Juli Lektüre – Sommer Ausgabe

Was gibt es Schöneres als im Sommer im Urlaub am Meer, oder zu Hause im Gras, im Zug, auf dem Balkon, an der Isar oder im verdunkelten Schlafzimmer zu liegen und zu lesen? Ich lese zu jeder Jahreszeit gerne, aber dieses Sommerferiengefühl beim draußen lesen ist einfach was ganz Besonderes. Hier also der Rest der Juni sowie die Juli Lektüre. Wie immer kurz, knackig und in alphabetischer Reihenfolge.

Find Me – André Aciman auf deutsch „Finde Mich“ im dtv Verlag erschienen, übersetzt von Thomas Brovot

Die Geschichte von Elio und Oliver geht weiter. „Call Me by your name“ ist für mich einer der schönsten Sommerfilme und ich habe mich sehr auf die Fortsetzung gefreut. Elio lebt als Pianist in Rom. Seit der Trennung von seiner großen Jugendliebe Oliver ist er keine längere und ernsthafte Beziehung eingegangen. Oliver hingegen hat in New York geheiratet, ein bürgerliches Leben als Collegeprofessor begonnen, eine Familie gegründet. Doch insgeheim ist er über die Beziehung mit Elio nicht hinweggekommen. In seinem neuen Roman erweist sich André Aciman erneut als Meister des sinnlichen Erzählens. Die Suche nach dem einen Menschen im Leben, den man wahrhaftig liebt, kann lange dauern – doch sie ist nie vergebens.

Der Roman ist in drei Episoden aufgeteilt, wobei die eigentliche Fortsetzung von Elio und Oliver die kürzeste ist. Das als kleine Vorwarnung – wer einen Roman erwartet der sich umfänglich und vielleicht sogar ausschließlich den beiden widmet, würde hier enttäuscht werden.

Ich fand die drei ineinanderfließenden Episoden dieses eleganten Büchleins wundervoll. Ich liebe Acimans Schreibstil, er ist für mich die Verkörperung von Sprezzaturo in der Literatur.

Some people may be brokenhearted not because they’ve been hurt but because they’ve never found someone who mattered enough to hurt them.

Im Haus der Weisheit – Jim Khalili erschienen im S. Fischer Verlag, übersetzt von Sebastian Vogel

Die arabischen Fundamente unserer modernen Gesellschaft.

Im Haus der Weisheit“ von Jim Al-Khalili ist eine faszinierende und gut geschriebene historische Reise durch die Blütezeit der islamischen Wissenschaft im Mittelalter. Das Buch beleuchtet die unglaublichen Errungenschaften und den intellektuellen Reichtum der muslimischen Gelehrten im alten Bagdad, als diese Stadt das Zentrum des Wissens und der Kultur war.

Jim Al-Khalili präsentiert das Thema auf anschauliche Weise und vermittelt dem Leser eine klare Vorstellung von der erstaunlichen Vielfalt der wissenschaftlichen Disziplinen, die von den muslimischen Gelehrten studiert wurden, einschließlich Astronomie, Mathematik, Medizin, Philosophie und Literatur. Er zeigt, wie die Übersetzungen klassischer griechischer und indischer Werke sowie die originellen Beiträge der arabischen Gelehrten die Grundlage für viele spätere wissenschaftliche Entdeckungen in Europa und anderswo bildeten.

Besonders beeindruckend ist die Betonung der Zusammenarbeit zwischen Muslimen, Christen und Juden in diesem kulturell reichen Umfeld. Al-Khalili betont, wie dieses harmonische Zusammenleben die Wissensaneignung und den intellektuellen Fortschritt förderte.

Meine einzige Kritik ist, dass das Buch manchmal zu viele Informationen auf einmal präsentiert, was den Lesefluss beeinträchtigen kann. Dennoch ist „Im Haus der Weisheit“ insgesamt ein lesenswertes Werk für alle, die sich für die Geschichte der Wissenschaft und des Wissensaustauschs interessieren. Es bietet einen Einblick in eine Zeit, die oft in den Schatten gestellt wird und verdient es, mehr Beachtung zu finden.

Ein wahrhaft weiser Leser lädt dich nicht ein, das Haus seiner Weisheit zu betreten, sondern er führt dich an die Schwelle deines Geistes.

Khalil Gibran

Jews don’t count – David Baddiel erschienen im TLS Verlag, aktuell nicht auf deutsch erhältlich

„Jews Don’t Count“ ist ein Buch des britischen Autors David Baddiel, das 2020 veröffentlicht wurde. In diesem Werk behandelt Baddiel das Thema des Antisemitismus und wie die jüdische Bevölkerung oft nicht angemessen in den Diskurs über Rassismus und Diskriminierung einbezogen wird.

Die Kernthese des Buches ist, dass Antisemitismus häufig ignoriert, heruntergespielt oder nicht ernsthaft bekämpft wird, während andere Formen von Rassismus in der Gesellschaft breitere Aufmerksamkeit und Unterstützung erhalten. Baddiel argumentiert, dass Juden oft nicht als „echte Opfer“ des Rassismus angesehen werden, was zu einer Gefahr für ihre Sicherheit und Würde führt.

Er untersucht auch, wie einige politische Bewegungen und Gruppen den Antisemitismus in ihren Reihen nicht ausreichend bekämpfen, was wiederum zur Marginalisierung der jüdischen Erfahrung beiträgt.

Das Buch will ein Bewusstsein schaffen und dazu ermutigen, Antisemitismus als ernsthaftes Problem anzuerkennen und in den Kampf gegen Rassismus einzubeziehen, um eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft zu fördern.

Jews Don’t Count war für mich eine augenöffnende Lektüre die für mich eine neue Perspektive bot auf die Debatte um Identitätspolitik und Diskriminierung. Ein wichtiges Buch und stellenweise wirklich witzig, man merkt, dass Mr Baddiel hauptberuflich ein Comedian ist. Große Empfehlung!

Jews are somehow both sub-human and humanity’s secret masters. And it’s this racist mythology that’s in the air when the left pause before putting Jews into their sacred circle.

We live in a culture now where impact is more important than intent; where how things are taken is more significant than how they are meant.

Auerhaus – Bov Bjerg erschienen im Blumenbar Verlag

Bov Bjergs Roman „Auerhaus“ ist eine bewegende und tiefgründige Geschichte über Freundschaft, Jugend und die Suche nach dem Sinn des Lebens. Die Handlung dreht sich um eine Gruppe von Jugendlichen, die gemeinsam beschließen, aus ihrem tristen Alltag auszubrechen und eine Wohngemeinschaft im „Auerhaus“ zu gründen.

Bjerg gelingt es, tiefgründige Themen wie Depression, Verlust und die Suche nach Identität auf eine zugängliche und einfühlsame Weise zu behandeln. Dabei schafft er es, eine Balance zwischen ernsten Momenten und humorvollen Szenen zu finden, die den Leser gleichzeitig berühren und zum Schmunzeln bringen.

Die Stärke des Romans liegt auch in seiner Sprache und Erzählstruktur. Die klaren, einfachen Sätze und die kurzen Kapitel verstärken die emotionale Wirkung und machen das Buch zu einem fesselnden Leseerlebnis. Ich habe den Roman wirklich gerne gelesen, obwohl ich lange keine richtige Lust drauf hatte und danke der hartnäckigen Gattin, dass sie mich immer wieder an das Buch erinnert hat.

Ich wollte mich nicht umbringen. Ich wollte bloß nicht mehr leben. Ich glaube, das ist ein Unterschied.

The Girls – Emma Cline auf deutsch erschienen unter dem gleichen Titel im dtv Verlag, übersetzt von Nicolaus Stingl

The Girls“ von Emma Cline ist ein fesselnder Roman, der geschickt zwischen Coming-of-Age-Drama und Kriminalgeschichte jongliert. Die Geschichte ist in den späten 1960er Jahren in Kalifornien angesiedelt und zeichnet ein eindringliches Bild von der Anziehungskraft einer sektenähnlichen, manipulativen Gruppe auf junge Menschen.

Cline schreibt mit einer beeindruckenden Sprache und verleiht der Protagonistin, Evie, eine bemerkenswerte Tiefe. Wir folgen ihrer faszinierenden, aber erschreckenden Reise in die Welt der charismatischen Sektenführerin und ihrer Anhängerinnen. Die Darstellung der weiblichen Freundschaften und der Verwundbarkeit von Heranwachsenden ist äußerst realistisch und ergreifend.

Der Roman beleuchtet auch geschickt die historischen Ereignisse des Manson-Mordes, wodurch die Atmosphäre düsterer und beklemmender wird. Cline gelingt es, die Spannung während des gesamten Buches aufrechtzuerhalten, was den Leser in ihren Bann zieht.

„The Girls“ ist eine düstere Geschichte über Manipulation, Verführung und die Konsequenzen von Entscheidungen erzählt. Emma Cline hat mich mit ihrem Debüt sehr beeindruckt und ich freue mich schon auf weitere Romane von ihr

That was part of being a girl–you were resigned to whatever feedback you’d get. If you got mad, you were crazy, and if you didn’t react, you were a bitch. The only thing you could do was smile from the corner they’d backed you into. Implicate yourself in the joke even if the joke was always on you.

Lügen über meine Mutter – Daniela Dröscher erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag

Daniela Dröscher erzählt vom Aufwachsen in einer Familie, in der ein Thema alles beherrscht: das Körpergewicht der Mutter. Ist diese schöne, eigenwillige, unberechenbare Frau zu dick? Muss sie dringend abnehmen? Ja, das muss sie. Entscheidet ihr Ehemann. Und die Mutter ist dem ausgesetzt, Tag für Tag.

„Lügen über meine Mutter“ ist zweierlei zugleich: die Erzählung einer Kindheit im Hunsrück der 1980er, die immer stärker beherrscht wird von der fixen Idee des Vaters, das Übergewicht seiner Frau wäre verantwortlich für alles, was ihm versagt bleibt: die Beförderung, der soziale Aufstieg, die Anerkennung in der Dorfgemeinschaft. Und es ist eine Befragung des Geschehens aus der heutigen Perspektive: Was ist damals wirklich passiert? Was wurde verheimlicht, worüber wurde gelogen? Und was sagt uns das alles über den größeren Zusammenhang: die Gesellschaft, die ständig auf uns einwirkt, ob wir wollen oder nicht?

Schonungslos und eindrücklich lässt Daniela Dröscher ihr kindliches Alter Ego die Jahre, in denen sich dieses »Kammerspiel namens Familie« abspielte, noch einmal durchleben. Ihr gelingt ein ebenso berührender wie kluger Roman über subtile Gewalt, aber auch über Verantwortung und Fürsorge. Vor allem aber ist dies ein tragik-komisches Buch über eine starke Frau, die nicht aufhört, für die Selbstbestimmung über ihr Leben zu kämpfen.

Dröscher gelingt es, den Leser durch eine poetische und einfühlsame Sprache in die Welt der Protagonistin einzuführen. Die Emotionen und Gedanken der Hauptfigur werden auf eine fesselnde Weise vermittelt, die den Leser in die Geschichte hineinzieht und mitfühlen lässt.

Die Thematik des Romans, die Suche nach der eigenen Identität und die Bewältigung von familiären Konflikten, wird auf eine ansprechende und tiefgründige Weise behandelt. Die Erzählung wirft Fragen nach der Wahrheit, dem Verlust und der Liebe auf und regt zum Nachdenken an.

Wenn Du nicht endlich redest, muss ich etwas erfinden. Ich muss lügen“, droht die Tochter, worauf die Mutter kontert: „Nur zu. Das ist ja dein Beruf.

This is How you lose the Time War – Amal El Mohtar & Max Gladstone bislang nicht auf deutsch erschienen

„This is how you lose the time war“ ist ein fesselndes und ziemlich unkonventionelles Buch, das von Amal El-Mohtar und Max Gladstone gemeinsam geschrieben wurde. Es ist eine einzigartige Mischung aus Science-Fiction, Liebesgeschichte und Zeitreiseabenteuer.

Die Geschichte dreht sich um zwei Zeitreise-Agentinnen, Red und Blue, die auf entgegengesetzten Seiten eines Krieges stehen. Als sie beginnen, sich Briefwechsel zu begegnen, entfaltet sich eine unerwartete Verbindung zwischen den beiden. Die Autoren präsentieren die Geschichte auf wunderbar poetische Weise, die den Leser in eine faszinierende Welt voller Intensität und Emotionen eintauchen lässt.

Die Prosa ist ganz wunderbar elegant, wodurch die Handlung trotz ihrer Komplexität leicht zugänglich bleibt. Die Beziehung zwischen Red und Blue wird voller Schönheit beschrieben und entfaltet sich auf eine Art und Weise, die einen bis zur letzten Minute des Hörbuches mitfiebern lässt. Es ist eine Geschichte über Liebe, Verlust und die Bedeutung von Verbindungen, die weit über Zeit und Raum hinausgehen.

Die Welt, die in „This is how you lose the time war“ geschaffen wird, ist ebenso beeindruckend wie verwirrend. Die Zeitreiseelemente können ab und an kompliziert sein, aber sie geben dem ganzen auch eine gewisse Tiefe und Raffinesse. Die Autoren lassen bewusst einige Fragen unbeantwortet, was die Fantasie des Lesers anregt und Platz für Interpretationen lässt. Ab und an war es mir doch etwas blumig und zu romantisch von der Sprache her, aber das hat meinem Hörvergnügen keinen großen Abbruch getan.

Ich lese schon länger den Newsletter von Amal El Mohtar und hatte ihre Buch daher schon länger auf der Wunschliste, ich bin aber froh, dass ich mich von dem Hype nicht habe abhalten lassen und gebe Bigolas Dickolas einfach mal recht – lest dieses Buch!

I love you. I love you. I love you. I’ll write it in waves. In skies. In my heart. You’ll never see, but you will know. I’ll be all the poets, I’ll kill them all and take each one’s place in turn, and every time love’s written in all the strands it will be to you.

The Hill we Climb – Den Hügel hinauf – Amanda Gorman erschienen als zweisprachige Ausgabe im Hoffmann und Campe Verlag, übersetzt von Kübra Gümüsay, Hadija Haruna-Oelker, Uda Strätling

„The Hill We Climb“ ist das Gedicht, das sie während der Amtseinführung von Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris am 20. Januar 2021 vorgetragen hat, damit war sie der jüngste Mensch der je bei einer solchen Amteinführung in den USA einen Vortrag hielt. Ihr Gedicht wurde weitgehend für seine optimistische und mutmachende Botschaft gelobt, besonders vor dem Hintergrund einer zutiefst gespaltenen Nation, die mit den Herausforderungen der COVID-19-Pandemie und politischen Turbulenzen zu kämpfen hatte.

„The Hill We Climb“ spricht Themen wie Einheit, Hoffnung und Widerstandsfähigkeit an und fordert die Menschen auf, trotz der Widrigkeiten zusammenzukommen und an einer besseren Zukunft zu arbeiten. Gormans poetische Darbietung und starken Worte fanden weltweit Resonanz und machten sie zu einer sofortigen Sensation und einem inspirierenden Symbol für viele insbesondre junge Menschen.

When day comes, we step out of the shade of flame and unafraid.
The new dawn balloons as we free it.
For there is always light, if only we’re brave enough to see it.
If only we’re brave enough to be it.

Das Gedicht und die Performance von Amanda Gorman zeigen nicht nur ihr außergewöhnliches Talent als Dichterin, sondern dient auch als Hoffnungsschimmer in einer Zeit großer Unsicherheit. Sie ermutigt die Menschen, an ihre Fähigkeit zu glauben, gemeinsam Hindernisse zu überwinden und positive Veränderungen herbeizuführen.

Graue Bienen – Andrej Kurkow erschienen im Diogenes Verlag, übersetzt von Johanna Marx und Sabine Grebing

Der Bienenzüchter Sergej lebt im Donbass, wo ukrainische Kämpfer und prorussische Separatisten Tag für Tag aufeinander schießen. Er überlebt nach dem Motto: Nichts hören, nichts sehen – sich raushalten. Ihn interessiert nur das Wohlergehen seiner Bienen. Denn während der Mensch für Zerstörung sorgt, herrscht bei ihnen eine weise Ordnung. Eines Frühlings bricht er auf: Er will die Bienen dorthin bringen, wo sie in Ruhe Nektar sammeln können.

Im dritten Frühling beschließt Sergej, seine Bienen aus der Kriegszone zu bringen. Sie sollen in Ruhe ausschwärmen, um ihren Nektar zu sammeln. Auf seiner Reise knüpft Sergej Freundschaften, stößt aber auch auf Misstrauen und Missgunst. Selbst auf der paradiesischen Krim fühlt er sich nicht wirklich willkommen. Und als sich sogar seine Bienen zu verändern scheinen, beschließt er, in sein Dorf zurückzukehren.

Habe vor Jahren einige Romane von Kurkow gelesen und sehr gemocht, dann rutschte er irgendwie von meinem Radar. Habe die Lektüre wieder sehr genossen und wieder literweise schwarzen Tee getrunken, auch wenn das zu den sommerlichen Temperaturen gar nicht so passen wollte. Ein sehr schönes Buch, das die Schrecken des Krieges in der Ukraine unfassbar nah werden lässt.

Er fühlte sich schon wie eine Biene in einem fremden Bienenstock. Und er wusste, wie Bienen mit Fremden umgingen!

Blanca – Mercedes Lauenstein erschienen im Aufbau Verlag

Die fünfzehnjährige Blanca will weg – weg von ihrer Mutter, die ständig auf gepackten Koffern sitzt, weg von den billigen WG-Zimmern, in denen sie an jedem neuen Ort unterkommen. Ihr Ziel: eine kleine Insel in Italien. Dort, bei Toni und seinem Vater Karl, war sie vor Jahren zum letzten Mal richtig glücklich. Ein Roadtrip quer durch das sommerglühende Land beginnt. Blanca reist als blinder Passagier nach Rom und schlägt sich zu Fuß bis ans Meer durch. Sie klaut in Cafés Essensreste von den Tischen, trifft auf einen Taxifahrer ohne Skrupel und einen zahnlosen Bauern, der sie zur Frau nehmen will. Mercedes Lauenstein entfaltet die Geschichte eines Mädchens, das seinen ganz eigenen Weg geht, ständig begleitet von der Frage, wie viel man vom Leben eigentlich erwarten kann.

Ein sehr bewegender Roman über ein Mädchen mit extrem schwierigen Startbedingungen, eine Kämpferin mit viel Street-Smartness von der man einfach weiß, dass sie ihren Weg machen wird und die mir unfassbar ans Herz gewachsen ist während der Lektüre.

Ich habe für die Schule mal einen Aufsatz mit dem Titel ‚Warum ist alles, wie es ist?‘ geschrieben. Wir sollten über etwas schreiben, das uns beschäftigt. Ich bekam den Aufsatz ohne Bewertung zurück. Die Lehrerin sagte, sie könne einen Aufsatz, der aus zehn Seiten hintereinanderweg geschriebener Fragen bestehe, aber keine einzige Antwort oder auch nur einen einzigen Satz mit Punkt am Ende enthalte, einfach keine Note geben, es tue ihr leid.

Der endlose Sommer – Madame Nielsen erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag, übersetzt von Hannes Langendörfer

Der Rausch eines Sommers – ein flirrender Roman, der die Grenzen des Erzählens sprengt.Die Geschichte einer kleinen Gruppe von Leuten, die im Spiel um die Liebe, die Freundschaft und die Kunst aus der Zeit in einen endlosen Sommer geworfen werden, in dem alles möglich und schicksalsentscheidend ist. Ein Roman wie ein Requiem, musikalisch, melancholisch, verführerisch, der den Leser trunken macht.

Ein junges Mädchen in einem weißen Herrenhaus in Dänemark, ihr Freund, der scheue und zarte Junge, der Stiefvater mit dem Gewehr und dem Misstrauen gegenüber seiner Frau, die beiden jüngeren Brüder – diese kleine Gemeinschaft wird durchgerüttelt, als zwei junge Portugiesen in den endlosen Sommer eintreten. Der eine ist Künstler und verliebt sich in die Mutter des Mädchens. Eine Liebesgeschichte nimmt ihren Anfang, die so leidenschaftlich und gewaltig ist, dass alle, die in den Bannkreis dieser Amour Fou geraten, in einer Schicksalsgemeinschaft vereint sind, die auch noch besteht, als der endlose Sommer endet.

Der endlose Sommer – das ist dieser Ort, der nie existiert hat und an den wir nie zurückkehren können, d.h. dieser Augenblick der Jugend, in dem alles einfach und verwirrend zugleich erscheint und den wir alle noch einmal erleben möchten.

Madame Nielsen ist eine dänische Schriftstellerin und Künstlerin, deren Werke zeichnen sich durch besondere Sensibilität und Poesie auszeichnen. Ein flirrend-fiebriger Roman, bei dem ich nicht immer unbedingt wußte um wen es gerade geht, oder was genau passiert – aber es passte zu der Stimmung und ich habe den Roman sehr gerne gelesen.

Ein paarmal im Jahr besuchten sie ihre große blonden und blauäugigen Eltern, und sie präsentierte sie stolz ihren spanischen Freundinnen, denen sie vorkamen wie aus dem Märchen, wie Feen oder Engel. Die beiden hatten sich sehr jung kennengelernt, und als sie auf die zwanzig zugingen, begannen sie, sich auseinanderzuleben, genauer gesagt, die Mutter entwickelte sich weg von ihrem Freund…

Lolly Willowes – Sylvia Townsend-Warner erschienen im Dörlemann Verlag hier in der Büchergilden-Ausgabe, übersetzt von Ann Anders

„Lolly Willowes“ ist ein faszinierender Roman von Sylvia Townsend Warner, der erstmals 1926 veröffentlicht wurde. Der Roman erzählt die Geschichte von Laura „Lolly“ Willowes, einer unabhängigen und eigenwilligen Frau, die nach dem Tod ihres Vaters beschließt, ihr Leben in der engen Umgebung ihrer Familie und ihrer gesellschaftlichen Erwartungen hinter sich zu lassen. Sie zieht in das kleine Dorf Great Mop auf dem Land, um dort ein einfacheres, freieres Leben zu führen.

Sylvia Townsend Warner, geboren 1893, war eine englische Schriftstellerin, die als eine der bedeutendsten Autorinnen des 20. Jahrhunderts gilt. Sie war eine starke Befürworterin der Frauenrechte und drückte in ihren Werken häufig feministische Ansichten aus. Als lesbische Frau lebte sie mit ihrer Lebensgefährtin, der Schriftstellerin Valentine Ackland, zusammen, was zu der Zeit nicht immer einfach war, da Homosexualität damals oft tabuisiert wurde.

„Lolly Willowes“ ist ein bemerkenswertes Werk, da es die Konventionen der Gesellschaft der damaligen Zeit in Frage stellt und eine subtile Kritik an den Rollen, die Frauen auferlegt wurden, bietet. Es erforscht die Idee der weiblichen Autonomie und der Suche nach persönlicher Erfüllung, was zu einer Zeit, in der die Geschlechterrollen streng vorgegeben waren, äußerst progressiv war.

Die Mischung aus literarischem Geschick und sozialem Kommentar macht den Roman zu einer lohnenswerten Lektüre. „Lolly Willowes“ eröffnet dem Leser eine fesselnde Welt und regt zum Nachdenken über die Bedeutung von Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung an. Die Verbindung zwischen Sylvia Townsend Warner und ihrem Werk verstärkt die Wirkung des Romans, da ihre eigene Lebenserfahrung in die Gestaltung der Charaktere und Themen einfließt.

Der Roman war die Juli Lektüre in unserem Bookclub, der Roman selbst wurde etwas durchwachsen besprochen, allerdings waren alle uneingeschränkt total von der Autorin fasziniert und ich werde mich auf jeden Fall auch auf die Suche nach einer Biografie dieser furchtlosen spannenden Frau machen.

Nach ein paar Monaten hörte sie auf, über die Dorfbewohner nachzugrübeln. Sie musste zugeben, dass sie etwas Unerklärbares an sich hatten, doch sie gab sich damit zufrieden, kein Teil dieses Geheimnis zu sein, was auch immer es sein mochte.

Ein seltsamer Ort – Banana Yoshimoto erschienen im Diogenes Verlag, übersetzt von Annelie Ortmanns

Die Zwillingsschwestern Mimi und Kodachi haben in Tokyo ein neues Leben begonnen, seit ihre Mutter in der Heimatstadt zwischen Bergen und Meer der Schlafkrankheit verfallen ist. Auf dem abgelegenen Ort lastet eine dunkle Sage. Eines Tages, als Kodachi die Mutter im Krankenhaus besuchen will, verschwindet sie plötzlich. Mimi macht sich besorgt auf die Suche. Alles deutet auf eine geheimnisvolle andere Welt hin.

Trotz des eigentlichen schweren Stoffes, den sie hier abliefert, ist der Roman leicht und fantastisch. Es mag um Familie und Verlust gehen, aber es geht auch um Jugend, Liebe und Magie. Es wimmelt von mystischen Kräften, Geistern und unerklärlichen Ereignissen. Es ist ein wahrer magischer Realismus, ganz im Sinne von Salman Rushdie oder ihrem japanischen Kollegen Haruki Murakami. Aber Yoshimotos Romane sind irgendwie wärmer als die Werke dieser beiden Autoren. Obwohl es phantastische Elemente gibt, ist es immer noch das normale Leben, mit dem sie sich beschäftigt.

Yoshimotos Stärke ist es, Momente perfekt zu beschreiben in denen man innehalten kann, um in Gedanken genau das festzuhalten, was einen für eine schöne und kurze Sekunde umgibt. Dies dürfte definitiv Yoshimotos experimentellster Roman. Ihre Werke werden oft als Teil der „Japanischen Literatur der Heisei-Ära“ betrachtet, die in der Zeit von 1989 bis 2019 stattfand. In dieser Zeit erlebte Japan eine Zeit des gesellschaftlichen und kulturellen Wandels, und die Literatur spiegelte diese Entwicklungen wider. Yoshimotos Geschichten zeichnen sich durch eine moderne, zeitgenössische Erzählweise aus und erforschen die emotionale Tiefe ihrer Charaktere.

Sie hat sich mit diesem Roman mehr oder weniger in die Rente verabschiedet. Keine Ahnung wie ernst man diese Ankündigung nehmen muss, aber so sehr ich ihr die wohlverdiente Ruhe gönne, ich würde mich auch in Zukunft gerne wieder schwindelig lesen lassen von ihren seltsamen verstörenden skurillen Figuren. Frau Yoshimotos Bücher kann man nicht fassen, sie rutschen einem durch die Hände in dem Moment in dem man über sie sprechen will, aber genau das liebe ich sie an ihr.

Diese Stadt, so schön, so klein und fein wie ein Schmuckkästchen – und doch lag sie immer, wenn ich an sie dachte, hinter einem Filter der Traurigkeit

Huhu – ist überhaupt noch jemand da, der es bis hier runter geschafft hat oder habe ich euch unterwegs schon alle verloren? Das war echt ein ziemlicher Berg Bücher, aber sorry Urlaub und Zugfahrten und Balkon und so – da wird es schon mal mehr.

Würde natürlich auch dieses Mal gerne wieder wissen von euch – was kennt ihr, was mochtet ihr, was nicht – eure Eindrücke?

Lektüre April

Der April war ein richtig guter Lesemonat. Das gruselige Wetter draußen hat für viel Lesezeit gesorgt, der freie Freitag ebenso. Ich habe gemerkt, wie gerne ich ein bißchen thematisch lese und habe mir durch Wald & Naturbücher versucht den Frühling eben literarisch ein bißchen ins Haus zu holen. War das schon eine Hirngymnastik oder nur ein thematischer Lesemonat? Wer weiß das schon und wen kümmert es. Lasst uns starten – ich stelle euch wieder kurz und knapp in alphabetischer Reihenfolge vor was ich diesen Monat gehört und gelesen habe:

Heimkehr – Wolfgang Büscher erschienen im Rowohlt Verlag

Wolfgang Büscher macht den Traum seiner Kindheit wahr. Er zieht in den Wald und erlebt dort Frühjahr, Sommer, Herbst. Ein Fürstenhaus an der hessisch-westfälischen Grenze, wo Büscher aufwuchs, überlässt ihm eine Jagdhütte – mitten im Wald, mitten in Deutschland. Hier schlägt er sein Feldbett auf. Kein Strom, kein fließend Wasser. Er richtet sich auf eine stille Zeit ein, auf Holzhacken und Feuermachen, eine Jagd ab und zu, eine Wanderung, ein Schützenfest, auf radikale Einsamkeit und eine Schwärze der Nächte, die in der Stadt unbekannt ist. Das Jahr wird ungeahnt dramatisch, Sturm, Hitze und Käferplage bringen den halben Wald um.

Das klang sehr vielversprechend, hat für mich aber so gar nicht gehalten was ich mir versprochen hatte. Da war eine Menge los im Wald und von Ruhe und Einsamkeit konnte keine Rede sein. Ich wollte wohl doch nichts von Schützenfesten und Jagdausflügen mit Fürsten lesen. Keine Empfehlung – ich fand es langweilig.

„Und wenn es so zugeht, wenn auf dem Wühltisch der Identitäten so einiges herumliegt und lockt, wenn gar nicht genau gesagt werden kann, wer einer ist – ist das dann alles, was über ihn gesagt werden kann?“

Die Fledermaus – Gunnar Decker erschienen im Berenberg Verlag

Eine Fledermaus im Schlaf­zimmer – nur stoische ­Naturen bleiben da unbeeindruckt. Nachdem sich bei Gunnar Decker der erste Schreck gelegt hatte, wurde er neugierig und wollte mehr über die unheimliche Herrin des Nachthimmels in Erfahrung bringen. Über ihre erstaunliche Fähigkeit, sich in stockdunklen Räumen zu orientieren, zu fliegen, obwohl sie keine Federn wie der Vogel, sondern Arme und Beine wie der Mensch hat. Über ihre zuneh­men­de Gefährdung und die Tatsache, dass die Fledermaus ein Wildtier ist, zu dem man – in beider­seitigem ­Interesse – den nötigen Abstand bewahren sollte. (Man holt sich schließlich auch keinen Wolf in die Wohnung.) Und über die zahllosen Legenden und Mythen. Denn natürlich gilt: Am Vampir kommt kein Fledermaus-Forscher vorbei.

Spannende Mischung aus Tierporträt, informativem Sachbuch und umfassender Kulturgeschichte – hat mir gut gefallen und ich habe noch so einiges über Fledermäuse erfahren, was ich nicht wußte. Finde sie weiterhin unendlich faszinierend, werde aber auch weiterhin respektvoll Abstand halten.

„Der Ruhepuls einer Fledermaus sinkt im Winterschlaf auf 3 bis 5 Herzschläge pro Minute, davon träumt jeder indische Yogi-Meister. Ihr normaler Puls im Wachzustand liegt bei 400 Schlägen pro Minute, im Jagdflug steigert er sich dann bis auf tausend Herzschläge pro Minute!“

The Geometer Lobachevsky – Aiden Duncan erschienen im Tuskar Rock Verlag

Nikolai Lobatschewski erkundet 1950 ein Moor in den irischen Midlands, wo er Landvermessungen vornimmt. Eines Nachmittags, kurz nach seiner Ankunft, erhält er ein Telegramm, das ihn zu einem „besonderen Termin“ nach Leningrad zurückruft.

Lobatschewski mag kein großes Genie sein, aber er erkennt ein Todesurteil, wenn er es sieht, und geht auf eine kleine Insel im Mündungsgebiet des Shannon, wo die Inselfamilien Seetang ernten und sich mit dem Spalten von Steinen abmühen. Hier muss Lobachevsky über den Tod nachdenken, darüber, wie er ihn vermeiden kann und ob er seine Heimat jemals wiedersehen wird.

Unsere April Bookclub Lektüre habe ich auf dem Kindle gelesen und es ist mir unfassbar schwer gefallen es zu Ende zu bringen. Ständig sind meine Gedanken abgeschweift, es war einfach wirklich wahnsinnig langweilig und ich möchte in diesem Leben nichts mehr über Landvermessung und Seetang lesen. Das letzte Kapitel wirkte als hätte er dringend noch den Bus bekommen müssen und hat dann im Laufen die letzten 10 Seiten geschrieben. War auch im Bookclub nicht wirklich der Renner, zwei mochten es sehr, die meisten empfahlen es als gut wirkendes Schlafmittel.

Zur See – Dörte Hansen erschienen im Penguin Verlag

Die Fähre braucht vom Festland eine Stunde auf die kleine Nordseeinsel, manchmal länger, je nach Wellengang. Hier lebt in einem der zwei Dörfer seit fast 300 Jahren die Familie Sander. Drei Kinder hat Hanne großgezogen, ihr Mann hat die Familie und die Seefahrt aufgegeben. Nun hat ihr Ältester sein Kapitänspatent verloren, ist gequält von Ahnungen und Flutstatistiken und wartet auf den schwersten aller Stürme. Tochter Eske, die im Seniorenheim Seeleute und Witwen pflegt, fürchtet die Touristenströme mehr als das Wasser, weil mit ihnen die Inselkultur längst zur Folklore verkommt. Nur Henrik, der Jüngste, ist mit sich im Reinen. Er ist der erste Mann in der Familie, den es nie auf ein Schiff gezogen hat, nur immer an den Strand, wo er Treibgut sammelt. Im Laufe eines Jahres verändert sich das Leben der Familie Sander von Grund auf, erst kaum spürbar, dann mit voller Wucht.

Das erste Drittel des Romans habe ich wirklich gerne gelesen, dann flachte mein Interesse ein kleines wenig ab. Hätte mir vielleicht etwas mehr stringente Handlung gewünscht, empfand es als etwas unzusammenhängende kurze Episoden. Altes Land gefiel mir etwas besser, aber Frau Hansen kann schreiben und selbst ein Buch das nicht vollends vom Hocker haut, ist immer noch ein sehr gutes.

“Alle Inseln ziehen Menschen an, die Wunden haben, Ausschläge auf Haut und Seele. Die nicht mehr richtig atmen können oder nicht mehr glauben, die verlassen wurden oder jemanden verlassen haben. Und die See soll es dann richten, und der Wind soll pusten, bis es nicht mehr wehtut.”

Quallen – Samuel Hamen erschienen im Matthes & Seitz Verlag

Von den direkten Gezeiten über die küstennahe Kontinentalschelfzone, von der Oberfläche des offenen Meeres bis hinab in dessen tiefste, kaum erforschte Bereiche bringen sie mit ihren ungeheuer reizbaren, »wie Hirnmasse in Häute verwandelten Leibern« nicht nur das Wasser zum Leuchten: Quallen. Seit Menschengedenken entziehen sich die Medusen jeglicher Festschreibung. Sie winden und wandeln sich wie organisiertes Wasser in den sie umströmenden Wellen und lassen die Imagination Funken sprühen. Doch gleich, ob als Störfaktor oder Symbol des Digitalen und Immersiven, als gestalterische Idee des Art Déco, als rückgratloses Schreckbild, Alien des Meeres, queeres Wappentier oder alarmistisches Emblem eines radikalen Wandels, bei dem selbst Wissenschaftler:innen mitunter an ihre Grenzen stoßen – Quallen, so zeigt Samuel Hamen in diesem schillernden Portrait, zucken nicht mit Wimpern, sondern mit Tentakeln, die je nach Art schon bei flüchtigem Kontakt starke Verbrennungen verursachen können. Wer es dennoch wagt, ihren Schwebebewegungen zu folgen, dem offenbart sich ein Einblick in die früheste Erdgeschichte wie auch in alle erdenkbaren Zukünfte.

Ich liebe Quallen und habe diesen Band wahnsinnig gerne gelesen. Wirklich spannend, gut geschrieben und sehr schön illustriert. Die Naturkunden Reihe ist eine kleine Schatztruhe an wunderschön gestalteten gut recherchierten Büchern – irgendwann möchte ich sie alle haben 🙂

„Die Blase von der die Rede ist, ist höchstwahrscheinlich der obere Teil der Physalia physalis, die gemeinhin Portugiesische Galeere genannt wird. Wem dieser Ausdruck noch nicht bellizistisch genug ist: Im Englischen trägt sie den Kosenamen Floating Terror. Von ihrem länglichen, halb durchsichtigen Körper, der an eine Boje erinnert und mit einer Gasmischung gefüllt ist, hängen angelschnurähnliche Tentakel herab, die üblicherweise eine Länge von acht bis zehn Metern erreichen und hochwirksame Gase absondern können.“

The Fifth Season – N. K. Jemisin unter dem Titel „Zerrissene Erde“ im Heyne Verlag erschienen übersetzt von Susanne Gerold

Inmitten einer sterbenden Welt hat die verzweifelte Essun nur ein Ziel: ihre Tochter aus den Händen eines Mörders zu befreien, den sie nur zu gut kennt.
Seit sich im Herzen des Landes Sansia ein gewaltiger Riss voll brodelnder Lava aufgetan hat, dessen Asche den Himmel verdüstert, scheinen immer mehr Menschen dem Wahnsinn zu verfallen. So lässt der Herrscher seine eigenen Bürger ermorden. Doch nicht Soldaten haben Essuns kleinen Sohn erschlagen und ihre Tochter entführt – sondern ihr eigener Ehemann! Essun folgt den beiden durch ein Land, das zur Todesfalle geworden ist. Und der Kampf ums nackte Überleben steht erst noch bevor.

Ich hatte es langsam bereits geahnt und das Buch hat er jetzt wohl final für mich bestätigt. Ich lese nicht so wahnsinnig gerne Space Operas. Das Buch ist wirklich gut geschrieben, es ist wahnsinnig intelligent und ich kann es Fans von Ursula LeGuin, Frank Herbert oder Octavia Butler nur ans Herz legen, aber ich freue mich auf eine Verfilmung, denn ich liebe SciFi und Space Opera – im Film, aber lese es einfach nicht so gerne. Daher werde ich die Trilogie auch nicht beenden und drücke mir und uns die Daumen, dass die Verfilmung nicht mehr allzu lange auf sich warten läßt.

“For all those that have to fight for the respect that everyone else is given without question.”

Wald – Doris Knecht erschienen im Rowohlt Verlag


Eine Frau allein in einem abgelegenen Haus in den Voralpen: Marian hat alles verloren. Die Krise und eigene Fehler trieben sie in den Bankrott, zum völligen Rückzug. Aber auch ihr Versuch, im geerbten Haus wieder zu sich zu finden, wird zum Überlebenskampf. Mühsam lernt Marian, sich zu versorgen, sie fischt, wildert, stiehlt Hühner, und dann ist da Franz …
Eine starke, gefallene Frau mit dem Willen zum Neuanfang, und das Landleben als Spiegel einer brüchigen bürgerlichen Welt – Doris Knecht erzählt mit unverwechselbarem Ton und auf mitreißende Weise davon, wie es ist, wenn man sein schönes Leben auf einen Schlag verliert.

Gelegentlich fremdel ich ja etwas mit deutscher Gegenwartsliteratur aber Frau Knecht ist genau wie Frau Hansen ganz mein Ding. Ein sehr intelligenter Roman der der Leser:in tief in die Seele schaut und den Finger in die Wunde unserer brüchigen bürgerlichen Welt hält mit ihren Unzulänglichkeiten und ihrer Doppelmoral. Große Empfehlung.

„Die Zeiten waren nicht normal, nicht ihre, und da es ihr nicht gelang, Sorgen und Furcht mit der Erinnerung an etwas Schönes zu kalmieren, vertrieb sie sie eben mit der Erinnerung an ein großes Scheitern.“

Der Klang der Wälder – Natsu Miyashita erschienen im Insel Verlag übersetzt von Sabine Mangold

Als der junge Tomura einem Klavierstimmer bei der Arbeit lauscht, fühlt er sich durch den Klang in die hohen, rauschenden Wälder seiner Kindheit zurückversetzt, und fortan prägt die Leidenschaft für die Musik sein Leben. Er lernt das Handwerk des Klavierstimmens, doch bei aller Hingabe ist da doch stets die Angst vor dem Scheitern auf der Suche nach dem perfekten Klang. Als er das Klavier der beiden Schwestern Kazune und Yuni stimmen soll, muss er erkennen, dass es dabei um mehr geht als um technische Versiertheit – und es »den einen« perfekten Klang nicht gibt. Und als er Kazune, die angehende Konzertpianistin, dann spielen hört, spürt er die Bestimmung seines Lebens: ihr Spiel zum Strahlen zu bringen.

Ein wunderschöner kleiner poetischer Roman, bei dem man sofort erkennt, dass es ein japanischer Roman ist, selbst wenn es keine Namen und Ortsbezeichnungen gebe. Leise und anmutig kommt es daher und ich habe ich sehr gerne gelesen.

„Mein Los war das Klavierstimmen, das mir den Duft der Wälder offenbart hatte. Ich konnte nicht mehr in die Berge zurück.“

The Shepherd’s Life – James Rebanks auf deutsch erschienen unter dem Titel „Mein Leben als Schäfer“ im Penguin Verlag übersetzt von Maria Andreas

James Rebanks‘ Familie lebt seit Generationen im englischen Hochland, dem Lake District. Die Lebensweise ist seit Jahrhunderten von den Jahreszeiten und Arbeitsabläufen bestimmt. Im Sommer werden die Schafe auf die kahlen Berge getrieben und das Heu geerntet; im Herbst folgen die Messen, wo die Herden aufgestockt werden, im Winter die Anstrengung, dass die Schafe am Leben bleiben, und die Erleichterung, die mit dem Frühling kommt, wenn die Lämmer geboren werden und die Tiere wieder in die Berge getrieben werden.

James Rebanks erzählt von einer archaischen Landschaft, von einer tiefen Verwurzelung an einen Ort. In eindrucksvoll klarer Prosa schildert er den Jahresablauf eines Hirten, bietet uns einen einzigartigen Einblick in das ländliche Leben. Er schreibt auch von den Menschen, die ihm nahestehen, Menschen mit großer Beharrlichkeit, obwohl sich die Welt um sie herum vollständig verändert hat.

Ich folge James Rebanks und seiner Frau seit geraumer Zeit auf Instagram und habe mich lange auf das Buch gefreut. Ich wurde nicht enttäuscht. Ich habe eine ganze Menge über den Lake District und das Leben der Menschen dort gelernt. Ein großartiges Buch, das ich rundum empfehlen kann.

„Frankly, every time I see a dog off a lead I am left fretting and fearing the worst until I see it back on the lead and packed into its owner’s car. So I suffer, even on the nine out of ten occasions when it all ends ok. Paranoid, maybe, but it is my job to fret about my sheep’s safety, and responsible visitors know that this fear exists and act accordingly. One person’s freedom is another man’s misery.“

Verwobenes Leben – Merlin Sheldrake erschienen im Ullstein Verlag übersetzt von Sebastian Vogel

Sie sind in der Erde, in der Luft, in unserem Körper. Pilze sind überall, aber man übersieht sie leicht. Sie halten uns am Leben, bauen Schadstoffe in der Atmosphäre ab und verändern das Verhalten von Tieren. Sie beeinflussen, wie wir Menschen fühlen und denken und sind für alle Lebensformen unverzichtbar. Sie existieren an der Grenze zwischen Leben und Tod. Der größte bekannte Pilz umfasst zehn Quadratkilometer, wiegt mehrere Hundert Tonnen und ist zwischen 2.000 und 8.000 Jahre alt. Pilze verfügen über eine eigene Intelligenz ohne zentrales Gehirn und können ihre Umwelt manipulieren. Merlin Sheldrake dringt ein in das verborgene Netzwerk der Pilze.

Ein wirklich erhellendes Buch das einen in die geheimnisvolle Welt er Pilze mitnimmt und mich stellenweise mit vor Staunen weit offenem Mund zurückgelassen hat. Man hat einfach keine Vorstellung, was es mit diesem Mycel auf sich hat, wozu Pilze so fähig sind und ich bin ziemlich sicher, wenn es nicht die Oktopoden sind, die die Weltherrschaft irgendwann übernehmen, dann werden es die Pilze sein. Unbedingt lesen!

„A mycelial network is a map of a fungus’s recent history and is a helpful reminder that all life-forms are in fact processes not things. The “you” of five years ago was made from different stuff than the “you” of today. Nature is an event that never stops. As William Bateson, who coined the word genetics, observed, “We commonly think of animals and plants as matter, but they are really systems through which matter is continually passing.”

„The Hobbit“ – JRR Tolkien erschienen unter dem Titel „Der kleine Hobbit“ im Klett Kotta Verlag übersetzt von Wolfgang Krege

Ohne große Ansprüche lebt Bilbo Beutlin im Auenland, bis er von dem Zauberer Gandalf und einer Horde Zwerge aus seiner Beschaulichkeit und seinem gemütlichen Alltag gerissen wird. Auf einmal findet er sich mitten in einem Abenteuer wieder, das ihn zu dem riesigen und gefährlichen Drachen Smaug führt, der einen kostbaren Schatz in seinen Besitz gebracht hat und eifersüchtig hütet. Der Hobbit ist der Anfang aller modernen Fantasy und erzählt die Vorgeschichte zum Herrn der Ringe.

Der Hobbit war diesen Monat mein Hörbuch, denn für mich bedeutet das Auenland irgendwie immerwährenden Frühling. Je ungemütlicher es draußen war, desto mehr bekam ich Lust trotz Regen mit dem Hörbuch auf den Ohren in meinem persönlichen Auenland den Isarauen herumzulaufen und mit Bilbo Beutlin große Abenteuer zu bestehen. Ich hatte es vor vielen Jahren immer Sonntags als Hörspiel im Radio gehört und war gespannt, ob es mir wohl genauso gut gefällt wie beim ersten Hören und Lesen und ich wurde nicht enttäuscht. Wo mir der „Herr der Ringe“ oft viel zu kampflastig ist und ich die vielen Szenen mit Schlachtgetümmel überblätterte ist der Hobbit eines meiner liebsten Fantasy Bücher. Wer den Regen nicht mehr sehen kann, sollte sich mit dem Hobbit ins Auenland begeben, da wo der ewige Frühling wohnt 😉

“There is nothing like looking, if you want to find something. You certainly usually find something, if you look, but it is not always quite the something you were after.”

Unter freiem Himmel – Markus Torgeby erschienen im Heyne Verlag übersetzt von Maximilian Stadler

Im Freien schlafen, umgeben von Bäumen, Dunkelheit und angenehmer Kälte. Dabei hoch zu den Sternen blicken und sehen, wie sich die Atemluft wie eine feine Wolke vor den Augen kräuselt. Vielleicht verpassen wir ja etwas, wenn wir immer nur in temperierten Räumen mit vier Wänden und einer Decke liegen. Markus Torgeby war ein erfolgreicher Langstreckenläufer, als er der Zivilisation den Rücken kehrte, in den Wald zog und fortan unter freiem Himmel schlief. Eine Erfahrung, die sein Leben und seinen Blick auf die Welt veränderte.

Mit dem Buch bin ich noch gar nicht fertig, aber ich wollte es hier schon mal hinein schmuggeln, denn es passt thematisch einfach so gut. Während ich mit meinen ganzen Waldbüchern beschäftigt war, habe ich dieses im öffentlichen Bücherschrank gefunden und da musste es natürlich mit. Ein wunderschön gestaltetes Buch und eine interessante Mischung aus Biografie und Ratgeber für alle die gerne mal unter freiem Himmel schlafen oder leben wollen. Mir reichen allerdings Wanderungen im Wald, das Bedürfnis da auch zu schlafen und gar noch auf nacktem Boden hält sich doch sehr in Grenzen. Insbesondere durch die Bilder ein wirklich schönes Buch.

„Im Jämtland, wo ich lebe, gibt es viele Nadelbäume und zwischendrin ein paar Birken. Ich gehe zuerst zu einer Birke und schäle ein paar Rindenfasern ab. Es fühlt sich ein bisschen so an, als würde man lose Haut abziehen. Wenn eine Tasche meiner Jacke voll ist, habe ich genug, um ein Feuer zu entfachen. Danach breche ich streichholzdünne Fichtenzweige ab, sie wachsen immer ganz unten und dicht am Stamm. Knackt es, wenn man sie abbricht, sind sie ausreichend trocken – es spielt keine Rolle, ob es aus Kübeln gießt, die Äste weiter oben schützen die dünnen Zweige darunter.“

Der Wald – Peter Wohlleben erschienen im Heyne Verlag

Peter Wohlleben, Förster aus Passion, zeigt den Wald, wie er ist und wie er sein könnte. Denn was wir irrtümlich für unberührte Natur halten, ist viel zu oft nur eine Ansammlung von Bäumen, die den Zwecken von Forstwirtschaft und Jagd zu dienen hat. Natürlich wachsende Bäume gedeihen in einer Lebensgemeinschaft, die alles umfasst, von den Geheimnissen des Waldbodens bis zu den höchsten Wipfeln. Peter Wohlleben lässt uns den Zauber der Natur wiederentdecken und vermittelt ein tiefes Verständnis vom Leben und Zusammenleben der Bäume.

Mein zweites Buch des Autors und wieder ein Fund aus dem Bücherschrank. Peter Wohlleben ist was den Wald angeht für mich das was Jamie Oliver seinerzeit fürs Kochen für mich war. Ich lerne viel, gehe mit offenen Augen durch den Wald bzw meine Isarauen und beschäftige mich deutlich intensiver mit den Bäumen um mich herum. Dieses Buch war deutlich biografischer als „Das geheime Leben der Bücher“ und ich fand es sehr spannend, was er über seine Ausbildung zum Förster schreibt, wie sich er Berufsstand in den letzten Jahren verändert hat und wie wichtig die Jagd für einen gesunden Wald ist.

„Die Chance, es so weit zu schaffen, beträgt für jeden Buchenembryo, der in einer Buchecker im Herbst zu Boden fällt, durchschnittlich 1:1,7 Millionen. Hungrige Tiere, die strenge Erziehung oder Unglücksfälle dezimieren die Baumjugend so stark, dass in 400 Jahren nur ein Baum ein komplettes Leben durchläuft. Aber das reicht zur Arterhaltung völlig aus.

Habt ihr es wirklich bis hier unten durchgehalten – dann Respekt. Das war ein wirklich umfangreicher Monat und ich bin gespannt, was ihr sagt. Konnte ich euch auf das eine oder andere Buch Lust machen? Habt ihr bei dem einen oder anderen eine änliche oder ganz andere Meinung? Freue mich immer von euch zu hören und jetzt Jacke an, Schuhe an und ab in den Wald…