September Lektüre

Der September hat sich als Lesemonat auch wirklich nicht lumpen lassen. 9 Bücher und ein Hörbuch – das kann sich sehen lassen und wieder kein wirklicher Ausfall dabei. Wie schön. Lasst uns loslegen, ich möchte euch auf ein paar wirklich schöne Bücher neugierig machen und bin auch sehr gespannt wie euer Lesemonat war. Was hat euch begeistert? Oder enttäuscht? Und ich bin gespannt, welche meiner Vorstellungen ihr bereits kennt oder auf welche ich euch Lust machen kann. Freue mich auf eure Rückmeldungen.

Artful – Ali Smith auf deutsch unter dem Titel „Wem erzähle ich das“ im Luchterhand Verlag erschienen, übersetzt von Silvia Morawetz

Ali Smiths Artful hat mich auf eine Weise bewegt, die ich nur schwer in Worte fassen kann. Es ist eines dieser Bücher, die einen sofort in ihren Bann ziehen, obwohl – oder vielleicht gerade weil – es sich jeder klaren Kategorisierung entzieht. Es ist weder ein Roman noch eine einfache Sammlung von Essays, sondern eine seltsame, faszinierende Mischung aus beidem. Die vier Kapitel basieren auf Vorlesungen, die Smith ursprünglich an der Universität Oxford gehalten hat, und doch fühlt sich das Buch eher wie ein poetischer, manchmal sogar traumähnlicher Dialog an – zwischen Leben und Tod, zwischen Kunst und Denken.

Die Erzählung, die sich durch das Buch zieht, handelt von einer Frau, die nach dem Tod ihrer Geliebten trauert und plötzlich von deren Geist heimgesucht wird. Diese Tote ist nicht nur ein vages Gespenst; sie ist chaotisch, unordentlich, sie spricht in Rätseln, stiehlt Gegenstände und verbreitet einen Geruch, der die Nachbarn beunruhigt. Was mich daran so fasziniert hat, war, wie natürlich und zugleich verstörend Smith diesen Übergang zwischen Leben und Tod beschreibt. Es ist nicht das Drama eines tragischen Verlustes, sondern eher eine leise, seltsam humorvolle Akzeptanz des Unerwarteten.

“We do treat books surprisingly lightly in contemporary culture. We’d never expect to understand a piece of music on one listen, but we tend to believe we’ve read a book after reading it just once.”

Gleichzeitig spielt Smith meisterhaft mit den Themen Zeit, Form und Kunst. Manchmal fühlte es sich an, als wäre ich in einem wilden Gedankenspiel gefangen, das von einem intellektuellen Abendessen zu stammen schien, bei dem Figuren wie Virginia Woolf, Freud und Shakespeare zusammenkommen. Die ständige Bewegung zwischen intellektuellem Diskurs und ganz persönlichen, emotionalen Momenten hat mich tief beeindruckt. Es ist, als würde Smith mit Leichtigkeit zwischen den Ebenen von Gedanken und Gefühlen hin- und herspringen und dabei eine emotionale Tiefe erreichen, die mich oft unvorbereitet getroffen hat.

Recitatif – Toni Morrison erschienen unter dem Titel „Rezitativ“ im Rowohlt Verlag übersetzt von Tanja Handels

Toni Morrisons „Rezitativ“ ist eine unglaubliche Geschichte, die mich einfach nicht loslässt. Sie erzählt von zwei Mädchen, Twyla und Roberta, die in einem Heim aufwachsen. Eine ist weiß, die andere schwarz – doch Morrison gibt uns nie klar zu erkennen, wer welche Hautfarbe hat. Und genau das macht den Reiz der Geschichte aus: Man glaubt ständig, die Lösung zu wissen, doch dann zweifelt man wieder. Die Vorurteile, die man selbst mitbringt, werden dabei auf subtile Weise herausgefordert.

Was mich am meisten beeindruckt hat, ist, wie Morrison es schafft, unsicher zu bleiben. Jede Szene scheint Hinweise zu liefern, und doch bleibt man bis zum Ende ratlos. Es geht dabei nicht nur um die Hautfarbe der Protagonistinnen, sondern um viel mehr: um Vorurteile, um Machtstrukturen und um die Art und Weise, wie wir Menschen in Schubladen stecken. Diese Unsicherheit zieht sich durch die gesamte Geschichte und sorgt dafür, dass man sie auch lange nach dem Lesen nicht aus dem Kopf bekommt.

“Difficult to “move on” from any site of suffering if that suffering goes unacknowledged and undescribed.”

Interessant fand ich auch das Nachwort von Zadie Smith, das mir nochmal eine neue Perspektive eröffnet hat: Weiße Leserinnen und Leser neigen dazu, die Protagonistin als weiß zu lesen, während schwarze Leserinnen und Leser sie oft als schwarz interpretieren. Es zeigt, wie stark unsere Wahrnehmung von den eigenen Erfahrungen geprägt ist.

„Rezitativ“ ist viel mehr als nur eine Geschichte über zwei Mädchen – es ist ein intensives Spiel mit Wahrnehmung und Identität. Es zwingt einen dazu, sich selbst und die eigenen Vorurteile zu hinterfragen. Für mich war es eine Lektüre, die nachhallt und die ich sicher noch mehrmals lesen werde. Ganz große Klasse von Toni Morrison!

So long, see you tomorrow – William Maxwell auf deutsch unter dem Titel „Also dann bis morgen“ im Hanser Verlag erschienen, übersetzt von Benjamin Schwarz

Maxwells Roman, der nur 134 Seiten umfasst, beginnt mit einer außerehelichen Affäre und einem Mord in einer kleinen Stadt in Illinois zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Ich-Erzähler schildert die Ereignisse um den Mord, versucht aber gleichzeitig, sich emotional davon zu distanzieren. Während er sich erinnert, reflektiert er über den Wandel der Welt seit seiner Kindheit.

Was mir besonders gut gefallen hat, ist Maxwells Fähigkeit, die Charaktere so lebendig und vielschichtig darzustellen. Obwohl die Handlung eher ruhig verläuft, sind es diese fein ausgearbeiteten Figuren, die das Buch tragen. Vor allem die Beziehung des Erzählers zu seinem Freund Cletus, dessen Vater den Mord beging, bleibt im Gedächtnis. Der Erzähler quält sich bis ins hohe Alter mit Schuldgefühlen, weil er Cletus nach dem Mord ignorierte, als sie sich in der Schule begegneten.

Maxwell erzählt eine leise Geschichte, die tief bewegt, die zeigt, wie stark Kindheitserinnerungen und Schuld das Leben eines Menschen prägen können. Für alle, die langsame, tiefgründige Romane mögen, ist So Long, See You Tomorrow absolut empfehlenswert.

„I had to find an explanation other than the real one, which was that we were no more immune to misfortune than anybody else, and the idea that kept recurring to me…was that I had inadvertently walked through a door that I shouldn’t have gone through and couldn’t get back to the place I hadn’t meant to leave.“

William Maxwell (1908–2000) war ein amerikanischer Schriftsteller und über 40 Jahre Lektor beim New Yorker. Neben seinen Romanen schrieb er auch Kurzgeschichten und Kinderbücher, und seine Werke sind bekannt für ihre sensible Darstellung zwischenmenschlicher Beziehungen.

The Last Supper – Rachel Cusk erschienen im Picador Verlag – bislang nicht auf deutsch übersetzt

Rachel Cusks „The Last Supper“ ist ein ungewöhnliches, persönliches Reisebuch, das mich auf eine eigenwillige und charmante Reise durch Italien mitgenommen hat. Es ist kein klassischer Reisebericht, in dem schöne Landschaften und sonnige Tage im Vordergrund stehen. Stattdessen widmet sich Cusk der Kunst, dem Alltag und ihren inneren Beobachtungen, und sie tut dies mit einer Sprache, die oft poetisch und metaphorisch ist. Ihre Beschreibungen der Renaissance-Kunstwerke, die sie mit ihrer Familie betrachtet, wirken oft fast spirituell, als ob die Figuren auf den Gemälden ihr eigene Geschichten zuflüstern.

Es geht in diesem Buch jedoch nicht nur um Kunst und Architektur. Was mich besonders faszinierte, ist, wie Cusk ihre Umgebung und ihre Erlebnisse durch ihre eigene, kritische Linse betrachtet. Sie hinterfragt die touristischen Klischees von Italien, die Vorstellung von der „italienischen Lebensart“ und auch die Simplizität des Essens, die oft romantisiert wird. Wiederholt essen sie und ihre Kinder dasselbe einfache Essen – Tomaten, Schafskäse, grobes Brot – und beginnen, die Vielfalt des Essens in ihrer Heimat als etwas fast Groteskes zu empfinden.

„I wish I could learn how to read the structure of life as a weathermen read the structure of clouds, where the future must be written, if only you knew what to look for“

Interessanterweise wird in The Last Supper Cusks Ehemann nicht ein einziges Mal erwähnt, obwohl ihre beiden Töchter eine wichtige Rolle in der Erzählung spielen. Sie sind präsent, sie reisen mit, sie reagieren auf die fremde Umgebung – aber der Mann, mit dem sie in Italien unterwegs ist, bleibt unsichtbar. Es wirkt fast so, als wäre er in ihrer Wahrnehmung bereits verblasst, obwohl das Buch während der Ehe geschrieben wurde. Nur wenige Jahre nach der Veröffentlichung ließen sich die beiden tatsächlich scheiden. Die Tatsache, dass er nicht auftaucht, verleiht der Geschichte eine subtile Spannung und lässt Raum für Spekulationen.

Rachel Cusk wurde 1967 in Kanada geboren, zog aber im Alter von acht Jahren mit ihrer Familie nach Großbritannien. Sie studierte Englische Literatur in Oxford und veröffentlichte 1993 ihren ersten Roman Saving Agnes, für den sie den Whitbread First Novel Award gewann.

Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull – Thomas Mann erschienen im S. Fischer Verlag

Thomas Manns „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ hat mich total überrascht. Eigentlich hatte ich erwartet, dass mich der Stil überfordern könnte, oder ich wie beim Zauberberg kurz vor Schluß einfach nicht mehr mag, aber genau das Gegenteil war der Fall: Die Sprache ist ein reiner Genuss! Mann schreibt mit einer Eleganz und Leichtigkeit, die mich sofort in die Geschichte hineingezogen hat.

Manns Sprache ist ein Hochgenuss – elegant, ironisch und dabei erstaunlich leicht zugänglich. Schon nach wenigen Seiten war ich ganz im Bann von Felix Krull, einem Hochstapler mit so viel Charme und Witz, dass man ihm einfach alles verzeihen will. Er stiehlt sich durch die Gesellschaft mit einer Leichtigkeit, die mich fasziniert hat, und gleichzeitig ist er so sympathisch, dass ich mich fast ertappt fühle, wie ich ihm innerlich zujubelte.

Felix Krull selbst ist eine faszinierende Figur. Er ist ein Hochstapler, ja, aber einer mit so viel Charme und einem goldenen Herz, dass man ihm seine Täuschungen fast schon verzeiht. Die Art, wie er sich durch die Gesellschaft bewegt, immer mit einem Augenzwinkern, ist so unterhaltsam, dass ich mir fast wünsche, ihm mal im echten Leben zu begegnen – idealerweise bei einem Glas Champagner. Trotz seiner Betrügereien bleibt er durchweg sympathisch, was vor allem an der Art liegt, wie Mann ihn darstellt: als jemanden, der die Regeln der Gesellschaft geschickt ausnutzt, ohne dabei wirklich boshaft zu sein.

„Es war der Gedanke der Vertauschbarkeit. Den Anzug, die Aufmachung gewechselt, hätten sehr vielfach die Bedienenden ebensogut Herrschaft sein und hätte so mancher von denen, welche, die Zigarre im Mundwinkel, in den tiefen Korbstühlen sich rekelten – den Kellner abgeben können. Es war der reine Zufall, daß es sich umgekehrt verhielt – der Zufall des Reichtums; denn eine Aristokratie des Geldes ist eine vertauschbare Zufallsaristokratie.“

Interessant ist auch, dass Felix Krull schon früh in Manns Leben eine Rolle spielte. Bereits 1911 tauchte die Figur erstmals in einer Erzählung auf, und Mann kehrte später zu ihr zurück, als er sich mehr dem Humor und der Leichtigkeit zuwandte. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Werke, die oft von existenziellen Themen durchzogen sind, ist „Felix Krull“ ein eher heiteres und spielerisches Werk – fast so, als hätte Mann hier eine Pause vom Ernst des Lebens machen wollen. Ich kann im Übrigen auch die Verfilmung aus dem Jahr 1957 von Kurt Hoffmann mit Horst Buchholz in der Hauptrolle empfehlen – hat mir sehr gefallen.

Unbedingte Empfehlung – jetzt hab ich richtig Lust auf die Buddenbrocks bekommen.

Wie sieht es bei euch aus? Thomas Mann – yeahhh oder mehhh?

Brian – Jeremy Cooper erschienen bei Fitzcarraldo Editions, bislang nicht auf deutsch übersetzt

Ich hatte eigentlich nur vor, mal kurz in Jeremy Coopers Roman Brian reinzulesen, bin aber direkt hängengeblieben. Das Buch hat mich einfach reingezogen. Der Fitzcarraldo Verlag ist ein faszinierender Verlag aus London mit interessanten Romanen oft in Übersetzung bei dem ich oft fündig werde.

Cooper erzählt die Geschichte von Brian, einem einsamen Mann, der sein Leben um seine täglichen Routinen herum gebaut hat – ein Job im Camden Council, Mittagessen im Café Il Castelletto und zurück in seine kleine Wohnung. Alles läuft in geordneten Bahnen, bis Brian eines Tages das BFI (British Film Institute) entdeckt und das Kino zu einem festen Teil seines Lebens wird. Ab da sieht er sich fast jeden Abend Filme an, von Ozu über Fellini bis zu Varda, und findet so endlich eine Gemeinschaft, eine Gruppe von gleichgesinnten Filmfans. Es ist eine so schöne Idee, wie das Kino für ihn zu einem Zufluchtsort wird, wo er Freundschaft und Zugehörigkeit erlebt – etwas, das ihm sein bisheriges Leben nicht bieten konnte.

Die Art, wie Cooper die innere Welt von Brian beschreibt, ist so nah und gleichzeitig distanziert, dass man den Charakter förmlich vor sich sieht. Und ja, ich ertappe mich jetzt schon dabei, dass ich mich im Kino umsehe, ob Brian vielleicht irgendwo sitzt. Es ist ein Charakter, der einem einfach nicht aus dem Kopf geht.

„All his life, everywhere he went, Brian had shunned attention, the scars unhealed from being singled out at school in Kent as different and blamed for being so, by teachers, by other boys and by his mother. To ease his hurt he had made himself an expert at forgetting, a skill now matured, able most of the time to erase unwelcome thoughts and happenings. It did mean that he needed to hold himself on constant altert, ready to combat the threat of being taken by surprise, a state-of-being he had managed to achieve without the tension driving him crazy. There had been costs, by now discounted and removed from memory.“

Ich finde, das Buch macht auf eine sanfte, unaufgeregte Weise klar, wie stark Kunst – und in diesem Fall eben Filme – unser Leben bereichern und uns zu uns selbst führen kann. Brian erlebt das durch seine Filmleidenschaft, und ich denke, das ist etwas, womit sich viele identifizieren können, die im Kino einen besonderen Ort gefunden haben.

Wer Filme liebt und sich für das Zwischenmenschliche interessiert, sollte Brian unbedingt lesen. Es ist ein leises, aber nachhallendes Buch, das riesige Lust aufs Kino macht und meine Filmliste ist um etliches länger geworden. Große Empfehlung!

Wandering Souls – Cecile Pin erschienen im Atlantik Verlag, übersetzt von Maria Hummitzsch

Cecile Pins Debütroman Wandering Souls ist ein bewegender Roman, der die vietnamesische Flüchtlingserfahrung und die psychischen Belastungen der Assimilation einfängt. Es war mir in der Buchhandlung ins Auge gefallen, habe kurz reingelesen und konnte es gar nicht mehr aus der Hand legen. Pin nimmt uns mit auf die Reise der 16-jährigen Anh und ihrer jüngeren Brüder Minh und Thanh, die sich nach dem Vietnamkrieg auf die gefährliche Flucht nach Hongkong begeben. Die Familie ist gezwungen, auf zwei verschiedenen Booten zu reisen, und nur die drei älteren Geschwister erreichen ihr Ziel. Ihre Eltern und vier weitere Geschwister kommen auf tragische Weise ums Leben.

„Die Vietnamesen haben diese Tradition“, sagte er. „Sie glauben, dass man die Toten angemessen in ihrem Heimatort beerdigen muss. Tut man das nicht, sind Ihre Seelen dazu verdammt, als Geister auf der Erde herumzuirren.“

Die Geschichte setzt drei Jahre nach dem Abzug der US-Truppen ein, als Vietnam in politischem und wirtschaftlichem Chaos versinkt. Anh, Minh und Thanh landen nach vielen Stationen – darunter Flüchtlingslager und Ablehnung durch die US-Einwanderungsbehörde – in London. Dort kämpfen sie in den 1980er Jahren mit den Herausforderungen des Lebens in einer neuen, oft feindseligen Umgebung. Besonders Anh trägt als älteste Schwester die Last der Verantwortung, während Minh in Schwierigkeiten gerät und Thanh versucht, sich in der neuen Kultur zurechtzufinden.

Der Roman schafft es, sowohl die emotionalen Wunden der Flucht als auch die Herausforderungen der Assimilation in einer neuen Gesellschaft eindrucksvoll darzustellen. Dabei setzt Pin nicht nur auf emotionale Tiefe, sondern auch auf historische Genauigkeit. Man merkt wie sehr sie für diesen Roman recherchiert hat. Es gibt Momente großen Schmerzes, schrecklicher Grausamkeiten und der Verzweiflung, aber auch Zusammenhalt, Liebe und Hoffnung.

Und was hat das mit mir zu tun? – Sacha Batthyany erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag

Der Autor begibt sich auf eine tiefgründige und bewegende Spurensuche, die mir noch lange nach dem Lesen im Gedächtnis bleiben wird. Das Buch erzählt die erschütternde Geschichte eines der schlimmsten Kriegsverbrechen in Österreich – das Massaker von Rechnitz – und verbindet diese düstere Vergangenheit mit Batthyanys eigener Familiengeschichte.

Was mich an diesem Buch besonders berührt hat, ist die Ehrlichkeit, mit der Batthyany die Geschehnisse aufarbeitet. Er scheut sich nicht, sich selbst und seine Familie kritisch zu hinterfragen. Auf eindringliche Weise erzählt er, wie er erst als Erwachsener von dem Massaker erfuhr und wie er sich daraufhin entschloss, der Wahrheit über seine eigene Familie auf den Grund zu gehen. Diese Recherche zieht sich über sieben Jahre und führt ihn an verschiedene Orte, von Ungarn über Sibirien bis nach Buenos Aires. Dabei werden Fragen aufgeworfen, die oft unbeantwortet bleiben – das macht die Geschichte umso eindringlicher und verstörender.

Besonders die Darstellung der Gräfin Margit Thyssen-Batthyány, Batthyanys Großtante, hat mich zum Nachdenken angeregt. Ihre Rolle in der Nacht des Massakers bleibt unklar, doch der Autor macht deutlich, dass sie eine Mitwisserin war, die mit den Tätern feierte. Diese Ambivalenz zwischen Festlichkeit und Grauen ist ein starkes Motiv des Buches. Es ist erschreckend zu sehen, wie das Schweigen über die Vergangenheit selbst in der eigenen Familie weitergegeben wurde, und Batthyanys Entschlossenheit, das zu durchbrechen, ist inspirierend.

„Die Schweiz war für sie immer nur ein Spieleland, das Leben kein echtes, jedenfalls keines mit Höhen und Tiefen, mit Glück und Leid. Denn wer nicht mindestens ein paar Verwandte im Krieg verloren, wer nie miterlebt hatte, wie eine fremde Besatzungsmacht, seien es Deutsche oder Russen, alles umstürzte, der durfte nicht von sich behaupten, wirklich etwas vom Leben zu verstehen.“

Sacha Batthyany wurde 1972 in Zürich geboren und ist Journalist und Autor. Heute arbeitet er als Korrespondent in Washington. Seine journalistische Laufbahn umfasst eine Vielzahl von Themen, wobei er oft gesellschaftliche und historische Fragestellungen aufgreift. „Und was hat das mit mir zu tun?“ ist sein Debüt in der literarischen Sachbuchszene, und es zeigt eindrucksvoll, wie persönliche Geschichte und historische Ereignisse miteinander verwoben sind.

„Und was hat das mit mir zu tun?“ ist nicht nur ein Geschichtsbuch, sondern auch eine tiefgreifende persönliche Auseinandersetzung mit Schuld, Verantwortung und dem Umgang mit der Vergangenheit. Batthyanys ehrlicher und verletzlicher Schreibstil zieht einen in seinen Bann. Es ist ein Buch, das man gelesen haben sollte, um die schmerzhaften Wahrheiten über die eigene Geschichte und die Geschichte der anderen nicht zu vergessen.

Lessons – Ian McEwan erschienen unter dem Titel „Lektionen“ im Diogenes Verlag, übersetzt von Bernhard Robben

Die Geschichte um Roland Baines, dessen Leben sich durch Zufälle und historische Ereignisse immer wieder in unerwartete Bahnen lenkt hat mich sehr begeistert. Die Art, wie McEwan über das Leben, die Liebe und die Last der Vergangenheit schreibt, ist mir stellenweise richtig nah gegangen – ich hätte so viele Sätze am liebsten direkt unterstrichen! Die philosophischen Gedanken und feinen Beobachtungen über menschliche Beziehungen und politische Umbrüche wirken nie aufgesetzt, sondern weben sich organisch in Rolands Lebensweg ein. Ich hatte das Gefühl, mit ihm gemeinsam durch die Jahrzehnte zu reisen und die Welt aus seiner Perspektive zu erleben.

Besonders gut gefallen hat mir McEwans Fähigkeit, alltägliche Momente so zu beschreiben, dass sie plötzlich eine ganz neue Bedeutung erhalten. Es sind oft die kleinen, beiläufigen Szenen, die einem noch lange im Kopf bleiben. Gleichzeitig stellt das Buch aber auch große Fragen: Wie beeinflussen uns die großen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche unserer Zeit? Wie sehr bestimmt die Vergangenheit unser Handeln in der Gegenwart? Ich habe das Gefühl, dass ich das Buch irgendwann unbedingt noch einmal lesen muss, weil man sicher viele Details erst beim zweiten Mal so richtig erfasst.

“His accidental fortune was beyond calculation, to have been born in 1948 in placid Hampshire, not Ukraine or Poland in 1928, not to have been dragged from the synagogue steps in 1941 and brought here. His white-tiled cell – a piano lesson, a premature love affair, a missed education, a missing wife – was by comparison a luxury suite. If his life so far was a failure, as he often thought, it was in the face of history’s largesse.”

Die Stimme des Sprechers hat perfekt zur Stimmung gepasst und die melancholischen, aber auch hoffnungsvollen Töne des Romans wunderbar transportiert. Insgesamt ist „Lektionen“ für mich ein nachdenkliches und intensives Werk, das lange nachhallt.

Ian McEwan mausert sich immer mehr zu einem meiner Lieblings-Autoren zu dessen Werken man fast blind greifen kann und man einfach sicher sein kann, nicht nur gut unterhalten zu werden, eine Menge zu lernen sondern die einem auch noch lange im Gedächtnis bleiben und mit deren Fragestellungen man sich noch eine ganze Weile beschäftigen wird.

Meine Woche

Gesehen: Prima Facie von Suzie Miller (übersetzt von Anne Rabe) im Residenztheater mit Lea Ruckpaul. Großartiges Stück – wir kamen aus dem diskutieren gar nicht mehr raus. Unbedingt ansehen.

Stefan Zweig – Ein Europäer von Welt (2013) von Jean-Pierre Devillers und François Busnel. Interessante Doku über einen meiner absoluten Lieblings-Autoren. Empfehlenswert.

Gehört: Dead flowers for her – Skywatchers, Doug & Florence – Kettcar, Dancing Star – Pet Shop Boys, Time – Eels, Underneath – Warpaint

Gelesen: Toni Morrisons Rejection Letters, Does Science Fiction shape the future?, AFD im Europaparlament – radikaler als die Radikalen, Top 5 regrets of people dying

Getan: ins Theater gegangen, in Aschau gewandert, mit lieben Freundinnen lecker gegessen und den Balkon für den Frühling fit gemacht

Gefreut: über die wunderschöne Wanderung

Geweint: nein

Gelacht: über mich

Geärgert: nö

Gegessen: ein Schnitzel nach der Wanderung

Getrunken: alkoholfreies Augustiner

Geklickt: A traveling exhibit will focus on the work of three Japanese American women artists, Hisako Hibi, Miki Hayakawa and Miné Okubo.

Gestaunt: über die kleine Blindschleiche die wir beim Wandern gesehen haben, aber noch viel mehr über die riesige Schlange die eine Freundin heute am Hinterbrühler See fotografiert hat (Ringelnatter?)

Gewünscht: diesen Pyjama, dieses schwimmende Haus, einen Besuch bei den Händel-Festspielen

Geplant: Pompeij

Gefunden: nix

Gekauft: Wanderschuhe

Gedacht: Mir persönlich macht es mehr Freude, Menschen zu verstehen, als sie zu richten. //Stefan Zweig

Meine Woche

Künstlerin: Emmasofia Salminen

Gesehen: Harry Potter and the Deathly Hallows 1 + 2 (2010/2011) von David Yates mit Daniel Radcliffe, Emma Watson und Rupert Grint. Der Abschluß der Reihe – es hat mir großen Spaß gemacht noch mal filmisch und literarisch in die Reihe einzutauchen.

Gehört: Echotal – God is an Astronaut, Sleep: Tranquility Base – Max Richter, Before the Rain – VNV Nation, Viva la bestia – Diary of Dreams, Party – Daughter, Over – Chvrches, New Order T Shirt – The National, Cirles of upper and lower hell – Ela Orleans

Gelesen: Toni Morrison and Angela Davis on radicalising Autobiography, über Vanessa Bells Garten, dieses Interview mit Nina Hoss zu ihrer Rolle in Tár, A love letter to libraries

Getan: mit doppeltem Bänderriss Stunden in der Notaufnahme gesessen – 2023 ist nicht mein bestes Jahr, Bibliotherapy mit einem Bekannten gemacht und mit einem ehemaligen Kollegen über New Work gesprochen

Gefreut: über den Schnee

Geweint: siehe oben

Gegessen: Spinat Lasagne

Getrunken: alkoholfreien Gin

Geklickt: Classic shorts with Mary Beard

Gestaunt: auf die Vermeer-Tour mit Stephen Fry, über die Pilze die irgendwann Plastik ersetzen könnten, the book of leaves, Licht aus Wasser

Gelacht: über meinen dämlichen Sturz – allerdings etwas hysterisch 😉

Gewünscht: dieses wunderschönen Lampen, dieses 3-dimensionale Star Trek Schachspiel, diese Bibliothek

Gefunden: nix

Gekauft: DVDs und ein Buch

Gedacht: Progress isn’t made by early risers. It’s made by lazy people trying to find easier ways to do something.”
— Robert A. Heinlein.

Meine Woche

Gesehen: If Beale Street could talk (2018) von Barry Jenkins. Drama basierend auf James Baldwins gleichnamigem Roman von 1974 mit KiKi Layne, Stephan James, Colman Domingo und Teyonah Parris. Der Film folgt einer jungen Frau, die mit Unterstützung ihrer Familie versucht, den Namen ihres zu Unrecht angeklagten Liebhabers reinzuwaschen und seine Unschuld zu beweisen. Heartbreaking.

But I’m a Cheerleader (1999) von Jamie Babbit mit Natasha Lyonne und Clea DuVall. Knallbunte ironische Komödie um ein junges Mädchen das in einem Conversion Summer Camp von ihrer Homosexualität geheilt werden soll. Klassiker.

Following (1998) von Christopher Nolan. Britischer Neo-Noir Thriller um einen jungen Mann, der Fremden durch die Straßen Londons folgt und in die kriminelle Unterwelt hineingezogen wird… Sehenswert.

The Queen’s Gambit (2020) von Scott Frank mit Anya Taylor-Joy. Coming-of-Age-Periodrama-Miniserie nach dem gleichnamigen Roman von Walter Tevis aus dem Jahr 1983. Verfilmung des fiktiven Lebens Beth Harmons, einem verwaisten Schach-Wunderkind auf ihrem Aufstieg an die Spitze der Schachwelt.

Gehört: Wir tanzen im Viereck und Schön von hinten – Stereo Total, If Beale Street could talk Soundtrack, Following Soundtrack – David Julyan, Foutre le bordel – La Femme, A projection – Darwin’s Eden, Ghost Tapes – God is an Astronaut

Gelesen: über die Mars Landung, diesen Artikel über den bizarren Tod russischer Bergwanderer 1959, über Twin Peaks‘ Dale Cooper Kaffee, Leadership Lessons men can learn from women, Why Do So Many Incompetent Men Become Leaders? Couple reunited after year apart under care home lockdown rules, dieses Interview mit John Carpenter

Getan: zwei schöne Zoom-Calls mit Blogger Kolleginnen, gelaufen, Yoga gemacht, zum Viktualienmarkt spaziert und den ersten Aperol Sprizz getrunken

Gegessen: Gebratener Catalogna mit Tomaten

Getrunken: Aperol Sprizz

Gefreut: über die ersten Frühlingstage

Geweint: um die viel zu früh verstorbene Stereo Total Sängerin Francoise Cactus und um die Opfer von Hanau von vor einem Jahr

Geärgert: nein

Geklickt: auf dieses Video zu Epigenetik, auf diese Rede von Toni Morrison anläßlich ihrer Nobelpreis-Verleihung, auf diesen TED Talk von Max Hawkins der 2 Jahre lang sein Leben von einem Zufallsgenerator bestimmen ließ

Gestaunt: 900 Meter unter Eis – Forscher entdecken überraschend Leben und über diese optische Täuschung

Gelacht: We are all brave until we realize Cockroaches can fly

Gewünscht: diesen Anzug, dieses Homeoffice, dieses Regal

Gefunden: nix

Gekauft: L-Word Generation Q auf DVD

Gedacht: The real problem is not a lack of competent females for leadership roles; it is too few obstacles for incompetent males, which explains the surplus of overconfident, narcissistic, and unethical people in charge. //Tomas Chamorro-Premuzic

Gemischte Tüte – Sommeredition

Gott, hilf dem Kind – Toni Morrison

Ferien an der See im hohen Norden und viel Zeit im Zug, am Meer und im Garten für ausgiebige Lektüre. Hier kurz der Überblick – und es war tatsächlich kein Ausfall dabei.

Das Ableben Toni Morrisons letztes Jahr war ein wirklich trauriger Moment für mich. Ich habe ihre Bücher gelesen und irgendwann werde ich sie auch alle noch einmal lesen. Eines stand noch ungelesen im Schrank: „God Help The Child“. Eine außergewöhnliche Liebesgeschichte, kein bisschen kitschig, eher rauh und wütend, aber dennoch optimistisch und lebensbejahend.

Lula Ann ist ein tiefschwarzes Baby, dass ihre Mutter Sweetness bei der Geburt fast zu Tode erschrickt und der Vater die junge Familie auf der Stelle verlässt, weil er dieses Kind nicht als seines ansieht. Die heranwachsende Tochter sträubt sich gegen jegliche von außen verordnete Angepasstheit. Sie ändert ihren Namen, kleidet sich provokant nur noch in strahlendem Weiß, macht Karriere in einer Kosmetikfirma und befreit sich auf ihre ganz eigene Weise von ihrer Vergangenheit.

„Du musst mich nicht lieben, aber Du musst mich verdammt noch mal respektieren“

Toni Morrisons Schwanengesang ist eine bestechende Ergänzung zum Kanon der großen amerikanischen Literatur.

Gratitude – Oliver Sacks

Keinem Schriftsteller ist es derart gelungen, medizinisches und menschliches Drama so ehrlich und wortgewandt einzufangen wie Oliver Sacks.

In den letzten Monaten seines Lebens schrieb er eine Reihe von Essays, in denen er auf bewegende Weise seine Gefühle über sein hinter ihm liegendes Leben und die Bewältigung seines eigenen Todes erforschte.

Es ist das Schicksal eines jeden Menschen“, schreibt Sacks, „ein einzigartiges Individuum zu sein, seinen eigenen Weg zu finden, sein eigenes Leben zu leben, seinen eigenen Tod zu sterben“.

Kurze, aber tiefgründige Reflexionen über das Leben, das Altern und die Konfrontation mit Krankheit und dem Ende des Lebens in Würde und Gnade. Zusammen bilden diese vier Essays eine Ode an die Einzigartigkeit jedes Menschen und an die Dankbarkeit für das Geschenk des Lebens.

“I cannot pretend I am without fear. But my predominant feeling is one of gratitude. I have loved and been loved; I have been given much and I have given something in return; I have read and traveled and thought and written. I have had an intercourse with the world, the special intercourse of writers and readers.“

Alev HaShalom, rest in peace, Oliver.

Purple Hibiscus – Chimamanda Ngozi Adichie

Die fünfzehnjährige Kambili und ihr älterer Bruder Jaja führen ein privilegiertes Leben in Enugu, Nigeria. Sie leben in einem schönen Haus, in einer fürsorglichen Familie und besuchen eine exklusive Missionarsschule. Sie sind völlig abgeschirmt von den Schwierigkeiten der Welt. Doch, wie Kambili in ihrem Bericht offenbart, sind die Dinge weniger perfekt, als sie scheinen. Obwohl ihr Papa großzügig und gut respektiert ist, ist er zu Hause fanatisch religiös und tyrannisch – ein Haus, das still ist und jede Gefühlsregung erstickt.

Als das Land durch einen Militärputsch auseinanderzubrechen beginnt, werden Kambili und Jaja zu ihrer Tante, einer Universitätsprofessorin außerhalb der Stadt, geschickt, wo sie ein Leben jenseits der Grenzen der Autorität ihres Vaters entdecken. Bücher quellen aus den Regalen, Curry und Muskatnuss durchdringen die Luft, die Mahlzeiten mit ihren Cousins sind fröhlich und es wird insgesamt sehr viel gelacht. Als sie nach Hause zurückkehren, eskalieren die Spannungen innerhalb der Familie, und Kambili versucht die Familie zusammenzuhalten.

“There are people, she once wrote, who think that we cannot rule ourselves because the few times we tried, we failed, as if all the others who rule themselves today got it right the first time. It is like telling a crawling baby who tries to walk, and then falls back on his buttocks, to stay there. As if the adults walking past him did not all crawl, once.”

Chimamanda Ngozi Adiche schildert eloquent den Untergang der Familie sowohl in Enugu als auch in Nsukka und führt uns allmählich einem ziemlich tragischen Ende entgegen. Sie führt den Leser in die Bräuche, das Essen und viele andere Aspekte des nigerianischen Lebens ein. Ich möchte definitiv mehr von der Autorin lesen und unbedingt einige der im Buch genannten Gerichte nachkochen – nachgebacken hat Frau schiefgelesen bereits auf ihrem Blog „schiefgegessen“ in Form von Chin-Chin, da ich es eher herzhaft mag, würde ich mich wahrscheinlich eher an Jollof Rice, Onogu Soup oder Azu versuchen.

Handbuch für Zeitreisende – Kathrin Passig / Aleks Scholz

So viele nützliche Tipps! Dieses Handbuch darf bei der nächsten Zeitreise auf keinen Fall fehlen. Vergnügliches Hörbuch, das gut unterhält und zudem eine Menge faszinierendster Fakten zu den Zusammenhängen und Geschichte der Welt enthält.

Wollten Sie schon immer mal nachsehen, warum die Dinosaurier ausgestorben sind – und dabei möglichst selbst am Leben bleiben? Von England nach Dänemark laufen, ohne nasse Füße zu bekommen? Zusehen, wie Stonehenge erbaut wird? – Mit diesem Reiseführer kann nichts mehr schiefgehen: Kathrin Passig und Aleks Scholz vermitteln alles, was Zeitreisende wissen müssen. Was Sie bei den Volksfesten der Maya erwartet, wogegen Sie sich vor der Reise in die Renaissance impfen lassen und welche Kleidung Sie für die Weichsel-Eiszeit einpacken sollten, all das erklärt Ihnen dieses Handbuch. Mehr noch: Es verrät Ihnen die schönsten Zielorte und -zeiten, nützliches Wissen über Parallelwelten und ihre Besonderheiten, Umgangsformen für jede Epoche, praktische Tipps für mehrere Weltteile und das gesamte All. Und wenn Sie im Urlaub nicht nur an den Traumstränden der Vergangenheit herumliegen, sondern die Welt verbessern möchten, erfahren Sie hier, was dafür zu tun wäre.

Beschreibung einer Krabbenwanderung – Karosh Taha

Sanaa ist zweiundzwanzig. Sie studiert, hat einen Freund, einen Liebhaber und sie hat Träume. Es könnte alles ganz schön sein, würde sie nicht immer wieder von der Realität gekniffen werden, wie damals die Krabbe im Irak, als sie im Fluß baden war mit ihrer Familie.

Die Realität besteht aus ihrer depressiven Mutter Asija, ihrem Vater Nasser, der sich immer mehr von der Familie entfremedet und ihrer Schwester Helin, die nirgends halt findet, einsam und wütend ist. Ihre Tante Khalida sitzt Tag für Tag rauchend bei ihnen zu Hause auf dem Sofa, klatscht und tratscht und fühlt sich als vermeintliche Hüterin des Anstands.

Sanaa rebelliert gegen die Enge ihres Umfeldes, sie versucht ihr Leben abzustreifen wie ein Hummer seinen zu klein gewordenen Panzer abwirft, um eine neuere festere Schale zu bekommen.

Sie kümmert sich um ihre Familie, versucht allen zu helfen, ohne selbst komplett unterzugehen und plötzlich steht alles, was sie sich an Freiheit so erkämpft hatte, auf dem Spiel.

„Hör auf damit, Sanaa, werde nicht so wie die Frauen aus dem Hochhaus.“
Hochhausfrauen, die vom Balkon aus andere Menschen beobachten, Frauen, deren Lebenswelt bis zum Supermarkt reicht. Frauen, die auf Spielplätzen Passanten beachten statt ihrer Kinder, weil sie ihre Kinder satthaben, weil sie andere Menschen nur aus dem Fernsehen kennen, Frauen, deren Füße vom vielen Warten platt sind, die warten und warten, bis ihr Mann nach Hause kommt, die aus dem Fenster schauen, die auf dem Balkon Wäsche aufhängen und gucken, ob auf dem Marktplatz etwas passiert, endlich etwas passiert… Die Frauen aus dem Hochhaus, die Frauen im Wachturm. Aber ich lebe auch im Hochhaus, will ich ihm sagen.“

Ein großartiger Roman von Karosh Taha vom Leben zwischen Freiheit und Verantwortung, zwischen Deutschland und dem Irak, zwischen Realität und Aberglaube. Sie entwirft Figuren, die einem lange nicht aus dem Kopf gehen und das Leben in diesem Hochhaus, mit den Nachbarinnen, Tanten und all ihren Problemen hat mich sehr an meine Kindheit erinnert. Ein Buch, das mir nicht mehr aus dem Kopf geht und immer wieder denke ich an die Sanaa und hoffe, sie wird irgendwann endlich ankommen und die Freiheit finden, die sie verdient.

Das große Los – Meike Winnemuth

Wie ist es, wenn man das Leben führt, von dem alle träumen? Meike Winnemuth gewinnt 500.000 € bei „Wer wird Millionär“ und bricht auf zu einer unglaublichen Reise um die Welt: ein Jahr und zwölf Städte über alle Kontinente hinweg. Mit Tempo, Humor und viel Gespür für die Besonderheiten der Menschen erzählt sie von ihren Erfahrungen und zahllosen wundervollen Erlebnissen. Ein inspirierendes Buch über den Rausch der Freiheit, das Glück des Zufalls (Serendipity!) und die Überraschungen, die man nicht zuletzt mit sich selbst erlebt.

Ich hoffe, dass entweder die Autorin selbst oder jemand anderes dieses Buch übersetzen wird, denn es ist wirklich eines der besten Reisebücher, das ich je gelesen habe und es wäre schade, wenn es nur in der deutschsprachigen Welt gelesen würde.

Es geht nicht um Sightseeing und auch nicht darum, die letzten Abenteuer dieser Erde an abgelegenen Orten zu suchen, sondern eher darum, wie ein Ort das eigene Verhalten und die eigene Persönlichkeit verändern kann.

Da sie ihre Arbeit als Journalistin im Ausland fortsetzte, gab sie nur einen Bruchteil des Geldes während ihrer Reise aus, die sie in faszinierende Städte wie Buenos Aires, Shanghai, San Francisco und sogar in die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba führte. Indem sie in jeder der zwölf Städte für einen Monat eine voll möblierte Wohnung mietet, taucht sie direkt in teilweise hektisch pulsierende, lebhafte Orte wie Barcelona ein oder chillt zu den entspannten Vibes in Honolulu.

Die unterschiedlichen Orte bringen auch immer neue Aspekte ihres eigenen Selbst hervor. Es gibt jede Menge spannende psychologische und philosophische Einsichten – ich war wirklich überrascht wie unterhaltsam, faszinierend, lehrreich und teilweise sehr persönlich dieses Buch ist.

Wer nach der Lektüre dieses Buches kein Reisefieber bekommt, ist ganz hochoffiziell ein Couch-Potatoe und muss zur Strafe bei all meinen künftigen Urlauben unsere Blumen gießen im 4. Stock ohne Aufzug.

Mein Überraschungshit diesen Sommer, dem ich locker 10 von 5 Sternen gegeben hätte.

Fuchs 8 – George Saunders

Eine düster-komische Kurzgeschichte, eine Fabel über die allzu realen Auswirkungen, die wir Menschen auf die Umwelt haben.

Fuchs 8 war schon immer als der Tagträumer in seinem Rudel bekannt, der von seinen Fuchskollegen mit einem wissenden Schnauben und Augenrollen betrachtet wurde. Das heißt, bis Fuchs 8 eine einzigartige Fähigkeit entwickelt: Er bringt sich selbst das Sprechen von „Yuman“ bei, indem er sich in den Büschen vor einem Haus versteckt und den Gutenachtgeschichten der Kinder zuhört. Die Macht der Sprache schürt seine reichliche Neugierde auf Menschen – selbst nachdem „danjer“ in Form eines neuen Einkaufszentrums eintrifft, das seine Lebensmittelversorgung unterbricht und Fuchs 8 auf eine erschütternde Suche schickt, um sein Rudel zu retten.

Das machte mir ein gutes Gefül, so als könnten Mänschen Libe fülen und zeigen. Mit anderen Worten, Hoffnung für di Zukunf von der gansen Erde!“

Ich habe dieses Buch geliebt! Ich habe gelacht, fast hätte ich geweint, wurde wütend, wollte ein paar Leute hauen und hab stattdessen das Buch umarmt. Fox 8 ist ein Unikat. Ich bin voller Hoffnung, dass Yumans eines Tages all das sein werden, wovon Fox 8 träumt und im Übrigen stelle ich genau die gleichen Fragen wie Fuchs 8…

Großes Extralob noch an den Übersetzer, Frank Heibert, – amerikanisches mänschisch ins Deutsche zu übertragen war sicher eine ganz besondere Herausforderung. Die wunderschönen Illustrationen sind von Chelsea Cardinal.

Das war sie – die große Sommeredition der Gemischten Tüte. Welche davon habt ihr schon gelesen? Konnte ich euch auf das eine oder andere Buch Lust machen? Ich freue mich über eure Rückmeldungen.

Hier noch mal im Überblick:

  • Gott, hilf dem Kind – Toni Morrison erschienen im Rowohlt Verlag. Übersetzungung: Thomas Piltz
  • Gratitude – Oliver Sacks auf deutsch erschienen unter dem Titel Dankbarkeit im Rowohlt Verlag.
    Übersetzung: Hainer Kober
  • Purple Hibiscus – Chimamanda Ngozi Adichie auf deutsch erschienen unter dem Titel Blauer Hibiskus im Luchterhand Verlag.
    Übersetzung: Judith Schwaab
  • Handbuch für Zeitreisende – Kathrin Passig & Aleks Scholz erschienen im Rowohlt Verlag.
  • Beschreibung einer Krabbenwanderung – Karosh Taha erschienen im Dumont Verlag.
  • Das große Los – Meike Winnemuth erschienen im Knaus Verlag.
  • Fuchs 8 – George Saunders erschienen im Luchterhand Verlag.
    Übersetzung: Frank Heibert

Meine Woche

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Gesehen: Hannah Gadsby: Douglas (2020) von Madeleine Parry. Unfassbar gut – ich ziehe meinen Hut vor ihr.

Jackie (2016) von Pablo Larraín mit Natalie Portman. Großartigs Biopic über eine faszinierende Frau, von der ich noch viel zu wenig weiß.

Tokyo Drifter (1966) von Seijun Suzuki. Was für ein stylischer mega cooler Thriller – habe ich sehr gerne gesehen.

Gehört: Security Check – Sophie Hunger, La Chanson d’Hélène – Romy Schneider & Michel Piccoli, Shadowplay – Joy Divison, Natural – Imagine Dragons, Arrow – Noveller, All my people – Maria Somerville, Play 15 Amps – N + (BOLT), Kvile – Eldrim

Gelesen: diesen Artikel zu Black Lives Matter von Marius Schaub, Carolin Emcke zu  Rassismus und Identität, diesen Artikel über Arundathi Roy, Ruth Wilson Gilmore on „Are prisons really necessary?“ Mathematik-Studentin löst ein jahrzehntealtes Mathe-Problem

Getan: Bayreuth und den Walchen See besucht, zu ein paar Wasserfällen geklettert, über einen spontanen Biergarten-Besuch mit einer Freundin, mit der Bruder-Familie gepicknickt, die Toni Schneiders Retrospektive besucht

Geplant: mich wieder ans Arbeiten gewöhnen

Gegessen: Schäufele und Schnitzel

Getrunken: sehr leckeren Riesling

Gefreut: über die wunderbaren Sommertage diese Woche und wie gut mein Knie wieder funktioniert nach diesen Übungen

Geärgert: nö

Geklickt: auf dieses Interview mit Michelle Bangura und John Olivers Video über Polizeigewalt in den USA

Gestaunt: über diese wunderschönen Illustrationen und über diese Killer-Möwe und dass sich so gut wie niemand für meine Hirngymnastik Krieg interessiert

Gelacht: über diesen Adler

Gewünscht: diese Dusche, diese Kommode, dieses Tattoo

Gefunden: nix

Gekauft: dieses Notizbuch

Gedacht: Don’t let anybody, anybody convince you this is the way the world is and therefore must be. It must be the way it ought to be // Toni Morrison

Meine Woche

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Gesehen: Arrival (2016) von Denis Villeneuve mit Amy Adams. Den fand ich beim zweiten Mal – wenn überhaupt möglich noch besser. Wann haben Linguistinnen sonst schon einmal die Erde retten können? Großartig.

C.H.U.D (1984) von Douglas Cheek. Unterhaltsamer 1980er Sci-Fi Horror mit radioaktiven Wesen die im New Yorker Untergrund ihr Unwesen treiben.

Gehört: Miserere – ETA Hoffmann,  Arrival Soundtrack – Jóhann Jóhannsson, Spartacus – Aram Khachaturian, Decomposition Theory – 65daysofstatic, Heart Sutra Beat Box – Akasaka Yotsuki

Gelesen: Maxine Waters on police violence in the US, Margaret Mead and James Baldwin’s on Forgiveness and the Difference Between Guilt and Responsibility, James Baldwin on how to cool it, The secret lives of Fungi, dieses Interview mit Judi Dench,  Historian Ibram X. Kendi On ‚How To Be An Antiracist‘

Getan: Wasserburg besucht, Hofstätter See umrundet, den Königssee bewundert, den Jenner erklommen, die Wimbach-Klamm durchwandert, die Toni Schneiders Ausstellung in München und in Bamberg ETA Hoffmann besucht

Geplant: Bamberg weiter erkunden und Bayreuth besuchen

Gegessen: Pilz Shawarma

Getrunken: Rauch Bier

Gefreut: über das Teleskop das ich zum Geburtstag bekommen habe und unseren tollen Bayern Urlaub

Geärgert: über Menschen die sich mehr über Plünderungen als über den Mord an einem Menschen aufregen

Geklickt: auf diese Rede von John Boyega und dieses Interview mit Toni Morrison

Gestaunt: über Glasswing Schmetterlinge

Gelacht: So in retrospect, in 2015, not a single person got the answer right to „Where do you see yourself 5 years from now“

Gewünscht: dieses Haus, diesen Pool, dieses Outfit

Gefunden: einen öffentlichen Bücherschrank in Wasserburg

Gekauft: Zeitungen und Simon Stålenhags „The Electric State

Gedacht: “White privilege is an absence of the consequences of racism. An absence of structural discrimination, an absence of your race being viewed as a problem first and foremost.” // Reni Eddo-Lodge,

Meine Woche

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Gesehen: Hereditary (2018) von Ari Aster mit Toni Colette und Gabriel Byrne. Atmosphärischer Horror ganz ohne jump scares.

Lady Bird (2017) von Greta Gerwig mit Saoirse Ronan. Ein Marienkäfer wird flügge und Mutter/Tochter schauen wer sturer sein kann. Hat mir gut gefallen.

Ready, Player, One (2018) von Steven Spielberg. Lustig-bunter Sci-Fi Spaß der gut unterhält.

Gehört: Double Concerto in D-minor – Johann Sebastian Bach, No time to die – Billie Eilish, Orange Tree – Hilary Woods, Horizon – Cat Power, Beaten Down – Sharon Van Etten, Driving – POLIÇA, Toilet Brushes – Nils Frahm und Unchartered Destination – Ambient Atomic Orbital

Gelesen: Brit Marling on I Don’t Want to Be the Strong Female Lead,   Adèle Haenel and Noémie Merlant on Portrait of a Lady on Fire, People Born Blind Are Mysteriously Protected From Schizophrenia, über eine verbotene Liebe im Oman, die Oscars 2020 – es geht wieder um was, What Would Happen If the World Suddenly Went Vegetarian? und Nicole Seifert: Es zählt nur die Qualität – Über ein fadenscheiniges Argument

Getan: geboxt, Yoga gemacht und liebe Freunde getroffen

Geplant: den Bookclub besuchen

Gegessen: Crunchy Reisnudel-Salat

Getrunken: Pouilly-Fumé

Gefreut: über Valentinstag Blumen von der lieben Schwiegermama und über Natalie Portmans Oscar-Cape

Geweint: nein

Geklickt: Dinosaurs eating people – so süß 🙂

Gestaunt: Vampire star system undergoing super-outburst, ‘Reaper of Death’ tyrannosaur discovered in Canada, über die 4 Hamburgerinnen die es schafften über den Atlantik zu rudern und the most detailed photos yet of the far side of the moon

Geärgert: nein

Gelacht: über #meetTheGermans mit Rachel Stewart über die „Hair Tie“ Bemerkung im Harley Quinn – Birds of Prey Trailer

Gewünscht: diesen Mantel, dieses Bad, diese Kommode

Gefunden: nix

Gekauft: ein Nirvana Tshirt

Gedacht: Racists always try to make you think they are the majority, but they never are // Toni Morrison

Book-a-Day-Challenge Day 23

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Sethe was born a slave and escaped to Ohio, but eighteen years later she is still not free. Far too many memories are haunting her of the beautiful farm where so many terrible things happened. Her new home is haunted by the ghost of her baby, who died nameless and whose tombstone is engraved with a single word: Beloved.

A book filled with bitter poetry and suspense „Beloved“ is the master piece by Nobel Prize Winner Toni Morrison.

Long overdue for a re-read – what is your favorite Toni Morrison book?

Meine Woche

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Gesehen: „Dark Encounter“ (2019) von Carl Strathie mit Laura Fraser. Spannende Alien-Abduction Geschichte, nur das Ende war etwas schwach.

Akira“ (1988) von Katsuhiro Otomo. Knallbunt, wild, sexy, düster, visionär und sehr intensiv. Anime der sich anfühlt wie eine Achterbahnfahrt.

Private Life“ (2018) von Tamara Jenkins mit Kathryn Hahn und Paul Giametti. Humorvolles Drama um ein Paar das unbedingt ein Kind haben will.

Caché (2005) von Michael Haneke mit Juliette Binoche und Daniel Auteuil. Ein Ehepaar wird von einem Unbekannten beobachtet und mit Videomitschnitten terrorisiert.

Gehört:  „Tick of the clock“ – Chromatics, „Kaneda’s Theme“ – Akira, „December Song“ – Jodie Lowther, „Orgiastic“ – Stereolab, „The Utumis Shrine“ – SiJ, „Fear Inoculum“ – Tool, „Shredder“ – Upsetter, „Blood Year“ – Russian Circles

Gelesen: Simone de Beauvoir on strong women, Elif Shafak on british politics, dieses Interview mit Brad Pitt, warum so viele Buchcover gleich aussehen, ein Ökonom (Nobelpreis) besucht Burning Man, Laurie Penny on how nerds are reinventing pop culture und Ted Chiangs „It’s 2059 and the rich kids are still winning“

Getan: einen wirklich tollen Workshop in Dortmund durchgeführt, viel Zug gefahren, den Bookclub und das Fantasy Filmfest besucht und endlich wieder im eigenen Bettchen geschlafen

Geplant: unser Reading Retreat mit dem Bookclub nächste Woche im Zillertal

Gegessen: ein tolles Menu im Salt

Gefreut: über den Traum meiner Chefin 🙂

Geweint: über den Femizid in Istanbul und über die Skulpturen von Bruno Catalano

Geklickt: auf „A new view of the Moon

Gelacht: über den Praktikanten bei Penguin

Gestaunt: über diese Mathe-Shortcuts

Gewünscht: diese Teebeutel, dieses Hoverboard und einen Besuch in diesem japanischen Ryokan

Gefunden: nix

Gekauft: Zeitungen

Gedacht: „No! This is precisely the time when artists go to work. There is no time for despair, no place for self-pity, no need for silence, no room for fear. We speak, we write, we do language. That is how civilizations heal.“ (Toni Morrison)