Meine Woche

Gesehen: Can you ever forgive me? (2018) von Marielle Heller mit Melissa McCarthy und Richard E Grant. Eine einst real existierende gefeierte Promi-Biografin findet keine Verlage mehr und verwandelt ihr Handwerk in die formidable Kunst der Täuschung. Mochte ich sehr.

Come and see (1985) von Elem Klimov mit Aleksei Kravchenko. Come and See (1985) sowjetischer Antikriegsfilm basiert auf den autobiografischen Erlebnissen des belarussischen Autors Ales Adamowitsch und thematisiert die Gräueltaten während der deutschen Besatzung in Belarus im Zweiten Weltkrieg. Heftig.

The Grass Harp (1995) von Charles Matthau mit Piper Laurie, Sissy Spacek und Walter Matthau. Verfilmung des gleichnamigen Romans von Truman Capote. Eine bezaubernde Sommergeschichte mit symphatischen Figuren.

Gehört: Oramunde – Deux Femmes, The call of the deathbird – Jozef Van Wissem, Forever – Kompromat, Since Yesterday – Strawberry Switchblade

Gelesen: Staatsstreich in den USA und keiner kriegt es mit? Söder sind jetzt auch die Kirchen zu links, auch Benedict Wells macht sich Gedanken

Getan: mit 250.000 anderen die Demokratie in München gestärkt, endlich das Jozef Van Wissem Konzert besucht, liebe Freundinnen getroffen, gelaufen, viel Rad gefahren, gemalt und Kuchen gebacken

Gefreut: heute kommt die Bingereader Gattin wieder heim

Geärgert: nee eher verzweifelt am Lauf der Welt

Gelacht: Elon Musk ist ein kommunistischer Robin Hood

Getrauert: siehe Geärgert

Gegessen: Pad Thai

Getrunken: Giesinger

Geklickt: Sarah Bosetti über Merz und die AFD

Gestaunt: über diese coole Spinne

Gewünscht: diese Bodenvase, dieses Tshirt, dieses Bücherzimmer

Geplant: schwimmen gehen und jetzt wirklich die Pussy Riot Ausstellung besuchen

Gefunden: Bücher im Bücherschrank

Gekauft: nix

Gedacht: „Dieses ständige Lügen zielt nicht darauf ab, das Volk eine Lüge glauben zu machen, sondern darauf, dass niemand mehr irgendetwas glaubt. Ein Volk, das nicht mehr zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden kann, kann auch nicht zwischen richtig und falsch unterscheiden. Und ein solches Volk, das sich seiner Macht, zu denken und zu urteilen, beraubt sieht, ist auch, ohne zu wissen und zu wollen, dem Gesetz der Lüge vollständig unterworfen. Mit einem solchen Volk kann man dann machen, was man will // Hannah Arendt

Read around the world: BELARUS

Belarus – ein Land, das oft im Schatten seiner großen Nachbarn steht, aber eine reiche Geschichte, eine lebendige Kultur und eine politische Situation hat, die die Welt seit Jahren bewegt. Obwohl ich selbst noch nicht dort war, habe ich mich intensiv mit dem Land beschäftigt, um einen Einblick in seine Vergangenheit und Gegenwart zu geben.

Belarus, oft als „die letzte Diktatur Europas“ bezeichnet, ist ein Land, das zwischen Europa und Russland liegt – sowohl geografisch als auch politisch. Im deutschen Sprachraum auch Weißrussland genannt, ist Belarus ein osteuropäischer Binnenstaat der an Litauen, Lettland, Russland, die Ukraine und Polen grenzt. Die Hauptstadt Minsk ist nicht nur das politische Zentrum, sondern auch das kulturelle Herz des Landes.

Historisch gesehen war Belarus lange Teil verschiedener Großreiche – von der Kiewer Rus über das Großfürstentum Litauen bis hin zum Russischen Reich und später der Sowjetunion. Erst 1991 wurde Belarus unabhängig, doch die sowjetischen Strukturen blieben in vielerlei Hinsicht erhalten. Dies zeigt sich besonders in der politischen Situation des Landes.

Seit 1994 wird Belarus von Alexander Lukaschenko regiert, der sich über Jahrzehnte hinweg durch Wahlfälschungen, Einschüchterung und Gewalt an der Macht gehalten hat. Die Präsidentschaftswahlen im August 2020 markierten einen Wendepunkt: Hunderttausende Menschen gingen auf die Straße, um gegen die offensichtliche Manipulation der Wahlergebnisse zu protestieren. Die Opposition, allen voran Swetlana Tichanowskaja, stellte sich gegen das Regime und gewann international an Unterstützung.

Die Antwort der Regierung war brutal: Massenverhaftungen, Folter von Demonstrierenden und ein systematisches Vorgehen gegen kritische Stimmen. Viele Aktivistinnen und Journalistinnen wurden inhaftiert oder ins Exil gezwungen. Trotz der Repressionen bleibt der Widerstand im Land lebendig – sei es durch kleine Akte des zivilen Ungehorsams oder die belarussische Diaspora, die im Ausland weiter für Veränderungen kämpft.

Fotos: Pixabay

Trotz der politischen Unsicherheiten ist die belarussische Kultur tief verwurzelt und vielfältig. Die belarussische Sprache, die lange durch Russisch verdrängt wurde, erlebt seit einigen Jahren eine Renaissance, besonders unter jüngeren Menschen und in der Oppositionsbewegung. Literatur spielt dabei eine große Rolle – Autor*innen wie Swetlana Alexijewitsch, die 2015 den Literaturnobelpreis gewann, haben das Land weltweit bekannt gemacht. Ihr Werk beschäftigt sich intensiv mit den Traumata der sowjetischen Vergangenheit und den gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart. Wahrscheinlich ist neben der Nobelpreisträgerinnen Swetlana Alexijewitsch einer der bekanntesten Künstler aus Belarus der Maler Marc Chagall, der in Wizebsk geboren wurde und später lange Zeit in Frankreich lebte. Die beliebteste Sportart der Belarussen ist Eishockey und die Nationalmannschaft steht auf Platz 14 der Weltrangliste. Im Tennis hat Wiktoryja Asaranka 2012 den ersten Platz der Weltrangliste erreicht.

Abseits der politischen Spannungen ist Belarus ein Land von beeindruckender Natur. Fast 40 % des Landes sind von Wäldern bedeckt, und der Białowieża-Nationalpark in dem sich einer der letzten und ältesten Urwälder Europas befindet, Heimat der letzten europäischen Wisente, gehört zum UNESCO-Welterbe. Die Naturverbundenheit spielt auch in der belarussischen Folklore eine große Rolle – alte Bräuche, wie das Feiern von Kupala-Nacht, werden immer noch gepflegt.

Belarus steht an einem Scheideweg. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland, die internationalen Sanktionen gegen das Regime und der Druck aus der eigenen Bevölkerung machen eine Veränderung auf lange Sicht unausweichlich. Doch wie diese Veränderung aussehen wird, bleibt ungewiss.

Während Belarus in den internationalen Medien oft auf seine politische Krise reduziert wird, ist es wichtig, das Land auch in seiner Tiefe zu betrachten – mit all seiner Geschichte, Kultur und den Menschen, die trotz aller Widrigkeiten für eine bessere Zukunft kämpfen.

Obwohl ich noch nicht dort war, ist Belarus ein Land, das mich durch seine Widersprüche und seine Resilienz fasziniert. Vielleicht wird es eines Tages möglich sein, es frei und ohne Angst zu bereisen – und die Schönheit, Gastfreundschaft und Kultur des Landes in voller Gänze zu erleben.

  • Fläche: Belarus (207.600 km²) ist etwas kleiner als Deutschland (357.022 km²).
  • Bevölkerung: Belarus hat etwa 9,3 Millionen Einwohner, während Deutschland rund 84 Millionen zählt.
  • Bevölkerungsdichte: Belarus (45 Personen/km²) ist deutlich dünner besiedelt als Deutschland (233 Personen/km²).
  • Wirtschaft: Belarus ist weltweit auf Rang 79 in Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt.

Belarus gehört übrigens zu den Ländern mit dem höchsten Alkoholkonsum pro Kopf weltweit. Besonders beliebt ist Samogon, ein hausgemachter Schnaps, der in ländlichen Gebieten oft selbst gebrannt wird. Laut einem WHO-Bericht von 2018 lag der durchschnittliche Pro-Kopf-Konsum bei ca. 14,4 Litern reinem Alkohol pro Jahr (bezogen auf Personen ab 15 Jahren). Damit gehörte Belarus damals zu den Top 3 der Länder mit dem höchsten Alkoholkonsum weltweit. Wir müssen uns da in Deutschland aber gar nicht groß drüber mokieren, denn wir liegen mit 12,9 Litern nur knapp dahinter und immerhin noch vor Russland mit 11,7 Litern. Der weltweite Durchschnitt liegt bei etwa 6,2 Litern. Hui.

Musik und Kunst sind ebenfalls Ausdruck des Widerstands. Viele belarussische Musiker und Bands mussten das Land verlassen, weil ihre Lieder zur Hymne der Protestbewegung wurden. Straßenkunst und Graffiti, oft mit politischer Botschaft, prägen das Bild vieler Städte – solange sie nicht von den Behörden entfernt werden. Auch Sasha Filipenko musste 2020 sein Heimatland verlassen. Von ihm hörte ich im Rahmen dieser literarischen Weltreise den Roman „Kremulator“ als Hörbuch

Sasha Filipenko – Kremulator erschienen im Diogenes Verlag, übersetzt von Ruth Altenhofer

Sasha Filipenkos „Kremulator“ ist ein eindrucksvoller historischer Roman über die Brutalität der Stalin-Zeit, erzählt mit präziser, oft lakonischer Sprache. Der Protagonist Pjotr Nesterenko, Direktor des ersten Krematoriums in Moskau, hat den Tod so oft gesehen, dass er sich für unsterblich hält. In den Öfen seines Krematoriums verschwinden die Opfer der stalinistischen Säuberungen: angebliche Spione, Verräter, ehemalige Revolutionshelden. Doch im Sommer 1941, kurz nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, wird Nesterenko selbst verhaftet. Er, der immer überlebt hat, steht nun einem Gegner gegenüber, der entschlossen ist, ihn zu brechen: Pawel Andrejewitsch Perpeliza, ein junger, ehrgeiziger Ermittler, der fest entschlossen ist, Nesterenko als Spion zu überführen.

Die Verhöre zwischen den beiden Männern bilden das Herzstück des Romans. Mit stoischer Ruhe erzählt Nesterenko seine Lebensgeschichte – eine atemberaubende Odyssee: erst Offizier im Bürgerkrieg, dann Flucht nach Serbien, Rumänien und Frankreich, schließlich die Rückkehr in die Sowjetunion, wo er sich dem System anpasst und dennoch nie wirklich sicher ist. Während Perpeliza gräbt, wird klar, dass Nesterenkos wahres Verbrechen nicht in Taten, sondern in seinem Überlebenswillen und seinen internationalen Kontakten liegt.

Filipenko schildert diesen Abstieg in die sowjetische Willkürherrschaft mit einem feinen Gespür für historische Details und psychologische Spannung. Immer wieder wird die Handlung von Briefen an Vera, Nesterenkos große Liebe seit Kindheitstagen, unterbrochen – ein leiser, menschlicher Gegenpol zur Grausamkeit des Systems. Diese Briefe, geschrieben in einem Tagebuch, sind sein einziger Trost in einer Welt, in der jede falsche Antwort den Tod bedeuten kann.

Besonders eindrucksvoll fand ich die nüchterne, fast unerschütterliche Stimme Nesterenkos, die mich an Count Alexander Rostov aus A Gentleman in Moscow erinnerte. Wie Rostov bewahrt er seine aristokratische Eleganz so ist auch Nesterenko ein Überlebenskünstler, gezeichnet von der Geschichte, aber nicht bereit, sich einfach dem Tod zu ergeben.

Filipenko, 1984 in Belarus geboren, ist einer der wichtigsten kritischen Stimmen der postsowjetischen Literatur. Seine Bücher beleuchten Mechanismen der Repression – sowohl historisch als auch in der Gegenwart. Seine Kritik am belarussischen Regime zwang ihn ins Exil, was seinen Werken eine besondere Dringlichkeit verleiht.

Kremulator ist ein Roman, der mich tief bewegt hat. Filipenko verzichtet auf Pathos und Effekthascherei; stattdessen bringt er die beklemmende Atmosphäre der Stalin-Zeit mit präziser Sprache, schwarzem Humor und psychologischer Tiefe zum Leben. Während man liest, spürt man förmlich den kalten Atem des Systems im Nacken – diese Ungewissheit, die Millionen Menschen das Leben kostete.

Ein herausragender Roman, klug komponiert und erschreckend aktuell. Unbedingt lesenswert. Mein einziger kleiner Wehmutstropfen war, dass ich nicht wirklich etwas über Belarus erfahren habe – ich habe im Nachhinein jetzt noch in 2-3 andere Romane von Sasha Filipenko reingelesen, er scheint aber überwiegend über Russland zu schreiben.

Hat jemand vielleicht eine Empfehlung für einen Roman von eine*m belarussischen Autor*in der auch dort spielt?

Meine Film-Empfehlung ist „Komm und sieh“ aus dem Jahr 1985 von Elem Klimov. Einer der eindrucksvollsten und erschütterndsten Antikriegsfilme der Filmgeschichte. Er zeigt die Schrecken des Zweiten Weltkriegs aus der Sicht eines jungen belarussischen Partisanen und wurde international (zu Recht) hochgelobt. Ich fand ihn gut, aber streckenweise nur schwer aushaltbar.


Einen Hauch stolz bin ich, dass ich tatsächlich von mir behaupten kann, eine Lieblingsband aus Belarus zu haben. Ich finde Molchat Doma richtig gut. Die Band wurde 2017 in Minsk gegründet und besteht aus Egor Shkutko (Gesang), Roman Komogortsev (Gitarre, Synthesizer) und Pavel Kozlov (Bass, Synthesizer). Ihr Sound ist stark von New Wave, Post-Punk und Synth-Pop der 80er beeinflusst – oft verglichen mit Joy Division, The Cure, Depeche Mode oder Kino. Besonders ihr Album Etazhi, 2018 wurde durch Social Media und Plattformen wie TikTok und Bandcamp weltweit bekannt. Ihr düster-melancholischer Stil, kombiniert mit hypnotischen Synth-Melodien und monotonem, fast lethargischem Gesang, hat sie zu einer Kultband im Darkwave-Revival gemacht. Seit 2020 stehen sie bei Sacred Bones Records unter Vertrag, was ihre internationale Popularität weiter gesteigert hat.

Hört unbedingt mal rein:

https://domamolchat.bandcamp.com/album/etazhi-2018

Ich hoffe, der Stopp in Belarus hat euch gefallen und ich konnte euch ein paar Einblicke in ein Land geben, in dem vermutlich so einige von uns noch nicht waren. Oder seid ihr schon mal da gewesen und könnt eure Eindrücke mit uns teilen? Fände ich sehr spannend!

Falls ihr Lust habt, noch mal an die eine oder andere vorherige Station zu reisen dann klickt bitte hier:

Unser nächster Stopp ist knapp 4500 km entfernt und ein Land das ich zur Abwechslung bereits bereist habe. Ich hoffe, ihr seid dann auch wieder dabei.