Müdigkeitsgesellschaft – Byung-Chul Han

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Um die Wahrheit zu sagen – das Büchlein hat mich ordentlich gefordert, aber genau das mag ich an Herrn Han. Das ich die Sätze erst marinieren lassen muss, bevor sie langsam zugänglich werden (was vermutlich für Herrn Han spricht, meine intellektuellen Kapazitäten wohl eher schmälert).

Er irritiert mich oft nachhaltig, der aus Seoul stammende und an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe lehrende Philosoph. Der Rektor dieser Uni ist im Übrigen Herr Sloterdijk, aber das nur am Rande.  Er tut das zum Beispiel, wenn er in der westlichen Welt ein Problem im Übermaß an Positivität zu erkennen glaubt. Erstmal – hmmm? Schneller zugänglicher und nachvollziehbarer ist für mich seine These, dass sich der moderne Mensch in unserer Leistungsgesellschaft zur permanenten Selbstoptimierung gezwungen sieht und sich daher selbst ins Hamsterrad verfrachtet hat. Keine Außenkontrolle, die die Peitsche schwingt, das macht er schon schön selbst mit sich aus, der moderne Mensch.

„Sie (die Depression) bricht in dem Moment aus, in dem das Leistungssubjekt nicht mehr können kann.“

„Die Klage des depressiven Individuums ,Nichts ist möglich’ ist nur in einer Gesellschaft möglich, die glaubt Nichts ist unmöglich.“

Das Buch hat erstaunlichen Erfolg gehabt und war nach kurzer Zeit schon ausverkauft, was insbesondere für ein philosophisches Buch eine echte Leistung ist. Ob beim Titel „Müdigkeitsgesellschaft“ einige beim Kauf einen Burn-Out-Ratgeber erwarteten, kann ich nicht belegen, aber die Vermutung hat sich mir aufgedrängt.

Han beleuchtet in seinem Büchlein die neben den Leitmedien und den Leitkulturen bestehenden Leitkrankheiten unseres Zeitalters. Das bakteriologische Zeitalter endete mit der erfolgeichen Verbreitung von Antibiotika, wir dagegen müssen uns im beginnenden neuronal bestimmten  21. Jahrhundert erst noch erfolgreich nach Heilung umschauen. Unser Zeitalter ist geprägt von Neuro-Erkrankungen: Burn-Out, Depression, ADHS, unterschiedlichsten Angst und Persönlichkeitsstörungen.

Han belegt seine Theorie des neuronalen Zeitalters mit Anekdoten und Beispielen aus der Wirtschaft, der Arbeit, der Politik. Wo es im bakteriologischen Zeitalter um die Bekämpfung eines Feindes von außen ging, sitzt er im neuronalen in uns drin. Dann macht irgendwann auch das Übermaß an Positivität Sinn, von dem er spricht. Die Bedrohung sitzt eben nicht außen, ist nicht im Anderen, sondern liegt an einem Übermaß am Gleichen, für die es keine natürliche Abwehrreaktion gibt. Gegen Hyperaktivität oder Dauerkommunikation gibt es keine Abwehrreaktion des Körpers, wie auch nicht bei einem Zuviel an Zucker oder Fett. Die sind ja kein wirklicher Feind, die werden es erst bei einem Zuviel.

„Nicht-Mehr-Können-Können führt zu einem destruktiven Selbstvorwurf und zur Autoagression.“

„In der freien Wildbahn ist das Tier dazu gezwungen, seine Aufmerksamkeit auf diverse Tätigkeiten zu verteilen. So ist es zu keiner kontemplativen Versenkung fähig – weder beim Fressen noch beim Kopulieren. Das Tier kann sich nicht kontemplativ in sein Gegenüber versenken, weil es gleichzeitig den Hintergrund bearbeiten muss. Nicht nur Multitasking, sondern auch Aktivitäten wie Computerspiele erzeugen eine breite, aber flache Aufmerksamkeit, die der Wachsamkeit eines wilden Tieres ähnlich ist…. Die Sorge um das gute Leben, zu dem auch das gelingende Zusammenleben gehört, weicht immer mehr der Sorge ums Überleben.“

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Sehr spannend ist auch die Idee der positiven Gewalt, die aus uns selbst kommt, zum Beispiel in der Arbeitswelt, wo wir uns von der Disziplinargesellschaft gelöst haben, die mit Stechuhr und Regelbuch regiert und uns in eine Welt manövriert, die auf Eigenmotivation und Eigenverantwortung setzt, wo wir uns selbst als eigene Ich-AG auf dauernde Leistungssteigerung konditioniert haben. Es geht also von der „Negativität des Sollens“ zu einer weitaus effektiveren „Positivität des Könnens“. Auch hier wieder – das Übermaß ist es, worin die Gefahr für das Individuum und die Gesellschaft besteht.

„An die Stelle von Verbot, Gebot oder Gesetz treten Projekt, Initiative und Motivation. Die Disziplinargesellschaft ist noch vom Nein beherrscht. Ihre Negativität erzeugt Verrückte und Verbrecher. Die Leistungsgesellschaft bringt dagegen Depressive und Versager hervor.“

„Das Leistungssubjekt befindet sich mit sich selbst im Krieg. Der Depressive ist der Invalide dieses internalisierten Krieges.“

Das sich selbst ausbeutende Subjekt, das einen Krieg mit sich selbst führt, ist müde und bekommt im Ernstfall Burn-Out oder Depressionen, wenn es gut läuft nur mal einen kräftigen Anfall von FOMO (Fear of missing out). Das „Alles ist Möglich“ hat eben auch eine erschreckende Kehrseite. Wenn es keine „Entschuldigungen“ mehr gibt, weil nahezu jedem fast alle Möglichkeiten offen stehen, dann gibt es eben auch keine Entschuldigungen mehr, wenn es nicht klappt. Wir sind daher permanent dabei, unendlich viele Möglichkeiten zu evaluieren um ja die richtige Entscheidung zu treffen. Was für ein Stress.

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„Der depressive Mensch ist jenes animal laborans, das sich selbst ausbeutet, und zwar freiwillig, ohne Fremdzwänge.“

Byung-Chul Han hat einen spannenden, anregenden häufig kontroversen Essay geschrieben, den wärmstens empfehle.  Und lasst Euch gelegentlichenen von Bartlebys „I would prefer not to“ inspirieren.

In der Zeit war kürzlich auch dieses sehr interessantes Interview mit Byung-Chul Han zu lesen:

http://www.zeit.de/zeit-wissen/2014/05/byung-chul-han-philosophie-neoliberalismus

Ach ja und die coole Bettwäsche im Bild ist im übrigen eine Eigenkreation der zauberhaften Ms Confusion – wer auch so etwas möchte bitte hier entlang 😉

Das Buch ist im Matthes & Seitz Verlag erschienen.

Der Neid der Besitzlosen

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Ein Telefonat mit einer Freundin, das sich um das Thema „Midlife-Crisis“ drehte, brachte mich zu der Erkenntnis, das ich nicht zu Lebensmitte-Krisen neige, da ich schon seit Ewigkeiten mit einer sehr existentiellen Dauerkrise beschäftigt bin. Mein Neid als Besitzlose.

Ich habe eigentlich schon so lange ich denken kann, Menschen beneidet die die Freiheit hatten, für ihren Lebensunterhalt nicht arbeiten zu MÜSSEN. Anfangs war ich noch sehr verwirrt, weil das sich für mich seltsam anfühlte. Ich bin doch eigentlich nicht geldgeil. Habe wenig Interesse an Designer-Klamotten, Autos, Uhren oder anderen Status-Symbolen. Also wenn es nicht unbedingt das Geld ist, worauf ich neidisch bin, worauf denn dann genau zur Hölle???

Irgendwann dämmerte es mir dann. Ich neide ihnen die Freiheit. Nicht neiden im Sinne von „sollen die nicht haben“, sondern der gute alte Neid in Form von „will ich auch“. Freiheit ist eines meiner absoluten wichtigsten Dinge im Leben. So wichtig, dass ich es mir u.a. fett auf die Wade tätowiert habe. Mir war es immer schon sehr wichtig, mein Glück und meine Zufriedenheit nicht zu eng an Geld und Status zu koppeln. Habe ich Geld, haue ich es raus. Ich bin ein Genussmensch – ich liebe es, gut zu essen, zu reisen, ich lade auch gerne ein und bin da nicht sehr sparsam-vernünftig, bin aber auch nicht der Typ, der sich verschulden würde. Ich mache mein Glück aber nicht davon abhängig. Mein Glück definiert sich viel eher über die kleinen Dinge, die nichts oder wenig kosten und die eventuell gerade deshalb noch viel kostbarer sind.

Ich mag gebrauchte Sachen. Ob Bücher oder Klamotten, CDs – alles mögliche wird einem heutzutage gebraucht nahezu hinterher geworfen. Ich verreise gerne, habe aber einen genauso schönen Urlaub mit Baden, Radeln an der Isar und Ausflüge in die nahegelegenen Berge. Gutes Essen ist wichtig, aber dafür brauche ich keine Restaurants, selbst kochen mit guten Lebensmitteln und nix wegwerfen tut es genauso. Aber, etwas, worauf ich einfach nahezu keinen Einfluss habe, ist das (viele) Geld, das ich brauche, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Klar kann man sagen „musst ja nicht mitten in München wohnen“, aber selbst weiter draußen ist das mieten oder gar kaufen überdurchschnittlich teuer. Ein Leben ohne bezahlte Erwerbstätigkeit wäre mir nicht möglich, da ich sonst kein Dach über dem Kopf hätte. Und das ist die Freiheit die ich meine, die, die ich neide.

Versteht mich nicht falsch, ich liebe meinen Job. Und zu 99% würde ich ganz genau das Gleiche machen wie jetzt, wenn ich meine bezahlte Erwerbstätigkeit nicht machen müsste, sondern machen könnte. Einfach, weil sie mir gefällt. Das Endergebnis mag das Gleiche sein. Ich arbeite. Ist es nicht egal, ob ich das mache, weil ich es muss oder weil ich es kann? Für mich nicht. Für mich ist es ein Riesenunterschied.

Glücklicherweise ist es ein mich nicht krankmachender Neid. Es ist an schlimmen Tagen mal ein Neid von der Sorte – ich werfe mich auf den Boden, trampel mit den Füßen und brülle „ich will aber auch“ – an weniger schlimmen Tagen ist es einfach nur ein leichtes melancholisches Seufzen auf hohem Niveau.

Käme eine gute Fee vorbei und ich hätte 3 Wünsche frei, wäre dies einer davon. Natürlich neben dem obligatorischen Wunsch von Gesundheit für mich und alle meine Lieben. Mein Wunsch wäre, diese Art von Freiheit für alle die Menschen, die sie möchten. Für alle, die den Mangel an ebendieser Freiheit jeden Tag spüren. Ich glaube nicht, dass ich die Einzige bin. Ich glaube, dass es mehr Menschen gibt, als man denkt, die – ob berechtigt oder unberechtigt -annehmen, in Jobs ausharren zu müssen, die ihnen keinen Spass machen, die nicht ihren Talenten entsprechen, in denen sie unsinnige Regeln befolgen müssen, sinnfrei genau 8 Stunden an einem Schreibtisch sitzen, weil irgendwann mal irgendwer beschlossen hat das es genau 40 Stunden in einer Woche sind, für die man die Summe x ausgezahlt bekommt. Egal ob das tatsächlich produktiv ist oder nicht.

Wie gesagt, mein Job macht mir Spaß. Macht mich nicht krank sondern glücklich. Und trotzdem sehne ich mich nach der Freiheit, für meinen Lebensunterhalt nicht arbeiten zu MÜSSEN, sondern zu können. Wie mag es dann erst für Menschen sein, die auch noch in fürchterlichen Jobs sind. Die richtig viel Lebenszeit für irgendeinen Schwachsinn opfern müssen, weil das nun mal so ist.

Und das ist es, worum ich die Leute in bestimmten Gegenden Münchens beneide, wenn ich durch die Strassen radel. Um die schönen alten Häuser mit dem alten Baumbestand. In denen Menschen sitzen, die ihre Talente ausprobieren können. Die einfach geduldig über Jahre ein Holzhaus renovieren oder Gitarren bauen. Mit all der Liebe und Zeit und Geduld die es braucht, um etwas Gutes zu schaffen. Ich neide nicht das Geld, das diese Häuser wert sind, ich wäre auch mit einem klitzekleinen Haus sehr glücklich (alter Baumbestand wäre aber schon sehr schön), nur die Möglichkeiten, die zumindest häufig mit diesen Häusern verbunden sind.

Die Kinder von Prominenten oder gutsituierten Menschen werden ganz selten Sparkassen-Angestellte oder Einzelhandelskaufmann oder Sachbearbeiter in der Versicherung. Die haben die Freiheit, sich ausprobieren zu können ohne von vornherein wissen zu müssen ob es auch gutgehen wird. Wie schön, die Gitarren bauen zu können, die man selbst gutfindet und an die man glaubt. Abwarten zu können, dass sie sich durchsetzen gegen schlechtere, billigere Modelle. Eben weil da kein ökonomischer Druck ist, erfolgreich sein zu müssen. Und es ist ja meistens so – hat man den Luxus der inneren Gelassenheit und ist unverkrampft, rennen sie einem oft die Bude ein. Ist man krampfhaft auf der Suche, ob als Single nach einem Partner oder als Produzent nach einem Käufer, geht es meistens in die Hose. Unverkrampft bleiben, wenn die nächste Mietzahlung fällig ist, aber noch nicht genug vertickt ist, ist allerdings eine Gabe, die mir zumindest nicht gegeben ist.

Mir ist schon klar, auch in den schönen Häusern mit dem alten Baumbestand ist nicht immer eitel Sonnenschein und alles happy, aber ich habe auch nie behauptet das mein Neid auf purer Logik basiert.

Wie sagte schon Tocotronic – „Pure Vernunft darf niemals siegen“ 😉