Januar Lektüre

Neues Jahr, neue Bücher! Nach einem herausragenden Lesejahr 2024, in dem ich bereits im Januar drei Jahreshighlights entdecken durfte, startete 2025 etwas durchwachsener. Zwar gab es keinen völligen Reinfall, aber die beiden 5-Sterne-Bücher waren „Re-Reads“ – trotzdem war der Januar insgesamt ein interessanter und abwechslungsreicher Lesemonat.

Auf dem Bild oben fehlt im Übrigen leider F Scott Fitzgeralds „This side of Paradise“. Glatt vergessen auf dem Gruppenfoto. Aber in der Einzelbesprechung wird’s dabei sein. Heute glaub ich machen wir das einfach mal alphabetisch rückwärts, damit es hier keinem langweilig wird.

Und los geht’s:

Butter – Asako Yuzki erschienen im Blumenbar Verlag, übersetzt von Ursula Gräfe

Ich habe Butter von Asako Yuzuki fast in einem Rutsch gelesen – was irgendwie passend ist, wenn man bedenkt, wie sehr Essen und Genuss im Mittelpunkt dieses Romans stehen. Die Geschichte kombiniert Elemente eines Krimis mit tiefgehender Sozialkritik und ich bewundere jeden, der es schafft diesen Roman zu lesen ohne permanent hungrig zu sei. Ich mußte sogar die Lektüre unterbrechen um mir Reis mit Butter zu kochen.

Die Handlung dreht sich um Rika Machida, eine ehrgeizige Journalistin, die sich an einem spektakulären Fall die Zähne ausbeißt: die mysteriöse Manako Kajii, die mehrere Männer umgebracht haben soll. Kajii ist eine faszinierende Figur – talentierte Köchin, Femme fatale und zugleich Ziel von unerbittlicher medialer Hetze wegen ihres Aussehens und ihrer Lebensweise.

Was mich besonders an Butter beeindruckt hat, ist, wie Yuzuki den Fokus auf die Themen Misogynie, Körperbild und gesellschaftliche Erwartungen richtet. Während Rika Kajii immer wieder im Gefängnis besucht, verschwimmen die Grenzen zwischen Recherche und persönlicher Obsession. Die Gespräche der beiden Frauen sind mal provokativ, mal tiefsinnig, und sie zeigen, wie Essgewohnheiten und Selbstwahrnehmung oft von Kindheitstraumata und gesellschaftlichen Zwängen geprägt sind.

Essen war ein zutiefst persönliches und egoistisches Verlangen. Gourmets waren im Prinzip Suchende. Sie waren Tag für Tag mit ihren Bedürfnissen beschäftigt und auf Entdeckungsreise. Je aufwändiger sie kochten, desto besser gelang es ihnen, die Außenwelt auszuschließen und eine innere Festung zu errichten. Mit Klingen und Flammen rückten sie den Zutaten zu Leibe, um sie nach ihrem Willen zu formen.

Die Parallelen zwischen Rika und Kajii fand ich dabei spannend, aber auch beklemmend. Während Rika immer tiefer in die Welt von Kajii eintaucht, wird sie selbst zur Zielscheibe ähnlicher Kritik: Ihr wachsender Appetit und die Gewichtszunahme werden von ihrem Umfeld kommentiert und abgewertet – ein Spiegel dessen, was Kajii erlebt hat. Das macht die Geschichte nicht nur persönlich, sondern auch universell, denn es geht um viel mehr als einen Mordfall: Es geht darum, wie Frauen in Japan (und weltweit) zwischen widersprüchlichen Erwartungen zerrieben werden. Ich konnte es gar nicht fassen, dass die Protagonistin mehrfach als unfassbar fett betitelt wird und dabei kaum 60kg auf die Waage bringt.

Asako Yuzuki, geboren 1981 in Tokio, ist eine recht bekannte japanische Autorin, die sich durch ihre scharfsinnigen gesellschaftlichen Analysen einen Namen gemacht hat. Bevor sie ihre Karriere als Schriftstellerin begann, arbeitete sie selbst als Journalistin, was man in Butter spürt: Die Recherche, die Tiefe und die Präzision in ihrer Darstellung von Medien und Gesellschaft wirken authentisch und fundiert. Butter wurde in Japan zu einem Bestseller und zeigt, wie Yuzuki mit feministischen Themen auf leise, aber eindringliche Weise umgeht.

Mir hat der Roman gefallen, er hätte aber gut und gerne 1/3 kürzer sein können, er war stellenweise etwas repetitiv.

„Butter“ von Asako Yuzuki habe ich im Zuge meines Projektes „Read around the World – Japan“ gelesen.

Tram 83 – Fiston Mwanza Mujila erschienen im Zsolnay Verlag, übersetzt von Katharina Meyer und Lena Müller

Tram 83 von Fiston Mwanza Mujila ist ein wilder Fiebertraum, ein literarisches Abenteuer, das mich anfangs fast überforderte – und dann vollständig in seinen Bann zog. Der Roman spielt in einer heruntergekommenen Großstadt, die stark an Kinshasa erinnert, und führt uns mitten hinein in das pulsierende Herz dieser Welt: den Nachtclub „Tram 83“. Hier treffen sich Ex-Kindersoldaten, Glücksritter, Kleinkriminelle, Babyhuren, Touristen und Schriftsteller, alle auf der Suche nach Ablenkung, Überleben oder schnellem Geld. Der Club ist laut, chaotisch, voller Musik und Wortfetzen – und genauso fühlt sich auch das Buch an.

Anfangs fragte ich mich immerzu: Hä? Wer spricht? Worüber? Doch genau in diesem Durcheinander liegt der Reiz. Der Roman vermittelt ein Gefühl von Überforderung, von Orientierungslosigkeit – als ob man selbst zum ersten Mal in diese Stadt kommt, den Stimmen lauscht, die Leuchtreklamen betrachtet, aber nicht alles versteht. Mujilas Sprache hat einen fieberhaften Rhythmus, der wie eine Jazzimprovisation immer wiederkehrende Motive und Melodien aufgreift. Es ist chaotisch, manchmal schwer fassbar, aber gleichzeitig unglaublich lebendig.

Requiem war noch immer nicht zurück. Der Mann mit den Dampflokschuhen kam nur nach Hause, um Kohlen abzuladen oder welche zu holen

Im Zentrum der Geschichte stehen Lucien, ein idealistischer Schriftsteller, und sein Freund Requiem, ein charmanter Gauner. Während Lucien versucht, inmitten von Korruption und Gewalt seiner Berufung treu zu bleiben, bewegt sich Requiem geschickt durch die Abgründe dieser „Bordellstadt“. Ihre Dynamik, eingebettet in die explosive Atmosphäre von „Tram 83“, verleiht dem Buch eine erzählerische Tiefe, die hinter der scheinbaren Oberflächlichkeit der Kulisse überraschend vielschichtig ist.

Die Nacht trug Bikini und Unterwäsche, die sie nicht ausgewrungen hatte

Mujila zeichnet ein groteskes, schillerndes Porträt eines postkolonialen Afrikas, das von Kriegen, Korruption und Globalisierung geprägt ist. Dabei wird die Stadt selbst zu einem Charakter – lebendig, gewalttätig und unvergesslich. Der Roman ist nicht leicht zugänglich, aber gerade das macht ihn so aufregend. Am Ende fühlte ich mich, als hätte ich tatsächlich einen Abend im „Tram 83“ verbracht – überwältigt, ein wenig verloren, aber fasziniert und voller Eindrücke, die noch lange nachhallen.

Wenn du Familie bei der Bahn hast, arbeitest du bei der Bahn, ansonsten zerschellst du wie ein Schiff am Ufer der Hoffnung.

Tram 83 ist ein Buch wie Musik: chaotisch, rhythmisch und unverwechselbar. Ein literarisches Erlebnis, das den Leser fordert – und belohnt.

The Poisonwood Bible – Barbara Kingsolver auf deutsch unter dem Titel „Die Giftholzbibel“ im Piper Verlag erschienen, übersetzt von Ruth Frank

The Poisonwood Bible von Barbara Kingsolver ist ein fesselnder Roman, der die komplexe Geschichte der Familie Price erzählt, die 1959 aus den USA in den Belgisch-Kongo zieht. Nathan Price, ein starrköpfiger und fanatischer Missionar, will das Christentum in eine kleine Dorfgemeinschaft bringen, doch seine Ignoranz gegenüber der lokalen Kultur und Umwelt bringt unvorhersehbare Konflikte und tiefgreifende Tragödien mit sich.

Erzählt wird die Geschichte aus den Perspektiven von Nathans Frau Orleanna und ihren vier Töchtern – Rachel, Leah, Adah und Ruth May. Besonders Adah, die durch ihre poetische, introspektive Sichtweise hervorsticht, hat mich tief berührt. Ihre Wortspiele und ihr besonderer Blick auf die Welt, geprägt von ihrem körperlichen Handicap und ihrer Intelligenz, machen sie zu einer einzigartigen Erzählerin. Auch ihre Zwillingsschwester Leah, die zwischen Loyalität zu ihrem Vater und der Liebe zum Kongo hin- und hergerissen ist, hat mich beeindruckt. Beide Schwestern spiegeln die inneren Konflikte und das Spannungsfeld zwischen Kolonialismus, Familie und persönlicher Identität eindrucksvoll wider.

Everything you’re sure is right can be wrong in another place.

Der erste Teil des Romans, der überwiegend im Kongo spielt, hat mich besonders fasziniert. Kingsolver schildert die Landschaft und das Leben im Dorf so lebendig, dass ich mich mitten in der Wildnis wiederfand. Leider empfand ich die Zeitsprünge in der zweiten Hälfte des Buches als zu groß und etwas abrupt. Während die Schwestern in alle Winde verstreut werden und ihre Mutter zunehmend in den Hintergrund rückt, geht der Zusammenhalt der Familie verloren – etwas, das ich als sehr schmerzlich empfand. Dieser Verlust an Nähe und Vertrautheit, der durch die Erzählstruktur noch verstärkt wird, hat mich beim Lesen melancholisch gestimmt.

As long as I kept moving, my grief streamed out behind me like a swimmer’s long hair in water. I knew the weight was there but it didn’t touch me. Only when I stopped did the slick, dark stuff of it come floating around my face, catching my arms and throat till I began to drown. So I just didn’t stop.

Trotz dieser Kritik bleibt The Poisonwood Bible ein beeindruckendes Werk, das auf vielschichtige Weise die Themen Kolonialismus, kulturelle Missverständnisse und die Dynamik von Macht und Familie beleuchtet. Für meine literarische Weltreise in den Kongo ist dieses Buch ein bewegender, wenn auch bittersüßer Halt, der noch lange nachklingt.

Tram 83 und die Poisonwood-Bibel habe ich im Zuge meines Projektes „Read around the World – Kongo“ gelesen.

Mascha Kaléko – In meinen Träumen läutet es Sturm erschienen im dtv Verlag

Mein erstes 5-Sterne-Buch für dieses Jahr. Es war ein „Re-Read“ des Gedichtbandes „In meinen Träumen läutet es Sturm“ der wunderbaren Mascha Kaléko.

Kaléko zählt für mich zu den beeindruckendsten Stimmen der deutschen Literatur. Gemeinsam mit Kästner, Tucholsky und Irmgard Keun gehörte sie zu den wichtigsten Vertreter*innen der Neuen Sachlichkeit und der Gebrauchslyrik im Deutschland der 1920er Jahre. Ihre Werke sind geprägt von einem feinen, oft melancholischen Humor, messerscharfer Gesellschafts-kritik und einer ganz eigenen Sanftheit, die ihre Gedichte so besonders macht.

Mascha Kaléko wurde 1907 in Galizien geboren und wuchs in Berlin auf, wohin ihre Familie vor den politischen Unruhen in ihrer Heimat floh. In den goldenen Zwanzigern blühte sie in der Berliner Literaturszene auf und schrieb für verschiedene Zeitungen. Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde ihr jüdischer Hintergrund zur Gefahr. 1938 emigrierte sie mit ihrer Familie nach New York. Dort arbeitete sie weiterhin als Dichterin, fand jedoch nie wieder die gleiche Resonanz wie in ihrer Berliner Zeit. Ihre Gedichte, die oft wie kleine, bittersüße Momentaufnahmen des Lebens wirken, handeln von Liebe, Verlust, Exil, Sehnsucht und dem Leben in der Fremde.

Es sprach zum Mister Goodwill
ein deutscher Emigrant:
„Gewiß, es bleibt dasselbe,
sag ich nun land statt Land,
sag ich für Heimat homeland
und poem für Gedicht.
Gewiß, ich bin sehr happy;
Doch glücklich bin ich nicht“

Ein Gedichtband, der mich immer wieder aufs Neue berührt und den ich anläßlich des Konzertes mit den großartigen Vertonungen der Gedichte von @dota_kehr wiedergelesen habe. Große Empfehlung!

Tove Jansson – Mumins einsame Insel erschienen im Reprodukt Verlag übersetzt von Annette von der Weppen

In diesem Buch beschließen die Mumins, eine unbewohnte Insel mit einem verlassenen Leuchtturm zu erkunden. Die romantische Vorstellung eines idyllischen Insellebens wird jedoch bald von rauen Winden, unerwarteten Herausforderungen und melancholischer Einsamkeit überschattet. Während Mumin-Papa sich mit der Geschichte des Leuchtturms beschäftigt und nach Bedeutung sucht, kämpft Mumin mit Gefühlen der Unsicherheit. Mumin-Mama hingegen findet Trost und Halt in den Büchern, die sie an Bord des Piratenschiffes findet – ich kann sie da sehr sehr gut verstehen. Das Buch ist eines der späteren Mumin-Werke und hat eine nachdenklichere, melancholische Atmosphäre als die früheren Abenteuer. Es geht um Selbstfindung, Einsamkeit und die Sehnsucht nach einem Platz in der Welt.

Tove Jansson (1914–2001) war eine finnlandschwedische Schriftstellerin, Malerin und Illustratorin. Die Mumin-Bücher, die sie zwischen 1945 und 1970 schrieb, machten sie weltberühmt. Ihr Werk vereint skandinavische Naturverbundenheit, philosophische Tiefe und feinsinnigen Humor. Jansson war selbst eine Inselbewohnerin – sie verbrachte viele Sommer mit ihrer Partnerin auf einer kleinen Insel im finnischen Schärengarten, was sich in ihren Geschichten widerspiegelt. Neben den Mumin-Büchern schrieb sie später auch Erzählungen für Erwachsene.

Tove Janssons langjährige Lebensgefährtin war Tuulikki Pietilä (1917–2009), eine finnische Künstlerin und Grafikerin. Die beiden lernten sich in den 1950er-Jahren kennen und verbrachten gemeinsam viele Sommer auf der kleinen Insel Klovharun im finnischen Schärengarten. Ihre Beziehung war nicht nur privat, sondern auch künstlerisch sehr inspirierend – Pietilä half unter anderem bei der Gestaltung von Mumin-Illustrationen und Modellen für Ausstellungen.

Tuulikki Pietilä diente als Vorbild für die Figur Too-ticki in den Mumin-Büchern. Too-ticki ist eine pragmatische, kluge und ruhige Gestalt mit einer Vorliebe für den Winter und praktisches Handwerk. Too-ticki verkörpert Gelassenheit und einen pragmatischen Lebensansatz, der im Kontrast zu der oft verträumten und emotionalen Mumin-Familie steht.

Das „eins zum Einschlafen“ bezieht sich hier nicht auf ihre Lektüre in der Hand, sondern auf die Frage wieviel Rum getrunken werden soll 😉 Und nur dass ihr Bescheid wisst, ich bin ganz und gar dafür, dass die Mumin-Mama die Weltherrschaft übernimmt und werde sie fest dabei unterstützen – ich gehe einfach mal davon aus, dass ihr damit kein Problem habt 😉

F. Scott Fitzgerald – This side of Paradise auf deutsch unter dem Titel „Diesseits vom Paradies“ im Diogenes Verlag erschienen, übersetzt von Martina Tichy und Bettina Blumenberg

F. Scott Fitzgeralds Debütroman „This Side of Paradise“ (1920) ist ein Bildungsroman, der die Entwicklung des jungen Amory Blaine begleitet – von seiner privilegierten, aber exzentrischen Kindheit über seine Zeit an der Princeton University bis hin zu seinen ersten beruflichen und romantischen Enttäuschungen. Der Roman ist stark autobiografisch geprägt und reflektiert Fitzgeralds eigene Erfahrungen und Beobachtungen der amerikanischen Gesellschaft der 1910er und frühen 1920er Jahre.

Amory ist ein junger Mann auf der Suche nach Identität, sowohl intellektuell als auch emotional. Er probiert verschiedene Denkweisen, Ideologien und Liebesbeziehungen aus, stets auf der Jagd nach einer Art „Enlightenment“. .

Auch muss er erkennen, dass Erfolg und gesellschaftlicher Aufstieg weniger mit Talent oder Fleiß zu tun haben als mit Geburtsprivilegien und Zufällen. Dies führt ihn schließlich zu einer fast zufälligen Annahme sozialistischer Ideen – nicht aus tiefer Überzeugung, sondern aus der Hoffnung heraus, dass eine Revolution ihm vielleicht zufällig einen Platz weiter oben in der Hierarchie zulosen könnte.

I’m a cynical idealist.

Fitzgerald porträtiert in This Side of Paradise eine Generation, die desillusioniert und auf der Suche nach Sinn ist – ein Motiv, das später in The Great Gatsby noch stärker ausgearbeitet wird. Der Roman war zu seiner Zeit ein Bestseller, weil er das Lebensgefühl der jungen Nachkriegsgeneration einfing: die Ablehnung traditioneller Werte, das Streben nach Individualität und die schmerzhafte Erkenntnis, dass gesellschaftliche Strukturen schwer zu durchbrechen sind.

Besonders interessant ist die Parallele zur heutigen Zeit: Wenn immer deutlicher wird, dass soziale Mobilität ein Mythos sein kann und dass Privilegien oft vererbt werden, steigt die Gefahr, dass Menschen nicht an Reformen, sondern an den totalen Zusammenbruch glauben.

And he could not tell why the struggle was worthwhile, why he had determined to use the utmost himself and his heritage from the personalities he had passed…He stretched out his arms to the crystalline, radiant sky.I know myself,“ he cried, „But that is all.

Fitzgeralds einziger Bestseller zu Lebzeiten – geliebt vom Publikum, skeptisch beäugt von Kritikern ist ein Muss für alle, die sich für Fitzgeralds Werk oder für die Geburtsstunde der „verlorenen Generation“ interessieren. Ich habe den Roman sehr gerne gelesen, an den „Great Gatsby“ kommt er für mich aber nicht heran.

Helen Dunmore – A spell of winter auf deutsch unter dem Titel „Der Duft des Schnees“ im Bastei Lübbe Verlag erschienen, übersetzt von Lore Pilgram

Achtung: Hier gibt es einen Spoiler – wer das Buch noch lesen möchte, der sollte den zweiten Absatz überspringen!
Helen Dunmores A Spell of Winter wird als Gothic-Roman bezeichnet, doch für mich blieb er in dieser Hinsicht hinter den Erwartungen zurück. Zwar bringt der Roman viele klassische Elemente mit – ein düsteres, halb verfallenes Herrenhaus, eine bedrückende Familiengeschichte, Geheimnisse, Isolation –, doch das, was für mich einen wirklich fesselnden Gothic-Roman ausmacht, fehlte weitgehend: die unheilvolle Atmosphäre, die stetig wachsende Spannung, das Gefühl des Unausweichlichen.

Stattdessen ist A Spell of Winter eher eine melancholische Charakterstudie, ein leiser, introspektiver Roman über Verlust, Einsamkeit und die zerstörerische Macht familiärer Bindungen. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Cathy, die mit ihrem Bruder Rob in einem alten Haus lebt, von der Außenwelt weitgehend abgeschottet. Ihre Eltern sind verschwunden – die Mutter fortgegangen, der Vater in einer Anstalt gestorben –, und so wachsen die beiden Geschwister unter der strengen Aufsicht ihres Großvaters und einer Gouvernante auf. Dass ihre Beziehung nicht nur geschwisterlich bleibt, sondern eine Grenze überschreitet, ist eines der dunklen Geheimnisse des Romans. Doch genau an dieser Stelle hätte Dunmore für mich intensiver werden müssen. Der Schrecken dieser verbotenen Liebe wird eher angedeutet als wirklich spürbar gemacht, und statt ein Gefühl von Bedrohung oder fataler Leidenschaft zu erzeugen, bleibt die Erzählweise fast distanziert.

You have to keep on with a house, day after day, I think. Heating, cleaning, opening and closing windows, making sounds to fill the silence, cooking and washing up, laundering and polishing. As soon as you stop, there may as well never have been any life at all. A house dies as quickly as a body.

Dunmores Sprache ist zweifellos poetisch, stellenweise wunderschön, doch mir fehlte das Bedrückende, das Bedrohliche, das man von einem Roman erwartet, der sich in der Tradition der Gothic Fiction bewegt. Die Kälte, die das Buch thematisiert – Winter, Einsamkeit, emotionale Erstarrung –, wird immer wieder beschrieben, aber selten wirklich fühlbar. Selbst die Momente des Verfalls und des Schreckens, die durchaus vorhanden sind, haben nicht die durchdringende Intensität, die mich als Leserin völlig in ihren Bann gezogen hätte.

Was bleibt, ist ein Roman, der eher durch seine stille Melancholie als durch echte Spannung besticht. Insgesamt aber ein etwas lauwarmes Lesevergnügen.

John Banville – Snow erschienen bei Faber & Faber UK, bislang nicht auf deutsch erschienen

John Banvilles Snow ist ein klassischer Krimi mit viel Atmosphäre, doch leider hat er mich nicht wirklich überzeugt. Die Geschichte beginnt vielversprechend: Ein Mord in einem alten Landhaus, eine wohlhabende Familie mit dunklen Geheimnissen und ein Ermittler, der in dieser Welt ein Fremder bleibt. Das klingt nach perfektem Stoff für einen spannenden Whodunit – doch leider blieb die Geschichte für mich letztlich etwas blutleer.

Inspektor St. John Strafford ist ein kühler, distanzierter Ermittler, und genau das machte es mir schwer, eine Verbindung zu ihm aufzubauen. Er bleibt blass, wirkt fast teilnahmslos, und seine Ermittlungen haben für mich nicht die Sogwirkung entfaltet, die ich mir von einem Krimi wünsche. Die übrigen Figuren sind zwar gut gezeichnet, doch keiner von ihnen hat mich wirklich berührt oder nachhaltig beeindruckt.

His life was a state of peculiar calm, of tranquil equilibrium. His strongest drive was curiosity, the simple wish to know, to be let in on what was hidden from others. Everything to him had the aspect of a cipher. Life was a mundane mystery, the clues to the solving of which were strewn all about, concealed or, far more fascinatingly, hidden in plain view, for all to see but for him alone to recognize. The dullest object could, for him, flare into sudden significance, could throb in the sudden awareness of itself.

Auch die Auflösung des Falls ließ mich eher unbeeindruckt zurück. Banville versteht es zweifellos, eine dichte, stimmungsvolle Kulisse zu erschaffen – die eisige Kälte des Winters, die düstere Atmosphäre des Herrenhauses –, doch die eigentliche Handlung plätschert eher vor sich hin. Ich hatte nie das Gefühl echter Dringlichkeit oder unbedingt wissen zu wollen was passiert ist – wie es ein guter Kriminalroman eigentlich bieten sollte. Stattdessen bleibt Snow eine stilistisch makellose, aber letztlich eher unaufgeregte Lektüre. Interessant fand ich, dass ich die Geschichte viel früher verortet hätte als die 1950er Jahre. Es schien in seinem Setting für mich ein „Golden-Age-Krimi“ zu sein, merkte erst im Nachhinein dann, dass er eigentlich Anfang der 1950er Jahre spielen sollte. Nun gut.

Banvilles Sprache ist natürlich elegant, und sein Talent für stimmungsvolle Beschreibungen ist unbestritten. Wer sich von der Atmosphäre eines langsam erzählten, subtilen Krimis einfangen lassen kann, wird hier sicher zufrieden sein. Für mich aber fehlte es an Spannung, an Charakteren mit echtem Sog und an einem Kriminalfall, der mich wirklich mitgerissen hätte. Solide Unterhaltung, ja – aber leider nicht mehr als das.

OK – das wars. Es fehlt noch die Rezension des Hörbuchs das ich gelesen habe, aber die kommt in den nächsten Tagen im Zuge des nächsten Weltreise-Stopps.

Welche der Bücher kennt ihr? Wie haben sie euch gefallen und/oder konnte ich euch auf das eine oder andere Lust machen? Was war euer Januar-Highlight.

Read around the world: Japan

Im Jahr 2016 reisten wir für drei unvergessliche Wochen durch Japan – ein Land, das uns immer wieder überrascht und manchmal auch vor Herausforderungen gestellt hat. Taxifahren war zum Beispiel jedes Mal ein kleines Abenteuer. Aus irgendeinem Grund schien es, als wären sämtliche Taxifahrer mindestens 80 Jahre alt. Sie trugen stets makellose weiße Handschuhe, und die Autos waren mit weißen Häkeldeckchen auf den Sitzen dekoriert. Schon das Einsteigen war besonders, da die Türen automatisch öffneten – ein Detail, das uns jedes Mal aufs Neue verblüffte.

Was die Navigation anging, wurde es allerdings kurios: Statt moderner Navigationssysteme griffen die Fahrer zu Papierkarten und teilweise riesigen Lupen, um die Adressen zu finden. In Kyoto erlebten wir gleich zwei skurrile Taxifahrten hintereinander: Der erste Fahrer war so verloren, dass er uns höflich wieder aus dem Auto bat. Der zweite machte sich immerhin auf den Weg, hielt aber nach kurzer Zeit bei einer Polizeistation an, um sich den Weg zu unserem AirBnB erklären zu lassen. Dieser Mischung aus Höflichkeit, Improvisation und Entschlossenheit begegneten wir des Öfteren auf unserer Reise

Kulinarisch gesehen war Japan eine Offenbarung. Wir haben durchweg gut gegessen – von Sushi, Kobe Rind und Ramen bis hin zu weniger bekannten lokalen Spezialitäten. Allerdings mögen die Japaner ihr Essen offensichtlich sehr frisch. So frisch, dass es uns manchmal die Sprache verschlug.

Ein Erlebnis, das wir nicht so schnell vergessen werden, war in einem Restaurant, in dem am Nachbartisch ein noch lebender Fisch serviert wurde. Der Fisch war in einer speziellen Halterung fixiert und zappelte noch, während ihm bei lebendigem Leib Sushi-Stücke herausgeschnitten wurden. Wir saßen mit offenem Mund da und mussten uns wirklich zusammenreißen, nicht ohnmächtig zu werden. Es war ein Moment, der uns tief verstörte – kulturelle Unterschiede hin oder her.

Auch die Auswahl an Snacks war… eigenwillig. Das rosafarbene Zeug, das auf einem Bild oben zu sehen ist, waren vermutlich dünn geschnittene und getrocknete Quallen, die in Bars oft als kleine Häppchen auf der Theke standen. Der Geschmack? Fischig-würzig, nicht schlecht, aber definitiv gewöhnungsbedürftig.

Die Bars in Japan sind oft winzig – manche kaum größer als ein Handtuch – und haben eine unverwechselbare Atmosphäre. Besonders beeindruckt hat uns die Auswahl an hochwertigen lokalen Whiskys, die an vielen Orten serviert wurde. Einzig der ständig dudelnde Jazz, der oft recht chaotisch klang, ging mir manchmal ein bisschen auf den Zwirn. Es war, als ob die Musik das Gegenteil der japanischen Perfektion widerspiegelte, die wir in anderen Bereichen des Lebens erlebten.

Eine weitere Entdeckung, die uns faszinierte, waren die Buchläden. Egal, welche Stadt wir besuchten – Tokio, Kyoto oder Kobe – Buchhandlungen waren allgegenwärtig, und noch beeindruckender war die schiere Größe der Manga-Abteilungen. Mangas sind in Japan ein Massenphänomen, das sich durch alle Altersgruppen und sozialen Schichten zieht. Manche Manga-Bände waren so dick wie Telefonbücher, und in der U-Bahn konnte man leicht einen Blick über die Schulter der anderen Passagiere werfen, die in ihre Geschichten vertieft waren.

Allerdings waren wir überrascht, wie brutal und explizit viele der Mangas sind – sowohl was Gewalt als auch Sexualität betrifft. Manche Inhalte hätten bei uns wahrscheinlich ganze Debatten ausgelöst, in Japan gehören sie jedoch zum Alltag.

Ein Highlight der Reise war eine mehrtägige Wanderung im Hinterland von Kyoto. Die üppige Natur, die uralten Wälder und die ruhige Atmosphäre entlang der Wege boten einen faszinierenden Kontrast zu den pulsierenden Städten. Übernachtet haben wir in traditionellen Ryokans, den japanischen Herbergen, die einen tiefen Einblick in die Kultur des Landes geben. Der Aufenthalt in einem Ryokan folgt einem festen Ritual: Nach der Ankunft nimmt man ein heißes Bad in einem Onsen, legt anschließend den bereitgelegten Yukata (eine Art leichter Kimono) an und genießt das Abendessen zusammen mit anderen Gästen. Dabei sitzt man auf den klassischen niedrigen Tatami-Matten, die zunächst ungewohnt, aber erstaunlich bequem sind. Die Mahlzeiten, ein Kunstwerk aus regionalen Spezialitäten, waren durchweg köstlich – bis auf das rohe Pferdefleisch, auf das wir rückblickend gerne verzichtet hätten. 😉

Was uns besonders überraschte, war die Tatsache, dass selbst in einer kosmopolitischen Stadt wie Tokio nur wenige Menschen Englisch sprechen. Außerhalb der Hauptstadt war es fast unmöglich, sich verbal zu verständigen. Und doch klappte alles erstaunlich gut, denn in Japan scheint alles darauf ausgelegt zu sein, intuitiv verstanden zu werden. Das U-Bahn-Netz in Tokio ist beispielsweise so gut durchdacht, dass man sich mit etwas Orientierungssinn selbst ohne Sprachkenntnisse zurechtfindet. Auch die Plastikmodelle der Gerichte vor den Restaurants waren ein wahrer Segen: Man wusste immer, was man bestellte – zumindest, wie es aussehen würde!

Ein unerwartetes kulturelles Hindernis stellten Tätowierungen dar. In Japan sind sie nach wie vor stark stigmatisiert, da sie traditionell mit der Yakuza (japanische Mafia) assoziiert werden. Viele Onsen verweigern daher den Zutritt, wenn man sichtbare Tätowierungen trägt. Auch wenn es nachvollziehbar ist, dass diese Regel tief in der Geschichte verwurzelt ist, fanden wir es dennoch etwas befremdlich, dass keinerlei Unterschiede zwischen harmlosen Touristen und Mitgliedern der Unterwelt gemacht werden. Aber gut – andere Länder, andere Sitten.

Eine Sache, die uns nachhaltig beeindruckt hat, war der unglaubliche Perfektionismus, der in so vielen Aspekten des japanischen Alltags sichtbar wird. Der Shinkansen, der Hochgeschwindigkeitszug, fährt buchstäblich auf die Sekunde genau ab und bringt einen in Windeseile von Tokio nach Kyoto. Dabei ist er nicht nur effizient, sondern auch durchdacht: Die Sitze lassen sich drehen, sodass man stets in Fahrtrichtung sitzt, und der Service an Bord ist makellos. Auch der Umgang mit Müll war bemerkenswert: Die Menschen nehmen ihren Abfall überall selbstverständlich mit nach Hause oder händigen ihn auf dem Bahnsteig dem warttenden Personal aus.

Japan fasziniert durch seine Gegensätze: die pulsierende Hektik in Tokio und die meditative Ruhe eines Ryokans; die futuristische Technologie des Shinkansen und die zeitlose Tradition der Teezeremonie. Es ist ein Land, das uns nicht nur zum Staunen brachte, sondern auch eine Lektion darin lehrte, wie harmonisch Gegensätze miteinander koexistieren können.

Japan besteht aus insgesamt 6.852 Inseln, von denen die vier größten – Honshu, Hokkaido, Kyushu und Shikoku – etwa 97% der Gesamtfläche ausmachen. Eine Besonderheit Japans ist seine Gebirgslandschaft: Rund 75% der Landesfläche sind von Bergen oder Wäldern bedeckt. Der höchste Gipfel, der ikonische Mount Fuji, ragt 3.776 Meter in die Höhe und wird von Einheimischen und Besuchern gleichermaßen verehrt.

Mit einer Bevölkerung von etwa 126 Millionen Menschen (Stand 2023) ist Japan das 11. bevölkerungsreichste Land der Welt. Die Bevölkerungsdichte liegt bei etwa 333 Einwohnern pro Quadratkilometer, was deutlich über der Dichte Deutschlands liegt, die bei etwa 232 Einwohnern pro Quadratkilometer liegt. Japan ist allerdings auch von einem demografischen Wandel geprägt: Die Bevölkerung schrumpft und altert rapide, was Herausforderungen für die Wirtschaft und das soziale Gefüge des Landes mit sich bringt.

Japan blickt auf eine über 2.000-jährige Geschichte zurück, die von Kaiserdynastien, Samurai-Traditionen und einer außergewöhnlichen Mischung aus Isolation und Offenheit geprägt ist. Im 19. Jahrhundert gelang Japan mit der Meiji-Restauration ein beispielloser Modernisierungssprung, der das Land zu einer der führenden Industrienationen der Welt machte.

Traditionen spielen trotz des technologischen Fortschritts eine zentrale Rolle. Rituale wie die Teezeremonie oder das Hanami (Betrachten der Kirschblüte) sind tief in der japanischen Kultur verwurzelt. Auch die japanische Religion, eine Mischung aus Shintoismus und Buddhismus, prägt den Alltag vieler Japaner.

Japan gehört zu den größten Volkswirtschaften der Welt und ist insbesondere für seine Technologie- und Automobilindustrie bekannt. Marken wie Toyota, Sony und Nintendo haben das Land zu einem Synonym für Innovation gemacht. Trotz dieser Modernität bewahrt Japan eine starke Verbindung zu seinen handwerklichen Traditionen, sei es in der Herstellung von Katana-Schwertern, Keramik oder Seide.

Trotz seiner dichten Besiedlung hat Japan atemberaubende Naturlandschaften zu bieten. Neben dem Mount Fuji sind die heißen Quellen (Onsen), die Wälder von Yakushima und die malerischen Dörfer in den japanischen Alpen besonders sehenswert. Japan ist auch ein Land der Extreme: Es liegt am sogenannten Pazifischen Feuerring und ist regelmäßig von Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Tsunamis betroffen.

Japan ist ein Land der Gegensätze und Harmonie: Moderne Megastädte wie Tokio und Osaka stehen im Kontrast zu den stillen Schreinen und Tempeln, während die Hightech-Wirtschaft durch tiefe Traditionen ergänzt wird. Mit seiner reichen Kultur, faszinierenden Geschichte und beeindruckenden Natur ist Japan nicht nur ein beliebtes Reiseziel, sondern auch ein Land, das in vielerlei Hinsicht einzigartig ist.

Hier noch ein paar Fakten:

  • Fläche: Japan (377.975 km²) ist etwas größer als Deutschland (357.022 km²).
  • Bevölkerung: Japan hat etwa 125 Millionen Einwohner, während Deutschland rund 84 Millionen zählt.
  • Bevölkerungsdichte: Japan (334 Personen/km²) ist dichter besiedelt als Deutschland (233 Personen/km²).
  • Wirtschaft: Japan ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt (nach den USA und China), während Deutschland auf Platz 4 folgt.

Die japanische Literaturszene ist vielfältig und reich an Stimmen, die weltweit Anerkennung finden. Ich lese wahnsinnig gerne Literatur aus Japan und sie ist auch weit verbreitet in deutschen Buchläden. Ich würde sagen Literatur aus Japan erlebt einen wahnsinnigen Boom (neben Südkorea) und Autor*innen wie Haruki Murakami, Banana Yoshimoto, Yogo Ogawa, Syaka Murate, Fuminori Nakamura um nur ein paar zu nennen, sind auch aus der deutschen Literaturlandschaft nicht mehr wegzudenken. Literatur hat in Japan einen hohen Stellenwert; Buchhandlungen und Lesekultur sind tief in der Gesellschaft verankert, und Autoren genießen großes Ansehen, insbesondere für ihre Fähigkeit, die menschliche Erfahrung in poetischer Klarheit darzustellen.

Da ich ein Buch vorstellen wollte, das ich bisher noch nicht gelesen habe, entschied ich mich für Butter von Asako Yuzuki.

Butter – Asako Yuzki erschienen im Blumenbar Verlag, übersetzt von Ursula Gräfe

Ich habe Butter von Asako Yuzuki fast in einem Rutsch gelesen – was irgendwie passend ist, wenn man bedenkt, wie sehr Essen und Genuss im Mittelpunkt dieses Romans stehen. Die Geschichte kombiniert Elemente eines Krimis mit tiefgehender Sozialkritik und ich bewundere jeden, der es schafft diesen Roman zu lesen ohne permanent hungrig zu sei. Ich mußte sogar die Lektüre unterbrechen um mir Reis mit Butter zu kochen.

Die Handlung dreht sich um Rika Machida, eine ehrgeizige Journalistin, die sich an einem spektakulären Fall die Zähne ausbeißt: die mysteriöse Manako Kajii, die mehrere Männer umgebracht haben soll. Kajii ist eine faszinierende Figur – talentierte Köchin, Femme fatale und zugleich Ziel von unerbittlicher medialer Hetze wegen ihres Aussehens und ihrer Lebensweise.

Was mich besonders an Butter beeindruckt hat, ist, wie Yuzuki den Fokus auf die Themen Misogynie, Körperbild und gesellschaftliche Erwartungen richtet. Während Rika Kajii immer wieder im Gefängnis besucht, verschwimmen die Grenzen zwischen Recherche und persönlicher Obsession. Die Gespräche der beiden Frauen sind mal provokativ, mal tiefsinnig, und sie zeigen, wie Essgewohnheiten und Selbstwahrnehmung oft von Kindheitstraumata und gesellschaftlichen Zwängen geprägt sind.

Essen war ein zutiefst persönliches und egoistisches Verlangen. Gourmets waren im Prinzip Suchende. Sie waren Tag für Tag mit ihren Bedürfnissen beschäftigt und auf Entdeckungsreise. Je aufwändiger sie kochten, desto besser gelang es ihnen, die Außenwelt auszuschließen und eine innere Festung zu errichten. Mit Klingen und Flammen rückten sie den Zutaten zu Leibe, um sie nach ihrem Willen zu formen.

Die Parallelen zwischen Rika und Kajii fand ich dabei spannend, aber auch beklemmend. Während Rika immer tiefer in die Welt von Kajii eintaucht, wird sie selbst zur Zielscheibe ähnlicher Kritik: Ihr wachsender Appetit und die Gewichtszunahme werden von ihrem Umfeld kommentiert und abgewertet – ein Spiegel dessen, was Kajii erlebt hat. Das macht die Geschichte nicht nur persönlich, sondern auch universell, denn es geht um viel mehr als einen Mordfall: Es geht darum, wie Frauen in Japan (und weltweit) zwischen widersprüchlichen Erwartungen zerrieben werden. Ich konnte es gar nicht fassen, dass die Protagonistin mehrfach als unfassbar fett betitelt wird und dabei kaum 60kg auf die Waage bringt.

Asako Yuzuki, geboren 1981 in Tokio, ist eine recht bekannte japanische Autorin, die sich durch ihre scharfsinnigen gesellschaftlichen Analysen einen Namen gemacht hat. Bevor sie ihre Karriere als Schriftstellerin begann, arbeitete sie selbst als Journalistin, was man in Butter spürt: Die Recherche, die Tiefe und die Präzision in ihrer Darstellung von Medien und Gesellschaft wirken authentisch und fundiert. Butter wurde in Japan zu einem Bestseller und zeigt, wie Yuzuki mit feministischen Themen auf leise, aber eindringliche Weise umgeht.

Mir hat der Roman gefallen, er hätte aber gut und gerne 1/3 kürzer sein können, er war stellenweise etwas repetitiv.

Mein Filmtipp für Japan dürfte wenig überraschend sein für alle, die mich ein bißchen kennen, denn ich habe diesen Film schon massig empfohlen und hochgelobt: „Perfect Days“ von Wim Wenders – einer meiner absoluten Lieblingsfilme 2024:

Perfect Days von Wim Wenders ist ein ruhiges, poetisches Porträt eines introvertierten Toilettenreinigers in Tokio, der durch die kleinen Momente des Alltags und seine Liebe zu Büchern und Musik die Schönheit des Lebens feiert.

Musikalisch kann es für mich nur eine Band aus Japan geben: MONO – eine ikonische Post-Rock-Band bekannt für ihre epischen, emotionalen Klanglandschaften. Seit ihrer Gründung im Jahr 1999 haben sie zahlreiche Alben veröffentlicht und ich hatte auch schon das Glück sie live zu erleben. Alben wie Hymn to the Immortal Wind (2009), eine Mischung aus orchestralen Arrangements und intensiven Gitarrenwänden, und You Are There (2006), ein Meisterwerk voller melancholischer Schönheit, gehören zu ihren wichtigsten Werken. Ihre Musik ist introspektiv, dramatisch und zeitlos – ein Erlebnis, das unter die Haut geht.

Habt ihr jetzt vielleicht Lust bekommen, euch noch mal auf die anderen Stationen der Weltreise zu begeben? Dann bitte hier entlang:

Großen Applaus für alle, die bis hier hin durchgehalten haben. Ich hoffe euch hat der Ausflug nach Japan Spaß gemacht – ich habe auf jeden Fall riesige Lust mal wieder hinzufahren. Eines meiner aufregensten Reiseerlebnisse bisher.

Möchtet ihr noch ein bißchen in Japan bleiben? Hier sind weitere japanische Bücher die ich hier rezensiert habe: Tatsuki Fujimoto – Goodbye Eri, Waka Hirako – My broken Mariko, Yasushi Inoue – Der Tod des Teemeisters, Natsu Miyashita – Der Klang der Wälder, Lucy Fricke – Takeshis Haut, Haruki Murakami – Mr. Aufziehvogel, Erste Person Singular, Von Beruf Schriftsteller, Sayaka Murata – Convenience Store Woman, Fuminori Nakamura – The Thief, Die Maske, Sosuke Natsukawa – The cat who saved books, Yoko Ogawa – The Memory Police, Marion Poschmann – Die Kieferninseln, Franka Potente – Zehn, Natsume Soseki – Der Bergmann, Rin Usami – Idol Burning, Edmund de Waal – Der Hase mit den Bernsteinaugen, Banana Yoshimoto – NP, Ein seltsamer Ort

Seid ihr schon mal nach Japan gereist? Wie hat es euch gefallen? Welche japanischen Autor*innen / Bands / Filme könnt ihr empfehlen? Ich freue mich sehr von euch zu hören.

Der nächste Stopp ist etwa 8000km entfernt – kommt ihr wieder mit?

Oktober Lektüre

Der Oktober brachte eine interessante Mischung an Leseerlebnissen mit sich. Von einem echten 5-Sterne-Highlight über solide 4-Sterne-Bücher bis hin zu einem 3-Sterne-Werk war alles dabei. Ich freue mich, euch einige dieser besonderen Titel vorzustellen und bin gespannt, wie euer Lesemonat verlaufen ist! Gab es für euch absolute Highlights oder vielleicht auch Enttäuschungen? Und welche meiner Empfehlungen kennt ihr schon oder machen euch neugierig? Eure Rückmeldungen sind wie immer herzlich willkommen!

Rebecca F. Kuang – Yellowface im Eichborn Verlag erschienen, übersetzt von Jasmin Humburg
★★★★☆

„Yellowface“ von R. F. Kuang hat mich tatsächlich ganz schön gefesselt – für mich ein echter Pageturner. Der Roman dreht sich um June Hayward, eine erfolglose Autorin, die das Manuskript ihrer verstorbenen Kollegin Athena Liu stiehlt und es unter ihrem eigenen Namen veröffentlicht. June war stets mega neidisch auf den Erfolg ihrer College Freundin Athena in deren Schatten sie stand. Schon am Anfang war klar, dass Junes Karriere nach diesem Coup zunächst steil bergauf gehen würde – und ihr Fall umso tiefer. Das war richtig nervenaufreibend obwohl ich die Protagonistin nicht wirklich sympathisch fand. Aber gerade die moralischen Grauzonen machten das Buch so spannend.

Besonders faszinierend fand ich, wie tief man hinter die Kulissen der Verlagsbranche blicken konnte. Kuang zeigt schonungslos, wie gnadenlos und oft auch scheinheilig dieser Markt ist, wo Marketing, Macht und Identität eng verknüpft sind. Von toxischen Gatekeepern über die Frage nach kultureller Aneignung bis hin zur Rolle von Social Media – das Buch liefert eine spannende Analyse, die unter die Haut geht und einem eine Menge zum Nachdenken mitgibt. Ich habe dabei richtig viel über die oft verborgenen Strukturen und Dynamiken gelernt, die über Erfolg oder Scheitern eines Buches entscheiden.

Der Literaturbetrieb sucht sich einen Gewinner oder eine Gewinnerin aus – attraktiv genug, cool und jung und, mal ehrlich, wir denken es doch alle, also sprechen wir es doch auch aus, „divers“ genug – und überschüttet diese Person mit Geld und Unterstützung.

Rebecca F. Kuang ist wirklich eine beeindruckende junge Autorin. Schon ihr Roman Babel war großartig. Man hat das Gefühl was Kuang anpackt wird zu Gold. Sie hat einen beeindruckenden akademischen Hintergrund und ich hab keine Ahnung wie sie es schafft mit 28 Jahren in Cambridge und Yale zu studiert zu haben, jetzt ihren PhD zu machen und nebenher noch 5 Bücher zu schreiben. Wow 😮

Wenn ich überlege was ich mit 28 so gemacht habe – ähm ja 😉 Ich hatte das Glück, beim Eichborn Verlag eine signierte Ausgabe zu gewinnen, freu mich noch immer sehr darüber. Ich liebe signierte Bücher 😊

RF Kuang ist eine Autorin die ich definitiv im Auge behalten werde und ich bin echt gespannt was noch alles kommt!

Tonio Schachinger – Echtzeitalter erschienen im Rowohlt Verlag
★★★☆☆

Tonio Schachingers „Echtzeitalter“, der Roman, der 2023 den Deutschen Buchpreis erhielt, hat mich zwiespältig zurückgelassen. Grundsätzlich fand ich die Coming-of-Age-Geschichte spannend, und auch den humorvollen, teils bissigen Stil, mit dem Schachinger das Leben seines jugendlichen Protagonisten an einer Wiener Eliteschule beschreibt, durchaus unterhaltsam. Die Wahl des Theresianums als fiktive Kulisse ist eine gute Grundlage, um das Spannungsfeld zwischen den Erwartungen der Gesellschaft und den inneren Welten Jugendlicher darzustellen. Der 1992 in Wien geborene Autor greift dabei gekonnt auf die Tradition des Schulromans zurück – eine Linie, die an Klassiker wie Musils „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ oder Hesses „Unterm Rad“ anknüpft. Und ja, es gibt viel zu erkennen in Schachingers Schilderungen: Gesellschaftskritik, eine ironische Distanz zur Wiener Tradition und einiges an literarischem Witz.

Denn der Dolinar hält, ebenso wie Palffys Eltern und die meisten sich als konservativ beschreibenden Menschen, das Bekanntwerden einer Verfehlung immer für schlimmer als die Verfehlung selbst.

Würden Till und seine Klassenkollegen Antonio Gramsci lesen statt Adalbert Stifter, dann wüssten sie, dass Hegemonie immer auf Konsens basiert, dass all die Sachen, die uns wie Erleichterungen unseres Elends vorkommen – die Spiele, die Freizeit -, in Wahrheit dieses Elend erst ermöglichen. Weil es uns erpressbar macht, an etwas zu hängen; weil die Erleichterungen vom Elend uns das Elend erst ertragen lassen.

Und doch hatte ich Schwierigkeiten, eine echte Bindung zu den Figuren aufzubauen. Der Protagonist bleibt für mich seltsam fremd, und auch die Nebenfiguren blieben oft skizzenhaft und nicht wirklich nahbar. Das liegt vielleicht daran, dass das Thema Computerspiele eine so zentrale Rolle spielt – ein Bereich, mit dem ich persönlich wenig verbinde. Schachingers Protagonist entzieht sich dem klassischen Schulalltag, indem er sich in die Welt der Games flüchtet, und das ist für ihn nicht nur Hobby, sondern eine fast identitätsstiftende Leidenschaft, die auch hilft, den Tod des Vaters zu verarbeiten. Dieser Aspekt der Geschichte hat sicher eine eigene Faszination und bringt eine neue, unkonventionelle Perspektive in die literarische Darstellung jugendlicher Selbstfindung. Dennoch habe ich mich oft eher als distanzierter Beobachter gefühlt denn als wirklich involvierter Leser.

Obwohl ich „Echtzeitalter“ durchaus als lesenswert empfinde und es auch seine unterhaltsamen wie tiefsinnigeren Momente hat, halte ich es persönlich nicht unbedingt für preiswürdig. Rückblickend auf das Literaturjahr und die anderen Werke der Shortlist hätte ich wohl eine andere Wahl getroffen.

Die Juryentscheidung wirkt, wie bereits manche Kritiker angemerkt haben, fast ein wenig willkürlich – und das nicht nur wegen der Vorhersehbarkeit des Themas „Computerspiele und Jugendkultur“.

Ich danke @kitty_cat_84 für das wunderbare Foto – es war einfach unerlässlich bei dem Roman ein paar Reclamhefte im Hintergrund zu haben.

Anne Michaels – Wintergewölbe erschienen im Berlin Verlag, übersetzt von Nora Matocza
★★★☆☆

Als ich nach vielen Jahren Anne Michaels‘ Wintergewölbe in die Hände bekam, war ich sehr darauf gespannt. Ihr Roman „Fugitive Pieces – Fluchtstücke“ ist eines meiner Lieblingsbücher, das ich mehrmals gelesen habe. Besonders fasziniert haben mich im Wintergewölbe die Passagen über den Bau des Assuan-Staudamms in Ägypten – eine beeindruckende und melancholische Reflexion über den Verlust von Heimat und Geschichte. Michaels verbindet das Schicksal der durch den Staudamm vertriebenen Nubier auf poetische Weise mit dem Bau des Sankt-Lorenz-Seewegs in Kanada. Ihre Beschreibungen sind so detailreich und lebendig, dass man spürt, wie tiefgreifend diese Eingriffe in das Leben der Menschen sind.

Ich glaube wir Menschen haben nur alle in unserem Leben nur ein, zwei philosophische oder politische Grundgedanken, haben nur ein, zwei Ordnungsprinzipien in unserem gesamten Leben, und alles Übrige kommt von dort …

Die Atmosphäre des Romans ist typisch Michaels: melancholisch und poetisch, was mir sehr gefallen hat. Ihre Sprache ist von großer Schönheit. Doch trotz dieser Momente der sprachlichen Brillanz und der bewegenden Thematik erreicht Wintergewölbe für mich bei Weitem nicht das emotionale Niveau von Fugitive Pieces. In Wintergewölbe geht es mehr um das Argument als um die Geschichte – wie eine Kritikerin so treffend sagte: „Michaels konstruiert eine Brücke zwischen zwei sehr unterschiedlichen Männern.“ Doch genau diese Konstruktion bleibt mir zu distanziert, zu abstrakt. Die Figuren sind in weiten Teilen mit sich selbst beschäftigt, und obwohl Jean, die zentrale Figur, durch ihre stillen Beobachtungen und ihren Schmerz tief berührt, bleibt die emotionale Verbindung für mich im Vergleich zu Michaels‘ früherem Buch doch blasser.

Der Roman fühlt sich an manchen Stellen wie ein lehrreiches Stück Geschichte an, und während die Passagen rund um die technischen und architektonischen Meisterleistungen spannend sind, vermisst man oft die intime Nähe zu den Figuren. Das Buch, so lyrisch es auch ist, lässt die Leser*in letztlich eher kalt, besonders im Vergleich zu Fugitive Pieces. Dennoch ist Michaels’ Blick auf Verlust und Erinnerung klar und packend, auch wenn dieser Roman nicht die gleiche emotionale Wucht erreicht.

Ich bin auf jeden Fall sehr auf ihren neuesten Roman „Held“ gespannt, der aktuell auf der Booker Shortlist steht.

Welches ist euer Lieblingsroman von Ms Michaels?

Daniel Kehlmann – Tyll erschienen im Rowohlt Verlag
★★★☆☆

„Tyll“ von Daniel Kehlmann hatte mich eigentlich durchaus angesprochen – die Idee, einen Gaukler als Wegbegleiter durch den Dreißigjährigen Krieg zu erleben, schien faszinierend. Tyll ist angelehnt an die historische Figur Till Eulenspiegel, und Kehlmann lässt ihn in seinem Buch als schillernde, rätselhafte Figur durchs zerrissene Land ziehen, voller List, scharfsinniger Streiche und Grausamkeit. Die Episoden, die Kehlmann miteinander verknüpft – Tyll als Narr eines exilierten Königspaares, die Begegnungen mit erfundenen und historischen Persönlichkeiten – zeichnen ein fast kaleidoskopartiges Bild dieser düsteren Zeit.

Dabei fand ich beeindruckend, wie gekonnt Kehlmann Fiktion und Realität miteinander vermischt. Die Erzählweise bleibt immer unterhaltsam, oft poetisch und verzichtet darauf, Leid und Elend zu explizit zu schildern, was dem/der Leser*in einen gewissen Abstand erlaubt. Trotz dieser Leichtigkeit, die Kehlmann den Schrecken gegenüberstellt, fiel es mir schwer, einen richtigen Zugang zu Tyll zu finden.

Verachtet, gefürchtet, ausgegrenzt. Offen ansprechen, gar berühren durfte man sie nicht. Sie selbst lebten vom Tod, von der Folter und in der ständigen Angst von einem Delinquenten verflucht zu werden. Ihren Kindern und Kindeskindern stand kein anderer Beruf mehr offen, einmal Henker, immer Henker …“

Vielleicht liegt es an der Schelmenfigur selbst, die mir zu distanziert und unnahbar blieb. Auch wenn Kehlmanns Buch komplex und kunstvoll komponiert ist, habe ich mich als Leserin oft nur als Beobachterin gefühlt und weniger als emotional Beteiligte. Vielleicht liegt es daran, dass der Schelmenroman per se nicht mein bevorzugtes Genre ist. Trotzdem bereue ich das Lesen keineswegs – es war faszinierend, wie Kehlmann den Dreißigjährigen Krieg auf diese Art belebt und erzählt. Nur wirkliche Begeisterung wollte sich für mich einfach nicht einstellen.

Habt ihr es gelesen? Wie fandet ihr Tyll?

Jörg Bong – Die Flamme der Freiheit erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag
★★★★★

Jörg Bongs „Die Flamme der Freiheit“ ist ein Buch, das sich wie ein Denkmal für die lange Zeit vergessenen deutschen Freiheitskämpferinnen und Freiheitskämpfer der Revolution von 1848/49 liest – eine Geschichte, die im heutigen Bewusstsein oft im Schatten steht, obwohl sie einen zentralen Ursprung unserer demokratischen Tradition darstellt. Bongs Darstellung packt die Leser, sie bringt die Szenen der Revolution und die Menschen, die dafür gekämpft haben, lebendig nahe. Dabei hat das Buch für mich persönlich eine fast magische Anziehungskraft entfaltet: Ich habe beinahe jeden zweiten Satz markiert und mich in ein Recherche-Fieber versetzt gefunden, das mich Seite um Seite tiefer in die Geschichte hineinriss.

Goethes und Schillers dringlicher Rat an die Deutschen zu ihrer Zukunft widerstrebt Gagern im Innersten: Am besten sollten sie, empfehlen die beiden, die Entwicklungsstufe der Nation überspringen und gleich kosmopolitisch werden, Weltbürger, Goethes letzte große Idee

Die Freiheitskämpfer*innen die in Bongs Erzählung so lebendig werden, kämpfen für eine Demokratie, die damals noch in weiter Ferne lag – und es ist erschreckend zu lesen, wie ähnlich die Bedrohung der Demokratie heute in vielerlei Hinsicht ist. Die Bilder, die Bong beschreibt, erinnern an eine Zeit, in der die Menschen gegen den autoritären Preußenstaat aufstanden, sich gegen Repression, Ungerechtigkeit und für Freiheitsrechte stellten. Bongs Protagonisten scheitern bekanntlich letztlich mit ihrem Anliegen, doch die Entschlossenheit und das Durchhaltevermögen dieser Frauen und Männer können nicht genug gewürdigt werden. So eindringlich wie in „Die Flamme der Freiheit“ wurde dieses Kapitel der deutschen Geschichte selten erzählt – und wenn je eine Mahnung zur Verteidigung demokratischer Werte nötig war, dann ist sie in Bongs Werk eindrucksvoll eingeflochten.

Die Hauptakteure in Bongs Buch wie zB der Rheinländer Carl Schurz sind teilweise in den USA viel bekannter als bei uns. Die „48er“ hatten dort einen unglaublich guten Ruf. Schurz zB der gescheiterten Revolution flieht er vor der preußischen Obrigkeit in die USA, kämpfte im amerikanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Nordstaaten gegen die Sklaverei und bringt es bis zum US-Innenminister. Es ist bedauerlich, dass die 48er in Deutschland so wenig bekannt ist, obwohl sie doch so bedeutend für unsere Demokratie sind und wir ihnen soviel zu verdanken haben.

Das Ehepaar Georg und Emma Herwegh war ein außergewöhnliches Duo innerhalb der revolutionären Bewegungen der Jahre 1848/49. Georg Herwegh, bekannt als „Der eiserne Dichter der Revolution“, begeisterte viele Menschen mit seinen scharfsinnigen, freiheitsliebenden Gedichten. Emma Herwegh, seine Frau, ging jedoch über das bloße Unterstützen hinaus und entwickelte sich selbst zu einer mutigen, aktiv handelnden Figur der Revolution. Sie war nicht nur Begleiterin ihres Mannes, sondern übernahm eigenständig Verantwortung und engagierte sich leidenschaftlich für die Freiheitsideale ihrer Zeit. Mit außergewöhnlicher Entschlossenheit half sie bei der Organisation der sogenannten „Deutschen Demokratischen Legion“, die unter der Führung ihres Mannes im badisch-pfälzischen Aufstand gegen die reaktionären Mächte kämpfte. Emma wurde zur Symbolfigur für viele revolutionär gesinnte Frauen, weil sie sich den ihr zugeschriebenen, traditionellen Rollen widersetzte und eine aktive politische Rolle einnahm. Ihre Tapferkeit und Standfestigkeit verliehen der Bewegung eine zusätzliche moralische Kraft, und ihre Beteiligung stellte ein frühes Beispiel für den Kampf um Gleichberechtigung und weibliche Selbstbestimmung dar.

Doch Emma sieht messerscharf, was sich anbahnt: der historische Kampf zwischen Demokratie und Nationalismus. Sie formuliert ihren Satz von den „beiden Elementen“ die nun zu einem epochalen Showdown antreten: die neue demokratische Freiheit gegen den neuen „scheußlichsten Absolutismus“ des Nationalen.

Die Revolution von 1848/49 war eine Möglichkeit, die leider verpasst wurde, wie der Historiker Thomas Nipperdey es einmal beschrieb – eine Möglichkeit, der deutschen Geschichte eine friedlichere Wendung zu geben, die vielleicht spätere Katastrophen hätte verhindern können. „Die Flamme der Freiheit“ von Jörg Bong ist in diesem Sinne weit mehr als eine historische Schilderung: Es ist ein Mahnmal und eine Aufforderung, für die Demokratie zu kämpfen, auch wenn der Erfolg nicht gewiss ist. Ein Meisterwerk, das hoffentlich seinen Weg zu vielen Leser finden wird und die Erinnerung an eine bedeutsame Zeit aufrecht erhält.

Mit seiner greifbaren Darstellung und der Detailtreue, die sich selbst kleinsten Aspekten widmet, versetzt Bong die Leser*innen direkt in die Mitte der revolutionären Geschehnisse – sei es bei der Beisetzung der Märzgefallenen oder bei den Barrikadenkämpfen, wo der preußische König Friedrich Wilhelm IV. unter Demütigungen letztlich nachgeben muss, nur um sich insgeheim grausame Rache zu schwören. Die Auseinander-setzungen um die Demokratie waren kein bloßes Streben nach Reformen; es waren die harten Kämpfe der deutschen Revolution, die in einer Zeit stattfanden, in der von Demokratie kaum ernsthaft zu träumen war.

Bong verzichtet auf Belehrungen und verurteilt die historischen Figuren nicht aus der Sicht der Gegenwart, sondern versucht, deren Handeln in der jeweiligen Zeit verständlich zu machen. Dabei bleibt er den historischen Figuren nahe, fängt die Atmosphäre ihrer Zeit ein und entfaltet die Tragik ihrer Geschichte: eine Tragödie des Scheiterns und des ungenutzten Potentials für eine demokratischere deutsche Geschichte, eine, die uns bis heute in Trauer zurücklässt.

Ich war zutiefst schockiert was für ein grausames Arschloch der spätere Kaiser Wilhelm I war. Sorry das kann mich nicht feiner ausdrücken. Wie er in die protestierenden Menschenmassen reingeschossen hat, Unruhe absichtlich gestiftet hat, um den Rebellen Dreck in die Schuhe schieben zu können um dann pro Forma einen Grund für sein rücksichtsloses Abschlachten hat – ohne Worte.
Wir sollten die Demokratie auf keinen Fall für etwas Selbstverständliches halten und sie schützen und aktiv sein, um sie widerstandsfähig zu machen und gegen ihre Gegner zu schützen.

Nguyễn Phan Quế Mai – Der Gesang der Berge, Insel Verlag, übersetzt von Claudia Feldmann
★★★★☆

Meine literarische Weltreise hat mich noch einmal nach Vietnam zurückgeführt, diesmal mit Nguyen Phan Que Mais Roman „Der Gesang der Berge.“ Noch beeindruckt von Cecile Pins Wandering Souls, wollte ich tiefer in die vietnamesische Geschichte eintauchen. Das Buch hat mich von der ersten Seite an mitgerissen, nicht zuletzt durch die zentrale Rolle der Großmutter Dieu Lan, die mich an meine eigene Großmutter erinnerte, bei der ich aufgewachsen bin. Geschichten, in denen Großmütter eine tragende Rolle spielen, ziehen mich immer ganz besonders an, und Dieu Lan ist eine dieser unvergesslichen Figuren. Ihre Stärke, ihr Durchhaltevermögen und ihre bedingungslose Liebe zu ihrer Enkelin Huong haben mich tief berührt.

Die Handlung entfaltet sich über mehrere Jahrzehnte vietnamesischer Geschichte – ein Bild voll Schmerz, Verlust und Hoffnung. Durch die abwechselnden Erzählperspektiven von Dieu Lan und Huong hat man das Gefühl, man sei direkt dabei, als die Familie die Schrecken der Landreform, die Zerstörungen des Krieges und die bedrückenden Jahre der Teilung Vietnams durchlebt. Die Erzählungen von Bombenangriffen, Flucht und den traumatischen Folgen von Agent Orange lassen das unermessliche Leid der vietnamesischen Bevölkerung greifbar werden. Dennoch ist es der Mut, den Dieu Lan ihrer Enkelin weitergibt, der mich am meisten bewegt hat – ein starker, unzerstörbarer Familienkern, der trotzig die Zerstörung des Krieges überlebt.

Je mehr ich las, desto größer wurde meine Angst vor Kriegen. Kriege haben die Macht, liebenswerte und kultivierte Menschen in Ungeheuer zu verwandeln

Die Großmutter erinnert Huong daran, wie die Machthaber die Macht beanspruchen, Geschichte umzuschreiben – ein düsteres Bild, das die Zeit der Landreform und der kommunistischen Herrschaft in Nordvietnam prägte. In einer Welt voller Schmerz und Verlust verkörpert Dieu Lan für mich das Bild einer Überlebenden, die an Hoffnung festhält auch wenn die Gegenwart mehr als düster ist und der es gelingt, Huong eine Zukunft zu schenken.

Nguyen Phan Que Mai erinnert daran, dass selbst in den dunkelsten Zeiten Menschen wie Dieu Lan Hoffnung und Menschlichkeit bewahren.

Margot Douaihy – Verbrannte Gnade, erschienen im Blumenbar Verlag, übersetzt von Eva Kemper
★★★☆☆

Margot Douaihys Verbrannte Gnade hat mich auf unerwartete Weise begeistert. Der Krimi führt uns in das schwüle, drückende New Orleans, das durch Douaihys poetischen Stil fast wie eine weitere Figur erscheint. Sister Holiday, die lesbische, kettenrauchende, tätowierte Nonne mit einer Punk-Vergangenheit, ist alles andere als gewöhnlich – sie ist gebrochen, komplex und auf eine ganz eigene Art gläubig. Ihre innere Zerrissenheit und ihr Kampf, trotz ihrer rauen Fassade, ihren Glauben zu bewahren, machen sie zu einer faszinierenden Protagonistin.

Der Kriminalfall selbst, bei dem es um eine Reihe von mysteriösen Bränden an einer katholischen Schule geht, war für mich ehrlich gesagt etwas weniger fesselnd. Die eigentliche Stärke des Romans liegt in der düsteren Atmosphäre und den Charakteren. Die Hitze von New Orleans ist fast greifbar, und Douaihy beschreibt sie so intensiv, dass man das Gefühl hat, selbst in dieser dampfenden Stadt zu stehen, wo alles ein bisschen verfallen wirkt. Diese Kulisse verstärkt das Gefühl, dass jeder Charakter in irgendeiner Form vor der eigenen Vergangenheit oder den eigenen Dämonen flieht.

God never judged me as harshly as I judged myself.

Douaihy, ursprünglich aus Scranton, Pennsylvania, bringt eine raue, fast schon „Rust Belt“-Ästhetik in ihre Darstellung von New Orleans ein, was der Stadt einen spannenden, einzigartigen Anstrich gibt. Ihre Erfahrung als Lyrikerin zeigt sich in den detailreichen, stimmungsvollen Beschreibungen und der eher langsamen Entfaltung der Geschichte. Das Tempo ist manchmal fast hypnotisch, doch gerade das unterstreicht die erdrückende Hitze und die psychischen Kämpfe der Figuren.

Sister Holiday ist weit mehr als nur eine Nonne, die Detektivin spielt. Sie ist auf einer eigenen Reise der Selbstfindung und Sühne, die für mich spannender war als der Kriminalfall selbst. Definitiv eine Figur die mir noch lange im Gedächtnis bleibt und ich hätte auf jeden Fall Lust sie auch bei ihrem nächsten Fall zu begleiten.

Khaled Hosseini – And the Mountains echoed auf deutsch unter dem Titel „Traumsammler“ im S. Fischer Verlag erschien, übersetzt von Henning Ahrens.
★★★☆☆

Afghanistan war die zweite Station auf meiner literarischen Reise um die Welt und die ausführliche Besprechung zum Buch und Informationen über Afghanistan könnt ihr hier nachlesen.

So – geschafft! Freu mich von euch zu hören. Welche habt ihr auch gelesen und was waren eure Lese Highlights im Oktober?

Juli Lektüre – Sommer Ausgabe

Was gibt es Schöneres als im Sommer im Urlaub am Meer, oder zu Hause im Gras, im Zug, auf dem Balkon, an der Isar oder im verdunkelten Schlafzimmer zu liegen und zu lesen? Ich lese zu jeder Jahreszeit gerne, aber dieses Sommerferiengefühl beim draußen lesen ist einfach was ganz Besonderes. Hier also der Rest der Juni sowie die Juli Lektüre. Wie immer kurz, knackig und in alphabetischer Reihenfolge.

Find Me – André Aciman auf deutsch „Finde Mich“ im dtv Verlag erschienen, übersetzt von Thomas Brovot

Die Geschichte von Elio und Oliver geht weiter. „Call Me by your name“ ist für mich einer der schönsten Sommerfilme und ich habe mich sehr auf die Fortsetzung gefreut. Elio lebt als Pianist in Rom. Seit der Trennung von seiner großen Jugendliebe Oliver ist er keine längere und ernsthafte Beziehung eingegangen. Oliver hingegen hat in New York geheiratet, ein bürgerliches Leben als Collegeprofessor begonnen, eine Familie gegründet. Doch insgeheim ist er über die Beziehung mit Elio nicht hinweggekommen. In seinem neuen Roman erweist sich André Aciman erneut als Meister des sinnlichen Erzählens. Die Suche nach dem einen Menschen im Leben, den man wahrhaftig liebt, kann lange dauern – doch sie ist nie vergebens.

Der Roman ist in drei Episoden aufgeteilt, wobei die eigentliche Fortsetzung von Elio und Oliver die kürzeste ist. Das als kleine Vorwarnung – wer einen Roman erwartet der sich umfänglich und vielleicht sogar ausschließlich den beiden widmet, würde hier enttäuscht werden.

Ich fand die drei ineinanderfließenden Episoden dieses eleganten Büchleins wundervoll. Ich liebe Acimans Schreibstil, er ist für mich die Verkörperung von Sprezzaturo in der Literatur.

Some people may be brokenhearted not because they’ve been hurt but because they’ve never found someone who mattered enough to hurt them.

Im Haus der Weisheit – Jim Khalili erschienen im S. Fischer Verlag, übersetzt von Sebastian Vogel

Die arabischen Fundamente unserer modernen Gesellschaft.

Im Haus der Weisheit“ von Jim Al-Khalili ist eine faszinierende und gut geschriebene historische Reise durch die Blütezeit der islamischen Wissenschaft im Mittelalter. Das Buch beleuchtet die unglaublichen Errungenschaften und den intellektuellen Reichtum der muslimischen Gelehrten im alten Bagdad, als diese Stadt das Zentrum des Wissens und der Kultur war.

Jim Al-Khalili präsentiert das Thema auf anschauliche Weise und vermittelt dem Leser eine klare Vorstellung von der erstaunlichen Vielfalt der wissenschaftlichen Disziplinen, die von den muslimischen Gelehrten studiert wurden, einschließlich Astronomie, Mathematik, Medizin, Philosophie und Literatur. Er zeigt, wie die Übersetzungen klassischer griechischer und indischer Werke sowie die originellen Beiträge der arabischen Gelehrten die Grundlage für viele spätere wissenschaftliche Entdeckungen in Europa und anderswo bildeten.

Besonders beeindruckend ist die Betonung der Zusammenarbeit zwischen Muslimen, Christen und Juden in diesem kulturell reichen Umfeld. Al-Khalili betont, wie dieses harmonische Zusammenleben die Wissensaneignung und den intellektuellen Fortschritt förderte.

Meine einzige Kritik ist, dass das Buch manchmal zu viele Informationen auf einmal präsentiert, was den Lesefluss beeinträchtigen kann. Dennoch ist „Im Haus der Weisheit“ insgesamt ein lesenswertes Werk für alle, die sich für die Geschichte der Wissenschaft und des Wissensaustauschs interessieren. Es bietet einen Einblick in eine Zeit, die oft in den Schatten gestellt wird und verdient es, mehr Beachtung zu finden.

Ein wahrhaft weiser Leser lädt dich nicht ein, das Haus seiner Weisheit zu betreten, sondern er führt dich an die Schwelle deines Geistes.

Khalil Gibran

Jews don’t count – David Baddiel erschienen im TLS Verlag, aktuell nicht auf deutsch erhältlich

„Jews Don’t Count“ ist ein Buch des britischen Autors David Baddiel, das 2020 veröffentlicht wurde. In diesem Werk behandelt Baddiel das Thema des Antisemitismus und wie die jüdische Bevölkerung oft nicht angemessen in den Diskurs über Rassismus und Diskriminierung einbezogen wird.

Die Kernthese des Buches ist, dass Antisemitismus häufig ignoriert, heruntergespielt oder nicht ernsthaft bekämpft wird, während andere Formen von Rassismus in der Gesellschaft breitere Aufmerksamkeit und Unterstützung erhalten. Baddiel argumentiert, dass Juden oft nicht als „echte Opfer“ des Rassismus angesehen werden, was zu einer Gefahr für ihre Sicherheit und Würde führt.

Er untersucht auch, wie einige politische Bewegungen und Gruppen den Antisemitismus in ihren Reihen nicht ausreichend bekämpfen, was wiederum zur Marginalisierung der jüdischen Erfahrung beiträgt.

Das Buch will ein Bewusstsein schaffen und dazu ermutigen, Antisemitismus als ernsthaftes Problem anzuerkennen und in den Kampf gegen Rassismus einzubeziehen, um eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft zu fördern.

Jews Don’t Count war für mich eine augenöffnende Lektüre die für mich eine neue Perspektive bot auf die Debatte um Identitätspolitik und Diskriminierung. Ein wichtiges Buch und stellenweise wirklich witzig, man merkt, dass Mr Baddiel hauptberuflich ein Comedian ist. Große Empfehlung!

Jews are somehow both sub-human and humanity’s secret masters. And it’s this racist mythology that’s in the air when the left pause before putting Jews into their sacred circle.

We live in a culture now where impact is more important than intent; where how things are taken is more significant than how they are meant.

Auerhaus – Bov Bjerg erschienen im Blumenbar Verlag

Bov Bjergs Roman „Auerhaus“ ist eine bewegende und tiefgründige Geschichte über Freundschaft, Jugend und die Suche nach dem Sinn des Lebens. Die Handlung dreht sich um eine Gruppe von Jugendlichen, die gemeinsam beschließen, aus ihrem tristen Alltag auszubrechen und eine Wohngemeinschaft im „Auerhaus“ zu gründen.

Bjerg gelingt es, tiefgründige Themen wie Depression, Verlust und die Suche nach Identität auf eine zugängliche und einfühlsame Weise zu behandeln. Dabei schafft er es, eine Balance zwischen ernsten Momenten und humorvollen Szenen zu finden, die den Leser gleichzeitig berühren und zum Schmunzeln bringen.

Die Stärke des Romans liegt auch in seiner Sprache und Erzählstruktur. Die klaren, einfachen Sätze und die kurzen Kapitel verstärken die emotionale Wirkung und machen das Buch zu einem fesselnden Leseerlebnis. Ich habe den Roman wirklich gerne gelesen, obwohl ich lange keine richtige Lust drauf hatte und danke der hartnäckigen Gattin, dass sie mich immer wieder an das Buch erinnert hat.

Ich wollte mich nicht umbringen. Ich wollte bloß nicht mehr leben. Ich glaube, das ist ein Unterschied.

The Girls – Emma Cline auf deutsch erschienen unter dem gleichen Titel im dtv Verlag, übersetzt von Nicolaus Stingl

The Girls“ von Emma Cline ist ein fesselnder Roman, der geschickt zwischen Coming-of-Age-Drama und Kriminalgeschichte jongliert. Die Geschichte ist in den späten 1960er Jahren in Kalifornien angesiedelt und zeichnet ein eindringliches Bild von der Anziehungskraft einer sektenähnlichen, manipulativen Gruppe auf junge Menschen.

Cline schreibt mit einer beeindruckenden Sprache und verleiht der Protagonistin, Evie, eine bemerkenswerte Tiefe. Wir folgen ihrer faszinierenden, aber erschreckenden Reise in die Welt der charismatischen Sektenführerin und ihrer Anhängerinnen. Die Darstellung der weiblichen Freundschaften und der Verwundbarkeit von Heranwachsenden ist äußerst realistisch und ergreifend.

Der Roman beleuchtet auch geschickt die historischen Ereignisse des Manson-Mordes, wodurch die Atmosphäre düsterer und beklemmender wird. Cline gelingt es, die Spannung während des gesamten Buches aufrechtzuerhalten, was den Leser in ihren Bann zieht.

„The Girls“ ist eine düstere Geschichte über Manipulation, Verführung und die Konsequenzen von Entscheidungen erzählt. Emma Cline hat mich mit ihrem Debüt sehr beeindruckt und ich freue mich schon auf weitere Romane von ihr

That was part of being a girl–you were resigned to whatever feedback you’d get. If you got mad, you were crazy, and if you didn’t react, you were a bitch. The only thing you could do was smile from the corner they’d backed you into. Implicate yourself in the joke even if the joke was always on you.

Lügen über meine Mutter – Daniela Dröscher erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag

Daniela Dröscher erzählt vom Aufwachsen in einer Familie, in der ein Thema alles beherrscht: das Körpergewicht der Mutter. Ist diese schöne, eigenwillige, unberechenbare Frau zu dick? Muss sie dringend abnehmen? Ja, das muss sie. Entscheidet ihr Ehemann. Und die Mutter ist dem ausgesetzt, Tag für Tag.

„Lügen über meine Mutter“ ist zweierlei zugleich: die Erzählung einer Kindheit im Hunsrück der 1980er, die immer stärker beherrscht wird von der fixen Idee des Vaters, das Übergewicht seiner Frau wäre verantwortlich für alles, was ihm versagt bleibt: die Beförderung, der soziale Aufstieg, die Anerkennung in der Dorfgemeinschaft. Und es ist eine Befragung des Geschehens aus der heutigen Perspektive: Was ist damals wirklich passiert? Was wurde verheimlicht, worüber wurde gelogen? Und was sagt uns das alles über den größeren Zusammenhang: die Gesellschaft, die ständig auf uns einwirkt, ob wir wollen oder nicht?

Schonungslos und eindrücklich lässt Daniela Dröscher ihr kindliches Alter Ego die Jahre, in denen sich dieses »Kammerspiel namens Familie« abspielte, noch einmal durchleben. Ihr gelingt ein ebenso berührender wie kluger Roman über subtile Gewalt, aber auch über Verantwortung und Fürsorge. Vor allem aber ist dies ein tragik-komisches Buch über eine starke Frau, die nicht aufhört, für die Selbstbestimmung über ihr Leben zu kämpfen.

Dröscher gelingt es, den Leser durch eine poetische und einfühlsame Sprache in die Welt der Protagonistin einzuführen. Die Emotionen und Gedanken der Hauptfigur werden auf eine fesselnde Weise vermittelt, die den Leser in die Geschichte hineinzieht und mitfühlen lässt.

Die Thematik des Romans, die Suche nach der eigenen Identität und die Bewältigung von familiären Konflikten, wird auf eine ansprechende und tiefgründige Weise behandelt. Die Erzählung wirft Fragen nach der Wahrheit, dem Verlust und der Liebe auf und regt zum Nachdenken an.

Wenn Du nicht endlich redest, muss ich etwas erfinden. Ich muss lügen“, droht die Tochter, worauf die Mutter kontert: „Nur zu. Das ist ja dein Beruf.

This is How you lose the Time War – Amal El Mohtar & Max Gladstone bislang nicht auf deutsch erschienen

„This is how you lose the time war“ ist ein fesselndes und ziemlich unkonventionelles Buch, das von Amal El-Mohtar und Max Gladstone gemeinsam geschrieben wurde. Es ist eine einzigartige Mischung aus Science-Fiction, Liebesgeschichte und Zeitreiseabenteuer.

Die Geschichte dreht sich um zwei Zeitreise-Agentinnen, Red und Blue, die auf entgegengesetzten Seiten eines Krieges stehen. Als sie beginnen, sich Briefwechsel zu begegnen, entfaltet sich eine unerwartete Verbindung zwischen den beiden. Die Autoren präsentieren die Geschichte auf wunderbar poetische Weise, die den Leser in eine faszinierende Welt voller Intensität und Emotionen eintauchen lässt.

Die Prosa ist ganz wunderbar elegant, wodurch die Handlung trotz ihrer Komplexität leicht zugänglich bleibt. Die Beziehung zwischen Red und Blue wird voller Schönheit beschrieben und entfaltet sich auf eine Art und Weise, die einen bis zur letzten Minute des Hörbuches mitfiebern lässt. Es ist eine Geschichte über Liebe, Verlust und die Bedeutung von Verbindungen, die weit über Zeit und Raum hinausgehen.

Die Welt, die in „This is how you lose the time war“ geschaffen wird, ist ebenso beeindruckend wie verwirrend. Die Zeitreiseelemente können ab und an kompliziert sein, aber sie geben dem ganzen auch eine gewisse Tiefe und Raffinesse. Die Autoren lassen bewusst einige Fragen unbeantwortet, was die Fantasie des Lesers anregt und Platz für Interpretationen lässt. Ab und an war es mir doch etwas blumig und zu romantisch von der Sprache her, aber das hat meinem Hörvergnügen keinen großen Abbruch getan.

Ich lese schon länger den Newsletter von Amal El Mohtar und hatte ihre Buch daher schon länger auf der Wunschliste, ich bin aber froh, dass ich mich von dem Hype nicht habe abhalten lassen und gebe Bigolas Dickolas einfach mal recht – lest dieses Buch!

I love you. I love you. I love you. I’ll write it in waves. In skies. In my heart. You’ll never see, but you will know. I’ll be all the poets, I’ll kill them all and take each one’s place in turn, and every time love’s written in all the strands it will be to you.

The Hill we Climb – Den Hügel hinauf – Amanda Gorman erschienen als zweisprachige Ausgabe im Hoffmann und Campe Verlag, übersetzt von Kübra Gümüsay, Hadija Haruna-Oelker, Uda Strätling

„The Hill We Climb“ ist das Gedicht, das sie während der Amtseinführung von Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris am 20. Januar 2021 vorgetragen hat, damit war sie der jüngste Mensch der je bei einer solchen Amteinführung in den USA einen Vortrag hielt. Ihr Gedicht wurde weitgehend für seine optimistische und mutmachende Botschaft gelobt, besonders vor dem Hintergrund einer zutiefst gespaltenen Nation, die mit den Herausforderungen der COVID-19-Pandemie und politischen Turbulenzen zu kämpfen hatte.

„The Hill We Climb“ spricht Themen wie Einheit, Hoffnung und Widerstandsfähigkeit an und fordert die Menschen auf, trotz der Widrigkeiten zusammenzukommen und an einer besseren Zukunft zu arbeiten. Gormans poetische Darbietung und starken Worte fanden weltweit Resonanz und machten sie zu einer sofortigen Sensation und einem inspirierenden Symbol für viele insbesondre junge Menschen.

When day comes, we step out of the shade of flame and unafraid.
The new dawn balloons as we free it.
For there is always light, if only we’re brave enough to see it.
If only we’re brave enough to be it.

Das Gedicht und die Performance von Amanda Gorman zeigen nicht nur ihr außergewöhnliches Talent als Dichterin, sondern dient auch als Hoffnungsschimmer in einer Zeit großer Unsicherheit. Sie ermutigt die Menschen, an ihre Fähigkeit zu glauben, gemeinsam Hindernisse zu überwinden und positive Veränderungen herbeizuführen.

Graue Bienen – Andrej Kurkow erschienen im Diogenes Verlag, übersetzt von Johanna Marx und Sabine Grebing

Der Bienenzüchter Sergej lebt im Donbass, wo ukrainische Kämpfer und prorussische Separatisten Tag für Tag aufeinander schießen. Er überlebt nach dem Motto: Nichts hören, nichts sehen – sich raushalten. Ihn interessiert nur das Wohlergehen seiner Bienen. Denn während der Mensch für Zerstörung sorgt, herrscht bei ihnen eine weise Ordnung. Eines Frühlings bricht er auf: Er will die Bienen dorthin bringen, wo sie in Ruhe Nektar sammeln können.

Im dritten Frühling beschließt Sergej, seine Bienen aus der Kriegszone zu bringen. Sie sollen in Ruhe ausschwärmen, um ihren Nektar zu sammeln. Auf seiner Reise knüpft Sergej Freundschaften, stößt aber auch auf Misstrauen und Missgunst. Selbst auf der paradiesischen Krim fühlt er sich nicht wirklich willkommen. Und als sich sogar seine Bienen zu verändern scheinen, beschließt er, in sein Dorf zurückzukehren.

Habe vor Jahren einige Romane von Kurkow gelesen und sehr gemocht, dann rutschte er irgendwie von meinem Radar. Habe die Lektüre wieder sehr genossen und wieder literweise schwarzen Tee getrunken, auch wenn das zu den sommerlichen Temperaturen gar nicht so passen wollte. Ein sehr schönes Buch, das die Schrecken des Krieges in der Ukraine unfassbar nah werden lässt.

Er fühlte sich schon wie eine Biene in einem fremden Bienenstock. Und er wusste, wie Bienen mit Fremden umgingen!

Blanca – Mercedes Lauenstein erschienen im Aufbau Verlag

Die fünfzehnjährige Blanca will weg – weg von ihrer Mutter, die ständig auf gepackten Koffern sitzt, weg von den billigen WG-Zimmern, in denen sie an jedem neuen Ort unterkommen. Ihr Ziel: eine kleine Insel in Italien. Dort, bei Toni und seinem Vater Karl, war sie vor Jahren zum letzten Mal richtig glücklich. Ein Roadtrip quer durch das sommerglühende Land beginnt. Blanca reist als blinder Passagier nach Rom und schlägt sich zu Fuß bis ans Meer durch. Sie klaut in Cafés Essensreste von den Tischen, trifft auf einen Taxifahrer ohne Skrupel und einen zahnlosen Bauern, der sie zur Frau nehmen will. Mercedes Lauenstein entfaltet die Geschichte eines Mädchens, das seinen ganz eigenen Weg geht, ständig begleitet von der Frage, wie viel man vom Leben eigentlich erwarten kann.

Ein sehr bewegender Roman über ein Mädchen mit extrem schwierigen Startbedingungen, eine Kämpferin mit viel Street-Smartness von der man einfach weiß, dass sie ihren Weg machen wird und die mir unfassbar ans Herz gewachsen ist während der Lektüre.

Ich habe für die Schule mal einen Aufsatz mit dem Titel ‚Warum ist alles, wie es ist?‘ geschrieben. Wir sollten über etwas schreiben, das uns beschäftigt. Ich bekam den Aufsatz ohne Bewertung zurück. Die Lehrerin sagte, sie könne einen Aufsatz, der aus zehn Seiten hintereinanderweg geschriebener Fragen bestehe, aber keine einzige Antwort oder auch nur einen einzigen Satz mit Punkt am Ende enthalte, einfach keine Note geben, es tue ihr leid.

Der endlose Sommer – Madame Nielsen erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag, übersetzt von Hannes Langendörfer

Der Rausch eines Sommers – ein flirrender Roman, der die Grenzen des Erzählens sprengt.Die Geschichte einer kleinen Gruppe von Leuten, die im Spiel um die Liebe, die Freundschaft und die Kunst aus der Zeit in einen endlosen Sommer geworfen werden, in dem alles möglich und schicksalsentscheidend ist. Ein Roman wie ein Requiem, musikalisch, melancholisch, verführerisch, der den Leser trunken macht.

Ein junges Mädchen in einem weißen Herrenhaus in Dänemark, ihr Freund, der scheue und zarte Junge, der Stiefvater mit dem Gewehr und dem Misstrauen gegenüber seiner Frau, die beiden jüngeren Brüder – diese kleine Gemeinschaft wird durchgerüttelt, als zwei junge Portugiesen in den endlosen Sommer eintreten. Der eine ist Künstler und verliebt sich in die Mutter des Mädchens. Eine Liebesgeschichte nimmt ihren Anfang, die so leidenschaftlich und gewaltig ist, dass alle, die in den Bannkreis dieser Amour Fou geraten, in einer Schicksalsgemeinschaft vereint sind, die auch noch besteht, als der endlose Sommer endet.

Der endlose Sommer – das ist dieser Ort, der nie existiert hat und an den wir nie zurückkehren können, d.h. dieser Augenblick der Jugend, in dem alles einfach und verwirrend zugleich erscheint und den wir alle noch einmal erleben möchten.

Madame Nielsen ist eine dänische Schriftstellerin und Künstlerin, deren Werke zeichnen sich durch besondere Sensibilität und Poesie auszeichnen. Ein flirrend-fiebriger Roman, bei dem ich nicht immer unbedingt wußte um wen es gerade geht, oder was genau passiert – aber es passte zu der Stimmung und ich habe den Roman sehr gerne gelesen.

Ein paarmal im Jahr besuchten sie ihre große blonden und blauäugigen Eltern, und sie präsentierte sie stolz ihren spanischen Freundinnen, denen sie vorkamen wie aus dem Märchen, wie Feen oder Engel. Die beiden hatten sich sehr jung kennengelernt, und als sie auf die zwanzig zugingen, begannen sie, sich auseinanderzuleben, genauer gesagt, die Mutter entwickelte sich weg von ihrem Freund…

Lolly Willowes – Sylvia Townsend-Warner erschienen im Dörlemann Verlag hier in der Büchergilden-Ausgabe, übersetzt von Ann Anders

„Lolly Willowes“ ist ein faszinierender Roman von Sylvia Townsend Warner, der erstmals 1926 veröffentlicht wurde. Der Roman erzählt die Geschichte von Laura „Lolly“ Willowes, einer unabhängigen und eigenwilligen Frau, die nach dem Tod ihres Vaters beschließt, ihr Leben in der engen Umgebung ihrer Familie und ihrer gesellschaftlichen Erwartungen hinter sich zu lassen. Sie zieht in das kleine Dorf Great Mop auf dem Land, um dort ein einfacheres, freieres Leben zu führen.

Sylvia Townsend Warner, geboren 1893, war eine englische Schriftstellerin, die als eine der bedeutendsten Autorinnen des 20. Jahrhunderts gilt. Sie war eine starke Befürworterin der Frauenrechte und drückte in ihren Werken häufig feministische Ansichten aus. Als lesbische Frau lebte sie mit ihrer Lebensgefährtin, der Schriftstellerin Valentine Ackland, zusammen, was zu der Zeit nicht immer einfach war, da Homosexualität damals oft tabuisiert wurde.

„Lolly Willowes“ ist ein bemerkenswertes Werk, da es die Konventionen der Gesellschaft der damaligen Zeit in Frage stellt und eine subtile Kritik an den Rollen, die Frauen auferlegt wurden, bietet. Es erforscht die Idee der weiblichen Autonomie und der Suche nach persönlicher Erfüllung, was zu einer Zeit, in der die Geschlechterrollen streng vorgegeben waren, äußerst progressiv war.

Die Mischung aus literarischem Geschick und sozialem Kommentar macht den Roman zu einer lohnenswerten Lektüre. „Lolly Willowes“ eröffnet dem Leser eine fesselnde Welt und regt zum Nachdenken über die Bedeutung von Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung an. Die Verbindung zwischen Sylvia Townsend Warner und ihrem Werk verstärkt die Wirkung des Romans, da ihre eigene Lebenserfahrung in die Gestaltung der Charaktere und Themen einfließt.

Der Roman war die Juli Lektüre in unserem Bookclub, der Roman selbst wurde etwas durchwachsen besprochen, allerdings waren alle uneingeschränkt total von der Autorin fasziniert und ich werde mich auf jeden Fall auch auf die Suche nach einer Biografie dieser furchtlosen spannenden Frau machen.

Nach ein paar Monaten hörte sie auf, über die Dorfbewohner nachzugrübeln. Sie musste zugeben, dass sie etwas Unerklärbares an sich hatten, doch sie gab sich damit zufrieden, kein Teil dieses Geheimnis zu sein, was auch immer es sein mochte.

Ein seltsamer Ort – Banana Yoshimoto erschienen im Diogenes Verlag, übersetzt von Annelie Ortmanns

Die Zwillingsschwestern Mimi und Kodachi haben in Tokyo ein neues Leben begonnen, seit ihre Mutter in der Heimatstadt zwischen Bergen und Meer der Schlafkrankheit verfallen ist. Auf dem abgelegenen Ort lastet eine dunkle Sage. Eines Tages, als Kodachi die Mutter im Krankenhaus besuchen will, verschwindet sie plötzlich. Mimi macht sich besorgt auf die Suche. Alles deutet auf eine geheimnisvolle andere Welt hin.

Trotz des eigentlichen schweren Stoffes, den sie hier abliefert, ist der Roman leicht und fantastisch. Es mag um Familie und Verlust gehen, aber es geht auch um Jugend, Liebe und Magie. Es wimmelt von mystischen Kräften, Geistern und unerklärlichen Ereignissen. Es ist ein wahrer magischer Realismus, ganz im Sinne von Salman Rushdie oder ihrem japanischen Kollegen Haruki Murakami. Aber Yoshimotos Romane sind irgendwie wärmer als die Werke dieser beiden Autoren. Obwohl es phantastische Elemente gibt, ist es immer noch das normale Leben, mit dem sie sich beschäftigt.

Yoshimotos Stärke ist es, Momente perfekt zu beschreiben in denen man innehalten kann, um in Gedanken genau das festzuhalten, was einen für eine schöne und kurze Sekunde umgibt. Dies dürfte definitiv Yoshimotos experimentellster Roman. Ihre Werke werden oft als Teil der „Japanischen Literatur der Heisei-Ära“ betrachtet, die in der Zeit von 1989 bis 2019 stattfand. In dieser Zeit erlebte Japan eine Zeit des gesellschaftlichen und kulturellen Wandels, und die Literatur spiegelte diese Entwicklungen wider. Yoshimotos Geschichten zeichnen sich durch eine moderne, zeitgenössische Erzählweise aus und erforschen die emotionale Tiefe ihrer Charaktere.

Sie hat sich mit diesem Roman mehr oder weniger in die Rente verabschiedet. Keine Ahnung wie ernst man diese Ankündigung nehmen muss, aber so sehr ich ihr die wohlverdiente Ruhe gönne, ich würde mich auch in Zukunft gerne wieder schwindelig lesen lassen von ihren seltsamen verstörenden skurillen Figuren. Frau Yoshimotos Bücher kann man nicht fassen, sie rutschen einem durch die Hände in dem Moment in dem man über sie sprechen will, aber genau das liebe ich sie an ihr.

Diese Stadt, so schön, so klein und fein wie ein Schmuckkästchen – und doch lag sie immer, wenn ich an sie dachte, hinter einem Filter der Traurigkeit

Huhu – ist überhaupt noch jemand da, der es bis hier runter geschafft hat oder habe ich euch unterwegs schon alle verloren? Das war echt ein ziemlicher Berg Bücher, aber sorry Urlaub und Zugfahrten und Balkon und so – da wird es schon mal mehr.

Würde natürlich auch dieses Mal gerne wieder wissen von euch – was kennt ihr, was mochtet ihr, was nicht – eure Eindrücke?