Read around the world: CHINA

China – ein Land, das oft durch seine wirtschaftliche und politische Macht in den Schlagzeilen steht, aber zugleich eine der ältesten und faszinierendsten Kulturen der Welt besitzt. Wir sind in einigen Ländern in Südostasien gewesen, ein Besuch in China hat sich allerdings nie ergeben. Ich bin auch nicht sicher, ob ich es mich wirklich hinzieht – zumindest solange nicht, wie sich die Situation für Menschen aus der LGBTQ+ Community deutlich verbessert.

China, offiziell die Volksrepublik China, ist das bevölkerungsreichste Land der Welt und erstreckt sich über eine riesige Fläche in Ostasien. Es grenzt an 14 Länder, darunter Russland, Indien und Vietnam. Die Hauptstadt Peking ist nicht nur das politische Zentrum, sondern auch ein kultureller und historischer Hotspot mit Wahrzeichen wie der Verbotenen Stadt und dem Tian’anmen-Platz.

Historisch gesehen ist China eine der ältesten kontinuierlichen Zivilisationen der Welt, mit Ursprüngen, die über 3.000 Jahre zurückreichen. Das Land erlebte die Herrschaft mächtiger Dynastien wie der Qin, Tang und Ming und war ein Zentrum von Innovationen wie dem Kompass, dem Schießpulver und dem Buchdruck. Im 20. Jahrhundert wurde China nach dem Sturz der Qing-Dynastie zur Republik und 1949 schließlich zur Volksrepublik unter der Führung von Mao Zedong. Seitdem hat sich das Land von einer agrarischen Planwirtschaft zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt entwickelt.

Politisch wird China von der Kommunistischen Partei dominiert, die das Land mit strenger Kontrolle regiert. Besonders in den letzten Jahren gab es immer wieder internationale Kritik an der Unterdrückung von Minderheiten, der Einschränkung der Meinungsfreiheit und dem massiven Überwachungsapparat. Die Proteste in Hongkong, die Lage in Xinjiang und die Spannungen um Taiwan zeigen, wie komplex die politische Realität in China ist. Wobei wenn man sich die Entwicklung in der Welt gerade anschaut, ist ggf demnächst China noch unser aller Hoffnung. Bekloppte Welt.

Trotz dieser Herausforderungen bleibt Chinas Kultur unglaublich vielfältig und lebendig. Mandarin ist die am weitesten verbreitete Sprache, doch es gibt hunderte weitere Sprachen und Dialekte. Chinesische Literatur, Kunst und Philosophie haben die Welt geprägt – von Konfuzius über die Tang-Dichter bis hin zu modernen Autor*innen wie Yu Hua oder Yan Lianke.

Die chinesische Literaturszene ist geprägt von einer reichen Tradition und einer modernen Vielfalt. Klassische Werke wie „Die Reise in den Westen“ oder „Der Traum der Roten Kammer“ sind bis heute einflussreich. Zeitgenössische Autorinnen wie Mo Yan, der 2012 den Literaturnobelpreis gewann, oder Liu Cixin, dessen Science-Fiction-Roman „Die drei Sonnen“ international gefeiert wurde, zeigen die Bandbreite der chinesischen Literatur. Besonders bemerkenswert ist die wachsende Zahl von Schriftstellerinnen, die gesellschaftliche Missstände und individuelle Schicksale in ihren Werken reflektieren, oft unter erschwerten Bedingungen der Zensur. Auch junge Autor*innen wie An Yu oder Shuang Xuetao bringen neue Stimmen in die chinesische Literaturlandschaft und werden zunehmend international wahrgenommen.

China spielt auch im Sport eine bedeutende Rolle. Besonders erfolgreich ist das Land in Disziplinen wie Tischtennis, Badminton und Gewichtheben. Bei den Olympischen Spielen gehört China regelmäßig zu den Nationen mit den meisten Medaillen. Aber auch im Fußball versucht das Land, sich international stärker zu etablieren.

In den letzten Jahrzehnten hat China enorme wirtschaftliche Fortschritte gemacht. Städte wie Shanghai und Shenzhen sind Symbole für das moderne China – geprägt von Wolkenkratzern, Hightech und rasantem Wachstum. Doch dieser Fortschritt hat auch Schattenseiten: Umweltprobleme, soziale Ungleichheit und eine alternde Bevölkerung stellen das Land vor große Herausforderungen.

Abseits der Metropolen bietet China atemberaubende Natur: die endlosen Weiten der Wüste Gobi, die beeindruckenden Karstlandschaften von Guilin oder die sagenumwobene Große Mauer. Traditionelle Feste wie das chinesische Neujahr oder das Drachenbootfest sind tief in der Gesellschaft verankert und zeigen die enge Verbindung von Geschichte und Gegenwart.

Fläche: China (9.596.961 km²) ist etwa 27-mal größer als Deutschland (357.022 km²).
Bevölkerung: China hat etwa 1,41 Milliarden Einwohner, während Deutschland rund 84 Millionen zählt.
Bevölkerungsdichte: China (147 Personen/km²) somit weniger dich besiedelt als Deutschland (233 Personen/km²).
Wirtschaft: China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und steht auf Platz 2 des globalen Bruttoinlandsprodukts.

Für den Stopp in China habe ich das Buch „Ghost Music“ von An Yu gelesen.

Im Zentrum der Geschichte steht Song Yan, eine junge Frau in Peking, die einst davon träumte, Konzertpianistin zu werden. Stattdessen gibt sie nun Klavierunterricht für Kinder, während ihr Mann Bowen, der für BMW arbeitet, oft abwesend ist – und wenn er da ist, wirkt er wie ein Fremder. Mit ihnen lebt Bowens Mutter, die nach dem Tod ihres Mannes aus der südwestchinesischen Provinz Yunnan nach Peking gezogen ist. Die Stimmung in der Wohnung ist angespannt, unausgesprochene Wünsche und Frustrationen hängen in der Luft wie dichter Nebel.

Dann beginnen plötzlich Pakete mit seltenen Yunnan-Pilzen vor ihrer Tür aufzutauchen. Sie sind adressiert von Bai Yu – dem Namen eines berühmten Konzertpianisten, der seit Jahren als verschollen gilt. Als Song Yan sich schließlich auf die Suche nach dem Absender macht, findet sie tatsächlich den mysteriösen Musiker in einem verlassenen Haus. Er bittet sie, für ihn zu spielen – aber nicht einfach Musik, sondern „den Klang des Lebens“.

Diese Begegnung wird für Song Yan zu einem Spiegel ihrer eigenen inneren Leere. Bai Yu erzählt ihr, wie er sich selbst in der Musik verlor, bis er das Gefühl hatte, dass seine Hände nicht mehr zu ihm gehörten, dass kein echtes „Ich“ mehr in ihm existierte. In diesen Gesprächen schwingen so viele unausgesprochene Ängste mit – die Furcht vor dem Verschwinden, vor der Entfremdung von sich selbst und von anderen. Nach und nach löst sich Song Yan aus den festgefahrenen Strukturen ihres Lebens, während sich gleichzeitig verborgene Geheimnisse aus Bowens Vergangenheit an die Oberfläche drängen.

Was mich an „Ghost Music“ besonders fasziniert hat, ist die Art, wie An Yu das Alltägliche mit dem Unwirklichen verwebt. Plötzlich taucht ein leuchtender, sprechender Pilz in Song Yans Wohnung auf, der ihr kryptische Botschaften zuflüstert. „Konzeptuell bin ich Geistern ähnlicher als Pilzen“, sagt er ihr einmal. Währenddessen wird Yunnan von einem geheimnisvollen orangefarbenen Staub überzogen, der die Landschaft in eine Art Zwischenwelt verwandelt. An Yu erschafft hier eine Atmosphäre, die mich an frühe Murakami-Romane erinnert – diese Mischung aus Realität und Magie, in der alles in einem diffusen, traumhaften Licht erscheint.

Doch was das Buch so eindringlich macht, ist weniger das Übernatürliche als das Unausgesprochene. Song Yan, Bowen und seine Mutter bewegen sich wie Geister durch ihr eigenes Leben, gefangen in Routinen, unfähig, ihre tiefsten Wünsche in Worte zu fassen. Sie sind die wahren Gespenster dieser Geschichte – nicht die geheimnisvollen Pilze oder die verschwundenen Musiker.

We pour a bit of ourselves into everything we do, every note we play and, unwittingly, one fragment at a time, we leave ourselves in the past.

„Ghost Music“ ist ein leiser, eindrucksvoller Roman über Entfremdung, über die Geister, die uns begleiten – sei es in Form von Erinnerungen, unterdrückten Wünschen oder verlorenen Träumen. Es ist eine Geschichte, die weniger mit Worten erzählt wird als mit Zwischentönen, mit dem, was unausgesprochen bleibt. Ein Buch, das nicht nur gelesen, sondern gefühlt werden will.

Einer meiner liebsten Regisseure ist Wong Kar-Wei, allerdings werde ich auf seine Filme bei meinem Stopp in Hong Kong näher eingehen. Chinesische Filme habe ich tatsächlich noch sonderlich viele gesehen, da hab ich wirklich eine Bildungslücke. Ein Film den ich sehr mochte stammt vom chinesischen Regisseur Dai Sijie, es ist allerdings eine französisch-kanadische Produktion. Der Film „Les filles des botanistes/Die Töchter des chinesischen Gärtners. Die Geschichte spielt im China der 1980er Jahre und handelt von der verbotenen Liebesbeziehung zweier Frauen in der Volksrepublik China einer Ära, in der Homosexualität offiziell geächtet wurde und als abartig und staatsfeindlich galt.

Die Situation der LGBTQ+-Community in China ist allerdings von zunehmenden Einschränkungen und staatlichen Repressionen geprägt. Obwohl Homosexualität offiziell seit 1997 nicht mehr strafbar ist und 2001 von der Liste der psychischen Krankheiten gestrichen wurde, erleben LGBTQ+-Menschen weiterhin erhebliche Diskriminierung und staatlichen Druck.

Im Mai 2023 wurde das Pekinger LGBTQ-Zentrum von den Behörden geschlossen. Diese Organisation bot unter anderem psychologische Beratungen an und setzte sich für die Rechte der LGBTQ+-Community ein. Die Schließung wirft ein Schlaglicht auf die angespannte Situation queerer Organisationen in China.

Im Juni 2024 musste die LGBTQ+-freundliche Bar „Roxie“ in Shanghai nach neun Jahren ihren Betrieb einstellen. Die Bar galt als sicherer Treffpunkt für die Community. Die Schließung erfolgte aufgrund von „Umständen außerhalb ihrer Macht“, wobei die Bar von den Behörden als „zu feministisch“ erachtet wurde und schon länger unter Druck stand.

Diese Entwicklungen zeigen, dass trotz der formalen Entkriminalisierung von Homosexualität die LGBTQ+-Community in China weiterhin mit erheblichen Herausforderungen und staatlichen Repressionen konfrontiert ist.

Eine der wenigen Bands aus China die ich kenne (und sehr gerne mag) ist die Postrock Band „Wang Wen“ – hört mal rein:

Ich hoffe, der Stopp in China hat euch gefallen und ich konnte euch einen kleinen Einblick in dieses riesige und facettenreiche Land geben. Wart ihr schon einmal dort? Welche Erfahrungen habt ihr gemacht? Welche Filme oder Bands kennt ihr bzw könnt ihr empfehlen?

Hier noch eine kleine Liste an Büchern chinesischer Autor*innen, die ich empfehlen kann:

Die drei Sonnen und Spiegel – Liu Cixin
Wild Swans – Jung Chang
Daughter of the River – Ying Hong

Wer noch mal die zurückliegenden Stationen besuchen will:

Der nächste Stopp wird – der Zufallsgenerator wollte es so – wieder ein asiatisches Land sein. Wir machen uns auf nach Süd Korea und ich hoffe ihr seid wieder dabei.

1979 – Christian Kracht

Christian Kracht 1979.jpg

Ein kleines Buch, das ich nun schon zum zweiten Mal gelesen habe. Beide Male habe ich es zugeklappt, bin auf der jeweiligen Sitzgelegenheit ganz nach hinten gerückt und es hat so ein Geräusch gegeben, wie in einem Comic. So ein lautes und schnelles Science-Fiction-artiges „Zzzzzzzzzzzzzzzzzmmmmmmmmmmmmmmmphhhhhhhhhhhh“. Dann war ich wieder im Hier und Jetzt und wußte einfach nicht so recht, was da gerade los war.

Ich habe so eine Ahnung. Da ist was. Das Buch hat was. Aber es läßt mich auch beim zweiten Mal komplett verwirrt zurück. Der Ich-Ich-Ich-Erzähler, ein ziemlich weichgespülter Dandy und sein Ex-Liebhaber, der ihn erniedrigt, wo er nur kann. Die Revolution in Teheran bekommen beide nicht mit, Christoph, sein Ex-Freund, weil er mit sich, seinen nässenden Beinen und seinem Sarkasmus rund um die Uhr zu tun hat und „Ich-Ich-Ich“, weil er unentwegt Klamotten und Einrichtungsgegenstände bewundern und bewerten muß.

Dann ist Christoph auf einmal tot. Zuviel Drogen, zuviel Alk und fehlender Lebenswille, Sterben symbolisch als westliche Dekadenz in einem von rauschebärtigen Fundamentalisten geführten Krankenhaus. Dekadenz gegen Fanatismus. Ein Anti-Reisebuch allererster Güte.

Ein merkwürdiger Rumäne schickt unseren Ich-Erzähler dann vom relolutionsgeschüttelten Teheran nach Tibet, um dort einen Berg zu umrunden. Macht er auch – in Christoph’s Luxus-Lederschuhen. Um Buße zu tun. Wofür genau? Wir wissen es nicht. Unser Ich-Erzähler ist nicht der reflektionsfreudigste, daher müssen wir das für ihn tun. Er tut Buße für alles, landet in einem chinesischen Umerziehungslager, in dem er sich auf eine seltsame Art heimisch zu fühlen scheint. Es könnte ein wenig schöner eingerichtet sein das Lager und auch das Essen läßt zu wünschen übrig, aber ansonsten ist er fast ein bißchen glücklich.

Dieses sich selbst auflösen erinnert mich an einen Roman von Paul Auster, in dem der Protagonist alles verkauft, bis er gar nichts mehr besitzt und er allein in einer leeren Wohnung sitzt und erst mit der totalen Leere so ganz langsam eine gewisse innere Ruhe einkehrt.

1979: „Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

1979“ ist im Fischer Verlag erschienen.