Lektüre März 2023 oder auch Hirngymnastik Physik & Mathematik

Unsere März Bookclub Lektüre „When we cease to understand the world“ hat mich ordentlich in ein Mathematik & Physik-Rabbithole geschickt. Mein Hirn hat ordentlich geraucht, aber es hat auch wirklich Spaß gemacht. Ein insgesamt guter Lesemonat.

Dann mal ohne lange Vorrede gleich Butter bei die Fische und wie üblich bin ich sehr auf eure Meinung gespannt. Was habt ihr schon gelesen, was plant ihr davon zu lesen? Wie waren eure Eindrücke?

Heute mal wieder der Einfachheit halber in alphabetischer Reihenfolge:

Atlas of AI – Kate Crawford erschienen im Yale Verlag

Kate Crawford geht der Frage nach was passiert, wenn künstliche Intelligenz das politische Leben bestimmt und die Ressourcen unseres Planeten verbraucht? Wie formt KI unser Verständnis von uns selbst und unseren Gesellschaften? Sie beobachtet wie KI einen Wandel hin zu undemokratischen Regierungsführungen und zunehmender rassistischer, geschlechtsspezifischer und wirtschaftlicher Ungleichheit vorantreibt. KI verschwendet Ressourcen in großem Maßstab, nicht nur Energie und Mineralien, die für den Aufbau und die Aufrechterhaltung der Infrastruktur benötigt werden, sondern sie verschwendet auch die Kräfte ausgebeuteter Arbeiter, die hinter den „automatisierten“ Dienstleistungen stehen, wie bei Amazon zB, bis hin zu den Daten, die KI von uns sammelt.

Auch wenn technische Systeme den Anschein von Objektivität erwecken, sind sie immer auch Systeme die überwiegend den Mächtigen nutzen und bestehende ungerechte Systeme verfestigen. Ein wichtiges Buch das zeigt was auf dem Spiel steht, wenn Technologieunternehmen künstliche Intelligenz nutzen um sich weiter zu bereichern und dabei den Planeten zerstören.

WeWork, the coworking behemoth that burned itself out over the course of 2019, quietly fitted its work spaces with surveillance devices in an effort to create new forms of data monetization.

Schrödingers Katze auf dem Mandelbrotbaum – Ernst Peter Fischer erschienen im Pantheon Verlag.

Einstein, Schrödinger und Planck hatten ihr Herz an die klassische Physik des 19. Jahrhunderts verloren und konnten mit der Quantenphysik nie glücklich werden. Sie versuchten vergeblich ihr Leben lang die Forschungsergebnisse aus der Quantenphysik ihrer jüngeren Kollegen wie Heisenberg, Pauli etc zu widerlegen. Es gab ein paar Ausnahmen wie Nils Bohr oder auch Max Born die das Umdenken schafften, aber zum größten Teil kann man auch an diesen berühmten Forschern sehen wie schwer es teilweise ist Denkmodelle zu revidieren mit denen man aufgewachsen ist und die einen auch zu dem gemacht haben der man ist. Alte Denkmodelle sterben meistens aus, sie werden viel seltener von den vorherigen Generationen überarbeitet.

Physik bot auf einmal nur noch Wahrscheinlichkeiten wo jahrhundertelang Sicherheiten da waren.

Wissenschaft wird von Menschen gemacht, und manche von ihnen haben so gute Ideen, dass wir ihre Namen damit verbinden: Mandelbrots Baum, Maxwells Dämon, Schrödingers Katze, Poincarés Vermutung oder Einsteins Spuk. Ernst Peter Fischer versteht es wie kein Zweiter, die Faszination von Wissenschaft ebenso anschaulich wie unterhaltsam zu vermitteln. Er erläutert auf verständliche Weise, was sich hinter den genannten Entdeckungen verbirgt, und liefert so durch die Hintertür eine Einführung in die faszinierende Welt der modernen Naturwissenschaften.

Der Vater der Katze hatte in und zu seinem großen Verdruss nichts anderes erreicht, als nachzuweisen, dass Heisenberg und seine Anhänger recht hatten. Besonders ärgerlich war zudem, dass Schrödingers Gleichungen dies für Fachleute zugleich viel einfacher und überzeugender nachzuvollziehen gestatteten.

Und dann verschwand die Zeit (The High House) – Jessie Greengrass erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag übersetzt von Andrea O’Brien

Auf einer Anhöhe abseits einer kleinen Stadt am Meer liegt das High House. Dort leben Grandy und seine Enkeltochter Sally sowie Caro und ihr Halbbruder Pauly. Das Haus verfügt über ein Gezeitenbecken und eine Mühle, einen Gemüsegarten und eine Scheune voller Vorräte – die Vier sind vorerst sicher vor dem steigenden Wasser, das die Stadt zu zerstören droht. Aber wie lange noch?

Caro und ihr jüngerer Halbbruder Pauly kommen im High House an, nachdem ihr Vater und ihre Stiefmutter, zwei Umweltforscher*innen, sie aufgefordert haben, London zu verlassen, um im höher gelegenen Haus Zuflucht zu suchen. In ihrem neuen Zuhause, einem umgebauten Sommerhaus, das von Grandy und seiner Enkelin Sally betreut wird, lernen die Vier, miteinander zu leben. Doch das Leben ist anstrengend, besonders im Winter, die Vorräte sind begrenzt. Wie lange bietet das Haus noch die erhoffte Sicherheit?

Ein atemberaubender, emotional präziser Roman über Elternschaft, Aufopferung, Liebe und das Überleben unter der Bedrohung der Auslöschung, der unter die Haut geht und zeigt, was auf dem Spiel steht.

Das ist mein zweiter Roman von Jessie Greengrass – hier habe ich über ihren Roman „Was wir von einander wissen“ geschrieben. Ich mag ihren Stil sehr und werde auf jeden Fall auch die kommenden Bücher von ihr lesen.

.. betraf das alles nur unsere kleine Welt, nicht den gesamten Planeten. Weder die Überflutungen noch der Sturm. Ein paar Quadratkilometer, einige Dutzend Menschen. Solche Dinge waren immer wieder passiert, überall, immer schon. Aber ist nicht jedes Ende absolut für diejenigen, die es erleben?

Er erzählte Dad, es sei ganz schrecklich für ihn, mitansehen zu müssen, wie so vieles in Vergessenheit geriet – die kunstvolle Fertigung der hölzernen Schiffe, sagte er, und alles, was dazugehöre, die bemannten Leuchttürme, Sextanten, Navigation nach den Gestirnen. Alles verschwunden. Jahre hatte es ihn gekostet, das alles zu erlernen, nur um zu erleben, wie seine Fertigkeiten obsolet wurden.

Physik und Philosophie – Werner Heisenberg erschienen im Ullstein Verlag

Werner Heisenberg (1901 – 1976) war einer der bedeutendsten theoretischen Physiker des 20. Jahrhunderts. Seine Heisenberg’sche Unschärferelation spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Mechanik und übte großen Einfluß auf die moderne Philosoophie aus. 1932 erhielt er den Nobelpreis für Physik.

Diese Sammlung von Vorlesungen erschien 1958 zum ersten Mal. Sie stellt in allgemein verständlicher Weise die Ursprünge und die physikalischen Probleme dar, die zur Entwicklung der Quantenmechanik geführt haben. Werner Heisenberg lässt Epochen der Physik Revue passieren, die das Weltbild verändert und den Menschen zum Umdenken gezwungen haben. Er erörtert die Gedanken der modernen Physik in einer verständlichen Sprache, studiert ihre philosophischen Folgen und vergleicht sie mit anderen Traditionen.

Die Beobachtung selbst ändert die Wahrscheinlichkeitsfunktion unstetig. Sie wählt von allen möglichen Vorgängen den aus, der tatsächlich stattgefunden hat. Da sich durch die Beobachtung unsere Kenntnis des Systems unstetig geändert hat, hat sich auch ihre mathematische Darstellung unstetig geändert, und wir sprechen daher von einem Quantensprung.

Der Übergang vom Möglichen zum Faktischen findet also während des Beobachtungsaktes statt.

Klara und die Sonne (Klara and the Sun) – Kazuo Ishiguro auf deutsch erschienen im Blessing Verlag übersetzt von Barbara Schaden

Klara ist eine künstliche Intelligenz, entwickelt, um Jugendlichen eine Gefährtin zu sein auf dem Weg ins Erwachsenwerden. Vom Schaufenster eines Spielzeuggeschäfts aus beobachtet sie genau, was draußen vor sich geht, studiert das Verhalten der Kundinnen und Kunden und hofft, bald von einem jungen Menschen als neue Freundin ausgewählt zu werden. Als sich ihr Wunsch endlich erfüllt und ein Mädchen sie mit nach Hause nimmt, muss sie jedoch bald feststellen, dass sie auf die Versprechen von Menschen nicht allzu viel geben sollte.

Klara und die Sonne ist ein beeindruckendes, berührendes Buch und Klara eine unvergessliche Erzählerin, deren Blick auf unsere Welt die fundamentale Frage aufwirft, was es heißt zu lieben.

Ich mochte „The Buried Giant“ noch einen Ticken lieber, aber Ishiguro bleibt auch weiterhin einer meiner liebsten Autoren.

Until recently, I didn’t think that humans could choose loneliness. That there were sometimes forces more powerful than the wish to avoid loneliness.”

Hope,’ he said. ‘Damn thing never leaves you alone.

There was something very special, but it wasn’t inside Josie. It was inside those who loved her.

Devotion – Hannah Kent erschienen im Pan Macmillan Verlag

Preußen, 1836. Hanne ist fast fünfzehn, und die häusliche Welt der Frau rückt schnell näher an sie heran. Als Naturkind sehnt sie sich stattdessen nach dem Rauschen des Flusses und dem Wind, der sie umspielt. Hanne findet wenig Trost bei den Mädchen des Ortes, und Freundschaft fällt ihr nicht leicht, bis sie Thea kennenlernt und in ihr einen verwandten Geist und schließlich Akzeptanz findet.

Hannes Familie ist altlutherisch, und in ihrem kleinen Dorf werden die Gottesdienste im Geheimen abgehalten – eine Gemeinschaft, die bedroht ist. Doch als ihnen die sichere Überfahrt nach Australien gewährt wird, jubelt die Gemeinschaft: Endlich ein Ort, an dem sie ohne Angst beten können, ein dauerhaftes Zuhause. Freiheit.

Ein Freiheitsversprechen, das für Hanne und Thea verheerende Folgen haben wird, doch auf der langen und brutalen Reise erweist sich ihr Band als zu stark, als dass selbst die Natur es brechen könnte…

Thea, if love were a thing, it would be the sinew of a hand stretched in anticipation of grasping. See, my hands, they reach for you. My heart is a hand reaching.

When we cease to understand the world (Das blinde Licht) – Benjamin Labatut auf deutsch erschienen im Suhrkamp Verlag, übersetzt von Thomas Brovot

Sie sind Pioniere und Verdammte. Eroberer von Raum und Zeit. Träumer des Absoluten. Sie verändern den Lauf der Geschichte und verzweifeln an sich selbst: Werner Heisenberg, dessen Gleichungen – im Wahn auf der Insel Helgoland entstanden – zum Bau der Atombombe führen. Der Mathematiker Alexander Grothendieck, der es vorzieht, seine Formeln zu verbrennen, um die Menschheit vor ihrem zerstörerischen Potential zu schützen. Oder Fritz Haber, dessen physikalische Verfahren eine Hungerkrise vermeiden und zugleich das diabolischste Werkzeug der Nationalsozialisten hervorbringen werden …

In vier so bizarren wie betörenden Geschichten erzählt Benjamín Labatut vom schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn, von menschlicher Hybris und der zwiespältigen Kraft der Wissenschaft. Und von dem verhängnisvollen Moment, an dem wir aufhören, die Welt zu verstehen.

We can pull atoms apart, peer back at the first light and predict the end of the universe with just a handful of equations, squiggly lines and arcane symbols that normal people cannot fathom, even though they hold sway over their lives. But it’s not just regular folks; even scientists no longer comprehend the world. Take quantum mechanics, the crown jewel of our species, the most accurate, far-ranging and beautiful of all our physical theories. It lies behind the supremacy of our smartphones, behind the Internet, behind the coming promise of godlike computing power. It has completely reshaped our world. We know how to use it, it works as if by some strange miracle, and yet there is not a human soul, alive or dead, who actually gets it. The mind cannot come to grips with its paradoxes and contradictions. It’s as if the theory had fallen to earth from another planet, and we simply scamper around it like apes, toying and playing with it, but with no true understanding.

Fall of the Man in Wilmslow. The Life and Death of Alan Turing – David Lagercrantz auf deutsch unter dem Titel „Der Sündenfall von Wilsmlow“ im Piper Verlag erschienen, übersetzt von Wolfgang Butt

England, 1954, der kalte Krieg hält die Welt in seinem eisernen Griff – und im kleinen Städtchen Wilmslow wird ein Mann tot aufgefunden. Es ist der Mathematiker Alan Turing, neben seinem Bett liegt ein mit Zyankali versetzter Apfel, alles deutet auf Selbstmord hin. Hat Turing die Repressionen nicht mehr ertragen, unter denen er als Homosexueller zu leiden hatte? Oder hat sein Tod doch etwas mit seiner Arbeit für den Geheimdienst während des 2. Weltkriegs zu tun? Der junge Detective Sergeant Leonard Corell, selbst einst ein vielversprechender Mathematiker, hegt den Verdacht, dass höhere Mächte ihre Finger im Spiel haben. Gegen Widerstände beginnt er, die Teile eines Puzzles zusammenzusetzen, das vielleicht eines der am besten gehüteten Geheimnisse des Kriegs offenbart.

Those who are different, also have a tendency to think differently.

Hier gibt es ein sehr interessantes Interview mit David Lagercrantz über seine Faszination für Alan Turing.

Spiegel von Cixin Liu auf deutsch erschienen im Heyne Verlag übersetzt von Marc Hermann

China in der nahen Zukunft. Der junge, ehrgeizige Beamte Song Cheng stößt auf einen gewaltigen Korruptionsskandal. Doch plötzlich wird er selbst ins Gefängnis geworfen. Dort taucht ein geheimnisvoller Mann mit einem Supercomputer auf, der ebenfalls verfolgt wird – weil er alles weiß. Einfach alles. Wie kann das sein? Und welche Konsequenzen hat das?

Mit seiner Novelle Spiegel erweist sich Cixin Liu, Autor des Weltbestsellers Die drei Sonnen, einmal mehr als scharfer Beobachter der chinesischen Gegenwart und als literarischer Visionär der Welt von morgen. 

Dieses Büchlein ist ein wahnsinnig spannendes Gedankenexperiment und ich konnte mehrere Abendessen lang überhaupt nicht mehr aufhören darüber zu philosophieren 😉

Bertrand Russell ist einer der Ersten, der das Unbehagen der Physiker mit dem Prinzip von Ursache und Wirkung in Worte fasst, und er lässt kein gutes Haar daran: „Das Kausalgsetz“, so beginnt Russell seinen Aufsatz von 1912 über das Thema, „ist, wie so vieles, das unter Philosophen allgemein akzeptiert wird, ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, das, wie auch die Monarchie, nur überlebt, weil irrtümlich von ihm angenommen wird, dass es keinen Schaden anrichte.“

Wie war euer Lesemonat März? Im April geht es bei mir in die Natur. Ihr dürft euch auf Bücher zum Thema Pilze, Wälder und einen Abstecher nach Irland freuen.

Durch die Nacht – Ernst Peter Fischer

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Der Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer ist meistens eine sichere Bank für mich. Bei seinen Büchern langweile ich mich selten, er ist ein Wissensvermittler alter Schule und hat es sich zum Ziel gesetzt, die Naturwissenschaften unter kultureller Zuhilfenahme unter Volk zu bringen.

Auf den Band „Durch die Nacht – Eine Kulturgeschichte der Dunkelheit“ hatte ich mich besonders gefreut, habe schließlich eine Vorliebe für die dunkleren Seiten des Lebens und durchaus Lust, der Nacht einmal unter den Rock zu gucken.

Das für mich interessanteste, von dem ich bislang noch nie gehört hatte, war die Information, dass der Mensch früher in zwei Etappen geschlafen hat. Direkt nach dem Abendessen ging es damals ins Bett und dann so gegen Mitternacht stand man wieder auf, um für ein paar Stunden alles Mögliche zu unternehmen. Nachbarn besuchen, die Küche aufräumen, Nachwuchs zeugen etc. um dann gegen 3 oder 4 zurück in die Federn zu springen und bis zum Sonnenaufgang weiterzuschlafen.

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Fischer plädiert dafür, zum zweiphasigen Schlaf zurückzukehren, da er glaubt, dass der zweiphasige Schlaf der biologischen Neigung des Menschen eher entspreche. Für mich hört sich das ehrlich gesagt gar nicht verkehrt an. Ich bin auch am frühen Abend so gegen 20.00 Uhr sehr müde und je später der Abend, desto wacher werde ich.

Unser heutiger 7-8-stündiger Schlaf ist erst seit der Industrialisierung weitestgehend zur Norm geworden.

Ansonsten beschäftigt sich das Buch noch mit zu erwartenden Fragen wie „Ist der Nachthimmel wirklich schwarz? Warum schlafen wir überhaupt und welchen Sinn machen unsere Träume? Wieso haben wir im Dunkeln mehr Angst als im Hellen?“

„Mit der Romantik kommt die Spiegelwelt einer erfundenen Wirklichkeit zum Vorschein. Der Weg geht nach Innen als Weg zum Traum, der zum Schauplatz einer Universalisierung des Menschen wird, wie man emphatisch sagen kann. Im Schlaf ist die Zeit zwar aufgehoben, aber Welterfahrung wird nur durch den Traum vermittelt, was im Hintergrund zu bedenken bleibt. Indem der Traum eine zweite Version der Welt entwirft, wird die Verbindlichkeit der ersten, die man oft als Wirklichkeit kennt, in Zweifel gezogen. Das Material des Unbewussten entstammt der Einbildungskraft im Traum.“

Das Buch ist ein Exkurs in Philosophie, Biologie, Literatur und Religion, der auf unterhaltsame Weise die nächtlichen Aspekte unseres Alltags beleuchtet. Es ist durchaus informativ, gelegentlich zu sehr Anekdotensammlung, dennoch ein interessantes Buch für schlaflose Nächte.

„Durch die Nacht“ ist im Pantheon Verlag erschienen.

Hirngymnastik: Geschichte

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„Sapiens – A Brief History of Humankind“ – Yuval Noah Harari

 

Typischerweise wird die Geschichte der Menschheit mit den Humanoiden des Paläolithikums begonnen, zeichnet ihre Entwicklung zum modernen Menschen nach und beginnt dann üblicherweise die Anfänge der Zivilisation von der Landwirtschaft bis zur Gegenwart nachzuzeichnen. Soweit folgt auch Yuval Noah Harrari diesem Weg in seinem Buch „Sapiens“, dennoch hat er einige überraschende Wendungen auf Lager. Was dieses Buch zu einem unglaublich spannenden Geschichtswälzer macht ist das er einige unserer vorgefassten Meinungen und Vorstellungen ins Wanken bringt, und den einen oder anderen vielleicht auch mal ärgert, aber niemals aufhört unglaublich faszinierend zu sein.

Harari legt seinen Fokus auf die drei großen Revolutionen in der Menschheitsgeschichte: die kognitive, die landwirtschaftliche und die der Wissenschaft. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie ein eher unbedeutendes Lebewesen ohne großartige Signifikanz“ es schaffen konnte zur dominanten Lebensform auf unserem Planeten zu werden und inwieweit dessen Fähigkeit sich die Natur weitestgehend zum Untertan zu machen ein Segen oder vielleicht eher ein Fluch für den Planeten und die Menschheit selber sein wird.

Würden wir die Zeit seit Entstehung von Leben auf unserem Planeten als Uhr darstellen, wäre der heute Mensch gerade einmal zwei Minuten vor Mitternacht aufgetaucht, also gerade noch rechtzeitig um die Sektkorken knallen zu hören. Wie lange wir als Art erhalten bleiben, bleibt abzuwarten, viele unserer „Vorgängermodelle“ haben uns da einiges an Zeitspanne voraus.

In 20 wirklich brillianten Kapiteln fordert Harari den Leser dazu auf sich nicht nur mit der Frage zu beschäftigen wie wir wurden was wir sind, sondern was hätte passieren können, wenn die Dinge etwas anders abgelaufen wären. Er beschäftigt sich ausgiebig mit dem Thema Zufall und gelegentlich ist er ganz schön zynisch, aber mich hat das nicht weiter gestört, denn ich empfand den Grundton des Buches als durchaus optimistisch.

Harari hat einige meiner bisherigen Vorstellungen von den Anfängen unserer Spezies ordentlich durchgerüttelt, aber ich mag das, wenn man mich zum Nach- oder Umdenken bringt. Er beleuchtet die Anfänge der kognitiven Revolution und der immanenten Wichtigkeit von hypothetischen Geschichten die nötig sind um eine Gesellschaft zusammen zu schweissen. Geschichten an die jeder glaubt sind die Grundlage für unsere Fähigkeit zur Kooperation. Und sei es nur unser weltumspannender Glaube an so etwas fiktives wie Geld.

“How do you cause people to believe in an imagined order such as Christianity, democracy or capitalism? First, you never admit that the order is imagined.”

Die Mythen die wir erzeugen, können per se nie komplett logisch konsistent sein. Religion bietet den Menschen Trost von der Absurdität des Lebens und der Unmöglichkeit dem Tod zu entkommen. Die Wissenschaft dagegen macht genau das Gegenteil. Sie versucht, wie zum Beispiel im ausführlich besprochenen Gilgamesch Projekt Wege zu finden, den Tod und andere Unannehmlichkeiten zu überwinden statt sie zu akzeptieren.

“Culture tends to argue that it forbids only that which is unnatural. But from a biological perspective, nothing is unnatural. Whatever is possible is by definition also natural. A truly unnatural behaviour, one that goes against the laws of nature, simply cannot exist, so it would need no prohibition.”

Unser Wissen über die Welt kann und wird niemals universell sicher und konsistent sein und wir müssen lernen neben der immer größer werdenden Komplexität auch mit dem Fakt zu leben, das es keine eine reine Wahrheit gibt. Die Realität die wir sehen, ist immer nur unsere jeweilige, wie wir sie erleben und die ist unsicher, nicht fix und wird sich ändern.

“Consistency is the playground of dull minds.”

Wir müssen als Menschheit unbedingt verstehen lernen, dass Dinge an die wir glauben festlegen werden wer wir als Menschheit in Zukunft werden. Die Mythen denen wir beschließen zu folgen bestimmen was aus uns wird.

„Sapiens“ und auch der Nachfolger „Homo Deus“ sind zwei Bücher von denen ich mir wünschte, ich hätte sie geschrieben. Das ist allerdings ein Mythos den mir niemanden glauben würde, leider nicht einmal ich selber.

Ich hatte das Glück mich eine Woche auf Kreta in der Sonne und in der Hängematte liegend ausgiebig mit diesen beiden Büchern beschäftigen zu können. Verlassen haben wir Strand und Hängematte nur auf dem Rückweg um vor dem Abflug noch ausgiebig in den Ruinen von Knossos herumzustöbern. Ich bin aber sehr sicher, auch auf dem Sofa oder im Lesesessel sind diese beiden Bücher mit das Beste das ihr Eurem Hirn antun könnt 🙂

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„Homo Deus“ – Yuval Noah Harari

„Homo Deus“ ist ein Buch das stellenweise zutiefst schockiert, in dem Harari uns sehr effektiv dazu bringen will uns mit unserer heutigen Gesellschaft auseinander zu setzen. Es ist vordergründig ein Buch über die Zukunft der Menscheit, tatsächlich ist es aber auch ein Mittel um die aktuellen Trends in Wissenschaft, Technologie und der Entwicklung der Menschheit zu beleuchten. Es ist deutlich philosophischer und fordert den Leser dazu auf, sich zu überlegen ob wir wirklich wollen, dass es so weitergeht wie es momentan läuft.

Er macht immer wieder deutlich, dass seine Ausführungen zur Zukunft nur Hypothesen sind und andere Szenarien durchaus möglich sind, dass es trotzdem notwendig ist, sich heute mit diesen Möglichkeiten zu beschäftigen und versuchen die Zukunft aktiv in eine andere Richtung zu beeinflussen.

Neben dem Klimawandel kritisiert er auch insbesondere die Art und Weise wie wir mit Tieren umgehen. Wir sehen uns selbst als die Krone der Schöpfung, doch gerade der Bereich der selbstlernenden Computer, der künstlichen Intelligenz könnte uns in die gleiche Position bringen, in die wir alle anderen Lebewesen auf dem Planeten gebracht haben. Wir müssen anfangen andere Lebewesen deutlich besser zu behandeln, Massentierhaltung ist eine Schande für die Menschheit und unter keinen Umständen zu rechtfertigen.

“Centuries ago human knowledge increased slowly, so politics and economics changed at a leisurely pace too. Today our knowledge is increasing at breakneck speed, and theoretically we should understand the world better and better. But the very opposite is happening. Our new-found knowledge leads to faster economic, social and political changes; in an attempt to understand what is happening, we accelerate the accumulation of knowledge, which leads only to faster and greater upheavals. Consequently we are less and less able to make sense of the present or forecast the future. In 1016 it was relatively easy to predict how Europe would look in 1050. Sure, dynasties might fall, unknown raiders might invade, and natural disasters might strike; yet it was clear that in 1050 Europe would still be ruled by kings and priests, that it would be an agricultural society, that most of its inhabitants would be peasants, and that it would continue to suffer greatly from famines, plagues and wars. In contrast, in 2016 we have no idea how Europe will look in 2050. We cannot say what kind of political system it will have, how its job market will be structured, or even what kind of bodies its inhabitants will possess.”

Ich mochte dieses Buch auch deshalb, weil er Technologie kritisch hinterfragt ohne sie zu verdammen. Es geht ihm um eine vernünftigere Zukunft und nicht um eine rückschrittliche Abkehr und ein zurück auf die Bäume.

Zum Einstieg empfehle ich Hararis TED Talk:

„Noch wichtiger als das Wissen ist die Phantasie“ – Ernst Peter Fischer

„Das Schönste was wir erleben können ist das Geheimnisvolle“ schrieb Albert Einstein „Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Wissenschaft und Kunst steht. Wer es nicht kennt und sich nicht mehr wundern, nicht mehr staunen kann, der ist sozusagen tot und sein Auge erloschen.“

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Die meisten von uns haben wissenschaftliche Methoden zusammen mit dem Periodensystem und dem sezierten Kuhauge weitestgehend mit dem Schulabschluß hinter uns gelassen. Wir brauchen aber (auch) gute wissenschaftliche Literatur, die uns hilft dem postfaktische Zeitalter in dem wir uns anscheinend befinden Widerstand zu leisten. Zum Glück gibt es da einige gute Autoren und schreibende Wissenschaftler und Ernst-Peter Fischer ist meiner Ansicht nach einer von ihnen, die die Gabe haben Fakten in guterzählte Geschichten zu verpacken, die der Wissenschaft das Staunen, das Entdecken und das Wissenwollen zurückgeben. Autoren die die Welt und die Wissenschaft nicht nur verständlich machen, sondern aufregend und interessant erscheinen lassen.

Fischer stellt uns in seinem Buch ein Ensemble an großen Wissenschaftlern und Universalgelehrten vor, die sich mit schwarzen Löchern, mit Quarks und Quasaren, mit Küken, Mais, Genen und vielem mehr beschäftigen und deren Geschichten es durchaus mit Sci-Fi-Thrillern oder Krimis aufnehmen können.

Anthologien sind in der Regel unterhaltend, spannend und so zugänglich, das man sie problemlos lesen kann ohne zu fürchten einer Gehirnschmelze zu erliegen. Doch ein wenig naturwissenschaftliches Grundwissen ist nicht verkehrt, um aus Fischers Buch möglichst viel mitzunehmen. Das Ergebnis ist eine Führung durch die Gedanken und Ideen einiger der größten Wissenschaftler. Jedem Kapitel ist ein Zitat vorangestellt und jedes Porträt drei, vier Seiten lang. Fischer begleitet den Leser bei seiner Reise durch die Erkenntnisse aus Astronomie und Physik, Mathematik und Informatik, Naturforschung und Biologie, Chemie und Medizin sowie Molekularbiologie und Genetik, er ist dabei ein freundlicher Reiseleiter der auf Interessantes hinweist und das Interesse des Lesers auf unerwartete und überraschende Erkenntnisse stupst.

Ich kann alle drei Bücher aus der Geschichts-Hirngymnastik vollumfänglich empfehlen und kann sie mir wunderbar unter einigen Weihnachtsbäumen als perfektes Geschenk vorstellen.

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Konnte ich Euch Lust auf die Geschichte der Menschheit, die Geschichte unserer Zukunft und der Wissenschaft machen? Ich würde mich riesig freuen.

  • „Sapiens – A brief history of humankind / Eine kurze Geschichte der Menschheit“ ist auf deutsch im Pantheon Verlag erschienen.
  • „Homo Deus“ ist auf deutsch im Beck Verlag erschienen.
  • „Noch wichtiger als das Wissen ist die Phantasie“ ist im Penguin Verlag erschienen.