Von Vietnam geht es direkt weiter nach Afghanistan bei unserer literarischen Weltumrundung. Da wahrscheinlich die meisten von uns noch nicht in Afghanistan waren und so schnell wohl leider auch nicht hinreisen werden, beginne ich mal mit einem Überblick über die Geschichte, Geographie, die Kultur und gehe auch auf insbesondere auf die für Frauen schreckliche Situation im Land ein:
Afghanistan liegt im Herzen Asiens, umgeben von Pakistan, Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan und China. Das Land ist bekannt für seine gebirgige Landschaft, insbesondere das Hindukusch-Gebirge, das es in Ost und West teilt. Die Hauptstadt Kabul liegt in einem Tal im Osten des Landes. Afghanistan hat eine strategisch bedeutende Lage entlang wichtiger Handelsrouten, was es historisch zu einem Schauplatz vieler Konflikte gemacht hat.
Afghanistan hat eine lange und bewegte Geschichte. Schon in der Antike war es Teil des Achämenidenreichs und wurde von Alexander des Großen erorbert. In den darauffolgenden Jahrhunderten war es ein Zentrum der Seidenstraße und erlebte das Kommen und Gehen verschiedener Reiche, darunter das buddhistische Kushan-Reich und islamische Kalifate. Das Land ist etwa 1,8 Mal größer als Deutschland. Trotz dieser größeren Fläche hat Afghanistan jedoch eine deutlich geringere Bevölkerungsdichte als Deutschland (42 Mio Einwohner*innen), da ein großer Teil des Landes gebirgig und weniger dicht besiedelt ist.
Im 19. Jahrhundert wurde Afghanistan zum Spielball der Großmächte im sogenannten „Great Game“ zwischen dem Britischen Empire und dem Russischen Reich. Nach mehreren Kriegen mit den Briten wurde Afghanistan 1919 ein unabhängiges Königreich. 1979 wurde das Land durch die Sowjetunion besetzt, was zu einem Jahrzehnt blutigen Guerillakriegs führte. Nach dem Abzug der Sowjets und einem brutalen Bürgerkrieg übernahmen die Taliban 1996 die Macht.
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 griffen die USA Afghanistan an, da die Taliban dem Terrornetzwerk Al-Qaida Unterschlupf gewährten. Dies führte zum Sturz der Taliban, doch die darauffolgende Phase des Wiederaufbaus war von Instabilität und Korruption geprägt. Die Taliban gewannen nach und nach wieder an Einfluss, und im August 2021, nach dem Abzug der internationalen Truppen, übernahmen sie erneut die Kontrolle über das Land.





Fotos: Amber Clay, Pixabay
Afghanistan ist ein multikulturelles Land mit einer reichen Tradition. Die Bevölkerung besteht aus verschiedenen ethnischen Gruppen, darunter Paschtunen, Tadschiken, Hazara und Usbeken. Die offizielle Sprache ist Dari (eine Variante des Persischen) und Paschtu. Die afghanische Kultur ist geprägt von einer langen Geschichte, in der Poesie, Musik, Teppichweberei und Kalligraphie bedeutende Rollen spielen. Einer der berühmtesten Dichter des Landes ist Rumi, dessen Werke weltweit Anerkennung finden. Die afghanische Küche ist deftig und basiert auf Reis, Linsen, Brot und Fleisch.
Wir haben uns bei unserem afghanischen Dinner im Rahmen der literarischen Weltreise für ein Auberginen-Gericht entschieden „Borani Banyan“ und die Bingereader Gattin hat sich echt übertroffen – war wahnsinnig lecker. Ich habe das Rezept verlinkt, falls ihr Lust habt es nachzukochen.
Seit der erneuten Machtübernahme der Taliban 2021 steht Afghanistan vor großen Herausforderungen. Die Taliban-Regierung hat wieder strenge islamische Gesetze eingeführt. Unter der aktuellen Taliban-Herrschaft haben sich die Lebensbedingungen für Frauen und Mädchen drastisch verschlechtert. Die Taliban haben eine Reihe von Gesetzen und Vorschriften eingeführt, die Frauen aus dem öffentlichen Leben weitgehend ausschließen und ihre grundlegenden Menschenrechte massiv einschränken. Zu den gravierendsten Maßnahmen zählen:
- Verbot der weiterführenden Bildung für Mädchen: Mädchen dürfen seit Ende 2021 nicht mehr die weiterführende Schule besuchen, was ihnen die Möglichkeit auf Bildung und berufliche Chancen nimmt.
- Beschränkungen für Frauen im Arbeitsmarkt: Frauen dürfen in vielen Bereichen nicht mehr arbeiten, insbesondere in Berufen, die mit Männern zu tun haben. Viele Frauen, die zuvor in Nichtregierungsorganisationen oder im öffentlichen Dienst tätig waren, haben ihre Jobs verloren.
- Einschränkung der Bewegungsfreiheit: Frauen dürfen oft nur in Begleitung eines männlichen Familienmitglieds das Haus verlassen und müssen sich in der Öffentlichkeit vollständig verschleiern.
- Schließung öffentlicher Räume für Frauen: Öffentliche Parks, Fitnessstudios und andere Freizeiteinrichtungen sind für Frauen in vielen Städten verboten worden.
Diese Maßnahmen und der generelle Ausschluss von Frauen aus dem öffentlichen Leben machen Afghanistan zu einem der repressivsten Länder weltweit in Bezug auf Frauenrechte. Internationale Menschenrechtsorganisationen und die Vereinten Nationen haben die Taliban für diese Politik stark kritisiert und warnen vor den langfristigen Folgen für das Land und seine Entwicklung.
Afghanistan gilt daher heute als eines der Länder, in denen Frauen und Mädchen am stärksten diskriminiert werden. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Einschränkungen der Freiheiten und die Behandlung von Minderheiten sowie Frauen scharf.
Die internationale Gemeinschaft hat sich weitgehend von Afghanistan zurückgezogen, und das Land leidet unter wirtschaftlicher Isolation, Arbeitslosigkeit und humanitären Krisen. Hunger und Armut sind weit verbreitet. Das Land gehört neben Burundi, dem Südsudan und der zentralafrikanischen Republik zu den ärmsten Ländern der Welt.
Das Buch das ich gelesen habe ist Khaled Hosseinis „And the Mountain echoed“ das 2013 unter dem Titel „Traumsammler“ im S. Fischer Verlag erschien, übersetzt von Henning Ahrens.
Foto: Mika
And the Mountains Echoed ist der dritte Roman des afghanisch-amerikanischen Autors Khaled Hosseini, der auch durch seine Werke Drachenläufer und Tausend strahlende Sonnen bekannt ist. Wie in seinen früheren Büchern gelingt es Hosseini auch hier, emotionale Familiengeschichten mit den tiefen politischen und sozialen Umbrüchen Afghanistans zu verweben.
Der Roman beginnt mit einer herzzerreißenden Szene, in der der Vater eines kleinen Mädchens namens Pari sie verkaufen muss, um das Überleben seiner Familie zu sichern. Diese Tat hat weitreichende Konsequenzen, die das Leben vieler Charaktere im Laufe des Buches beeinflussen. Die Erzählung springt in verschiedenen Zeitebenen und Perspektiven hin und her, von Afghanistan bis in die USA und Frankreich, und verbindet das Schicksal zahlreicher Figuren.
Hosseinis Themen sind Familie, Liebe, Verlust und Opfer. Mich beeindruckt seine Fähigkeit, die Zerrissenheit der afghanischen Diaspora und die Belastungen durch die immerwährenden Kriege und Konflikte im Land darzustellen. Gleichzeitig schafft er es, uns auch die Schönheit Afghanistans und ihre reiche kulturelle Vielfalt zu übermitteln.
Was diesen Roman von Hosseinis anderen unterscheidet, ist seine Struktur: And the Mountains Echoed besteht nicht aus einer linearen Handlung, sondern eher aus einer Sammlung miteinander verbundener Geschichten. Dies verleiht dem Buch eine epische Dimension und spiegelt vielleicht die Komplexität des modernen Afghanistan wider.
Einige dieser Geschichten haben mich tief berührt, während ich in andere weniger gut hineingefunden habe. Besonders gefallen hat mir die Geschichte, die aus der Sicht von Nabi erzählt wird, und seine Beziehung zu seinem Arbeitgeber, Mr. Wahdati. Hosseini fängt die Komplexität dieser Charaktere auf eindrucksvolle Weise ein, lässt ihre inneren Konflikte lebendig werden und ist dabei so berührend.
Allerdings fand ich insgesamt die Vielzahl der Personen manchmal überwältigend. Irgendwann habe ich ein bisschen den Überblick verloren, was der emotionalen Tiefe des Romans etwas im Weg stand. Trotz meines Gefühls der Überfrachtung war es dennoch eine Lektüre, die ich gerne gelesen habe. Vor allem, weil das Buch mir Einblicke in das Leben und die Kultur Afghanistans gab, die ich sonst vielleicht nicht in dieser Intensität erfahren hätte.
Im Vergleich zu Hosseinis früherem Roman Drachenläufer, den ich vor einigen Jahren gelesen habe, muss ich sagen, dass mir dieser rückblickend vielleicht einen Tick besser gefallen hat. „And the Mountains Echoed“ ist komplexer und experimenteller, aber Drachenläufer war für mich emotional zugänglicher und stringenter. Dennoch ein lesenswertes Buch, das einen tiefen Einblick in die Schicksale der afghanischen Bevölkerung gibt.
Mein musikalischer Tipp aus Afghanistan ist die Dokumentation „Keeping the Music alive – Musikerinnen gegen die Taliban“ von Sarah El Younsi und Mandakini Gahlot über Zhora das erste weibliche Orchester Afghanistans:
Foto: WikiCommons
Mein Filmtipp ist „Der Film „Osama“ (2003), der unter der Regie von Siddiq Barmak entstand, der Film erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens in Afghanistan während der Taliban-Herrschaft. Da Frauen nicht arbeiten dürfen und Männer in ihrer Familie fehlen, verkleidet ihre Mutter sie als Jungen, damit sie arbeiten kann und die Familie überleben kann. Sie nimmt den Namen „Osama“ an, doch das Versteckspiel wird zunehmend gefährlicher, als sie in die strengen Alltagsstrukturen der Taliban eintritt. Der Film zeigt die bedrückende Lage der Frauen unter den Taliban und die extreme Unterdrückung in dieser Zeit. Ein auch visuell wirklich beeindruckender Film:
Auf meinem Blog ist bisher wenig Lektüre aus Afghanistan zu finden, ich kann euch daher keine älteren Beiträge verlinken, allerdings habe ich ein weiteres Buch auf meiner „To-Read-Liste“ das ich euch auch gern ans Herz legen möchte: „My Pen is the Wing of a Bird: New Fiction by Afghan Women“ eine Anthologie die sehr vielversprechend klingt.
Wie hat euch mein Ausflug nach Afghanistan gefallen? Habt ihr Literatur-, Musik- oder Filmtipps aus der Region? Hier noch der link zum vorherigen Stopp Vietnam.
Seid ihr schon gespannt auf den nächsten Stopp? Ich verrate nur so viel: wir müssen ca 15.000 KM reisen. Freu mich auf Euer Feedback.



