Neues Jahr, neue Bücher! Nach einem herausragenden Lesejahr 2024, in dem ich bereits im Januar drei Jahreshighlights entdecken durfte, startete 2025 etwas durchwachsener. Zwar gab es keinen völligen Reinfall, aber die beiden 5-Sterne-Bücher waren „Re-Reads“ – trotzdem war der Januar insgesamt ein interessanter und abwechslungsreicher Lesemonat.
Auf dem Bild oben fehlt im Übrigen leider F Scott Fitzgeralds „This side of Paradise“. Glatt vergessen auf dem Gruppenfoto. Aber in der Einzelbesprechung wird’s dabei sein. Heute glaub ich machen wir das einfach mal alphabetisch rückwärts, damit es hier keinem langweilig wird.
Und los geht’s:
Butter – Asako Yuzki erschienen im Blumenbar Verlag, übersetzt von Ursula Gräfe
Ich habe Butter von Asako Yuzuki fast in einem Rutsch gelesen – was irgendwie passend ist, wenn man bedenkt, wie sehr Essen und Genuss im Mittelpunkt dieses Romans stehen. Die Geschichte kombiniert Elemente eines Krimis mit tiefgehender Sozialkritik und ich bewundere jeden, der es schafft diesen Roman zu lesen ohne permanent hungrig zu sei. Ich mußte sogar die Lektüre unterbrechen um mir Reis mit Butter zu kochen.
Die Handlung dreht sich um Rika Machida, eine ehrgeizige Journalistin, die sich an einem spektakulären Fall die Zähne ausbeißt: die mysteriöse Manako Kajii, die mehrere Männer umgebracht haben soll. Kajii ist eine faszinierende Figur – talentierte Köchin, Femme fatale und zugleich Ziel von unerbittlicher medialer Hetze wegen ihres Aussehens und ihrer Lebensweise.
Was mich besonders an Butter beeindruckt hat, ist, wie Yuzuki den Fokus auf die Themen Misogynie, Körperbild und gesellschaftliche Erwartungen richtet. Während Rika Kajii immer wieder im Gefängnis besucht, verschwimmen die Grenzen zwischen Recherche und persönlicher Obsession. Die Gespräche der beiden Frauen sind mal provokativ, mal tiefsinnig, und sie zeigen, wie Essgewohnheiten und Selbstwahrnehmung oft von Kindheitstraumata und gesellschaftlichen Zwängen geprägt sind.
Essen war ein zutiefst persönliches und egoistisches Verlangen. Gourmets waren im Prinzip Suchende. Sie waren Tag für Tag mit ihren Bedürfnissen beschäftigt und auf Entdeckungsreise. Je aufwändiger sie kochten, desto besser gelang es ihnen, die Außenwelt auszuschließen und eine innere Festung zu errichten. Mit Klingen und Flammen rückten sie den Zutaten zu Leibe, um sie nach ihrem Willen zu formen.
Die Parallelen zwischen Rika und Kajii fand ich dabei spannend, aber auch beklemmend. Während Rika immer tiefer in die Welt von Kajii eintaucht, wird sie selbst zur Zielscheibe ähnlicher Kritik: Ihr wachsender Appetit und die Gewichtszunahme werden von ihrem Umfeld kommentiert und abgewertet – ein Spiegel dessen, was Kajii erlebt hat. Das macht die Geschichte nicht nur persönlich, sondern auch universell, denn es geht um viel mehr als einen Mordfall: Es geht darum, wie Frauen in Japan (und weltweit) zwischen widersprüchlichen Erwartungen zerrieben werden. Ich konnte es gar nicht fassen, dass die Protagonistin mehrfach als unfassbar fett betitelt wird und dabei kaum 60kg auf die Waage bringt.
Asako Yuzuki, geboren 1981 in Tokio, ist eine recht bekannte japanische Autorin, die sich durch ihre scharfsinnigen gesellschaftlichen Analysen einen Namen gemacht hat. Bevor sie ihre Karriere als Schriftstellerin begann, arbeitete sie selbst als Journalistin, was man in Butter spürt: Die Recherche, die Tiefe und die Präzision in ihrer Darstellung von Medien und Gesellschaft wirken authentisch und fundiert. Butter wurde in Japan zu einem Bestseller und zeigt, wie Yuzuki mit feministischen Themen auf leise, aber eindringliche Weise umgeht.
Mir hat der Roman gefallen, er hätte aber gut und gerne 1/3 kürzer sein können, er war stellenweise etwas repetitiv.
„Butter“ von Asako Yuzuki habe ich im Zuge meines Projektes „Read around the World – Japan“ gelesen.
Tram 83 – Fiston Mwanza Mujila erschienen im Zsolnay Verlag, übersetzt von Katharina Meyer und Lena Müller
Tram 83 von Fiston Mwanza Mujila ist ein wilder Fiebertraum, ein literarisches Abenteuer, das mich anfangs fast überforderte – und dann vollständig in seinen Bann zog. Der Roman spielt in einer heruntergekommenen Großstadt, die stark an Kinshasa erinnert, und führt uns mitten hinein in das pulsierende Herz dieser Welt: den Nachtclub „Tram 83“. Hier treffen sich Ex-Kindersoldaten, Glücksritter, Kleinkriminelle, Babyhuren, Touristen und Schriftsteller, alle auf der Suche nach Ablenkung, Überleben oder schnellem Geld. Der Club ist laut, chaotisch, voller Musik und Wortfetzen – und genauso fühlt sich auch das Buch an.
Anfangs fragte ich mich immerzu: Hä? Wer spricht? Worüber? Doch genau in diesem Durcheinander liegt der Reiz. Der Roman vermittelt ein Gefühl von Überforderung, von Orientierungslosigkeit – als ob man selbst zum ersten Mal in diese Stadt kommt, den Stimmen lauscht, die Leuchtreklamen betrachtet, aber nicht alles versteht. Mujilas Sprache hat einen fieberhaften Rhythmus, der wie eine Jazzimprovisation immer wiederkehrende Motive und Melodien aufgreift. Es ist chaotisch, manchmal schwer fassbar, aber gleichzeitig unglaublich lebendig.
Requiem war noch immer nicht zurück. Der Mann mit den Dampflokschuhen kam nur nach Hause, um Kohlen abzuladen oder welche zu holen
Im Zentrum der Geschichte stehen Lucien, ein idealistischer Schriftsteller, und sein Freund Requiem, ein charmanter Gauner. Während Lucien versucht, inmitten von Korruption und Gewalt seiner Berufung treu zu bleiben, bewegt sich Requiem geschickt durch die Abgründe dieser „Bordellstadt“. Ihre Dynamik, eingebettet in die explosive Atmosphäre von „Tram 83“, verleiht dem Buch eine erzählerische Tiefe, die hinter der scheinbaren Oberflächlichkeit der Kulisse überraschend vielschichtig ist.
Die Nacht trug Bikini und Unterwäsche, die sie nicht ausgewrungen hatte
Mujila zeichnet ein groteskes, schillerndes Porträt eines postkolonialen Afrikas, das von Kriegen, Korruption und Globalisierung geprägt ist. Dabei wird die Stadt selbst zu einem Charakter – lebendig, gewalttätig und unvergesslich. Der Roman ist nicht leicht zugänglich, aber gerade das macht ihn so aufregend. Am Ende fühlte ich mich, als hätte ich tatsächlich einen Abend im „Tram 83“ verbracht – überwältigt, ein wenig verloren, aber fasziniert und voller Eindrücke, die noch lange nachhallen.
Wenn du Familie bei der Bahn hast, arbeitest du bei der Bahn, ansonsten zerschellst du wie ein Schiff am Ufer der Hoffnung.
Tram 83 ist ein Buch wie Musik: chaotisch, rhythmisch und unverwechselbar. Ein literarisches Erlebnis, das den Leser fordert – und belohnt.
The Poisonwood Bible – Barbara Kingsolver auf deutsch unter dem Titel „Die Giftholzbibel“ im Piper Verlag erschienen, übersetzt von Ruth Frank
The Poisonwood Bible von Barbara Kingsolver ist ein fesselnder Roman, der die komplexe Geschichte der Familie Price erzählt, die 1959 aus den USA in den Belgisch-Kongo zieht. Nathan Price, ein starrköpfiger und fanatischer Missionar, will das Christentum in eine kleine Dorfgemeinschaft bringen, doch seine Ignoranz gegenüber der lokalen Kultur und Umwelt bringt unvorhersehbare Konflikte und tiefgreifende Tragödien mit sich.
Erzählt wird die Geschichte aus den Perspektiven von Nathans Frau Orleanna und ihren vier Töchtern – Rachel, Leah, Adah und Ruth May. Besonders Adah, die durch ihre poetische, introspektive Sichtweise hervorsticht, hat mich tief berührt. Ihre Wortspiele und ihr besonderer Blick auf die Welt, geprägt von ihrem körperlichen Handicap und ihrer Intelligenz, machen sie zu einer einzigartigen Erzählerin. Auch ihre Zwillingsschwester Leah, die zwischen Loyalität zu ihrem Vater und der Liebe zum Kongo hin- und hergerissen ist, hat mich beeindruckt. Beide Schwestern spiegeln die inneren Konflikte und das Spannungsfeld zwischen Kolonialismus, Familie und persönlicher Identität eindrucksvoll wider.
Everything you’re sure is right can be wrong in another place.
Der erste Teil des Romans, der überwiegend im Kongo spielt, hat mich besonders fasziniert. Kingsolver schildert die Landschaft und das Leben im Dorf so lebendig, dass ich mich mitten in der Wildnis wiederfand. Leider empfand ich die Zeitsprünge in der zweiten Hälfte des Buches als zu groß und etwas abrupt. Während die Schwestern in alle Winde verstreut werden und ihre Mutter zunehmend in den Hintergrund rückt, geht der Zusammenhalt der Familie verloren – etwas, das ich als sehr schmerzlich empfand. Dieser Verlust an Nähe und Vertrautheit, der durch die Erzählstruktur noch verstärkt wird, hat mich beim Lesen melancholisch gestimmt.
As long as I kept moving, my grief streamed out behind me like a swimmer’s long hair in water. I knew the weight was there but it didn’t touch me. Only when I stopped did the slick, dark stuff of it come floating around my face, catching my arms and throat till I began to drown. So I just didn’t stop.
Trotz dieser Kritik bleibt The Poisonwood Bible ein beeindruckendes Werk, das auf vielschichtige Weise die Themen Kolonialismus, kulturelle Missverständnisse und die Dynamik von Macht und Familie beleuchtet. Für meine literarische Weltreise in den Kongo ist dieses Buch ein bewegender, wenn auch bittersüßer Halt, der noch lange nachklingt.
Tram 83 und die Poisonwood-Bibel habe ich im Zuge meines Projektes „Read around the World – Kongo“ gelesen.
Mascha Kaléko – In meinen Träumen läutet es Sturm erschienen im dtv Verlag
Mein erstes 5-Sterne-Buch für dieses Jahr. Es war ein „Re-Read“ des Gedichtbandes „In meinen Träumen läutet es Sturm“ der wunderbaren Mascha Kaléko.
Kaléko zählt für mich zu den beeindruckendsten Stimmen der deutschen Literatur. Gemeinsam mit Kästner, Tucholsky und Irmgard Keun gehörte sie zu den wichtigsten Vertreter*innen der Neuen Sachlichkeit und der Gebrauchslyrik im Deutschland der 1920er Jahre. Ihre Werke sind geprägt von einem feinen, oft melancholischen Humor, messerscharfer Gesellschafts-kritik und einer ganz eigenen Sanftheit, die ihre Gedichte so besonders macht.
Mascha Kaléko wurde 1907 in Galizien geboren und wuchs in Berlin auf, wohin ihre Familie vor den politischen Unruhen in ihrer Heimat floh. In den goldenen Zwanzigern blühte sie in der Berliner Literaturszene auf und schrieb für verschiedene Zeitungen. Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde ihr jüdischer Hintergrund zur Gefahr. 1938 emigrierte sie mit ihrer Familie nach New York. Dort arbeitete sie weiterhin als Dichterin, fand jedoch nie wieder die gleiche Resonanz wie in ihrer Berliner Zeit. Ihre Gedichte, die oft wie kleine, bittersüße Momentaufnahmen des Lebens wirken, handeln von Liebe, Verlust, Exil, Sehnsucht und dem Leben in der Fremde.
Es sprach zum Mister Goodwill
ein deutscher Emigrant:
„Gewiß, es bleibt dasselbe,
sag ich nun land statt Land,
sag ich für Heimat homeland
und poem für Gedicht.
Gewiß, ich bin sehr happy;
Doch glücklich bin ich nicht“
Ein Gedichtband, der mich immer wieder aufs Neue berührt und den ich anläßlich des Konzertes mit den großartigen Vertonungen der Gedichte von @dota_kehr wiedergelesen habe. Große Empfehlung!
Tove Jansson – Mumins einsame Insel erschienen im Reprodukt Verlag übersetzt von Annette von der Weppen
In diesem Buch beschließen die Mumins, eine unbewohnte Insel mit einem verlassenen Leuchtturm zu erkunden. Die romantische Vorstellung eines idyllischen Insellebens wird jedoch bald von rauen Winden, unerwarteten Herausforderungen und melancholischer Einsamkeit überschattet. Während Mumin-Papa sich mit der Geschichte des Leuchtturms beschäftigt und nach Bedeutung sucht, kämpft Mumin mit Gefühlen der Unsicherheit. Mumin-Mama hingegen findet Trost und Halt in den Büchern, die sie an Bord des Piratenschiffes findet – ich kann sie da sehr sehr gut verstehen. Das Buch ist eines der späteren Mumin-Werke und hat eine nachdenklichere, melancholische Atmosphäre als die früheren Abenteuer. Es geht um Selbstfindung, Einsamkeit und die Sehnsucht nach einem Platz in der Welt.
Tove Jansson (1914–2001) war eine finnlandschwedische Schriftstellerin, Malerin und Illustratorin. Die Mumin-Bücher, die sie zwischen 1945 und 1970 schrieb, machten sie weltberühmt. Ihr Werk vereint skandinavische Naturverbundenheit, philosophische Tiefe und feinsinnigen Humor. Jansson war selbst eine Inselbewohnerin – sie verbrachte viele Sommer mit ihrer Partnerin auf einer kleinen Insel im finnischen Schärengarten, was sich in ihren Geschichten widerspiegelt. Neben den Mumin-Büchern schrieb sie später auch Erzählungen für Erwachsene.

Tove Janssons langjährige Lebensgefährtin war Tuulikki Pietilä (1917–2009), eine finnische Künstlerin und Grafikerin. Die beiden lernten sich in den 1950er-Jahren kennen und verbrachten gemeinsam viele Sommer auf der kleinen Insel Klovharun im finnischen Schärengarten. Ihre Beziehung war nicht nur privat, sondern auch künstlerisch sehr inspirierend – Pietilä half unter anderem bei der Gestaltung von Mumin-Illustrationen und Modellen für Ausstellungen.
Tuulikki Pietilä diente als Vorbild für die Figur Too-ticki in den Mumin-Büchern. Too-ticki ist eine pragmatische, kluge und ruhige Gestalt mit einer Vorliebe für den Winter und praktisches Handwerk. Too-ticki verkörpert Gelassenheit und einen pragmatischen Lebensansatz, der im Kontrast zu der oft verträumten und emotionalen Mumin-Familie steht.

Das „eins zum Einschlafen“ bezieht sich hier nicht auf ihre Lektüre in der Hand, sondern auf die Frage wieviel Rum getrunken werden soll 😉 Und nur dass ihr Bescheid wisst, ich bin ganz und gar dafür, dass die Mumin-Mama die Weltherrschaft übernimmt und werde sie fest dabei unterstützen – ich gehe einfach mal davon aus, dass ihr damit kein Problem habt 😉
F. Scott Fitzgerald – This side of Paradise auf deutsch unter dem Titel „Diesseits vom Paradies“ im Diogenes Verlag erschienen, übersetzt von Martina Tichy und Bettina Blumenberg
F. Scott Fitzgeralds Debütroman „This Side of Paradise“ (1920) ist ein Bildungsroman, der die Entwicklung des jungen Amory Blaine begleitet – von seiner privilegierten, aber exzentrischen Kindheit über seine Zeit an der Princeton University bis hin zu seinen ersten beruflichen und romantischen Enttäuschungen. Der Roman ist stark autobiografisch geprägt und reflektiert Fitzgeralds eigene Erfahrungen und Beobachtungen der amerikanischen Gesellschaft der 1910er und frühen 1920er Jahre.
Amory ist ein junger Mann auf der Suche nach Identität, sowohl intellektuell als auch emotional. Er probiert verschiedene Denkweisen, Ideologien und Liebesbeziehungen aus, stets auf der Jagd nach einer Art „Enlightenment“. .
Auch muss er erkennen, dass Erfolg und gesellschaftlicher Aufstieg weniger mit Talent oder Fleiß zu tun haben als mit Geburtsprivilegien und Zufällen. Dies führt ihn schließlich zu einer fast zufälligen Annahme sozialistischer Ideen – nicht aus tiefer Überzeugung, sondern aus der Hoffnung heraus, dass eine Revolution ihm vielleicht zufällig einen Platz weiter oben in der Hierarchie zulosen könnte.
I’m a cynical idealist.
Fitzgerald porträtiert in This Side of Paradise eine Generation, die desillusioniert und auf der Suche nach Sinn ist – ein Motiv, das später in The Great Gatsby noch stärker ausgearbeitet wird. Der Roman war zu seiner Zeit ein Bestseller, weil er das Lebensgefühl der jungen Nachkriegsgeneration einfing: die Ablehnung traditioneller Werte, das Streben nach Individualität und die schmerzhafte Erkenntnis, dass gesellschaftliche Strukturen schwer zu durchbrechen sind.
Besonders interessant ist die Parallele zur heutigen Zeit: Wenn immer deutlicher wird, dass soziale Mobilität ein Mythos sein kann und dass Privilegien oft vererbt werden, steigt die Gefahr, dass Menschen nicht an Reformen, sondern an den totalen Zusammenbruch glauben.
And he could not tell why the struggle was worthwhile, why he had determined to use the utmost himself and his heritage from the personalities he had passed…He stretched out his arms to the crystalline, radiant sky.I know myself,“ he cried, „But that is all.
Fitzgeralds einziger Bestseller zu Lebzeiten – geliebt vom Publikum, skeptisch beäugt von Kritikern ist ein Muss für alle, die sich für Fitzgeralds Werk oder für die Geburtsstunde der „verlorenen Generation“ interessieren. Ich habe den Roman sehr gerne gelesen, an den „Great Gatsby“ kommt er für mich aber nicht heran.
Helen Dunmore – A spell of winter auf deutsch unter dem Titel „Der Duft des Schnees“ im Bastei Lübbe Verlag erschienen, übersetzt von Lore Pilgram
Achtung: Hier gibt es einen Spoiler – wer das Buch noch lesen möchte, der sollte den zweiten Absatz überspringen!
Helen Dunmores A Spell of Winter wird als Gothic-Roman bezeichnet, doch für mich blieb er in dieser Hinsicht hinter den Erwartungen zurück. Zwar bringt der Roman viele klassische Elemente mit – ein düsteres, halb verfallenes Herrenhaus, eine bedrückende Familiengeschichte, Geheimnisse, Isolation –, doch das, was für mich einen wirklich fesselnden Gothic-Roman ausmacht, fehlte weitgehend: die unheilvolle Atmosphäre, die stetig wachsende Spannung, das Gefühl des Unausweichlichen.
Stattdessen ist A Spell of Winter eher eine melancholische Charakterstudie, ein leiser, introspektiver Roman über Verlust, Einsamkeit und die zerstörerische Macht familiärer Bindungen. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Cathy, die mit ihrem Bruder Rob in einem alten Haus lebt, von der Außenwelt weitgehend abgeschottet. Ihre Eltern sind verschwunden – die Mutter fortgegangen, der Vater in einer Anstalt gestorben –, und so wachsen die beiden Geschwister unter der strengen Aufsicht ihres Großvaters und einer Gouvernante auf. Dass ihre Beziehung nicht nur geschwisterlich bleibt, sondern eine Grenze überschreitet, ist eines der dunklen Geheimnisse des Romans. Doch genau an dieser Stelle hätte Dunmore für mich intensiver werden müssen. Der Schrecken dieser verbotenen Liebe wird eher angedeutet als wirklich spürbar gemacht, und statt ein Gefühl von Bedrohung oder fataler Leidenschaft zu erzeugen, bleibt die Erzählweise fast distanziert.
You have to keep on with a house, day after day, I think. Heating, cleaning, opening and closing windows, making sounds to fill the silence, cooking and washing up, laundering and polishing. As soon as you stop, there may as well never have been any life at all. A house dies as quickly as a body.
Dunmores Sprache ist zweifellos poetisch, stellenweise wunderschön, doch mir fehlte das Bedrückende, das Bedrohliche, das man von einem Roman erwartet, der sich in der Tradition der Gothic Fiction bewegt. Die Kälte, die das Buch thematisiert – Winter, Einsamkeit, emotionale Erstarrung –, wird immer wieder beschrieben, aber selten wirklich fühlbar. Selbst die Momente des Verfalls und des Schreckens, die durchaus vorhanden sind, haben nicht die durchdringende Intensität, die mich als Leserin völlig in ihren Bann gezogen hätte.
Was bleibt, ist ein Roman, der eher durch seine stille Melancholie als durch echte Spannung besticht. Insgesamt aber ein etwas lauwarmes Lesevergnügen.
John Banville – Snow erschienen bei Faber & Faber UK, bislang nicht auf deutsch erschienen
John Banvilles Snow ist ein klassischer Krimi mit viel Atmosphäre, doch leider hat er mich nicht wirklich überzeugt. Die Geschichte beginnt vielversprechend: Ein Mord in einem alten Landhaus, eine wohlhabende Familie mit dunklen Geheimnissen und ein Ermittler, der in dieser Welt ein Fremder bleibt. Das klingt nach perfektem Stoff für einen spannenden Whodunit – doch leider blieb die Geschichte für mich letztlich etwas blutleer.
Inspektor St. John Strafford ist ein kühler, distanzierter Ermittler, und genau das machte es mir schwer, eine Verbindung zu ihm aufzubauen. Er bleibt blass, wirkt fast teilnahmslos, und seine Ermittlungen haben für mich nicht die Sogwirkung entfaltet, die ich mir von einem Krimi wünsche. Die übrigen Figuren sind zwar gut gezeichnet, doch keiner von ihnen hat mich wirklich berührt oder nachhaltig beeindruckt.
His life was a state of peculiar calm, of tranquil equilibrium. His strongest drive was curiosity, the simple wish to know, to be let in on what was hidden from others. Everything to him had the aspect of a cipher. Life was a mundane mystery, the clues to the solving of which were strewn all about, concealed or, far more fascinatingly, hidden in plain view, for all to see but for him alone to recognize. The dullest object could, for him, flare into sudden significance, could throb in the sudden awareness of itself.
Auch die Auflösung des Falls ließ mich eher unbeeindruckt zurück. Banville versteht es zweifellos, eine dichte, stimmungsvolle Kulisse zu erschaffen – die eisige Kälte des Winters, die düstere Atmosphäre des Herrenhauses –, doch die eigentliche Handlung plätschert eher vor sich hin. Ich hatte nie das Gefühl echter Dringlichkeit oder unbedingt wissen zu wollen was passiert ist – wie es ein guter Kriminalroman eigentlich bieten sollte. Stattdessen bleibt Snow eine stilistisch makellose, aber letztlich eher unaufgeregte Lektüre. Interessant fand ich, dass ich die Geschichte viel früher verortet hätte als die 1950er Jahre. Es schien in seinem Setting für mich ein „Golden-Age-Krimi“ zu sein, merkte erst im Nachhinein dann, dass er eigentlich Anfang der 1950er Jahre spielen sollte. Nun gut.
Banvilles Sprache ist natürlich elegant, und sein Talent für stimmungsvolle Beschreibungen ist unbestritten. Wer sich von der Atmosphäre eines langsam erzählten, subtilen Krimis einfangen lassen kann, wird hier sicher zufrieden sein. Für mich aber fehlte es an Spannung, an Charakteren mit echtem Sog und an einem Kriminalfall, der mich wirklich mitgerissen hätte. Solide Unterhaltung, ja – aber leider nicht mehr als das.
OK – das wars. Es fehlt noch die Rezension des Hörbuchs das ich gelesen habe, aber die kommt in den nächsten Tagen im Zuge des nächsten Weltreise-Stopps.
Welche der Bücher kennt ihr? Wie haben sie euch gefallen und/oder konnte ich euch auf das eine oder andere Lust machen? Was war euer Januar-Highlight.




















































