penelopes schi()ff – Ulrike Draesner

Was für ein Erlebnis! Ein Roman in Versform, in dem Penelope, endlich mehr sein darf als die ewig Webende und Wartende, eine die tatsächlich handelt – klug, entschlossen, regierend und schließlich aufbrechend. Ulrike Draesner hat dafür Altgriechisch gelernt, um die Quellen im Original zu lesen, und zeigt, wie sehr spätere Übersetzungen das Frauenbild des 19. Jahrhunderts mittransportierten. Die vermeintlich „treue“ Penelope, die tags webt und nachts ribbelt, ist nur eine Verengung – in der ursprünglichen Überlieferung aber regiert sie Ithaka, fördert Landwirtschaft, hält klug Verwaltung und Menschen im Gleichgewicht. Draesner lässt dieses verschüttete Bild wieder aufscheinen: Penelope als weise Herrscherin, als gestaltende Kraft.

Penelope – lange gesehen als Inbegriff der treuen Gattin – wird hier in all ihrer Vielschichtigkeit lebendig: klug, freiheitsliebend, leidenschaftlich. Als deutlich wird, dass Odysseus, traumatisiert und brutalisiert, als Herrscher nicht mehr tragbar ist, übernimmt sie das Ruder. Mit List – und in Begleitung von Sirenen, ehemaligen Sklavinnen, Großmüttern und Homer als Schildkröte – entkommen sie den Verfolgern.

Versklavte, freie, junge, alte – die Unterschiede verlieren sich nach und nach, denn auf dem Schiff zählt nur noch, was jede beitragen kann. Keine Titel, keine alten Rollen, sondern Zusammenarbeit. Natürlich ist die Reise kein Honigschlecken: Stürme, Verluste, Zweifel gehören dazu. Manche bleiben unterwegs zurück, andere halten durch. Und am Ende? Gemeinsam gründen sie eine neue Stadt – Venedig, das bis heute keinen richtigen Gründungsmythos hatte. Was für ein Einfall!

nur wer keine geradeausherkunft hat wird eine neue heimat erzähle

Das gemeinsame Treffen mit Ulrike Draesner beim Poet*innenfest in Erlangen, erst beim Mittagessen mit Bloggerinnen und später bei ihrer Lesung, war für mich ein Höhepunkt – denn penelopes sch()iff muss man hören. Die Verse entfalten ihre ganze Kraft im Klang, man schließt die Augen, spürt den Wind und wi Ich fragte mich sofort: Welche Rolle hätte ich auf diesem Schiff übernommen? So begegnet man einem der größten Mythen der abendländischen Kulturgeschichte angemessen: indem man ihn neu verpackt, transportabel macht und uns als notwendige Utopie überlässt.

Das Schiff ist mehr als ein Fortbewegungsmittel, es ist Medium und Metapher, eine Gemeinschaft in der Schwebe, eine Form demokratischer Neugründung.

Alles in allem: Dieses Buch hat mich nicht nur beeindruckt, es hat mich bewegt. Poetisch, wild, witzig, manchmal auch sperrig – ein Roman den man sich ein bißchen erarbeiten muss, der aber soviel zurückgibt. Ein Versroman, der einen mitnimmt aufs Meer und zeigt, dass man alte Mythen wirklich neu erzählen kann.

Und ehrlich gesagt wünsche ich mir jetzt nur noch ein Hörbuch – gelesen von Ulrike Draesner selbst, damit ich mir penelopes sch()iff jederzeit wieder in See stechen kann.

Ich danke dem Penguin Verlag für das Rezensionsexemplar.