September Lektüre

Der September hat sich als Lesemonat auch wirklich nicht lumpen lassen. 9 Bücher und ein Hörbuch – das kann sich sehen lassen und wieder kein wirklicher Ausfall dabei. Wie schön. Lasst uns loslegen, ich möchte euch auf ein paar wirklich schöne Bücher neugierig machen und bin auch sehr gespannt wie euer Lesemonat war. Was hat euch begeistert? Oder enttäuscht? Und ich bin gespannt, welche meiner Vorstellungen ihr bereits kennt oder auf welche ich euch Lust machen kann. Freue mich auf eure Rückmeldungen.

Artful – Ali Smith auf deutsch unter dem Titel „Wem erzähle ich das“ im Luchterhand Verlag erschienen, übersetzt von Silvia Morawetz

Ali Smiths Artful hat mich auf eine Weise bewegt, die ich nur schwer in Worte fassen kann. Es ist eines dieser Bücher, die einen sofort in ihren Bann ziehen, obwohl – oder vielleicht gerade weil – es sich jeder klaren Kategorisierung entzieht. Es ist weder ein Roman noch eine einfache Sammlung von Essays, sondern eine seltsame, faszinierende Mischung aus beidem. Die vier Kapitel basieren auf Vorlesungen, die Smith ursprünglich an der Universität Oxford gehalten hat, und doch fühlt sich das Buch eher wie ein poetischer, manchmal sogar traumähnlicher Dialog an – zwischen Leben und Tod, zwischen Kunst und Denken.

Die Erzählung, die sich durch das Buch zieht, handelt von einer Frau, die nach dem Tod ihrer Geliebten trauert und plötzlich von deren Geist heimgesucht wird. Diese Tote ist nicht nur ein vages Gespenst; sie ist chaotisch, unordentlich, sie spricht in Rätseln, stiehlt Gegenstände und verbreitet einen Geruch, der die Nachbarn beunruhigt. Was mich daran so fasziniert hat, war, wie natürlich und zugleich verstörend Smith diesen Übergang zwischen Leben und Tod beschreibt. Es ist nicht das Drama eines tragischen Verlustes, sondern eher eine leise, seltsam humorvolle Akzeptanz des Unerwarteten.

“We do treat books surprisingly lightly in contemporary culture. We’d never expect to understand a piece of music on one listen, but we tend to believe we’ve read a book after reading it just once.”

Gleichzeitig spielt Smith meisterhaft mit den Themen Zeit, Form und Kunst. Manchmal fühlte es sich an, als wäre ich in einem wilden Gedankenspiel gefangen, das von einem intellektuellen Abendessen zu stammen schien, bei dem Figuren wie Virginia Woolf, Freud und Shakespeare zusammenkommen. Die ständige Bewegung zwischen intellektuellem Diskurs und ganz persönlichen, emotionalen Momenten hat mich tief beeindruckt. Es ist, als würde Smith mit Leichtigkeit zwischen den Ebenen von Gedanken und Gefühlen hin- und herspringen und dabei eine emotionale Tiefe erreichen, die mich oft unvorbereitet getroffen hat.

Recitatif – Toni Morrison erschienen unter dem Titel „Rezitativ“ im Rowohlt Verlag übersetzt von Tanja Handels

Toni Morrisons „Rezitativ“ ist eine unglaubliche Geschichte, die mich einfach nicht loslässt. Sie erzählt von zwei Mädchen, Twyla und Roberta, die in einem Heim aufwachsen. Eine ist weiß, die andere schwarz – doch Morrison gibt uns nie klar zu erkennen, wer welche Hautfarbe hat. Und genau das macht den Reiz der Geschichte aus: Man glaubt ständig, die Lösung zu wissen, doch dann zweifelt man wieder. Die Vorurteile, die man selbst mitbringt, werden dabei auf subtile Weise herausgefordert.

Was mich am meisten beeindruckt hat, ist, wie Morrison es schafft, unsicher zu bleiben. Jede Szene scheint Hinweise zu liefern, und doch bleibt man bis zum Ende ratlos. Es geht dabei nicht nur um die Hautfarbe der Protagonistinnen, sondern um viel mehr: um Vorurteile, um Machtstrukturen und um die Art und Weise, wie wir Menschen in Schubladen stecken. Diese Unsicherheit zieht sich durch die gesamte Geschichte und sorgt dafür, dass man sie auch lange nach dem Lesen nicht aus dem Kopf bekommt.

“Difficult to “move on” from any site of suffering if that suffering goes unacknowledged and undescribed.”

Interessant fand ich auch das Nachwort von Zadie Smith, das mir nochmal eine neue Perspektive eröffnet hat: Weiße Leserinnen und Leser neigen dazu, die Protagonistin als weiß zu lesen, während schwarze Leserinnen und Leser sie oft als schwarz interpretieren. Es zeigt, wie stark unsere Wahrnehmung von den eigenen Erfahrungen geprägt ist.

„Rezitativ“ ist viel mehr als nur eine Geschichte über zwei Mädchen – es ist ein intensives Spiel mit Wahrnehmung und Identität. Es zwingt einen dazu, sich selbst und die eigenen Vorurteile zu hinterfragen. Für mich war es eine Lektüre, die nachhallt und die ich sicher noch mehrmals lesen werde. Ganz große Klasse von Toni Morrison!

So long, see you tomorrow – William Maxwell auf deutsch unter dem Titel „Also dann bis morgen“ im Hanser Verlag erschienen, übersetzt von Benjamin Schwarz

Maxwells Roman, der nur 134 Seiten umfasst, beginnt mit einer außerehelichen Affäre und einem Mord in einer kleinen Stadt in Illinois zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Ich-Erzähler schildert die Ereignisse um den Mord, versucht aber gleichzeitig, sich emotional davon zu distanzieren. Während er sich erinnert, reflektiert er über den Wandel der Welt seit seiner Kindheit.

Was mir besonders gut gefallen hat, ist Maxwells Fähigkeit, die Charaktere so lebendig und vielschichtig darzustellen. Obwohl die Handlung eher ruhig verläuft, sind es diese fein ausgearbeiteten Figuren, die das Buch tragen. Vor allem die Beziehung des Erzählers zu seinem Freund Cletus, dessen Vater den Mord beging, bleibt im Gedächtnis. Der Erzähler quält sich bis ins hohe Alter mit Schuldgefühlen, weil er Cletus nach dem Mord ignorierte, als sie sich in der Schule begegneten.

Maxwell erzählt eine leise Geschichte, die tief bewegt, die zeigt, wie stark Kindheitserinnerungen und Schuld das Leben eines Menschen prägen können. Für alle, die langsame, tiefgründige Romane mögen, ist So Long, See You Tomorrow absolut empfehlenswert.

„I had to find an explanation other than the real one, which was that we were no more immune to misfortune than anybody else, and the idea that kept recurring to me…was that I had inadvertently walked through a door that I shouldn’t have gone through and couldn’t get back to the place I hadn’t meant to leave.“

William Maxwell (1908–2000) war ein amerikanischer Schriftsteller und über 40 Jahre Lektor beim New Yorker. Neben seinen Romanen schrieb er auch Kurzgeschichten und Kinderbücher, und seine Werke sind bekannt für ihre sensible Darstellung zwischenmenschlicher Beziehungen.

The Last Supper – Rachel Cusk erschienen im Picador Verlag – bislang nicht auf deutsch übersetzt

Rachel Cusks „The Last Supper“ ist ein ungewöhnliches, persönliches Reisebuch, das mich auf eine eigenwillige und charmante Reise durch Italien mitgenommen hat. Es ist kein klassischer Reisebericht, in dem schöne Landschaften und sonnige Tage im Vordergrund stehen. Stattdessen widmet sich Cusk der Kunst, dem Alltag und ihren inneren Beobachtungen, und sie tut dies mit einer Sprache, die oft poetisch und metaphorisch ist. Ihre Beschreibungen der Renaissance-Kunstwerke, die sie mit ihrer Familie betrachtet, wirken oft fast spirituell, als ob die Figuren auf den Gemälden ihr eigene Geschichten zuflüstern.

Es geht in diesem Buch jedoch nicht nur um Kunst und Architektur. Was mich besonders faszinierte, ist, wie Cusk ihre Umgebung und ihre Erlebnisse durch ihre eigene, kritische Linse betrachtet. Sie hinterfragt die touristischen Klischees von Italien, die Vorstellung von der „italienischen Lebensart“ und auch die Simplizität des Essens, die oft romantisiert wird. Wiederholt essen sie und ihre Kinder dasselbe einfache Essen – Tomaten, Schafskäse, grobes Brot – und beginnen, die Vielfalt des Essens in ihrer Heimat als etwas fast Groteskes zu empfinden.

„I wish I could learn how to read the structure of life as a weathermen read the structure of clouds, where the future must be written, if only you knew what to look for“

Interessanterweise wird in The Last Supper Cusks Ehemann nicht ein einziges Mal erwähnt, obwohl ihre beiden Töchter eine wichtige Rolle in der Erzählung spielen. Sie sind präsent, sie reisen mit, sie reagieren auf die fremde Umgebung – aber der Mann, mit dem sie in Italien unterwegs ist, bleibt unsichtbar. Es wirkt fast so, als wäre er in ihrer Wahrnehmung bereits verblasst, obwohl das Buch während der Ehe geschrieben wurde. Nur wenige Jahre nach der Veröffentlichung ließen sich die beiden tatsächlich scheiden. Die Tatsache, dass er nicht auftaucht, verleiht der Geschichte eine subtile Spannung und lässt Raum für Spekulationen.

Rachel Cusk wurde 1967 in Kanada geboren, zog aber im Alter von acht Jahren mit ihrer Familie nach Großbritannien. Sie studierte Englische Literatur in Oxford und veröffentlichte 1993 ihren ersten Roman Saving Agnes, für den sie den Whitbread First Novel Award gewann.

Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull – Thomas Mann erschienen im S. Fischer Verlag

Thomas Manns „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ hat mich total überrascht. Eigentlich hatte ich erwartet, dass mich der Stil überfordern könnte, oder ich wie beim Zauberberg kurz vor Schluß einfach nicht mehr mag, aber genau das Gegenteil war der Fall: Die Sprache ist ein reiner Genuss! Mann schreibt mit einer Eleganz und Leichtigkeit, die mich sofort in die Geschichte hineingezogen hat.

Manns Sprache ist ein Hochgenuss – elegant, ironisch und dabei erstaunlich leicht zugänglich. Schon nach wenigen Seiten war ich ganz im Bann von Felix Krull, einem Hochstapler mit so viel Charme und Witz, dass man ihm einfach alles verzeihen will. Er stiehlt sich durch die Gesellschaft mit einer Leichtigkeit, die mich fasziniert hat, und gleichzeitig ist er so sympathisch, dass ich mich fast ertappt fühle, wie ich ihm innerlich zujubelte.

Felix Krull selbst ist eine faszinierende Figur. Er ist ein Hochstapler, ja, aber einer mit so viel Charme und einem goldenen Herz, dass man ihm seine Täuschungen fast schon verzeiht. Die Art, wie er sich durch die Gesellschaft bewegt, immer mit einem Augenzwinkern, ist so unterhaltsam, dass ich mir fast wünsche, ihm mal im echten Leben zu begegnen – idealerweise bei einem Glas Champagner. Trotz seiner Betrügereien bleibt er durchweg sympathisch, was vor allem an der Art liegt, wie Mann ihn darstellt: als jemanden, der die Regeln der Gesellschaft geschickt ausnutzt, ohne dabei wirklich boshaft zu sein.

„Es war der Gedanke der Vertauschbarkeit. Den Anzug, die Aufmachung gewechselt, hätten sehr vielfach die Bedienenden ebensogut Herrschaft sein und hätte so mancher von denen, welche, die Zigarre im Mundwinkel, in den tiefen Korbstühlen sich rekelten – den Kellner abgeben können. Es war der reine Zufall, daß es sich umgekehrt verhielt – der Zufall des Reichtums; denn eine Aristokratie des Geldes ist eine vertauschbare Zufallsaristokratie.“

Interessant ist auch, dass Felix Krull schon früh in Manns Leben eine Rolle spielte. Bereits 1911 tauchte die Figur erstmals in einer Erzählung auf, und Mann kehrte später zu ihr zurück, als er sich mehr dem Humor und der Leichtigkeit zuwandte. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Werke, die oft von existenziellen Themen durchzogen sind, ist „Felix Krull“ ein eher heiteres und spielerisches Werk – fast so, als hätte Mann hier eine Pause vom Ernst des Lebens machen wollen. Ich kann im Übrigen auch die Verfilmung aus dem Jahr 1957 von Kurt Hoffmann mit Horst Buchholz in der Hauptrolle empfehlen – hat mir sehr gefallen.

Unbedingte Empfehlung – jetzt hab ich richtig Lust auf die Buddenbrocks bekommen.

Wie sieht es bei euch aus? Thomas Mann – yeahhh oder mehhh?

Brian – Jeremy Cooper erschienen bei Fitzcarraldo Editions, bislang nicht auf deutsch übersetzt

Ich hatte eigentlich nur vor, mal kurz in Jeremy Coopers Roman Brian reinzulesen, bin aber direkt hängengeblieben. Das Buch hat mich einfach reingezogen. Der Fitzcarraldo Verlag ist ein faszinierender Verlag aus London mit interessanten Romanen oft in Übersetzung bei dem ich oft fündig werde.

Cooper erzählt die Geschichte von Brian, einem einsamen Mann, der sein Leben um seine täglichen Routinen herum gebaut hat – ein Job im Camden Council, Mittagessen im Café Il Castelletto und zurück in seine kleine Wohnung. Alles läuft in geordneten Bahnen, bis Brian eines Tages das BFI (British Film Institute) entdeckt und das Kino zu einem festen Teil seines Lebens wird. Ab da sieht er sich fast jeden Abend Filme an, von Ozu über Fellini bis zu Varda, und findet so endlich eine Gemeinschaft, eine Gruppe von gleichgesinnten Filmfans. Es ist eine so schöne Idee, wie das Kino für ihn zu einem Zufluchtsort wird, wo er Freundschaft und Zugehörigkeit erlebt – etwas, das ihm sein bisheriges Leben nicht bieten konnte.

Die Art, wie Cooper die innere Welt von Brian beschreibt, ist so nah und gleichzeitig distanziert, dass man den Charakter förmlich vor sich sieht. Und ja, ich ertappe mich jetzt schon dabei, dass ich mich im Kino umsehe, ob Brian vielleicht irgendwo sitzt. Es ist ein Charakter, der einem einfach nicht aus dem Kopf geht.

„All his life, everywhere he went, Brian had shunned attention, the scars unhealed from being singled out at school in Kent as different and blamed for being so, by teachers, by other boys and by his mother. To ease his hurt he had made himself an expert at forgetting, a skill now matured, able most of the time to erase unwelcome thoughts and happenings. It did mean that he needed to hold himself on constant altert, ready to combat the threat of being taken by surprise, a state-of-being he had managed to achieve without the tension driving him crazy. There had been costs, by now discounted and removed from memory.“

Ich finde, das Buch macht auf eine sanfte, unaufgeregte Weise klar, wie stark Kunst – und in diesem Fall eben Filme – unser Leben bereichern und uns zu uns selbst führen kann. Brian erlebt das durch seine Filmleidenschaft, und ich denke, das ist etwas, womit sich viele identifizieren können, die im Kino einen besonderen Ort gefunden haben.

Wer Filme liebt und sich für das Zwischenmenschliche interessiert, sollte Brian unbedingt lesen. Es ist ein leises, aber nachhallendes Buch, das riesige Lust aufs Kino macht und meine Filmliste ist um etliches länger geworden. Große Empfehlung!

Wandering Souls – Cecile Pin erschienen im Atlantik Verlag, übersetzt von Maria Hummitzsch

Cecile Pins Debütroman Wandering Souls ist ein bewegender Roman, der die vietnamesische Flüchtlingserfahrung und die psychischen Belastungen der Assimilation einfängt. Es war mir in der Buchhandlung ins Auge gefallen, habe kurz reingelesen und konnte es gar nicht mehr aus der Hand legen. Pin nimmt uns mit auf die Reise der 16-jährigen Anh und ihrer jüngeren Brüder Minh und Thanh, die sich nach dem Vietnamkrieg auf die gefährliche Flucht nach Hongkong begeben. Die Familie ist gezwungen, auf zwei verschiedenen Booten zu reisen, und nur die drei älteren Geschwister erreichen ihr Ziel. Ihre Eltern und vier weitere Geschwister kommen auf tragische Weise ums Leben.

„Die Vietnamesen haben diese Tradition“, sagte er. „Sie glauben, dass man die Toten angemessen in ihrem Heimatort beerdigen muss. Tut man das nicht, sind Ihre Seelen dazu verdammt, als Geister auf der Erde herumzuirren.“

Die Geschichte setzt drei Jahre nach dem Abzug der US-Truppen ein, als Vietnam in politischem und wirtschaftlichem Chaos versinkt. Anh, Minh und Thanh landen nach vielen Stationen – darunter Flüchtlingslager und Ablehnung durch die US-Einwanderungsbehörde – in London. Dort kämpfen sie in den 1980er Jahren mit den Herausforderungen des Lebens in einer neuen, oft feindseligen Umgebung. Besonders Anh trägt als älteste Schwester die Last der Verantwortung, während Minh in Schwierigkeiten gerät und Thanh versucht, sich in der neuen Kultur zurechtzufinden.

Der Roman schafft es, sowohl die emotionalen Wunden der Flucht als auch die Herausforderungen der Assimilation in einer neuen Gesellschaft eindrucksvoll darzustellen. Dabei setzt Pin nicht nur auf emotionale Tiefe, sondern auch auf historische Genauigkeit. Man merkt wie sehr sie für diesen Roman recherchiert hat. Es gibt Momente großen Schmerzes, schrecklicher Grausamkeiten und der Verzweiflung, aber auch Zusammenhalt, Liebe und Hoffnung.

Und was hat das mit mir zu tun? – Sacha Batthyany erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag

Der Autor begibt sich auf eine tiefgründige und bewegende Spurensuche, die mir noch lange nach dem Lesen im Gedächtnis bleiben wird. Das Buch erzählt die erschütternde Geschichte eines der schlimmsten Kriegsverbrechen in Österreich – das Massaker von Rechnitz – und verbindet diese düstere Vergangenheit mit Batthyanys eigener Familiengeschichte.

Was mich an diesem Buch besonders berührt hat, ist die Ehrlichkeit, mit der Batthyany die Geschehnisse aufarbeitet. Er scheut sich nicht, sich selbst und seine Familie kritisch zu hinterfragen. Auf eindringliche Weise erzählt er, wie er erst als Erwachsener von dem Massaker erfuhr und wie er sich daraufhin entschloss, der Wahrheit über seine eigene Familie auf den Grund zu gehen. Diese Recherche zieht sich über sieben Jahre und führt ihn an verschiedene Orte, von Ungarn über Sibirien bis nach Buenos Aires. Dabei werden Fragen aufgeworfen, die oft unbeantwortet bleiben – das macht die Geschichte umso eindringlicher und verstörender.

Besonders die Darstellung der Gräfin Margit Thyssen-Batthyány, Batthyanys Großtante, hat mich zum Nachdenken angeregt. Ihre Rolle in der Nacht des Massakers bleibt unklar, doch der Autor macht deutlich, dass sie eine Mitwisserin war, die mit den Tätern feierte. Diese Ambivalenz zwischen Festlichkeit und Grauen ist ein starkes Motiv des Buches. Es ist erschreckend zu sehen, wie das Schweigen über die Vergangenheit selbst in der eigenen Familie weitergegeben wurde, und Batthyanys Entschlossenheit, das zu durchbrechen, ist inspirierend.

„Die Schweiz war für sie immer nur ein Spieleland, das Leben kein echtes, jedenfalls keines mit Höhen und Tiefen, mit Glück und Leid. Denn wer nicht mindestens ein paar Verwandte im Krieg verloren, wer nie miterlebt hatte, wie eine fremde Besatzungsmacht, seien es Deutsche oder Russen, alles umstürzte, der durfte nicht von sich behaupten, wirklich etwas vom Leben zu verstehen.“

Sacha Batthyany wurde 1972 in Zürich geboren und ist Journalist und Autor. Heute arbeitet er als Korrespondent in Washington. Seine journalistische Laufbahn umfasst eine Vielzahl von Themen, wobei er oft gesellschaftliche und historische Fragestellungen aufgreift. „Und was hat das mit mir zu tun?“ ist sein Debüt in der literarischen Sachbuchszene, und es zeigt eindrucksvoll, wie persönliche Geschichte und historische Ereignisse miteinander verwoben sind.

„Und was hat das mit mir zu tun?“ ist nicht nur ein Geschichtsbuch, sondern auch eine tiefgreifende persönliche Auseinandersetzung mit Schuld, Verantwortung und dem Umgang mit der Vergangenheit. Batthyanys ehrlicher und verletzlicher Schreibstil zieht einen in seinen Bann. Es ist ein Buch, das man gelesen haben sollte, um die schmerzhaften Wahrheiten über die eigene Geschichte und die Geschichte der anderen nicht zu vergessen.

Lessons – Ian McEwan erschienen unter dem Titel „Lektionen“ im Diogenes Verlag, übersetzt von Bernhard Robben

Die Geschichte um Roland Baines, dessen Leben sich durch Zufälle und historische Ereignisse immer wieder in unerwartete Bahnen lenkt hat mich sehr begeistert. Die Art, wie McEwan über das Leben, die Liebe und die Last der Vergangenheit schreibt, ist mir stellenweise richtig nah gegangen – ich hätte so viele Sätze am liebsten direkt unterstrichen! Die philosophischen Gedanken und feinen Beobachtungen über menschliche Beziehungen und politische Umbrüche wirken nie aufgesetzt, sondern weben sich organisch in Rolands Lebensweg ein. Ich hatte das Gefühl, mit ihm gemeinsam durch die Jahrzehnte zu reisen und die Welt aus seiner Perspektive zu erleben.

Besonders gut gefallen hat mir McEwans Fähigkeit, alltägliche Momente so zu beschreiben, dass sie plötzlich eine ganz neue Bedeutung erhalten. Es sind oft die kleinen, beiläufigen Szenen, die einem noch lange im Kopf bleiben. Gleichzeitig stellt das Buch aber auch große Fragen: Wie beeinflussen uns die großen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche unserer Zeit? Wie sehr bestimmt die Vergangenheit unser Handeln in der Gegenwart? Ich habe das Gefühl, dass ich das Buch irgendwann unbedingt noch einmal lesen muss, weil man sicher viele Details erst beim zweiten Mal so richtig erfasst.

“His accidental fortune was beyond calculation, to have been born in 1948 in placid Hampshire, not Ukraine or Poland in 1928, not to have been dragged from the synagogue steps in 1941 and brought here. His white-tiled cell – a piano lesson, a premature love affair, a missed education, a missing wife – was by comparison a luxury suite. If his life so far was a failure, as he often thought, it was in the face of history’s largesse.”

Die Stimme des Sprechers hat perfekt zur Stimmung gepasst und die melancholischen, aber auch hoffnungsvollen Töne des Romans wunderbar transportiert. Insgesamt ist „Lektionen“ für mich ein nachdenkliches und intensives Werk, das lange nachhallt.

Ian McEwan mausert sich immer mehr zu einem meiner Lieblings-Autoren zu dessen Werken man fast blind greifen kann und man einfach sicher sein kann, nicht nur gut unterhalten zu werden, eine Menge zu lernen sondern die einem auch noch lange im Gedächtnis bleiben und mit deren Fragestellungen man sich noch eine ganze Weile beschäftigen wird.

Lektüre August 2022

Der August hat mit einigen längeren Zugfahrten und zwei längeren Wochenenden für mehr Lesezeit gesorgt und mich mit überaus spannender und guter Lektüre versorgt. Hier wieder im Schnelldurchlauf von A-Z.

Rumaan Alam – Leave the world behind auf deutsch erschienen unter dem Titel „Inmitten der Nacht“ übersetzt von Eva Bonné, erschienen im Ecco Verlag.

Alam lässt in dieser apokalyptischen Geschichte über eine weiße Familie, die ein Haus auf Long Island von einem älteren schwarzen Ehepaar mietet vieles offen. Die Vermieter stehen nachts genau in dem Moment vor der Tür, als die Dinge eine wirklich seltsame Wendung finden. Wir erfahren nie genau, worum es sich bei der Katastrophe handelt und es ist einerseits eine recht typische Horrorgeschichte, bei der man als Leser*in immer wieder sagt: „Lasst euch nicht trennen“, aber trotz fehlender Erklärungen und vielleicht der einer oder anderen nicht ganz nachvollziehbaren Situation eines meiner Lese-Highlights dieses Jahr.

Ich mochte die Atmosphäre des Buches, das ständig jeden Moment etwas bedrohliches komplett unbekanntes passieren könnte.

Konnte das Buch gar nicht aus der Hand legen. Wäre auf die Diskussion im Bookclub gespannt, denn im Hause Bingereader wurde der Roman einmal mit müden zwei und einmal mit fünf Sternen ausgezeichnet, leider findet die Diskussion während unseres Urlaubs statt – aber ich lasse mir berichten, könnte mir gut vorstellen, dass es recht kontrovers diskutiert wird.

Ich möchte es euch ans Herz legen, wenn euch Geschichten wie „Station Eleven“ gefallen, wobei bei Alam noch deutlich weniger klar ist, was genau passiert ist man ahnt nur dystopische Ausmaße.

You never know when a time is the last time, because if you did you could never go on with life.

Julia Armfield – Our Wives under the sea erschienen im Picador Verlag, aktuell noch nicht auf deutsch erschienen.

Mein Hörbuch diesen Monat und ebenfalls eines in dem es sehr atmosphärisch zugeht, aber man nur wenige Erklärungen bekommt. Wer gerne alles rational erklärt bekommt, sollte wahrscheinlich bei den ersten beiden Büchern direkt die Finger weglassen. Ich fand es richtig großartig, ein weiteres Lesehighlight dieses Jahr – der August war wirklich ein toller Lesermonat.

Miri glaubt, dass sie ihre Frau zurück hat, als Leah nach einer Tiefseemission, die in einer Katastrophe endete, endlich zurückkehrt. Es wird jedoch bald klar, dass Leah nicht mehr dieselbe ist. Was auch immer in dem Uboot passiert ist, was auch immer es war, das sie erforschen sollten, bevor sie auf dem Meeresgrund gestrandet sind, Leah hat einen Teil davon mit an Land und in ihr Haus gebracht.

Während sie sich durch etwas bewegt, das normalen Leben nur noch entfernt ähnelt, wird Miri klar, dass das Leben, das sie vorher hatten, wahrscheinlich nicht mehr da ist und eventuell auch nie wieder zurückkehren wird. Obwohl Leah äußerlich noch da ist, spürt Miri, wie die Frau, die sie liebt, ihr immer mehr entgleitet.

Our Wifes under the sea ist der Debütroman von Julia Armfield, die eine poetische, melancholische Geschichte über die Liebe, den Verlust, die Trauer und das Leben in den Tiefen des Meeres geschrieben hat.

I used to think there was such a thing as emptiness, that there were places in the world one could go and be alone. This, I think, is still true, but the error in my reasoning was to assume that alone was somewhere you could go, rather than somewhere you had to be left.

Oliver Burkeman – 4000 Weeks. Time Management for Mortals auf deutsch unter dem Titel „4000 Wochen. Das Leben ist zu kurz für Time Management“ übersetzt von Henning Dedekind und Heike Lutosch erschienen im Piper Verlag

Das Leben ist kurz, aber das ist kein Grund zur Sorge

Die Zeit reicht nicht aus – niemals. Gerade einmal 4000 Wochen haben wir auf der Erde, und das auch nur, wenn wir um die achtzig werden. Kein Wunder, dass wir unaufhörlich versuchen, möglichst viel in diese kurze Zeit hineinzupressen. Dabei verlieren wir genau die Dinge aus dem Blick, die uns wirklich wichtig sind und uns vor allem glücklich machen. Oliver Burkeman führt geistreich und kurzweilig vor, wie wir dem Zeit- und Effizienzdruck widerstehen – und damit der unerhörten Kürze und den schillernden Möglichkeiten unseres Lebens gerecht werden können.

Ein intelligentes, gut geschriebenes Buch das einem teilweise den Spiegel vorhält und den Finger in die Wunde und uns einlädt das Hamsterrad zu stoppen, mal durchzuatmen und einfach öfter mal in Ruhe durch die Natur zu laufen und nachzudenken.

Oliver Burkeman, schrieb jahrelang für den Guardian eine wöchentliche Kolumne woher ich ihn kenne, denn die habe ich immer sehr gerne gelesen. Seit einiger Zeit lese ich auch seinen wöchentlichen Newsletter und er ist einfach ein Mensch, der mich immer wieder ins Grübeln bringt. Seine Arbeiten sind darüber hinaus in der New York Times, dem Wall Street Journal, Psychologies und New Philosopher erschienen. Burkeman lebt in New York City.

Productivity is a trap. Becoming more efficient just makes you more rushed, and trying to clear the decks simply makes them fill up again faster. Nobody in the history of humanity has ever achieved “work-life balance,” whatever that might be, and you certainly won’t get there by copying the “six things successful people do before 7:00 a.m.” The day will never arrive when you finally have everything under control—when the flood of emails has been contained; when your to-do lists have stopped getting longer; when you’re meeting all your obligations at work and in your home life; when nobody’s angry with you for missing a deadline or dropping the ball; and when the fully optimized person you’ve become can turn, at long last, to the things life is really supposed to be about. Let’s start by admitting defeat: none of this is ever going to happen. But you know what? That’s excellent news.

Caroline Kebekus – Es kann nur eine geben erschienen im Kiwi-Verlag.

Ich bin ja wirklich nicht bekannt für mein Interesse an lustigen Themen, kann mit den allermeisten Comedians wenig bis gar nix anfangen, aber diese Frau hat mit ihrem Hörbuch dafür gesorgt, dass ich gelegentlich Angst hatte aus dem Bus zu fliegen, weil ich lauthals lachen musste.

Selten habe ich auf so witzige Art so derart viel gelernt und da sind einige Themen dabei, bei denen einem auch immer wieder das Lachen im Hals stecken bleibt.

Eigentlich klingt es ganz leicht: Frau ist begabt und klug, also kann sie es schaffen, ganz nach oben zu kommen. Aber oft genug ist der eine Platz schon besetzt, es scheint nämlich ein höchst dämliches Gesetz zu geben, das lautet: Eine Frau reicht, mehr brauchen wir nicht. Die große Komikerin, Sängerin, Schauspielerin und Feministin schreibt pointiert, unmissverständlich und gleichzeitig wahnsinnig komisch, dass die Zeit überreif ist, alte (Männer-)Gesetze auf den Müll zu werfen.

Wohin man auch schaut, immer ist es die eine Frau, die sich durchsetzt. In der Bibel ist es die jungfräuliche Maria, damit fing das Unheil an. Im Märchen gibt es immer die eine Prinzessin, sehr schön und sehr blöd. Die sündige Eva aus der Bibel und die böse Stiefmutter oder Hexe lassen wir mal hübsch beiseite, denn die sollen nur als Beispiele dafür dienen, was passiert, wenn Frauen nach Macht streben: Sie werden aus dem Paradies geworfen oder verbrannt. Mit dieser Prägung entlässt man Frauen ins Leben und wundert sich dann über die ständige Konkurrenz unter Frauen um diese begrenzten Plätze. Dann wird so getan, als wären Frauen von Natur aus eben stutenbissig und selbst schuld an dieser Rivalität. Carolin Kebekus kommt diesem bösen Spuk auf die Spur, sie untersucht alte und neue Geschichten, um zu zeigen, warum uns Frauen eingetrichtert wird, dass wir um den einen Platz – im Fernsehen, in der Firma, im Karneval usw. – konkurrieren müssten.

Ein Buch von höchster Wichtigkeit, das aufklärt und gleichzeitig unterhält.

Stanislaw Lem – Solaris übersetzt von Irmtraud Zimmermann-Göllheim, illustriert von Anna Stähler, erschienen in der Büchergilde Gutenberg

Solaris zählt zu den ganz großen Klassikern nicht nur der Science-Fiction, sondern der gesamten Literatur des 20. Jahrhunderts. Der Roman ist eine faszinierende Reise in die Weiten des Kosmos und in die Tiefen unserer Wünsche und Träume. Zum 100. Geburtstag von Stanisław Lem gibt die Büchergilde eine aufwendig gestaltete, illustrierte Neuausgabe heraus.

Über Solaris scheinen zwei Sonnen, eine rote und eine blaue. Die gesamte Oberfläche des Planeten ist von einem geheimnisvollen Ozean bedeckt, von dem viele sagen, er sei ein lebendiges Wesen. Kris Kelvin macht sich in einer Raumkapsel auf den weiten Weg von der Erde zu Solaris. Wie viele WissenschaftlerInnen vor ihm will er hinter das Geheimnis des Himmelskörpers kommen. Doch als er in der Forschungsstation eintrifft, warnen ihn seine Kollegen vor einer rätselhaften Gefahr.

Lems Schreiben zeichnet sich durch eine reiche literarische Sprache und philosophische Tiefe aus. Solaris ist ein faszinierender und ungewöhnlicher Roman über Leben auf fernen Planeten, das ganz anders ist als die typischen Darstellungen von Außerirdischen aus Literatur und Film, die oft Menschen oder Tiere zum Vorbild haben. Der Ozean auf Solaris sprengt die menschliche Vorstellungskraft. Er hat nichts mit dem gemein, was wir als Lebewesen kennen, und trotzdem spricht alles dafür, dass er eines ist. Lem interessiert vor allem, wie die Menschen auf dieses Phänomen reagieren, und thematisiert dabei ganz grundsätzliche Fragen: Wie nähern wir uns etwas, das uns fremd ist? Wie gehen wir mit dem um, was wir nicht verstehen?

Die rote Sonne war schon hinter dem Horizont verschwunden, und die schaumgekrönten Wellen verschwammen zu tintiger Wüste. Der Himmel loderte. Über dieser zweifarbigen, unbeschreiblich trostlosen Landschaft fluteten Wolken mit lilafarbenem Saum

Francesca Wade – Square Haunting erschienen im Faber Verlag, aktuell noch nicht auf deutsch erschienen.

Im Mittelpunkt dieses Buches stehen fünf Frauen, die alle zu verschiedenen Zeitpunkten zwischen den Weltkriegen am Mecklenburgh Square in London lebten. Das Bindeglied (abgesehen von dem Platz und der Tatsache, dass sie alle der Mittelschicht angehören) ist das Thema der weiblichen Autonomie, und es zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Es gibt zwei Akademikerinnen: die Historikerin Eileen Power und die Klassizistin Jane Harrison. Die Dichterin und Romanautorin Hilda Doolittle (HD). Die Romanautorin und Schriftstellerin Dorothy L. Sayers. Und schließlich natürlich Ms Bloomsbury, her one and only Virginia Woolf.

Der Platz liegt in der Nähe des Britischen Museums, und sie alle nutzten zeitweise den dortigen Lesesaal. Der Titel ist einem Tagebucheintrag von Woolf aus dem Jahr 1925 entnommen.

‚I like this London life . . . the street-sauntering and square-haunting. –Virginia Woolf, diary, 1925

Ich hatte den Eindruck, dass der Abschnitt über Virginia Woolf zu viel von dem wiederholt, was bereits über sie geschrieben wurde. Die überzeugendsten Porträts waren für mich die von Hilda Doolittle, bekannt als HD, und Dorothy Sayers – und die Verbindungen zwischen ihnen sind faszinierend. Das Konzept des „eigenen Zimmers“ wird durchgehend verwendet, um die Kämpfe und Kosten der weiblichen Unabhängigkeit zu verdeutlichen, aber dieses Zimmer könnte wahrscheinlich genauso gut in einem Oxbridge-College wie in Bloomsbury sein.

Daher war ich von der Bloomsbury-Verbindung als Daseinsberechtigung für das Buch nicht komplett überzeugt – aber die Lebensläufe geben interessante Einblicke in das Leben der Frauen, die den Status quo ihrer Zeit herausforderten und umstürzten und ich habe es sehr gerne gelesen.

Youth is an unsatisfactory period, full of errors, uncertainties and distress. You will grow out of it. What’s more, you were meant to grow out of it, into something more mature and satisfactory. Don’t let middle-aged people get away with the story that this is the best time of your life and that after it there is nothing to look forward to … Go on doing the thing you think you ought, or want, to be doing at the moment, and at about 40 you may discover that you actually are doing it and settle down to enjoy it

Iris Wolff – So tun, als ob es regnet erschienen im Klett Cotta Verlag

Der Erste Weltkrieg bringt einen österreichischen Soldaten in ein Karpatendorf. Eine junge Frau besucht nachts die „Geheime Gesellschaft der Schlaflosen“. Ein Motorradfahrer ist überzeugt, dass er sterben und die Mondlandung der Amerikaner versäumen wird. Eine Frau beobachtet die Ausfahrt eines Fischerbootes, das nie mehr zurückkehren wird. – Über vier Generationen des 20. Jahrhunderts und vier Ländergrenzen hinweg erzählt Iris Wolff davon, wie historische Ereignisse die Lebenswege von Einzelnen prägen. Zwischen Freiheit und Anpassung, Zufall und freiem Willen erfahren ihre Protagonisten: Es gibt Dinge, die zu uns gehören, ohne dass wir wüssten, woher sie kommen. Und es gibt Entscheidungen, die etwas bedeuten, Wege, die unumkehrbar sind, auch wenn wir nie wissen werden, was von einem Leben und den Generationen vor ihm bleiben wird.

Ich habe das Buch gerne gelesen, die Sprache hat mir sehr gefallen, aber den einzelnen Personen bin ich nicht wirklich nahe gekommen. Es ist auch kein Buch das mir noch lange nachgegangen ist, dennoch eine gute kurzweilige Lektüre.

Lea Ypi – Frei übersetzt von Eva Bonné erschienen im Suhrkamp Verlag

Ich traue es mich gar nicht mehr zu schreiben, aber das war tatsächlich auch noch mal ein Lese-Highlight für mich. Was für ein großartiges, fesselndes Buch – das Porträt einer sehr außergewöhnlichen Frau, die einen bemerkenswerten Weg gegangen ist.

Albanien 1989: Der letzte stalinistische Außenposten in Europa, ein isoliertes Land, das man nur schwer besuchen und noch schwerer verlassen kann. Es herrschen Mangelwirtschaft, Geheimpolizei und das Proletariat. Der Kommunismus hat den Platz der Religion übernommen. Für die zehnjährige Lea Ypi ist dieses Land ihr Zuhause: ein Ort der Geborgenheit, des Lernens, der Hoffnung und der Freiheit.

Alles ändert sich, als in Berlin die Mauer fällt und in Tirana Enver Hoxhas Statue vom Sockel stürzt. Jetzt können die Menschen wählen, wen sie wollen, sich kleiden, wie sie wollen, anbeten, was sie wollen. Aber die neue Zeit zeigt bald ihr unfreundliches Gesicht: Skrupellose Geschäftemacher ruinieren die Wirtschaft, die Aussicht auf eine bessere Zukunft löst sich auf in Arbeitslosigkeit und Massenflucht. Als das Land im Chaos zu versinken droht und in ihrer Familie Geheimnisse ans Licht kommen, beginnt Lea sich zu fragen, was das eigentlich ist: Freiheit.

In hinreißender Prosa erzählt Lea Ypi von ihrem Erwachsenwerden im poststalinistischen Albanien und in einer schillernden Familie, deren Geschichte eng mit der des Landes verwoben ist. Frei ist ein fesselndes Memoir und eine scharfsinnige Reflexion über die Grenzen des Fortschritts und die Last der Vergangenheit, über glänzende Ideale und harte Realitäten. Vor allem aber über die Leben von Menschen, die vom Sturm der Geschichte erfasst werden.

For some, leaving was a necessity that went under the official name of ‘transition’. We were a society in transition, it was said, moving from socialism to liberalism, from one-party rule to pluralism, from one place to the other. Opportunities would never come to you, unless you went looking for them, like the half-cockerel in the old Albanian folk tale who travels far away, looking for his kismet, and in the end returns full of gold. For others, leaving the country was an adventure, a childhood dream come true or a way to please their parents. There were those who left and never returned. Those who went and came back soon after. Those who turned the organization of movement into a profession, who opened travel agencies or smuggled people on boats. Those who survived, and became rich. Those who survived, and continued to struggle. And those who died trying to cross the border

So geschafft – das war wie gesagt ein außergewöhnlich großartiger Lesemonat. War für euch was dabei? Welche kennt ihr schon? Welche mochtet ihr oder auch nicht oder auf welche konnte ich euch Lust machen?