100 Jahre dürfen Frauen in Deutschland wählen. Eine Selbstverständlichkeit, das jeder Mensch wählen kann, sollte man meinen und doch hat es ewig gedauert, bis Frauen wählen durften und es gingen jahrezehntelange ermüdende Kämpfe voraus. Deutschland liegt mit der Einführung des Wahlrechts für Frauen im Jahr 1919 im guten Mittelfeld. Eines der ersten Länder war Finnland, wo Frauen ab 1906 wählen durften, Länder wie Griechenland (1952) oder gar die Schweiz (1971) waren ziemliche Spätzünder. Liechtenstein ist gar erst im Jahr 1984 aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Unfassbar.

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Überhaupt spannend, dass sich häufig gerade die Länder, die alte bestehende Männerdemokratien waren, mit der Einführung des Frauenwahlrechts besonders schwer taten, siehe Griechenland oder auch Frankreich, das mit 1948 auch nicht gerade bei der ersten Welle dabei war. Nur in wenigen Ländern wurde das allgemeine Wahlrecht für beide Geschlechter zum selben Zeitpunkt eingeführt. Liberale Parteien sympatisierten am ehesten mit der Idee des Frauenwahlrechts, aber für sie war politische Beteiligung vom sozialen Stand abhängig. Das fand sich auch entsprechend in der Frauenbewegung wieder, wo sich bürgerliche Frauen vehement für ihr Wahlrecht einsetzten, dies aber durchaus auf bürgerliche Frauen beschränkt wissen wollten.
Die Parteien jeglicher Couleur fürchteten negative Konsequenzen. Soziale und Liberale fürchteten, die Stimmen der Frauen würden überwiegend zu den Konservativen wandern, die Konservativen glaubten, Frauen würden überwiegend Linke und Liberale stützen. Einig waren sich die Herren der unterschiedlichen Parteien auch, dass das Wahlrecht der erste Schritt zu einer vollständigen Emanzipation sei und das wollte keiner. Die Aufhebung der Klassenbarriere ließ sich daher einfacher und schneller durchsetzen als das Frauenwahlrecht.
Eine der bekanntesten deutschen Frauenrechtlerinnen, der wir nicht nur mit Blick auf das Wahlrecht viel verdanken, war die erste deutsche Juristin, Anita Augspurg. Sie gründete 1902 in Hamburg gemeinsam mit anderen Aktivistinnen den Deutschen Verein für Frauenstimmrecht.

„Im Ersten Weltkrieg nahmen Augspurg und Heymann an internationalen Frauen-Friedenskonferenzen teil und hielten illegale Versammlungen in ihrer Münchner Wohnung ab und verteilten Flugschriften gegen den Krieg. Anita Augspurg kooperierte mit Kurt Eisner und wurde nach der Proklamation der Bayerischen Republik 1918 in München Mitglied des provisorischen bayerischen Parlaments. Bei den bald folgenden Wahlen kandidierte sie auf Listen der sozialistischen USPD, erlangte aber kein Mandat.
Während der Machtübernahme der NSDAP weilten Augspurg und Heymann auf einer Auslandsreise, von der sie nicht nach Deutschland zurückkehrten. Der Grund war, dass sie Repressalien befürchteten, da sie unter anderem 1923 beim bayerischen Innenminister die Ausweisung des Österreichers Adolf Hitler wegen Volksverhetzung beantragt hatten. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt; ihre Bibliothek und alle Aufzeichnungen aus ihrer jahrzehntelangen Arbeit in der nationalen und internationalen Frauenbewegung gingen verloren“ (Zitat Wikipedia)
Eine Menge spannender Informationen zur Geschichte des Frauenwahlrechts findet ihr im Übrigen hier.

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Bei meinem letzten London Besuch entdeckte ich dieses spannende Buch, das ich euch in diesem Zusammenhang ans Herz legen möchte:
„The Periodic Table of Feminism“ – Marisa Bate

Kurze Biografien über entscheidende Figuren im Feminismus angelehnt an das Periodische System. Aufgeteilt in die 4 Wellen des Feminismus gibt es folgende Aufschlüsselung:

Precious Metals: the leaders, the face of the movements
Catalysts: pioneers, fire-starters
Conductors: bringing people together, the organisers
Diatomic: women working together
Stabalizers: peaceful, pacificsts
Explosives: radicals, anarchists, violent
Es liest sich leicht, ist ein guter Einstieg in das Thema und bietet eine Übersicht über weiterführende Literatur. Das Büchlein macht Spaß und man bleibt leicht hängen, wenn man eigentlich nur mal kurz reinblättern möchte. Allerdings hätte ich dem Buch einen besseren (oder überhaupt einen) Korrekturleser gegönnt, es sind schon einige Tippfehler im Buch. Mir hat das die Freude am Entdecken und Wiederentdecken nicht genommen. Es ist etwas angloamerikanisch geprägt, Anita Augspurg war aber ebenfalls vertreten. Bislang gibt es das Buch nur in Englisch und ich weiß nicht, ob eine Übersetzung geplant ist, falls ja würde es sicherlich Sinn machen, es dann etwas stärker zu europäisieren.

Vieles, was wir heute für selbstverständlich halten, musste von tapferen Menschen hart erkämpft werden. Wir dürfen das nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen. Ich bin dankbar, dass es so mutige Frauen wie Frauen wie Anita Augspurg, Emmeline Pankhurst und Chimamanda Adichie gibt und gegeben hat, die Herzblut, Kraft und viel Verstand in den Feminismus investiert haben und geholfen haben, die Welt etwas gleichberechtigter zu machen.
Es bleibt noch viel zu tun und wir brauchen Feminismus heute mehr denn je!