Nach meinem letzten literarischen Abstecher nach Nigeria geht es heute in die Karibik – genauer gesagt nach Trinidad & Tobago, den südlichsten Inselstaat der Region. Zwei Inseln, zwei Persönlichkeiten, und ein faszinierender kultureller Mix, der mich nicht nur literarisch, sondern auch musikalisch und historisch ganz schön fasziniert hat. Ich war bisher noch nicht in der Karibik und ich bin auch nicht sicher, ob es mich jemals dorthin verschlagen sollte, es wäre aber auf jeden Fall interessant.
Trinidad & Tobago liegt direkt vor der Küste Venezuelas und besteht aus der größeren, quirligeren Insel Trinidad und der kleineren, entspannteren Schwesterinsel Tobago. Während Trinidad als wirtschaftliches und kulturelles Zentrum gilt – inklusive Hauptstadt Port of Spain – punktet Tobago mit weißen Sandstränden, üppigem Regenwald und einem gemächlichen Lebensrhythmus.




Trinidad & Tobago ist seit seiner Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1962 eine parlamentarische Demokratie nach dem Westminster-Modell. Staatsoberhaupt ist ein*e Präsident*in – derzeit Christine Kangaloo – während die Regierungsgewalt beim Premierminister*in liegt – derzeit Keith Rowley. Das politische System ist relativ stabil, mit einer aktiven demokratischen Kultur. Die ethnische Vielfalt des Landes schlägt sich auch in der Politik nieder, was immer wieder zu Spannungen, aber auch zu einem bemerkenswert hohen Maß an politischer Teilhabe führt.
Trinidad & Tobago gehört zu den wohlhabenderen Ländern der Karibik, was vor allem auf große Erdöl- und Erdgasvorkommen zurückzuführen ist. Der Energiesektor ist der Motor der Wirtschaft und macht einen großen Teil des Exports und BIP aus. Das Land ist einer der größten Exportnationen für Flüssigerdgas (LNG) in der westlichen Hemisphäre. Es gibt aber auch einige Herausforderungen wie hohe Jugendarbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit, Korruption und Klimawandel der den Inselstaaten insgesamt starke Probleme bereitet. Das Land hat sich jedoch auch bemüht, in Bildung und Digitalisierung zu investieren, um langfristig wirtschaftlich breiter aufgestellt zu sein.
In den letzten Jahren war das Wirtschaftswachstum eher verhalten, auch durch die Pandemie und sinkende Energiepreise. Gleichzeitig wird versucht, neue Branchen wie die kreative Industrie, Tourismus und erneuerbare Energien zu stärken.
Fläche:
Trinidad & Tobago (ca. 5.130 km²) ist deutlich kleiner als Deutschland (über 70-mal kleiner) und zählt zu den kleineren Staaten der Karibik.
Bevölkerung:
Mit etwa 1,5 Millionen Menschen (Stand 2024) hat Trinidad & Tobago weniger Einwohner als beispielsweise Hamburg oder München.
Bevölkerungsdichte:
Rund 292 Personen/km² – damit dichter besiedelt als Deutschland (ca. 237 Personen/km²).
Das Land ist ein wahrer Schmelztiegel: Die Bevölkerung setzt sich aus Nachfahren afrikanischer Sklavinnen, indischer Vertragsarbeiter*innen, Europäer*innen, Chines*innen und indigenen Gruppen zusammen. Diese Vielfalt spiegelt sich überall wider – in der Küche, der Musik, den Feierlichkeiten und natürlich in der Literatur.
Trinidad & Tobago ist ohne Zweifel die Heimat des Calypso und des Soca – Musikrichtungen, die sich mit Witz, Sozialkritik und Rhythmus tief in die nationale Identität eingeschrieben haben. Ebenso legendär ist der Karneval in Port of Spain: ein farbenfrohes, ekstatisches Fest, das zu den größten und beeindruckendsten der Welt zählt. Dazu kommt die Erfindung des Steelpans (aus Ölfässern geformte Blech-Trommeln), ein musikalisches Symbol der Inseln, das weltweit Beachtung findet.
Wer mehr über diesen Aspekt der Kultur erfahren will, dem emfehle ich Dokumentationen oder Musik von Künstler*innen wie Machel Montano, Calypso Rose oder dem verstorbenen Lord Kitchener anhören – wahre Ikonen der trinidadischen Musikszene.
Die Filmindustrie des Landes ist zwar klein, aber lebendig. Produktionen wie Green Days by the River oder The Cutlass greifen lokale Geschichten auf, oft mit einem Fokus auf Jugend, koloniale Geschichte und aktuelle soziale Themen.
Die Literatur des Landes ist so vielschichtig wie seine Bevölkerung. Einer der bekanntesten Namen ist sicherlich V.S. Naipaul, der 2001 den Nobelpreis für Literatur erhielt. Sein Blick auf das koloniale und postkoloniale Leben auf Trinidad hat die Weltliteratur stark geprägt – auch wenn er im Land selbst durchaus kontrovers diskutiert wird. Ich habe bislang noch nichts von ihm gelesen – könnt ihr was zu seinen Büchern sagen, mir etwas empfehlen oder ratet ihr eher ab?
Neben Naipaul gibt es noch eine ganze Reihe großartiger Autor*innen wie Earl Lovelace, Shani Mootoo, Kevin Jared Hosein (der gerade mit Hungry Ghosts international Furore macht) oder auch Monique Roffey, deren Roman „The Mermaid of Black Conch“ mein Buch für diesen Länder-Stop war.
Die Meerjungfrau von Black Conch – Monique Roffey erschienen im Tropen Verlag, übersetzt von Gesine Schröder
In Monique Roffeys Roman Die Meerjungfrau von Black Conch begegnen wir einer Meerjungfrau – aber ganz und gar nicht im Sinne von Disney und Glitzerflosse. Stattdessen entfaltet sich eine dichte, atmosphärische Erzählung, die tief in der Mythologie und Kolonialgeschichte der Karibik verwurzelt ist.
Die Geschichte spielt auf der fiktiven Insel Black Conch und beginnt, als zwei amerikanische Sportangler eine Meerjungfrau aus dem Wasser ziehen. Doch Aycayia, so ihr Name, ist keine romantisierte Meeresgöttin, sondern eine von Frauen verfluchte Gestalt aus einer anderen Zeit. Als sie sich langsam in eine menschliche Form zurückverwandelt, nimmt die Geschichte eine überraschend intime, feministische und zugleich politische Wendung.
Ich mochte den poetischen, fast hypnotischen Schreibstil Roffeys sehr – sie wechselt gekonnt zwischen karibischem Englisch, Tagebucheinträgen und mythischer Erzählweise. Die Sprache allein war für mich schon ein Highlight des Romans. Auch das Setting wirkt lebendig und spanennd: tropisch, rau, melancholisch. Der Übersetzerin Gesine Schröder möchte ich an dieser Stelle noch mal ein ganz besonderes Kompliment machen. Das war sicherlich keine einfache Aufgabe und ich fand den Roman fabelhaft übersetzt.
Mit der Meerjungfrauen-Thematik bin ich persönlich nicht ganz warm geworden – teils, weil sie sich mir als Figur etwas entrückt blieb, teils, weil ich beim Lesen manchmal zwischen Faszination und Distanz schwankte. Aber genau das ist vielleicht auch Teil der Intention: Aycayia ist keine Heldin, sondern ein Produkt von Trauma, Verwandlung und Ausgrenzung – und steht damit auch symbolisch für die Geschichte der Insel(n).
Ein ungewöhnlicher, literarisch starker Roman, der Mythen neu erzählt und dabei postkoloniale, feministische und emotionale Tiefen auslotet – nicht immer leicht zugänglich, aber definitiv interessant und kraftvoll.
Das war sowohl filmisch, musikalisch als auch literarisch mein bisher erster Ausflug nach Trinidad und Tobago. Habt ihr schon etwas gelesen und/oder seid ihr schon einmal dort gewesen?
Wer noch mal die zurückliegenden Stationen besuchen will, der geht bitte hier entlang.
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Für unseren nächsten Stopp müssen wir nicht so weit reisen. Es geht nach Bella Italia 🙂 Habt ihr Lust?

