Dezember by the Book

Ich muss mein Lesen ändern. Pünktlich zur Weihnachtszeit habe ich mich nicht an Plätzchen, Lebkuchen oder Weihnachtsstollen überfressen sondern an spooky cozy Gothic Literatur. Habe davon in den letzten Monaten einfach ein bißchen viel gelesen. Die waren alle ganz gut, ich habe sie auch gern gelesen, aber jetzt ist einfach dieses leicht üble Gefühl da, wenn man einfach zu viel Junk Food hatte und ich brauche jetzt erst mal wieder was literarisch gesundes in den nächsten Wochen 😉

Aber ich will auch nicht zu streng sein mit mir. Die letzten Wochen waren wirklich fordernd für mich, vielleicht ist das dann der Ausgleich gewesen, dass es mich eher zu wohliger Wohlfühl-Grusel-Lektüre zog. Am Januar wird alles anders, da wird nur literarisch hochwertiges gelesen – ich schwör!

Ich hoffe, ich kann euch dennoch Lust auf das eine oder andere Buch machen und ich habe euch mit meinem Intro nicht gleich alle vertrieben 😉

Marple – inspiriert von Agatha Christie, neu erzählt von 12 Autorinnen erschienen bei Harper Collins, bislang noch nicht ins deutsche übersetzt

Wie bei wahrscheinlich fast jeder Compilation haben mir hier nicht alle Geschichten gleich gut gefallen, aber ich habe die Geschichten insgesamt alle sehr gerne gelesen. Naomi Alderman, Leigh Bardugo, Alyssa Cole, Lucy Foley, Elly Griffiths, Natalie Hayes, Jean Kwok, Val McDermid, Karen M. McManus, Dreda Say Mitchell, Kate Mosse und Ruth Ware hauchen der wohl berühmtesten Detektivin der Welt frischen Wind ein und lassen Miss Marple in gleich mehreren Geschichten um die Welt düsen. Miss Marple ermittelt außerhalb ihres Heimatdörfchens St. Mary Mead auch in der Karibik, in New York, in Hong Kong, London und an der Amalfi Küste. Die Dame kommt rum. Sie hat auch deutlich moderne Ansichten was ich als erfrischend empfand.

Jede Autorin und jeder Autor stellt Agatha Christies Marple aus ihrer ganz eigenen Perspektive dar und bleibt dabei den Merkmalen des Cozy Crime treu.

“Ah, my dear,” Aunt Jane smiles kindly, “the problem with that, you see, is that no one is ever the murdering sort until they are.”

Miss Marple wurde den Lesern zum ersten Mal in einer Geschichte vorgestellt, die Christie 1927 für das Royal Magazine schrieb, und hatte ihren ersten Auftritt in einem kompletten Roman in „The Murder at the Vicarage“ von 1930. Es ist 45 Jahre her, dass Agatha Christies letzter Marple-Roman, „Sleeping Murder“, 1976 posthum veröffentlicht wurde, zum Glück haben die zwölf Autorinnen alles dafür getan uns daran zu erinnern warum Jane Marple die berühmteste Detektivin aller Zeiten bleiben wird.

This House is haunted – John Boyne auf deutsch unter dem Titel „Haus der Geister“ im Piper Verlag erschienen, übersetzt von Sonja Finck

England 1867. Die junge Eliza Caine reist in die Grafschaft Norfolk, um eine Stellung als Gouvernante anzutreten. Als sie an einem nebeligen Novemberabend müde und durchgefroren die Empfangshalle von Gaudlin Hall betritt, wird sie von ihren beiden Schützlingen Isabella und Eustace begrüßt. Überrascht stellt Eliza fest, dass die beiden offenbar allein in dem viktorianischen Anwesen leben. Von den Eltern und anderen Angestellten fehlt jede Spur. Da sie die Kinder unmöglich ihrem Schicksal überlassen kann, bleibt sie – und stellt schon bald fest, dass sie doch nicht allein sind …

Before we learn to feel afraid of things, our bodies know how to do them anyway. It’s one of the more disappointing aspects of growing older. We fear more so we can do less.

So richtig warm geworden bin ich nicht mit dem Buch. Es war alles ein bißchen zu vorhersehbar aber vielleicht hat er ja auch eine Persiflage auf den Gothic Roman schreiben wollen und ich habe das nur nicht gemerkt? Falls das der Fall ist und einige Menschen auf Goodreads glauben das durchaus, dann hat das Jane Austen mit „Northanger Abbey“ etwas besser gemacht. Das ist ordentliche Unterhaltung, kann man gut lesen – aber schlaflose Nächte macht es nicht.

The Dark is rising – Susan Cooper auf deutsch unter dem Titel „Wintersonnenwende“ im CBT Verlag, übersetzt von Annemarie Böll

Habe ich nicht gelesen, sondern bei der BBC als Audio Drama gehört (gesprochen von Robert Mcfarlane unter anderem) – das war ein sehr großes Vergnügen und ich schicke noch mal einen lieben Dank an die liebe Bookclub Freundin die mich darauf aufmerksam machte. Die Fantasy Reihe die aus fünf Bänden besteht, kennt in UK jedes Kind – ob das hier in Deutschland auch der Fall ist weiß ich gar nicht. Auf TikTok ist es auf jeden Fall seit einer Weile Trend das Buch jedes Jahr am 20. Dezember (dem Tag vor Wills 11. Geburtstag) zu lesen, zwölf Tage lang jeweils ein Kapitel. Ein sehr schönes Ritual und das Buch ist perfekt dafür. Es spielt genau zu dieser Zeit, es gibt jede Menge Schnee, Weihnachten ist vor der Tür und die Geschichte selbst nimmt einen innerhalb kürzester Zeit gefangen.

In Cornwall, wo die Mythen um König Artus wurzeln, schrecken die Kräfte der Finsternis vor nichts zurück, um die Mächte des Lichts für immer zu besiegen. Gemeinsam mit den Mächten des Lichts und ihren Gefährten Will und Bran nehmen die Geschwister Jane, Barney und Simon den Kampf gegen das Böse auf.

“The strange white world lay stroked by silence. No birds sang. The garden was no longer there, in this forested land. Nor were the out-buildings nor the old crumbling walls. There lay only a narrow clearing round the house now, hummocked with unbroken snowdrifts, before the trees began, with a narrow path leading away.”

Will Stanton erfährt an seinem elften Geburtstag, dass er zu den Uralten gehört. Als Letzter einer langen Reihe von Auserwählten muss er den entscheidenden Kampf gegen das Böse ausfechten. Ohne zu zögern stellt er sich dieser Aufgabe. In der entscheidenden Nacht, während eines Schneesturms, holen die Mächte der Dunkelheit zu ihrem finsteren Schlag aus …

Große Leseempfehlung oder hört euch das an – das geht sicherlich auch jetzt gleich Anfang des Jahres noch gut, wenn alles noch ruhiger und gelassener ist als später im Jahr. Oder ihr wartet eben auch auf den 20. Dezember.

The Haunting Season – Ghostly Tales for long Winter Nights auf deutsch unter dem Titel „Schaurige Nächte“ im Dumont Verlag erschienen, übersetzt von Werner Löcher-Lawrence

Lange bevor Charles Dickens und Henry James die Tradition des übernatürlichen Horrors populär machten, waren die dunklen Winternächte eine Zeit, in der sich die Menschen bei flackerndem Kerzenlicht versammelten und sich voller Nervenkitzel gruselige Geschichte erzählten.

Acht Autor*innen erfinden diese Tradition neu und nehmen uns mit in frostige Sümpfe, dunkle Häuser, auf tief verschneite Anwesen oder auf einen Londoner Weihnachtsmarkt – das Gruselige ist immer und überall. Bridget Collins, Imogen Hermes Gowar, Natasha Pulley, Jess Kidd, Laura Purcell, Andrew Michael Hurley, Kiran Millwood Hargrave und Elizabeth Macneal sind mit jeweils einer Geschichte vertreten. Am besten hat mir „The Chillingham Chair“ von Laura Purcell gefallen.

Fires blazed merrily in every hearth. Delicious scents of cinnamon and roast meat drifted up from the kitchen, and all the windows were laced with frost. It seemed impossible to believe that this house, this very chair, had appeared so menacing by night.

Die Spukgeschichten in der Sammlung haben mir gut gefallen. Die Atmosphäre ist wunderbar wohlig gruselig, am besten liest man die am Kaminfeuer und Kerzenlicht in einem alten Gebäude in dem es immer an der richtigen Stelle zu knacken und zu knarzen beginnt. Kann ich absolut empfehlen, die Geschichten sind auch wunderbar zum Vorlesen geeignet und was gibt es Schöneres als vorzulesen oder vorgelesen zu bekommen?

The Animals at Lockwood Manor – Jane Healey auf deutsch erschienen unter dem Titel „Die stummen Wächter von Lockwood Manor“ im Hanser Verlag, übersetzt von Susanne Keller

Hetty Cartwright muss eine Sammlung des Londoner Natural History Museum vor dem heraufziehenden Krieg in Sicherheit bringen – ins verfallene Herrenhaus Lockwood Manor. Doch das Haus wirkt auf Hetty wie verflucht: Ihre geliebten Exponate, der ausgestopfte Panther, die Kolibris und der Eisbär, verschwinden, werden zerstört und scheinen nachts umherzuwandern. Zusammen mit der Tochter des tyrannischen Hausherrn, Lucy Lockwood, versucht Hetty, die nächtlichen Geschehnisse zu ergründen, und bringt ein tragisches Geheimnis ans Licht. Eine fesselnde und betörende Geschichte über eine große Liebe und den Wahnsinn einer Familie, ihre lang vergrabenen Geheimnisse und versteckten Sehnsüchte.

Perhaps I could be like some desert plant, and these months together could be the rarest of summer rainstorms, could be all the water I would ever need to survive, to live on—but I knew that could not be true, for I was a creature of flesh and blood.

Hatte mich sehr auf das Buch gefreut. Ein großes Herrenhaus in dem es vielleicht spukt, dunkle Geheimnisse und eine queere Liebesgeschichte, das klang so perfekt – aber leider ging es mir hier wie mit dem Buch von John Boyne – ich wurde einfach nicht richtig warm mit der Geschichte. Das war mir alles viel zu an den Haaren herbeigezogen, die Stimmen der Protagonistinnen waren sich für meinen Geschmack zu ähnlich und mir gingen die ausgestopften Tiere auf die Nerven.

Muss man nicht lesen – das schnulzige Cover hätte mir eine Warnung sein sollen.

The Mistletoe Murder and other stories – P. D. James auf deutsch unter dem Titel „Der Mistelzweig-Mord: Weihnachtliche Kriminalgeschichten“ im Droemer Knaur Verlag erschienen

Mit PD James kann man ja nicht viel falsch machen. In diesem hübschen Bändchen finden wir vier bisher unveröffentlichte Kurzgeschichten, die alle mehr oder weniger mit Weihnachten zu tun haben und perfekte kleine Krimihappen sind, die man wunderbar unterm Weihnachtsbaum lesen kann.

Der Mistelzweig-Mord«, die titelgebende Story, handelt von einer Weihnachtsfeier im Landhaus, die unter keinem guten Stern steht. In »A Very Commonplace Murder« geht es um eine illegale Affäre, die mit Mord endet und »The Boxdale Inheritance« und »The Twelve Clues of Christmas« sind neue Fälle für P. D. Jamesʼ Kult-Ermittler Commander Adam Dalgliesh, der längst in die Krimi-Literaturgeschichte eingegangen ist.

Bereavement is like a serious illness. One dies or one survives, and the medicine is time, not a change of scene.

Diese vier Weihnachts-Krimis zeigen das ganze Können der englischen Bestseller-Autorin P. D. James, von ihrem eleganten Stil über ihre Akribie bis zum unbestechlichen Blick hinter alle Fassaden

Wo die Wölfe sind – Charlotte McConaghy erschienen im S. Fischer Verlag, übersetzt von Tanja Handels

Juhuuuu – endlich mal kein Grusel, keine Herrenhäuser, keine Dienstboten! Hier geht es um Wölfe die in Schottland wieder ausgewildert werden sollen. „Wo die Wölfe sind“ von Charlotte McConaghy dreht sich um die Inti Flynn, eine Biologin, die sich für die Wiederansiedlung von Wölfen in den schottischen Highlands einsetzt. In der Geschichte geht es um die Beziehungen zwischen Mensch und Tier, Umweltschutz und die Folgen unseres Handelns für die Natur. Bei der Bewältigung ihrer anspruchsvollen Mission muss Inti auch mit persönlichen Dämonen fertig werden und sich mit der Komplexität der menschlichen Natur auseinandersetzen.

Der Roman ist sehr vielschichtig. Da sind zum einen die Herausforderungen der Gegenwart, denen sich Inti bei ihrer Arbeit mit den Wölfen stellen muss, und der Versuch, die Menschen in der Gegend, die Ackerbau und Viehzucht betreiben und Angst vor den Wölfen haben, davon zu überzeugen, dass die Wiederansiedlung eine gute Sache ist. Sie kümmert sich auch um ihre Zwillingsschwester, die ein Trauma erlitten hat.

Wir erhalten einen Einblick in die Vergangenheit der Schwestern, in der sie abwechselnd bei ihrer pragmatischen Mutter, einer Polizeidetektivin in Australien, und ihrem Vater, einem ehemaligen Holzfäller, einem Einsiedler, einem „fast verrückten“ Umweltschützer in Kanada, lebten.

“My father used to say the world turned wrong when we started separating ourselves from the wild, when we stopped being one with the rest of nature, and sat apart.”

Die Stärke des Romans ist für mich der Schreibstil, die klaren und schönen Beschreibungen der Wölfe, der Natur. Ich habe jede Menge Sätze rausgeschrieben, die ich großartig fand. Mein vielleicht einziger Kritikpunkt ist, dass ich erhofft hatte noch mehr über Wölfe zu erfahren. Vielleicht muß ich mir dafür mal ein Sachbuch besorgen, auf jeden Fall hat die Autorin mir diese Tiere immens nahe gebracht.

Charlotte McConaghy ist eine sehr talentierte Autorin und ich freue mich schon sehr darauf demnächst „Migrations“ zu lesen

Bellman & Black – Diane Setterfield auf deutsch erschienen im Karl Blessing Verlag unter dem Titel „Aufstieg und Fall des Wollspinners William Bellman“ übersetzt von Anke und Eberhard Kreutzner

Dark, atmospheric … utterly riveting sagt die Daily Mail und ich frage mich, ob ich eventuell ein anderes Buch gelesen habe. Ich fand Bellman & Black einfach nur sterbenslangweilig. Ich habe gelesen und gelesen und mich permanent gefragt wann jetzt mal irgendwas Bemerkenswertes passiert und dann war das Buch fertig. Vielleicht hätte der deutsche Titel mir eine Warnung sein können, hätte ich ihn vorher gewußt, denn nach der Lektüre weiß ich jetzt soviel mehr über das Wollspinnen als ich jemals wissen wollte und die großzügigen drei Sterne die ich vergeben habe auf Goodreads liegen einzig an ein paar schön geschriebenen Szenen.

“He felt something move in his chest, as though an organ had been removed and something unfamiliar left in its place. A sentiment he had never suspected the existence of bloomed in him. It traveled from his chest along his veins to every limb. It swelled in his head, muffled his ears, stilled his voice, and collected in his feet and fingers. Having no language for it, he remained silent, but felt it root, become permanent.”

William Bellman tötet als Kind eine Krähe, um seinen drei besten Freunden zu beweisen, wie gut er mit der Steinschleuder umgehen kann. Am Abend nach der Tat glaubt er, unter dem Baum, auf dem die Krähe saß, einen schwarz gekleideten Jungen zu sehen. Zunächst scheint dies kein schlechtes Omen zu sein: Als Jugendlicher beginnt William in der Wollspinnerei seines Großvaters zu arbeiten, sein Onkel ernennt ihn bald zum Teilhaber, und als die beiden plötzlich sterben, übernimmt William die Spinnerei und macht daraus ein Erfolgsunternehmen. Doch dann häufen sich die mysteriösen Todesfälle in seiner Umgebung, seine Frau und seine Kinder erkranken schwer. Und William begegnet immer wieder einer dunklen Gestalt, die ihm schließlich einen verhängnisvollen Pakt anbietet, um seine Existenz und sein Glück zu retten …

Habe hier noch „The Thirteenth Tale“ von der Autorin liegen, werde ich so schnell nicht lesen – laut der Kritiken soll es aber deutlich besser sein.

Ich hoffe euch ist mein Schauer-Grusel-Krimi-Marathon nicht auch auf den Magen geschlagen. Konnte ich euch für das eine oder andere Buch interessieren? Welche kanntet ihr, zu welchen hattet ihr ggf ganz andere Meinungen als ich?

Ich freue mich auf das neue Lesejahr mit euch und verspreche – es wird auch wieder etwas gehaltvoller.

Dystopisch-Gruselige D(r)amen

Es ist kalt geworden in Berlin und in der Gesellschaft. Ein dystopischer Blick in eine Zukunft, die sich von unserer Gegenwart nur wenig unterscheidet. Die laute Propaganda einer faschistischen Partei, nicht unähnlich den Krakeelern der rechten Partei, mit der wir uns rumschlagen müssen, sondern die die Politik des ganzen Landes beherrscht. Mittendrin taumeln drei verlorene Menschen durch die Welt, die irgendwann anfangen, Fragen zu stellen.

Die Atmosphäre des Buches ist bedrückend und beängstigend. Burschi, Charlie und Charlotte fangen an Dinge, die sie anfangs einfach hingenommen haben, zu hinterfragen. Sie stellen mehr und mehr in Frage.

„Stück für Stück ergibt Sinn, was mir immer wie ein beinahe obszön chaotisches Strudeln und Schlingern erschienen ist: mein Leben eben. Ich hatte mich redlich darum bemüht, es irgendwie im Griff zu behalten, aussichtslos.“

Da ist Burschi, die Johanna liebt, gegen alle Widerstände, auch wenn sie dabei den starken Arm eines Staates zu spüren bekommt, der Anderssein nicht mehr duldet. Die für ihre Beziehung kämpft, auch wenn ihr die Angst im Nacken sitzt. Dann ist da Charlie, der in anarchischen Musikkreisen zwischen Joints und lauten Beats ein Praktikum macht, seine ganz eigene Weise hat, der allgegenwärtigen Überwachung zu entkommen und noch mit seiner Mutter zusammenwohnt, die ursprünglich in esoterischen Kreisen verkehrte und in diesem Regime zur Scharfschützin ausgebildet wurde. Charlotte beginnt ebenfalls, in ihrer Loyalität wankelmütig zu werden und droht dabei fast den Verstand zu verlieren.

„Ich streiche über seinen Ring und sage, Stimmt, ich bin vollkommen gaga. Trotzdem habe ich einen Sicherheitsdienst mit aufgebaut. Das sage ich stolz. Urs lacht, er findet das witzig, und seine Laune wechselt von finster über fidel zu hoppsfallera, als der Kellner ihm seinen Kaffee schließlich doch noch serviert. Ich arbeite wirklich bei der Bürgerwehr, ich bin Scharfschützin, das glaubt er mir endgültig nicht. Und womit schießt du, mit Keramikküken? Urs zieht groteske Grimassen und ahmt nach, wie ich seiner Vorstellung nach ein Gewehr halte und ziele.

Laura Lichtblau entwirft mit ihrem Debütroman „Schwarzpulver“ eine urbane erschreckend realistische Dystopie mit wunderschöner poetischer Sprache, die ich sehr gerne gelesen habe. Ein Buch das es wert ist langsam und konzentriert gelesen zu werden.

Schwarzpulver von Laura Lichtblau erschienen im C. H. Beck Verlag.

Ein mysteriöser Virus hat die Tierwelt bis an den Rand des Massensterbens ausgerottet. Da es keine Fleischquelle mehr gibt, hat sich die Menschheit dem Kannibalismus zugewandt, um ihren unaufhörlichen Hunger nach Fleisch zu befriedigen. Menschen werden nun domestiziert, in Massen produziert, geschlachtet und als „Spezialfleisch“ verkauft. Eingelegte Finger, gegrillte Rippchen, gebratene Zunge, serviert auf Kimchi und Kartoffelsalat, alles schön gewürzt mit Kräutern und Gewürzen.

Bazterrica zeigt uns eine Welt, in der der Kannibalismus regiert, der jetzt „Transition“ genannt und mit sprachlichen Euphemismen überdeckt wird, um ihn der Gesellschaft äh, schmackhaft zu machen.

„Auf dem Weg zur Innereienabteilung kommen sie am Zerlegerau vorbei. Die Schiene durchläuft alle Räume und befördert die Kadaver von einer Station zur nächsten. Durch die länglichen Fenster können sie beobachten, wie dem Weibchen, das Sergio betäubt hat, Kopf, Arme und Beine abgesägt werden“

Marcos, ein Mann, der in einer fleischverarbeitenden Fabrik arbeitet, findet sich plötzlich mit einem kostspieligen Luxusgeschenk wieder: ein speziell gezüchteter Mensch erstklassiger Qualität. Ein Geschenk, das ihn auf vielfältige Weise in diverse Dilemma stürzt und zum Nachdenken bringt. Er, der selbst ursprünglich mal auf dem Schlachthof seines Vaters das Handwerk des Schlachters (von Tieren) gelernt hat, kann schon seit einiger Zeit kein Fleisch mehr essen. Sein Job widert ihn mehr und mehr an und er versucht, einen Ausweg aus seiner schrecklichen, trostlosen, hoffnungslosen, dunklen Arbeitswelt zu finden.

Bei diesem Buch wurde mir beim Lesen teilweise wirklich schlecht. Das Buch ist natürlich ein Protest gegen die Massentierhaltung, aber man würde dem Buch unrecht tun, wenn man es auf eine Kritik an Fleischindustrie und Massentierhaltung verkürzen würde. Das Buch beschäftigt sich mit der Frage, was es bedeutet, ein Mensch zu sein und was wir billigend in Kauf nehmen, um unseren Fleischgenuss zu befriedigen.

Agustina Bazterricas Roman ist wahrscheinlich das verstörendste, was ich je gelesen habe, aber die Lektüre lohnt sich wirklich, sie traf mit der Veröffentlichung ihres Romans einen neuralgischen Punkt der argentinischen Kultur. Nach wochenlanger Platzierung auf der Bestsellerliste und der Verleihung des Premio Clarín, der wichtigsten literarischen Auszeichnung des Landes, gilt sie als eine der erfolgreichsten Autorinnen ihrer Generation.

Traut Euch und lest dieses Buch!

Wie die Schweine von Agustina Bazterrica erschienen im Suhrkamp Verlag übersetzt von Matthias Strobel.

Die Geschichte ist simpel, aber durchaus interessant. Wir befinden uns im Jahr 1933, als der Protagonist der Geschichte, Freddie, einen ganz besonderen Buchhändler besucht. Seine Unterhaltung mit dem Buchhändler geht zunächst ins Jahr 1928 zurück, in dem Freddie die französischen Pyrenäen besucht, um dort auf andere Gedanken zu kommen, sich von seiner Depression – ausgelöst durch den Tod seines Bruders während des 1. Weltkriegs – zu erholen. Von seinen Gastgebern im Gasthof eingeladen, beschließt er, dem Fest von St. Etienne beizuwohnen, einem Fest, das für die Bewohner des Dorfes eine besondere Bedeutung hat. Er trifft dort auf eine verführerische junge Frau, mit der er sich Stunden lang unterhält und nach einem seltsamen Überfall auf die festliche Runde die Nacht verbringt.

Mosse stellt in ihrem Roman einen jungen Mann in den Mittelpunkt, der den Tod seines Bruders nicht überwinden kann und sich auch Jahre später noch traumatisiert zurückgelassen und einsam fühlt. Solche starken Emotionen werden sonst eher weiblichen Charakteren zugeschrieben, es war eine willkommene Abwechslung, es hier einmal andersherum zu erleben. Freddie ist ein sehr einnehmender, sympathischer Charakter. Er ist ein Träumer, der mit der Realität und den Ansprüchen seiner Eltern nicht zu Rande kommt.

“The dead leave their shadows, an echo of the space within which once they lived. They haunt us, never fading or growing older as we do. The loss we grieve is not just their futures but our own.”

Der Roman beschäftigt sich mit der Frage was passiert, wenn wir mit einem vorzeitigen, tragischen Tod konfrontiert werden? Wie lernen wir damit zu leben? Wie gehen wir damit um, wenn die Schatten der Toten den Lebenden die Kraft nehmen weiterzuleben? Wie in ihrem berühmten Roman „Labyrinth“ kehrt Mosse wieder nach Frankreich und den Katharern zurück.

Die Autorin macht Lust auf eine Reise ins verschneite Südfrankreich, auf geheimnisvolle Höhlen und tragische Karthager. Die Stimmung war wohlig mysteriös, wenn auch nicht wirklich gruselig. Eine leichte Lektüre, perfekt für einen verschneiten Sonntagnachmittag.

Winter Ghosts erschien auf deutsch unter dem Titel Wintergeister im Droemer Knaur Verlag. Übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.

Ich hoffe ich konnte euch etwas Lust machen auf zwei herausfordernde Dystopien und einen gemütlichen Gruselschinken. Habt ihr noch Empfehlungen für gute Dystopien oder spannenden Grusel?