Meine Woche

Gesehen: Hold Your Breath (2024) von Will Joines / Karrie Crouse mit Sarah Paulson. Horror um sinistre Gestalt in den Dust Bowls von Oklahoma wo eine Mutter versucht ihre zwei Töchter am Leben zu halten.

Rosenthal (2025) von Oliver Haffner mit Florian Lukas, Claude Heinrich und Silke Bodenbender. Berührender Film über die Hintergründe der Dalli Dalli Jubiläumssendung und ihrem unvergessenen Moderator Hans Rosenthal.

Gehört: den Soundtrack zu Atlantics, Reverie – Random Forest, Idiot Box – Sharon van Etten, Canton – Nils Frahm, Malarone – Linea Aspera, Killer – The Raveonettes

Gelesen: The Putinization of America, dieses Interview mit Marianne Birthler, diesen Artikel von Mely Kiyak über Heinrich Mann, diesen Artikel über Liz Moore, Against Normalization: The Lesson of the “Munich Post”, Kinder speichern Erinnerungen früher als gedacht

Getan: sehr schönes Treffen mit Verwandten die ich sehr lange nicht gesehen habe, die Philippe Parreno, Pussy Riot und Shu Lea Cheang Ausstellung angesehen im Haus der Kunst, Liz Moore im Amerikahaus getroffen, gelaufen und geschwommen, mit lieben Freundinnen gegessen

Gefreut: über den Widerstand und die Demos in den USA, über die positiven Effekte des Deutschlandtickets

Geärgert: über dämliche Zölle

Gelacht: über gegen Trump protestierende Pinguine, Fonts hanging out und über die Harrison Ford Glenmorangie Werbung

Getrauert: nein

Gegessen: Thüringer Wurst und Streuselkuchen

Getrunken: einen 21 Jahre alten Glengoyne

Geklickt: auf diese Sammlung sämtlicher IKEA Kataloge, auf die lange Nacht der Marlen Haushofer – großartig, Spookrate – find your next perfect horror movie

Gestaunt: über US Senator Cory Booker

Gewünscht: dieses Tshirt, diese Vase, dieses Badetuch

Geplant: Boxen

Gefunden: nix

Gekauft: dieses Buch

Gedacht: We’ll go down in history as the first society that wouldn’t save itself because it wasn’t cost-effective. //Kurt Vonnegut

März Lektüre

10 Geschichten, 10 Welten – und jede einzelne hat mich auf ihre Weise bewegt. Von deutschen Exilautor:innen über mysteriöse Pilzen in China bis hin zu den dunklen Kapiteln Südkoreas mit Han Kang. Ich habe Porzellanwege mit Edmund de Waal erkundet, mit Yaa Gyasi nach Wahrheit gesucht und mit Tolstoy über Besitz und Gier nachgedacht. Besonders beeindruckt hat mich Katharina Köllers „Wild wuchern“ – ein literarischer Wirbelsturm! Bin gespannt, welche ihr kennt, wie ihr sie fandet oder ob ich euch auf das eine oder andere Buch hier neugierig machen kann.

Habt ein besseres Gedächtnis – Wolfgang Eckert/Jürgen Seul erschienen in der Büchergilde Gutenberg und Deutsche Hörer! – Thomas Mann mit Vorwort von Mely Kiyak erschienen im S. Fischer Verlag

Manchmal fügt es sich, dass zwei Bücher zur selben Zeit in die Hände fallen und sich zu einem größeren Bild verknüpfen. So geschehen mit Thomas Manns „Deutsche Hörer!“ und „Habt ein besseres Gedächtnis“ von Wolfgang Eckert und Jürgen Seul. Zwei Werke, die sich auf unterschiedliche Weise mit innerer und äußerer Emigration auseinandersetzen, mit Widerstand gegen den Faschismus und der Erinnerung an jene, die sich gegen ihn stellten. Beide Bücher beeindrucken zutiefst und zeigen auf, wie wichtig es ist, die Stimmen der Vergangenheit nicht verstummen zu lassen.

Thomas Manns „Deutsche Hörer!“ – Ein literarischer Widerstandskampf

Die Neuauflage von „Deutsche Hörer!“ kommt zur richtigen Zeit. In einer Welt, in der faschistische Tendenzen erneut auf dem Vormarsch sind, erhalten die Rundfunkansprachen Thomas Manns an die Deutschen eine bedrückende Aktualität.

Zwischen 1940 und 1945 sendete die BBC Manns eindringliche Worte nach Deutschland, aufgenommen in seinem kalifornischen Exil. Seine Reden sind eine Mischung aus analytischer Schärfe und emotionaler Dringlichkeit. Der Literaturnobelpreisträger beschimpft Adolf Hitler als „die abstoßendste Figur, auf die je das Licht der Geschichte fiel“, als „schlecht ausgefallenes Individuum“ und „blödsinnigen Wüterich“. Gleichzeitig ist er sich der deutschen Mitläufer und ihrer fatalen Mischung aus Gehorsam und Leichtgläubigkeit bewusst.

(…) der deutsche Name zum Inbegriff gemacht allen Schreckens, aller geilen Raubsucht, schandbaren Grausamkeit, erbarmungslosen Gewalt, so dass das Gedächtnis der Völker an vieles Gute, Große und Liebenswerte, womit der deutsche Geist einst die Menschheit beschenkt hat, unterzugehen droht in einem Meer von Hass

Manns Hoffnung auf ein besseres Deutschland ist ungebrochen. Er appelliert an das „wahre“ Deutschland, an die Kultur von Dürer, Bach, Goethe und Beethoven, und setzt den Gräueltaten der Nationalsozialisten Ideale wie Recht, Freiheit und Gerechtigkeit entgegen. Dabei bleibt seine Kritik messerscharf: Er erkennt früh den Holocaust als das, was er ist – ein bestialischer Massenmord.

Mely Kiyaks Vor- und Nachwort rahmen die Neuauflage ein und zeigen, warum Thomas Manns Worte auch heute noch von Bedeutung sind. Dass diese Reden in Deutschland weitgehend unbekannt geblieben sind, ist erstaunlich – und erschreckend. Ein Werk, das gelesen werden muss.

„Habt ein besseres Gedächtnis“ – Drei Erichs und ihr Erbe

Ebenso aufrüttelnd ist „Habt ein besseres Gedächtnis“ von Wolfgang Eckert und Jürgen Seul. Das Buch widmet sich den Lebenswegen von Erich Knauf, Erich Ohser (alias e.o. plauen) und Erich Kästner – drei Männern, die in der Weimarer Republik zu Freunden wurden, künstlerisch eng verbunden waren und die in den 1930er- und 1940er-Jahren unterschiedliche Schicksale erlitten. Während Kästner – der bekannteste der drei – als „innerer Emigrant“ überlebte, wurden Knauf und Ohser von den Nationalsozialisten ermordet.

Erich Knauf (1895-1944): Schriftsteller und Widerstandskämpfer

Knauf war Journalist, Autor und Lektor bei der Büchergilde Gutenberg. Schon früh geriet er mit den Nazis in Konflikt. Sein offener Widerspruch gegen das Regime wurde ihm zum Verhängnis: 1944 verhaftete ihn die Gestapo wegen regimekritischer Äußerungen und ließ ihn unter Volksverhetzungsvorwürfen hinrichten.

Erich Ohser (1903-1944): Der Zeichner hinter „Vater und Sohn“

Ohser, bekannt durch die liebevollen „Vater und Sohn“-Bildergeschichten, konnte seine politische Haltung lange verbergen. Doch sein kritisches Denken war den Nazis ein Dorn im Auge. Als sein Freund Knauf verhaftet wurde, nahm man auch ihn fest. 1944, am Abend vor seiner Verhandlung vor dem Volksgerichtshof, beging er in seiner Zelle Selbstmord.

Erich Kästner (1899-1974): Kritischer Chronist seiner Zeit

Kästner, berühmt für „Emil und die Detektive“, durfte nach 1933 nicht mehr veröffentlichen, da seine Werke als „undeutsch“ galten. Trotz Schreibverbots blieb er in Deutschland und dokumentierte die NS-Zeit als kritischer Beobachter. Seine Wahl des inneren Exils wurde ihm nach dem Krieg oft vorgeworfen, doch sein Engagement für die Erinnerung an seine gefallenen Freunde zeigt seine tiefe moralische Haltung.

Eckert und Seul zeichnen in „Habt ein besseres Gedächtnis“ ein lebendiges Bild dieser drei Männer, ihrer Freundschaft, ihrer künstlerischen Arbeit und ihres Widerstands gegen die Diktatur. Besonders Knauf und Ohser drohen heute in Vergessenheit zu geraten, während Kästner wenigstens als Kinderbuchautor weiterhin präsent ist. Doch ihre Geschichte ist eng verwoben – und es ist höchste Zeit, dass sie wieder erzählt wird. Hervorheben möchte ich auch die unglaublich schöne Gestaltung des Buches, Büchergilde at its best!

Beide Bücher sind dringende Lektüre. Thomas Manns Radioansprachen und die Geschichte der drei Erichs zeigen, wie Widerstand aussehen kann – und wie leicht Stimmen des Widerstands in Vergessenheit geraten können. Dass Thomas Manns „Deutsche Hörer!“ in Deutschland kaum bekannt sind, ist ebenso erschreckend wie die Tatsache, dass Erich Knauf und Erich Ohser langsam aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden.

Umso wichtiger ist es, sich dieser Stimmen wieder zu erinnern. Denn die Mechanismen der Diktatur, die Thomas Mann mit so schneidender Schärfe analysierte, sind nicht vergangen. „Habt ein besseres Gedächtnis!“ fordert nicht nur der Buchtitel, sondern die gesamte Lektüre beider Werke. Wer sich mit der Vergangenheit auseinandersetzt, versteht die Gegenwart besser – und kann die Zukunft hoffentlich klüger gestalten.

Beide Bücher erhalten von mir eine uneingeschränkte Leseempfehlung. Sie sind Mahnung und Inspiration zugleich.

Dann bleiben wir doch noch ein bißchen bei der Büchergilde und ich stelle euch den Jubiläumsband vor, der aus Anlaß der 100 Jahre Büchergilde erschienen ist:

Vorwärts – mit heiteren Augen – Björn Biester erschienen in der Büchergilde Gutenberg

Die Festschrift „Vorwärts mit heiteren Augen“ zum 100-jährigen Bestehen der Büchergilde Gutenberg bietet eine faszinierende Zeitreise durch die Geschichte dieser einzigartigen Buchgemeinschaft. Björn Biester gelingt es, die bewegte Vergangenheit der Büchergilde lebendig werden zu lassen – von den wilden Gründerjahren in den 1920ern über das Exil in der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs bis hin zu den Herausforderungen und Erfolgen der Gegenwart.

Die Büchergilde wurde 1924 von engagierten Buchdruckern in Leipzig gegründet, mit dem Ziel, hochwertige Literatur für ein breites Publikum erschwinglich zu machen. Ihr besonderes Markenzeichen: bibliophile Ausstattung mit Leinenbindung und Illustrationen. Von Beginn an prägte die Idee, Bildung und Kultur in Arbeiterkreise zu tragen, das Programm. Ein Konzept, das sich bewährte – die Büchergilde ist heute die letzte verbliebene Buchgemeinschaft dieser Art in Deutschland.

Persönlich verbinde ich mit der Büchergilde eine lange und buchreiche Geschichte. Seit 32 Jahren bin ich Mitglied und kann mir ein Leseleben ohne sie nicht mehr vorstellen. Dabei hat mich unsere Beziehung schon mehrfach finanziell an den Rand des Bankrotts gebracht – nicht wegen der Preise, sondern wegen meiner chronisch leeren Geldbörse. Doch es hat immer wieder funktioniert, und wie froh bin ich darüber! Denn wer einmal erlebt hat, wie es sich anfühlt, ein gut gemachtes, leinengebundenes Buch in den Händen zu halten, der weiß: Das ist unbezahlbar.

Meine erste Begegnung mit der Büchergilde hatte ich auf einem Zeltlager der Gewerkschaftsjugend. Drei Bücher für 5 DM – ein unschlagbares Angebot! Darunter war eine orangefarbene Erich-Kästner-Doppelausgabe, die ich geliebt habe. Leider ist sie irgendwann bei einem meiner vielen Umzüge verloren gegangen. Und was war das dritte Buch? Ich wünschte, ich könnte mich erinnern!

Besonders spannend in der Festschrift ist die Betrachtung der Rolle der Büchergilde in der Geschichte: Wie beeinflusste der politische Wandel die Programmausrichtung? Welche Bücher und Autor:innen prägten das Profil der Büchergilde? Diese Fragen werden kenntnisreich und unterhaltsam beantwortet.

Auch die Besonderheiten des Mitgliedschaftsmodells, das bis heute ohne klassische Mitgliedsbeiträge auskommt, werden anschaulich dargestellt. Stattdessen wählen die Mitglieder pro Quartal aus einer kuratierten Auswahl ein Buch. Früher wurden diese sogar per Fahrrad direkt an die Arbeitsplätze geliefert – ein charmantes Detail, das die besondere Verbindung zwischen der Büchergilde und ihren Leser:innen verdeutlicht.

„Vorwärts mit heiteren Augen“ ist eine Hommage an die Beständigkeit der Büchergilde, ihre leidenschaftliche Hingabe zur Literatur und ihren Beitrag zur Lesekultur in Deutschland. Ein Muss für alle bibliophilen Leser:innen und Geschichtsinteressierten! Und überlegt euch doch, ob ihr nicht auch Mitglied werden möchtet – ich kann es aus tiefstem Herzen empfehlen 🙂

Transcendent Kingdom – Yaa Gyasi auf deutsch unter dem Titel „Ein erhabenes Königreich“ im Dumont Verlag erschienen, übersetzt von Anette Grube

Yaa Gyasis zweiter Roman Transcendent Kingdom ist ein leiser, aber eindringlicher Roman über Wissenschaft, Glauben und den Versuch, inmitten von Schmerz und Verlust Sinn zu finden. Die Geschichte folgt Gifty, einer ghanaisch-amerikanischen Neurowissenschaftlerin, die an der Stanford University an den neurologischen Mechanismen von Sucht und Depression forscht. Doch ihre Arbeit ist nicht nur ein akademisches Unterfangen, sondern eng mit ihrem eigenen Leben verknüpft: Ihr Bruder Nana starb an einer Opioid-Überdosis, ihre Mutter leidet an schweren Depressionen, und Gifty selbst ringt mit den widersprüchlichen Lehren der Wissenschaft und des tief verwurzelten Glaubens ihrer Kindheit.

Gyasi erzählt die Geschichte in fragmentarischen Rückblenden, die nach und nach das Schicksal von Giftys Familie enthüllen. Diese narrative Struktur spiegelt Giftys eigene innere Zerrissenheit wider: Während sie nach empirischen Antworten sucht, holen sie ihre Erinnerungen und Gefühle immer wieder ein. Besonders stark ist Gyasis Darstellung der Mutter-Tochter-Beziehung, die zwischen distanzierter Strenge und tiefer, wortloser Liebe schwankt. Die Mutter bleibt lange eine undurchdringliche Figur, doch gerade in dieser Zurückhaltung liegt die emotionale Wucht des Romans.

But the memory lingered, the lesson I have never quite been able to shake: that I would always have something to prove and that nothing but blazing brilliance would be enough to prove it.

Transcendent Kingdom unterscheidet sich stilistisch und thematisch von Gyasis gefeiertem Debüt Homegoing. Während Homegoing eine epische, generationenübergreifende Geschichte erzählt, ist Transcendent Kingdom eine intime Innenansicht einer zerrissenen Familie. Der Fokus auf Wissenschaft und Religion gibt dem Roman eine intellektuelle Tiefe, die manchmal fast klinisch wirkt. Wer auf der Suche nach einer mitreißenden Handlung ist, wird hier vielleicht weniger fündig, aber Gyasis fein nuancierte Sprache und ihre Präzision in der Figurenzeichnung machen den Roman dennoch zu einer lohnenden Lektüre.

Obwohl mich die starke religiöse Thematik nicht immer vollkommen abgeholt hat, beeindruckt Gyasis Fähigkeit, die existenziellen Fragen ihrer Protagonistin mit großer Sensibilität zu behandeln. Transcendent Kingdom mag nicht die epische Wucht von Homegoing haben, aber es ist ein stilles, kluges Buch, das lange nachhallt.

Weiß und Unmöglicher Abschied – Han Kang erschienen im Aufbau Verlag, übersetzt von Ki-Hyang Lee

Han Kangs Romane „Unmöglicher Abschied“ und „Weiß“ greifen auf unterschiedliche Weise tief in die schmerzhaften, oft verdrängten Winkel südkoreanischer Geschichte und der persönlichen Erinnerung. Während „Unmöglicher Abschied“ ein emotional aufwühlendes Porträt des Jeju-Massakers ist, hebt sich „Weiß“ durch seine introspektive, fast meditative Auseinandersetzung mit Verlust und Erinnerung hervor.

In „Unmöglicher Abschied“ gelingt Han Kang eine eindrucksvolle Annäherung an das Jeju-Massaker von 1948, bei dem mehr als 30.000 Menschen ihr Leben verloren. Die Erzählerin, eine Schriftstellerin, träumt von einem merkwürdigen Bild aus Baumstämmen und Erdhügeln, das sie später als Metapher für die Opfer des Massakers verwendet. Han Kang führt den Leser durch einen verschlungenen Erzählstrom, in dem sich Traum und Wirklichkeit, historische Erinnerung und persönliches Erleben untrennbar verbinden. Besonders prägnant sind die Bildwelten des Schnees, der als Symbol für die Grausamkeit und das Vergessen dient. Es ist eine zutiefst eindringliche Geschichte, die, ähnlich wie „Die Vegetarierin“, eine fast kafkaeske Atmosphäre von Unmenschlichkeit und Entfremdung schafft. Ich habe das Buch als Hörbuch gehört – das war eine ganz besondere Erfahrung und ich habe es innerhalb kürzester Zeit durchgehört. Irgendwann möchte ich es aber auch noch einmal lesen.

A thought comes to me. Doesn’t water circulate endlessly and never disappear? If that’s true, then the snowflakes Inseon grew up seeing could be the same ones falling on my face at this moment. I am reminded of the Inseon’s mother described, the ones in the schoolyard,[…] Who’s to say the snow dusting my hands now isn’t the same snow that had gathered on their faces.

Im Gegensatz dazu ist „Weiß“ ein sehr persönlicher, introspektiver Text, der sich mit der eigenen Familiengeschichte der Autorin auseinandersetzt, insbesondere mit dem Tod ihrer Schwester kurz nach der Geburt. Die Farbe Weiß zieht sich als rotes Band durch das Buch – von der klinischen Reinheit des Neugeborenen, das in weiße Tücher gehüllt wird, bis zu den Erinnerungen der Erzählerin, die eine schmerzliche Verbindung zwischen Tod, Krankheit und Verlust spürt. Die reflektierenden, poetischen Passagen sind dabei oftmals sehr emotional, beinahe pathetisch. Han Kang ergründet, wie die Farbe Weiß in ihrer Kindheit allgegenwärtig war und dabei sowohl als Symbol der Unschuld als auch des Todes erscheint.

Obwohl „Weiß“ weniger greifbar ist als „Unmöglicher Abschied“, da es sich mehr in symbolischen und atmosphärischen Ebenen bewegt, ist es dennoch ein sehr kraftvolles Buch. Es öffnet eine Tür zur tiefen psychologischen Auseinandersetzung mit Verlust und Erinnerung. „Unmöglicher Abschied“ wirkt dagegen fast schon dokumentarisch in seiner Schilderung des Traumas einer ganzen Nation, jedoch ebenso poetisch und eindrucksvoll.

Sobald der Tag ihrer Abreise näher rückt,
wird sie der dunklen Stille dieses Hauses,
in dem sie nicht mehr länger ohnen darf,
etwas zu sagen haben.
Sobald die unendlich scheinende Nacht
zur Neige geht und sich in dunkelblaue Dämmerung
in dem vorhanglosen Nordostfenster zeigt,
sobald sich die glatten Äste der Pappeln
allmählich vor dem Ultramarinblau
des Himmels abzeichnen,
wird sie am frühen Sonntagmorgen,
solange sich in dem Mietshaus noch nichts rührt,
der Stille etwas zu sagen haben.

Insgesamt zeigen diese beiden Werke auf unterschiedliche Weise Han Kangs Fähigkeit, literarisch tiefgründige Themen wie Schmerz, Verlust und die Verarbeitung von Geschichte auf eine sehr intime und zugleich universelle Weise zu erfassen. Beide Bücher habe ich für meinen Südkorea Stop auf der literarischen Weltreise gelesen und den kompletten Artikel könnt ihr hier lesen.

Wild wuchern – Katharina Köller erschienen im Penguin Verlag

Katharina Köllers „Wild wuchern“ hat mich mitgerissen, von der ersten bis zur letzten Seite. Es ist ein Roman, der keine Pause zulässt, der rast und drängt, genau wie seine Protagonistin Marie. Auf der Flucht vor einem Leben, das sie nicht mehr ertragen kann, sucht sie Zuflucht bei ihrer Cousine Johanna, die sich auf einer abgeschiedenen Alm ein neues, kompromissloses Leben geschaffen hat. Zwei Frauen, die nicht unterschiedlicher sein könnten, aber doch eine gemeinsame Geschichte und eine unausgesprochene Verbindung teilen.

Marie ist eine scharfzüngige Wienerin, aufgewachsen in einer Welt des Scheins und der Oberflächlichkeit, verwöhnt und zugleich gefangen in den Erwartungen anderer. Johanna dagegen hat sich früh aus allem herausgezogen, lebt abseits der Gesellschaft und folgt nur noch ihren eigenen Regeln. Ihr erstes Wiedersehen nach Jahren ist mehr ein Kräftemessen als eine warme Umarmung. Doch mit jeder Seite entfaltet sich ein faszinierendes Spiel zwischen Annäherung und Abgrenzung, zwischen Verstehen und Missverstehen.

So bin ich. So bin ich, dass ich schon weiß, die Watschen kommt, und trotzdem renn ich mitten rein. Wie die Opfer in den Horrorfilmen zielsicher in ihren Tod rennen, so renn ich hinein in die Watschen.

Köller schreibt mit einer Wucht, die mich umgehauen hat. Ihre Sprache ist poetisch, direkt, oft ironisch und voller Bildgewalt. Es gibt keine Kapitel, keine Verschnaufpausen – der Text zieht einen hinein in Maries fiebrige Gedanken, ihre panische Flucht, ihre Selbstfindung. Dieser Erzählstil macht den Roman unglaublich intensiv. Ich konnte gar nicht anders, als weiterzulesen.

Besonders beeindruckt hat mich, wie der Roman zwischen Gesellschaftskritik, poetischer Erzählung und fast märchenhafter Stimmung balanciert. Die Natur der Tiroler Alpen ist nicht nur Kulisse, sondern ein eigener Charakter, unbändig, fordernd, schön und gnadenlos zugleich. Hier gibt es keine einfachen Lösungen, keine harmonische Versöhnung mit der Vergangenheit. Aber es gibt Entwicklung, Selbsterkenntnis, leise Veränderung.

Was bleibt, ist ein Roman, der wirklich nachhallt. „Wild wuchern“ ist kompromisslos, klug und voller Emotionen. Eine Geschichte über zwei Frauen, die lernen, sich selbst und einander neu zu sehen. Ich habe Marie und Johanna mit all ihren Stärken und Schwächen ins Herz geschlossen. Und ich kann nur sagen: Lesen! Unbedingt.

The God of the Woods – Liz Moore unter dem Titel „Der Gott des Waldes“ im C. H. Beck Verlag erschienen, übersetzt von Cornelius Hartz

Ich möchte euch gar nicht allzu viel über The God of the Woods erzählen – gefühlt hat sowieso schon jeder (und deren Tante) dieses Buch auf dem Schirm. 😉 Aber falls ihr bisher nichts davon gehört habt oder noch unsicher seid, ob ihr es lesen wollt: Tut es!

Lange habe ich nicht mehr dieses Gefühl gehabt, vollkommen in eine Geschichte einzutauchen – dieses Sommerferien-Gefühl, wenn man stundenlang liest und die Welt um sich herum vergisst.

Nur so viel: The God of the Woods ist ein unglaublich kluger und fesselnder Roman über ein Mädchen, das eines Nachts aus einem Ferienlager im Wald verschwindet – genau wie Jahre zuvor ihr kleiner Bruder. Liz Woods erzählt diese Geschichte meisterhaft, verwebt geschickt verschiedene Zeitebenen, ohne dass man je den Überblick verliert, und liefert ein Ende, mit dem ich wirklich zufrieden war.

Rich people, thought Judy—she thought this then, and she thinks it now—generally become most enraged when they sense they’re about to be held accountable for their wrongs.

Ihr Roman Long Bright River steht hier auch noch ungelesen im Regal – und jetzt freue ich mich darauf umso mehr. Wir waren gestern abend auf einer Lesung von ihr im Amerikahaus in München (moderiert von Günter Keil). Sehr schöne Lesung und eine überaus symphatische Autorin. Falls ihr mal die Gelegenheit habt eine Lesung von ihr zu besuchen – unbedingt hingehen!

Ghost Music – An Yu bislang nicht auf deutsch erschienen

Manche Bücher klingen nach, wie ein Echo, das nicht verhallt. Ghost Music von An Yu ist genau so ein Roman – leise, melancholisch und voller surrealer Schönheit.

Song Yan lebt in einer Ehe, die sich anfühlt wie ein gut eingespieltes Musikstück – vorhersehbar, fast mechanisch. Doch als ihre Schwiegermutter einzieht und geheimnisvolle Pakete mit seltenen Yunnan-Pilzen eintreffen, beginnt sich ihr Leben zu verändern. Ihr Mann Bowen entzieht sich ihr immer mehr, und Song Yan wird von Erinnerungen an ihre verlorene Karriere als Konzertpianistin heimgesucht. Dann taucht ein toter Pianist auf – oder doch nicht? – und ein sprechender, leuchtender Pilz, der ein bestimmtes Klavierstück hören will. Realität und Traum verschwimmen.

We pour a bit of ourselves into everything we do, every note we play and, unwittingly, one fragment at a time, we leave ourselves in the past.

Ghost Music ist eine leise, aber eindringliche Geschichte über verpasste Chancen, unerfüllte Sehnsüchte, die Frage wie gut man jemanden kennen kann und die Musik des Lebens – manchmal laut, manchmal nur ein kaum hörbares Flüstern. An Yu schreibt mit einer poetischen Präzision, die unter die Haut geht.

Ich habe das Buch für China auf meiner literarische Weltreise gelesen. Wer Lust hat kann hier den Rest des Artikels über China lesen.

Die weiße Straße – Edmund de Waal erschienen im Hanser Verlag / Büchergilde Gutenberg, übersetzt von Brigitte Hilzensauer

Edward de Waal ist ein faszinierender Erzähler mit einer tiefen Leidenschaft für Porzellan, und das zeigt sich auch in „Die weiße Straße“. Doch während mich „The Hare with Amber Eyes“ mit seiner persönlichen, fast intimen Familiengeschichte völlig in den Bann gezogen hat, konnte mich dieses Buch nicht in gleichem Maße fesseln.

De Waal nimmt uns mit auf eine Reise zu den Ursprüngen des Porzellans – nach Jingdezhen in China, nach Dresden und nach Cornwall. Es ist eine Mischung aus Reisebericht, Historie, Selbstreflexion und Materialkunde. Dabei folgt er der Idee eines „weißen Pfades“, der ihn von den Anfängen des Porzellans bis zu seiner eigenen Werkstatt führt.

Es gibt Passagen in diesem Buch, die von einer beinahe magischen Atmosphäre durchzogen sind – etwa wenn De Waal eine 12. Jahrhundert-Scherbe aus der roten Erde aufliest oder die verschlungenen Wege der europäischen Porzellanherstellung nachzeichnet. Besonders spannend fand ich den Teil über Dresden und Allach bei München, wo sich die Geschichte der deutschen Porzellanmanufaktur mit den düsteren Kapiteln der Nazi-Zeit verbindet. Hier berührt De Waal auch das Thema Besitz, Macht und Zwangsarbeit, was dem Buch Tiefe verleiht.

Dennoch hatte ich oft das Gefühl, dass sich der Text verliert. De Waal mäandert – er reiht Anekdoten, Namen und Beobachtungen aneinander, springt von einer Reflexion zur nächsten und wechselt mitunter zwischen Erzählperspektiven. Während dieser Stil in „The Hare with Amber Eyes“ für mich perfekt funktionierte, weil er dort eine vielschichtige Familiengeschichte entfaltet, fühlte es sich hier manchmal anstrengend an. Der Wechsel zwischen der minutiösen Beschreibung von Porzellanherstellung und persönlichen Gedanken war nicht immer harmonisch.

Hinzu kommt, dass man am Ende des Tages doch sehr viel über Porzellan erfährt – vielleicht mehr, als man eigentlich wissen wollte. Zwar macht De Waal das Thema mit seiner Begeisterung greifbar, doch nicht jeder Leser wird sich für die chemischen Prozesse und technischen Details gleichermaßen begeistern können.

Ich habe vor, drei Orte aufzusuchen, wo das Porzellan erfunden oder wiedererfunden wurde, drei weiße Berge in China und Deutschland und England. Jeder von ihnen ist mir wichtig. Seit Jahrzehnten kenne ich sie durch ihre Keramik, durch Bücher und Geschichten, aber ich war nie dort. Ich muss an diese Orte fahren, muss sehen, wie Porzellan unter anderen Himmeln aussieht, wie Weiß sich mit dem Wetter verändert. Weiß sind auch andere Dinge auf dieser Welt, aber für mich kommt Porzellan an erster Stelle.

Trotzdem ist „Die weiße Straße“ ein beeindruckendes Buch. De Waals Talent für obsessive Recherche und seine Fähigkeit, Geschichte mit Kunst zu verknüpfen, sind unbestreitbar. Wer sich für Porzellan, Handwerkskunst und die historischen Zusammenhänge interessiert, wird hier viele spannende Einblicke gewinnen. Wer aber eine ähnlich fesselnde, emotional tiefgehende Erzählung wie in „The Hare with Amber Eyes“ erwartet, könnte sich ein wenig erschlagen fühlen.

Vielleicht hätte eine straffere Struktur oder eine klarere Fokussierung das Buch noch stärker gemacht. Doch De Waal ist eben ein Sammler – von Geschichten, Details und Eindrücken. Und genau diese Sammelleidenschaft prägt auch dieses Werk.

How much land does a man need? – Leo Tolstoy auf deutsch unter dem Titel „Wieviel Erde braucht der Mensch“ im Penguin Verlag erschienen

Die Kurzgeschichten „How Much Land Does a Man Need?“ und „What Men Live By des russischen Schriftsteller Leo Tolstoi sind zwei kurze Erzählungen, die beide starke moralische und philosophische Botschaften vermitteln. Sie sind typisch für Tolstois späten Stil, in dem er häufig die Bedeutung von Menschlichkeit, Spiritualität und ethischem Verhalten thematisiert.

In „Wieviel Erde braucht der Mensch?“ geht es um den Bauern Pahom, der nach immer mehr Land strebt, um seinen Wohlstand zu sichern. Die Geschichte ist eine scharfsinnige Allegorie auf Gier und den unstillbaren Drang des Menschen nach Besitz. Nach dem ewigen schneller, weiter, höher und die darin inherente Verhängnis. Der tragische Ausgang dieser Erzählung zeigt, dass wahre Zufriedenheit nicht im materiellen Besitz zu finden ist. Wissen wir doch eigentlich, aber…

In „Was der Mensch lebt“ geht es um einen Mann namens Michael, der in einer schwierigen Lebenssituation Liebe, Barmherzigkeit und die wahre Bedeutung des Lebens erkennt. Tolstoi belschäftigt sich in dieser Geschichte mit den Themen Nächstenliebe und das menschliche Streben nach innerer Erfüllung. Die zweite Geschichte war mir eine Spur zu spirituell.

Diese Erzählungen sind als Teil der Little Black Classics-Reihe von Penguin erschienen. Diese besondere Buchreihe wurde anlässlich des 80. Geburtstags von Penguin ins Leben gerufen und umfasst mittlerweile mehr als 100 Bände, die die Vielfalt und literarische Reichweite der Penguin Classics feiern. Von Indien bis Griechenland, von Dänemark bis Iran – die Sammlung beamt Leserinnen und Leser durch Zeit und Raum. Ob Fiktion, Poesie, Essays oder Bonmots von Schriftstellern wie Tschechow, Balzac, Ovid, Austen, Sappho und Dante – hier findet sich für jede Stimmung das passende Buch. Ich sammle eifrig, habe aber noch lange nicht alle 😉

Geschafft! Ein großartiger Lesemonat geht zu Ende. Jetzt würde ich gern euer Feedback hören? Welche davon kennt ihr? Habt ihr auch gemocht oder auch nicht? Was waren eure Highlights im März?

Meine Woche

Gesehen: Star Trek Picard Season 2 (2022) mit Patrick Stewart, Jeri Ryan und Alison Pill. Diese Serie ist meine Happiness Bubble – alles wird gut. Und ich darf ja nicht spoilern – aber ich WUSSTE es schon immer 🙂

 The Matrix (1999) und The Matrix Reloaded (2003) von Lilly und Lana Wachowski mit Keanu Reeves, Carrie-Anne Moss und Lawrence Fishburne. Überraschend gut gealtert die Filme, hat wieder großen Spaß gemacht, die überlasse ich nicht den Quarkdenkern 😉

1BR (2019) von David Marmor mit Nicole Brydon Bloom. Horror um eine junge Frau die glaubt die Traumwohnung in toller Nachbarschaft gefunden zu haben, aber der Schein trügt. War ganz ok.

The Mist (2007) Horror-Serie von Christian Torpe mit Morgan Spector, Alyssa Sutherland. Verfilmung des gleichnamigen Stephen King Romans. Ich fand es unterirdisch, die Gattin mochte es sehr. Am besten selbst anschauen und entscheiden.

Gehört: Lost – Zola Jesus, Autonomy – Boy Harsher, Nabucco – Odessa Opera, The Wife – Jocelyn Pook, Send the pain below – Midwife, The Lightning I, II – Arcade Fire, Köln (live at 79sound Studio, 2015) – thisquietarmy x Labirinto, You oughta know – Alanis Morissette (RIP Taylor Hawkins)

Gelesen: Quantencomputer verständlich erklärt, How Robot Found the Long-Lost Endurance Shipwreck, Francis Fukuyama: Putin wird die Niederlage seiner Armee nicht überleben – 12 Thesen zum Krieg in der Ukraine, diesen Auszug aus dem neuen Buch von Mely Kiyak

Getan: einen negativen Coronatest (juhu), den Büroumbau geplant, einen Literaturspaziergang durch München gemacht

Gefreut: über unsere tollen Freund:innen die für uns eingekauft, Kuchen, Blumen und viele liebe Gedanken geschickt haben und einfach die besten sind

Geärgert: wie wenig über Brittney Griner gesprochen wird, die in Moskau verhaftet wurde

Gegessen: Rotes Laksa Curry mit Nudeln

Geklickt: John Oliver on Critical Race Theory, What is behind Japan’s moss obsession?,

Gestaunt: Antiqvitas Nova Kunstprojekt von Oleh und Alexander Denysenko und über dieses wahnsinnig guterhaltene römische Mosaik das in London gefunden wurde

Gelacht: Tinder for Cats

Gewünscht: Captain Picard Wein, dieses Outfit, dieses Buch

Gefunden: nix

Gekauft: Bücher

Gedacht: “There is a special place in hell for women who don’t help other women.”
— Madeleine Albright (RIP)

21 aus 21

Die liebsten, die spannensten, die mich am meisten zum Nachdenken angeregt haben und es fehlen im Bild die verliehenen oder die, die ich als Hörbuch gehört habe:

Was waren eure liebsten in 2021? Ich freue mich auf ein weiteres Jahr mit Euch und danke für die Treue, die Kommentare, das Feeback, die Freundschaft. Ich wünsche Euch allen von Herzen ein tolles 2022 mit viel Glück, Gesundheit und Zeit zum lesen und nachdenken.

Erlesener Sommer – die August Bücher

Draußen war nicht immer so viel Sommer, wie ich es mir gewünscht hätte, aber ich habe mir den Sommer auf jeden Fall mit einer ganzen Reihe Bücher herbeigelesen. Der August war ein guter Lesemonat mit interessanten Entdeckungen, erneuten Begegnungen und ohne Ausfälle.

Ich starte gleich mal mit einer meiner größten überraschenden Entdeckungen. Ein Buch, das mir garantiert durch die Lappen gegangen wäre, hätte mich die wunderbare Susanne vom Diogenes Verlag nicht zu einer Autorinnen-Lesung/Zoom-Runde eingeladen. Leseexemplar bestellt, aufgrund vom Klappentext erst mal gar nicht so viel erwartet und dann war ich aber – peng – komplett umgehauen, von diesem überraschenden, ungewöhnlichen, bild- und sprachgewaltigen Werk:

Ohne Fürsorge und Liebe wächst der 11-jährige Martin am Rande eines Dorfes auf. Er hat nur seinen schwarzen Hahn und wird gemieden von den Dörflern, die das Tier für den Teufel halten. Doch nutzen sie den Jungen aus, wann immer sich die Möglichkeit bietet. Martin jedoch verfügt über ein reines Herz und einen wachen Verstand, der ihn Verbrechen erkennen lässt. Als er mit ansehen muss, wie ein schwarzer Reiter, der der Legende nach jedes Jahr Kinder entführt, ein Mädchen raubt, steht für ihn fest, dass er die verschwundenen Kinder finden und dem Spuk ein Ende setzen muss. Mit dem Maler verlässt Martin sein Dorf und bricht auf zu einer Odyssee, auf der er nicht nur menschlichen Abgründen nachspürt, sondern auch seinen Fähigkeiten.

Ein Roman über die Hoffnung in einer dunklen Welt, über Mut und den Sieg der Rationalität über Aberglauben und Hass. Großartige Sprache – unvergessliche Bilder, dieses Buch wird, glaube ich, durch die Decke gehen und ich würde mich für die sympatische Autorin von Herzen freuen.

Witziger Zufall war die Verknüpfung, die in meinem Hirn passierte zwischen dem Maler in diesem Buch, der irgendwann im Mittelalter in einer Kirche ein Wandgemälde anfertigt und dem Roman „Ein Monat auf dem Land“, in dem ein junger Restaurateur in den 1920er Jahren ein Wandgemälde aus dem Mittelalter in einer Kirche freilegt. Was für ein witziger Zufall…

„Alles an ihm wirkt ruhig und bedacht. Und das macht ihn den Leuten im Dorf unbequem. Sie haben es nicht gern, dass einer zu lebendig ist oder zu ruhig.“

Ich danke dem Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.

Ein wunderschöner Roman über eine besondere Freundschaft, die Ruhe auf dem Lande und den Einfluss der Vergangenheit. Die junge Sally ist von zu Hause weggelaufen und trifft auf Liss, die einen eigenen Bauernhof betreibt. Liss nimmt Sally bei sich auf und zwischen den beiden Frauen entwickelt sich eine Beziehung, die sie nicht erwartet hatten.

Vor allem die Beschreibungen der Landschaft und des Geschehens auf dem Hof schaffen eine gewisse Ruhe beim Lesen. Die Langsamkeit, mit der Liss und Sally mit ihren Händen Birnen und Trauben pflücken, Kartoffeln ausgraben und all die anderen Arbeiten verrichten, spiegelt sich auch im Schreibstil des Romans wider. In aller Ruhe. Der ruhige Bauernhof, das friedliche Dorf mit seinen Kirchenglocken, das Tal, in dem der Nebel verweilt… Die Atmosphäre der Umgebung ist wunderschön wiedergegeben.

Ein Buch, das garantiert blutdrucksenkende Wirkung hat und man es kaum abwarten kann zum Markt zu kommen, um verschiedene Birnensorten zu kaufen, die man während des Lesens verzehrt. Das perfekte Spätsommerbuch und ein Autor, von dem ich sehr gerne noch mehr lesen möchte.

Vielleicht würde Sonnenlicht so schmecken, wenn es durch das Laub alter Bäume direkt auf die Zunge fiele.

Tom Birkin wird beauftragt, ein mittelalterliches Wandgemälde in einer Kirche freizulegen und zu restaurieren, das vor über vierhundert Jahren verdeckt wurde. Als er die Kalk- und Schmutzschichten fachmännisch abblättert, findet er an den Wänden unerwartete Motive von berauschender Qualität. Auch was er über die Menschen, insbesondere über sich selbst, erfährt, ist unerwartet: Der Prozess der Restaurierung ist für ihn der Beginn einer Transformation und wunderbar erholsam.

Und Erholung hat er bitter nötig. Der 1. Weltkrieg hat ihn an Leib und Seele zerstört, er kehrt entfremdet in sein altes ziviles Leben zurück. Während seine Gefühle in der heutigen Zeit auf eine posttraumatische Belastungsstörung zurückgeführt werden können, hatte Birkin 1920 kein Ventil für seine Gefühle. Seine Frau Vinny hatte ihn wegen eines anderen Mannes verlassen, desillusioniert vom Leben als ungewollter Single in London nimmt Birkin den Restaurantions-Job in einem kleinen Dörfchen namens Oxgodby an.

J.L. Carr schafft es auf elegante Weise, eine große Bandbreite und Tiefe auf nur 102 Seiten zu vereinen: Geheimnisse, Liebe, Tragödie, Humor, soziologische Analysen, verlorene Chancen, Freundschaft, Kunst und allgemeine Schönheit. Es ist eine nuancierte Mischung, die geschickt ein paar dunkle Untertöne in eine ländliche Idylle einwebt.

Ja, es wird ein einziger Monat beschrieben, mit wenig Plot und es passiert auch nicht viel, aber Birkin verlässt Oxgodby verwandelt, verändert und auch verbessert und ich hatte das Gefühl tatsächlich auch. Ein Buch, das einen ein kleines bisschen besser macht.

Ein wunderbarer leiser Roman, der ganz große Lust auf Sommerabende in der englischen Countryside macht.

Das mag ein bisschen nach Larifari klingen, aber genau darum geht es: Wenn man sehen oder sich ausmalen kann, was für ein Kommen und Gehen an einem Ort vom ersten Tageslicht bis zur Abenddämmerung geherrscht hat, wie die Menschen vor den Bildern niederkauerten und andächtig nickend Brüste und Köpfe mit Fingern berührten, die gerade noch mit schmutzigen Kochtöpfen hantiert hatten, wie sie mit ihren ungewaschenen Gesichtern zu dem einzigen Gemälde hinaufstarrten, das sie ihr Leben lang zu Gesicht bekommen würden – nun, dann legt man sich noch ein bisschen mehr ins Zeug, dann macht man sich nicht nur mit alkoholischer Salzsäurelösung, sondern auch mit Gefühl ans Werk.

Als Iris zur Beerdigung ihrer Großmutter nach Hause zurückkehrt, stellt sie erstaunt fest, dass diese ihr das Haus vererbt hat, obwohl ihre Mutter und ihre beiden Schwestern noch leben. Während sie in dem Haus wohnt und versucht zu entscheiden, ob sie es behalten will, wird sie von den Erinnerungen an die Sommer, die sie dort verbracht hat, überrollt.

Eine Geschichte über das Erinnern und das Vergessen, denn vor ihrem Tod litt ihre Großmutter an Alzheimer. Ein trauriger und ergreifender Blick auf eine Frau, die sich jeden Tag ein bisschen mehr verliert.

Schillernd und magisch sind die Erinnerungen an die Sommerferien bei der Großmutter, geheimnisvoll die Geschichten der Tanten. Katharina Hagena erzählt von den Frauen einer Familie, mischt die Schicksale dreier Generationen.

Ein genussvoller kluger Roman der nach Sommer duftet und Lust auf Äpfel, Johannisbeeren und Marmeladekochen macht und mich sehr an lange warme Sommertage mit meiner Oma erinnert hat.

Wer wie ich ohne Vater aufwächst, muß erst durch Beobachtung lernen, was das eigentlich ist, so ein Vater. Als Kind studierte ich neugierig, aber mit sicherem Abstand die Väter in den Familien meiner Freundinnen. Insgeheim fand ich sie interessant, aber auch ein wenig unheimlich.

Da, wo bei anderen der Vater einfach angewachsen ist, stehe ich stets aufs Neue vor einem fremden Geräteteil, von dem man nicht weiß, wo es in meinem Apparat hingehört. Es fällt bei jeder Erschütterung von mir ab. Im Grunde brauche ich es nicht.

Mely Kiyak schreibt darüber was Frausein bedeutet, sie erzählt von den Gesprächen über Weisheit und Nichtwissen, die sie als Mädchen mit dem Vater führte. Von den Cousinen, die vom Begehren erzählten. Vom Aufwachsen zwischen Ländern und Klassen, zwischen „Herkunftsgepäck“ und Neugier auf unbekannte Erfahrungen. Vom Alleinsein, von Selbsterkundung, von Familie. Was ist Weiblichkeit, wenn man den öffentlichen Blick überwindet und zurückbleibt mit sich selbst? Aufrichtig, lebenslustig, zärtlich und entwaffnend klug erinnert Mely Kiyak daran, dass es die Verhältnisse sind, die einem beibringen, wie man liebt und lebt.

Wieviel man in einem so schmalen Buch anstreichen kann, was für eine poetische Sprache – ein Buch das klüger macht, dem ich wunderbare Gedanken verdanke und das einen gleichzeitig beglückt und tieftraurig zurück läßt. Eines meiner Lese-Highlights 2021.

Das Erlesen der Welt stürzte mich regelmäßig in gedankliche Krisen. Das eigene Erleben hingegen hatte kaum Auswirkung auf meine psychische Stabilität.

Das Lesen der Bücher aus der Stadtbibliothek war ein Vergnügen. Das Lesen der Seminarliteratur ist eine Qual. Ich hätte jemanden gebraucht, der mich betreut und mir die Sätze erklärt, die ich las. Ich war mit Sufismus aufgewachsen, mit altorientalischer Dichtung, mit politischen Theorien, mit einer Kultur, verwoben mit Elementen, die nicht einmal als Schatten in den Fächern vorkamen, die ich studierte. Plötzlich war ich umgeben von Studenten, die immer alles bereits kennen. Sie sind gebildete Kinder gebildeter Eltern.

Ich weiß, jede Silbe in diesem Satz ist wahr: Wer eine Schule eröffnet, schließt ein Gefängnis.

Ein Haus an einem märkischen See ist das Zentrum, fünfzehn Lebensläufe, Geschichten, Schicksale von den Zwanzigerjahren bis heute ranken sich darum. Das Haus und seine Bewohner erleben die Weimarer Republik, das Dritte Reich, den Krieg und dessen Ende, die DDR, die Wende und die Zeit der Nachwende. Jedem einzelnen Schicksal gibt Jenny Erpenbeck eine eigene literarische Form, jedes entfaltet auf ganz eigene Weise seine Dramatik, seine Tragik, sein Glück. Alle zusammen bilden eine Art kollektives literarisches Gedächtnis des letzten Jahrhunderts, geformt in einer Literatur, die nicht nur großartige Sätze und Bilder zu bieten hat, sondern die auch Wunden reißt, verstört, beglückt, verunsichert und versöhnt.

Ein Roman, den ich gemeinsam mit Miss Booleana auf Goodreads gelesen habe, was mir wieder großen Spaß gemacht hat. Der Roman selbst konnte mich allerdings nicht so in seinen Bann ziehen, wie ich es aufgrund des Themas eigentlich erwartet hätte und auch im Vergleich zu Erpenbecks „Gehen, Ging, Gegangen“, das mich förmlich umgehauen hatte.

Ich wurde nicht warm mit dem Buch. Es springt durch die Zeiten, ich wußte oft nicht wo ich mich gerade befinde, wer gerade spricht und die einzelnen Hausbewohner blieben mir leider fast alle recht fremd und distanziert.

Wo der neue Mensch anfangen soll, kann er nur aus dem alten wachsen.“

Jana hat ihren Vater nie kennengelernt. Alles, was sie über ihn weiß, ist, dass er als Kapitän auf der MS Mozart arbeitet, einem eher wenig glamourösen Kreuzfahrtschiff auf der Donau. Also bucht sie sich kurzerhand eine Woche dort ein. Ob sie sich ihm zu erkennen geben wird, weiß sie noch nicht. Mit knapp hundert Gästen im Seniorenalter und der trinkfesten Bordbesatzung beginnt die Fahrt von Passau nach Wien. Mit großer Sensibilität erzählt Ilona Hartmann die Geschichte einer jungen Frau auf der Suche nach den eigenen Wurzeln. Ein Roman voller Situationskomik und ungewöhnlicher Begegnungen, aber auch der Beginn einer zärtlichen, emotionalen Annäherung zwischen Vater und Tochter, die gerade erst lernen, was es heißt, einander Familie zu sein.

„Emanzipation war im Dorf eine Freizeitbeschäftigung. Eine, der man sich als Frau nur zuwandte, wenn man im klassischen Modell versagt oder sich bewusst dagegen verweigert hatte, also selber Schuld war. “

Noch eine große positive Überraschung. Der Autor war mir völlig unbekannt, wieder ein Roman, der seltsam zeitlos wie „Der Junge mit dem schwarzen Hahn“ irgendwo in einer unbestimmten Zeit im Mittelalter spielt und von Anfang an an einen Folk-Horror Film erinnert.

Ein abgelegenes, von Wäldern umschlossenes Dorf. Einige Bauern führen hier ein einsames und zufriedenes Dasein, das von Ereignissen kaum berührt wird. Eines Tages geschieht etwas vermeintlich Belangloses: Einer der Bauern findet auf einer Wiese am Dorfrand ein Seil. Er geht ihm nach, ein Stück in den Wald hinein, kann jedoch sein Ende nicht finden. Neugier verbreitet sich im Dorf, ein Dutzend Männer beschließt, in den Wald aufzubrechen, um das Rätsel des Seils zu lösen. Ihre Wanderung verwandelt sich in ein ebenso gefährliches wie bizarres Abenteuer: Das Ende des Seils kommt auch nach Stunden nicht in Sicht – und die Existenz des ganzen Dorfes steht auf dem Spiel.

Konnte es gar nicht aus der Hand legen, spannend, atmosphärisch, düster und wunderbar.

Wenn das Glück zu groß wird, wird es zu einem Leid.

Ein verhafteter französischer Rechtsanwalt im besetzten Paris des II. Weltkriegs versucht der willkürlichen Hinrichtung zu entgehen. Jean-Pierre Chavel kann sich während der Besatzungszeit durch die Deutschen sein Leben von einem Mithäftling, der sich für ihn hinrichten läßt, erkaufen. Dafür überschreibt er der Familie des todkranken Mithäftling Geld und Besitz. Nach Kriegsende kehrt Chavel auf sein Gut zurück und verdingt sich unter falschem Namen bei den neuen Besitzern. Er verliebt sich in die Schwester des für ihn Hingerichteten, die ihm von ihrem Hass auf Chavel berichtet. Als ein gesuchter Kollaborateur auftaucht und sich als Chavel ausgibt, führt das zur Katastrophe.

“An artist paints his picture not in a few hours but in all the years of experience before he takes up the brush, and it is the same with failure.”

„The Tenth Man“ war unsere August Lektüre im Book Club und es war wieder eine spannende und durchaus kontroverse Diskussion. Wir wissen jetzt, welche unserer Bookclub Kolleginnen uns eher geopfert hätten in einem ähnlichen Szenario, wer sich hingegen für die anderen aufgeopfert hätte 😉

Man merkt diesem schmalen Roman an, dass er ursprünglich als Film-Script für MGM gedacht war und dort aus welchen Gründen auch immer in einer Schublade vor sich hinmoderte, bis er in den 1980er Jahren zufällig entdeckt und endlich veröffentlicht wurde. Mir hat er gut gefallen, ein klassischer Graham Greene – allerdings kommt er nicht an meine Lieblingsbücher von ihm „The End of the Affair“ und „Stamboul Train“ heran.

Das Buch wurde 1988 mit Anthony Hopkins und Kristen Scott Thomas verfilmt und ist derzeit in ganzer Länge auf YouTube zu finden. Mir hat er gut gefallen:

OK – jetzt ihr: Welches der Bücher kennt ihr bereits, teilt ihr meine Begeisterung, konnte ich euch auf irgendwas besonders Lust machen? Lasst doch mal hören:

Hier noch mal die Bücher im Überblick:

  • Junge mit dem schwarzen Hahn – Stefanie vor Schulte erschienen im Diogenes Verlag
  • Alte Sorten – Ewald Arenz erschienen im Dumont Verlag
  • Ein Monat auf dem Land – J. L. Carr erschienen im Dumont Verlag
  • Der Geschmack von Apfelkernen – Katharina Hagena erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag
  • Frau sein – Mely Kiyak erschienen im Hanser Verlag
  • Heimsuchung – Jenny Erpenbeck erschienen im Penguin Verlag
  • Land in Sicht – Ilona Hartmann erschienen im Blumbenbar Verlag
  • Das Seil – Stefan aus dem Siepen erschienen bei DTV
  • The Tenth Man – Graham Greene erschienen im Penguin Verlag

Meine Woche

Gesehen: Rabid (2019) von Jen & Silvia Soska mit Laura Vandervoort. Kanadischer Body-Horror um eine junge Frau, die nach einem Unfall schrecklich entstellt ist und sich einer experimentellen Stammzellenbehandlung, unterzieht, die zu ungewollten Konsequenzen führt. Gelungenes Cronenberg Remake.

Das weiße Rauschen (2001) von Hans Weingartner mit Daniel Brühl. Lukas, ein junger schizophrener Mann, muss sich mit einer neuen Stadt, einer neuen Beziehung und der Paranoia in seinem Kopf auseinandersetzen.

Solid Geometry (2002) Kurzfilm von Denis Lawson mit Ewan McGregor. Das Weltbild eines erfolgreichen jungen Mannes wird auf den Kopf gestellt, als er die Tagebücher seines Ururgroßvaters erbt und beginnt, die darin enthaltenen mystischen geometrischen Theorien zu verfolgen. Basierend auf einer Kurzgeschichte von Ian McEwan. Muss man nicht gesehen haben.

Gehört: Waillee, Waillee – Dorothy Carter, Always on my mind – Willie Nelson, End of Sky – Hang Massive, I’ll probably be asleep – Hachiku, Surrender – Soho Rezanejad, Fade – God is an Astronaut

Gelesen: Do ‘elder Goths’ hold the secret to aging successfully? Die schreckliche Geschichte von Lisa Montgomery, die diese Woche in den USA hingerichtet wurde, Das Geschäftsmodell hinter Q-Anon, Why Dreaming is like taking LSD, Warum viele Menschen immer noch in die Büros gezwungen werden, wie CRISPR genutzt werden könnte, vom Aussterben bedrohte Tiere zu bewahren und Mely Kiyaks Kolumne zu Rechtsextremismus in Deutschland

Getan: viel geschlafen und wieder gesund geworden

Gegessen: diesen warmen Wintersalat und Raclette

Getrunken: Tee und Rotwein

Gefreut: über meinen negativen Corona-Test

Geweint: nein

Geärgert: nein

Geklickt: auf Arnold Schwarzeneggers Video – echt stark, 36000 Feet under the sea

Gestaunt: über die Bilder von Rachael Talibart und über die Bibliothek von Alanis Morissette

Gelacht: über Sarah Silverman: A Speck of Dust (2017) Amerikanische Stand-up-Comedian, Schauspielerin, Sängerin und Autorin. In ihrer Comedy verarbeitet sie gesellschaftliche Tabus und kontroverse Themen wie Rassismus, Sexismus, Politik und Religion.

Gewünscht: diesen Schnaps, diesen Kühlschrank, dieses Haus

Gefunden: nix

Gekauft: eine Yogamatte und FFP2 Masken

Gedacht: „Life is not always a matter of holding good cards, but sometimes playing a poor hand well.“ //Jack London

Meine Woche

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Gesehen: „Prospero’s Books“ (1991) von Peter Greenaway mit John Gielgud. Phantastische opernartige Verfilmung von Shakespeare’s „The Tempest“ mit grandiosem Soundtrack.

Cobra Verde“ (1987) von Werner Herzog mit Klaus Kinski. Die letzte Kollaboration der beiden, ein dunkler Film mit teilweise wunderschönen Aufnahmen aus Ghana.

David Attenborough’s Life that Glows“ (2016) von Joe Loncraine. Einzigartige Naturaufnahmen bioluminiszenter Tiere an Land und vor allen Dingen auch in der Tiefsee. Ich war total beeindruckt.

Gehört: „Up the Wolves“ – The Mountain Goats,  „Foxes“ und „thursday„- kj, „Celestial Fire“ – Shrine, „Life that glows“ – Fraser Purdie, „Prospero’s Books“ – Michael Nyman

Gelesen: „What we learned from Dieter Rams and what we ignored, diesen Artikel über Angela Merkel von Mely Kiyak, diesen Artikel über den Neuroscientist Karl Friston, everything is on sale – even us, the amazing (and scary) technology of japanese train stations, diesen Artikel über den sexistischen Ausrutscher von Martin Solveig, are you ready to consider that capitalism is the real problem und diesen Artikel von Carolin Emcke zum Brexit

Getan: meiner Anwältin alles geliefert

Geplant: durchhalten

Gegessen: Falafeltaler mit Röstkarotten und sehr leckeres Rote Beete Gulasch im Resi Huber

Getrunken: Nero d’Avola Lagnusa

Gefreut: über unser Aktion Sorgenkind Los

Geärgert: phhhh geht halt irgendwann in Stoizismus über. Bin zynisch gespannt was noch kommen könnte, viel fällt mir gerade nicht mehr ein.

Geklickt:  auf diese Rede von Hannah Gadsby, und diese 2018 Bücher Bestenliste aus der New York Times, NPR, Do Lectures und Literary Hub sowie die Top 10 SciFi Bücher 2018 der Chicago Review of Books

Gelacht: Amy Schumer talks sleepover with Cosima & Delphine

Gewünscht: Braun Audio 1, dieses Zelt, diese Rakete

Gestaunt: Full rotation of the moon, wie der Mars klingt

Gefunden: nix

Gedacht: what about this theory. the fear of not being enough. and the fear of being ‚too much.‘ are exactly the same fear. the fear of being you (twitter)

 

Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an – Mely Kiyak

Kiyak

Habe das Buch schon vor einer ganzen Weile geschenkt bekommen und immer wieder bin ich drum herum geschlichen. Ich bin doch so ein Weichei wenn es um Krebs und Sterben geht. Das war schon bei „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ so. Was habe ich geflennt. Mindestens zwei Packungen Kleenex waren durch danach. Und ich heul sonst nie bei Büchern – ich schwör!

Aber jetzt im Urlaub bei Sonne am Himmel, habe ich mich dann einfach mal getraut und wurde mächtig belohnt. Ein wunderbares Buch. Trotz des heftigen Themas hat Mely Kiyak einen wundervoll leichten humorvollen Ton getroffen und man möchte einfach bei ihr sein und ihr und ihrem Papa beistehen.

Sie beschreibt eine wunderbare Vater-Tochter Beziehung, man spürt wie sehr es ihr den Boden unter den Füßen wegreißt als sie erfährt das ihr Vater Lungenkrebs hat. Sie kämpft und streitet für ihn, gegen den zwar reibungslos und auf absolute Effizienz eingestellten Krankenhausapparat, der aber viel an Menschlichkeit zu wünschen übrig läßt.

Mely Kiyak ist eine erfolgreiche Journalistin, die durch die Krankheit ihres Vaters ziemlich aus der Bahn geworfen wird. Sie versucht ihn im wahrsten Sinne durch die Krankheit zu tragen und muss doch einsehen, dass er diesen Kampf alleine führen muss. Frau Kiyak sie scheinen mir eine ganz wundervolle Frau zu sein und ich würde riesig gerne mal einen schwarzen Tee mit ihnen trinken – danke auf jeden Fall für dieses tolle Buch. Ich empfehle es jedem. Selbst Leuten wie mir die Angst vor der Thematik haben.

Es hat auch so viele wunderbare Sätze – ich kam aus dem Markieren gar nicht mehr raus.

„Ich habe dein ganzes Leben zerstört. Das stimmt. Aber nicht wegen deiner Krankheit, Papa. Du warst immer schon anstrengend. Außerdem. Irgendwer versaut einem doch immer das Leben. Besser du als jemand anders.“

„In Deutschland werden jährlich achtundzwanzig Millionen Schlaf- und Beruhigungsmittel gekauft. In achteinhalb Millionen Packungen sind Baldrian und Hopfen drin. Wir sind keine Dichter- und Denkernation. Wir sind eine Schlaf- und Beruhigungsmittelschluckernation. Im Mittelmeerraum schluckt man das Zeug nicht. Da schreit man herum. Da weint man auf Beerdigungen so laut, dass man eine Woche danach heiser ist.“

„Die Vorstellung zu fliegen, macht die schöne Phantasie kaputt. So ist es immer. Mein Leben wäre so einfach, wäre da nicht die Realität.“

„Wäre es nicht ein Akt der Mitmenschlichkeit, dass man eine Frau, die unvorbereitet mit dem Tod ihres Ehegatten konfrontiert wurde, unter keinen Umständen allein in das Zimmer ihres soeben verstorbenen Mannes schickt, damit sie den Schrank leerräumen muss? Wie degeneriert ist der Krankenhausbetrieb eigentlich? Wie gefühlsverstümmelt muss man sein, wenn man einer frischgebackenen Witwe nicht erst einmal ein Glas Wasser gibt? Gibt es nicht die Möglichkeit, einen Geistlichen zu rufen, gibt es keine Krankenschwester, die ein Herz hat? Muss man Krankenhauspersonal immer erst langwierig und kostspielig schulen, damit das Selbstverständliche eintritt?

„Herr Kiyak dachte, nun beginnt der schöne Teil des Lebens. Und wurde krank. Nicht eine Sekunde seines Lebens war er glücklich – meint er. „Quatsch“, sagt seine Tochter. „Du warst glücklich, Du hast es nur vergessen. Fang an zu erzählen!“

Herr Kiyak ist im Fischer Verlag erschienen.