Illustrierte Klassiker: Ein Bericht für eine Akademie und Mikromegas

Manchmal stolpert man auf kleinen Buchmessen über echte Schätze – so ging es mir kürzlich in München. Zwischen den vielen unabhängigen Verlagen bin ich beim Edition Hibana Verlag hängen geblieben und habe dort Florian L. Arnold kennengelernt – Verleger und zugleich Illustrator. Arnolds Stil erkenne ich inzwischen sofort: eigenwillig, kraftvoll, poetisch – und so schön, dass ich mir jede einzelne seiner Illustrationen auch gerahmt an die Wand hängen könnte. Zwei Bände durfte ich als Rezensionsexemplare mitnehmen – meine Meinung dazu bleibt natürlich unabhängig und unbeeinflusst. Voltaires „Mikromegas“ und Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“ wurden von Arnold neu bebildert – und genau diese spannende Verbindung von Text und Bild möchte ich euch hier näher vorstellen.

Man schlägt dieses Büchlein auf und hat sofort das Gefühl: Hier spricht einer, der uns irgendwie immer noch durchschaut. Franz Kafka ist der große Entfremder der Moderne, der Analytiker der Macht, der feinsinnige Seismograph für alle Schräglagen zwischen Mensch und System. Und mit seiner 1917 entstandenen Erzählung Ein Bericht für eine Akademie liefert er ein Meisterstück der Verdichtung: die Geschichte eines Affen, der zum Menschen wird – und doch nicht heimisch in dieser Rolle.

Ein gefangener Affe erzählt vor einer gelehrten Akademie von seiner „Menschwerdung“. Nicht aus Sehnsucht nach Kultur oder Geist, sondern aus blankem Pragmatismus: Der Käfig ist eng, die Flucht unmöglich, also bleibt nur ein Weg – Anpassung. Schritt für Schritt imitiert er das Menschliche, erlernt Sprache, Manieren, die bürgerliche Fassade. Was als Erfolgsgeschichte verkauft wird, entlarvt Kafka als bittere Satire auf Fortschritt und Zivilisation: Der Affe ist frei von Gitterstäben, aber gefangen in Konventionen.

Warum das heute noch elektrisiert? Weil sich in diesem Text die Frage nach Identität, Freiheit und Assimilation spiegelt, die nichts von ihrer Brisanz verloren hat. Wer passt sich wem an? Wie viel Selbstverrat steckt im gesellschaftlichen Aufstieg? Und was bleibt vom Eigenen übrig, wenn die Maske des Angepassten so festsitzt, dass man eigentlich gar nicht mehr von einer Maske sprechen kann. Kafka schreibt in dieser schneidenden Mischung aus Nüchternheit und Grauen, die einem komplett unter die Haut geht.

Und dann Florian L. Arnold. Seine Illustrationen sind nicht bloß Begleitung, sie sind Kommentar und Verstärker. Mit seinen versponnenen, expressiven Radierungen holt er das Groteske, das Körperliche, das Unausweichliche der Verwandlung in die Bildwelt. Man meint das Zucken des Fells, das Ringen zwischen Tier und Mensch zu spüren. Arnolds Striche sind mal tastend, mal eruptiv – und genau das macht sie zum idealen Gegenüber dieses Kafkaschen Textes. Illustration und Literatur treten in einen Dialog. Der Affe spricht, Arnold antwortet, Kafka schweigt – und wir Leser*innen stehen mittendrin, irritiert, bewegt, fasziniert.

Für mich ist dieses Buch ist kein bloßer Nachdruck, sondern ein kleines Gesamtkunstwerk. Kafka in seiner pointierten Grausamkeit, Arnold in seiner bildnerischen Eindringlichkeit – zusammen ergibt das ein bibliophiles Juwel, das ich immer wieder gerne aus dem Regal nehme.

Von Kafkas Affe, der sich mühsam in die Welt der Menschen einfügt, geht es nun weiter ins weite Universum – zu Voltaires ‚Mikromegas‘, das Florian L. Arnold ebenso eindrucksvoll bebildert hat. Und was man von der ersten Seite spürt: hier funkelt etwas Altes ganz neu. Voltaire – 1694 geboren, 1778 in Paris gestorben, Aufklärer mit scharfer Zunge, Menschenfreund und Menschenkritiker in Personalunion – liefert mit Mikromegas (1752 erschienen) einen kompakten Urknall der Science-Fiction, denn dieses Büchlein gilt als einer der ersten SciFi Romane ever.

Der Plot ist einfach aber auch grandios: Ein acht Meilen großer Reisender aus dem All (mit fast tausend Sinne im Gepäck!) stromert mit einem Saturnier-Kumpan durchs Universum, landet auf der Erde – und staunt. Zunächst über einen Wal, dann über uns. Und wie es Voltaire eben kann, wird aus dem Staunen rasch eine glänzende Plauderei über Krieg und Erkenntnis, Liebe und Hybris, Religion und Ratio. Wir Erdlinge sind zugleich klug und unglaublich töricht – und vor allem unfassbar überzeugt von uns selbst.

Warum das heute noch knallt? Weil Voltaire die Perspektive radikal verrückt. Er rückt uns – höflich, aber unmissverständlich – aus dem Mittelpunkt. Plötzlich sind wir die Winzlinge auf dem Staubkorn, die sich mit großen Worten trösten. Diese Relativierung ist nicht altmodisch, sie ist elektrisierend. Man liest, lacht, nickt – und erwischt sich beim Nachdenken.

Und auch in diesem Band sind Arnolds Radierungen und Zeichnungen keine bloße Dekoration, sie sind versponnen, leicht surreal, dabei treffsicher in der Stimmung: sie liefern Schatten, in denen Voltaires Ironie noch dunkler schimmert, und Lichtblitze, die den Text neu beleuchten. Man blättert vor und zurück, liest Bild und Text im Pingpong – genau so sollen Illustration und Literatur miteinander spielen.

Sehr gefallen hat mir auch das Vorwort„Über die verheerenden Folgen des Lesens“. Der Titel ist ein Augenzwinkern, das Programm ist ernst: Lesen macht gefährlich – für Dogmen, für Bequemlichkeit, für geistige Schwerkraft. Das passt so gut zu Voltaire, dass man fast vergisst, wie selten Einleitungen wirklich Lust auf den Haupttext machen.

Vielleicht noch ein paar Worte zu Voltaire: er war der unermüdliche Aufklärer, der Fanatiker entzauberte, Autoritäten anzählte und in Briefen, Traktaten, Dramen, Märchen eine ganze Epoche in Schwung hielt. Mikromegas ist sein kompaktes elegantes Destillat.

Wer sich bisher vielleicht nicht an den einen oder anderen großen Klassiker herangewagt hat, kann mit den Ausgaben der Edition Hibana einen idealen Zugang finden. Hier werden Texte von Weltrang durch die Illustrationen von Florian L. Arnold nicht nur begleitet, sondern auf eine besondere Weise geöffnet: Sie laden ein, sich ohne Scheu auf das Abenteuer der Literatur einzulassen – da gibt es auch für mich noch einiges zu entdecken. Lasst uns gemeinsam auf Endeckungsreise gehen 🙂

Meine Woche

Gesehen: Little Joe (2019) von Jessica Hausner mit Emily Beecham, Ben Wishaw und Kit Connor. Eine Molekularbiologin und Pflanzenzüchterin entwickelt eine Pflanze die glücklich macht durch Oxytocin. Doch es gibt unerwartete Nebenwirkungen.

Gehört: Palmless Prayer – Mono, Pain – Bleib Modern, It must change – Anohni, Never tear us apart – INXS (Cover), Sturgeon moon/beaver moon – missing scenes, I inside the old I dying – PJ Harvey

Gelesen: Mia Latkovic: Was man über Deutschland, die AfD und Deutsche wahrscheinlich nicht sagen darf, aber kann, wenn man will – Teil 1, How to reduce the damage done by gentrification, Can everyone take a sabbatical?, Wie Kafka zum Kult-Autor im Amerika des kalten Krieges wurde

Getan: liebe Freundinnen zum Teil mit Nachwuchs aus USA und der Schweiz zu Besuch gehabt, mit lieben Freundinnen lecker gegessen, den Balkon bepflanzt und Koffer-Abenteuer bei der Reparatur erlebt

Gefreut: über die andauernde Liebe des kleinen Zain zu unserem Staubsauger 😉 und das Buch-Paket vom Steidl-Verlag

Geärgert: nö

Getrauert: nein

Gegessen: ein sehr leckeres Menü im Ya – The Mandarin Room

Gelernt: es spart wirklich enorm viel Energie elektronische Geräte in den Dark Mode zu packen

Geklickt: auf die Sommer Lesliste des New Yorkers, hier kann man mit B&O sein musikalisches Porträt erstellen lassen und auf dien Podcast zum Thema „Megalithe

Gestaunt: zwischen diesen beiden Bilder liegen nur 66 Jahre

Gelacht: als ich in der U6 Loop gefangen war

Gewünscht: diese Weingläser, dieses Hemd, dieses Haus

Geplant: Venus und den Mond mit dem Teleskop beobachten

Gefunden: nix

Gekauft: Pflanzen

Gedacht: “I’ve always liked quiet people: You never know if they’re dancing in a daydream or if they’re carrying the weight of the world.”― John Green