The Noise of Time – Julian Barnes

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In seinem neuesten Buch beschäftigt sich Julian Barnes mit dem Leben des russischen Komponisten Schostakowitsch. Er hat sich dafür drei markante Punkte in dessen Leben ausgesucht. Zu Beginn befinden wir uns im Jahr 1936 und der Autor wurde im stalinistischen Moskau denunziert. Die Kritiker zerreissen ihn und Schostakowitsch fürchtet wie so viele andere, ins große Haus verschleppt zu werden für Verhöre oder Schlimmeres.

Nacht für Nacht sitzt er angezogen mit gepacktem Koffer vor dem Aufzug seiner Wohnung und wartet. Als niemand kommt, legt er sich nach einer Zeit „nur noch“ angezogen auf sein Bett und wartet, doch es kommt noch immer niemand, um ihn zu holen.

Schostakowitsch lebte in gefährlichen Zeiten und  Barnes gelingt es, diese Atmosphäre greifbar zu machen. Die Unsicherheit, die Spekulationen, die Ängste, die Verleumdungen und Denunziationen verursachen beim Lesen regelrechte Beklemmungen. Schostakowitsch bekommt beispielsweise einmal Besuch von einem Parteimitglied, der ihm zu seinem schönen Arbeitszimmer gratuliert, die Abwesenheit eines Stalin-Porträts allerdings moniert und man fühlt beinahe, wie der Autor in kalten Schweiß ausbricht.

„Art belongs to everybody and nobody. Art belongs to all time and no time. Art belongs to those who create it and those who savour it. Art no more belongs to the People and the Party than it once belonged to the aristocracy and the patron. Art is the whisper of history, heard above the noise of time. Art does not exist for art’s sake: it exists for people’s sake.”

Er hat nicht nur Angst um sich, sondern auch um seine Frau und seine kleine Tochter. Das ganze Buch über verurteilt er sich für seine Feigheit, aber ich mag mir nicht einmal ansatzweise vorstellen wie Schostakowitsch es schaffte, unter diesen psychischen Bedingungen soviele wunderbare Werke zu komponieren.

“Being a hero was much easier than being a coward. To be a hero, you only had to be brave for a moment”

Er war stets hin und her gerissen zwischen seinem experimentellen Musikstil und dem konservativen, melodiösen Stil, der bei Stalin und Co besser ankam. Immer wieder sah er sich gezwungen, seine eigenen Werke, aber auch die seiner Kollegen Prokofjew und Stravinsky, abzulehnen oder zu verwerfen.

”Well, life is not a walk across a field, as the saying goes. A soul could be destroyed in one of three ways: by what others did to you; by what others made you do to yourself; and by what you voluntarily chose to do to yourself.”

Die nächste Etappe in Schostakowitschs Leben ist das Jahr 1948, in dem er auf eine Propaganda Tour durch die USA beordert wird. Stalin persönlich übermittelt ihm die „Einladung“. Dieser Abschnitt in sich ist ein kleines Meisterwerk. Er leidet Höllenqualen während dieser Reise, schämt sich für die Erniedrigungen die er hin nimmt um zu überleben.

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Foto: Maxine Frost

Das letzte Mal sehen wir Schostakowitsch als alten Mann in den 1960er Jahren. Stalins Terror-Regime ist vorbei, doch die Tauwetter-Periode Chruschtschows entpuppt sich für Schostakowitsch nach wie vor nicht als Segen.

„Before, there was death; now, there was life. Before, men shat in their pants; now, they were allowed to disagree. Before, there were orders; now, there were suggestions. So his Conversations with Power became, without him at first recognising it, more dangerous to the soul. Before, they had tested the extent of his courage; now, they tested the extent of his cowardice. And they worked with diligence and know-how, with an intense but essentially disinterested professionalism, like priests working for the soul of a dying man.“

Julian Barnes hat eine umwerfende fiktionale Biografie geschrieben, die einem Schostakowitschs Leben im stalinistischen Russland deutlich vor Augen führt. Die Sprache ist wunderschön, ein intelligentes Buch mit einer beklemmende Atmosphäre. „The Noise of Time“ kommt fast an sein „The Sense of an Ending“ heran.

Ein Roman, der einen immer wieder mit der Frage konfrontiert „was hätte ich getan“. Vor vielen Jahren, auf meiner ersten Auslandsreise (!) wäre ich um ein Haar eine Woche lang in Leningrad gestrandet. Ich erinnere mich noch gut an meine Ängste, umringt von bewaffnetem Flughafen-Personal, verzweifelt die Bordkarte suchend und das war schon die happy Gorbatschow-Ära. Puh, nein ich mag mir gar nicht ausmalen wie es ist, wenn man gezwungen ist, sich tatsächlich einmal richtig mutig zu verhalten.

Das Buch erschien auf deutsch unter dem Titel „Der Lärm der Zeit“ bei Kiepenheuer & Witsch.

 

The Master and Margarita – Mikhail Bulgakov

IMG_4654„Manuscripts don’t burn“ schreibt ausgerechnet Bulgakov, dem brennende Manuskriptseiten vermutlich durchaus bekannt sein dürften. Die meisten seiner Werke landeten auf dem Index, seine Stücke wurden oft nach wenigen Aufführungen abgesetzt und verboten. Er selbst hat unermüdlich weitergeschrieben, wenn auch meist für die Schreibtischschublade und wer weiß, ob nicht die eine oder andere Manuskriptseite aus Frust im Feuer gelandet ist.

Die Bookclub November-Lektüre „The Master and Margarita“ war keine leichte Kost, aber die Mühe und das Dranbleiben lohnt sich, es ist ein unglaubliches Buch.

Inspiriert wurde Bulgakov von Goethes „Faust„. Bulgakovs Mephistopheles ist Woland, der mit seiner teuflischen Truppe im stalinistischen Moskau der Dreißiger Jahre ordentlich Chaos anrichtet. Dieses Chaos war Bulgakovs Weg, Rache zu nehmen an der verstockten sowjetischen Gesellschaft, die ihn und sein Werk ein Lebenlang unterdrückte.

“But would you kindly ponder this question: What would your good do if
evil didn’t exist, and what would the earth look like if all the shadows
disappeared? After all, shadows are cast by things and people. Here is the
shadow of my sword. But shadows also come from trees and living beings.
Do you want to strip the earth of all trees and living things just because
of your fantasy of enjoying naked light? You’re stupid.”

Ganz besonders die Kunst- und Literaturszene bekommt ihr Fett weg, die damals angesagten Autoren und Literaturkritiker, die Bulgakov hasste. Seine Satire macht auch vor den Unmengen an Bürokraten und Aktenschiebern nicht Halt, zeigt wie absurd einfach es war, Leute verhaften zu lassen oder in Irrenanstalten abzuschieben. Er hält den Finger auf die Alltags-Absurdität dieser Moskauer Gesellschaft unter Stalins Herrschaft.

Kein Wunder also, dass sich jede Menge seiner Charaktere im Laufe der Geschichte in der Irrenanstalt wiederfinden, einem der wenigen Orte im Buch, in dem es einigermassen vernünftig zugeht.

Viele Menschen glaubten damals, dass viele der Verfolgungen, Verhaftungen, idiotischen Verordnungen auf dem Mist der Bürokraten gewachsen waren und sich alles sofort bessern würde, wüßte Stalin nur von diesen Dingen.

Auch Bulgakov suchte bei Stalin Unterstützung, er war Stalins Lieblingsautor, wie dieser verlauten ließ, und 1929 schreibt er ihm einen persönlichen Brief und bittet ihn darum, die Sowjetunion verlassen zu dürfen, wenn es für ihn in keine Verwendung als Autor gäbe. Stalin ruft in auch tatsächlich an und fragt ihn, ob er die Sowjetunion wirklich verlassen wolle. Bulgakov antwortete, dass ein russischer Schriftsteller nicht außerhalb seines Heimatlandes leben könne. Daraufhin bekam er von Stalin die Erlaubnis, am Art Theater weiterzuarbeiten, allerdings hatte diese Erlaubnis keinerlei Einfluß auf die Veröffentlichung seiner Werke, die nach wie vor nicht erfolgte.

Bulgakov arbeitet ab 1928 über zehn Jahre lang am „Meister und Margarita“. Seine letzten Jahre waren für ihn aus unterschiedlichen Gründen schwer. Gesundheitlich schwer angeschlagen, durch Verletzungen aus dem ersten Weltkrieg sowie eine vom Vater geerbte Nierenkrankheit, der er letztendlich auch erliegen sollte sowie depressive Phasen, wenn er für sich und sein Werk partout keine Hoffnung sah.

Kurz vor Fertigstellung des Manuskripts schrieb Bulgakov an seine dritte Frau Yelena Shilovskaya (die die Inspiration für den Charakter Margarita im Buch ist):

„What’s its future? you ask? I don’t know. Possibly, you will store the manuscript in one of the drawers, next to my „killed“ plays, and occasionally it will be in your thoughts. Then again, you don’t know the future. My own judgement of the book is already made and I think it truly deserves being hidden away in the darkness of some chest …“

Kurz vor seinem Tod organisierte Bulgakov eine private Lesung des „Masters and Margarita“ vor einem Kreis enger Freunde. Yelena Bulgakova erinnert sich noch 30 Jahre später in ihrem Tagebuch: „When he finally finished the reading that night, he said: „Well, tomorrow I am taking the novel to the publisher!“ and everyone was silent“, „…Everyone sat paralyzed. Everything scared them. One friend later at the door fearfully tried to explain to me that trying to publish the novel would cause terrible things“.

Auch wenn man nicht immer ganz sicher ist, was gerade passiert, die Geschichte ist stellenweise irre komisch, die Charaktere teilweise so liebenswert. Man will einfach wissen, wie es weitergeht mit Woland, der weit weniger dämonisch ist wie Mephistopheles und jedem das Schicksal beschert, das jeder einzelne verdient hat.

“You’re not Dostoevsky,‘ said the citizeness, who was getting muddled by Koroviev. Well, who knows, who knows,‘ he replied.
‚Dostoevsky’s dead,‘ said the citizeness, but somehow not very confidently.
‚I protest!‘ Behemoth exclaimed hotly. ‚Dostoevsky is immortal!”

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Foto: adme.ru

Der „Master“ setzt mit seiner Figur allen unterdrückten Schriftstellern ein ewiges Denkmal und seine Margarita ist einfach ein Goldstück. Obwohl der Meister und Margarita im Titel des Buches sind, war ich überrascht, dass ihre Geschichte nur einen kleinen Teil des Buches ausmacht und sie bis zum zweiten Teil des Buches gar nicht auftauchen.

Es ist aber nicht nur ein Buch, bei dem man sich auf schwarze Magie, Entführungen, Enthauptungen, sprechende Katzen und eine Menge anderer verrückter diabolischer Einfälle einlassen muss, es ist auch eine wunderschöne Liebesgeschichte.

Margarita hat keine Angst vor dem Teufel. Sie agiert als seine Balldame, und fliegt als Hexe auf einem Besen über Moskau in der Hoffnung ihren Liebhaber, den Meister, wiederzufinden. Dieser sitzt derweil in der Psychiatrie. Sein Buch über Pontius Pilatus und einer etwas anderen Variante der Verurteilung Jesus‘ wurde von den kleingeistigen gesetzestreuen Verlegern abgelehnt. Das führt bei ihm zum kompletten Kollaps, er verbrennt sein Manuskript und endet in der Psychiatrie.

Das Manuskript ist am Ende aber wieder da, denn wie wir ja wissen: „Manuscripts don’t burn“

Eine sehr schöne Rezension zu „Der Meister und Margarita“ findet ihr auch hier bei Muromez.

“Everything will turn out right, the world is built on that.”

Das Buch erschien auf deutsch unter dem Titel „Der Meister und Margarita“ im dtv Verlag.