Lektüre Januar 2023

Nachdem der Dezember so durchwachsen war, freue ich mich um so mehr, dass der Januar wieder ein richtig guter Lesemonat war. Lange Weihnachtsferien, diverse Zugfahrten und durchgelesene Nächte haben zu geführt, dass ich richtig dicke Brummer durchbekommen habe und da war der eine oder andere echte Diamant dabei.

Los gehts:

Babel, Or the Necessity of Violence: An Arcane History of the Oxford Translators’ Revolution – R. F. Kuang auf deutsch im Eichborn Verlag erschienen, übersetzt von Heide Franck und Alexandra Jordan

Ich wusste nicht viel über dieses Buch, außer dass es um 1800 in Oxford spielt und das Übersetzer*innen/Linguist*innen die Held*innen sind, was mich sofort fasziniert hat. Babel war ganz und gar nicht das, was ich erwartet hatte. Es hat einen Hauch magischen Realismus und beschäftigt sich mit den Problemen und Auswirkungen von Kolonialismus, Rassismus und damit einhergehende Ungerechtigkeiten, wobei der Schwerpunkt auf der akademischen Welt liegt.

Ich bin natürlich ein großer Fan von Dark Academia, sowohl was Ästhetik angeht, als auch alles was mit Literatur zu tun hat, aber es lässt sich nicht leugnen, dass es diesem Genre massiv an Diversität mangelt. RF Kuang stellt uns in Babel eine Gruppe ausländischer Student*innen vor unterschiedlichster Herkunft die im 19. Jahrhundert an einer der prestigeträchtigsten Universitäten Englands studieren, und das ist einfach genial.

That’s just what translation is, I think. That’s all speaking is. Listening to the other and trying to see past your own biases to glimpse what they’re trying to say. Showing yourself to the world, and hoping someone else understands.

Babel hat fast alles aufgeboten was ich in einem Buch liebe: die Lust auf Wissen, das Studium alter Sprachen und der Philosophie, Diskussionen über Konzepte, die mir tagelang nicht aus dem Kopf gingen, und die gemütliche alte Bibliotheken mit Kaminen voller Bücher. Aber R.F. Kuang seziert auch die akademische Welt und bringt ihre Schwächen ans Licht.

Was mich wirklich beeindruckt hat, war Kuangs Idee die Kunst des Silver-Working, die magischen Silberbarren, die das Fundament des Reichtums und Fortschritts in England sind und die durch das Vergleichen und Übersetzen von Wörtern aus dem Englischen und anderen Sprachen entstehen.

Es war mein erstes Buch von R.F. Kuang und diese junge Frau hat mich einfach komplett umgehauen. Es ist ihr vierter Roman. Sie ist 26, hat in Oxford und Yale studiert, einen Master in Contemporary Chinese Studies und macht jetzt ihren Doktor in East Asian Languages and Literatures

Was hab ich mit 26 eigentlich gemacht?

Anyway – lest BABEL und wahrscheinlich habt ihr dann auch noch mal mehr Hochachtung vor Übersetzerinnen und Linguist*innen. Die sind nämlich neben den Bibliothekarinnen die eigentlichen Herrscher*innen der Welt – so!

Sea of Tranquility – Emily St. John Mandel auf deutsch erschienen unter dem Titel Das Meer der endlosen Ruhe im Ullstein Verlag übersetzt von Bernhard Robben

Simulationstheorie, Untersuchung von Anomalien in der Zeit, Mondkolonien, Zeitreisen. Ein Brite aus der Vergangenheit, der einfach nur sein Leben lebt, eine Frau, die im Jahr 2020 lebt und Antworten und manchmal auch Rache will, und eine Autorin, die in der Zukunft lebt, auf Lesereise ist in eine Pandemie gerät und dann eigentlich nur noch nach Hause möchte.

Ich fand es spannend die Parallelität der Leben von der fiktiven Autorin Olive und der Autorin Emily St. Mandel zu beobachten.

Mandel ist für mich die Königin der alternativen Zeitlinien und Figuren, die sich irgendwie überschneiden und gegenseitig beeinflussen.

𝙸𝚏 𝚝𝚑𝚎𝚛𝚎’𝚜 𝚙𝚕𝚎𝚊𝚜𝚞𝚛𝚎 𝚒𝚗 𝚊𝚌𝚝𝚒𝚘𝚗, 𝚝𝚑𝚎𝚛𝚎’𝚜 𝚙𝚎𝚊𝚌𝚎 𝚒𝚗 𝚜𝚝𝚒𝚕𝚕𝚗𝚎𝚜𝚜.

Was würdest du tun, wenn du dich inmitten einer Zeitverfälschung wiederfindest, einer Art unerklärlicher Umnachtung, bei der Momente in der Zeit sich gegenseitig korrumpieren können?

Vier Menschen aus verschiedenen Zeitzonen spürten dieselbe Anomalie und ihre Schicksale kreuzten sich im selben Moment, als Alan Sami im Jahr 2200 im Luftschiffhafen von Oklahoma City Geige spielt, der dreizehnjährige Vincent in den Wäldern von Caiette im Norden der Insel Vancouver Anfang der 2000er Jahre den Wald mit ihrer Kamera filmt, während Edwin St. John St. Andrew 1812 seine langen Schritte in denselben Wald unternimmt und die berühmte Science-Fiction-Autorin Olive Llewellyn auf der Plattform des Luftschiffhafens in derselben Zeitlinie wie Alan Sami die bezaubernden Noten spielt.

Beide Menschen spüren die Musik und den Wald, die Hintergrundstimmen der Plattform und die unterschiedlichen Qualitäten ihrer eigenen Zeitzonen. Aber wie kann das möglich sein? Was ist der Grund für diese Anomalie?

Ich mochte „The Glass Hotel“ war aber nicht blown away, Mandels Meta-Fiktion Ansatz ist aber so spannend, dass ich jedes ihre Bücher wohl mehrfach lesen werde, nur um die ganzen Querverweise und wieder auftauchenden Figuren angemessen verfolgen zu können.

𝙰 𝚕𝚒𝚏𝚎 𝚕𝚒𝚟𝚎𝚍 𝚒𝚗 𝚊 𝚜𝚒𝚖𝚞𝚕𝚊𝚝𝚒𝚘𝚗 𝚒𝚜 𝚜𝚝𝚒𝚕𝚕 𝚊 𝚕𝚒𝚏𝚎.

Mit Babel und Sea of Tranquility habe ich schon im Januar große Anwärter für meine Bücher des Jahres – das kann doch so weitergehen. Und ich kann schon verraten, auch die restlichen Bücher die ich Januar gelesen habe, waren ausnahmslos richtig gut.

Der Name der Rose – Umberto Eco übersetzt aus dem italienischen von Burkhart Kroeber erschienen im Hanser Verlag

Ich habe den Namen mit 16 gelesen, als der Bibliothekar meiner heimatlichen klitzekleinen Leihbücherei mir den Roman in die Hand drückte, den er für mich auf Seite gelegt hatte und es war sogar eine nigelnagelneue Ausgabe! Ich nahm es mit in die Sommerferien und ich glaube dieses Buch hat damals den Grundstein dafür gelegt, dass ich eine echte Leserin wurde, die sich das Lesefieber aus der Kindheit ins Erwachsenenalter rüber retten konnte.

Daher war ich schon auch ganz schön nervös, das Buch jetzt nach so vielen Jahren noch einmal zu lesen. Die Verfilmung hatte ich dazwischen schon zwei oder dreimal gesehen, das Buch allerdings nie wieder. Solche Wiederentdeckungen können ja auch gehörig schief gehen.

Eco hat einen Roman geschrieben, den man als historische Fiktion, Mysterium, Theologie und Philosophie, Metafiktion, Psychologie und vieles mehr bezeichnen kann und der von allen Seiten gelobt wird. Er nimmt Sherlock Holmes und Watson und macht sie zu Mönchen in einer Abtei aus dem Jahr 1300, in der es an jeder Ecke Mord und theologische Debatten gibt. Die beiden Haupthandlungen, der Mordfall und die religiösen Debatten, verweben sich mühelos miteinander, wobei sich die Spannungen gegenseitig verstärken und die Handlung immer dichter wird.

In omnibus requiem quaesivi, et nusquam inveni nisi in angulo cum libro

Dies ist jedoch kein einfacher, von der Handlung getriebener Thriller. Eco bringt einen dicken Wälzer mittelalterlicher und christlicher Geschichte auf den Tisch, der wie ein Historienroman wirkt und den Leser sowohl unterrichtet als auch unterhält. Dies hat viele Vergleiche mit Werken wie Dan Browns Da Vince Code hervorgerufen, doch Eco übertrifft Brown in fast jeder Kategorie.

Dieses Buch verdient es wirklich, als „Literatur“ bezeichnet zu werden, denn es ist viel mehr als eine Geschichte und Forschung, die in eine Handlung geworfen wird. Die Sprache seiner Figuren ist glaubwürdig, und was mich am meisten beeindruckt hat, ist wie gekonnt er die theologischen Auseinandersetzungen zwischen den Bewohnern der Abtei schilderte. Anhand dieser Figuren, von denen viele reale Personen waren, schildert er glaubhafte und oft feurige, facettenreiche Diskussionen über eine Reihe von Themen wie Ketzer, Armutsgelübde und die Auslegung des Evangeliums. Eco verfügte über umfassendes Wissen zum Thema mittelalterliche Studien – er war Professor für Semiotik – die in diesem Roman eine entscheidende Rolle spielt. Williams Methode der Deduktion beruht auf seiner Fähigkeit, in der Welt um ihn herum „die Zeichen zu lesen“. Er stellt sorgfältig Syllogismen auf um seine Theorien darzulegen.

Der vielleicht spannendste Aspekt dieses Romans war, dass es ein Buch über Bücher ist. Der ganze Roman dreht sich um verschiedene Texte, wie Aristoteles und die Offenbarung, aber er besteht aus anderen Büchern. Er macht den Leser sogar darauf aufmerksam, wenn William Adson erklärt, wie man den Inhalt eines Buches durch die Lektüre anderer Bücher herausfinden kann. Er reiht Anspielungen auf andere mittelalterliche Texte und auch auf einen von Ecos liebsten Autoren aneinander: Jorge Luis Borges. Dieser Roman ist voll von Anspielungen auf Borges‘ Werke, es gibt sogar einen blinden Bibliothekar namens Jorge von Burgos.

Die schwarze Rose – Dirk Schümer erschienen im Zsolnay Verlag erschienen

Wenn es schon sowas wie eine Art Fortsetzung von Der Name der Rose gibt und damit eine Chance noch ein wenig länger Zeit in William von Baskervilles Gesellschaft zu verbringen, dann führt kein Weg an der schwarzen Rose vorbei.

Pünktlich zum 40. Geburtstag von Ecos Jahrhundertroman erschien Dirk Schümers Buch und um es gleich vorweg zu sagen, es macht Spaß und ich habe es sehr gerne gelesen.

Als Ketzer denunziert, muss sich im Jahr 1328 der berühmte deutsche Prediger Eckhart von Hochheim am Hof des Papstes in Avignon der Inquisition stellen. In Begleitung seines Novizen Wittekind wird Meister Eckhart Zeuge eines blutigen Raubüberfalls. Als Wittekind selbst angegriffen wird, ahnen die beiden, dass sie in einen Finanzbetrug von europäischem Ausmaß hineingezogen werden. Im Schatten des Papstpalasts ist auch der geheimnisvolle Franziskaner William von Baskerville den Tätern auf der Spur.

Dort, wo Umberto Ecos „Der Name der Rose“ aufhört, setzt Dirk Schümers packender historischer Roman an. Wir erleben eine finstere Metropole der Religion, in der nur ein Credo gilt: Gold.

So wie Francesco seinen Lehrer Ciceo auswendig lernte, so hatte auch ich meinen eigenen Patron gefunden:
Tota vita discendum est mori. Leben ist sterben zu lernen.
Das meinte Seneca: über allem stehen, Schmerz und Sehnsucht ignorieren, den Abschied immer schon hinter sich haben.
Wer kann über dem stehen, der über dem Schicksal steht!
Über dem Schicksal zu stehen, darum hatte ich mich seit Jahren mit aller Kraft bemüht.

Ein simpler Eingriff – Yael Inokai erschienen im Hanser Verlag

Ein elegantes schmales Büchlein das ruhig und sachlich ohne ein Wort zu viel vom Horror des historischen Umgangs mit der weiblichen Psyche berichtet. Es ist aber auch eine Geschichte über Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.

Meret ist Krankenschwester. Die Klinik ist ihr Zuhause, ihre Uniform trägt sie mit Stolz, schließlich kennt die Menschen in ihrem Leiden niemand so gut wie sie. Bis eines Tages ein neuartiger Eingriff entwickelt wird, der vor allem Frauen von psychischen Leiden befreien soll. Die Nachwirkungen des Eingriffs können schmerzhaft sein, aber danach fängt die Heilung an. Daran hält Meret fest, auch wenn ihr langsam erste Zweifel kommen.

Ich dachte in diesem Moment, dass sie eine große Freiheit besaß. Egal, wo sie hinging, sie konnte sich einfach setzen. Sie fragte sich nie, ob dieser oder jener Platz für sie bestimmt war.

Was den Eingriff anbelangte, waren auch die Schwestern auf unserer Station geteilter Meinung. Wenn sie denn überhaupt eine hatten. Manche waren gut darin geworden, sich jede Meinung abzugewöhnen. Die Vorgaben und Regeln fingen einen immer auf. Meinungen konnten das nicht

Gegliedert ist das Buch in drei Abschnitte, benannt nach den drei Protagonist*innen des Buchs: Meret, Marianne und Sarah. Marianne ist die Patientin, deren fehlgeschlagene Operation erste Zweifel in Meret weckt. Sarah ist Merets Mitbewohnerin, in die sie sich von der ersten Begegnung an verliebt, die ihr neue Blickwinkel aufzeigt und mit der sie von einer besseren Zukunft zu träumen wagt und Merets eigene Beobachtungen.

Hatte meine alte Zimmernachbarin dafür geliebt, dass sie die unsichtbare Trennlinie zwischen unseren Betten nie übertrat, dass ihr Vergnügen so wenig bedeutete, dass ihr Herz in all den Jahren nur zweimal zu Bruch ging. Nicht wie bei den anderen, wo es ohne Unterlass brach, ein störanfälliges Organ, immer nur gerade so zusammengeflickt, bevor der Nächste es wieder auseinanderriss.

Harry Potter and the Order of the Phoenix – J. K. Rowling auf deutsch unter dem Titel Harry Potter und der Ordes des Phönix im Carlsen Verlag übersetzt von Klaus Fritz

Harry Potter ist wütend darüber, dass er den Sommer über im Haus der Dursleys zurückgelassen wurde, denn er vermutet, dass Voldemort eine Armee zusammenstellt, dass er selbst angegriffen werden könnte und dass seine so genannten Freunde ihn im Dunkeln lassen. Als er schließlich von Leibwächtern der Zauberer gerettet wird, erfährt er, dass Dumbledore den Orden des Phönix neu formiert – einen Geheimbund, der vor Jahren gegründet wurde, um Voldemort zu bekämpfen. Doch das Zaubereiministerium ist gegen den Orden, und das Zaubererblatt Daily Prophet verbreitet Lügen, und Harry fürchtet, dass er diesen epischen Kampf gegen das Böse vielleicht allein aufnehmen muss.

Meine Heldin ist natürlich insbesondere Hermione – wie gerne wäre ich sie, so klug, so belesen und mutig. Aber von Buch zu Buch merke ich, Hermione hat noch unerwartet große Konkurrenz mit Blick auf Lieblings-Figur bekommen. Professor McGonagall ich liebe die alte Schottin und im Buch vor allem diesen Dialog:

“Is it true that you shouted at Professor Umbridge?“
„Yes.“
„You called her a liar?“
„Yes.“
„You told her He Who Must Not Be Named is back?“
„Yes.“
„Have a biscuit, Potter.”

Idol in Flammen – Rin Usami erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag, übersetzt von Luise Steggewentz

Der Roman, der die japanische Verlagswelt in Brand gesetzt hat: Ein preisgekrönter Bestseller aus Japan von einer 21-jährigen Autorin, die zum Shootingstar der japanischen Literatur avanciert: Rin Usami. Ein Roman der sich auf brillante Weise mit toxischem Fandom, sozialen Medien und Desillusionierung beschäftigt.

Akari ist eine Highschool-Schülerin, die von „oshi“ Masaki Ueno, einem Mitglied der beliebten J-Pop-Gruppe Maza Maza, besessen ist. Sie schreibt einen Blog, der ihm gewidmet ist, und verbringt Stunden damit durchs Internet zu scrollen, süchtig nach Informationen über ihn und sein Leben. Verzweifelt versucht Akari, ihn zu analysieren und zu verstehen, und hofft, die Welt irgendwann mit seinen Augen zu sehen. Es ist eine Hingabe, die ans Religiöse grenzt: Masaki ist ihr Retter, ihr Rückgrat, jemand, von dem sie glaubt, dass sie ohne ihn nicht überleben kann – auch wenn sie ihn nie wirklich getroffen hat.

Als Gerüchte auftauchen, dass ihr Idol einen weiblichen Fan angegriffen hat, explodieren die sozialen Medien. Akari fängt sofort an, alles zu sichten, was sie über den Skandal finden kann, und teilt jedes Detail auf ihrem Blog und zieht damit zahlreiche Leser an, die begierig auf ihre Updates warten.

Aber die strukturierte und gut informierte Person, die Akari online präsentiert, ist ganz anders als der sozial unbeholfene, unkonzentrierte Teenager, die sie im wirklichen Leben ist. Als sich Masakis Situation zuspitzt, drohen seine Probleme auch ihr Leben zu zerstören. Anstatt einen Weg zu finden, sich zu befreien, um sich selbst zu retten, wird Akari immer fanatischer…

Da ist was für dich gekommen, Fräulein Akari Yamashita, sagt meine Schwester und reicht mir ein Paket, ds zehnmal dieselbe CD enthält, die ich in meinem Zimmer vorsichtig auspacke, um die Wahlscheine herauszunehmen. Neue Singles von Mazamaza kommen immer zusammen mit einem Wahlschein, und eine Single kostet zweitausend Yen. Fünf CDs habe ich schon, also kann ich jetzt insgesamt fünfzehn Stimmen bei der Beliebtheitswahl der Bandmitglieder abgeben.

Eine Geschichte über Ruhm, Trennung, Besessenheit und Desillusionierung von einer Autorin, die kaum älter ist als ihre Protagonistin. Idol in Flammen nimmt die Fan-Kultur, die Geldmacherei der J-Pop-Idol-Industrie, die verführerische Macht der sozialen Medien und die gewaltige emotionale Leere, die sich auftut, wenn ein Idol in Ungnade fällt unter die Lupe.

Ein Roman wie ein brennender Benzinkanister, der mit 200 km/h über die Autobahn rast. Atemlos in einem Rutsch durchgelesen. Krass.

The Wonder – Emma Donoghue auf deutsch erschienen unter dem Titel „Das Wunder“ erschienen im Goldmann Verlag, übersetzt von Thomas Mohr

Die irischen Midlands, 1859. Die englische Krankenschwester Lib Wright wird in ein kleines Dorf gerufen, um zu beobachten, was manche für eine medizinische Anomalie oder ein Wunder halten – ein Mädchen, das monatelang ohne Nahrung überlebt haben soll. Touristen strömen zu der Hütte der elfjährigen Anna O’Donnell, und ein Journalist ist gekommen, um über die Sensation zu berichten. The Wonder“ ist eine Geschichte über zwei Fremde, die das Leben des anderen verändern, ein psychologischer Thriller und eine Geschichte über Liebe im Kampf gegen das Böse.

How could the child bear not just the hunger, but the boredom? The rest of humankind used meals to divide the day, Lib realized – as a reward, as entertainment, the chiming of an inner clock. For Anna, during this watch, each day had to pass like one endless moment.

Habe „The Wonder“ als Hörbuch gehört und es sehr gemocht. Es passte sehr gut in die Jahreszeit und ich habe meine Isar-Spaziergänge gerne verlängert, um noch ein wenig weiter hören zu können, was es mit Anna und ihrer seltsamen Hunger-Geschichte auf sich hat. Das Buch ist bereits verfilmt worden mit Florence Pugh in der Hauptrolle und obwohl ich die Schauspielerin sehr sehr schätze, die Geschichte klasse fand, der Film großartige Bilder hat – ich bin nicht wirklich mit dem Film warm geworden. Hier ist das Buch wirklich um Längen besser meiner Meinung nach.

Das war es jetzt aber – eine reiche großartige Ausbeute hatte ich da im Januar und natürlich bin ich wieder sehr neugierig auf eure Reaktionen. Welche dieser Bücher habt ihr auch gelesen? Seid ihr anderer Ansicht als ich bei dem einen oder anderen? Auf welche konnte ich euch besonders neugierig machen?

Ich wünsche euch einen guten Februar und freue mich, wenn ihr dann wieder an meiner Lektüre teilhabt. Soviel kann ich schon verraten – es geht literarisch und auch in echt nach Paris. Jusque là!

Lektüre November 2022

Ein spannender atmosphärischer Lesemonat liegt hinter mir. Keine wirklichen Ausfälle dabei, eine gute Mischung aus Sachbuch bei dem ich immens viel gelernt habe, ein paar zur November Stimmung passende Romane, ein wunderbares Wiederlesen und eine Bookclub-Lektüre die uns in die Sumpf- und Marschgebiete North Carolinas mitnahmen.

Hier wieder in alphabetischer Reihenfolge ein kurzer Einblick in die Bücher, in der Hoffnung euch auf das eine oder andere Lust machen zu können.

Auf See – Theresa Enzensberger erschienen im Hanser Verlag, gehört als Audible Hörbuch

Yada wächst als Bürgerin einer schwimmenden Stadt in der Ostsee auf. Ihr Vater, ein libertärer Tech-Unternehmer, hat die Seestatt als Rettung vor dem Chaos entworfen, in dem die übrige Welt versinkt. In den Jahren seit ihrer Gründung ist der Glanz vergangen, Algen und Moos überwuchern die einst spiegelnden Flächen. Yadas Vater fürchtet, sie könne das Schicksal ihrer Mutter ereilen, die vor ihrem Tod an einer rätselhaften Krankheit litt. Und Yada macht eines Tages eine Entdeckung, die alles ins Wanken bringt. Klug, packend und visionär erzählt Theresia Enzensbergers großer Roman von den utopischen Versprechen neuer Gemeinschaften und dem Glück im Angesicht des Untergangs.

Ich fand die Geschichte und vor allen Dingen die Ideen spannend, visionär und definitiv zum Nachdenken und Recherchieren anregend. Nur als Hörbuch fand ich es aufgrund der Sprecherin nicht ganz so gelungen, hätte es glaube ich lieber gelesen als gehört. Vielleicht besorge ich es mir noch mal als Buch. Das wird nicht das letzte Buch von Frau Enzensberger sein, mir gefällt ihr Stil und ihre Art zu denken sehr.

Das Ende des Kapitalismus – Ulrike Herrmann erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag

Um es gleich vorweg zu nehmen: Dieses Buch ist mein absolutes November Highlight. Eines von den Büchern bei denen ich nicht mehr aufhören kann davon zu erzählen und ich zur Buch-Missionarin werde und jedem fast mit Einzelhaft und Liebesentzug drohe, wenn die Menschen mir nicht auf der Stelle versprechen es umgehend zu lesen und danach mit mir darüber zu diskutieren.

Das es ein Rezensionsexemplar ist und auch noch von der Autorin für mich signiert wurde auf der Buchmesse hat damit wirklich nichts zu tun. Es hat mich einfach massiv zum Nachdenken gebracht, ich habe tonnenweise interessante Dinge gelernt und dazu geführt, dass ich jetzt nicht mehr sofort und automatisch den Wirtschaftsteil der Zeitung in die Papiertonne werfe.

Die Klimakrise verschärft sich täglich, aber konkret ändert sich fast nichts. Die Treibhausgase nehmen ungebremst und dramatisch zu. Dieses Scheitern ist kein Zufall, denn die Klimakrise zielt ins Herz des Kapitalismus. Wohlstand und Wachstum sind nur möglich, wenn man Technik einsetzt und Energie nutzt. Leider wird die Ökoenergie aus Sonne und Wind aber niemals reichen, um weltweites Wachstum zu befeuern. Die Industrieländer müssen sich also vom Kapitalismus verabschieden und eine Kreislaufwirtschaft anstreben, in der nur noch verbraucht wird, was sich recyceln lässt.

Aber wie soll man sich dieses grüne Schrumpfen vorstellen. Das beste Modell ist ausgerechnet die britische Kriegswirtschaft ab 1940.

„Damals zeigte sich erstmals ein Paradox, das den Kapitalismus bis heute prägt: Nur wenn das Risiko weitgehend ausgeschlossen ist, werden Investitionen gewagt.“

Our Missing Hearts – Celeste Ng auf deutsch erschienen unter dem Titel „Unsere verschwundenen Herzen“ erschienen im dtv Verlag übersetzt von Brigitte Jakobeit

Ich hatte den Roman schon auf dem Radar, nachdem wir vor einiger Zeit „Everything I never told you“ im Bookclub gelesen hatte und ihr neuer Roman auch noch unter „Dystopie“ firmierte. Frau Ngs Lesung im Amerikahaus in München wertete ich dann als finales Zeichen, dass ich diesen Roman unbedingt dringend lesen möchte.

Celeste Ng ist eine überaus kluge, interessante Frau der ich problemlos noch Stunden hätte zuhören können. Our Missing Hearts ist perfekte Winterlektüre. Dystopisch und düster, aber mit viel viel Hoffnung versehen und davon können wir alle momentan glaube ich eine doppelte Portion gebrauchen.

Der zwölfjährige Bird lebt mit seinem Vater in Harvard. Seit einem Jahrzehnt wird ihr Leben von Gesetzen bestimmt, die nach Jahren der wirtschaftlichen Instabilität und Gewalt die »amerikanische Kultur« bewahren sollen. Vor allem asiatisch aussehende Menschen werden diskriminiert, ihre Kinder zur Adoption freigegeben. Als Bird einen Brief von seiner Mutter erhält, macht er sich auf die Suche. Er muss verstehen, warum sie ihn verlassen hat. Seine Reise führt ihn zu den Geschichten seiner Kindheit, in Büchereien, die der Hort des Widerstands sind, und zu seiner Mutter. Die Hoffnung auf ein besseres Leben scheint möglich. Eine genauso spannende wie berührende Geschichte über die Liebe in einer von Angst zerfressenen Welt.

Librarians, of all people, understood the value of knowing, even if that information could not yet be used.

Where the Crawdads sing – Delia Owens auf deutsch erschienen unter dem Titel „Gesang der Flusskrebse“ im Hanser Verlag, übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann

Unser November Bookclub Buch hat mir um Einiges besser gefallen als ich dachte. Aus irgendeinem Grund befürchtete ich eine furchtbar schmalzige Schmonzette, aber die Naturbeschreibungen und die Protagonistin Kya haben mir auf jeden Fall ein spannendes Lesevergnügen beschert. Die Diskussion im Bookclub drehte sich natürlich auch stark um Delia Owens Rolle zu ihrer Zeit in Afrika, die Kontroversen die es um ihre Person und die ihres Ex-Mannes gibt. Es war eine intensive und sehr spannende Diskussion. Habe auch den Film gesehen und gemocht – großartige Naturaufnahmen, eine Ecke der Welt die ich unbedingt irgendwann mal sehen möchte.

Chase Andrews stirbt, und die Bewohner der ruhigen Küstenstadt Barkley Cove sind sich einig: Schuld ist das Marschmädchen. Kya Clark lebt isoliert im Marschland mit seinen Salzwiesen und Sandbänken. Sie kennt jeden Stein und Seevogel, jede Muschel und Pflanze. Als zwei junge Männer auf die wilde Schöne aufmerksam werden, öffnet Kya sich einem neuen Leben – mit dramatischen Folgen. Delia Owens erzählt intensiv und atmosphärisch davon, dass wir für immer die Kinder bleiben, die wir einmal waren. Und den Geheimnissen und der Gewalt der Natur nichts entgegensetzen können.

Das ist übrigens ein Buch, das ich wahrscheinlich besser in der deutschen Übersetzung gelesen hätte. Der lokale Dialekt der im Buch wiedergegeben wird, hat mich stellenweise an meine Grenzen gebracht. Solide Unterhaltung, kann man sicherlich gut zu Weihnachten verschenken, auch wenn gefühlt alle Menschen die gerne lesen das Buch wahrscheinlich bereits besitzen.

Autumn leaves don’t fall, they fly. They take their time and wander on this their only chance to soar.

Harry Potter and the Philosopher’s Stone / Harry Potter and the Chamber of Secrets / Harry Potter and the Prisoner of Azkaban – JK Rowling auf deutsch erschienen im Carlsen Verlag übersetzt von Peter Needham.

Zu Harry Potter muss ich wahrscheinlich nicht viel schreiben. Hatte schon eine Weile Lust mal wieder einzutauschen in die magische Welt der Zauberschüler*innen rund um Hogwarts, hatte aber irgendwie auch Schiss, ob es mir beim Wiederlesen noch gefallen würde. Man kann sich ja auch wirklich was kaputt machen, wenn die Magie beim Wiederlesen nicht überspringen will. Brauchte aber keine Sorge zu haben. Bin noch genauso ein Potterhead wie in den 90ern – möchte immer noch nach Hogwarts, trage stolz mein Ravenclaw Shirt und nach jedem Buch schaue ich mir direkt den Film dazu an, denn ich habe vor ein paar Jahren die Harry Potter Filmbox gewonnen und bin Besitzerin sämtlicher Filme in einer sehr sehr hübschen Box.

OK – genug angegeben. Frau Rowling und ihre anstrengende Transphobie nervt, aber davon lass ich mir meinen Harry Potter nicht kaputt machen und die Darsteller*innen sehen es ja zum Glück genau so.

Im Dezember geht es weiter mit den restlichen Bänden und danach möchte ich entweder noch mal nach Osaka wo wir vor ein paar Jahren im Universal Picture Park die Wizarding World of Harry Potter besucht haben oder vielleicht nach London in die Warner Brothers Filmstudios? Wofür ich mich auch immer entscheide, es braucht jede Menge Überzeugungsarbeit, denn die Bingereader-Gattin kann mit Harry Potter leider gar nix anfangen 😉

The Lamplighters – Emma Stonex auf deutsch erschienen unter dem Titel „Die Leuchtturmwärter“ im Fischer Verlag übersetzt von Eva Kemper

Durch das Dezember Bookclub Buch bin ich nur so durchgerauscht und habe die Lektüre sehr sehr genossen. Passt einfach perfekt zu nebelig-düsteren Winterwochenenden. Ein Pageturner im wahrsten Sinne des Wortes, konnte es gar nicht aus der Hand legen. Die Geschichte um das Verschwinden der drei Leuchtturmwärter beruht auf eine wahren Geschichte, was die Recherche rund ums Buch noch mal spannender macht.

In der Silvesternacht verschwinden vor der Küste Cornwalls drei Männer spurlos von einem Leuchtturm. Die Tür ist von innen verschlossen. Der zum Abendessen gedeckte Tisch unberührt. Die Uhren sind stehen geblieben. Zurück bleiben drei Frauen, die auch zwei Jahrzehnte später von dem rätselhaften Geschehen verfolgt werden. Die Tragödie hätte Helen, Jenny und Michelle zusammenbringen sollen, hat sie aber auseinandergerissen. Als sie zum ersten Mal ihre Seite der Geschichte erzählen, kommt ein Leben voller Entbehrungen zutage – des monatelangen Getrenntseins, des Sehnens und Hoffens. Und je tiefer sie hinabtauchen, desto dichter wird das Geflecht aus Geheimnissen und Lügen, Realität und Einbildung.

In all my years I’ve realized there are two kinds of people. The ones who hear a creak in a dark, lonely house, and shut the windows because it must have been the wind. And the ones who hear a creak in a dark, lonely house, light a candle, and go to take a look.

Es hört nie auf, dass man etwas sagen muss – Antje Rávic Strubel erschienen im Fischer Verlag.

Antje Rávic Strubel ist auch so eine Autorin an deren Bücher ich einfach nicht vorgehen kann, wenn sie etwas neues geschrieben hat. Und dieses Buch hier ist ja wohl zusätzlich auch noch ein phänomenaler Hingucker. Ein kleiner Essay-Band voller kluger Gedanken zu Virginia Woolf, Astrid Lindgren, Selma Lagerlöf, Gendergewändern, Theodor Fontane und Elche kommen auch vor. Ein elegantes Büchlein bei man das Gefühl hat mit jeder Zeile ein kleines wenig klüger zu werden.

Pointiert nimmt Antje Rávik Strubel die aktuelle gesellschaftliche Lage unter die Lupe. Mit engagierter und zugleich poetischer Stimme widerspricht sie dem Gezerre und Gezeter. Sie plädiert für einen spielerischen, abenteuerlichen, wagemutigen Umgang mit Sprache, für ein emphatisches und aufmerksames Miteinander und eine Vielfalt der Lebens- und Liebesweisen. Sie erzählt von Virginia Woolf und Selma Lagerlöf, von dem Griff nach den Sternen und dem Aufbruch ins Unbekannte. Diese kritischen, literarischen und persönlichen Reden und Essays spannen den Bogen vom Ende des 19. Jahrhunderts zum Beginn des 21. Jahrhunderts und blättern mit dem nötigen feministischen Hintersinn andere Seiten der gesellschaftlichen Landkarte auf.

Die unfassbar schöne Covergestaltung haben wir im Übrigen Judith Schalansky zu verdanken.

Ankleben verboten!
1. Halte dich nicht zurück.
2. Widersprich dir.
3. Widersteh der Versuchung, Bedeutsames zu sagen.
4. Vernachlässige dich selbst.
5. Betrachte die Wirklichkeit aus der Schräglage
6. Deine Sitze sind die Wirklichkeit, trau ihnen nicht.
7. Verschleier dein Anliegen.
8. Lösch deine Spuren.
9. Benutze deine Zweifel, um Sätze zu bilden.
10. Sei viele. Sei jung und alt, weiblich und männlich, hell und dunkel zugleich.
11. Mach dich unabhängig von Lob.
12. Kehr um und entwirf deine eigenen Regeln.
13. Ertränke deine Leser und deine Vögel im Licht.

The Bass Rock – Evie Wyld auf deutsch erschienen unter dem Titel „Die Frauen“ im Rowohlt Verlag übersetzt von Tanja Handels.

Noch ein unfassbar gutes, spannendes und atmosphärisches Buch bei dem ich mir nicht mehr sicher bin, wie ich auf diesen Titel gekommen bin. Habe es als Hörbuch gehört und habe den schottischen Akzent der Sprecherin sehr geliebt. Die Geschichte ist düster und sicherlich kein Wohlfühl Schauerroman, aber ein spannend konstruierter Roman, der einem noch lange nachgeht.

Der Bass Rock wirft seit Jahrhunderten einen Schatten auf North Berwick und seine Bewohner. Neu unter ihnen: Ruth Hamilton, die in den Jahren nach dem Krieg mit ihrem Mann und zwei Stiefsöhnen in ein zugiges Haus am Meer zieht. Ruth ist zum ersten Mal schwanger und zusehends allein: die Kinder im Internat, der Mann über Wochen in seiner Londoner Kanzlei. Als Großstädterin hadert sie mit der Abgeschiedenheit und auch mit den sonderbaren Gebräuchen der einheimischen Gesellschaft. Ein Strandpicknick mitten im Winter? Die Frauen eigenartig kostümiert? Ruth passt sich an, ein wenig. Bis sie begreift: Das hier passiert nicht nur ihr. Es ist ein altes Spiel. Sie soll es nicht gewinnen.

Ein halbes Jahrhundert später, das Anwesen am Bass Rock steht zum Verkauf, kommt wieder eine Frau in den Norden. Viv hadert mit ihrem Single-Dasein, aber auch mit den Gelegenheiten, es zu beenden. Außerdem schläft sie schlecht, in jedem der Betten in dem alten Haus. Ihr ist, als würde sie heimgesucht von dunklen Geschichten. Geschichten von aufsässigen Frauen, von Frauen in Bedrängnis. Und ihre Stiefgroßmutter Ruth ist nur eine davon.

My mother has found being alone a new beginning. Her house is tidy. She eats what she wants, when she wants: nothing for a day and then a dressed crab at eleven at night, or a bowl of frozen peas, uncooked, which she eats like peanuts for breakfast. I admire the singleness that she has embraced since Dad died. I think I could aspire to that, but without having to be widowed first. Sometimes, though, it would be nice to fuck and to be fucked.”

War echt eine Menge los im November – war irgendwas dabei, wofür ich euch begeistern konnte? Habt ihr schon etwas davon gelesen? Habt ihr Meinungen zu den vorgestellten Büchern? Freue mich sehr von euch zu hören.

Happy Reading!

Lektüre März 2022

Mich wieder vermehrt in Bücher verkrochen, um den Nachrichten weitestgehend zu entkommen. Ein guter Lesemonat mit einigen großartigen Büchern. Ich hoffe, ich kann Euch Lust auf das eine oder andere Buch machen.

Lighthousekeeping – Jeanette Winterson auf deutsch unter dem Titel „Der Leuchtturmwärter“ im Berlin Verlag erschienen, übersetzt von Monika Schmalz

Habe bislang jedes ihrer Bücher sehr sehr gerne gelesen. Lighthousekeeping war da keine Ausnahme. Was für eine schöne poetische, spannende Geschichte um die tutter- und ankerlose Silver, die vom „zeitlosen“ Mr. Pew, dem Wärter des Leuchtturms von Cape Wrath, aufgenommen wird. Pew erzählt Silver uralte Geschichten von Sehnsucht und Wurzellosigkeit, von Bindungen, die bleiben und von Entgleisungen, die jedes Leben mit sich bringt.

As for myself, I am splintered by great waves. I am coloured glass from a church window long since shattered. I find pieces of myself everywhere, and I cut myself handling them.

Plötzlich an jenem Abend – Daphne Du Maurier

Obwohl sie oft als romantische Autorin eingestuft wird, sind ihre Kurzgeschichten durchweg stimmungsvoll, düster und voller paranormaler Untertönen. Ihre Bestseller wurden von den Kritikern zunächst nicht ernst genommen, haben sich aber inzwischen einen bleibenden Ruf für ihr erzählerisches Handwerk erworben. Viele von ihnen wurden erfolgreich verfilmt, darunter die Romane Rebecca, Frenchman’s Creek, My Cousin Rachel und Jamaica Inn sowie die Kurzgeschichten „The Birds“ und „Don’t Look Now“.

Du Maurier verbrachte einen Großteil ihres Lebens in Cornwall, wo auch die meisten ihrer Werke spielen. Ich kann diese Kurzgeschichtensammlung nur jedem ans Herz legen, einfach unfassbar gut. Muss jetzt unbedingt Hitchcocks „Die Vögel“ nochmal ansehen, obwohl ich gemerkt habe, wie sehr du Mauriers Kurzgeschichte und die Verfilmung voneinander abweichen.

Nat listened to the tearing sound of splintering wood, and wondered how many million years of memory were stored in those little brains, behind the stabbing beaks, the piercing eyes, now giving them this instinct to destroy mankind with all the deft precision of machines.” (The Birds)

The Darkening Age – Catherine Nixey übersetzt von Cornelius Hartz unter dem Titel „Heiliger Zorn. Wie die frühen Christen die Antike zerstörten“. Deutsche Verlags-Anstalt

„The darkening age“ ist die weitgehend unbekannte Geschichte, wie eine militante Religion die Lehren der klassischen Welt umfassend und voller Absicht auslöschte und Jahrhunderte des bedingungslosen Festhaltens an dem „einen wahren Glauben“ einleitete.

Trotz der seit langem vorherrschenden Vorstellung, dass die frühen Christen sanftmütig und mild waren und in den Märtyrertod gingen, indem sie Hymnen der Liebe und des Lobes sangen, sieht die Wahrheit, wie Catherine Nixey zeigt, ganz anders aus. Sie waren alles andere als sanftmütig und mild, sondern gewalttätig, rücksichtslos und von Grund auf intolerant. Anders als in der polytheistischen Welt, in der die Hinzufügung einer neuen Religion keinen grundlegenden Unterschied zu den alten machte, erklärte diese neue Ideologie nicht nur, dass sie der Weg, die Wahrheit und das Licht sei, sondern auch, dass jeder andere Weg falsch sei und zerstört werden müsse. Vom 1. bis zum 6. Jahrhundert wurden diejenigen, die nicht mit ihren Überzeugungen konform gingen, auf jede erdenkliche Weise verfolgt: sozial, rechtlich, finanziell und physisch. Ihre Altäre wurden umgestürzt und ihre Tempel zerstört, ihre Statuen zerhackt und ihre Priester getötet. Es war komplette Auslöschung.

Anschaulich geschrieben und äußerst fesselnd – das bemerkenswerte Debüt einer brillanten jungen Historikerin.

It wasn’t just the fact that Christians were ignorant about philosophical theories that annoyed Celsus; it was that Christians actually reveled in their ignorance.

Sprache und Sein – Kübra Gümüşay erschienen im Hanser Verlag

Kübra Gümüşay beschreibt wie Sprache unser Denken prägt und unsere Politik bestimmt. Dieses Buch folgt einer Sehnsucht: nach einer Sprache, die Menschen nicht auf Kategorien reduziert. Nach einem Sprechen, das sie in ihrem Facettenreichtum existieren lässt. Nach wirklich gemeinschaftlichem Denken in einer sich polarisierenden Welt. Kübra Gümüşay setzt sich seit langem für Gleichberechtigung und Diskurse auf Augenhöhe ein. In ihrem ersten Buch geht sie der Frage nach, wie Sprache unser Denken prägt und unsere Politik bestimmt. Sie zeigt, wie Menschen als Individuen unsichtbar werden, wenn sie immer als Teil einer Gruppe gesehen werden – und sich nur als solche äußern dürfen.

Wer also trotz der Auseinandersetzung mit einer gerechteren Sprache auf der Verwendung ächtender Sprache beharrt, der bekennt sich zur Ächtung von Menschen und positioniert sich bewusst gegen Gerechtigkeit, gegen die Gleichstellung der Geschlechter – für rassistische, sexistische, menschenfeindliche Sprachnutzung.

Civilisations: How do we look – Mary Beard

Die renommierte Klassizistin Mary Beard hat diesen eleganten Band über die Art und Weise, wie wir Kunst betrachten, als prachtvoll illustriertes Begleitbuch zu den berühmten TV-Sendungen „How Do We Look“ und „The Eye of Faith“ konzipiert. In Teil I konzentriert sich Beard auf die Olmekenköpfe des frühen Mesoamerikas, die kolossalen Statuen des Pharaos Amenhotep III. und die Akte des klassischen Griechenlands.

In Teil II stellt Beard einige der atemberaubendsten religiösen Bilder vor, die je geschaffen wurden – ob in Angkor Wat, Ravenna, Venedig oder in der Kunst jüdischer und islamischer Kalligraphen -, um zu zeigen, dass alle Religionen, ob alt oder modern, bei dem Versuch, das Göttliche darzustellen, vor unlösbaren Problemen standen.

One of its (civilisations) most powerful weapons has always been ‚barbarity‘: ‚we‘ know that ‚we‘ are civilised by contrasting ourselves with those we deem to be uncivilised, with those who do not -or cannot be trusted to – share our values. Civilisation is a process of exclusion as well as inclusion. The boundary between ‚us‘ and ‚them‘ may be an internal one (for much of world history the idea of a ‚civilised woman‘ has been a contradiction in terms), or an external one, as the word ‚barbarian‘ suggests; it was originally a derogatory and ethnocentric ancient Greek term for foreigners you could not understand, because they spoke in an incomprehensible babble: ‚bar-bar-bar …‘ The inconvenient truth, of course, is that so-called ‚barbarians‘ may be no more than those with a different view from ourselves of what it is to be civilised, and of what matters in human culture. In the end, one person’s barbarity is another person’s civilisation.

The Origins of Species – Charles Darwin

OK – an dem Band habe ich schon eine ganze Weile lang hingelesen, aber es war jede Minute wert. Ein Buch das so viel einfacher und angenehmer zu lesen war, als ich es mir jemals hätte träumen lassen.

Darwins hervorragend lesbare Erforschung des Evolutionsprozesses gilt noch immer als eines der wichtigsten und bahnbrechendsten wissenschaftlichen Werke aller Zeiten und stellte die meisten festen Überzeugungen der westlichen Welt in Frage. Jahrhunderts wurden die Leser gezwungen, die Idee eines Schöpfers in Frage zu stellen, und sahen sich mit Darwins Theorien über die Gesetze der natürlichen Selektion und den Zufall der Evolution konfrontiert, was zu jener Zeit zu massiven Kontroversen führte. Darwins Theorien bilden jedoch auch heute noch das Rückgrat der modernen Biologie.

I think it inevitably follows, that as new species in the course of time are formed through natural selection, others will become rarer and rarer, and finally extinct. The forms which stand in closest competition with those undergoing modification and improvement will naturally suffer most.

Lilith’s Brood – Octavia E. Butler erschienen im Heyne Verlag „Die Genhändler“ Übersetzt von Barbara Heidkamp

Octavia Buttler veröffentlichte ihre Xenogenesis-Trilogie (später unter dem Titel Lilith’s Brood zusammengefasst) nachdem sie in den 1980er Jahren wichtige SciFi Preise wie den Hugo Award gewonnen hatte. In der Trilogie geht es um die Rettung der Menschheit nach einem verheerenden Krieg; die Überlebenden treffen auf eine Alien-Rasse, die ein drittes Geschlecht besitzt, welches nicht nur die anderen beiden Geschlechter mental miteinander verknüpfen, sondern sie auch genetisch verändern kann.

In der Xenogenesis-Trilogie werden die Themen Sexualität, Geschlecht, Rasse und Spezies erforscht. Die Oankali glauben, dass die menschliche Spezies einen unausweichlichen selbstzerstörerischen „Widerspruch“ zwischen ihrer hohen Intelligenz und ihrer hierarchischen Natur hat.

Eine der ungewöhnlichsten SciFi Stories die ich je gelesen habe.

Intelligence is relatively new to life on Earth, but your hierarchical tendencies are ancient.

Das Seelenhaus – Hannah Kent erschienen im Droemer Verlag übersetzt von: Leonie Reppert-Bismarck

Island 1828. Agnes ist eine selbstbewusste und verschlossene Frau. Sie wird als hart ­arbeitende Magd respektiert, was sie denkt und fühlt, behält sie für sich. Als sie des Mordes an zwei Männern angeklagt wird, ist sie allein. Die Zeit bis zur Hinrichtung soll sie auf dem Hof eines Beamten verbringen. Die Familie ist außer sich, eine Mörderin beherbergen zu müssen – bis Agnes Stück um Stück die Geschichte ihres Lebens preisgibt.

Atmosphärische düstere Geschichte, die noch lange nachklingt – habe ich sehr gerne gelesen. Eine ausführliche Besprechung findet ihr hier bei Constanze von Zeichen und Zeiten.

… Aber die Leute merken, daß ich denken kann, und sie finden, dass man einer denkenden Frau nicht trauen kann. Da ist für Unschuld kein Platz. So sieht’s aus, das ist die Wahrheit, Herr Pfarrer, ob´s Ihnen passt oder nicht. ….

Und – war diesen Monat etwas dabei worauf ihr Lust bekommen habt, oder habt ihr eventuell schon eines oder mehrere der Bücher gelesen? Bin gespannt auf Eure Rückmeldungen.

Erlesener Sommer – die August Bücher

Draußen war nicht immer so viel Sommer, wie ich es mir gewünscht hätte, aber ich habe mir den Sommer auf jeden Fall mit einer ganzen Reihe Bücher herbeigelesen. Der August war ein guter Lesemonat mit interessanten Entdeckungen, erneuten Begegnungen und ohne Ausfälle.

Ich starte gleich mal mit einer meiner größten überraschenden Entdeckungen. Ein Buch, das mir garantiert durch die Lappen gegangen wäre, hätte mich die wunderbare Susanne vom Diogenes Verlag nicht zu einer Autorinnen-Lesung/Zoom-Runde eingeladen. Leseexemplar bestellt, aufgrund vom Klappentext erst mal gar nicht so viel erwartet und dann war ich aber – peng – komplett umgehauen, von diesem überraschenden, ungewöhnlichen, bild- und sprachgewaltigen Werk:

Ohne Fürsorge und Liebe wächst der 11-jährige Martin am Rande eines Dorfes auf. Er hat nur seinen schwarzen Hahn und wird gemieden von den Dörflern, die das Tier für den Teufel halten. Doch nutzen sie den Jungen aus, wann immer sich die Möglichkeit bietet. Martin jedoch verfügt über ein reines Herz und einen wachen Verstand, der ihn Verbrechen erkennen lässt. Als er mit ansehen muss, wie ein schwarzer Reiter, der der Legende nach jedes Jahr Kinder entführt, ein Mädchen raubt, steht für ihn fest, dass er die verschwundenen Kinder finden und dem Spuk ein Ende setzen muss. Mit dem Maler verlässt Martin sein Dorf und bricht auf zu einer Odyssee, auf der er nicht nur menschlichen Abgründen nachspürt, sondern auch seinen Fähigkeiten.

Ein Roman über die Hoffnung in einer dunklen Welt, über Mut und den Sieg der Rationalität über Aberglauben und Hass. Großartige Sprache – unvergessliche Bilder, dieses Buch wird, glaube ich, durch die Decke gehen und ich würde mich für die sympatische Autorin von Herzen freuen.

Witziger Zufall war die Verknüpfung, die in meinem Hirn passierte zwischen dem Maler in diesem Buch, der irgendwann im Mittelalter in einer Kirche ein Wandgemälde anfertigt und dem Roman „Ein Monat auf dem Land“, in dem ein junger Restaurateur in den 1920er Jahren ein Wandgemälde aus dem Mittelalter in einer Kirche freilegt. Was für ein witziger Zufall…

„Alles an ihm wirkt ruhig und bedacht. Und das macht ihn den Leuten im Dorf unbequem. Sie haben es nicht gern, dass einer zu lebendig ist oder zu ruhig.“

Ich danke dem Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.

Ein wunderschöner Roman über eine besondere Freundschaft, die Ruhe auf dem Lande und den Einfluss der Vergangenheit. Die junge Sally ist von zu Hause weggelaufen und trifft auf Liss, die einen eigenen Bauernhof betreibt. Liss nimmt Sally bei sich auf und zwischen den beiden Frauen entwickelt sich eine Beziehung, die sie nicht erwartet hatten.

Vor allem die Beschreibungen der Landschaft und des Geschehens auf dem Hof schaffen eine gewisse Ruhe beim Lesen. Die Langsamkeit, mit der Liss und Sally mit ihren Händen Birnen und Trauben pflücken, Kartoffeln ausgraben und all die anderen Arbeiten verrichten, spiegelt sich auch im Schreibstil des Romans wider. In aller Ruhe. Der ruhige Bauernhof, das friedliche Dorf mit seinen Kirchenglocken, das Tal, in dem der Nebel verweilt… Die Atmosphäre der Umgebung ist wunderschön wiedergegeben.

Ein Buch, das garantiert blutdrucksenkende Wirkung hat und man es kaum abwarten kann zum Markt zu kommen, um verschiedene Birnensorten zu kaufen, die man während des Lesens verzehrt. Das perfekte Spätsommerbuch und ein Autor, von dem ich sehr gerne noch mehr lesen möchte.

Vielleicht würde Sonnenlicht so schmecken, wenn es durch das Laub alter Bäume direkt auf die Zunge fiele.

Tom Birkin wird beauftragt, ein mittelalterliches Wandgemälde in einer Kirche freizulegen und zu restaurieren, das vor über vierhundert Jahren verdeckt wurde. Als er die Kalk- und Schmutzschichten fachmännisch abblättert, findet er an den Wänden unerwartete Motive von berauschender Qualität. Auch was er über die Menschen, insbesondere über sich selbst, erfährt, ist unerwartet: Der Prozess der Restaurierung ist für ihn der Beginn einer Transformation und wunderbar erholsam.

Und Erholung hat er bitter nötig. Der 1. Weltkrieg hat ihn an Leib und Seele zerstört, er kehrt entfremdet in sein altes ziviles Leben zurück. Während seine Gefühle in der heutigen Zeit auf eine posttraumatische Belastungsstörung zurückgeführt werden können, hatte Birkin 1920 kein Ventil für seine Gefühle. Seine Frau Vinny hatte ihn wegen eines anderen Mannes verlassen, desillusioniert vom Leben als ungewollter Single in London nimmt Birkin den Restaurantions-Job in einem kleinen Dörfchen namens Oxgodby an.

J.L. Carr schafft es auf elegante Weise, eine große Bandbreite und Tiefe auf nur 102 Seiten zu vereinen: Geheimnisse, Liebe, Tragödie, Humor, soziologische Analysen, verlorene Chancen, Freundschaft, Kunst und allgemeine Schönheit. Es ist eine nuancierte Mischung, die geschickt ein paar dunkle Untertöne in eine ländliche Idylle einwebt.

Ja, es wird ein einziger Monat beschrieben, mit wenig Plot und es passiert auch nicht viel, aber Birkin verlässt Oxgodby verwandelt, verändert und auch verbessert und ich hatte das Gefühl tatsächlich auch. Ein Buch, das einen ein kleines bisschen besser macht.

Ein wunderbarer leiser Roman, der ganz große Lust auf Sommerabende in der englischen Countryside macht.

Das mag ein bisschen nach Larifari klingen, aber genau darum geht es: Wenn man sehen oder sich ausmalen kann, was für ein Kommen und Gehen an einem Ort vom ersten Tageslicht bis zur Abenddämmerung geherrscht hat, wie die Menschen vor den Bildern niederkauerten und andächtig nickend Brüste und Köpfe mit Fingern berührten, die gerade noch mit schmutzigen Kochtöpfen hantiert hatten, wie sie mit ihren ungewaschenen Gesichtern zu dem einzigen Gemälde hinaufstarrten, das sie ihr Leben lang zu Gesicht bekommen würden – nun, dann legt man sich noch ein bisschen mehr ins Zeug, dann macht man sich nicht nur mit alkoholischer Salzsäurelösung, sondern auch mit Gefühl ans Werk.

Als Iris zur Beerdigung ihrer Großmutter nach Hause zurückkehrt, stellt sie erstaunt fest, dass diese ihr das Haus vererbt hat, obwohl ihre Mutter und ihre beiden Schwestern noch leben. Während sie in dem Haus wohnt und versucht zu entscheiden, ob sie es behalten will, wird sie von den Erinnerungen an die Sommer, die sie dort verbracht hat, überrollt.

Eine Geschichte über das Erinnern und das Vergessen, denn vor ihrem Tod litt ihre Großmutter an Alzheimer. Ein trauriger und ergreifender Blick auf eine Frau, die sich jeden Tag ein bisschen mehr verliert.

Schillernd und magisch sind die Erinnerungen an die Sommerferien bei der Großmutter, geheimnisvoll die Geschichten der Tanten. Katharina Hagena erzählt von den Frauen einer Familie, mischt die Schicksale dreier Generationen.

Ein genussvoller kluger Roman der nach Sommer duftet und Lust auf Äpfel, Johannisbeeren und Marmeladekochen macht und mich sehr an lange warme Sommertage mit meiner Oma erinnert hat.

Wer wie ich ohne Vater aufwächst, muß erst durch Beobachtung lernen, was das eigentlich ist, so ein Vater. Als Kind studierte ich neugierig, aber mit sicherem Abstand die Väter in den Familien meiner Freundinnen. Insgeheim fand ich sie interessant, aber auch ein wenig unheimlich.

Da, wo bei anderen der Vater einfach angewachsen ist, stehe ich stets aufs Neue vor einem fremden Geräteteil, von dem man nicht weiß, wo es in meinem Apparat hingehört. Es fällt bei jeder Erschütterung von mir ab. Im Grunde brauche ich es nicht.

Mely Kiyak schreibt darüber was Frausein bedeutet, sie erzählt von den Gesprächen über Weisheit und Nichtwissen, die sie als Mädchen mit dem Vater führte. Von den Cousinen, die vom Begehren erzählten. Vom Aufwachsen zwischen Ländern und Klassen, zwischen „Herkunftsgepäck“ und Neugier auf unbekannte Erfahrungen. Vom Alleinsein, von Selbsterkundung, von Familie. Was ist Weiblichkeit, wenn man den öffentlichen Blick überwindet und zurückbleibt mit sich selbst? Aufrichtig, lebenslustig, zärtlich und entwaffnend klug erinnert Mely Kiyak daran, dass es die Verhältnisse sind, die einem beibringen, wie man liebt und lebt.

Wieviel man in einem so schmalen Buch anstreichen kann, was für eine poetische Sprache – ein Buch das klüger macht, dem ich wunderbare Gedanken verdanke und das einen gleichzeitig beglückt und tieftraurig zurück läßt. Eines meiner Lese-Highlights 2021.

Das Erlesen der Welt stürzte mich regelmäßig in gedankliche Krisen. Das eigene Erleben hingegen hatte kaum Auswirkung auf meine psychische Stabilität.

Das Lesen der Bücher aus der Stadtbibliothek war ein Vergnügen. Das Lesen der Seminarliteratur ist eine Qual. Ich hätte jemanden gebraucht, der mich betreut und mir die Sätze erklärt, die ich las. Ich war mit Sufismus aufgewachsen, mit altorientalischer Dichtung, mit politischen Theorien, mit einer Kultur, verwoben mit Elementen, die nicht einmal als Schatten in den Fächern vorkamen, die ich studierte. Plötzlich war ich umgeben von Studenten, die immer alles bereits kennen. Sie sind gebildete Kinder gebildeter Eltern.

Ich weiß, jede Silbe in diesem Satz ist wahr: Wer eine Schule eröffnet, schließt ein Gefängnis.

Ein Haus an einem märkischen See ist das Zentrum, fünfzehn Lebensläufe, Geschichten, Schicksale von den Zwanzigerjahren bis heute ranken sich darum. Das Haus und seine Bewohner erleben die Weimarer Republik, das Dritte Reich, den Krieg und dessen Ende, die DDR, die Wende und die Zeit der Nachwende. Jedem einzelnen Schicksal gibt Jenny Erpenbeck eine eigene literarische Form, jedes entfaltet auf ganz eigene Weise seine Dramatik, seine Tragik, sein Glück. Alle zusammen bilden eine Art kollektives literarisches Gedächtnis des letzten Jahrhunderts, geformt in einer Literatur, die nicht nur großartige Sätze und Bilder zu bieten hat, sondern die auch Wunden reißt, verstört, beglückt, verunsichert und versöhnt.

Ein Roman, den ich gemeinsam mit Miss Booleana auf Goodreads gelesen habe, was mir wieder großen Spaß gemacht hat. Der Roman selbst konnte mich allerdings nicht so in seinen Bann ziehen, wie ich es aufgrund des Themas eigentlich erwartet hätte und auch im Vergleich zu Erpenbecks „Gehen, Ging, Gegangen“, das mich förmlich umgehauen hatte.

Ich wurde nicht warm mit dem Buch. Es springt durch die Zeiten, ich wußte oft nicht wo ich mich gerade befinde, wer gerade spricht und die einzelnen Hausbewohner blieben mir leider fast alle recht fremd und distanziert.

Wo der neue Mensch anfangen soll, kann er nur aus dem alten wachsen.“

Jana hat ihren Vater nie kennengelernt. Alles, was sie über ihn weiß, ist, dass er als Kapitän auf der MS Mozart arbeitet, einem eher wenig glamourösen Kreuzfahrtschiff auf der Donau. Also bucht sie sich kurzerhand eine Woche dort ein. Ob sie sich ihm zu erkennen geben wird, weiß sie noch nicht. Mit knapp hundert Gästen im Seniorenalter und der trinkfesten Bordbesatzung beginnt die Fahrt von Passau nach Wien. Mit großer Sensibilität erzählt Ilona Hartmann die Geschichte einer jungen Frau auf der Suche nach den eigenen Wurzeln. Ein Roman voller Situationskomik und ungewöhnlicher Begegnungen, aber auch der Beginn einer zärtlichen, emotionalen Annäherung zwischen Vater und Tochter, die gerade erst lernen, was es heißt, einander Familie zu sein.

„Emanzipation war im Dorf eine Freizeitbeschäftigung. Eine, der man sich als Frau nur zuwandte, wenn man im klassischen Modell versagt oder sich bewusst dagegen verweigert hatte, also selber Schuld war. “

Noch eine große positive Überraschung. Der Autor war mir völlig unbekannt, wieder ein Roman, der seltsam zeitlos wie „Der Junge mit dem schwarzen Hahn“ irgendwo in einer unbestimmten Zeit im Mittelalter spielt und von Anfang an an einen Folk-Horror Film erinnert.

Ein abgelegenes, von Wäldern umschlossenes Dorf. Einige Bauern führen hier ein einsames und zufriedenes Dasein, das von Ereignissen kaum berührt wird. Eines Tages geschieht etwas vermeintlich Belangloses: Einer der Bauern findet auf einer Wiese am Dorfrand ein Seil. Er geht ihm nach, ein Stück in den Wald hinein, kann jedoch sein Ende nicht finden. Neugier verbreitet sich im Dorf, ein Dutzend Männer beschließt, in den Wald aufzubrechen, um das Rätsel des Seils zu lösen. Ihre Wanderung verwandelt sich in ein ebenso gefährliches wie bizarres Abenteuer: Das Ende des Seils kommt auch nach Stunden nicht in Sicht – und die Existenz des ganzen Dorfes steht auf dem Spiel.

Konnte es gar nicht aus der Hand legen, spannend, atmosphärisch, düster und wunderbar.

Wenn das Glück zu groß wird, wird es zu einem Leid.

Ein verhafteter französischer Rechtsanwalt im besetzten Paris des II. Weltkriegs versucht der willkürlichen Hinrichtung zu entgehen. Jean-Pierre Chavel kann sich während der Besatzungszeit durch die Deutschen sein Leben von einem Mithäftling, der sich für ihn hinrichten läßt, erkaufen. Dafür überschreibt er der Familie des todkranken Mithäftling Geld und Besitz. Nach Kriegsende kehrt Chavel auf sein Gut zurück und verdingt sich unter falschem Namen bei den neuen Besitzern. Er verliebt sich in die Schwester des für ihn Hingerichteten, die ihm von ihrem Hass auf Chavel berichtet. Als ein gesuchter Kollaborateur auftaucht und sich als Chavel ausgibt, führt das zur Katastrophe.

“An artist paints his picture not in a few hours but in all the years of experience before he takes up the brush, and it is the same with failure.”

„The Tenth Man“ war unsere August Lektüre im Book Club und es war wieder eine spannende und durchaus kontroverse Diskussion. Wir wissen jetzt, welche unserer Bookclub Kolleginnen uns eher geopfert hätten in einem ähnlichen Szenario, wer sich hingegen für die anderen aufgeopfert hätte 😉

Man merkt diesem schmalen Roman an, dass er ursprünglich als Film-Script für MGM gedacht war und dort aus welchen Gründen auch immer in einer Schublade vor sich hinmoderte, bis er in den 1980er Jahren zufällig entdeckt und endlich veröffentlicht wurde. Mir hat er gut gefallen, ein klassischer Graham Greene – allerdings kommt er nicht an meine Lieblingsbücher von ihm „The End of the Affair“ und „Stamboul Train“ heran.

Das Buch wurde 1988 mit Anthony Hopkins und Kristen Scott Thomas verfilmt und ist derzeit in ganzer Länge auf YouTube zu finden. Mir hat er gut gefallen:

OK – jetzt ihr: Welches der Bücher kennt ihr bereits, teilt ihr meine Begeisterung, konnte ich euch auf irgendwas besonders Lust machen? Lasst doch mal hören:

Hier noch mal die Bücher im Überblick:

  • Junge mit dem schwarzen Hahn – Stefanie vor Schulte erschienen im Diogenes Verlag
  • Alte Sorten – Ewald Arenz erschienen im Dumont Verlag
  • Ein Monat auf dem Land – J. L. Carr erschienen im Dumont Verlag
  • Der Geschmack von Apfelkernen – Katharina Hagena erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag
  • Frau sein – Mely Kiyak erschienen im Hanser Verlag
  • Heimsuchung – Jenny Erpenbeck erschienen im Penguin Verlag
  • Land in Sicht – Ilona Hartmann erschienen im Blumbenbar Verlag
  • Das Seil – Stefan aus dem Siepen erschienen bei DTV
  • The Tenth Man – Graham Greene erschienen im Penguin Verlag

Große gemischte Tüte

Es ist zu warm für lange Rezensionen, daher ein sommerlich kurzer Überblick über die Bücher der letzten Wochen:

An diesem wunderbaren Buch habe ich ein paar Monate hingelesen. Alle paar Tage ein paar Seiten – ein echtes Schmuckstück:

Dieses Buch zeigt Objekte, die frühere Zivilisationen – oft zufällig – hinterlassen haben, um diese als Prismen zu verwenden, durch die der Leser vergangene Welten erkunden kann. Die Bandbreite des Buches ist enorm. Es beginnt mit einem der frühesten erhaltenen, von Menschenhand hergestellten Objekte, einem Hackwerkzeug aus der Olduvai-Schlucht in Afrika, und endet mit einem Objekt aus dem 21. Jahrhundert, das die Welt repräsentiert, in der wir heute leben.

Neil MacGregors Ziel ist es, diese Dinge nicht einfach nur zu beschreiben, sondern uns ihre Bedeutung zu zeigen – wie eine Steinsäule von einem großen indischen Kaiser erzählt, der seinem Volk Toleranz predigte, wie spanische Münzen vom Beginn einer globalen Währung erzählen oder wie ein frühes viktorianisches Teeservice von den Auswirkungen des Imperiums erzählt. In jedem Kapitel taucht man in eine vergangene Zivilisation ein und erlebt Geschichte als Kaleidoskop – sich ständig verändernd, miteinander verbunden, oft überraschend und unsere heutige Welt prägend, wie man es sich kaum vorstellen konnte. Ein intellektuelles und visuelles Fest, eines der fesselndsten und ungewöhnlichsten Geschichtsbücher die seit Jahren veröffentlicht wurden.

Kann man ganz wunderbar in Kombination mit Noah Yuval Hararis „Sapiens“ lesen.

Der Roman spielt größtenteils in einem fiktiven zukünftigen New York City, das durch zwei große Anstiege des Meerwasserspiegels, die durch den Klimawandel verursacht wurden, permanent überflutet ist. Der größte Teil von New York City steht permanent unter Wasser, jedoch leben die Menschen noch in den oberen Etagen der Gebäude, ähnlich wie im Venedig von heute.

Der größte Teil Manhattans unterhalb der 46. Straße ist überflutet und hat den Spitznamen „SuperVenedig“ erhalten. Einige der Charaktere des Buches leben im MetLife Tower in der 23. Straße, den die Mietervereinigung mit Mechanismen zum Schutz vor Überschwemmungen und einem Bootslager ausgestattet hat. Robinson wählte das Gebäude als prominenten Schauplatz, da es dem Campanile di San Marco in Venedig nachempfunden wurde.

Die Wohlhabenden leben in neu errichteten Wolkenkratzern in Uptown Manhattan und in der Nähe von The Cloisters, da beide Orte über Wasser bleiben. Denver hat New York als Zentrum des amerikanischen Finanzwesens und der Kultur abgelöst und ein Großteil der Vereinigten Staaten wurde absichtlich von Menschen verlassen, um Platz für Wildtiere zu schaffen.

Der Roman befasst sich mit Klimawandel, Kapitalismuskritik, den unregulierten Finanzsystemen und sich immer schneller ausbreitenden Artensterben.

“We’ve been paying a fraction of what things really cost to make, but meanwhile the planet, and the workers who made the stuff, take the unpaid costs right in the teeth.”

Habe den Roman als Hörbuch gehört und es war anfangs nicht so leicht reinzufinden durch die vielen vielen Charaktere. Ich habe einiges gelernt, stellenweise ist es jedoch ein bisschen lang geraten.

Kaiserslautern in den neunziger Jahren: Christian Baron erzählt die Geschichte seiner Kindheit, seines prügelnden Vaters und seiner depressiven Mutter. Er beschreibt, was es bedeutet, in diesem reichen Land in Armut aufzuwachsen. Wie es sich anfühlt, als kleiner Junge männliche Gewalt zu erfahren. Was es heißt, als Jugendlicher zum Klassenflüchtling zu werden. Was von all den Erinnerungen bleibt. Und wie es ihm gelang, seinen eigenen Weg zu finden.

Nach dem Tod der Mutter trifft Christian seinen Vater vor dessen Tod noch einmal. Da fällt ihm dieser plötzlich unvermittelt in die Arme: „Ich fühlte mich wie ein Boxer, an den sich der erschöpfte Gegner klammert, aber nicht, um ihn zu umarmen, sondern um ihn kampfunfähig zu machen, um im Spiel zu bleiben, obwohl er genau wissen musste, dass er diesen Kampf nicht gewinnen konnte.“

Als Christian übrigens in die Pubertät kommt, kümmert sich eine andere Tante um ihn, die durch Heirat in ein Bildungsmilieu aufgestiegen ist. Sie versorgt ihn mit Büchern, ein Lehrer wird auf ihn aufmerksam, Christian entdeckt die Lust am Schreiben und wird noch als Schüler Sportreporter für die Rheinpfalz.

Ich mochte das Buch sehr, auch wenn ich persönlich damit gehadert habe, wieviel Raum und Wohlwollen er seinem Vater einräumt, der sich so gut wie nie um ihn gekümmert hat, seine Mutter und Tante werden dagegen viel kürzer abgehandelt.

Wenn sie zu hören ist, werden die Radios lauter gedreht und stocken die Gespräche: Nora Tewes hat die perfekte Radiostimme – und einen Plan: Auf 100.7, einem Sender, den sie mit zwei Freunden gegründet hat, will sie einen lange davongekommenen Täter in die Enge treiben.
Überstürzt ist Nora in ihre Heimatstadt zurückgekehrt, um ihrer Mutter, die im Sterben liegt, nahe zu sein. Unter der Last des viel zu frühen Abschiednehmens bricht eine nur oberflächlich verheilte Wunde auf und ein Verbrechen, dessen Opfer ihre Mutter als Kind geworden ist, wird offenbar. Nora erstattet Anzeige und erhält eine niederschmetternde Antwort: Verjährt.

Temporeiche Geschichte mit interessantem Personal – Karin Kalisa beschäftigt sich in ihrem neuesten Roman mit der Frage, wie beherztes Handeln die Suche nach Gerechtigkeit vorantreibt.

Der perfekte Krimi für eine lange Autofahrt – auch wenn er jahreszeiten technisch so gar nicht gepasst hat:

Dieser Debütroman verbindet Gothic Elemente mit einem Locked-Room-Mysterium, das in den Schweizer Alpen spielt und das Ergebnis ist ein spannender Thriller voller Atmosphäre, schaurigen Intrigen und durchaus spannend. THE SANATORIUM folgt einer Frau, die sich vor kurzem von ihrer Arbeit als Polizistin beurlauben ließ, die gegen einen gruseligen Killer, der in einem hochklassigen, minimalistischen Hotel in den Schweizer Alpen am Werk zu sein scheint ermittelt.

“Her body is reacting to something here; something living, breathing, woven into the DNA of the building, as much a part of it as its walls and floors.”

Als ein Schneesturm die Zufahrt zum und vom Hotel abschneidet, liegt es an der Protagonistin Elin, eine Reihe von verstörenden Vorkommnissen im Hotel zu untersuchen und dem Fall auf den Grund zu gehen, bevor noch mehr Menschen zu Tode kommen. Ich lese nur selten Krimis, dieser hat mich ganz gut unterhalten, ein Meisterwerk ist er sicherlich nicht, aber wer im nächsten Winter Lust auf einen atmosphärischen Schnee-Krimi hat, der kann hier eigentlich nicht viel falsch machen.

Sie heißen Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde. Sie kennen sich, weil das Schicksal ihre Lebenslinien überkreuzt. Sie sind aufgewachsen in den Grenzen der DDR, nun, nach der Wende, wollen sie alles, bekommen vieles, doch immer sticht der Stachel ihrer Rolle als Frau: Muss man gefallen? Muss man gefällig sein? Ist allein zu sein eine Option, oder ist man nur mit Mann oder Familie eine wirkliche Frau? Und wie kann sie gehen, die Liebe in Zeiten wie diesen?

Scharf beobachtet und voller Empathie berührt dieser Roman so vieles im Leben einer Frau in ihrer Rolle als Mutter, Tochter, Schwester, Geliebte und Ex-Frau. Ist Liebe ein Gefühl oder ist sie ein Akt, betrachtet aus der Perspektive der Krise?

„Liebe ist kein Gefühl. Liebe ist keine Romantik. Liebe ist eine Tat. Man muss die Liebe vom Ernstfall aus betrachten.“

Ich bin mir aber immer noch nicht sicher, wie ich das Buch jetzt wirklich gefunden habe. Vielleicht kam ich nicht wirklich rein, weil all diese Frauen so gar nichts mit meiner Lebenswirklichkeit zu tun haben, ich hatte auf jeden Fall ein bisschen Mühe dran zu bleiben, wobei ich wirklich anerkenne, wie gut Daniela Krien schreiben kann.

Von kleinen Schritten bis hin zu riesigen Sprüngen: A Galaxy of Her Own erzählt fünfzig Geschichten von inspirierenden Frauen, die für die Geschichte des Menschen im Weltraum von grundlegender Bedeutung waren, von Wissenschaftlerinnen bis hin zu Astronautinnen, aber auch die Näherinnen der ersten Raumanzüge werden vorgestellt.

Von Ada Lovelace im 19. Jahrhundert bis zu den Frauen hinter den Apollo-Missionen, von den Astronauten, die auf der Internationalen Raumstation Rekorde brechen, bis zu denjenigen, die den Weg zum Mars bahnen – A Galaxy of Her Own enthüllt außergewöhnliche Geschichten, setzt sich für unbesungene Helden ein und feiert bemerkenswerte Leistungen aus aller Welt.

Geschrieben von Libby Jackson, einer führenden britischen Expertin auf dem Gebiet der bemannten Raumfahrt, und illustriert mit wunderschönen Illustrationen von Studenten des London College of Communication, ist dies ein Buch, das kleine und große Space Cowboys inspirieren wird und ihnen Lust macht, selbst nach den Sternen zu greifen..

Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen und mochte das Bild, das es von einem Mann zeichnet, der an Gerechtigkeit in einem Staat glaubt, in dem die Gerechtigkeit allzu oft den Bedürfnissen des Regimes zum Opfer fällt. Das Buch spielt kurz vor dem Beginn des Bürgerkriegs – das letzte spezifische Ereignis, das erwähnt wird, ist der Aufstand in Tunesien, der den Arabischen Frühling auslösen würde – und der Held Zacharia Barudi, der leitende Ermittler der konventionellen Polizei, bekommt den Fall des Mordes an einem Kardinal, der zu Besuch ist, etwa zwei Monate bevor Barudi in den Ruhestand gehen soll.

„Das Elend ernährt sich von der Genialität der armen Kinder“

Einerseits handelt es sich um einen geradlinigen, polizeilichen Kriminalroman, andererseits geht es aber auch um das Leben und Arbeiten in einer Diktatur, in der die Launen und Bedürfnisse der herrschenden Elite nur allzu oft an erster Stelle stehen. Die Alawiten, Syriens Christen, die Sekte, der Barudi angehört, konventionelle Muslime, muslimische Extremisten und hier und da sogar Menschen mit einem ausgeprägten synkretistischen Religionsverständnis sind alle Teil der Geschichte, während Schami über den Konflikt zwischen den Gläubigen nachdenkt. Ich weiß nicht viel über Syrien, aber ich habe das Gefühl, dass ich es jetzt ein kleines bisschen besser verstehe.

Ich habe mich gefreut, Rafik Schami wieder entdeckt zu haben für mich, ein Autor, den ich vor Jahren regelmäßig gelesen habe und den ich überaus sympatisch finde.

»70 and female is the new cool«, schrieb jüngst die New York Times über diese großartige Generation der Frauen 70+ Frauen, die sich mit Energie und Kraft Gehör verschaffen und durch ihre Haltung inspirieren: Sie sind längst in der zweiten Lebenshälfte angekommen – und aufrecht, ehrgeizig, willensstark. Sie bringen den amerikanischen Präsidenten aus der Fassung wie Nancy Pelosi, sie sind entschieden in ihrer Haltung wie die Richterin Ruth Bader Ginsburg, und für sie alle ist das Attribut »unbequem« ein Kompliment für ihr Engagement. Viele der Frauen sind Kult, sie sind Wegbereiterinnen und immer Vorbilder. Frauen, die wissen, wer sie sind, was sie geleistet haben und morgen noch bewegen können. Frauen, die cool, rebellisch und klug oder manchmal auch »schräg« sind, die ihren eigenen Kopf haben. Sie alle sind Frauen, die uns viel zu sagen haben.

Mit Juliette Gréco, Ruth Bader Ginsburg, Jane Fonda, Charlotte Knobloch, Letizia Battaglia, Erika Pluhar, Herlinde Koelbl, Margaret Atwood, Tina Turner, Vivienne Westwood, Nancy Pelosi, Annie Ernaux, Élisabeth Badinter, Elfie Semotan, Alice Nkom, Marina Abramović, Helen Mirren, Carla Del Ponte, Shirin Ebadi, Marianne Birthler. Mit einem Vorwort von Iris Berben.

1945 flüchteten die Menschen aus ihrer Heimat. Häuser wurden bombardiert und Dörfer dezimiert. Hildegard von Kamcke war eine von vielen Frauen, die ihr sterbendes Baby in einem Wagen zurücklassen und fliehen mussten. Als sie mit der fünfjährigen Vera auf einem Bauernhof in Atland ankam und von Ida Eckhoff aufgenommen wurde, zogen Mutter und Kind in eine eiskalte Dienstbotenunterkunft. Ida weigerte sich, Essen und Kleidung zu geben. Hildegard stiehlt heimlich Äpfel und melkt die Kuh, um Vera zu ernähren. Zwei Jahre später kehrt Karl, Idas Bruder, ein ehemaliger Kriegsgefangener, nach Atland zurück.

Hildegard heiratet Karl, kommt aber mit seinen nächtlichen Angstzuständen, Überbleibseln seiner Internierung, nicht zurecht. Jahre später, nach Idas Selbstmord durch Erhängen und Hildegards Verlassen des Hofes, bewohnen Vera und Karl das große, triste Haus. Obwohl sie Karl treu ergeben ist, ist Vera nicht in der Lage, außerhalb ihrer florierenden Zahnarztpraxis eine tragfähige Beziehung aufzubauen. Sie interessiert sich weder für die Instandhaltung des Hauses noch für die Pflege ihrer Apfel- und Kirschbäume. Sie lässt zu, dass das Haus und das Grundstück verwahrlosen und viele Apfel- und Kirschbäume aufgrund von Vernachlässigung keine Früchte mehr tragen. Vera ahnt nicht, dass eine Veränderung in der Luft liegt. Da kommt Anne, die Tochter von Veras Halbschwester Marlene.

Anne Hove hat eine Tischlerlehre absolviert und drei Jahre lang als Tischlergesellin gearbeitet. Diese Erfahrung kommt ihr sehr gelegen, als die alleinerziehende Mutter Anne mit ihrem Vorschulsohn Leon im Schlepptau auf Veras Farmhaus ankommt und Zuflucht sucht. Vera und Anne kommen zu einer Übereinkunft, das Leben ändert sich überraschend und nach und nach entsteht sowas wie eine Familienstruktur unabhängig von tatsächlichen Verwandtschaftsgraden und die beiden Frauen lernen, sich aufeinander zu verlassen.

„Sie hatten mit dem Haus auch Heinrich renoviert, so kam es Vera vor. Er spielte Skat mit ihnen bis tief in die Nacht und stellte sich am nächsten Morgen nicht den Wecker, er brauch auf einmal seine eigenen Gesetze. Vielleicht spürte Heinrich Lührs, dass er der Knecht gewesen war und nicht der Herr in seinem Leben, und dass die strengen Regeln nicht viel taugten“

Ich war anfangs skeptisch, ob „Altes Land“ ein Buch für mich ist, da ich alles andere als ein Dorfkind bin und ich irgendwie Sorge hatte, es geht in Richtung „Zurück zur Scholle und zum Apfelkuchen“ – aber das Buch ist wirklich komplett klischeefrei, großartig und hat mich total in seinen Bann gezogen. Ich freue mich schon auf weitere Bücher von Dörte Hansen.

Wie können wir jenseits von Wachstumszwang eine nachhaltige und gerechte Gesellschaft gestalten?

Der Nachhaltigkeitsforscher Niko Paech liefert dazu die passende Streitschrift, die ein »grünes« Wachstum als Mythos entlarvt. Dabei gelten »grünes« Wachstum und »nachhaltiger« Konsum als neue Königswege. Doch den feinen Unterschied – hier »gutes«, dort »schlechtes« Wachstum – hält Paech für Augenwischerei.

In seinem Gegenentwurf, der Postwachstumsökonomie, fordert er industrielle Wertschöpfungsprozesse einzuschränken und lokale Selbstversorgungsmuster zu stärken. Diese Art zu wirtschaften wäre genügsamer, aber auch stabiler und ökologisch verträglicher. Und sie würde viele Menschen entlasten, denen im Hamsterrad der materiellen Selbstverwirklichung schon ganz schwindelig wird.

Aus dieser Perspektive dienen zum Beispiel die europäischen Agrarsubventionen keineswegs dazu, die Verfügbarkeit andernfalls knapper Nahrungsmittel zu steigern. Die Subventionen tragen vielmehr dazu bei, den Ausgabenanteil für Nahrung zu marginalisieren, damit mehr Kaufkraft für Smartphone, Urlaubsreisen oder zur Finanzierung von Eigenheimen frei wird.“

Ich fand seinen aggressiven Schreibstil ziemlich anstrengend beim Lesen, aber häufig muss ich mich beim Lesen auch erstmal ordentlich reiben, konnte aber auf jeden Fall sehen, dass Paech prägnante Argumente hat und den Finger definitiv in die Wunde legt.

Ein Buch das kratzt und beißt, aber mega wichtig ist und ich wünsche ihm möglichst viele aufgeschlossene Leser.

Hier noch mal die Übersicht:

  • Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten – Neil MacGregor erschienen im Beck Verlag
  • New York 2140 – Kim Stanley Robinson auf deutsch unter dem gleichen Titel im Heyne Verlag erschienen
  • Ein Mann seiner Klasse – Christian Baron erschienen im Claasen Verlag
  • Radio Activity – Karin Kalisa erschienen im Beck Verlag
  • The Sanatorium – Sarah Pearse (bislang nicht auf deutsch erschienen)
  • Die Liebe im Ernstfall – Daniela Krien erschienen im Diogenes Verlag
  • A Galaxy of her own – Libby Jackson (bislang nicht auf deutsch erschienen)
  • Die geheime Mission des Kardinals – Rafik Schami erschienen im Hanser Verlag
  • Frauen 70+ – Rita Kohlmaier erschienen im Elisabeth Sandmann Verlag
  • Altes Land – Dörte Hansen erschienen im Knaus Verlag
  • Befreiung vom Überfluß – Niko Paech erschienen im Oekom Verlag

Habt ihr irgendwelche dieser Bücher gelesen – wie fandet ihr sie oder plant ihr vielleicht das eine oder andere zu lesen? Ich hoffe, ich konnte euch ein bisschen Lust drauf machen.

Don’t cry for me Argentina

Diese Woche führt uns die literarisch-kulinarische Weltreise nach Argentinien.

Bei strahlendem Sonnenschein landeten wir wie geplant in Buenos Aires. Die Hotelzimmer waren schnell bezogen und nach kurzem Frischmachen starteten wir direkt mit unserer Stadtführung. Dafür hatte sich eigens Pola Oloixarac für uns Zeit genommen, eine großartige Autorin, deren SciFi Roman „Kryptozän“ ich hier vor einer Weile bereits vorstellte.

In Buenos Aires vermischt sich europäisches Erbe mit feurigem lateinamerikanischen Charme zu kosmopolitischer Klasse. Als politisches und kulturelles Herz des Landes ist Buenos Aires der perfekte Startpunkt um Argentinien zu erkunden – Pola ließ uns Yerba-Mate-Tee in einem lokalen Café probieren, wir versuchten mit ihr Tango zu lernen, ließen uns ein saftiges Asado (Steak) schmecken und der eine oder andere ließ sich auch überreden, bis zum Morgengrauen zu feiern.

Wir besuchten die Metropolitan Cathedral, die ehemaligen Kathedrale von Papst Franziskus, besuchten die bunten Häuser des Viertels La Boca, in dem das Fußballstadion La Bombonera steht und ließen uns in der schicken Palermo-Zone zu einem gemütlichen und äußerst leckeren Mittagessen nieder.

Mit einer Gruppe lesewütiger Menschen geht es natürlich gar nicht anders, natürlich plante Pola als Hauptattraktion einen Spaziergang auf den Spuren Jorge Luis Borges‘ ein.

Jorge Luis Borges ist eine der wichtigsten Figuren der argentinischen Literatur und wohl einer der einflussreichsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Geboren in Buenos Aires, spielte die Stadt für Borges in vielen seiner Geschichten eine wichtige Rolle. Dies sind einige der Orte, die entweder in seinen Erzählungen vorkommen oder den großen argentinischen Schriftsteller auf die eine oder andere Weise inspirierten.

Borges lehrte von 1956 bis 1970 englische Literatur an der Fakultät für Philosophie und Literatur der Universität von Buenos Aires (Viamonte 340), die sich mitten im Stadtzentrum befand. Nur wenige Gehminuten von dort entfernt befindet sich das ehemalige Gebäude der Nationalbibliothek, ein Beaux-Arts-Palast, in dem Borges 18 Jahre lang als Direktor tätig war.

Ein Rundgang durch Borges‘ Buenos Aires wäre nicht komplett, ohne seine „Hoods“ in der Innenstadt und in San Telmo zu besuchen. Er pflegte lange Spaziergänge in San Telmo zu machen, die viele seiner berühmtesten Werke inspirierten, wie zum Beispiel die Kurzgeschichte „Der Aleph“. In der Straße Tucumán 840 befindet sich eine Gedenktafel zu Ehren seines inzwischen abgerissenen Geburtshauses, und in der Straße Maipú 994 steht das Gebäude, in dem er seine letzten Jahrzehnte verbrachte. Buenos Aires ist definitiv die Hauptstadt der Buchhandlungen. Die argentinische Liebe zu Büchern ist auf eine Reihe von Gründen zurückzuführen, einschließlich eines Zustroms von gut belesenen europäischen Einwanderern im späten 19. Jahrhundert, einer sehr vorteilhaften Steuerbefreiung für Literatur und die Argentinien kaufen Bücher nur sehr ungern online und haben auch nicht wirklich eine Affinität zu elektronischen Lesegeräten entwickelt..

El Ateneo Bookstore | © Nan Palmero/Flickr

Jedes Jahr am 24. August, dem Jahrestag von Borges‘ Geburtstag, begeben sich Borges-Fans auf Pilgertour durch die Stadt und besuchen die Orte die das Leben und Werk von Jorge Luis Borges geprägt haben.

Buenos Aires schläft selten und auch wenn die Füße weh tun und die man von Steak und Malbec ermattet am liebsten auf dem Hotelbett Siesta machen möchte, man muß die Gelegenheit einfach nutzen und die vielen großartigen Restaurants, die Alleen, die Architektur, Plätze und Museen zu erkunden.

Auch die ausschweifenste Tango-Nacht hat leider irgendwann ein Ende und beladen mit dicken Bücherpaketen, Malbec-Kisten und Tango-CDs mussten wir uns von Pola verabschieden um uns auf den Weg zum Schiff um uns auf den Weg nach Havanna zu machen.

Literaturtipps für alle die Lust auf Argentinien bekommen haben:

Filmtipp diese Woche ist „The Secret in their eyes“:

Sehen wir uns nächste Woche in Havanna?

Underground Railroad – Colson Whitehead

IMG_4103

Dieses Buch ist ein sehr intensives Lese-Erlebnis voller Mut, Brutalität und Hoffnung. Es ist die Verurteilung eines der abscheulichsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit – die Sklaverei und es gibt eindringliche, schreckliche Beschreibungen der Gewalt, die den Sklaven angetan wurde.

Das Buch wurde hinlänglich auf allen möglichen Blogs besprochen, daher werde ich mich etwas kürzer halten.

Die Protagonistin Cora ist eine junge Frau, die ihre Mutter vermisst, teilweise aber auch hasst, weil ihr die Flucht gelang, als Cora noch klein war. Ein junger Mann plant auf ihrer Plantage in Georgia ebenfalls zu fliehen und bietet Cora an, ihn zu begleiten. Zum Teil, weil er glaubt, sie bringe Glück durch die gelungene Flucht ihrer Mutter und zum anderen, weil er gerne in ihrer Nähe ist.

Die Geschichte ist ein schreckliches Katz- und Mausspiel zwischen den brutalen Sklavenjägern und den Entflohenen. In der Geschichte gibt es eine tatsächlich existierende Zuglinie, die im Untergrund fährt und die Flüchtenden unter großer Gefahr von einer Station zur nächsten bringt.

“And America, too, is a delusion, the grandest one of all. The white race believes–believes with all its heart–that it is their right to take the land. To kill Indians. Make war. Enslave their brothers. This nation shouldn’t exist, if there is any justice in the world, for its foundations are murder, theft, and cruelty. Yet here we are.”

Auf der Flucht geben sie sich als freigelassene Sklaven aus und als Leserin erfährt man viel über das Leben der Sklaven im frühen 19. Jahrhundert. Nach ihren ersten Jahren als baumwollpflückende Sklavin und ihrer Flucht arbeitet sie mit gefälschten Papieren als Dienstmädchen für eine weiße Familie in Charleston, als lebendes Ausstellungsstück „Afrikanerin“ in einem gut meinenden Museum, und sie versteckt sich über Monate auf einem Dachboden. Als Frau hat sie es noch einmal schwerer, da sie stets mit sexuellen Übergriffen rechnen muss auf ihrem Weg von Georgia über North und South Carolina, Tennessee bis schlussendlich nach Indiana.

“Slavery is a sin when whites were put to the yoke, but not the African. All men are created equal, unless we decide you are not a man.”

Die Geschichte zeigt die verschiedenartigen Misshandlungen und Beschimpfungen, denen die Schwarzen ausgesetzt waren, bis hin zu den nicht gerade selten vorkommenden Morden. Es ist aber nicht nur die Geschichte von zermürbender brutaler Arbeit und teuflischen Sklavenhaltern, es geht auch darum, wie sehr auf freie Sklaven Jagd gemacht wurde, um die Lügen der Besitzer, die Freiheit versprachen und diese Versprechen dann brachen. Es geht um das falsche Spiel, das weiße Ärzte mit unwissenden Schwarzen trieben, in dem sie eugenische Experimente an ihnen vornahmen, um die ständige Sorge der Schwarzen um ihre Familienmitglieder, nicht nur die der Eltern um ihre Kinder, auch umgekehrt, wenn freigelassene oder geflohene Kinder sich verzweifelt fragen, was aus ihren alten Eltern auf den Plantagen werden wird.

Man spürt die immense Recherche, die der Autor für dieses Buch betrieben hat. Ich habe viel gelernt. Das ist kein einfaches, aber ein wichtiges Buch. Einzige Kritik meinerseits, teilweise waren die Charaktere etwas zweidimensional.

Das Buch hat den Pulitzer Preis definitiv verdient und das war mit Sicherheit nicht das letzte Buch, das ich von ihm gelesen habe. Ich hatte es im Übrigen zuerst auf Englisch versucht, war aber froh, als mir dann eine deutsche Ausgabe des Buches zulief, das hat mir die Lektüre in diesem Fall definitiv einfach gemacht.

Gemischte Tüte

18de1dfa-d8a6-444a-a0a7-f5f3385efa28

Der ambitionierte Schönling Julien Sorel ist fest entschlossen, seine einfache Provinz-Herkunft hinter sich zu lassen. Er merkt bald, dass man nur dann Erfolg hat, wenn man die subtile Heuchelei beherrscht, mit der die Gesellschaft operiert und er erlangt durch Betrug und viel Egoismus erste Erfolge.

Seine erfolgreiche Karriere bringt ihn ins Herz der glamourösen Pariser Gesellschaft und auf dem Weg dorthin erobert er die sanfte, verheiratete Madame de Rênal und die arrogante, schwierige Mathilde. Als Julien ein unerwartetes, verheerendes Verbrechen begeht, bringt er seine Karriereleiter ins Wanken.

Rot und Schwarz ist ein großartiges satirisches Portät der französischen Gesellschaft nach Waterloo, voller Korruption, Gier, Ennui und einem überaus machiavellisch agierenden Julien, dem irgendwann die eigenen Gefühle in die Quere zu kommen scheinen.

Ich habe sehr viel über Frankreich, Napoleon und die diffizilen gesellschaftlichen Bewegungen gelernt. Ich habe etwas gebraucht, bis ich in der Geschichte drin war, aber dann konnte ich es fast nicht weglegen. Stendhal hat mit Rot und Schwarz einen der ersten psychologischen Romane überhaupt geschrieben und auch wenn wir im Bookclub bei der Diskussion nur zu viert waren (der dicke Schmöker hat doch einige abgeschreckt) hatten wir eine überaus lebendige Diskussion.

Kann den Roman definitiv empfehlen.

Auf Deutsch erschien der Roman unter dem Titel Rot und Schwarz zuletzt im Hanser Verlag.

IMG_4095

Dieser Band versammelt die besten Interviews aus vier Jahrzehnten mit der großartigen Joan Didion. Sie erzählt von ihrer Kindheit in Sacramento, ihrer Studienzeit in Berkeley, den Jahren in New York und Los Angeles. Sie spricht über ihre Ehe mit dem Schriftsteller John Gregory Dunne, seinen unerwarteten Tod und den ihrer Tochter Quintana, nur zwei Jahre später – Schicksalsschläge, die sie in ihren Erinnerungsbüchern „Das Jahr magischen Denkens“ und „Blaue Stunden“ verarbeitete.

Natürlich spricht sie auch über das Schreiben, die Literatur und den Unterschied im Schreiben von Romanen und nicht-fiktionalen Texten. Ein spannendes Leben einer wegweisenden Frau, die auch mit über 80 Jahren noch immer eine Stilikone ist und für das Modelabel Céline das Postergirl gibt.

Lifegoals: Mit über 80 nur ansatzweise so cool sein wie Joan Didion. Was für eine Frau.

 Dinge zurechtrücken – Gespräche mit Joan Didion aus 40 Jahren erschien im Kampa Verlag.

IMG_3915

Vor etwa zwei Jahren hatte ich mit den Freunden des Literaturhauses in München die Gelegenheit, einer privaten Führung durch die Musikhochschule München beizuwohnen, dem früheren „Führerbau“. Der Dekan der Hochschule hatte ein paar Tage vorher Robert Harris durchs Haus geführt, der Recherchen zu seinem Roman „Munich“ durchführte.

Während wir anfangs eine Powerpoint Präsentation mit Informationen zum Haus anschauten, blieb mir plötzlich im wahrsten Sinne des Wortes die Spucke weg. Das Bild auf der Leinwand zeigte Hitler mit Mussolini, Chamberlain und Daladier in Hitlers Arbeitszimmer und dieses Zimmer war zweifelsohne das, in dem wir gerade saßen. Das war ein zutiefst unangenehmes, gruseliges Gefühl.

Aber nun zum Roman, den ich natürlich dann doch irgendwann einmal lesen wollte, auch wenn Spionageromane üblicherweise nicht wirklich meins sind. Guy Legat ist der aufstrebende Star im britischen diplomatischen Dienst, der als Privatsekretär Chamberlains in 10 Downing Street agiert.

Richard von Holz ist Mitarbeiter im Auswärtigen Amt und heimlich im Anti-NSDAP Widerstand. Die beiden Männer waren in den 1920er Jahren Freunde in Oxford, aber hatten seit Längerem keinen Kontakt mehr. Als Guy gemeinsam mit Chamberlain von London nach München fliegt, ist Richard zur gleichen Zeit mit Hitler im Zug aus Berlin nach München unterwegs und die Wege der beiden werden sich definitiv wieder kreuzen.

Ein überaus spannender, historisch akkurater und sehr gut recherchierter Roman, den ich sehr gerne gelesen und viel dabei gelernt habe.

Auf deutsch erschien „Munich“ unter dem Titel „München“ im Heyne Verlag.

IMG_4084

Herman Kochs „Angerichtet“ führt uns in ein vornehmes Restaurant in Amsterdam. Zwei Brüder mit ihren jeweiligen Ehefrauen treffen sich dort und anfangs dreht sich die Unterhaltung eher um Banalitäten: die Arbeit, die letzten Filme, die sie gesehen haben, etc. Aber hinter diesen leeren Worten verbergen sich ziemliche Abgründe und mit jedem gezwungenen Lächeln und jedem neuen Gang des schicken Abendessens werden langsam aber sicher die Messer gewetzt.

Beide Paare haben einen jeweils 15jährigen Sohn. Die beiden Jungen haben gemeinsam ein schreckliches Verbrechen begangen, die eine polizeiliche Untersuchung angestoßen hat und das gemütliche, behütete Leben der Familien gründlich auf den Kopf stellt. Während Höflichkeit und Anstand langsam den Bach runtergehen, zeigen die Paare, wie weit sie zu gehen bereit sind, um die zu beschützen, die sie lieben.

Ein krasser Roman, der einen von der ersten Seite an packt, mich hat er aber letztendlich irgendwie etwas unbefriedigt zurückgelassen. Zuviele Leerstellen, ähnlich wie auf den vornehmen Tellern.

Angerichtet“ erschien im Kiepenheuer & Witsch Verlag.

IMG_4098

Literary Places nimmt den Leser auf eine aufschlussreiche Reise an die wichtigsten literarischen Orte mit, begleitet von unglaublich schönen Illustrationen.

Sarah Baxter beschreibt umfassend und atmosphärisch 25 literarische Orte rund um den Globus und die dazugehörigen Werke. Die ganzseitigen Illustrationen transportieren einen umgehend in der richtigen Stimmung an den jeweiligen Ort.

Die Reise führt uns mit Don Quixote’s durch die sonnenverbrannten Ebenen La Manchas, mit Cathy und Heathcliffe durch die wilden Yorkshire Moore und mit Holden Caulfield durch den Central Park. Wir erforschen Arundhati Roys Kerala, Joan Lindsay’s Hanging Rock in Australien, die Straßen und Kanalisation von Victor Hugos Paris und noch viele weitere Plätze.

Ein Buch, in das man eintaucht und sofort Lust bekommt, Reisen zu buchen, die passende Lektüre aus dem Regal zu holen und der Autorin Listen mit weiteren Orten zu schicken, die doch bitte bitte im nächsten Band bereist werden sollen.

Auf Deutsch ist das Buch unter dem Titel „Atlas der literarischen Orte: Entdeckungsreisen zu den Schauplätzen der Weltliteratur“ im Brandstätter Verlag erschienen.

Ich hoffe hier war heute für jeden was dabei – auf welches Buch konnte ich euch am meisten Lust machen?

Book-a-Day-Challenge Day 11

IMG_3130

Just some adjectives that describe this novel, which is one of my favorites this year:

Tender
Raw
Heartbreaking
Beautiful
Stunning

Ocean Vuong didn’t just write a book; he opened his heart and just let it bleed all over the pages. You can tell he is a poet. Reading this shattering portrait of a family cracked me open and turned me inside out.

“They say nothing lasts forever but they’re just scared it will last longer than they can love it.

The book was published as „Auf Erden sind wir kurz grandios“ in Hanser Verlag.

What was the last book that had this affect on you?

 

The People in the Trees – Hanya Yanagihara

IMG_2506

Im Jahr 1950 begibt sich ein junger Arzt namens Norton Perina mit dem Anthropologen Paul Tallent während einer Expedition auf einer entlegenen mikronesischen Insel namens Ivu’ivu auf der Suche nach einem geheimnisvollen Stamm. Sie finden nicht nur den besagten Stamm, sondern auch noch eine Gruppe mysteriöser Waldbewohner, die die „Träumer“ genannt werden. Es stellt sich heraus, dass diese „Träumer“ ein unglaublich langes Leben leben und zwar körperlich recht agil, allerdings zunehmend seniler werdend.

“It disappointed me when I discerned as an adolescent that my father had married my mother only for her beauty, but this was before I realized that parents disappoint us in many ways and it is best not to expect anything of them at all, for chances are that they won’t be able to deliver it.”

Perina glaubt, dass die Ursache dieser unglaublichen Langlebigkeit in einer sehr seltenen Schildkrötenart liegt. Er sucht nach dieser Schildkröte und schmuggelt das Fleisch zurück in die USA, wo er seine These wissenschaftlich nachweisen kann, weltweiten Ruhm erlangt und sogar den Nobelpreis verliehen bekommt. Außer dem Schildkrötenfleisch nimmt er auch nach und nach etwa 50 Kinder mit in die USA und adoptiert sie.

Gods are for stories and heavens and other realms; they are not to be seen by men. But when we encroach on their world, when we see what we are not meant to see, how can anything but disaster follow?”

“Life was elsewhere, and it was frightening and vast and mountainous and uncomfortable.”

Nach kurzer Internetsuche stösst man auf den Nobelpreisträger, der der Autorin als Inspiration für diese Geschichte diente. Es handelt sich um den berühmten Wissenschaftler Carleton Gajdusek, der für die Entdeckung einer neuartigen Klasse infektiöser Erreger, der Prionen, 1976 – zusammen mit Baruch Blumber, den Nobelpreis für Medizin erhielt und der 1997 wegen sexuellen Missbrauchs an von ihm adoptierten Jungen, welchen er im Gerichtsverfahren zugegeben hatte, zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde.

“It is astonishing and a little sad to realize how many discoveries, how many advancements, have been delayed for years, for decades, not because the information was unavailable but because of sheer cowardice, fear of being laughed at, of being ostracized by one’s colleagues.”

Keine Sorge ich spoiler hier nicht, der Nobelpreisgewinn und auch die Anklage wegen sexuellen Missbrauchs an seinen adoptierten Kindern wird im Roman schon auf den ersten paar Seiten erwähnt. Es handelt sich hier um ein Buch im Buch, die Memoiren Perinas werden von seinem früheren Mitarbeiter und Freund Ronald editiert, der ein eher unzuverlässiger Erzähler ist.

Die Entdeckung des sogenannten „Selene-Syndromes“ und der damit verbundene Nobelpreis haben enorme Implikationen auf Perinas Karriere und seinen Ruf. Doch was passiert, wenn der Mensch versucht, sich zu einem Gott zu erheben? Wenn wir es schaffen Dinge zu tun, die vielleicht nie für uns gedacht waren? Welchen Preis sind wir bereit, für den Fortschritt zu zahlen? Was sind wir bereit zu opfern und zu vergeben?

“All ethics and morals are culturally relative. And Esme’s reaction taught me that while cultural relativism is an easy concept to process intellectually, it is not, for many, an easy one to remember.”

Yanagiharas Roman hat für eine ausgesprochen interessante Diskussion in unserem Bookclub gesorgt. Nur wenige Autoren trauen sich auf so dünnes Eis, wagen es, keine Stellung zu nehmen und Fragen aufzuwerfen wie zum Beispiel die, wie man mit einem Genie umgeht, der im Privatleben alles andere als großartig ist? Ist Perina/Gajdusek eine Legende oder ein Monster? Ist es ok, wie Faust, seine Seele zu verkaufen für Unsterblichkeit?

Yanagihara kickt ihre Leser definitiv aus der Komfortzone. Der Roman hat einige sehr aufwühlende Szenen, es gibt jede Menge Frauenfeindlichkeit, Kolonialismus und Pädophilie. Also keine leichte Kost. Ein Buch, das aufwühlen möchte – auf keinen Fall eine „feel good“ Lektüre.

The People in the Trees“ ist ein großartiger Roman sowohl was die Entwicklung der Charaktere, die Struktur des Romans oder die Sprache angeht. Die Symbolik ist sorgfältig ausgewählt und platziert. Ich war sehr beeindruckt von ihrer Fähigkeit die Vielzahl an schwierigen Themen so gekonnt und elegant miteinander zu verweben.

Was für ein Debüt!

Neben dem wunderbaren Roman möchte ich euch auch diese spannende Dokumentation über Daniel Gajdusek ans Herz legen:

Auf deutsch erschien der Roman unter dem Titel „Das Volk der Bäume“ im Hanser Verlag.