Januar by the Book

Im frostigen Januar tauchte ich tief ein in die Welt der Bücher die mir eine gemütliche Flucht vor der winterlichen Kälte boten. Mit Barbara Kingsolver lernte ich unfassbar viel über die Opioid Krise in den USA, Naomi Aldermans blickte auf Tech Milliardäre, Macht und Gesellschaft, mit Haruki Murakamis reiste ich in ein faszinierendes Paralleluniversum, während Cho Nam-Joo mich mit ihrem Blick auf die südkoreanische Gesellschaft nachdenklich stimmte. Hörbücher über Caspar David Friedrich und gruselige Leuchttürme komplettierten meine literarische Reise, die mich von der Ostsee über Dresden bis hin zu den Weiten der USA führte. Das war ein richtig guter Lese Monat mit gleich mehreren 5 Sterne Büchern und keinem einzigen Ausfall – so mag ich das.

Jetzt wieder wie gewohnt in alphabetischer Reihenfolge durch den Lesemonat Januar:

The Future – Naomi Alderman erschienen im Heyne Verlag übersetzt von Barbara Ostrop

Ich habe „The Future“ inhaliert und innerhalb von 36 Stunden beendet. Was Bücher angeht ist 2024 richtig großartig bisher. Ich werde versuchen, hier nicht zu viel zu verraten, also schnallt euch an:
In The Future geht es darum, wie sich fiktive Versionen von Techno-Giganten wie Jobs, Bezos und Zuckerberg auf ein möglicherweise bevorstehendes apokalyptisches Ereignis vorbereiten. Sie haben geheime Bunker auf der ganzen Welt in denen sie sich vom Rest der Welt isolieren könnten, falls die Kacke mal wieder am Dampfen ist. Eine Gruppe von Menschen die diesen CEOs nahe stehen, erkennen dass es ebendiese CEOs sind, die an der Situation Schuld sind und zu ihrem Entstehen beigetragen haben auch weil sie komplett immun sind was die Probleme angeht denen der Rest der Welt gegenübersteht. Diese Gruppe wird zu Freund*innen die einen waghalsigen Plan aushecken um zu verhindern, dass wirklich alles den Bach runtergeht. Der Roman strotzt vor großartiger Ideen und spannenden Einsichten. Ich hab unfassbar viel gelernt. Alderman ist eine Brainbox und ich finde „The Future“ ist ein würdiger Nachfolger von „The Power“.

„Wie entsteht Vertrauen zwischen Menschen? Es ist ein Geben und Nehmen. Es fängt damit an, dass man sich in eine Lage begibt, in der man verletzlich ist, wenn auch zunächst nur ein wenig. Man prüft, ob der andere das ausnutzt. Vertrauen entsteht, wenn Menschen sich einander zuwenden und im selben Moment lachen. Es ist, als fertigte man in seinem Inneren ein Modell der anderen Person an, setzte es sich auf die Hand, betrachtete es von allen Seiten und sagte sich: Ja, ich sehe die Fehler und Gefahren, aber hier wird mir nichts geschehen.“

Wer Lust auf einen intelligenten, tiefgründigen Technothriller hat, der Hoffnung gibt in diesem grauen Januar, der ist hier genau richtig. Einzige Kritik – jeez hatten die Protagonisten teilweise Namen: Lenk Skettlish, Zimri Nommik, Si Packship ähmmm ok 😉

The Lighthouse Witches – CJ Cooke bislang nicht auf deutsch erschienen

Jaaaa ich weiß, ich weiß. Gerade hab ich noch gesagt jetzt erst mal keine Gothic Novels mehr und hier bin ich mit einer Gothic Novel. Aber zu meiner Ehrenrettung muss ich sagen, ich hab das Audiobook schon vor Weihnachten angefangen und gestern als München so leise eingeschneit wurde und ich das Bücherregal sortiert hab, war es einfach der perfekte Moment es zu Ende zu hören. Erfreulicherweise hat es sich auch richtig gelohnt, der Roman hat mir sehr gefallen CJ Cooke did it again 🙂

The Lighthouse Witches spielt in auf einer rauen Hochseeinsel in Schottland und die Sprecher des Audiobooks hatten einen so wunderbaren schottischen Akzent, dass alleine das dem Roman schon Bonuspunkte gebracht hat.

Ich liebe den schottischen Akzent so sehr, man könnte mir wahrscheinlich auch das Telefonbuch von Inverness vorlesen und ich würde 5 Sterne vergeben.

The Lighthouse Witches spielt auf drei Zeitebenen. Da ist zum einen Liv die in einer Nacht- und Nebelaktion ihre drei Töchter ins Auto packt und düst mit ihnen auf die abgelegene schottische Insel Black Isle wo sie in einem Leuchtturm ein Mural malen soll.
Die Insel ist nicht wirklich idyllisch. Rau, dunkel, einsam und ein Ort voller Mythen und düsteren Ereignissen.

„I used to tell myself that I regretted the choices I’d made in my life. But every choice, including the wrong ones, made me who I was… -both the good and bad experiences strengthened you, shaped you. We are not just made of blood and bone- we are made of stories. Some of us have our stories told for us, other write their own- you wrote yours.“

Ein gelungener Mix aus schottischer und nordischer Folklore, eine Höhle in der Frauen die der Hexerei angeklagt waren festgehalten und gefoltert wurden, bevor man sie verbrannte, Wildlings, Hexen, Flüche und Kinder die verschwinden.

Es dauert nicht lange, bis auch Livs Töchter verschwinden und in einer weiteren Timeline treffen wir Luna eine ihrer Töchter wieder, die nach über 20 Jahren den Anruf erhält, dass ihre verschwundene Schwester wiedergefunden wurde, allerdings ist diese nach wie vor ein Kind von 7 Jahren.

In der dritten Timeline hören wir aus Patricks Tagebuch was im 17. Jahrhundert während der Verhaftungen der Frauen als Hexen, der Anklage und letztendlich der Hinrichtungen tatsächlich passierte.

CJ Cooke verbindet all das zu einer spannenden Geschichte die viel Atmosphäre hat und sehr gut an einem kalten Winterwochenende gehört oder gelesen werden kann. Empfehlung!

Zauber der Stille – Florian Illies erschienen im S. Fischer Verlag

Ein zauberhaftes Buch, dass mir eigentlich gar nicht hätte gefallen sollen. Denn wer hier eine stringent erzählte Geschichte erwartet wird bitter enttäuscht. Es handelt sich eher um lose Vignetten, die Momente aus Friedrichs Leben oder den Menschen erzählen die mit seinen Bildern zu tun hatten, sie liebten oder verachteten. Und sowas mag ich eigentlich nicht.

Hier hat es aber richtig gut funktioniert. Habe den Roman als Hörbuch gehört (Sprecher #stephanschad) und konnte gar nicht aufhören von den spannenden, teilweise zutiefst traurigen, aber auch witzigen und überraschenden Momenten aus Friedrichs Leben zu erzählen.
All den Menschen da draußen, denen ich in den letzten Tagen als Friedrich Fangirl auf den Zwirn gegangen bin – sorry 😉

„Es ist vielleicht das kostbarste Gut der schönsten Gemälde Friedrichs, dass sie keine Antworten geben und nur Fragen stellen.“

Seine Bilder habe ich schon immer geliebt, das aber lange für eine meine zu wenig entwickelte künstlerische Ader zu halten, die doch lieber „schwierige“ moderne Kunst mögen sollte, als diese „einfachen“ zugänglichen Bilder. Half aber nix, mochte #casperdavidfriedrich und seine schwarz-romantischen Bilder schon immer.

Er ist mir sehr ans Herz gewachsen, der schwierige Caspar, der schon als Kind schreckliche prägende Erlebnisse machen musste, der ein Goethe-Fanboy war und gar keine Gegenliebe bekam, dem er dann irgendwann aber auch einen zackigen Korb verpasste.

Ich war faszinierend vom Brandschutzbeauftragten Friedrich, der Feuer so sehr fürchtete und dessen Bilder so oft dem Feuer zum Opfer gefallen sind.

Ich danke meiner lieben Freundin Barbara sehr, die mir diesen Roman sehr ans Herz gelegt hat. Recht hatte sie!

Wenig können wir momentan so sehr brauchen wie etwas mehr Stille und ich freue mich schon auf den nächsten Hamburg Besuch, damit ich die Friedrichs mal wieder besuchen kann in der Hamburger Kunsthalle.

Große Empfehlung für dieses Buch – es erweitert den Blick, spendet Ruhe und macht große Lust auf einen Besuch im Museum.

Demon Copperhead – Barbara Kingsolver auf deutsch im dtv Verlag erschienen, übersetzt von Dirk van Gunsteren

Ich habe das Buch nur gelesen, weil es die Januar Lektüre unseres Bookclubs ist und hatte eigentlich gar keine Lust drauf. Aus irgendeinem Grund hatte ich Vorurteile gegen Barbara Kingsolver, befürchtete irgendwie süßliche Familiengeschichten in denen viel gekocht, eingemacht und geheiratet wird und wurde wieder einmal gründlich überrascht.

Demon Copperhead ist die Geschichte eines Jungen der in den Appalachians in einem Trailerpark zur Welt kommt. Seine Mutter ist eine junge drogensüchtige Frau selbst noch minderjährig.
Demon erlebt schreckliche Ungerechtigkeiten und die Unzulänglichkeiten des Systems mit Blick auf Pflegefamilien, Kinderarbeit und die systemische Ausbeutung von Menschen.

Kingsolvers Blick ist voller Empathie für ihre Figuren und die Menschen in Appalachia, auf die in der Regel voller Häme und Überheblichkeit herabgesehen wird. Dieses Buch macht wütend, insbesondere auf die Pharma-Industrie die sehenden Auges Millionen Menschen aus Profitgier in die Abhängigkeit gestürzt hat.

„Certain pitiful souls around here see whiteness as their last asset that hasn’t been totaled or repossessed.”

Ich habe unfassbar viel gelernt in diesem Buch, konnte es überhaupt nicht aus der Hand legen und ich glaube ich vermisse Demon, Jules, Annie und Angus noch eine ganze Weile.
Ich habe Dickens „David Copperfield“ vor vielen Jahren gelesen und Kingsolver ist eine mehr als würdige Nachfolgerin.

Ein großartiger Roman den ich euch sehr ans Herz legen möchte.
Gehet, kaufet und leset 😉

Maniac – Benjamín Labatut erschienen im Suhrkamp Verlag, übersetzt von Thomas Brovot

Maniac von Benjamín Labatut schlug bei mir ein wie eine Bombe. Mensch vs Maschine und die Suche nach den Anfängen der Künstlichen Intelligenz. Er verknüpft das Schicksal des Physikers Paul Ehrenfest in den 1930er Jahren, den die wachsende Macht der Nazis immer panischer werden lässt mit dem des genialen dämonischen Begründer der Spieltheorie, dem Geburtshelfer der Atombombe, KI Pionier und Teil der ungarischen Wissenschaftler die „die Ausserirdischen“ genannt wurde.
Wahrscheinlich war von Neumann zu Lebzeiten wohl dem am nächsten was man eine künstliche Intelligenz nennen konnte.

Von Neumann besaß eine zutiefst rationale aber auch unmenschliche Intelligenz, der die innersten Bedürfnisse des Menschen gleichgültig sind. Labatut beleuchtet die Geschichte der KI und – insbesondere im letzten Teil des Buches in dem es um den koreanischen Go-Spieler Lee Sedol und seinem Kampf Mensch gegen Maschine – wohin die Reise der KI gehen könnte. Das Buch wirft viele Fragen auf, man kommt aus dem Nachdenken nicht heraus und ist dabei überaus lesbar und eingängig. Große Empfehlung. Auch für Menschen die ggf in der Schule nicht so viel mit Mathematik oder Physik am Hut hatten. Lesen und danach (nochmal) Oppenheimer sehen, man wird viele Bekannte aus dem Buch im Film wiederfinden.

„Er lächelte nur und sagte mit leiser Stimme, genau dann, in den dunkelsten Zeiten, könne man am weitesten sehen“

Habe Herrn Labatut bei einer Lesung im Literaturhaus „kennengelernt“ und habe mein Buch signieren lassen. Ein interessanter Autor, bin aber nicht sicher, ob ich unbedingt ein Bier mit ihm trinken möchte. Muss ich aber auch nicht. Er soll einfach weiter Bücher schreiben. Kann er gut.

Die Stadt und ihre ungewisse Mauer – Haruki Murakami erschienen im Dumont Verlag, übersetzt von Ursula Gräfe

Ich bin dieses Mal nicht komplett warm geworden mit dem Protagonisten, dem Buch und schon gar nicht mit der Stadt. Klingt jetzt alles schlimmer, als es ist – denn auch ein Murakami mit dem ich nicht vollumfänglich warm geworden ist, ist immer noch ein schönes Leseerlebnis und ich habe auch sehr viele durchweg positive Stimmen gehört, ich denke, es liegt in diesem Fall wirklich mehr an mir als am Buch.
Das Buch soll eine Art Weiterführung von „Hard Boiled Wonderland“ sein – ein Roman der auch nicht zu meinen Favoriten gehört, da liegt vermutlich der Grund fürs fremdeln.

Ich mochte die olle Stadt nicht, wollte nicht so viel Zeit in ihr verbringen mit dem Protagonisten der seinen Schatten aufgegeben hatte und seine Augen am Tor zur Stadt operieren lassen musste um in der örtlichen Bibliothek alte Träume lesen zu können. Die Bibliothek hat keine Bücher (!), und der Grund warum er in die Stadt gelangt, war natürlich eine verschwundene Frau die er in der Bibliothek auch wieder trifft, die ihn aber nicht erkennt und die irgendwie insgesamt ziemlich farblos bleibt und ich nicht nachvollziehen kann, warum er sein Leben lang so derart fasziniert von ihr ist.

„In meinem Kopf tobte ein heftiger Kampf zwischen Wirklichem und Unwirklichem. Ich stand jetzt an der Schwelle zwischen Bewusstem und Unbewusstem, und musste mich entscheiden, zu welcher Welt ich gehören wollte.“

Der zweite Teil des Romans war schon etwas mehr nach meinem Geschmack und enthielt zumindest in homöopathischen Dosen die für mich so notwendigen Zutaten für mein rauschhaftes Murakami-Erlebnis: es wurde zumindest gelegentlich gekocht – einfache Mahlzeiten natürlich, ein Glas Chablis getrunken, in einer Bibliothek MIT Büchern gearbeitet (!), gelesen und Musik gehört. Es war alles in allem eine Geschichte die mir wie ein etwas größer geratener Macaron vorkam: zart, leicht süß aber kaum im Mund ist er auch schon weg (vielleicht entsteht die Assoziation auch durch das pastellige Cover – gegessen habe ich allerdings bei der Lektüre nach Jahren mal wieder einen Blaubeer-Muffin der war auch ein bißchen süß.)

Ein 3,5 Sterne Murakami das ist durchaus solide und ich freue mich schon auf alle weiteren Romane die noch kommen. Bei den einfachen Mahlzeiten, dem ausreichenden Schlaf und dem vielen Sport den er treibt wird er doch sicher 120 🙂 Großartig übersetzt wieder von der wunderbaren Ursula Gräfe.

Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah – Cho Nam-Joo erschienen im KiWi Verlag, übersetzt von Jan Henriks Dirk

Manis lebt als Mittdreißigerin noch immer zu Hause mit ihren Eltern in einem der der ärmsten Stadtteile von Seoul. Ihr Vater arbeitet in einem Imbiss und ihre Mutter ist Hausfrau. Als kleines Mädchen wollte Mani Sportgymnastin werden, inspiriert durch die Olympiade 1988 in Seoul. Ihre Mutter ermöglicht ihr unter schwierigen Umständen das Training muss aber schnell einsehen, dass sie im Vergleich zu anderen nur wenig Talent hat. Und wenig Talent reicht oft reicheren Menschen aus, weil sie die Mittel haben trotzdem weiterzumachen, Nachhilfe zu bekommen, Förderung etc aber ein armes Mädchen wie Mani hat eigentlich nur eine Chance. Übergroßes Talent und großes Glück. Und beides hat sie nicht. Sie führt ein einfaches, langweiliges Leben und der Roman schafft es aus meiner Sicht genau diese Lethargie, diese Kraftlosigkeit der Manis dieser Welt zu transportieren, denen einfach die Energie fehlt sich weiter groß anzustrengen. Für die es kein Entkommen gibt aus der Armut.

Mani erwartet wenig vom Leben und bekommt auch nicht viel.

In Seoul liegen bittere Armut und riesiger Reichtum ganz nah beieinander, anders als in „Saltburn“ oder „Parasite“ gibt es hier keine dramatischen unerwarteten Wendungen sondern Mani bekommt mehr oder weniger vom Leben das was sie auch erwartet.

„Armselig bis auf die Knochen … Diese Angewohnheit, ohne Rücksicht auf die Qualität partout das Billigste zu wählen. Selbst wenn wir eine Milliarde, ach was, zehn Milliarden Won im Lotto gewonnen hätten – einfach mal richtig schön essen gehen wäre vermutlich trotzdem nicht drin gewesen. Ganz gleich, ob wir so verzagt geworden waren, weil wir arm waren, oder ob wir glaubten, dass wir unserer Armut – hipp, hipp, hurra! entkommen könnten, wenn wir so verzagt lebten.“

Die Müdigkeit, das fehlende Selbstvertrauen, die Hoffnungslosigkeit die Mani ausstrahlt zieht sich durch den Roman und macht den Roman zu keiner einfachen, aber sehr lohnenswerten Lektüre.
Arm bleibt Arm – viel zu oft.

Aber man muss sich auf diverse Körperflüssigkeiten und Toilettengänge mit Detailbeschreibungen einlassen. Die bieten auf jeden Fall eine Menge Comic Relief.
Ich danke dem KiWi Verlag für dieses Rezensionsexemplar / unbezahlte Werbung

Das war also der Januar und jetzt freue ich mich wieder von Euch zu hören. Was davon habt ihr auch gelesen / wollt ihr noch lesen? Wo unterscheiden sich unsere Meinungen, wo decken sie sich? Konnte ich Euch auf das eine oder andere Buch neugierig machen?

Juli Lektüre – Sommer Ausgabe

Was gibt es Schöneres als im Sommer im Urlaub am Meer, oder zu Hause im Gras, im Zug, auf dem Balkon, an der Isar oder im verdunkelten Schlafzimmer zu liegen und zu lesen? Ich lese zu jeder Jahreszeit gerne, aber dieses Sommerferiengefühl beim draußen lesen ist einfach was ganz Besonderes. Hier also der Rest der Juni sowie die Juli Lektüre. Wie immer kurz, knackig und in alphabetischer Reihenfolge.

Find Me – André Aciman auf deutsch „Finde Mich“ im dtv Verlag erschienen, übersetzt von Thomas Brovot

Die Geschichte von Elio und Oliver geht weiter. „Call Me by your name“ ist für mich einer der schönsten Sommerfilme und ich habe mich sehr auf die Fortsetzung gefreut. Elio lebt als Pianist in Rom. Seit der Trennung von seiner großen Jugendliebe Oliver ist er keine längere und ernsthafte Beziehung eingegangen. Oliver hingegen hat in New York geheiratet, ein bürgerliches Leben als Collegeprofessor begonnen, eine Familie gegründet. Doch insgeheim ist er über die Beziehung mit Elio nicht hinweggekommen. In seinem neuen Roman erweist sich André Aciman erneut als Meister des sinnlichen Erzählens. Die Suche nach dem einen Menschen im Leben, den man wahrhaftig liebt, kann lange dauern – doch sie ist nie vergebens.

Der Roman ist in drei Episoden aufgeteilt, wobei die eigentliche Fortsetzung von Elio und Oliver die kürzeste ist. Das als kleine Vorwarnung – wer einen Roman erwartet der sich umfänglich und vielleicht sogar ausschließlich den beiden widmet, würde hier enttäuscht werden.

Ich fand die drei ineinanderfließenden Episoden dieses eleganten Büchleins wundervoll. Ich liebe Acimans Schreibstil, er ist für mich die Verkörperung von Sprezzaturo in der Literatur.

Some people may be brokenhearted not because they’ve been hurt but because they’ve never found someone who mattered enough to hurt them.

Im Haus der Weisheit – Jim Khalili erschienen im S. Fischer Verlag, übersetzt von Sebastian Vogel

Die arabischen Fundamente unserer modernen Gesellschaft.

Im Haus der Weisheit“ von Jim Al-Khalili ist eine faszinierende und gut geschriebene historische Reise durch die Blütezeit der islamischen Wissenschaft im Mittelalter. Das Buch beleuchtet die unglaublichen Errungenschaften und den intellektuellen Reichtum der muslimischen Gelehrten im alten Bagdad, als diese Stadt das Zentrum des Wissens und der Kultur war.

Jim Al-Khalili präsentiert das Thema auf anschauliche Weise und vermittelt dem Leser eine klare Vorstellung von der erstaunlichen Vielfalt der wissenschaftlichen Disziplinen, die von den muslimischen Gelehrten studiert wurden, einschließlich Astronomie, Mathematik, Medizin, Philosophie und Literatur. Er zeigt, wie die Übersetzungen klassischer griechischer und indischer Werke sowie die originellen Beiträge der arabischen Gelehrten die Grundlage für viele spätere wissenschaftliche Entdeckungen in Europa und anderswo bildeten.

Besonders beeindruckend ist die Betonung der Zusammenarbeit zwischen Muslimen, Christen und Juden in diesem kulturell reichen Umfeld. Al-Khalili betont, wie dieses harmonische Zusammenleben die Wissensaneignung und den intellektuellen Fortschritt förderte.

Meine einzige Kritik ist, dass das Buch manchmal zu viele Informationen auf einmal präsentiert, was den Lesefluss beeinträchtigen kann. Dennoch ist „Im Haus der Weisheit“ insgesamt ein lesenswertes Werk für alle, die sich für die Geschichte der Wissenschaft und des Wissensaustauschs interessieren. Es bietet einen Einblick in eine Zeit, die oft in den Schatten gestellt wird und verdient es, mehr Beachtung zu finden.

Ein wahrhaft weiser Leser lädt dich nicht ein, das Haus seiner Weisheit zu betreten, sondern er führt dich an die Schwelle deines Geistes.

Khalil Gibran

Jews don’t count – David Baddiel erschienen im TLS Verlag, aktuell nicht auf deutsch erhältlich

„Jews Don’t Count“ ist ein Buch des britischen Autors David Baddiel, das 2020 veröffentlicht wurde. In diesem Werk behandelt Baddiel das Thema des Antisemitismus und wie die jüdische Bevölkerung oft nicht angemessen in den Diskurs über Rassismus und Diskriminierung einbezogen wird.

Die Kernthese des Buches ist, dass Antisemitismus häufig ignoriert, heruntergespielt oder nicht ernsthaft bekämpft wird, während andere Formen von Rassismus in der Gesellschaft breitere Aufmerksamkeit und Unterstützung erhalten. Baddiel argumentiert, dass Juden oft nicht als „echte Opfer“ des Rassismus angesehen werden, was zu einer Gefahr für ihre Sicherheit und Würde führt.

Er untersucht auch, wie einige politische Bewegungen und Gruppen den Antisemitismus in ihren Reihen nicht ausreichend bekämpfen, was wiederum zur Marginalisierung der jüdischen Erfahrung beiträgt.

Das Buch will ein Bewusstsein schaffen und dazu ermutigen, Antisemitismus als ernsthaftes Problem anzuerkennen und in den Kampf gegen Rassismus einzubeziehen, um eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft zu fördern.

Jews Don’t Count war für mich eine augenöffnende Lektüre die für mich eine neue Perspektive bot auf die Debatte um Identitätspolitik und Diskriminierung. Ein wichtiges Buch und stellenweise wirklich witzig, man merkt, dass Mr Baddiel hauptberuflich ein Comedian ist. Große Empfehlung!

Jews are somehow both sub-human and humanity’s secret masters. And it’s this racist mythology that’s in the air when the left pause before putting Jews into their sacred circle.

We live in a culture now where impact is more important than intent; where how things are taken is more significant than how they are meant.

Auerhaus – Bov Bjerg erschienen im Blumenbar Verlag

Bov Bjergs Roman „Auerhaus“ ist eine bewegende und tiefgründige Geschichte über Freundschaft, Jugend und die Suche nach dem Sinn des Lebens. Die Handlung dreht sich um eine Gruppe von Jugendlichen, die gemeinsam beschließen, aus ihrem tristen Alltag auszubrechen und eine Wohngemeinschaft im „Auerhaus“ zu gründen.

Bjerg gelingt es, tiefgründige Themen wie Depression, Verlust und die Suche nach Identität auf eine zugängliche und einfühlsame Weise zu behandeln. Dabei schafft er es, eine Balance zwischen ernsten Momenten und humorvollen Szenen zu finden, die den Leser gleichzeitig berühren und zum Schmunzeln bringen.

Die Stärke des Romans liegt auch in seiner Sprache und Erzählstruktur. Die klaren, einfachen Sätze und die kurzen Kapitel verstärken die emotionale Wirkung und machen das Buch zu einem fesselnden Leseerlebnis. Ich habe den Roman wirklich gerne gelesen, obwohl ich lange keine richtige Lust drauf hatte und danke der hartnäckigen Gattin, dass sie mich immer wieder an das Buch erinnert hat.

Ich wollte mich nicht umbringen. Ich wollte bloß nicht mehr leben. Ich glaube, das ist ein Unterschied.

The Girls – Emma Cline auf deutsch erschienen unter dem gleichen Titel im dtv Verlag, übersetzt von Nicolaus Stingl

The Girls“ von Emma Cline ist ein fesselnder Roman, der geschickt zwischen Coming-of-Age-Drama und Kriminalgeschichte jongliert. Die Geschichte ist in den späten 1960er Jahren in Kalifornien angesiedelt und zeichnet ein eindringliches Bild von der Anziehungskraft einer sektenähnlichen, manipulativen Gruppe auf junge Menschen.

Cline schreibt mit einer beeindruckenden Sprache und verleiht der Protagonistin, Evie, eine bemerkenswerte Tiefe. Wir folgen ihrer faszinierenden, aber erschreckenden Reise in die Welt der charismatischen Sektenführerin und ihrer Anhängerinnen. Die Darstellung der weiblichen Freundschaften und der Verwundbarkeit von Heranwachsenden ist äußerst realistisch und ergreifend.

Der Roman beleuchtet auch geschickt die historischen Ereignisse des Manson-Mordes, wodurch die Atmosphäre düsterer und beklemmender wird. Cline gelingt es, die Spannung während des gesamten Buches aufrechtzuerhalten, was den Leser in ihren Bann zieht.

„The Girls“ ist eine düstere Geschichte über Manipulation, Verführung und die Konsequenzen von Entscheidungen erzählt. Emma Cline hat mich mit ihrem Debüt sehr beeindruckt und ich freue mich schon auf weitere Romane von ihr

That was part of being a girl–you were resigned to whatever feedback you’d get. If you got mad, you were crazy, and if you didn’t react, you were a bitch. The only thing you could do was smile from the corner they’d backed you into. Implicate yourself in the joke even if the joke was always on you.

Lügen über meine Mutter – Daniela Dröscher erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag

Daniela Dröscher erzählt vom Aufwachsen in einer Familie, in der ein Thema alles beherrscht: das Körpergewicht der Mutter. Ist diese schöne, eigenwillige, unberechenbare Frau zu dick? Muss sie dringend abnehmen? Ja, das muss sie. Entscheidet ihr Ehemann. Und die Mutter ist dem ausgesetzt, Tag für Tag.

„Lügen über meine Mutter“ ist zweierlei zugleich: die Erzählung einer Kindheit im Hunsrück der 1980er, die immer stärker beherrscht wird von der fixen Idee des Vaters, das Übergewicht seiner Frau wäre verantwortlich für alles, was ihm versagt bleibt: die Beförderung, der soziale Aufstieg, die Anerkennung in der Dorfgemeinschaft. Und es ist eine Befragung des Geschehens aus der heutigen Perspektive: Was ist damals wirklich passiert? Was wurde verheimlicht, worüber wurde gelogen? Und was sagt uns das alles über den größeren Zusammenhang: die Gesellschaft, die ständig auf uns einwirkt, ob wir wollen oder nicht?

Schonungslos und eindrücklich lässt Daniela Dröscher ihr kindliches Alter Ego die Jahre, in denen sich dieses »Kammerspiel namens Familie« abspielte, noch einmal durchleben. Ihr gelingt ein ebenso berührender wie kluger Roman über subtile Gewalt, aber auch über Verantwortung und Fürsorge. Vor allem aber ist dies ein tragik-komisches Buch über eine starke Frau, die nicht aufhört, für die Selbstbestimmung über ihr Leben zu kämpfen.

Dröscher gelingt es, den Leser durch eine poetische und einfühlsame Sprache in die Welt der Protagonistin einzuführen. Die Emotionen und Gedanken der Hauptfigur werden auf eine fesselnde Weise vermittelt, die den Leser in die Geschichte hineinzieht und mitfühlen lässt.

Die Thematik des Romans, die Suche nach der eigenen Identität und die Bewältigung von familiären Konflikten, wird auf eine ansprechende und tiefgründige Weise behandelt. Die Erzählung wirft Fragen nach der Wahrheit, dem Verlust und der Liebe auf und regt zum Nachdenken an.

Wenn Du nicht endlich redest, muss ich etwas erfinden. Ich muss lügen“, droht die Tochter, worauf die Mutter kontert: „Nur zu. Das ist ja dein Beruf.

This is How you lose the Time War – Amal El Mohtar & Max Gladstone bislang nicht auf deutsch erschienen

„This is how you lose the time war“ ist ein fesselndes und ziemlich unkonventionelles Buch, das von Amal El-Mohtar und Max Gladstone gemeinsam geschrieben wurde. Es ist eine einzigartige Mischung aus Science-Fiction, Liebesgeschichte und Zeitreiseabenteuer.

Die Geschichte dreht sich um zwei Zeitreise-Agentinnen, Red und Blue, die auf entgegengesetzten Seiten eines Krieges stehen. Als sie beginnen, sich Briefwechsel zu begegnen, entfaltet sich eine unerwartete Verbindung zwischen den beiden. Die Autoren präsentieren die Geschichte auf wunderbar poetische Weise, die den Leser in eine faszinierende Welt voller Intensität und Emotionen eintauchen lässt.

Die Prosa ist ganz wunderbar elegant, wodurch die Handlung trotz ihrer Komplexität leicht zugänglich bleibt. Die Beziehung zwischen Red und Blue wird voller Schönheit beschrieben und entfaltet sich auf eine Art und Weise, die einen bis zur letzten Minute des Hörbuches mitfiebern lässt. Es ist eine Geschichte über Liebe, Verlust und die Bedeutung von Verbindungen, die weit über Zeit und Raum hinausgehen.

Die Welt, die in „This is how you lose the time war“ geschaffen wird, ist ebenso beeindruckend wie verwirrend. Die Zeitreiseelemente können ab und an kompliziert sein, aber sie geben dem ganzen auch eine gewisse Tiefe und Raffinesse. Die Autoren lassen bewusst einige Fragen unbeantwortet, was die Fantasie des Lesers anregt und Platz für Interpretationen lässt. Ab und an war es mir doch etwas blumig und zu romantisch von der Sprache her, aber das hat meinem Hörvergnügen keinen großen Abbruch getan.

Ich lese schon länger den Newsletter von Amal El Mohtar und hatte ihre Buch daher schon länger auf der Wunschliste, ich bin aber froh, dass ich mich von dem Hype nicht habe abhalten lassen und gebe Bigolas Dickolas einfach mal recht – lest dieses Buch!

I love you. I love you. I love you. I’ll write it in waves. In skies. In my heart. You’ll never see, but you will know. I’ll be all the poets, I’ll kill them all and take each one’s place in turn, and every time love’s written in all the strands it will be to you.

The Hill we Climb – Den Hügel hinauf – Amanda Gorman erschienen als zweisprachige Ausgabe im Hoffmann und Campe Verlag, übersetzt von Kübra Gümüsay, Hadija Haruna-Oelker, Uda Strätling

„The Hill We Climb“ ist das Gedicht, das sie während der Amtseinführung von Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris am 20. Januar 2021 vorgetragen hat, damit war sie der jüngste Mensch der je bei einer solchen Amteinführung in den USA einen Vortrag hielt. Ihr Gedicht wurde weitgehend für seine optimistische und mutmachende Botschaft gelobt, besonders vor dem Hintergrund einer zutiefst gespaltenen Nation, die mit den Herausforderungen der COVID-19-Pandemie und politischen Turbulenzen zu kämpfen hatte.

„The Hill We Climb“ spricht Themen wie Einheit, Hoffnung und Widerstandsfähigkeit an und fordert die Menschen auf, trotz der Widrigkeiten zusammenzukommen und an einer besseren Zukunft zu arbeiten. Gormans poetische Darbietung und starken Worte fanden weltweit Resonanz und machten sie zu einer sofortigen Sensation und einem inspirierenden Symbol für viele insbesondre junge Menschen.

When day comes, we step out of the shade of flame and unafraid.
The new dawn balloons as we free it.
For there is always light, if only we’re brave enough to see it.
If only we’re brave enough to be it.

Das Gedicht und die Performance von Amanda Gorman zeigen nicht nur ihr außergewöhnliches Talent als Dichterin, sondern dient auch als Hoffnungsschimmer in einer Zeit großer Unsicherheit. Sie ermutigt die Menschen, an ihre Fähigkeit zu glauben, gemeinsam Hindernisse zu überwinden und positive Veränderungen herbeizuführen.

Graue Bienen – Andrej Kurkow erschienen im Diogenes Verlag, übersetzt von Johanna Marx und Sabine Grebing

Der Bienenzüchter Sergej lebt im Donbass, wo ukrainische Kämpfer und prorussische Separatisten Tag für Tag aufeinander schießen. Er überlebt nach dem Motto: Nichts hören, nichts sehen – sich raushalten. Ihn interessiert nur das Wohlergehen seiner Bienen. Denn während der Mensch für Zerstörung sorgt, herrscht bei ihnen eine weise Ordnung. Eines Frühlings bricht er auf: Er will die Bienen dorthin bringen, wo sie in Ruhe Nektar sammeln können.

Im dritten Frühling beschließt Sergej, seine Bienen aus der Kriegszone zu bringen. Sie sollen in Ruhe ausschwärmen, um ihren Nektar zu sammeln. Auf seiner Reise knüpft Sergej Freundschaften, stößt aber auch auf Misstrauen und Missgunst. Selbst auf der paradiesischen Krim fühlt er sich nicht wirklich willkommen. Und als sich sogar seine Bienen zu verändern scheinen, beschließt er, in sein Dorf zurückzukehren.

Habe vor Jahren einige Romane von Kurkow gelesen und sehr gemocht, dann rutschte er irgendwie von meinem Radar. Habe die Lektüre wieder sehr genossen und wieder literweise schwarzen Tee getrunken, auch wenn das zu den sommerlichen Temperaturen gar nicht so passen wollte. Ein sehr schönes Buch, das die Schrecken des Krieges in der Ukraine unfassbar nah werden lässt.

Er fühlte sich schon wie eine Biene in einem fremden Bienenstock. Und er wusste, wie Bienen mit Fremden umgingen!

Blanca – Mercedes Lauenstein erschienen im Aufbau Verlag

Die fünfzehnjährige Blanca will weg – weg von ihrer Mutter, die ständig auf gepackten Koffern sitzt, weg von den billigen WG-Zimmern, in denen sie an jedem neuen Ort unterkommen. Ihr Ziel: eine kleine Insel in Italien. Dort, bei Toni und seinem Vater Karl, war sie vor Jahren zum letzten Mal richtig glücklich. Ein Roadtrip quer durch das sommerglühende Land beginnt. Blanca reist als blinder Passagier nach Rom und schlägt sich zu Fuß bis ans Meer durch. Sie klaut in Cafés Essensreste von den Tischen, trifft auf einen Taxifahrer ohne Skrupel und einen zahnlosen Bauern, der sie zur Frau nehmen will. Mercedes Lauenstein entfaltet die Geschichte eines Mädchens, das seinen ganz eigenen Weg geht, ständig begleitet von der Frage, wie viel man vom Leben eigentlich erwarten kann.

Ein sehr bewegender Roman über ein Mädchen mit extrem schwierigen Startbedingungen, eine Kämpferin mit viel Street-Smartness von der man einfach weiß, dass sie ihren Weg machen wird und die mir unfassbar ans Herz gewachsen ist während der Lektüre.

Ich habe für die Schule mal einen Aufsatz mit dem Titel ‚Warum ist alles, wie es ist?‘ geschrieben. Wir sollten über etwas schreiben, das uns beschäftigt. Ich bekam den Aufsatz ohne Bewertung zurück. Die Lehrerin sagte, sie könne einen Aufsatz, der aus zehn Seiten hintereinanderweg geschriebener Fragen bestehe, aber keine einzige Antwort oder auch nur einen einzigen Satz mit Punkt am Ende enthalte, einfach keine Note geben, es tue ihr leid.

Der endlose Sommer – Madame Nielsen erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag, übersetzt von Hannes Langendörfer

Der Rausch eines Sommers – ein flirrender Roman, der die Grenzen des Erzählens sprengt.Die Geschichte einer kleinen Gruppe von Leuten, die im Spiel um die Liebe, die Freundschaft und die Kunst aus der Zeit in einen endlosen Sommer geworfen werden, in dem alles möglich und schicksalsentscheidend ist. Ein Roman wie ein Requiem, musikalisch, melancholisch, verführerisch, der den Leser trunken macht.

Ein junges Mädchen in einem weißen Herrenhaus in Dänemark, ihr Freund, der scheue und zarte Junge, der Stiefvater mit dem Gewehr und dem Misstrauen gegenüber seiner Frau, die beiden jüngeren Brüder – diese kleine Gemeinschaft wird durchgerüttelt, als zwei junge Portugiesen in den endlosen Sommer eintreten. Der eine ist Künstler und verliebt sich in die Mutter des Mädchens. Eine Liebesgeschichte nimmt ihren Anfang, die so leidenschaftlich und gewaltig ist, dass alle, die in den Bannkreis dieser Amour Fou geraten, in einer Schicksalsgemeinschaft vereint sind, die auch noch besteht, als der endlose Sommer endet.

Der endlose Sommer – das ist dieser Ort, der nie existiert hat und an den wir nie zurückkehren können, d.h. dieser Augenblick der Jugend, in dem alles einfach und verwirrend zugleich erscheint und den wir alle noch einmal erleben möchten.

Madame Nielsen ist eine dänische Schriftstellerin und Künstlerin, deren Werke zeichnen sich durch besondere Sensibilität und Poesie auszeichnen. Ein flirrend-fiebriger Roman, bei dem ich nicht immer unbedingt wußte um wen es gerade geht, oder was genau passiert – aber es passte zu der Stimmung und ich habe den Roman sehr gerne gelesen.

Ein paarmal im Jahr besuchten sie ihre große blonden und blauäugigen Eltern, und sie präsentierte sie stolz ihren spanischen Freundinnen, denen sie vorkamen wie aus dem Märchen, wie Feen oder Engel. Die beiden hatten sich sehr jung kennengelernt, und als sie auf die zwanzig zugingen, begannen sie, sich auseinanderzuleben, genauer gesagt, die Mutter entwickelte sich weg von ihrem Freund…

Lolly Willowes – Sylvia Townsend-Warner erschienen im Dörlemann Verlag hier in der Büchergilden-Ausgabe, übersetzt von Ann Anders

„Lolly Willowes“ ist ein faszinierender Roman von Sylvia Townsend Warner, der erstmals 1926 veröffentlicht wurde. Der Roman erzählt die Geschichte von Laura „Lolly“ Willowes, einer unabhängigen und eigenwilligen Frau, die nach dem Tod ihres Vaters beschließt, ihr Leben in der engen Umgebung ihrer Familie und ihrer gesellschaftlichen Erwartungen hinter sich zu lassen. Sie zieht in das kleine Dorf Great Mop auf dem Land, um dort ein einfacheres, freieres Leben zu führen.

Sylvia Townsend Warner, geboren 1893, war eine englische Schriftstellerin, die als eine der bedeutendsten Autorinnen des 20. Jahrhunderts gilt. Sie war eine starke Befürworterin der Frauenrechte und drückte in ihren Werken häufig feministische Ansichten aus. Als lesbische Frau lebte sie mit ihrer Lebensgefährtin, der Schriftstellerin Valentine Ackland, zusammen, was zu der Zeit nicht immer einfach war, da Homosexualität damals oft tabuisiert wurde.

„Lolly Willowes“ ist ein bemerkenswertes Werk, da es die Konventionen der Gesellschaft der damaligen Zeit in Frage stellt und eine subtile Kritik an den Rollen, die Frauen auferlegt wurden, bietet. Es erforscht die Idee der weiblichen Autonomie und der Suche nach persönlicher Erfüllung, was zu einer Zeit, in der die Geschlechterrollen streng vorgegeben waren, äußerst progressiv war.

Die Mischung aus literarischem Geschick und sozialem Kommentar macht den Roman zu einer lohnenswerten Lektüre. „Lolly Willowes“ eröffnet dem Leser eine fesselnde Welt und regt zum Nachdenken über die Bedeutung von Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung an. Die Verbindung zwischen Sylvia Townsend Warner und ihrem Werk verstärkt die Wirkung des Romans, da ihre eigene Lebenserfahrung in die Gestaltung der Charaktere und Themen einfließt.

Der Roman war die Juli Lektüre in unserem Bookclub, der Roman selbst wurde etwas durchwachsen besprochen, allerdings waren alle uneingeschränkt total von der Autorin fasziniert und ich werde mich auf jeden Fall auch auf die Suche nach einer Biografie dieser furchtlosen spannenden Frau machen.

Nach ein paar Monaten hörte sie auf, über die Dorfbewohner nachzugrübeln. Sie musste zugeben, dass sie etwas Unerklärbares an sich hatten, doch sie gab sich damit zufrieden, kein Teil dieses Geheimnis zu sein, was auch immer es sein mochte.

Ein seltsamer Ort – Banana Yoshimoto erschienen im Diogenes Verlag, übersetzt von Annelie Ortmanns

Die Zwillingsschwestern Mimi und Kodachi haben in Tokyo ein neues Leben begonnen, seit ihre Mutter in der Heimatstadt zwischen Bergen und Meer der Schlafkrankheit verfallen ist. Auf dem abgelegenen Ort lastet eine dunkle Sage. Eines Tages, als Kodachi die Mutter im Krankenhaus besuchen will, verschwindet sie plötzlich. Mimi macht sich besorgt auf die Suche. Alles deutet auf eine geheimnisvolle andere Welt hin.

Trotz des eigentlichen schweren Stoffes, den sie hier abliefert, ist der Roman leicht und fantastisch. Es mag um Familie und Verlust gehen, aber es geht auch um Jugend, Liebe und Magie. Es wimmelt von mystischen Kräften, Geistern und unerklärlichen Ereignissen. Es ist ein wahrer magischer Realismus, ganz im Sinne von Salman Rushdie oder ihrem japanischen Kollegen Haruki Murakami. Aber Yoshimotos Romane sind irgendwie wärmer als die Werke dieser beiden Autoren. Obwohl es phantastische Elemente gibt, ist es immer noch das normale Leben, mit dem sie sich beschäftigt.

Yoshimotos Stärke ist es, Momente perfekt zu beschreiben in denen man innehalten kann, um in Gedanken genau das festzuhalten, was einen für eine schöne und kurze Sekunde umgibt. Dies dürfte definitiv Yoshimotos experimentellster Roman. Ihre Werke werden oft als Teil der „Japanischen Literatur der Heisei-Ära“ betrachtet, die in der Zeit von 1989 bis 2019 stattfand. In dieser Zeit erlebte Japan eine Zeit des gesellschaftlichen und kulturellen Wandels, und die Literatur spiegelte diese Entwicklungen wider. Yoshimotos Geschichten zeichnen sich durch eine moderne, zeitgenössische Erzählweise aus und erforschen die emotionale Tiefe ihrer Charaktere.

Sie hat sich mit diesem Roman mehr oder weniger in die Rente verabschiedet. Keine Ahnung wie ernst man diese Ankündigung nehmen muss, aber so sehr ich ihr die wohlverdiente Ruhe gönne, ich würde mich auch in Zukunft gerne wieder schwindelig lesen lassen von ihren seltsamen verstörenden skurillen Figuren. Frau Yoshimotos Bücher kann man nicht fassen, sie rutschen einem durch die Hände in dem Moment in dem man über sie sprechen will, aber genau das liebe ich sie an ihr.

Diese Stadt, so schön, so klein und fein wie ein Schmuckkästchen – und doch lag sie immer, wenn ich an sie dachte, hinter einem Filter der Traurigkeit

Huhu – ist überhaupt noch jemand da, der es bis hier runter geschafft hat oder habe ich euch unterwegs schon alle verloren? Das war echt ein ziemlicher Berg Bücher, aber sorry Urlaub und Zugfahrten und Balkon und so – da wird es schon mal mehr.

Würde natürlich auch dieses Mal gerne wieder wissen von euch – was kennt ihr, was mochtet ihr, was nicht – eure Eindrücke?

Lektüre März 2023 oder auch Hirngymnastik Physik & Mathematik

Unsere März Bookclub Lektüre „When we cease to understand the world“ hat mich ordentlich in ein Mathematik & Physik-Rabbithole geschickt. Mein Hirn hat ordentlich geraucht, aber es hat auch wirklich Spaß gemacht. Ein insgesamt guter Lesemonat.

Dann mal ohne lange Vorrede gleich Butter bei die Fische und wie üblich bin ich sehr auf eure Meinung gespannt. Was habt ihr schon gelesen, was plant ihr davon zu lesen? Wie waren eure Eindrücke?

Heute mal wieder der Einfachheit halber in alphabetischer Reihenfolge:

Atlas of AI – Kate Crawford erschienen im Yale Verlag

Kate Crawford geht der Frage nach was passiert, wenn künstliche Intelligenz das politische Leben bestimmt und die Ressourcen unseres Planeten verbraucht? Wie formt KI unser Verständnis von uns selbst und unseren Gesellschaften? Sie beobachtet wie KI einen Wandel hin zu undemokratischen Regierungsführungen und zunehmender rassistischer, geschlechtsspezifischer und wirtschaftlicher Ungleichheit vorantreibt. KI verschwendet Ressourcen in großem Maßstab, nicht nur Energie und Mineralien, die für den Aufbau und die Aufrechterhaltung der Infrastruktur benötigt werden, sondern sie verschwendet auch die Kräfte ausgebeuteter Arbeiter, die hinter den „automatisierten“ Dienstleistungen stehen, wie bei Amazon zB, bis hin zu den Daten, die KI von uns sammelt.

Auch wenn technische Systeme den Anschein von Objektivität erwecken, sind sie immer auch Systeme die überwiegend den Mächtigen nutzen und bestehende ungerechte Systeme verfestigen. Ein wichtiges Buch das zeigt was auf dem Spiel steht, wenn Technologieunternehmen künstliche Intelligenz nutzen um sich weiter zu bereichern und dabei den Planeten zerstören.

WeWork, the coworking behemoth that burned itself out over the course of 2019, quietly fitted its work spaces with surveillance devices in an effort to create new forms of data monetization.

Schrödingers Katze auf dem Mandelbrotbaum – Ernst Peter Fischer erschienen im Pantheon Verlag.

Einstein, Schrödinger und Planck hatten ihr Herz an die klassische Physik des 19. Jahrhunderts verloren und konnten mit der Quantenphysik nie glücklich werden. Sie versuchten vergeblich ihr Leben lang die Forschungsergebnisse aus der Quantenphysik ihrer jüngeren Kollegen wie Heisenberg, Pauli etc zu widerlegen. Es gab ein paar Ausnahmen wie Nils Bohr oder auch Max Born die das Umdenken schafften, aber zum größten Teil kann man auch an diesen berühmten Forschern sehen wie schwer es teilweise ist Denkmodelle zu revidieren mit denen man aufgewachsen ist und die einen auch zu dem gemacht haben der man ist. Alte Denkmodelle sterben meistens aus, sie werden viel seltener von den vorherigen Generationen überarbeitet.

Physik bot auf einmal nur noch Wahrscheinlichkeiten wo jahrhundertelang Sicherheiten da waren.

Wissenschaft wird von Menschen gemacht, und manche von ihnen haben so gute Ideen, dass wir ihre Namen damit verbinden: Mandelbrots Baum, Maxwells Dämon, Schrödingers Katze, Poincarés Vermutung oder Einsteins Spuk. Ernst Peter Fischer versteht es wie kein Zweiter, die Faszination von Wissenschaft ebenso anschaulich wie unterhaltsam zu vermitteln. Er erläutert auf verständliche Weise, was sich hinter den genannten Entdeckungen verbirgt, und liefert so durch die Hintertür eine Einführung in die faszinierende Welt der modernen Naturwissenschaften.

Der Vater der Katze hatte in und zu seinem großen Verdruss nichts anderes erreicht, als nachzuweisen, dass Heisenberg und seine Anhänger recht hatten. Besonders ärgerlich war zudem, dass Schrödingers Gleichungen dies für Fachleute zugleich viel einfacher und überzeugender nachzuvollziehen gestatteten.

Und dann verschwand die Zeit (The High House) – Jessie Greengrass erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag übersetzt von Andrea O’Brien

Auf einer Anhöhe abseits einer kleinen Stadt am Meer liegt das High House. Dort leben Grandy und seine Enkeltochter Sally sowie Caro und ihr Halbbruder Pauly. Das Haus verfügt über ein Gezeitenbecken und eine Mühle, einen Gemüsegarten und eine Scheune voller Vorräte – die Vier sind vorerst sicher vor dem steigenden Wasser, das die Stadt zu zerstören droht. Aber wie lange noch?

Caro und ihr jüngerer Halbbruder Pauly kommen im High House an, nachdem ihr Vater und ihre Stiefmutter, zwei Umweltforscher*innen, sie aufgefordert haben, London zu verlassen, um im höher gelegenen Haus Zuflucht zu suchen. In ihrem neuen Zuhause, einem umgebauten Sommerhaus, das von Grandy und seiner Enkelin Sally betreut wird, lernen die Vier, miteinander zu leben. Doch das Leben ist anstrengend, besonders im Winter, die Vorräte sind begrenzt. Wie lange bietet das Haus noch die erhoffte Sicherheit?

Ein atemberaubender, emotional präziser Roman über Elternschaft, Aufopferung, Liebe und das Überleben unter der Bedrohung der Auslöschung, der unter die Haut geht und zeigt, was auf dem Spiel steht.

Das ist mein zweiter Roman von Jessie Greengrass – hier habe ich über ihren Roman „Was wir von einander wissen“ geschrieben. Ich mag ihren Stil sehr und werde auf jeden Fall auch die kommenden Bücher von ihr lesen.

.. betraf das alles nur unsere kleine Welt, nicht den gesamten Planeten. Weder die Überflutungen noch der Sturm. Ein paar Quadratkilometer, einige Dutzend Menschen. Solche Dinge waren immer wieder passiert, überall, immer schon. Aber ist nicht jedes Ende absolut für diejenigen, die es erleben?

Er erzählte Dad, es sei ganz schrecklich für ihn, mitansehen zu müssen, wie so vieles in Vergessenheit geriet – die kunstvolle Fertigung der hölzernen Schiffe, sagte er, und alles, was dazugehöre, die bemannten Leuchttürme, Sextanten, Navigation nach den Gestirnen. Alles verschwunden. Jahre hatte es ihn gekostet, das alles zu erlernen, nur um zu erleben, wie seine Fertigkeiten obsolet wurden.

Physik und Philosophie – Werner Heisenberg erschienen im Ullstein Verlag

Werner Heisenberg (1901 – 1976) war einer der bedeutendsten theoretischen Physiker des 20. Jahrhunderts. Seine Heisenberg’sche Unschärferelation spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Mechanik und übte großen Einfluß auf die moderne Philosoophie aus. 1932 erhielt er den Nobelpreis für Physik.

Diese Sammlung von Vorlesungen erschien 1958 zum ersten Mal. Sie stellt in allgemein verständlicher Weise die Ursprünge und die physikalischen Probleme dar, die zur Entwicklung der Quantenmechanik geführt haben. Werner Heisenberg lässt Epochen der Physik Revue passieren, die das Weltbild verändert und den Menschen zum Umdenken gezwungen haben. Er erörtert die Gedanken der modernen Physik in einer verständlichen Sprache, studiert ihre philosophischen Folgen und vergleicht sie mit anderen Traditionen.

Die Beobachtung selbst ändert die Wahrscheinlichkeitsfunktion unstetig. Sie wählt von allen möglichen Vorgängen den aus, der tatsächlich stattgefunden hat. Da sich durch die Beobachtung unsere Kenntnis des Systems unstetig geändert hat, hat sich auch ihre mathematische Darstellung unstetig geändert, und wir sprechen daher von einem Quantensprung.

Der Übergang vom Möglichen zum Faktischen findet also während des Beobachtungsaktes statt.

Klara und die Sonne (Klara and the Sun) – Kazuo Ishiguro auf deutsch erschienen im Blessing Verlag übersetzt von Barbara Schaden

Klara ist eine künstliche Intelligenz, entwickelt, um Jugendlichen eine Gefährtin zu sein auf dem Weg ins Erwachsenwerden. Vom Schaufenster eines Spielzeuggeschäfts aus beobachtet sie genau, was draußen vor sich geht, studiert das Verhalten der Kundinnen und Kunden und hofft, bald von einem jungen Menschen als neue Freundin ausgewählt zu werden. Als sich ihr Wunsch endlich erfüllt und ein Mädchen sie mit nach Hause nimmt, muss sie jedoch bald feststellen, dass sie auf die Versprechen von Menschen nicht allzu viel geben sollte.

Klara und die Sonne ist ein beeindruckendes, berührendes Buch und Klara eine unvergessliche Erzählerin, deren Blick auf unsere Welt die fundamentale Frage aufwirft, was es heißt zu lieben.

Ich mochte „The Buried Giant“ noch einen Ticken lieber, aber Ishiguro bleibt auch weiterhin einer meiner liebsten Autoren.

Until recently, I didn’t think that humans could choose loneliness. That there were sometimes forces more powerful than the wish to avoid loneliness.”

Hope,’ he said. ‘Damn thing never leaves you alone.

There was something very special, but it wasn’t inside Josie. It was inside those who loved her.

Devotion – Hannah Kent erschienen im Pan Macmillan Verlag

Preußen, 1836. Hanne ist fast fünfzehn, und die häusliche Welt der Frau rückt schnell näher an sie heran. Als Naturkind sehnt sie sich stattdessen nach dem Rauschen des Flusses und dem Wind, der sie umspielt. Hanne findet wenig Trost bei den Mädchen des Ortes, und Freundschaft fällt ihr nicht leicht, bis sie Thea kennenlernt und in ihr einen verwandten Geist und schließlich Akzeptanz findet.

Hannes Familie ist altlutherisch, und in ihrem kleinen Dorf werden die Gottesdienste im Geheimen abgehalten – eine Gemeinschaft, die bedroht ist. Doch als ihnen die sichere Überfahrt nach Australien gewährt wird, jubelt die Gemeinschaft: Endlich ein Ort, an dem sie ohne Angst beten können, ein dauerhaftes Zuhause. Freiheit.

Ein Freiheitsversprechen, das für Hanne und Thea verheerende Folgen haben wird, doch auf der langen und brutalen Reise erweist sich ihr Band als zu stark, als dass selbst die Natur es brechen könnte…

Thea, if love were a thing, it would be the sinew of a hand stretched in anticipation of grasping. See, my hands, they reach for you. My heart is a hand reaching.

When we cease to understand the world (Das blinde Licht) – Benjamin Labatut auf deutsch erschienen im Suhrkamp Verlag, übersetzt von Thomas Brovot

Sie sind Pioniere und Verdammte. Eroberer von Raum und Zeit. Träumer des Absoluten. Sie verändern den Lauf der Geschichte und verzweifeln an sich selbst: Werner Heisenberg, dessen Gleichungen – im Wahn auf der Insel Helgoland entstanden – zum Bau der Atombombe führen. Der Mathematiker Alexander Grothendieck, der es vorzieht, seine Formeln zu verbrennen, um die Menschheit vor ihrem zerstörerischen Potential zu schützen. Oder Fritz Haber, dessen physikalische Verfahren eine Hungerkrise vermeiden und zugleich das diabolischste Werkzeug der Nationalsozialisten hervorbringen werden …

In vier so bizarren wie betörenden Geschichten erzählt Benjamín Labatut vom schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn, von menschlicher Hybris und der zwiespältigen Kraft der Wissenschaft. Und von dem verhängnisvollen Moment, an dem wir aufhören, die Welt zu verstehen.

We can pull atoms apart, peer back at the first light and predict the end of the universe with just a handful of equations, squiggly lines and arcane symbols that normal people cannot fathom, even though they hold sway over their lives. But it’s not just regular folks; even scientists no longer comprehend the world. Take quantum mechanics, the crown jewel of our species, the most accurate, far-ranging and beautiful of all our physical theories. It lies behind the supremacy of our smartphones, behind the Internet, behind the coming promise of godlike computing power. It has completely reshaped our world. We know how to use it, it works as if by some strange miracle, and yet there is not a human soul, alive or dead, who actually gets it. The mind cannot come to grips with its paradoxes and contradictions. It’s as if the theory had fallen to earth from another planet, and we simply scamper around it like apes, toying and playing with it, but with no true understanding.

Fall of the Man in Wilmslow. The Life and Death of Alan Turing – David Lagercrantz auf deutsch unter dem Titel „Der Sündenfall von Wilsmlow“ im Piper Verlag erschienen, übersetzt von Wolfgang Butt

England, 1954, der kalte Krieg hält die Welt in seinem eisernen Griff – und im kleinen Städtchen Wilmslow wird ein Mann tot aufgefunden. Es ist der Mathematiker Alan Turing, neben seinem Bett liegt ein mit Zyankali versetzter Apfel, alles deutet auf Selbstmord hin. Hat Turing die Repressionen nicht mehr ertragen, unter denen er als Homosexueller zu leiden hatte? Oder hat sein Tod doch etwas mit seiner Arbeit für den Geheimdienst während des 2. Weltkriegs zu tun? Der junge Detective Sergeant Leonard Corell, selbst einst ein vielversprechender Mathematiker, hegt den Verdacht, dass höhere Mächte ihre Finger im Spiel haben. Gegen Widerstände beginnt er, die Teile eines Puzzles zusammenzusetzen, das vielleicht eines der am besten gehüteten Geheimnisse des Kriegs offenbart.

Those who are different, also have a tendency to think differently.

Hier gibt es ein sehr interessantes Interview mit David Lagercrantz über seine Faszination für Alan Turing.

Spiegel von Cixin Liu auf deutsch erschienen im Heyne Verlag übersetzt von Marc Hermann

China in der nahen Zukunft. Der junge, ehrgeizige Beamte Song Cheng stößt auf einen gewaltigen Korruptionsskandal. Doch plötzlich wird er selbst ins Gefängnis geworfen. Dort taucht ein geheimnisvoller Mann mit einem Supercomputer auf, der ebenfalls verfolgt wird – weil er alles weiß. Einfach alles. Wie kann das sein? Und welche Konsequenzen hat das?

Mit seiner Novelle Spiegel erweist sich Cixin Liu, Autor des Weltbestsellers Die drei Sonnen, einmal mehr als scharfer Beobachter der chinesischen Gegenwart und als literarischer Visionär der Welt von morgen. 

Dieses Büchlein ist ein wahnsinnig spannendes Gedankenexperiment und ich konnte mehrere Abendessen lang überhaupt nicht mehr aufhören darüber zu philosophieren 😉

Bertrand Russell ist einer der Ersten, der das Unbehagen der Physiker mit dem Prinzip von Ursache und Wirkung in Worte fasst, und er lässt kein gutes Haar daran: „Das Kausalgsetz“, so beginnt Russell seinen Aufsatz von 1912 über das Thema, „ist, wie so vieles, das unter Philosophen allgemein akzeptiert wird, ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, das, wie auch die Monarchie, nur überlebt, weil irrtümlich von ihm angenommen wird, dass es keinen Schaden anrichte.“

Wie war euer Lesemonat März? Im April geht es bei mir in die Natur. Ihr dürft euch auf Bücher zum Thema Pilze, Wälder und einen Abstecher nach Irland freuen.