Short and Sweet (8)

Kurt – Sarah Kuttner

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Über Kurt braucht man glaube ich nicht mehr viel zu sagen. Da ist Sarah Kuttner wirklich etwas ganz Großes gelungen. Selten habe ich ein Buch gelesen, das mich derart berührt hat und dabei so leicht und überhaupt nicht melodramatisch daher kommt.

Frau Kuttner ist eine irre intelligente, warmherzige Persönlichkeit, die ich unbedingt mal auf einer Lesung erleben möchte oder noch besser, mit ihr Füße in den Fluß halten und dabei ein Bier oder zwei trinken.

Mein Überraschungsbuch des Jahres bislang.

Der Klappentext fasst es wunderbar zusammen:
Von der Suche nach Familie, der Sehnsucht nach dem richtigen Ort und darüber, dass nichts davon planbar ist.

»Ich bin mit zwei Kurts zusammengezogen. Einem ganzen Kurt und einem Halbtagskurt. Jana und Kurt haben sich entschieden, dass sie ihr Sorgerecht teilen, vor allem wenn Kurt schon extra aufs Land zieht. Und so pendelt das Kind nun wochenweise zwischen seinen beiden Oranienburger Zuhauses hin und her: zwei Häuser, zwei Kinderzimmer, unterschiedliche Regeln und alle Menschen, die er liebt. Und dann bin da noch ich.«

Lena hat mit ihrem Freund Kurt ein Haus gekauft. Es scheint, als wäre ihre größte Herausforderung, sich an die neuen Familienverhältnisse zu gewöhnen. Daran, dass Brandenburg nun Zuhause sein soll. Doch als der kleine Kurt bei einem Sturz stirbt, bleiben drei Erwachsene zurück, deren Zentrum in Trauer implodiert. Sarah Kuttner erzählt von einer ganz normalen komplizierten Familie, davon, was sie zusammenhält, wenn das Schlimmste passiert. Sie erzählt von dieser Tragödie direkt und leicht und zugleich mit einer tiefen Ernsthaftigkeit, so einfach und kompliziert, wie nur Sarah Kuttner das kann.

Slade House – David Mitchell

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Slade House begann als experimentelle Kurzgeschichte „The Right Sort“ und wurde zuerst auf Twitter veröffentlicht. Daraus entwickelte Mitchell dann ein eigenes Buch, das zum Universum seines Romans „The Bone Clocks“ dazugehört.

Wie schon in seinen früheren Büchern sind die Kapitel eher miteinander verbundene Kurzgeschichten mit einem darunter liegenden Thema (Fox and Hounds, das mal als Pub, als Spiel oder als Analogie auftaucht). Slade House besteht aus 5 Geschichten die sich über 9 Jahre hinziehen.

Jedes Kapitel wird von einer Person erzählt, die Slade House besucht und jede hat eine ganz eigene charakteristische Stimme (das kann Mitchell wirklich!). Der Plot an sich ist deutlich weniger charakteristisch und das ist wohl auch volle Absicht. Die fast schon hypnotischen Wiederholungen sollen den Leser in die mysteriöse Welt hineinziehen und Erwartungen wecken auf das, was dem nächsten Besucher von Slade House passiert.

“Grief is an amputation, but hope is incurable haemophilia: you bleed and bleed and bleed.”

„The Bone Clocks“ hat mir sehr gefallen, mit dem Slade House hab ich mich schwerer getan. Tolle Figuren, das ist wirklich Mitchells Stärke, aber der Plot hatte für mich Löcher und die ständigen Wiederholungen haben mich nach einer Weile etwas genervt. Ich würde es wohl nur „hard-core“ Mitchell Fans empfehlen, wobei es nicht dick ist, schnell gelesen und man schon ganz gut unterhalten wird.

The Immortalists – Chloe Benjamin

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Wenn Du den Tag Deines Todes kennen würdest, wie würdest Du Dein Leben leben? Diese Frage ist die Prämisse des Romans, die ich sehr spannend fand und bei der ich mich dauernd fragte, ob dieses Thema nicht schon häufiger in der Literatur behandelt wurde. Mir ist es jedenfalls vorher noch nicht untergekommen ist.

Kennt ihr Romane zu diesem Thema?

Im Jahr 1969 schlägt eine mysteriöse Frau in New York’s Lower East Side ihr Lager auf. Sie ist eine reisende Hellseherin, die von sich behauptet, jedem den Tag seines Todes nennen zu können. Von irgendwem hören die 4 Kinder der Familie Gold von dieser Frau und sie beschließen, heimlich zu Hause auszubüxen und sich ihren Todestag nennen zu lassen.

“She understands, too, the loneliness of parenting, which is the loneliness of memory—to know that she connects a future unknowable to her parents with a past unknowable to her child.“

Diese Vorhersagen prägen ihr jeweiliges Leben über die nächsten fünf Jahrzehnte. Sonnyboy Simon verschwindet mit seiner Schwester Klara an die Westküste, wo er im Gay Viertel San Franciscos der 80er Jahre auf der Suche nach Liebe ist. Seine nur etwas ältere verträumte Schwester Klara wird Zauberkünstlerin in Las Vegas und hat Schwierigkeiten, Wirklichkeit und Fantasie auseinanderzuhalten.

Der älteste Sohn Daniel wird Militärarzt und die lernbegierige Varya stürzt sich in ihre Arbeit – eine Studie zu Langlebigkeit – und testet dabei die schmale Grenze zwischen Wissenschaft und Unsterblichkeit.

Chloe Benjamin zieht einen insbesondere in den ersten beiden Kapiteln zu Simon und Klara komplett in ihre Welt. „The Immortalists“ sondiert die Grenze zwischen Vorhersehung und freier Wahl, Wirklichkeit und Illusion und wie schwer es ist sich von familiären Bindungen zu lösen.

Ein Buch das in unserem Buchclub zu sehr guten und spannenden Diskussionen geführt hat und wir wären alle zu feige gewesen, uns unseren Todestag nennen zu lassen.

Wie sieht es bei euch aus? Würdet ihr es wissen wollen?

Bookclub Votings are in for 2018/19

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Foto: Grazvydas

Nervenaufreibende Diskussionen, Debatten und Entscheidungsfindungen haben sich ausgezahlt. Die Ergebnisse sind da und ich präsentiere euch hier die Bücher die wir im nächsten Bookclub-Jahr lesen werden und auf deren Rezensionen hier ihr euch freuen dürft:

Naomi Alderman – The Power
Chloe Benjamin – The Immortalists
Anthony Doerr – All the light we cannot see
Louise Erdrich – Future home of the living God
Andrew Sean Greer – Less
Anthony Marra – The Tsar of Love and Techno
Ian McEwan – The Children Act
David Mitchell – Slade House
Celeste Ng – Everything I never told you
ML Rio – If we were Villains
Mary Shelley – Frankenstein

Da sind dieses Mal gleich vier Bücher dabei die ich bereits gelesen habe, das gabs noch nie.

Was sagt ihr zu unserer Liste? Sind welche dabei die euch besonders interessieren – welche hättet ihr als Bookclub-Lektüre vorgeschlagen?

2015 – The Year in Books

Ja nee hat super geklappt mit meiner Wahl der 10 Lieblingsbücher. Ich kann mich partout nicht entscheiden und schicke jetzt immer zwei ins Rennen. Die Kombi ist eventuell nicht immer einleuchtend, gibt aber schönen Einblick in meine abstrusen Synapsen-Schaltungen.

Es sind die Bücher, die mich am intensivsten beschäftigt haben in diesem Jahr, nicht automatisch die, die mir am besten gefallen haben. Habe nicht viele Bücher gelesen, die mir gar nichts gesagt haben oder die ich schlichtweg schlecht fand.

Vielleicht könnt ihr mir ja helfen mit der Entscheidung. Unter allen die in den Kommentaren hier oder bei Facebook abstimmen verlose ich eines der zur Wahl stehenden Bücher hier (nach Wunsch). Am 10.1. guck ich dann mal, ob es Entscheidungen und einen Gewinner gibt.

Hier kommen die Teilnehmer:

https://bingereader.org/2015/01/31/the-goldfinch-donna-tartt/

oder

https://bingereader.org/2015/06/07/die-kunst-des-feldspiels-chad-harbach/

https://bingereader.org/2015/02/16/fahrenheit-451-ray-bradbury/

oder

https://bingereader.org/2015/04/22/the-bone-clocks-david-mitchell/

https://bingereader.org/2015/12/14/geliebtes-wesen-briefe-von-vita-sackville-west-an-virginia-woolf-louise-desalvo-mitchell-a-leaska/

oder

https://bingereader.org/2015/03/16/anais-nin-die-tagebucher-1927-1929-und-1931-1934/

https://bingereader.org/2015/12/03/the-master-and-margarita-mikhail-bulgakov/

oder

https://bingereader.org/2015/11/07/the-strange-library-die-unheimliche-bibliothek-haruki-murakami/

https://bingereader.org/2015/03/27/9-stories-j-d-salinger/

oder

https://bingereader.org/2015/03/21/meistererzahlungen-stefan-zweig/

https://bingereader.org/2015/03/23/the-paying-guests-sarah-waters/

oder

https://bingereader.org/2015/11/03/auf-den-koerper-geschrieben-jeannette-winterson/

https://bingereader.org/2015/07/05/cannery-row-john-steinbeck/

oder

https://bingereader.org/2015/09/09/der-susan-effekt-peter-hoeg/

https://bingereader.org/2015/11/20/die-frau-die-nein-sagt-francoise-gilot/

oder

https://bingereader.org/2015/04/14/bossypants-tina-fey/

Was wirklich Spaß macht ist, sich die jeweiligen „Konkurrenten“ bei einem Treffen vorzustellen. JD Salinger und Herr Zweig beim gediegenen Whisky im Club-Sessel oder Tina Fey die der vornehmen Madame Gilot versehentlich ein Glas Rotwein über die Hose kippt…

The Bone Clocks – David Mitchell

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Third time lucky – war meine große Hoffnung, als nach der Abstimmung in meinem Bookclub klar wurde, das wir zum dritten mal ein David Mitchell Buch lesen würden. „Cloud Atlas“ und „The Thousand Autumns of Jacob de Zoet“ waren beide einfach nicht meins, daher mein mehr als skeptisches Herangehen an den neuesten Mitchell’chen Riesenwälzer.

Mitchell’s sechster Roman, der auch auf der Longlist des Booker Prizes stand, ist ein sehr ambitioniertes Werk, das aus sechs Teilen besteht, jedes beschäftigt sich mit einem anderen Kapitel in Holly Sykes Leben. Holly ist eine 15-jährige Ausreißerin, die im Laufe ihres Lebens eine erfolgreiche Schriftstellerin wird. Das Buch beginnt im Jahr 1984 (!) und endet etwa 60 Jahre später, wo wir Holly als alte Frau an Irland’s Westküste wiedertreffen, wo sie nach der globalen Öko-Apokalypse und den daraus entstehenden sozialen und ökonomischen Folgen versucht, zu überleben.

Dazwischen gibt es einen unglaublichen Mix unterschiedlichster Stile und Genre, Liebesgeschichten, Zeitreisen, unsterbliche Wesen, die einen jahrehundertelangen Kampf untereinander austragen und dazwischen immer wieder Holly Sykes. Holly Sykes ist aber keine typische jugendliche Ausreißerin, sondern ein empfindsames Kind, das von Stimmen kontaktiert wird, nächtliche Besuche bekommt von Leuten, die sie „Radio People“ nennt. Sie ist eine Art Blitzableiter oder vielleicht eher ein Transmitter für übernatürliche Phänomene. Holly hat während ihres Ausreissens Visionen, seltsame Zufälle und sie hat seltsame Begegnungen mit mystischen Zeitreisenden, nicht alle davon sind ihr wohlgesonnen.

Ihr merkwürdiges Wochenende ist allerdings nur der Auftakt. Ihr kleiner Bruder verschwindet und immer wieder in ihrem Leben wird sie in seltsame Situationen verwickelt, ein ungelöstetes Geheimnis scheint sie und die Menschen, die sie liebt, wieder und wieder wie ein Echo zu umgeben.

Von Cambridge in den 1990 Jahren, wo wir auf Hugo, einen charismatischen jungen Mann treffen, der Holly in einem Skiressort verführt, geht es in 2004 in den Irak, wo Hollys Ehemann als Kriegsjournalist tätig ist. Wir gehen mit einem Schriftsteller im mittleren Alter auf Lesereisen, wo er auf Holly trifft, die mittlerweile als Autorin bekannt geworden ist. Vom australischen Busch im Neunzehnten Jahrhundert nach Manhattan in der nahen Zukunft, alle und alles führt zu Holly auf wundervolle und mysteriöse Weise.

Hat „Third Time lucky“ funktioniert ? Hell yes! Nach dem ersten Absatz wußte ich, Holly Sykes ist cool, der folge ich überall hin und es hat sich gelohnt. Was für ein Abenteuer. Ein filigraner, dennoch packender Roman, der mir gelegentlich das Gefühl vermittelte, gleich rückwärts zu denken und bei dem zuverlässig und beständig neue Überraschungen auf einen warteten.

“Love’s pure free joy when it works, but when it goes bad you pay for the good hours at loan-shark prices.”

“While the wealthy are no more likely to be born stupid than the poor, a wealthy upbringing compounds stupidity while a hardscrabble childhood dilutes it, if only for Darwinian reasons. This is why the elite need a prophylactic barrier of shitty state schools, to prevent the clever kids from the working-class post codes ousting them from the Enclave of Privilege.”

“A writer flirts with schizophrenia, nurtures synesthesia, and embraces obsessive-compulsive disorder. Your art feeds on you, your soul, and, yes, to a degree, your sanity. Writing novels worth reading will bugger up your mind, jeopardize your relationships, and distend your life. You have been warned.”

“Men marry women hoping they’ll never change. Women marry men hoping they will.”

“Her only friends on the estate were books, and books can talk but do not listen.”

Das bedrückende letzte Kapitel widme ich im Übrigen dem Anwärter auf den diesjährigen Darwin Adward, der kürzlich mit mir im Bus saß und den wundervollen Satz von sich gab „Jeder der für die Umwelt ist, ist gegen mich“ – ähhh ja.

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David Mitchell lässt im Übrigen immer wieder Protagonisten aus anderen Romanen wiederauftauchen und in einem Interview erläuterte er, dass er plane, einen „Über-Roman“ zu schreiben, in dem sich sämtliche Universen aus seinen Romanen treffen. Klingt spannend.

Hier ein Video in dem Mitchell auf dem BEA Librarian Breakfast über seinen Roman „The Bone Clocks“ spricht. Kleiner Spoiler-Alarm:

Das Buch ist auf deutsch unter dem Titel „Die Knochenuhren“ im Rowohlt Verlag erschienen.