungekünstelt, was das Buch umso sympathischer macht. Anstatt das Landleben idyllisch zu verklären, zeigt sie es in seiner ganzen Realität – mit all seinen schönen, aber auch anstrengenden Seiten.

Die vielen Spinnen, die im Buch vorkommen, könnten manchen Lesern etwas zu viel sein, aber die Bienen machen echt Lust sich selbst mal mit der Imkerei zu beschäftigen (das ging mir bei „The Offing“ auch gerade so) – ein Zeichen?

The Lowland – Jhumpa Lahiri auf deutsch unter dem Titel „Das Tiefland“ im Rowohlt Verlag erschienen

Jhumpa Lahiris Roman „The Lowland“ hat mich tief beeindruckt und stellt ein weiteres Highlight in meinem herausragenden Lesejahr 2024 dar.

Many thanks to @leila.ganesan for being an absolute gorgeous book model 🙂

Der Roman entfaltet eine vielschichtige Geschichte, die sowohl persönliche als auch politische Dimensionen berührt. Lahiri erzählt von den Brüdern Udayan und Subhash, die in den 1960er Jahren in Kalkutta aufwachsen. Während der jüngere Udayan sich der radikalen Naxaliten-Bewegung anschließt, bleibt der ältere Subhash zurückhaltend und pragmatisch. Udayans Tod durch die Polizei markiert einen Wendepunkt, der das Leben beider Brüder und ihrer Familien nachhaltig prägt.

Die Beziehung zwischen Bela und ihrer Mutter Gauri ist besonders eindrucksvoll und komplex geschildert. Gauri, die schwangere Witwe Udayans, wird von Subhash geheiratet, um sie vor dem Druck der konservativen Familie zu schützen. Doch trotz dieser Rettung bleibt Gauri emotional distanziert und konzentriert sich auf ihre akademische Karriere. Bela wächst mit dem Gefühl des Verlusts und der Entfremdung auf, geprägt von der Abwesenheit und emotionalen Kälte ihrer Mutter. Lahiri gelingt es, diese Mutter-Tochter-Beziehung mit großer Sensibilität und Tiefe darzustellen, was mich nachhaltig beschäftigt hat.

Udayans Engagement in der Naxaliten-Bewegung und sein tragisches Ende verdeutlichen, wie politische Ideologien und Kämpfe das individuelle Schicksal und die Familienbande beeinflussen können. Subhashs Flucht in die USA und sein Versuch, ein ruhigeres, geordnetes Leben zu führen, kontrastieren stark mit Udayans leidenschaftlichem, aber zerstörerischem Engagement.

„Were her mother ever to stand before her, even if Bela could choose any language on earth in which to speak, she would have nothing to say. But no, that’s not true. She remains in constant communication with her. Everything in Bela’s life has been in reaction. I am who I am, she would say, I live as I do because of you.“

Lahiris Prosa ist dabei von einer melancholischen Schönheit geprägt, die die Schauplätze lebendig werden lässt. Die Beschreibungen der Küstenlandschaften Neuenglands und die Erinnerungen an die Lowlands Kalkuttas sind besonders eindrucksvoll und man hat sofort einprägsame Bilder im Kopf. Die narrative Struktur des Romans, die zwischen verschiedenen Zeiten und Perspektiven wechselt, verleiht der Geschichte eine besondere Tiefe und Vielschichtigkeit.

„The Lowland“ ist kein epischer Roman im herkömmlichen Sinne, sondern eher eine intime Erzählung über die Zerbrechlichkeit menschlicher Beziehungen und die tiefen Wunden, die politische Konflikte hinterlassen können. Die Charaktere wirken in ihrer Misere oft isoliert und gefangen in ihrer persönlichen Trauer. Besonders Gauri bleibt in ihrer undurchsichtigen Art faszinierend und rätselhaft.

Lahiri hat mit „The Lowland“ einen Roman geschaffen, der durch seine emotionale Intensität und die feinfühlige Darstellung komplexer familiärer Beziehungen besticht. Es ist ein Buch, das nachhallt und zum Nachdenken anregt, nicht nur über die Charaktere und ihre Schicksale, sondern auch über die größeren politischen und sozialen Zusammenhänge, in denen sie sich bewegen. Ein wahrhaft bemerkenswertes Werk, das meinen Lesehorizont in diesem Jahr bereichert hat und ganz sicherlich nicht der letzte Roman den ich von Jhumpa Lahiri lesen werde.

Up at the Villa – W. Somerset Maugham auf deutsch unter dem Titel „Oben in der Villa“ im Diogenes Verlag erschienen

„Up in the Villa“ von W. Somerset Maugham ist ein packender Kurzroman, der einen von Anfang bis Ende nicht loslässt. Die Geschichte spielt in den malerischen Hügeln über Florenz und dreht sich um Mary Leonard, eine junge englische Witwe, die vor einer wichtigen Entscheidung steht. Maugham zeigt hier wieder einmal seine meisterhafte Erzählkunst und sein Gespür für menschliche Abgründe und Schicksalswendungen.

Mary wird von einem reichen, älteren Freund um ihre Hand gebeten, zögert aber mit ihrer Antwort. Bei einer abendlichen Fahrt in die Hügel trifft sie auf einen gut aussehenden, aber verzweifelten deutschen Flüchtling. Diese Begegnung löst eine Kette von Ereignissen aus, die Marys Leben komplett auf den Kopf stellen. Innerhalb weniger Stunden muss sie sich mit Leidenschaft, Gewalt und moralischen Dilemmas auseinandersetzen.

Maughams klarer und flüssiger Schreibstil macht das Buch zu einem echten Pageturner. „Up in the Villa“ ist nicht nur eine Geschichte über Liebe und Verlangen, sondern auch über das flüchtige Glück und die schwierigen Entscheidungen im Leben.

W. Somerset Maugham, geboren 1874 in Paris, war ein vielseitiger Autor, der oft die dunkleren Seiten des menschlichen Lebens in seinen Werken thematisierte. Seine zahlreichen Reisen und vielfältigen Erfahrungen fließen in seine Geschichten ein und geben ihnen Authentizität und Tiefe.

Die Verfilmung des Romans aus dem Jahr 2000, unter der Regie von Philip Haas, fängt die Atmosphäre und die emotionalen Nuancen des Buches hervorragend ein. Kristin Scott Thomas glänzt in der Rolle der Mary und bringt die inneren Konflikte der Figur überzeugend zur Geltung. Der Film bleibt der Vorlage treu und ergänzt sie durch beeindruckende Bilder der toskanischen Landschaft.

„The Princess gave him another of those quiet smiling looks of hers in which there was the indulgence of an old rip who has neither forgotten nor repented of her naughty past and at the same time the shrewdness of a woman who knows the world like the palm of her hand and come to the conclusion that no one is any better than he should be.“

„Up in the Villa“ hat mich wirklich überrascht und begeistert. Es war mein erstes Buch von Maugham, aber sicher nicht mein letztes. Die spannende Geschichte und die tiefgründigen Charaktere machen Lust auf mehr von diesem großartigen Autor.

The Offing – Benjamin Myers auf deutsch unter dem Titel „Offene See“ im Dumont Verlag erschienen, übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann

Bin mir nie sicher, ob ich Dulcie sein möchte oder gerne eine Dulcie in meinem Leben hätte. Auch beim zweiten Lesen wieder so so schön. Auf dem Balkon sitzen, in Gedichtbänden blättern, Weißwein trinken und fluchen dass die Farbe von der Wand fällt – perfekt!

„There is poetry in silence but most of us don’t stop to hear it. They must talk, talk, talk, but say nothing because they are afraid of hearing their own heartbeat.

Let poetry and music and wine and romance guide the way. Let liberty prevail.“

Der junge Robert weiß schon früh, dass er wie alle Männer seiner Familie Bergarbeiter sein wird. Dabei ist ihm Enge ein Graus. Er liebt Natur und Bewegung, sehnt sich nach der Weite des Meeres. Daher beschließt er kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, sich zum Ort seiner Sehnsucht, der offenen See, aufzumachen. Fast am Ziel angekommen, lernt er eine ältere Frau kennen, die ihn auf eine Tasse Tee in ihr leicht heruntergekommenes Cottage einlädt. Eine Frau wie Dulcie hat er noch nie getroffen: unverheiratet, allein lebend, unkonventionell, mit sehr klaren und für ihn unerhörten Ansichten zu Ehe, Familie und Religion. Aus dem Nachmittag wird ein längerer Aufenthalt, und Robert lernt eine ihm vollkommen unbekannte Welt kennen.

Das wurde ganz überraschend für mich ein richtiges Herzensbuch. Jede:r von uns braucht eine Dulcie im Leben. Ein Buch das ich ganz besonders in diesen dunklen Zeiten empfehlen kann. Es macht die Welt ein kleines bisschen besser.

Mit brennender Geduld/El cartero de Neruda – Antonio Skármeta übersetzt von Willi Zurbrüggen erschienen im Piper Verlag

Antonio Skármetas Roman „Mit brennender Geduld“ ist eine liebevolle Hommage an den großen chilenischen Dichter Pablo Neruda und erzählt die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft. Der junge Mario Jiménez, ein träumerischer Briefträger in dem kleinen Dorf Isla Negra, hat nur einen einzigen Kunden: den weltberühmten Dichter Neruda. Zwischen dem naiven Mario und dem erfahrenen Literaten entwickelt sich eine tiefe Freundschaft. Mit Hilfe von Nerudas Gedichten gewinnt Mario das Herz seiner geliebten Beatriz. Die beiden heiraten, und Neruda wird Pate ihres ersten Sohnes.

Die politische Lage in Chile spiegelt sich in der Geschichte wider. Nach Salvador Allendes Wahlsieg 1970 wird Neruda Botschafter in Paris und gewinnt 1971 den Nobelpreis für Literatur. Nach dem Militärputsch unter Pinochet kehrt Neruda zurück nach Chile, das in Terror und Gewalt versinkt. Auch Marios Welt zerbricht, und Neruda stirbt wenige Tage nach dem Putsch unter mysteriösen Umständen.

Der Roman ist poetisch und melancholisch, eine Feier der Poesie und des Lebens. Skármeta erzählt die Geschichte mit einer Intensität, die tief unter die Haut geht.

Der Roman wurde zweimal verfilmt, wobei die zweite Verfilmung „Il Postino“ von Michael Radford besonders bekannt und einer meiner absoluten Lieblingsfilme ist. Der Film verlegt die Handlung von Chile in die 1950er Jahre an die Amalfi Küste.

Der Film, der auf den Inseln Procida und Salina im Golf von Neapel gedreht wurde, begeistert mich durch seine malerische Kulisse und die bewegende Geschichte.

Als ich kürzlich während meines Pompeij Aufenthaltes in Sorrento war, bin ich überraschend auf das Wohnhaus von Beatrice gestossen 😉

Das Buch und der Film ergänzen sich wunderbar. Während das Buch tief in die chilenische Geschichte eintaucht, bietet der Film eine romantische Interpretation in einem wunderschönen italienischen Setting. Beide Versionen machen Lust darauf, Nerudas Gedichte wieder hervorzukramen und sich von ihrer Magie verzaubern zu lassen.

Hier mein Lieblingsgedicht von Neruda:

Tonight I can write the saddest lines.

Write, for example, ‚The night is starry and the stars are blue and shiver in the distance.‘

The night wind revolves in the sky and sings.

Tonight I can write the saddest lines.
I loved her, and sometimes she loved me too.

Through nights like this one I held her in my arms.
I kissed her again and again under the endless sky.

She loved me, sometimes I loved her too.
How could one not have loved her great still eyes.

Tonight I can write the saddest lines.
To think that I do not have her. To feel that I have lost her.

To hear the immense night, still more immense without her.
And the verse falls to the soul like dew to the pasture.

What does it matter that my love could not keep her.
The night is starry and she is not with me.

This is all. In the distance someone is singing. In the distance.
My soul is not satisfied that it has lost her.

My sight tries to find her as though to bring her closer.
My heart looks for her, and she is not with me.

The same night whitening the same trees.
We, of that time, are no longer the same.

I no longer love her, that’s certain, but how I loved her.
My voice tried to find the wind to touch her hearing.

Another’s. She will be another’s. As she was before my kisses.
Her voice, her bright body. Her infinite eyes.

I no longer love her, that’s certain, but maybe I love her.
Love is so short, forgetting is so long.

Because through nights like this one I held her in my arms
my soul is not satisfied that it has lost her.

Though this be the last pain that she makes me suffer
and these the last verses that I write for her.

Translation by W. S. Merwin

Nah genug weit weg – Antje Rávic Strubel erschienen im Wallstein Verlag

In „Nah genug weit weg“ nimmt uns Antje Rávik Strubel auf eine spannende Reise durch die Bedeutung von Orten in der Literatur mit. Strubel ist eine Autorin, die für ihre tiefgründigen und oft politisch angehauchten Romane bekannt ist. Ihre Geschichten entstehen meistens in fremden Gegenden, wo sie sich selbst nicht wiedererkennt – genau dort, wo die Orientierung fehlt und neue Sichtweisen entstehen können.

Bei ihren Lichtenberg-Poetikvorlesungen in Göttingen im Februar 2023 sprach Strubel über ihren kreativen Prozess. Sie erklärte, wie aus persönlichen Erfahrungen literarisches Material wird und wie sich diese Erfahrungen poetisch umsetzen lassen. Besonders spannend ist ihre Frage, wie politisch Literatur heutzutage sein kann oder sogar sein sollte.

Strubel ist überzeugt, dass Orte und Landschaften einen großen Einfluss auf Menschen und ihre Denkweise haben. Sie fragt sich, ob die konkrete Erfahrung eines Ortes auch die Art und Weise beeinflusst, wie ihre Figuren sprechen und handeln. Und was passiert eigentlich an den Übergängen zwischen verschiedenen Orten? Ihre Werke zeigen, dass manche Orte vielleicht nur deshalb existieren, weil jemand über sie geschrieben hat – eine ziemlich interessante Idee.

„Und mit Virginia Woolf ließe sich hinzufügen: „Als Frau habe ich kein Land. Als Frau ist mein Land die ganze Welt“ Besitz, Herkunft, familäre Zugehörigkeit taugten nicht als Kriterien, um die Beziehung von Frauen zu Orten zu beschreiben. Frauen besaßen nichts, und wenn sie heirateten, tauschten sie den Wohnsitz der Herkunftsfamilie gegen den des Mannes. Sie wurden verschickt.
Wer aber kein Land hat, hinterlässt auch keine Spuren. Da ist keine feste Burg, in der man sich verschanzen, keine Mauern, denen etwas einprägt, keine Erde, der etwas eingepflanzt werden könnte, auf der man etwas hinterlässt.“

„Ein Holzhaus aus der Jahrhundertwende. Eine Schäreninsel. Ein Schiff. Ein Plattenbau. Felsen und Moore.“ Diese Orte haben für Strubel eine besondere Bedeutung und prägen ihre Geschichten. Sie lässt uns darüber nachdenken, wo wir uns selbst beim Schreiben oder Lesen befinden.

„Nah genug weit weg“ ist ein faszinierender Einblick in Strubels kreative Welt und zeigt, wie Orte nicht nur Kulisse, sondern auch Motor für Geschichten sein können.

Lichte Tage/Tin Man – Sarah Winman übersetzt von Elina Baumbach erschienen im Klett-Cotta Verlag

„Lichte Tage“ von Sarah Winman, im Klett-Cotta Verlag erschienen und von Elina Baumbach ins Deutsche übersetzt, ist ein wunderbares Buch, das mich sehr berührt hat. Es erzählt eine Geschichte über Freundschaft, Liebe und das Erwachsenwerden, die gleichzeitig melancholisch und voller Licht ist. Ich habe das Buch gelesen, weil ich dringend mehr lichte Tage brauchte, und es hat seinen Auftrag definitiv erfüllt.

Alles beginnt mit einem Gemälde: „Fünfzehn Sonnenblumen“ von Van Gogh. Dora Judd, eine Nebenfigur im Roman, hängt es an die Wand ihres Wohnzimmers und damit nimmt die Geschichte ihren Lauf. Dieses Bild wird zum Symbol für die Sehnsucht nach Kunst und Schönheit, die Ellis und Michael durch ihr ganzes Leben begleitet.

Ellis und Michael lernen sich in Oxford kennen, einem eher grauen und tristen Ort, aus dem sie beide entfliehen wollen. Ihre Freundschaft ist sofort tief und besonders, und gemeinsam machen sie sich auf den Weg in den sonnigen Süden Frankreichs. Dort, unter der warmen Sonne und umgeben von Poesie, entdecken sie, wer sie wirklich sind und was sie vom Leben wollen. Diese Reise ist nicht nur eine Flucht vor ihrem Alltag, sondern auch eine Suche nach sich selbst und nach Freiheit.

„Die erste Liebe hat so etwas an sich, nicht wahr?“ sagte sie. „Sie ist unantastbar für die, die nicht dabei waren. Aber sie ist der Maßstab für alles, was kommt.“

Im ersten Teil des Buches erfahren wir viel über Ellis. Er ist mittlerweile 46 Jahre alt und arbeitet in einer Autowerkstatt in Oxford. Seine Träume, Künstler zu werden, wurden nach dem Tod seiner Mutter von seinem strengen Vater zerschlagen. Jetzt ist er ein einsamer Mann, der immer noch um seine verstorbene Frau trauert. Seine Erinnerungen an die Vergangenheit sind sowohl schmerzhaft als auch schön.

Im zweiten Teil wechselt die Perspektive zu Michael. Er erzählt von seinem Leben in London und seiner besonderen Beziehung zu Ellis. Ihre kurze, aber intensive Liebesaffäre in Südfrankreich ist eine Mischung aus jugendlicher Sehnsucht und der bittersüßen Erkenntnis, dass manche Träume nie wahr werden. Michael erinnert sich an diese Zeit mit großer Wärme und Bedauern.

Sarah Winman schreibt mit einer Sensibilität und Einfühlsamkeit, die einen wirklich berührt. Ihre Beschreibungen von Beziehungen und Landschaften sind voller Energie und doch zurückhaltend. Besonders mochte ich, wie sie die Themen sexuelle Identität und die AIDS-Epidemie der 1980er Jahre behandelt – mit viel Verständnis und Mitgefühl.

„Lichte Tage“ ist ein Roman über die Möglichkeiten und verpassten Chancen des Lebens. Es geht um die Suche nach Identität, die Kraft der Freundschaft und die vielen Facetten der Liebe. Winman hat es geschafft, mit ihrer klaren Sprache und ihrem tiefen emotionalen Verständnis ein Buch zu schreiben, das lange nachhallt. „Lichte Tage“ hat mich daran erinnert, dass trotz aller Verluste und Schmerzen immer noch Hoffnung und Schönheit in der Welt existieren. Wenn du gerade lichte Tage brauchst, dann ist dieses Buch genau das Richtige für dich.

Der Salzpfad/The Salt Path – Raynor Winn übersetzt von Heide Horn und Christa Prummer-Lehmair erschienen im Goldmann Verlag

„Der Salzpfad“ von Raynor Winn ist eine inspirierende Geschichte, die zeigt, wie man auch in den dunkelsten Zeiten neuen Mut finden kann (!?). Raynor und ihr Mann Moth verlieren nach über 30 Jahren Ehe plötzlich alles: Ihr Haus wird gepfändet und Moth wird mit einer unheilbaren Nervenkrankheit diagnostiziert. In dieser ausweglosen Lage packen sie ihre Sachen und beschließen, den South West Coast Path zu wandern – einen mehr als tausend Kilometer langen Küstenpfad in Südengland.

Dieser Weg ist kein Spaziergang im Park. Er ist Englands längster Fernwanderweg, mit Höhenmetern, die dem vierfachen Aufstieg des Mount Everest entsprechen. Die beiden leben dreieinhalb Monate lang von Moths kleiner Rente, zelten wild und ernähren sich oft nur von Brombeeren und Löwenzahn. Doch „Der Salzpfad“ ist kein Überlebensratgeber. Es geht vielmehr darum, wie die beiden auf ihrer Reise wieder Hoffnung und neuen Lebenssinn finden.

Raynor beschreibt ihre Erlebnisse und Begegnungen mit den Menschen entlang des Weges mit viel Humor und einem scharfen Blick für Details. Ob Landwirte, Surfer, Soldaten oder Outdoor-Enthusiasten – die Vielfalt der Charaktere, denen sie begegnen, macht das Buch sehr interessant. Die Reise führt sie an den Rand der Gesellschaft und lässt sie das Leben aus einer ganz neuen Perspektive sehen.

Während unseres Urlaubs in England kürzlich sind wir an der Englischen Riviera ein Stück des Weges gewandert – großes Highlight!

Die Dialoge sind oft kurz und treffend, und Raynor erzählt ihre Geschichte mit einer angenehmen Portion Selbstironie. Gleich zu Beginn des Buches gibt es einen interessanten historischen Exkurs über die Verfolgung von Bettlern und Landstreichern in Großbritannien, was ihre eigene Situation als unfreiwillige Vagabunden in einen größeren Zusammenhang stellt.

Das Buch beginnt mit einem Zitat aus der Odyssee: „Muse, erzähl mir vom Manne, dem wandlungsreichen, den es oft abtrieb vom Wege.“ Dieser Satz passt perfekt zu der Geschichte von Raynor und Moth, die ohne klares Ziel losziehen und dabei nicht nur ihre Würde, sondern auch neue Lebensfreude finden. Raynor scheut sich nicht vor emotionalen Momenten, aber sie wird nie kitschig oder rührselig.

„Der Salzpfad“ ist ein warmherziger und menschlicher Reisebericht, der zeigt, dass Hoffnung und ein neuer Anfang möglich sind, selbst wenn alles verloren scheint. Raynor Winn nimmt uns mit auf eine Reise, die uns lehrt, uns der Schönheit der Natur und der Stärke des menschlichen Geistes bewußt zu werden. Kein Wunder, dass dieses Buch in Großbritannien so erfolgreich ist – es trifft mitten ins Herz und macht unfassbar Lust darauf selbst die Wanderschuhe zu schnüren – auf den Teil mit der Obdachlosigkeit und dem kompletten Bankrott würde ich nach Möglichkeit gerne verzichten.

Gerne gelesen, aber ich war nicht „blown-away“, muss die weiteren Bände nicht zwangsläufig lesen, würde es aber, wenn sie mir irgendwie, irgendwo in die Finger fallen.

So, falls ihr es tatsächlich bis hier unten ausgehalten habt – Respekt! Sorry ist doch a bisserl lang geworden fürchte ich. Hoffe ich konnte euch auf das eine oder andere Buch Lust machen und in ein paar Tagen gibt es dann den ersten Reisebericht. Kommt ihr mit?

Mai Lektüre

Heute habe ich mir beim Wandern ziemlich das Fell verbrannt, war anscheinend doch nicht vollumfänglich eingecremt. Daher verstecke ich mich jetzt auf der schattigen Terrasse vor der Sonne und schreibe jetzt endlich mal meinen Mai Rückblick, aufgrund der – nach wie vor nicht behobenen – Internetprobleme zu Hause war das vor dem Urlaub ja nicht mehr möglich.

Jetzt wieder im Sauseschritt und in alphabetischer Reihenfolge die Kurzvorstellungen der von mir im Mai gelesenen und zum Teil gehörten Bücher.

Birnam Wood – Eleanor Catton bislang noch nicht auf deutsch erschienen.

Es geht auch direkt mit einem Hörbuch los, einem das zu meinen bisherigen Jahres-Highlights gehört.

Vor fünf Jahren gründete Mira Bunting eine Guerrilla-Gartengruppe: Birnam Wood. Als nicht angemeldeter, nicht regulierter, manchmal krimineller, manchmal philanthropischer Zusammenschluss von Freunden pflanzt dieses Aktivistenkollektiv Pflanzen dort an, wo sie niemand bemerkt: an Straßenrändern, in vergessenen Parks und vernachlässigten Hinterhöfen. Seit Jahren kämpft die Gruppe darum, die Kosten zu decken. Dann stößt Mira auf eine Lösung, eine Möglichkeit, die Gruppe endlich langfristig aufzustellen: Ein Erdrutsch hat den Korowai-Pass geschlossen und die Stadt Thorndike abgeschnitten. Die Naturkatastrophe hat eine Gelegenheit geschaffen: eine große, scheinbar verlassene Farm.

Aber Mira ist nicht die einzige, die sich für Thorndike interessiert. Robert Lemoine, der rätselhafte amerikanische Milliardär, hat sich die Farm geschnappt, um dort seinen Endzeitbunker zu bauen – zumindest erzählt er das Mira, als er sie auf dem Grundstück erwischt. Er ist fasziniert von Mira, Birnam Wood und ihrem Unternehmergeist und schlägt ihnen vor, das Land zu bewirtschaften. Aber können sie ihm vertrauen? Und können sie sich gegenseitig vertrauen, während ihre Ideale und Ideologien auf die Probe gestellt werden?

“There’s something so joyless about the left these days,’ Tony continued, ‘so forbidding and self-denying. And policing. No one’s having any fun, we’re all just sitting around scolding each other for doing too much or not enough – and it’s like, what kind of vision for the future is that? Where’s the hope? Where’s the humanity? We’re all aspiring to be monks when we could be aspiring to be lovers.”

Birnam Wood ist ein fesselnder psychologischer Thriller des mit dem Booker Prize ausgezeichneten Autors von The Luminaries, der in seinem Witz, seiner Dramatik und der Vertiefung der Charaktere an Shakespeare erinnert. Es ist eine brillant konstruierte Betrachtung von Absichten, Handlungen und Konsequenzen und eine unnachgiebige Untersuchung des menschlichen Impulses, unser eigenes Überleben zu sichern.

Ein Buch bei dem ich teilweise bereut habe, dass ich es „nur“ als Hörbuch höre, denn ich hätte jede Menge Sätze anstreichen wollen. Ein überaus kluges, zum Nachdenken anregendes Buch mit dem ich mich noch immer beschäftige. Wird sich garantiert bei meinen Highlights 2023 wiederfinden.

Der Komponist und seine Richterin – Patricia Duncker übersetzt von Barbara Schaden erschienen im Berlin Verlag

Am Neujahrstag werden die Leichen entdeckt: sechzehn Tote im frisch gefallenen Schnee. Die Erwachsenen liegen steif im Halbkreis, die Kinder in Pyjamas und Mänteln zu ihren Füßen.

Als er den Bericht erhält, weiß Kommissar Andre Schweigen genau, wen er anrufen muss: Richterin Dominique Carpentier, auch bekannt als „Sektenjägerin“. Sie ist die anerkannte Expertin auf diesem Gebiet, brillant und unerbittlich rational, aber Schweigen hat seine eigenen Gründe, warum er sie für seinen Fall haben möchte. In dem verlassenen Chalet entdecken die Ermittler ein verschlüsseltes Buch mit Himmelskarten, das sie zu dem ungastlichen Komponisten Friedrich Gross führt. Doch während die skeptische Sektenjägerin das Vertrauen des Komponisten gewinnt, wird sie in eine Welt komplexer Familienbande und uralter kosmischer Überzeugungen hineingezogen, aus der sie nicht entkommen kann – und zunehmend auch nicht will -.

Der seltsame Fall des Komponisten und seines Richters ist ein metaphysisches Mysterium von außerordentlicher Kraft, das Glauben, Unsterblichkeit und Leidenschaft in Frage stellt.

Patricia Duncker ist eine wirklich spannende Autorin, die meines Erachtens viel mehr Beachtung verdient hätte. Dieser Roman reicht für mich nicht ganz an „The Deadly Space between“ heran, ist aber auch ein origineller Roman mit starken Bildern. Ich freue mich schon auf mein nächstes Patricia Duncker Buch, das bereits bereitliegt: Die Germanistin

The Shards – Bret Easton Ellis unter dem gleichnamigen Titel erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag, übersetzt von Stephan Kleiner

Mein erster Easton Ellis und ich war selten so hin- und hergerissen bei einem Buch ob ich es lesen soll oder nicht. Ja, denn ich mochte den Film „American Psycho“ – nein, weil Menschen auf deren Meinung ich viel Wert lege mir davon abhielten weil zu frauenfeindlich und blutrünstig. Ja, weil Buddy Donna Tartts die ich ungemein schätze, nein siehe oben. Die Entscheidung wurde mir dann abgenommen, da wir das Buch als Gastgeschenk mitgebracht bekamen und dann war es natürlich entschieden – ich wollte den Roman umgehend lesen und mir eine Meinung bilden.

Mir hat er ausgesprochen gut gefallen, man fällt beim Lesen in einen gruselig-wohligen 1980er Sommer, hat leichte Stephen King Assoziationen, aber nicht Kleinstadt sondern Los Angeles und das Buch hat einen ganz tollen Soundtrack.

Bret Easton Ellis‘ neuer Roman erzählt eine traumatische Geschichte: Während seiner eigenen Schulzeit war ein Serienmörder in L.A. eine Bedrohung für die Jugendlichen.

Der siebzehnjährige Bret ist in der Oberstufe der exklusiven Buckley Prep School, als ein neuer Schüler auftaucht. Robert Mallory ist intelligent, gutaussehend und charismatisch und zieht Bret magisch an. Bret ist sich sicher, dass Robert ein düsteres Geheimnis hat, und kann dennoch nicht verhindern, dass Robert Teil seiner Freundesgruppe wird. Als der Trawler, ein Serienmörder, der Jugendliche auf bestialische Weise umbringt, immer näher an ihn und seine Clique heranrückt, gerät Bret zunehmend in eine Spirale aus Paranoia und Isolation. Doch wie zuverlässig ist Bret als Erzähler?

Because movies were a religion in that moment, they could change you, alter your perception, you could rise toward the screen and share a moment of transcendence, all the disappointments and fears would be wiped away for a few hours in that church: movies acted like a drug for me. But they were also about control: you were a voyeur sitting in the dark staring at secret things, because that’s what movies were—scenes you shouldn’t be seeing and that no one on the screen knew you were watching.

„The Shards“ ist eine faszinierende Mischung aus Fakten und Fiktion, aus Realität und Fantasie, die auf brillante Weise das emotionale Gefüge von Brets Leben als Siebzehnjähriger auslotet – Sex und Eifersucht, Besessenheit und mörderische Wut. Fesselnd, raffiniert, spannend, eindringlich – nur wer seine Romane mit hübsch ordentlich sortierten Handlungsenden bevorzugt mag mit dem eher mehrdeutigen Ende vielleicht nicht ganz glücklich werden. Für mich war der Roman einer meiner Highlights.

Ewig Sommer – Franziska Gänsler erschienen im Kein & Aber Verlag

Eine junge Mutter kommt mit ihrer Tochter in ein Hotel, in dem schon lange keine Gäste mehr abgestiegen sind. Seitdem die Brände im benachbarten Wald toben, hat der einstige Kurort seinen Reiz verloren. Für Iris, die Besitzerin des Hotels, ist der unerwartete Besuch gleichzeitig willkommene Abwechslung und Grund zur Sorge: Irgendetwas scheint mit der Fremden nicht zu stimmen. Ist sie auf der Flucht vor ihrem Mann? Sollte sie der Frau, die sich nicht immer angemessen um ihre Tochter zu kümmern scheint, helfen? Oder müsste sie das Kind vor ihr schützen? Mit der Zeit kommen sich die beiden Frauen näher und fangen an, die Schatten ihrer Vergangenheit auszuleuchten. Iris ahnt, dass dieser Besuch früher oder später ein jähes Ende finden wird – unklar ist nur, aus welcher Richtung wirklich die Gefahr droht.

Eine Hitze. Das ist der Weltuntergang. So geht’s zu Ende mit uns

Franziska Gänsler schafft eine dystopische Atmosphäre in ihrem gelungenen Debüt, das einem dank der Hauptfiguren dennoch Zuversicht und Hoffnung vermitteln.

Mittagsstunde – Dörte Hansen erschienen im Penguin Verlag

Die Wolken hängen schwer über der Geest, als Ingwer Feddersen, 47, in sein Heimatdorf zurückkehrt. Er hat hier noch etwas gutzumachen. Großmutter Ella ist dabei, ihren Verstand zu verlieren, Großvater Sönke hält in seinem alten Dorfkrug stur die Stellung. Er hat die besten Zeiten hinter sich, genau wie das ganze Dorf. Wann hat dieser Niedergang begonnen? In den 1970ern, als nach der Flurbereinigung erst die Hecken und dann die Vögel verschwanden? Als die großen Höfe wuchsen und die kleinen starben? Als Ingwer zum Studium nach Kiel ging und den Alten mit dem Gasthof sitzen ließ? Mit großer Wärme erzählt Dörte Hansen vom Verschwinden einer bäuerlichen Welt, von Verlust, Abschied und von einem Neubeginn.

Man hatte hier als Mensch nicht viel zu melden. Man konnte gern rechts ranfahren, aussteigen, gegen den Wind anbrüllen und Flüche in den Regen schreien, es brachte nichts. Es ging hier gar nicht um das bisschen Mensch.

Mit dem Roman hat mich Dörte Hansen jetzt echt erwischt. Ich mochte das „Alte Land“ ganz gern, mit „Zur See“ bin ich nicht völlig warm geworden, aber die „Mittagsstunde“ die ist mein bislang liebster Roman von ihr. Danke noch mal an meine liebe Freundin Barbara, die ihn mir schenkte und schickte, weil sie mein lauwarmes Urteil zu Hansens neuestem Roman so nicht stehen lassen wollte und sie hatte ja auch wirklich Recht damit. Ein durch und durch norddeutsches Buch mit einem ganz eigenen Sound und Figuren mit denen ich jederzeit mal den einen oder anderen Schnapps kippen würde.

Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt – Jaroslav Kalfar übersetzt von Barbara Heller erschienen im Klett-Cotta Verlag

Der Roman war meine Begleitlektüre nach Karlovy Vary und ich habe hier schon kurz über den Roman geschrieben. Das war eine beglückende Lektüre und ich freue mich schon auf weitere Bücher des Autoren.

Salem’s Lot – Stephen King auf deutsch erschienen unter dem Titel „Brennen muss Salem“ im Heyne Verlag, übersetzt von Peter Robert

„Brennen muss Salem“ von Stephen King ist eine packende und gruselige Vampirgeschichte, die den Leser sehr schnell in seinen Bann zieht. Die Handlung spielt in der kleinen Stadt Jerusalem’s Lot und folgt dem Schriftsteller Ben Mears, als er zurückkehrt, um seine Kindheitsdämonen zu konfrontieren. Doch bald entdeckt er, dass die Stadt von einer finsteren Macht übernommen wird, die sich an den Bewohnern labt und sie in blutdurstige Kreaturen der Nacht verwandelt.

Kings meisterhafte Erzählweise und seine detaillierten Charaktere machen ‚Brennen muss Salem‘ zu einer wahrhaft unheimlichen Lektüre. Die atmosphärischen Beschreibungen und das Gefühl der Bedrohung durchdringen jede Seite und schaffen eine beunruhigende Stimmung, die noch lange nach dem Lesen des Buches anhält. Die vielfältige und fehlerhafte Besetzung von Charakteren verleiht der Geschichte Tiefe, und ihr Kampf gegen die herannahende Dunkelheit sorgt für eine fesselnde Handlung.

The basis of all human fears, he thought. A closed door, slightly ajar.

Mit seiner Mischung aus übernatürlichem Horror und psychologischem Spannungsbogen zeigt ‚Brennen muss Salem‘ Kings Fähigkeit, in die dunkelsten Ecken der menschlichen Natur einzutauchen. Es ist eine klassische Vampirgeschichte, die den Leser gleichermaßen erschreckt und fesselt und Kings Ruf als Meister des Genres festigt.

Habe nach der Lektüre die gleichnamige Verfilmung aus dem Jahr 1979 gesehen und fand die deutlich gruseliger als erwartet:

Intimacies – Katie Kitamura auf deutsch unter dem Titel „Intimitäten“ erschienen im Hanser Verlag, übersetzt von Kathrin Razum

Was braucht ein Ort, um zu einem Zuhause zu werden? Die heimatlose Erzählerin verlässt New York, um am Gerichtshof in Den Haag als Dolmetscherin zu arbeiten. Als sie Adriaan kennenlernt, scheint die Stadt zur Antwort ihrer Sehnsüchte zu werden. Doch dann verschwindet er zu seiner Noch-Ehefrau und hinterlässt nichts als Fragen. Fragen, die sich zu einem existenziellen Abgrund auftun, als sie für einen angeklagten westafrikanischen Kriegsverbrecher dolmetschen muss und zweifelt: Was ist kalkulierte Lüge, was Wahrheit? Glauben nur noch die Naiven an Gerechtigkeit? Wer kann über wen richten? Katie Kitamuras subtiler Roman ist ein anregendes intellektuelles Vergnügen mit hypnotischer Sogwirkung.

Interpretation can be profoundly disorienting, you can be so caught up in the minutiae of the act, in trying to maintain utmost fidelity to the words being spoken first by the subject and then by yourself, that you do not necessarily apprehend the sense of the sentences themselves: you literally do not know what you are saying. Language loses its meaning

Ein leiser Roman der eine Frau porträtiert die zwischen unterschiedlichen Wahrheiten gefangen ist. Die Mai Lektüre unseres Bookclubs hat allgemein Anklang gefunden, das interessante Einblicke in die Tätigkeit von Übersetzer*innen an einem Gerichtshof bietet, fürchte aber ich werde das Buch nicht sehr lange im Gedächtnis behalten.

The End of Men – Christina Sweeney-Baird auf deutsch unter dem Titel „Die andere Hälfte der Welt“ im Diana Verlag erschienen, übersetzt von Carola Fischer

Der Roman beginnt in London, wo Catherine, eine Sozialanthropologin mit einer glücklichen Ehe und einem bezaubernden 3-jährigen Sohn, eine Fruchtbarkeitsbehandlung vermeidet, weil sie einem zweiten Kind skeptisch gegenübersteht. Ein großer Fehler. Fünf Tage später, an „Tag 1“, stirbt ein Mann ohne ersichtlichen Grund in einem Krankenhaus in Glasgow. Nachdem zwei Tage später ein zweiter Mann dort stirbt und weitere erkranken, wittert die behandelnde Ärztin Amanda, selbst Ehefrau und Mutter zweier Söhne, eine nahende Katastrophe. Sie wendet sich an die kürzlich unabhängig gewordenen schottischen Gesundheitsbehörden, die ihre Bedenken abtun. Am 5. Tag ist „die Pest“, obwohl sie immer noch auf Schottland beschränkt ist, „alles, worüber man in London reden kann“. Und so breitet sich die Pest aus, Tag für Tag, in acht Abschnitten, die die Stadien von AUSBRUCH über PANIK und ANPASSUNG bis zur ERINNERUNG beschreiben. Obwohl Frauen Überträgerinnen sein können, erkranken nur Männer (jeden Alters), fast immer tödlich.

Die Überlebenden, d. h. die Frauen, erleben, was Überlebende heute erleben – Verlust, Isolation, Angst, Schuldgefühle, körperliche Schäden, finanzielle Krisen und gelegentlich auch Glück. Catherine und Amanda, die früh die Männer und Jungen in ihrem Leben verlieren, stehen im Mittelpunkt, während sie ihr Leben rekonstruieren. Doch die britische Autorin Sweeney-Baird wechselt den Fokus auf immer mehr Charaktere – wohlhabend, aus der Arbeiterklasse, in der Stadt, auf dem Land, weiß, schwarz, asiatisch, heterosexuell, LGBTQ+, britisch, amerikanisch, kanadisch, philippinisch – als hätte sie Angst, irgendeine soziale Untergruppe auszulassen. Eine oberflächliche Charakterentwicklung ist unvermeidlich. Aber eine fesselnde Besonderheit ist die Darstellung der brillanten schwulen kanadischen Wissenschaftlerin Lisa, einer Schurkin und viel gehassten Retterin, die die Pandemie als Sprungbrett zu Reichtum und Ruhm nutzt. In der Zwischenzeit werfen der Verlust des größten Teils der männlichen Weltbevölkerung und die Art und Weise, wie die Regierungen auf die Seuche reagieren, komplizierte ethische Fragen auf.

I have never felt so powerful. This must be what men used to feel like. My mere physical presence is enough to terrify someone into running. No wonder they used to get drunk on it.

Sweeney-Baird hat wohl sowas wie den Aktualitäts-Jackpots gewonnen. Sie hat das Buch bereits 2018 vor der Covid-19 Epidemie geschrieben.

Das Ende der Menschen ist ein intelligenter, unheimlich vorausschauender Roman, der gleichzeitig nachdenklich und hochemotional ist.

The end of the world running club – Adrian J Walker auf deutsch im Fischer Tor Verlag erschienen unter dem Titel „Am Ende aller Zeiten“ übersetzt von Nadine Püschel und Gesine Schröder

Adrian J Walker hat mit ›Am Ende aller Zeiten‹ einen postapokalyptischen Roman geschrieben, in dem ein ganz normaler Familienvater vor die größte Herausforderung seines Lebens gestellt wird.

Edgar Hill ist Mitte dreißig, und er hat sein Leben gründlich satt. Unzufrieden mit sich und seinem Alltag in Schottland als Angestellter, Familienvater und Eigenheimbesitzer, fragt er sich vor allem eins: Hat das alles irgendwann einmal ein Ende? Er ahnt nicht, dass sich die Katastrophe bereits anbahnt.
Als das Ende kommt, kommt es von oben: Ein dramatischer Asteroidenschauer verwüstet die Britischen Inseln. Das Chaos ist gigantisch, die Katastrophe total. Ganze Städte werden ausgelöscht. Straßen, das Internet, die Zivilisation selbst gehören plötzlich der Vergangenheit an. England liegt in Schutt und Asche. Ist dies der Weltuntergang?

That beast inside you, the one you think is tethered tightly to the post, the one you’ve tamed with art, love, prayer, meditation: it’s barely muzzled. The knot is weak. The post is brittle. All it takes is two words and a siren to cut it loose.

Edgar und seine Familie werden während der Evakuierung voneinander getrennt, und ihm bleibt nur eine Wahl: Will er Frau und Kinder jemals wiedersehen, muss er 500 Meilen weit laufen, durch ein zerstörtes Land und über die verbrannte Erde, von Edinburgh nach Cornwall. Zusammen mit einigen wenigen Gefährten begibt sich Edgar Hill auf einen Ultra-Marathon durch ein sterbendes Land. Doch sein Weg ist gefährlich: Im postapokalyptischen England kämpft jeder gegen jeden ums blanke Überleben.

Edgar ging mir ziemlich auf die Nerven. Ein rumheulendes Kind in der Gestalt eines Mannes, den ich mehrfach einfach nur schütteln wollte. Es wurde deutlich weniger gerannt als ich es vermutet hätte bei dem Titel. Es gibt noch einen Folgeband bei dem die Geschichte aus Sicht von Edgars Frau beschrieben wird – mal schauen, ob ich noch mal Lust und Energie dafür aufbringe. Wollte eigentlich die meiste Zeit rufen „run away from him“ 😉

So das wars jetzt aber mit der Mai Lektüre. Viel Dystopisch-gruseliges unter sonnigem Himmel – insgesamt ein guter Lesemonat. Welche Bücher kennt ihr, auf welche konnte ich euch Lust machen?